Geständnisse

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Geschrieben im Winter 1854
Vorwort | Geständnisse | Anhang


Ein geistreicher Franzose - vor einigen Jahren hät-
ten diese Worte einen Pleonasmus gebildet - nannte 
mich einst einen romantique défroqué. Ich hege eine 
Schwäche für alles, was Geist ist, und so boshaft die 
Benennung war, hat sie mich dennoch höchlich er-
götzt. Sie ist treffend. Trotz meiner exterminatori-
schen Feldzüge gegen die Romantik blieb ich doch 
selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem
höhern Grade, als ich selbst ahnte. Nachdem ich dem 
Sinne für romantische Poesie in Deutschland die töd-
lichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst 
wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen 
Blume im Traumlande der Romantik, und ich ergriff 
die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich 
mich allen holdseligen Übertreibungen, aller Mond-
scheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallen-
wahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich 
weiß, es war »das letzte freie Waldlied der Roman-
tik«, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die 
alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, wäh-
rend zugleich die neue Schule, die moderne deutsche 
Lyrik, von mir eröffnet ward. Diese Doppelbedeutung
wird mir von den deutschen Literarhistorikern zuge-
schrieben. Es ziemt mir nicht, mich hierüber weitläu-
fig auszulassen, aber ich darf mit gutem Fuge sagen, 
daß ich in der Geschichte der deutschen Romantik 
eine große Erwähnung verdiene. Aus diesem Grunde 
hätte ich in meinem Buche »De l'Allemagne«, wo ich 
jene Geschichte der romantischen Schule so vollstän-
dig als möglich darzustellen suchte, eine Besprechung
meiner eignen Person liefern müssen. Indem ich die-
ses unterließ, entstand eine Lakune, welcher ich nicht 
leicht abzuhelfen weiß. Die Abfassung einer Selbst-
charakteristik wäre nicht bloß eine sehr verfängliche, 
sondern sogar eine unmögliche Arbeit. Ich wäre ein 
eitler Geck, wenn ich hier das Gute, das ich von mir 
zu sagen wüßte, drall hervorhübe, und ich wäre ein 
großer Narr, wenn ich die Gebrechen, deren ich mich 
vielleicht ebenfalls bewußt bin, vor aller Welt zur 
Schau stellte - Und dann, mit dem besten Willen der 
Treuherzigkeit kann kein Mensch über sich selbst die 
Wahrheit sagen. Auch ist dies niemandem bis jetzt 
gelungen, weder dem heiligen Augustin, dem from-
men Bischof von Hippo, noch dem Genfer Jean-
Jacques Rousseau, und am allerwenigsten diesem 
letztern, der sich den Mann der Wahrheit und der 
Natur nannte, während er doch im Grunde viel verlo-
gener und unnatürlicher war als seine Zeitgenossen. 
Er ist freilich zu stolz, als daß er sich gute Eigen-
schaften oder schöne Handlungen fälschlich zuschrie-
be, er erfindet vielmehr die abscheulichsten Dinge zu 
seiner eignen Verunglimpfung. Verleumdete er sich 
etwa selbst, um mit desto größerm Schein von 
Wahrhaftigkeit auch andre, z.B. meinen armen Lands-
mann Grimm, verleumden zu können? Oder macht er 
unwahre Bekenntnisse, um wirkliche Vergehen darun-
ter zu verbergen, da, wie männiglich bekannt ist, die 
Schmachgeschichten, die über uns im Umlauf sind, 
uns nur dann sehr schmerzhaft zu berühren pflegen, 
wenn sie Wahrheit enthalten, während unser Gemüt 
minder verdrießlich davon verletzt wird, wenn sie nur 
eitel Erfindnisse sind. So bin ich überzeugt, Jean-
Jacques hat das Band nicht gestohlen, das einer un-
schuldig angeklagten und fortgejagten Kammerjung-
fer Ehre und Dienst kostete; er hatte gewiß kein Ta-
lent zum Stehlen, er war viel zu blöde und täppisch, 
er, der künftige Bär der Eremitage. Er hat vielleicht 
eines andern Vergehens sich schuldig gemacht, aber 
es war kein Diebstahl. Auch hat er seine Kinder nicht 
ins Findelhaus geschickt, sondern nur die Kinder von 
Mademoiselle Therese Levasseur. Schon vor dreißig 
Jahren machte mich einer der größten deutschen Psy-
chologen auf eine Stelle der »Konfessionen« aufmerk-
sam, woraus bestimmt zu deduzieren war, daß Rous-
seau nicht der Vater jener Kinder sein konnte; der 
eitle Brummbär wollte sich lieber für einen barbari-
schen Vater ausgeben, als daß er den Verdacht ertrü-
ge, aller Vaterschaft unfähig gewesen zu sein. Aber 
der Mann, der in seiner eignen Person auch die 
menschliche Natur verleumdete, er blieb ihr doch treu 
in bezug auf unsre Erbschwäche, die darin besteht, 
daß wir in den Augen der Welt immer anders erschei-
nen wollen, als wir wirklich sind. Sein Selbstporträt 
ist eine Lüge, bewundernswürdig ausgeführt, aber 
eine brillante Lüge. Da war der König der Aschantis, 
von welchem ich jüngst in einer afrikanischen Reise-
beschreibung viel Ergötzliches las, viel ehrlicher, und
das naive Wort dieses Negerfürsten, welches die oben
angedeutete menschliche Schwäche so spaßhaft resü-
miert, will ich hier mitteilen. Als nämlich der Major 
Bowdich in der Eigenschaft eines Ministerresidenten 
von dem englischen Gouverneur des Kaps der Guten 
Hoffnung an den Hof jenes mächtigsten Monarchen 
Südafrikas geschickt ward, suchte er sich die Gunst 
der Höflinge und zumal der Hofdamen, die trotz ihrer 
schwarzen Haut mitunter außerordentlich schön 
waren, dadurch zu erwerben, daß er sie porträtierte. 
Der König, welcher die frappante Ähnlichkeit bewun-
derte, verlangte ebenfalls konterfeit zu werden und 
hatte dem Maler bereits einige Sitzungen gewidmet, 
als dieser zu bemerken glaubte, daß der König, der oft
aufgesprungen war, um die Fortschritte des Porträts 
zu beobachten, in seinem Antlitze einige Unruhe und 
die grimassierende Verlegenheit eines Mannes verriet,
der einen Wunsch auf der Zunge hat, aber doch keine 
Worte dafür finden kann - der Maler drang jedoch so 
lange in Seine Majestät, ihm Ihr allerhöchstes Begehr 
kundzugeben, bis der arme Negerkönig endlich klein-
laut ihn fragte, ob es nicht anginge, daß er ihn weiß 
malte.
Das ist es. Der schwarze Negerkönig will weiß ge-
malt sein. Aber lacht nicht über den armen Afrikaner 
- jeder Mensch ist ein solcher Negerkönig, und jeder 
von uns möchte dem Publikum in einer andern Farbe 
erscheinen, als die ist, womit uns die Fatalität ange-
strichen hat. Gottlob, daß ich dieses begreife, und ich 
werde mich daher hüten, hier in diesem Buche mich 
selbst abzukonterfeien. Doch der Lakune, welche die-
ses mangelnde Porträt verursacht, werde ich in den 
folgenden Blättern einigermaßen abzuhelfen suchen, 
indem ich hier genugsam Gelegenheit finde, meine 
Persönlichkeit so bedenklich als möglich hervortreten 
zu lassen. Ich habe mir nämlich die Aufgabe gestellt, 
hier nachträglich die Entstehung dieses Buches und 
die philosophischen und religiösen Variationen, die 
seit seiner Abfassung im Geiste des Autors vorgefal-
len, zu beschreiben, zu Nutz und Frommen des Lesers
dieser neuen Ausgabe meines Buches »De l'Allema-
gne«.
Seid ohne Sorge, ich werde mich nicht zu weiß 
malen und meine Nebenmenschen nicht zu sehr an-
schwärzen. Ich werde immer meine Farbe ganz getreu 
angeben, damit man wisse, wieweit man meinem Ur-
teil trauen darf, wenn ich Leute von andrer Farbe 
bespreche.
Ich erteilte meinem Buche denselben Titel, unter 
welchem Frau von Staël ihr berühmtes Werk, das 
denselben Gegenstand behandelt, herausgegeben hat, 
und zwar tat ich es aus polemischer Absicht. Daß eine
solche mich leitete, verleugne ich keineswegs; doch 
indem ich von vornherein erkläre, eine Parteischrift 
geliefert zu haben, leiste ich dem Forscher der Wahr-
heit vielleicht bessere Dienste, als wenn ich eine ge-
wisse laue Unparteilichkeit erheuchelte, die immer 
eine Lüge und dem befehdeten Autor verderblicher ist
als die entschiedenste Feindschaft. Da Frau von Staël 
ein Autor von Genie ist und einst die Meinung aus-
sprach, daß das Genie kein Geschlecht habe, so kann 
ich mich bei dieser Schriftstellerin auch jener galanten
Schonung überheben, die wir gewöhnlich den Damen 
angedeihen lassen und die im Grunde doch nur ein 
mitleidiges Zertifikat ihrer Schwäche ist.
Ist die banale Anekdote wahr, welche man in bezug
auf obige Äußerung von Frau von Staël erzählt und 
die ich bereits in meinen Knabenjahren unter andern 
Bonmots des Empires vernahm? Es heißt nämlich, zur
Zeit, wo Napoleon noch Erster Konsul war, sei einst 
Frau von Staël nach der Behausung desselben gekom-
men, um ihm einen Besuch abzustatten; doch trotz-
dem daß der diensttuende Huissier ihr versicherte, 
nach strenger Weisung niemanden vorlassen zu 
dürfen, habe sie dennoch unerschütterlich darauf be-
standen, seinem ruhmreichen Hausherrn unverzüglich 
angekündigt zu werden. Als dieser letztere ihr hierauf 
sein Bedauern vermelden ließ, daß er die verehrte 
Dame nicht empfangen könne, sintemalen er sich 
eben im Bade befände, soll dieselbe ihm die famose 
Antwort zurückgeschickt haben, daß solches kein 
Hindernis wäre, denn das Genie habe kein Ge-
schlecht.
Ich verbürge nicht die Wahrheit dieser Geschichte; 
aber sollte sie auch unwahr sein, so bleibt sie doch 
gut erfunden. Sie schildert die Zudringlichkeit, womit 
die hitzige Person den Kaiser verfolgte. Er hatte nir-
gends Ruhe vor ihrer Anbetung. Sie hatte sich einmal 
in den Kopf gesetzt, daß der größte Mann des Jahr-
hunderts auch mit der größten Zeitgenossin mehr oder
minder idealisch gepaart werden müsse. Aber als sie 
einst, in Erwartung eines Kompliments, an den Kaiser
die Frage richtete, welche Frau er für die größte seiner
Zeit halte, antwortete jener: »Die Frau, welche die 
meisten Kinder zur Welt gebracht.« Das war nicht ga-
lant, wie denn nicht zu leugnen ist, daß der Kaiser den
Frauen gegenüber nicht jene zarten Zuvorkommenhei-
ten und Aufmerksamkeiten ausübte, welche die Fran-
zösinnen so sehr lieben. Aber diese letztern werden 
nie durch taktloses Benehmen irgendeine Unartigkeit 
selbst hervorrufen, wie es die berühmte Genferin 
getan, die bei dieser Gelegenheit bewies, daß sie trotz
ihrer physischen Beweglichkeit von einer gewissen 
heimatlichen Unbeholfenheit nicht frei geblieben.
Als die gute Frau merkte, daß sie mit all ihrer An-
dringlichkeit nichts ausrichtete, tat sie, was die Frau-
en in solchen Fällen zu tun pflegen, sie erklärte sich 
gegen den Kaiser, räsonierte gegen seine brutale und 
ungalante Herrschaft und räsonierte so lange, bis ihr 
die Polizei den Laufpaß gab. Sie flüchtete nun zu uns 
nach Deutschland, wo sie Materialien sammelte zu 
dem berühmten Buche, das den deutschen Spiritualis-
mus als das Ideal aller Herrlichkeit feiern sollte, im 
Gegensatze zu dem Materialismus des imperialen 
Frankreichs. Hier bei uns machte sie gleich einen gro-
ßen Fund. Sie begegnete nämlich einem Gelehrten na-
mens August Wilhelm Schlegel. Das war ein Genie 
ohne Geschlecht. Er wurde ihr getreuer Cicerone und 
begleitete sie auf ihrer Reise durch alle Dachstuben 
der deutschen Literatur. Sie hatte einen unbändig gro-
ßen Turban aufgestülpt und war jetzt die Sultanin des 
Gedankens. Sie ließ unsre Literaten gleichsam geistig 
die Revue passieren und parodierte dabei den großen 
Sultan der Materie. Wie dieser die Leute mit einem 
»Wie alt sind Sie? Wieviel Kinder haben Sie? Wie-
viel Dienstjahre?« usw. anging, so frug jene unsre 
Gelehrten: »Wie alt sind Sie? Was haben Sie ge-
schrieben? Sind Sie Kantianer oder Fichteaner?« und 
dergleichen Dinge, worauf die Dame kaum die Ant-
wort abwartete, die der getreue Mamluck August Wil-
helm Schlegel, ihr Roustam, hastig in sein Notizbuch 
einzeichnete. Wie Napoleon diejenige Frau für die 
größte erklärte, welche die meisten Kinder zur Welt 
gebracht, so erklärte die Staël denjenigen Mann für 
den größten, der die meisten Bücher geschrieben. 
Man hat keinen Begriff davon, welchen Spektakel sie 
bei uns machte, und Schriften, die erst unlängst er-
schienen, z.B. die Memoiren der Kalorie Pichler, die 
Briefe der Varnhagen und der Bettina Arnim, auch die
Zeugnisse von Eckermann, schildern ergötzlich die 
Not, welche uns die Sultanin des Gedankens bereitete,
zu einer Zeit, wo der Sultan der Materie uns schon 
genug Tribulationen verursachte. Es war geistige Ein-
quartierung, die zunächst auf die Gelehrten fiel. Die-
jenigen Literatoren, womit die vortreffliche Frau ganz
besonders zufrieden war und die ihr persönlich durch 
den Schnitt ihres Gesichtes oder die Farbe ihrer 
Augen gefielen, konnten eine ehrenhafte Erwähnung, 
gleichsam das Kreuz der Légion d'honneur, in ihrem 
Buche »De l'Allemagne« erwarten. Dieses Buch 
macht auf mich immer einen so komischen wie ärger-
lichen Eindruck. Hier sehe ich die passionierte Frau 
mit all ihrer Turbulenz, ich sehe, wie dieser Sturm-
wind in Weibskleidern durch unser ruhiges Deutsch-
land fegte, wie sie überall entzückt ausruft: »Welche 
labende Stille weht mich hier an!« Sie hatte sich in 
Frankreich echauffiert und kam nach Deutschland, um
sich bei uns abzukühlen. Der keusche Hauch unsrer 
Dichter tat ihrem heißen, sonnigen Busen so wohl! 
Sie betrachtete unsre Philosophen wie verschiedene 
Eissorten und verschluckte Kant als Sorbett von Va-
nille, Fichte als Pistache, Schelling als Arlequin! - 
»O wie hübsch kühl ist es in euren Wäldern« - rief 
sie beständig -, »welcher erquickende 
Veilchengeruch! wie zwitschern die Zeisige so fried-
lich in ihrem deutschen Nestchen! Ihr seid ein gutes, 
tugendhaftes Volk und habt noch keinen Begriff von 
dem Sittenverderbnis, das bei uns herrscht, in der Rue
du Bac.«
Die gute Dame sah bei uns nur, was sie sehen woll-
te: ein nebelhaftes Geisterland, wo die Menschen 
ohne Leiber, ganz Tugend, über Schneegefilde wan-
deln und sich nur von Moral und Metaphysik unter-
halten! Sie sah bei uns überall nur, was sie sehen 
wollte, und hörte nur, was sie hören und wiedererzäh-
len wollte - und dabei hörte sie doch nur wenig, und 
nie das Wahre, einesteils, weil sie immer selber 
sprach, und dann, weil sie mit ihren barschen Fragen 
unsre bescheidenen Gelehrten verwirrte und verblüff-
te, wenn sie mit ihnen diskurierte. - »Was ist Geist?«
sagte sie zu dem blöden Professor Bouterwek, indem 
sie ihr dickfleischiges Bein auf seine dünnen, 
zitternden Lenden legte. »Ach«, schrieb sie dann, 
»wie interessant ist dieser Bouterwek! Wie der Mann 
die Augen niederschlägt! Das ist mir nie passiert mit 
meinen Herren zu Paris, in der Rue du Bac!« Sie sieht
überall deutschen Spiritualismus, sie preist unsre Ehr-
lichkeit, unsre Tugend, unsre Geistesbildung - sie 
sieht nicht unsre Zuchthäuser, unsre Bordelle, unsre 
Kasernen - man sollte glauben, daß jeder Deutsche 
den Prix Monthyon verdiente - Und das alles, um den
Kaiser zu nergeln, dessen Feinde wir damals waren.
Der Haß gegen den Kaiser ist die Seele dieses Bu-
ches »De l'Allemagne«, und obgleich sein Name nir-
gends darin genannt wird, sieht man doch, wie die 
Verfasserin bei jeder Zeile nach den Tuilerien schielt. 
Ich zweifle nicht, daß das Buch den Kaiser weit emp-
findlicher verdrossen hat als der direkteste Angriff, 
denn nichts verwundet einen Mann so sehr wie kleine 
weibliche Nadelstiche. Wir sind auf große Schwert-
streiche gefaßt, und man kitzelt uns an den kitzligsten
Stellen.
O die Weiber! Wir müssen ihnen viel verzeihen, 
denn sie lieben viel, und sogar viele. Ihr Haß ist ei-
gentlich nur eine Liebe, welche umgesattelt hat. Zu-
weilen suchen sie auch uns Böses zuzufügen, weil sie 
dadurch einem andern Manne etwas Liebes zu erwei-
sen denken. Wenn sie schreiben, haben sie ein Auge 
auf das Papier und das andre auf einen Mann 
gerichtet, und dieses gilt von allen Schriftstellerinnen,
mit Ausnahme der Gräfin Hahn-Hahn, die nur ein 
Auge hat. Wir männlichen Schriftsteller haben eben-
falls unsre vorgefaßten Sympathien, und wir schrei-
ben für oder gegen eine Sache, für oder gegen eine 
Idee, für oder gegen eine Partei; die Frauen jedoch 
schreiben immer für oder gegen einen einzigen Mann 
oder, besser gesagt, wegen eines einzigen Mannes. 
Charakteristisch ist bei ihnen ein gewisser Cancan, 
der Klüngel, den sie auch in die Literatur herüberbrin-
gen und der mir weit fataler ist als die roheste 
Verleumdungswut der Männer. Wir Männer lügen zu-
weilen. Die Weiber, wie alle passive Naturen, können
selten erfinden, wissen jedoch das Vorgefundene der-
gestalt zu entstellen, daß sie uns dadurch noch weit 
sicherer schaden als durch entschiedene Lügen. Ich 
glaube wahrhaftig, mein Freund Balzac hatte recht, 
als er mir einst in einem sehr seufzenden Tone sagte: 
»La femme est un être dangereux.«
Ja, die Weiber sind gefährlich; aber ich muß doch 
die Bemerkung hinzufügen, daß die schönen nicht so 
gefährlich sind als die, welche mehr geistige als kör-
perliche Vorzüge besitzen. Denn jene sind gewohnt, 
daß ihnen die Männer den Hof machen, während die 
andern der Eigenliebe der Männer entgegenkommen 
und durch den Köder der Schmeichelei einen größern 
Anhang gewinnen als die Schönen. Ich will damit 
beileibe nicht andeuten, als ob Frau von Staël häßlich
gewesen sei; aber eine Schönheit ist ganz etwas ande-
res. Sie hatte angenehme Einzelheiten, welche aber 
ein sehr unangenehmes Ganze bildeten; besonders un-
erträglich für nervöse Personen, wie es der selige 
Schiller gewesen, war ihre Manie, beständig einen 
kleinen Stengel oder eine Papiertüte zwischen den 
Fingern wirbelnd herumzudrehen - dieses Manöver 
machte den armen Schiller schwindlicht, und er ergriff
in Verzweiflung alsdann ihre schöne Hand, um sie 
festzuhalten, und Frau von Staël glaubte, der gefühl-
volle Dichter sei hingerissen von dem Zauber ihrer 
Persönlichkeit. Sie hatte in der Tat sehr schöne 
Hände, wie man mir sagt, und auch die schönsten 
Arme, die sie immer nackt sehen ließ; gewiß, die 
Venus von Milo hätte keine so schönen Arme aufzu-
weisen. Ihre Zähne überstrahlten an Weiße das Gebiß
der kostbarsten Rosse Arabiens. Sie hatte sehr große, 
schöne Augen, ein Dutzend Amoretten würden Platz 
gefunden haben auf ihren Lippen, und ihr Lächeln 
soll sehr holdselig gewesen sein. Häßlich war sie also
nicht - keine Frau ist häßlich -, soviel läßt sich aber 
mit Fug behaupten: wenn die schöne Helena von 
Sparta so ausgesehen hätte, so wäre der ganze Troja-
nische Krieg nicht entstanden, die Burg des Priamus 
wäre nicht verbrannt worden, und Homer hätte nim-
mermehr besungen den Zorn des Peliden Achilles.
Frau von Staël hatte sich, wie oben gesagt, gegen 
den großen Kaiser erklärt und machte ihm den Krieg. 
Aber sie beschränkte sich nicht darauf, Bücher gegen 
ihn zu schreiben; sie suchte ihn auch durch nichtlite-
rarische Waffen zu befehden: sie war einige Zeit die 
Seele aller jener aristokratischen und jesuitischen In-
trigen, die der Koalition gegen Napoleon vorangin-
gen, und wie eine wahre Hexe kauerte sie an dem bro-
delnden Topfe, worin alle diplomatischen Giftmi-
scher, ihre Freunde Talleyrand, Metternich, Pozzo di 
Borgo, Castlereagh usw., dem großen Kaiser sein 
Verderben eingebrockt hatten. Mit dem Kochlöffel 
des Hasses rührte das Weib herum in dem fatalen 
Topfe, worin zugleich das Unglück der ganzen Welt 
gekocht wurde. Als der Kaiser unterlag, zog Frau von 
Staël siegreich ein in Paris mit ihrem Buche »De l'Al-
lemagne« und in Begleitung von einigen hunderttau-
send Deutschen, die sie gleichsam als eine pompöse 
Illustration ihres Buches mitbrachte. Solchermaßen 
illustriert durch lebendige Figuren, mußte das Werk 
sehr an Authentizität gewinnen, und man konnte sich 
hier durch den Augenschein überzeugen, daß der 
Autor uns Deutsche und unsre vaterländischen Tugen-
den sehr treu geschildert hatte. Welches köstliche Ti-
telkupfer war jener Vater Blücher, diese alte Spielrat-
te, dieser ordinäre Knaster, welcher einst einen Tages-
befehl erteilt hatte, worin er sich vermaß, wenn er den
Kaiser lebendig finge, denselben aushauen zu lassen. 
Auch unsern A. W. v. Schlegel brachte Frau von 
Staël mit nach Paris, und das war ein Musterbild 
deutscher Naivetät und Heldenkraft. Es folgte ihr 
ebenfalls Zacharias Werner, dieses Modell deutscher 
Reinlichkeit, hinter welchem die entblößten Schönen 
des Palais Royal lachend einherliefen. Zu den interes-
santen Figuren, welche sich damals in ihrem deut-
schen Kostüme den Parisern vorstellten, gehörten 
auch die Herren Görres, Jahn und Ernst Moritz Arndt,
die drei berühmtesten Franzosenfresser, eine drollige 
Gattung Bluthunde, denen der berühmte Patriot Börne
in seinem Buche »Menzel der Franzosenfresser« die-
sen Namen erteilt hat. Besagter Menzel ist keines-
wegs, wie einige glauben, eine fingierte Personnage, 
sondern er hat wirklich in Stuttgart existiert oder viel-
mehr ein Blatt herausgegeben, worin er täglich ein 
halb Dutzend Franzosen abschlachtete und mit Haut 
und Haar auffraß; wenn er seine sechs Franzosen ver-
zehrt hatte, pflegte er manchmal noch obendrein einen
Juden zu fressen, um im Munde einen guten Ge-
schmack zu behalten, pour se faire la bonne bouche. 
Jetzt hat er längst ausgebellt, und zahnlos, räudig, 
verlungert er im Makulaturwinkel irgendeines schwä-
bischen Buchladens. Unter den Musterdeutschen, wel-
che zu Paris im Gefolge der Frau von Staël zu sehen 
waren, befand sich auch Friedrich von Schlegel, 
welcher gewiß die gastronomische Asketik oder den 
Spiritualismus des gebratenen Hühnertums repräsen-
tierte; ihn begleitete seine würdige Gattin Dorothea, 
geborne Mendelssohn und entlaufene Veit. Ich darf 
hier ebenfalls eine andre Illustration dieser Gattung, 
einen merkwürdigen Akoluthen der Schlegel, nicht 
mit Stillschweigen übergehen. Dieses ist ein deut-
scher Baron, welcher, von den Schlegeln besonders 
rekommandiert, die germanische Wissenschaft in 
Paris repräsentieren sollte. Er war gebürtig aus Alto-
na, wo er einer der angesehensten israelitischen Fami-
lien angehörte. Sein Stammbaum, welcher bis zu 
Abraham, dem Sohne Thaers und Ahnherrn Davids, 
des Königs über Juda und Israel, hinaufreichte, be-
rechtigte ihn hinlänglich, sich einen Edelmann zu nen-
nen, und da er, wie der Synagoge, auch späterhin dem
Protestantismus entsagte und, letztern förmlich ab-
schwörend, sich in den Schoß der römisch-katholi-
schen, alleinseligmachenden Kirche begeben hatte, 
durfte er auch mit gutem Fug auf den Titel eines ka-
tholischen Barons Anspruch machen. In dieser Eigen-
schaft, und um die feudalistischen und klerikalischen 
Interessen zu vertreten, stiftete er zu Paris ein Journal,
betitelt »Le catholique«. Nicht bloß in diesem Blatte, 
sondern auch in den Salons einiger frommen Douai-
rièren des edlen Faubourgs sprach der gelehrte Edel-
mann beständig von Buddha und wieder von Buddha,
und weitläufig gründlich bewies er, daß es zwei Bud-
dha gegeben, was ihm die Franzosen schon auf sein 
bloßes Ehrenwort als Edelmann geglaubt hätten, und 
er wies nach, wie sich das Dogma der Trinität schon 
in den indischen Trimurtis befunden, und er zitierte 
den »Ramayana«, den »Mahabharata«, die »Upne-
kats«, die Kuh Sabala und den König Wiswamitra, 
die »Snorrische Edda« und noch viele unentdeckte 
Fossilien und Mammutsknochen, und er war dabei 
ganz antediluvianisch trocken und sehr langweilig, 
was immer die Franzosen blendet. Da er beständig 
zurückkam auf Buddha und dieses Wort vielleicht ko-
misch aussprach, haben ihn die frivolen Franzosen 
zuletzt den Baron Buddha genannt. Unter diesem 
Namen fand ich ihn im Jahre 1831 zu Paris, und als 
ich ihn mit einer sazerdotalen und fast synagogikalen 
Gravität seine Gelehrsamkeit ableiern hörte, erinnerte 
er mich an einen komischen Kauz im »Vicar of 
Wakefield« von Goldsmith, welcher, wie ich glaube, 
Mr. Jenkinson hieß und jedesmal, wenn er einen Ge-
lehrten antraf, den er prellen wollte, einige Stellen aus
Manetho, Berosus und Sanchuniathon zitierte; das 
Sanskrit war damals noch nicht erfunden. - Ein deut-
scher Baron idealern Schlages war mein armer Freund
Friedrich de la Motte Fouqué, welcher damals, der 
Kollektion der Frau von Staël angehörend, auf seiner 
hohen Rosinante in Paris einritt. Er war ein Don 
Quixote vom Wirbel bis zur Zehe; las man seine 
Werke, so bewunderte man - Cervantes.
Aber unter den französischen Paladinen der Frau 
von Staël war mancher gallische Don Quixote, der 
unsern germanischen Rittern in der Narrheit nicht 
nachzustehen brauchte, z.B. ihr Freund, der Vicomte 
Chateaubriand, der Narr mit der schwarzen Schellen-
kappe, der zu jener Zeit der siegenden Romantik von 
seiner frommen Pilgerfahrt zurückkehrte. Er brachte 
eine ungeheuer große Flasche Wasser aus dem Jordan
mit nach Paris, und seine im Laufe der Revolution 
wieder heidnisch gewordenen Landsleute taufte er 
aufs neue mit diesem heiligen Wasser, und die begos-
senen Franzosen wurden jetzt wahre Christen und ent-
sagten dem Satan und seinen Herrlichkeiten, bekamen
im Reiche des Himmels Ersatz für die Eroberungen, 
die sie auf Erden einbüßten, worunter z.B. die Rhein-
lande, und bei dieser Gelegenheit wurde ich ein Preu-
ße.
Ich weiß nicht, ob die Geschichte begründet ist, 
daß Frau von Staël während der Hundert Tage dem 
Kaiser den Antrag machen ließ, ihm den Beistand 
ihrer Feder zu leihen, wenn er zwei Millionen, die 
Frankreich ihrem Vater schuldig geblieben sei, ihr 
auszahlen wolle. Der Kaiser, der mit dem Gelde der 
Franzosen, die er genau kannte, immer sparsamer war
als mit ihrem Blute, soll sich auf diesen Handel nicht 
eingelassen haben, und die Tochter der Alpen be-
währte das Volkswort: »Point d'argent, point de Suis-
ses.« Der Beistand der talentvollen Dame hätte übri-
gens damals dem Kaiser wenig gefruchtet, denn bald 
darauf ereignete sich die Schlacht bei Waterloo.
Ich habe oben erwähnt, bei welcher traurigen Gele-
genheit ich ein Preuße wurde. Ich war geboren im 
letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts zu Düsseldorf, 
der Hauptstadt des Herzogtums Berg, welches damals
den Kurfürsten von der Pfalz gehörte. Als die Pfalz 
dem Hause Bayern anheimfiel und der bayrische Fürst
Maximilian Joseph vom Kaiser zum König von Bay-
ern erhoben und sein Reich durch einen Teil von Tirol
und andern angrenzenden Ländern vergrößert wurde, 
hat der König von Bayern das Herzogtum Berg zu-
gunsten Joachim Murats, Schwagers des Kaisers, ab-
getreten; diesem letztern ward nun, nachdem seinem 
Herzogtum noch angrenzende Provinzen hinzugefügt 
worden, als Großherzog von Berg gehuldigt. Aber zu 
jener Zeit ging das Avancement sehr schnell, und es 
dauerte nicht lange, so machte der Kaiser den Schwa-
ger Murat zum König von Neapel, und derselbe ent-
sagte der Souveränetät des Großherzogtums Berg zu-
gunsten des Prinzen François, welcher ein Neffe des 
Kaisers und ältester Sohn des Königs Ludwig von 
Holland und der schönen Königin Hortense war. Da 
derselbe nie abdizierte und sein Fürstentum, das von 
den Preußen okkupiert ward, nach seinem Ableben 
dem Sohne des Königs von Holland, dem Prinzen 
Louis Napoleon Bonaparte, de jure zufiel, so ist letz-
terer, welcher jetzt auch Kaiser der Franzosen ist, 
mein legitimer Souverän.
An einem andern Orte, in meinen Memoiren, erzäh-
le ich weitläufiger, als es hier geschehen dürfte, wie 
ich nach der Juliusrevolution nach Paris übersiedelte, 
wo ich seitdem ruhig und zufrieden lebe. Was ich 
während der Restauration getan und gelitten, wird 
ebenfalls zu einer Zeit mitgeteilt werden, wo die unei-
gennützige Absicht solcher Mitteilungen keinem 
Zweifel und keiner Verdächtigung begegnen kann. -- 
Ich hatte viel getan und gelitten, und als die Sonne der
Juliusrevolution in Frankreich aufging, war ich nach-
gerade sehr müde geworden und bedurfte einiger Er-
holung. Auch ward mir die heimatliche Luft täglich 
ungesunder, und ich mußte ernstlich an eine Verände-
rung des Klimas denken. Ich hatte Visionen; die Wol-
kenzüge ängstigten mich und schnitten mir allerlei fa-
tale Fratzen. Es kam mir manchmal vor, als sei die 
Sonne eine preußische Kokarde; des Nachts träumte 
ich von einem häßlichen schwarzen Geier, der mir die
Leber fraß, und ich ward sehr melancholisch. Dazu 
hatte ich einen alten Berliner Justizrat kennengelernt, 
der viele Jahre auf der Festung Spandau zugebracht 
und mir erzählte, wie es unangenehm sei, wenn man 
im Winter die Eisen tragen müsse. Ich fand es in der 
Tat sehr unchristlich, daß man den Menschen die 
Eisen nicht ein bißchen wärme. Wenn man uns die 
Ketten ein wenig wärmte, würden sie keinen so unan-
genehmen Eindruck machen, und selbst fröstelnde 
Naturen könnten sie dann gut ertragen; man sollte 
auch die Vorsicht anwenden, die Ketten mit Essenzen 
von Rosen und Lorbeeren zu parfümieren, wie es 
hierzulande geschieht. Ich frug meinen Justizrat, ob er
zu Spandau oft Austern zu essen bekommen. Er sagte 
nein, Spandau sei zu weit vom Meere entfernt. Auch 
das Fleisch, sagte er, sei dort rar, und es gebe dort 
kein anderes Geflügel als die Fliegen, die einem in die
Suppe fielen. Zu gleicher Zeit lernte ich einen franzö-
sischen Commis voyageur kennen, der für eine Wein-
handlung reiste und mir nicht genug zu rühmen 
wußte, wie lustig man jetzt in Paris lebe, wie der 
Himmel dort voller Geigen hänge, wie man dort von 
morgens bis abends die Marseillaise und »En avant 
marchons!« und »Lafayette aux cheveux blancs« 
singe und Freiheit, Gleichheit und Brüderschaft an 
allen Straßenecken geschrieben stehe; dabei lobte er 
auch den Champagner seines Hauses, von dessen 
Adresse er mir eine große Anzahl Exemplare gab, und
er versprach mir Empfehlungsbriefe für die besten Pa-
riser Restaurants, im Fall ich die Hauptstadt zu mei-
ner Erheiterung besuchen wollte. Da ich nun wirklich 
einer Aufheiterung bedurfte und Spandau zu weit vom
Meere entfernt ist, um dort Austern zu essen, und 
mich die Spandauer Geflügelsuppen nicht sehr lock-
ten und auch obendrein die preußischen Ketten im 
Winter sehr kalt sind und meiner Gesundheit nicht zu-
träglich sein konnten, so entschloß ich mich, nach 
Paris zu reisen und im Vaterland des Champagners 
und der Marseillaise jenen zu trinken und diese letzte-
re, nebst »En avant, marchons!« und »Lafayette aux 
cheveux blancs«, singen zu hören.
Den 1. Mai 1831 fuhr ich über den Rhein. Den 
alten Flußgott, den Vater Rhein, sah ich nicht, und ich
begnügte mich, ihm meine Visitenkarte ins Wasser zu
werfen. Er saß, wie man mir sagte, in der Tiefe und 
studierte wieder die französische Grammatik von 
Meidinger, weil er nämlich während der preußischen 
Herrschaft große Rückschritte im Französischen ge-
macht hatte und sich jetzt eventualiter aufs neue ein-
üben wollte. Ich glaubte ihn unten konjugieren zu 
hören: »J'aime, tu aimes, il aime, nous aimons« - 
Was liebt er aber? In keinem Fall die Preußen. Den 
Straßburger Münster sah ich nur von fern; er wackelte
mit dem Kopfe, wie der alte getreue Eckart, wenn er 
einen jungen Fant erblickt, der nach dem Venusberge 
zieht.
Zu Saint-Denis erwachte ich aus einem süßen Mor-
genschlafe und hörte zum ersten Male den Ruf der 
Coucouführer: »Paris! Paris!« sowie auch das Schel-
lengeklingel der Cocoverkäufer. Hier atmet man 
schon die Luft der Hauptstadt, die am Horizonte be-
reits sichtbar. Ein alter Schelm von Lohnbedienter 
wollte mich bereden, die Königsgräber zu besuchen, 
aber ich war nicht nach Frankreich gekommen, um 
tote Könige zu sehen; ich begnügte mich damit, mir 
von jenem Cicerone die Legende des Ortes erzählen 
zu lassen, wie nämlich der böse Heidenkönig dem 
heiligen Denis den Kopf abschlagen ließ und dieser 
mit dem Kopf in der Hand von Paris nach Saint-Denis
lief, um sich dort begraben und den Ort nach seinem 
Namen nennen zu lassen. Wenn man die Entfernung 
bedenke, sagte mein Erzähler, müsse man über das 
Wunder staunen, daß jemand so weit zu Fuß ohne 
Kopf gehen konnte - doch setzte er mit einem sonder-
baren Lächeln hinzu: »Dans des cas pareils, il n'y a 
que le premier pas qui coûte.« Das war zwei Franken 
wert, und ich gab sie ihm, pour l'amour de Voltaire. 
In zwanzig Minuten war ich in Paris und zog ein 
durch die Triumphpforte des Boulevards Saint-Denis,
die ursprünglich zu Ehren Ludwigs XIV. errichtet 
worden, jetzt aber zur Verherrlichung meines Einzugs
in Paris diente. Wahrhaft überraschte mich die Menge
von geputzten Leuten, die sehr geschmackvoll geklei-
det waren wie Bilder eines Modejournals. Dann im-
ponierte mir, daß sie alle französisch sprachen, was 
bei uns ein Kennzeichen der vornehmen Welt; hier ist 
also das ganze Volk so vornehm wie bei uns der 
Adel. Die Männer waren alle so höflich und die schö-
nen Frauen so lächelnd. Gab mir jemand unversehens 
einen Stoß, ohne gleich um Verzeihung zu bitten, so 
konnte ich darauf wetten, daß es ein Landsmann war; 
und wenn irgendeine Schöne etwas allzu säuerlich 
aussah, so hatte sie entweder Sauerkraut gegessen, 
oder sie konnte Klopstock im Original lesen. Ich fand 
alles so amüsant, und der Himmel war so blau und 
die Luft so liebenswürdig, so generös, und dabei 
flimmerten noch hie und da die Lichter der Julisonne; 
die Wangen der schönen Lutetia waren noch rot von 
den Flammenküssen dieser Sonne, und an ihrer Brust 
war noch nicht ganz verwelkt der bräutliche Blumen-
strauß. An den Straßenecken waren freilich hie und da
die liberté, égalité, fraternité schon wieder abge-
wischt. Ich besuchte sogleich die Restaurants, denen 
ich empfohlen war; diese Speisewirte versicherten 
mir, daß sie mich auch ohne Empfehlungsschreiben 
gut aufgenommen hätten, da ich ein so honettes und 
distinguiertes Äußere besäße, das sich von selbst 
empfehle. Nie hat mir ein deutscher Garkoch derglei-
chen gesagt, wenn er auch ebenso dachte, so ein Fle-
gel meint, er müsse uns das Angenehme verschweigen
und seine deutsche Offenheit verpflichte ihn, nur wi-
derwärtige Dinge uns ins Gesicht zu sagen. In den 
Sitten und sogar in der Sprache der Franzosen ist so-
viel köstliche Schmeichelei, die sowenig kostet und 
doch so wohltätig und erquickend. Meine Seele, die 
arme Sensitive, welche die Scheu vor vaterländischer 
Grobheit so sehr zusammengezogen hatte, erschloß 
sich wieder jenen schmeichlerischen Lauten der fran-
zösischen Urbanität. Gott hat uns die Zunge gegeben, 
damit wir unsern Mitmenschen etwas Angenehmes 
sagen.
Mit dem Französischen haperte es etwas bei meiner
Ankunft; aber nach einer halbstündigen Unterredung 
mit einer kleinen Blumenhändlerin im Passage de 
l'Opéra ward mein Französisch, das seit der Schlacht 
bei Waterloo eingerostet war, wieder flüssig, ich stot-
terte mich wieder hinein in die galantesten Konjuga-
tionen und erklärte der Kleinen sehr verständlich das 
Linnéische System, wo man die Blumen nach ihren 
Staubfäden einteilt; die Kleine folgte einer andern 
Methode und teilte die Blumen ein in solche, die gut 
röchen, und in solche, welche stänken. Ich glaube, 
auch bei den Männern beobachtete sie dieselbe Klas-
sifikation. Sie war erstaunt, daß ich trotz meiner Ju-
gend so gelehrt sei, und posaunte meinen gelehrten 
Ruf im ganzen Passage de l'Opéra. Ich sog auch hier 
die Wohldüfte der Schmeichelei mit Wonne ein und 
amüsierte mich sehr. Ich wandelte auf Blumen, und 
manche gebratene Taube flog mir ins offne, gaffende 
Maul. Wieviel Amüsantes sah ich hier bei meiner An-
kunft! Alle Notabilitäten des öffentlichen Ergötzens 
und der offiziellen Lächerlichkeit. Die ernsthaften 
Franzosen waren die amüsantesten. Ich sah Arnal, 
Bouffé, Déjazet, Debureau, Odry, Mademoiselle Ge-
orges und die große Marmite im Invalidenpalaste. Ich 
sah die Morgue, die Académie française, wo ebenfalls
viele unbekannte Leichen ausgestellt, und endlich die 
Nekropolis des Luxembourg, worin alle Mumien des 
Meineids, mit den einbalsamierten falschen Eiden, die
sie allen Dynastien der französischen Pharaonen ge-
schworen. Ich sah im Jardin des Plantes die Giraffe, 
den Bock mit drei Beinen und die Känguruhs, die 
mich ganz besonders amüsierten. Ich sah auch Herrn 
von Lafayette und seine weißen Haare, letztere aber 
sah ich aparte, da solche in einem Medaillon befind-
lich waren, welches einer schönen Dame am Halse 
hing, während er selbst, der Held beider Welten, eine 
braune Perücke trug, wie alle alte Franzosen. Ich be-
suchte die Königliche Bibliothek und sah hier den 
Konservateur der Medaillen, die eben gestohlen wor-
den; ich sah dort auch in einem obskuren Korridor 
den Zodiakus von Dhontera, der einst soviel Aufsehen
erregt hatte, und am selben Tage sah ich Madame 
Récamier, die berühmteste Schönheit zur Zeit der Me-
rowinger, sowie auch Herrn Ballanche, der zu den 
pièces justificatives ihrer Tugend gehörte und den sie 
seit undenklicher Zeit überall mit sich herum-
schleppte. Leider sah ich nicht Herrn von 
Chateautbriand, der mich gewiß amüsiert hätte. Dafür
sah ich aber in der Grande Chaumière den père La-
hire, in einem Momente, wo er bougrement en colère 
war; er hatte eben zwei junge Robespierre mit weit 
aufgeklappten weißen Tugendwesten bei den Krägen 
erfaßt und vor die Türe gesetzt; einen kleinen Saint-
Just, der sich mausig machte, schmiß er ihnen nach, 
und einige hübsche Citoyennes des Quartier latin, 
welche über Verletzung der Menschheitsrechte klag-
ten, hätte schier dasselbe Schicksal betroffen. In 
einem andern, ähnlichen Lokal sah ich den berühmten
Chicard, den berühmten Lederhändler und Cancantän-
zer, eine vierschrötige Figur, deren rotaufgedunsenes 
Gesicht gegen die blendend weiße Krawatte vortreff-
lich abstach; steif und ernsthaft, glich er einem Mai-
rieadjunkten, der sich eben anschickt, eine Rosière zu 
bekränzen. Ich bewunderte seinen Tanz, und ich sagte
ihm, daß derselbe große Ähnlichkeit habe mit dem 
antiken Silenostanz, den man bei den Dionysien tanz-
te und der von dem würdigen Erzieher des Bacchus, 
dem Silenos, seinen Namen empfangen. Herr Chicard 
sagte mir viel Schmeichelhaftes über meine Gelehr-
samkeit und präsentierte mich einigen Damen seiner 
Bekanntschaft, die ebenfalls nicht ermangelten, mein 
gründliches Wissen herumzurühmen, so daß sich bald
mein Ruf in ganz Paris verbreitete und die Direktoren 
von Zeitschriften mich aufsuchten, um meine Kolla-
boration zu gewinnen.
Zu den Personen, die ich bald nach meiner Ankunft
in Paris sah, gehört auch Victor Bohain, und ich erin-
nere mich mit Freude dieser jovialen, geistreichen 
Figur, die durch liebenswürdige Anregungen viel 
dazu beitrug, die Stirne des deutschen Träumers zu 
entwölken und sein vergrämtes Herz in die Heiterkeit 
des französischen Lebens einzuweihen. Er hatte da-
mals die »Europe littéraire« gestiftet, und als Direktor
derselben kam er zu mir mit dem Ansuchen, einige 
Artikel über Deutschland in dem Genre der Frau von 
Staël für seine Zeitschrift zu schreiben. Ich versprach,
die Artikel zu liefern, jedoch ausdrücklich bemerkend,
daß ich sie in einem ganz entgegengesetzten Genre 
schreiben würde. »Das ist mir gleich« - war die la-
chende Antwort -, »außer dem genre ennuyeux ge-
statte ich wie Voltaire jedes Genre.« Damit ich armer 
Deutscher nicht in das genre ennuyeux verfiele, lud 
Freund Bohain mich oft zu Tische und begoß meinen 
Geist mit Champagner. Niemand wußte besser wie er 
ein Diner anzuordnen, wo man nicht bloß die beste 
Küche, sondern auch die köstlichste Unterhaltung 
genoß; niemand wußte so gut wie er als Wirt die 
Honneurs zu machen, niemand so gut zu repräsentie-
ren wie Victor Bohain - auch hat er gewiß mit Recht 
seinen Aktionären der »Europe littéraire« hunderttau-
send Franken Repräsentationskosten angerechnet. 
Seine Frau war sehr hübsch und besaß ein niedliches 
Windspiel, welches Ji-Ji hieß. Zu dem Humor des 
Mannes trug sogar sein hölzernes Bein etwas bei, und
wenn er, allerliebst um den Tisch herumhumpelnd, 
seinen Gästen Champagner einschenkte, glich er dem 
Vulkan, als derselbe das Amt Hebes verrichtete in der
jauchzenden Götterversammlung. Wo ist er jetzt! Ich 
habe lange nichts von ihm gehört. Zuletzt, vor etwa 
zehn Jahren, sah ich ihn in einem Wirtshause zu 
Granville; er war von England, wo er sich aufhielt, 
um die kolossale englische Nationalschuld zu studie-
ren und bei dieser Gelegenheit seine kleinen Privat-
schulden zu vergessen, nach jenem Hafenstädtchen 
der Basse-Normandie auf einen Tag herübergekom-
men, und hier fand ich ihn an einem Tischchen sit-
zend neben einer Bouteille Champagner und einem 
vierschrötigen Spießbürger mit kurzer Stirn und auf-
gesperrtem Maule, dem er das Projekt eines Geschäf-
tes auseinandersetzte, woran, wie Bohain mit beredsa-
men Zahlen bewies, eine Million zu gewinnen war. 
Bohains spekulativer Geist war immer sehr groß, und 
wenn er ein Geschäft erdachte, stand immer eine Mil-
lion Gewinn in Aussicht, nie weniger als eine Million.
Die Freunde nannten ihn daher auch Messer Milione, 
wie einst Marco Paulo in Venedig genannt wurde, als 
derselbe nach seiner Rückkehr aus dem Morgenlande 
den maulaufsperrenden Landsleuten unter den Arka-
den des Sankt-Marco-Platzes von den hundert Millio-
nen und wieder hundert Millionen Einwohnern erzähl-
te, welche er in den Ländern, die er bereist, in China, 
der Tartarei, Indien usw., gesehen habe. Die neuere 
Geographie hat den berühmten Venezianer, den man 
lange für einen Aufschneider hielt, wieder zu Ehren 
gebracht, und auch von unserm Pariser Messer Milio-
ne dürfen wir behaupten, daß seine industriellen Pro-
jekte immer großartig richtig ersonnen waren und nur 
durch Zufälligkeiten in der Ausführung mißlangen; 
manche brachten große Gewinne, als sie in die Hände 
von Personen kamen, die nicht so gut die Honneurs 
eines Geschäftes zu machen, die nicht so prachtvoll 
zu repräsentieren wußten wie Victor Bohain. Auch 
die »Europe littéraire« war eine vortreffliche Konzep-
tion, ihr Erfolg schien gesichert, und ich habe ihren 
Untergang nie begriffen. Noch den Vorabend des 
Tages, wo die Stockung begann, gab Victor Bohain in
den Redaktionssälen des Journals einen glänzenden 
Ball, wo er mit seinen dreihundert Aktionären tanzte, 
ganz so wie einst Leonidas mit seinen dreihundert 
Spartanern den Tag vor der Schlacht bei den Thermo-
pylen. Jedesmal, wenn ich in der Galerie des Louvre 
das Gemälde von David sehe, welches diese antik he-
roische Szene darstellt, denke ich an den erwähnten 
letzten Tanz des Victor Bohain; ganz ebenso wie der 
todesmutige König des Davidischen Bildes stand er 
auf einem Beine; es war dieselbe klassische Stel-
lung. - Wanderer! wenn du in Paris die Chaussée 
d'Antin nach den Boulevards herabwandelst und dich 
am Ende bei einem schmutzigen Tal, das die Rue 
basse du rempart geheißen, befindest, wisse! du stehst
hier vor den Thermopylen der »Europe littéraire«, wo 
Victor Bohain heldenkühn fiel mit seinen dreihundert 
Aktionären!
Die Aufsätze, die ich, wie gesagt, für jene Zeit-
schrift zu verfassen hatte und darin abdrucken ließ, 
gaben mir Veranlassung, in weiterer Ausführung über
Deutschland und seine geistige Entwickelung mich 
auszusprechen, und es entstand dadurch das Buch, 
das du, teurer Leser! jetzt in Händen hast. Ich wollte 
nicht bloß seinen Zweck, seine Tendenz, seine ge-
heimste Absicht, sondern auch die Genesis des Bu-
ches hier offenbaren, damit jeder um so sicherer er-
mitteln könne, wieviel Glauben und Zutrauen meine 
Mitteilungen verdienen. Ich schrieb nicht im Genre 
der Frau von Staël, und wenn ich mich auch bestrebte,
sowenig ennuyant wie möglich zu sein, so verzichtete 
ich doch im voraus auf alle Effekte des Stiles und der 
Phrase, die man bei Frau von Staël, dem größten 
Autor Frankreichs während dem Empire, in so hohem 
Grade antrifft. Ja, die Verfasserin der »Corinne« 
überragt nach meinem Bedünken alle ihre Zeitgenos-
sen, und ich kann das sprühende Feuerwerk ihrer Dar-
stellung nicht genug bewundern; aber dieses Feuer-
werk läßt leider eine übelriechende Dunkelheit zu-
rück, und wir müssen eingestehen, ihr Genie ist nicht 
so geschlechtlos, wie nach der frühern Behauptung 
der Frau von Staël das Genie sein soll; ihr Genie ist 
ein Weib, besitzt alle Gebrechen und Launen des 
Weibes, und es war meine Pflicht als Mann, dem 
glänzenden Cancan dieses Genies zu widersprechen. 
Es war um so notwendiger, da die Mitteilungen in 
ihrem Buch »De l'Allemagne« sich auf Gegenstände 
bezogen, die den Franzosen unbekannt waren und den
Reiz der Neuheit besaßen, z.B. alles, was Bezug hat 
auf deutsche Philosophie und romantische Schule. Ich
glaube in meinem Buche absonderlich über erstere die
ehrlichste Auskunft erteilt zu haben, und die Zeit hat 
bestätigt, was damals, als ich es vorbrachte, unerhört 
und unbegreiflich schien.
Ja, was die deutsche Philosophie betrifft, so hatte 
ich unumwunden das Schulgeheimnis ausgeplaudert, 
das, eingewickelt in scholastische Formeln, nur den 
Eingeweihten der ersten Klasse bekannt war. Meine 
Offenbarungen erregten hierzulande die größte Ver-
wunderung, und ich erinnere mich, daß sehr bedeuten-
de französische Denker mir naiv gestanden, sie hätten
immer geglaubt, die deutsche Philosophie sei ein 
gewisser mystischer Nebel, worin sich die Gottheit 
wie in einer heiligen Wolkenburg verborgen halte, 
und die deutschen Philosophen seien ekstatische 
Seher, die nur Frömmigkeit und Gottesfurcht atmeten.
Es ist nicht meine Schuld, daß dieses nie der Fall ge-
wesen, daß die deutsche Philosophie just das Gegen-
teil ist von dem, was wir bisher Frömmigkeit und 
Gottesfurcht nannten, und daß unsre modernsten Phi-
losophen den vollständigsten Atheismus als das letzte
Wort unsrer deutschen Philosophie proklamierten. Sie
rissen schonungslos und mit bacchantischer Lebens-
lust den blauen Vorhang vom deutschen Himmel und 
riefen: »Sehet, alle Gottheiten sind entflohen, und dort
oben sitzt nur noch eine alte Jungfer mit bleiernen 
Händen und traurigem Herzen: die Notwendigkeit.«
Ach! was damals so befremdlich klang, wird jetzt 
jenseits des Rheins auf allen Dächern gepredigt, und 
der fanatische Eifer mancher dieser Prädikanten ist 
entsetzlich! Wir haben jetzt fanatische Mönche des 
Atheismus, Großinquisitoren des Unglaubens, die den
Herrn von Voltaire verbrennen lassen würden, weil er
doch im Herzen ein verstockter Deist gewesen. Solan-
ge solche Doktrinen noch Geheimgut einer Aristokra-
tie von Geistreichen blieben und in einer vornehmen 
Koteriesprache besprochen wurden, welche den Be-
dienten, die aufwartend hinter uns standen, während 
wir bei unsern philosophischen Petitssoupers 
blasphemierten, unverständlich war - so lange gehör-
te auch ich zu den leichtsinnigen Esprits forts, wovon 
die meisten jenen liberalen Grandseigneurs glichen, 
die kurz vor der Revolution mit den neuen Umsturzi-
deen die Langeweile ihres müßigen Hoflebens zu ver-
scheuchen suchten. Als ich aber merkte, daß die rohe 
Plebs, der Jan Hagel, ebenfalls dieselben Themata zu 
diskutieren begann in seinen schmutzigen Symposien,
wo statt der Wachskerzen und Girandolen nur Talg-
lichter und Tranlampen leuchteten, als ich sah, daß 
Schmierlappen von Schuster- und Schneidergesellen 
in ihrer plumpen Herbergsprache die Existenz Gottes 
zu leugnen sich unterfingen - als der Atheismus an-
fing, sehr stark nach Käse, Branntwein und Tabak zu 
stinken: da gingen mir plötzlich die Augen auf, und 
was ich nicht durch meinen Verstand begriffen hatte, 
das begriff ich jetzt durch den Geruchssinn, durch das
Mißbehagen des Ekels, und mit meinem Atheismus 
hatte es, gottlob! ein Ende.
Um die Wahrheit zu sagen, es mochte nicht bloß 
der Ekel sein, was mir die Grundsätze der Gottlosen 
verleidete und meinen Rücktritt veranlaßte. Es war 
hier auch eine gewisse weltliche Besorgnis im Spiel, 
die ich nicht überwinden konnte; ich sah nämlich, daß
der Atheismus ein mehr oder minder geheimes Bünd-
nis geschlossen mit dem schauderhaft nacktesten, 
ganz feigenblattlosen, kommunen Kommunismus. 
Meine Scheu vor dem letztern hat wahrlich nichts ge-
mein mit der Furcht des Glückspilzes, der für seine 
Kapitalien zittert, oder mit dem Verdruß der wohlha-
benden Gewerbsleute, die in ihren Ausbeutungsge-
schäften gehemmt zu werden fürchten: nein, mich be-
klemmt vielmehr die geheime Angst des Künstlers 
und des Gelehrten, die wir unsre ganze moderne Zivi-
lisation, die mühselige Errungenschaft so vieler Jahr-
hunderte, die Frucht der edelsten Arbeiten unsrer Vor-
gänger, durch den Sieg des Kommunismus bedroht 
sehen. Fortgerissen von der Strömung großmütiger 
Gesinnung, mögen wir immerhin die Interessen der 
Kunst und Wissenschaft, ja alle unsre Partikularinter-
essen dem Gesamtinteresse des leidenden und unter-
drückten Volkes aufopfern; aber wir können uns nim-
mermehr verhehlen, wessen wir uns zu gewärtigen 
haben, sobald die große rohe Masse, welche die einen
das Volk, die andern den Pöbel nennen und deren le-
gitime Souveränetät bereits längst proklamiert wor-
den, zur wirklichen Herrschaft käme. Ganz besonders 
empfindet der Dichter ein unheimliches Grauen vor-
dem Regierungsantritt dieses täppischen Souveräns. 
Wir wollen gern für das Volk uns opfern, denn 
Selbstaufopferung gehört zu unsern raffiniertesten 
Genüssen - die Emanzipation des Volkes war die 
große Aufgabe unseres Lebens, und wir haben dafür 
gerungen und namenloses Elend ertragen, in der 
Heimat wie im Exile -, aber die reinliche, sensitive 
Natur des Dichters sträubt sich gegen jede persönlich 
nahe Berührung mit dem Volke, und noch mehr 
schrecken wir zusammen bei dem Gedanken an seine 
Liebkosungen, vor denen uns Gott bewahre! Ein gro-
ßer Demokrat sagte einst: er würde, hätte ein König 
ihm die Hand gedrückt, sogleich seine Hand ins Feuer
halten, um sie zu reinigen. Ich möchte in derselben 
Weise sagen: ich würde meine Hand waschen, wenn 
mich das souveräne Volk mit seinem Händedruck be-
ehrt hätte.
O das Volk, dieser arme König in Lumpen, hat 
Schmeichler gefunden, die viel schamloser als die 
Höflinge von Byzanz und Versailles ihm ihren Weih-
rauchkessel an den Kopf schlugen. Diese Hoflakaien 
des Volkes rühmen beständig seine Vortrefflichkeiten 
und Tugenden und rufen begeistert: »Wie schön ist 
das Volk! wie gut ist das Volk! wie intelligent ist das 
Volk!« - Nein, ihr lügt. Das arme Volk ist nicht 
schön; im Gegenteil, es ist sehr häßlich. Aber diese 
Häßlichkeit entstand durch den Schmutz und wird mit
demselben schwinden, sobald wir öffentliche Bäder 
erbauen, wo Seine Majestät das Volk sich unentgelt-
lich baden kann. Ein Stückchen Seife könnte dabei 
nicht schaden, und wir werden dann ein Volk sehen, 
das hübsch propre ist, ein Volk, das sich gewaschen 
hat. Das Volk, dessen Güte so sehr gepriesen wird, ist
gar nicht gut; es ist manchmal so böse wie einige an-
dere Potentaten. Aber seine Bosheit kommt vom Hun-
ger; wir müssen sorgen, daß das souveräne Volk 
immer zu essen habe; sobald allerhöchst dasselbe ge-
hörig gefüttert und gesättigt sein mag, wird es euch 
auch huldvoll und gnädig anlächeln, ganz wie die an-
dern. Seine Majestät das Volk ist ebenfalls nicht sehr 
intelligent; es ist vielleicht dümmer als die andern, es 
ist fast so bestialisch dumm wie seine Günstlinge. 
Liebe und Vertrauen schenkt es nur denjenigen, die 
den Jargon seiner Leidenschaft reden oder heulen, 
während es jeden braven Mann haßt, der die Sprache 
der Vernunft mit ihm spricht, um es zu erleuchten und
zu veredeln. So ist es in Paris, so war es in Jerusalem.
Laßt dem Volk die Wahl zwischen dem Gerechtesten 
der Gerechten und dem scheußlichsten Straßenräuber,
seid sicher, es ruft: »Wir wollen den Barnabas! Es 
lebe der Barnabas!« - Der Grund dieser Verkehrtheit 
ist die Unwissenheit; dieses Nationalübel müssen wir 
zu tilgen suchen durch öffentliche Schulen für das 
Volk, wo ihm der Unterricht auch mit den dazugehö-
rigen Butterbröten und sonstigen Nahrungsmitteln un-
entgeltlich erteilt werde. - Und wenn jeder im Volke 
in den Stand gesetzt ist, sich alle beliebigen Kenntnis-
se zu erwerben, werdet ihr bald auch ein intelligentes 
Volk sehen. - Vielleicht wird dasselbe am Ende noch 
so gebildet, so geistreich, so witzig sein, wie wir es 
sind, nämlich wie ich und du, mein teurer Leser, und 
wir bekommen bald noch andre gelehrte Friseure, 
welche Verse machen, wie Monsieur Jasmin zu Tou-
louse, und noch viele andre philosophische Flick-
schneider, welche ernsthafte Bücher schreiben, wie 
unser Landsmann, der famose Weitling.
Bei dem Namen dieses famosen Weitling taucht 
mir plötzlich mit all ihrem komischen Ernste die 
Szene meines ersten und letzten Zusammentreffens 
mit dem damaligen Tageshelden wieder im Gedächt-
nis herauf. Der liebe Gott, der von der Höhe seiner 
Himmelsburg alles sieht, lachte wohl herzlich über 
die saure Miene, die ich geschnitten haben muß, als 
mir in dem Buchladen meines Freundes Campe zu 
Hamburg der berühmte Schneidergesell entgegentrat 
und sich als einen Kollegen ankündigte, der sich zu 
denselben revolutionären und atheistischen Doktrinen 
bekenne. Ich hätte wirklich in diesem Augenblick ge-
wünscht, daß der liebe Gott gar nicht existiert haben 
möchte, damit er nur nicht die Verlegenheit und Be-
schämung sähe, worin mich eine solche saubre Ge-
nossenschaft versetzte! Der liebe Gott hat mir gewiß 
alle meine alten Frevel von Herzen verziehen, wenn er
die Demütigung in Anschlag brachte, die ich bei 
jenem Handwerksgruß des ungläubigen Knotentums, 
bei jenem kollegialischen Zusammentreffen mit Weit-
ling empfand. Was meinen Stolz am meisten 
verletzte, war der gänzliche Mangel an Respekt, den 
der Bursche an den Tag legte, während er mit mir 
sprach. Er behielt die Mütze auf dem Kopf, und wäh-
rend ich vor ihm stand, saß er auf einer kleinen Holz-
bank, mit der einen Hand sein zusammengezogenes 
rechtes Bein in die Höhe haltend, so daß er mit dem 
Knie fast sein Kinn berührte; mit der andern Hand 
rieb er beständig dieses Bein oberhalb der Fußknö-
chel. Diese unehrerbietige Positur hatte ich anfangs 
den kauernden Handwerksgewöhnungen des Mannes 
zugeschrieben, doch er belehrte mich eines Bessern, 
als ich ihn befrug, warum er beständig in erwähnter 
Weise sein Bein riebe. Er sagte mir nämlich im unbe-
fangen gleichgültigsten Tone, als handle es sich von 
einer Sache, die ganz natürlich, daß er in den ver-
schiedenen deutschen Gefängnissen, worin er geses-
sen, gewöhnlich mit Ketten belastet worden sei; und 
da manchmal der eiserne Ring, welcher das Bein an-
schloß, etwas zu eng gewesen, habe er an jener Stelle 
eine juckende Empfindung bewahrt, die ihn zuweilen 
veranlasse, sich dort zu reiben. Bei diesem naiven Ge-
ständnis muß der Schreiber dieser Blätter ungefähr so 
ausgesehen haben wie der Wolf in der Äsopischen 
Fabel, als er seinen Freund, den Hund, befragt hatte, 
warum das Fell an seinem Halse so abgescheuert sei, 
und dieser zur Antwort gab: »Des Nachts legt man 
mich an die Kette.« - Ja, ich gestehe, ich wich einige 
Schritte zurück, als der Schneider solchermaßen mit 
seiner widerwärtigen Familiarität von den Ketten 
sprach, womit ihn die deutschen Schließer zuweilen 
belästigten, wenn er im Loch saß - »Loch! Schließer!
Ketten!« lauter fatale Koterieworte einer geschlosse-
nen Gesellschaft, womit man mir eine schreckliche 
Vertrautheit zumutete. Und es war hier nicht die Rede
von jenen metaphorischen Ketten, die jetzt die ganze 
Welt trägt, die man mit dem größten Anstand tragen 
kann und die sogar bei Leuten von gutem Tone in die 
Mode gekommen - nein, bei den Mitgliedern jener 
geschlossenen Gesellschaft sind Ketten gemeint in 
ihrer eisernsten Bedeutung, Ketten, die man mit einem
eisernen Ring ans Bein befestigt - und ich wich eini-
ge Schritte zurück, als der Schneider Weitling von 
solchen Ketten sprach. Nicht etwa die Furcht vor dem
Sprichwort »Mitgefangen, mitgehangen!«, nein, mich 
schreckte vielmehr das Nebeneinandergehenktwerden.
Dieser Weitling, der jetzt verschollen, war übrigens
ein Mensch von Talent; es fehlte ihm nicht an Gedan-
ken, und sein Buch, betitelt »Die Garantien der Ge-
sellschaft«, war lange Zeit der Katechismus der deut-
schen Kommunisten. Die Anzahl dieser letztern hat 
sich in Deutschland während der letzten Jahre unge-
heuer vermehrt, und diese Partei ist zu dieser Stunde 
unstreitig eine der mächtigsten jenseits des Rheines. 
Die Handwerker bilden den Kern einer 
Unglaubensarmee, die vielleicht nicht sonderlich dis-
zipliniert, aber in doktrineller Beziehung ganz vor-
züglich einexerziert ist. Diese deutschen Handwerker 
bekennen sich größtenteils zum krassesten Atheis-
mus, und sie sind gleichsam verdammt, dieser trostlo-
sen Negation zu huldigen, wenn sie nicht in einen Wi-
derspruch mit ihrem Prinzip und somit in völlige 
Ohnmacht verfallen wollen. Diese Kohorten der Zer-
störung, diese Sappeure, deren Axt das ganze gesell-
schaftliche Gebäude bedroht, sind den Gleichmachern
und Umwälzern in andern Ländern unendlich überle-
gen, wegen der schrecklichen Konsequenz ihrer Dok-
trin; denn in dem Wahnsinn, der sie antreibt, ist, wie 
Polonius sagen würde, Methode.
Das Verdienst, jene grauenhaften Erscheinungen, 
welche erst später eintrafen, in meinem Buche »De 
l'Allemagne« lange vorausgesagt zu haben, ist nicht 
von großem Belange. Ich konnte leicht prophezeien, 
welche Lieder einst in Deutschland gepfiffen und ge-
zwitschert werden dürften, denn ich sah die Vögel 
ausbrüten, welche später die neuen Sangesweisen an-
stimmten. Ich sah, wie Hegel mit seinem fast komisch
ernsthaften Gesichte als Bruthenne auf den fatalen 
Eiern saß, und ich hörte sein Gackern. Ehrlich gesagt,
selten verstand ich ihn, und erst durch späteres Nach-
denken gelangte ich zum Verständnis seiner Worte. 
Ich glaube, er wollte gar nicht verstanden sein, und 
daher sein verklausulierter Vortrag, daher vielleicht 
auch seine Vorliebe für Personen, von denen er 
wußte, daß sie ihn nicht verständen, und denen er um 
so bereitwilliger die Ehre seines nähern Umgangs 
gönnte. So wunderte sich jeder in Berlin über den in-
timen Verkehr des tiefsinnigen Hegel mit dem ver-
storbenen Heinrich Beer, einem Bruder des durch sei-
nen Ruhm allgemein bekannten und von den 
geistreichsten Journalisten gefeierten Giacomo Meyer-
beer. Jener Beer, nämlich der Heinrich, war ein schier 
unkluger Gesell, der auch wirklich späterhin von sei-
ner Familie für blödsinnig erklärt und unter Kuratel 
gesetzt wurde, weil er, anstatt sich durch sein großes 
Vermögen einen Namen zu machen in der Kunst oder 
Wissenschaft, vielmehr für läppische Schnurrpfeife-
reien seinen Reichtum vergeudete und z.B. eines Tags
für sechstausend Taler Spazierstöcke gekauft hatte. 
Dieser arme Mensch, der weder für einen großen Tra-
gödiendichter noch für einen großen Sterngucker oder
für ein lorbeerbekränztes musikalisches Genie, einen 
Nebenbuhler von Mozart und Rossini, gelten wollte 
und lieber sein Geld für Spazierstöcke ausgab - die-
ser aus der Art geschlagene Beer genoß den vertraute-
sten Umgang Hegels, er war der Intimus des Philoso-
phen, sein Pylades, und begleitete ihn überall wie sein
Schatten. Der ebenso witzige wie talentbegabte Felix 
Mendelssohn suchte einst dieses Phänomen zu 
erklären, indem er behauptete: Hegel verstände den 
Heinrich Beer nicht. Ich glaube aber jetzt, der wirkli-
che Grund jenes intimen Umgangs bestand darin, daß 
Hegel überzeugt war, Heinrich Beer verstände nichts 
von allem, was er ihn reden höre, und er konnte daher 
in seiner Gegenwart sich ungeniert allen Geistesergie-
ßungen des Moments überlassen. Überhaupt war das 
Gespräch von Hegel immer eine Art von Monolog, 
stoßweis hervorgeseufzt mit klangloser Stimme; das 
Barocke der Ausdrücke frappierte mich oft, und von 
letztern blieben mir viele im Gedächtnis. Eines schö-
nen hellgestirnten Abends standen wir beide neben-
einander am Fenster, und ich, ein zweiundzwanzig-
jähriger junger Mensch, ich hatte eben gut gegessen 
und Kaffee getrunken, und ich sprach mit Schwärme-
rei von den Sternen und nannte sie den Aufenthalt der 
Seligen. Der Meister aber brümmelte vor sich hin: 
»Die Sterne, hum! hum! die Sterne sind nur ein leuch-
tender Aussatz am Himmel.« - »Um Gottes willen« -
rief ich -, »es gibt also droben kein glückliches 
Lokal, um dort die Tugend nach dem Tode zu beloh-
nen?« Jener aber, indem er mich mit seinen bleichen 
Augen stier ansah, sagte schneidend: »Sie wollen also
noch ein Trinkgeld dafür haben, daß Sie Ihre kranke 
Mutter gepflegt und Ihren Herrn Bruder nicht vergiftet
haben?« - Bei diesen Worten sah er sich ängstlich 
um, doch er schien gleich wieder beruhigt, als er 
bemerkte, daß nur Heinrich Beer herangetreten war, 
um ihn zu einer Partie Whist einzuladen.
Wie schwer das Verständnis der Hegelschen 
Schriften ist, wie leicht man sich hier täuschen kann 
und zu verstehen glaubt, während man nur dialekti-
sche Formeln nachzukonstruieren gelernt, das merkte 
ich erst viele Jahre später hier in Paris, als ich mich 
damit beschäftigte, aus dem abstrakten Schulidiom 
jene Formeln in die Muttersprache des gesunden Ver-
standes und der allgemeinen Verständlichkeit, ins 
Französische, zu übersetzen. Hier muß der Dolmetsch
bestimmt wissen, was er zu sagen hat, und der ver-
schämteste Begriff ist gezwungen, die mystischen Ge-
wänder fallenzulassen und sich in seiner Nacktheit zu 
zeigen. Ich hatte nämlich den Vorsatz gefaßt, eine all-
gemeinverständliche Darstellung der ganzen Hegel-
schen Philosophie zu verfassen, um sie einer neuern 
Ausgabe meines Buches »De l'Allemagne« als Ergän-
zung desselben einzuverleiben. Ich beschäftigte mich 
während zwei Jahren mit dieser Arbeit, und es gelang 
mir nur mit Not und Anstrengung, den spröden Stoff 
zu bewältigen und die abstraktesten Partien so popu-
lär als möglich vorzutragen. Doch als das Werk end-
lich fertig war, erfaßte mich bei seinem Anblick ein 
unheimliches Grauen, und es kam mir vor, als ob das 
Manuskript mich mit fremden, ironischen, ja boshaf-
ten Augen ansähe. Ich war in eine sonderbare 
Verlegenheit geraten: Autor und Schrift paßten nicht 
mehr zusammen. Es hatte sich nämlich um jene Zeit 
der obenerwähnte Widerwille gegen den Atheismus 
schon meines Gemütes bemeistert, und da ich mir ge-
stehen mußte, daß allen diesen Gottlosigkeiten die 
Hegelsche Philosophie den furchtbarsten Vorschub 
geleistet, ward sie mir äußerst unbehaglich und fatal. 
Ich empfand überhaupt nie eine allzu große Begeiste-
rung für diese Philosophie, und von Überzeugung 
konnte in bezug auf dieselbe gar nicht die Rede sein. 
Ich war nie abstrakter Denker, und ich nahm die Syn-
these der Hegelschen Doktrin ungeprüft an, da ihre 
Folgerungen meiner Eitelkeit schmeichelten. Ich war 
jung und stolz, und es tat meinem Hochmut wohl, als 
ich von Hegel erfuhr, daß nicht, wie meine Großmut-
ter meinte, der liebe Gott, der im Himmel residiert, 
sondern ich selbst hier auf Erden der liebe Gott sei. 
Dieser törichte Stolz übte keineswegs einen verderbli-
chen Einfluß auf meine Gefühle, die er vielmehr bis 
zum Heroismus steigerte; und ich machte damals 
einen solchen Aufwand von Großmut und Selbstauf-
opferung, daß ich dadurch die brillantesten Hochtaten
jener guten Spießbürger der Tugend, die nur aus 
Pflichtgefühl handelten und nur den Gesetzen der 
Moral gehorchten, gewiß außerordentlich verdunkelte.
War ich doch selber jetzt das lebende Gesetz der 
Moral und der Quell alles Rechtes und aller Befugnis.
Ich war die Ursittlichkeit, ich war unsündbar, ich war 
die inkarnierte Reinheit; die anrüchigsten Magdalenen
wurden purifiziert durch die läuternde und sühnende 
Macht meiner Liebesflammen, und fleckenlos wie Li-
lien und errötend wie keusche Rosen, mit einer ganz 
neuen Jungfräulichkeit, gingen sie hervor aus den 
Umarmungen des Gottes. Diese Restaurationen be-
schädigter Magdtümer, ich gestehe es, erschöpften zu-
weilen meine Kräfte. Aber ich gab, ohne zu feilschen, 
und unerschöpflich war der Born meiner Barmherzig-
keit. Ich war ganz Liebe und war ganz frei von Haß. 
Ich rächte mich auch nicht mehr an meinen Feinden, 
da ich im Grunde keinen Feind mehr hatte oder viel-
mehr niemand als solchen anerkannte: für mich gab es
jetzt nur noch Ungläubige, die an meiner Göttlichkeit 
zweifelten - Jede Unbill, die sie mir antaten, war ein 
Sakrilegium, und ihre Schmähungen waren Blasphe-
mien. Solche Gottlosigkeiten konnte ich freilich nicht 
immer ungeahndet lassen, aber alsdann war es nicht 
eine menschliche Rache, sondern die Strafe Gottes, 
die den Sünder traf. Bei dieser höhern Gerechtigkeits-
pflege unterdrückte ich zuweilen mit mehr oder weni-
ger Mühe alles gemeine Mitleid. Wie ich keine Feinde
besaß, so gab es für mich auch keine Freunde, son-
dern nur Gläubige, die an meine Herrlichkeit 
glaubten, die mich anbeteten, auch meine Werke lob-
ten, sowohl die versifizierten wie die, welche ich in 
Prosa geschaffen, und dieser Gemeinde von wahrhaft 
Frommen und Andächtigen tat ich sehr viel Gutes, 
zumal den jungen Devotinnen.
Aber die Repräsentationskosten eines Gottes, der 
sich nicht lumpen lassen will und weder Leib noch 
Börse schont, sind ungeheuer; um eine solche Rolle 
mit Anstand zu spielen, sind besonders zwei Dinge 
unentbehrlich: viel Geld und viel Gesundheit. Leider 
geschah es, daß eines Tages - im Februar 1848 - 
diese beiden Requisiten mir abhanden kamen, und 
meine Göttlichkeit geriet dadurch sehr in Stocken. 
Zum Glück war das verehrungswürdige Publikum in 
jener Zeit mit so großen, unerhörten, fabelhaften 
Schauspielen beschäftigt, daß das, selbe die Verände-
rung, die damals mit meiner kleinen Person vorging, 
nicht besonders bemerken mochte. Ja, sie waren uner-
hört und fabelhaft, die Ereignisse in jenen tollen Fe-
bruartagen, wo die Weisheit der Klügsten zuschanden
gemacht und die Auserwählten des Blödsinns aufs 
Schild gehoben wurden. Die Letzten wurden die Er-
sten, das Unterste kam zuoberst, sowohl die Dinge 
wie die Gedanken waren umgestürzt, es war wirklich 
die verkehrte Welt. - Wäre ich in dieser unsinnigen, 
auf den Kopf gestellten Zeit ein vernünftiger Mensch 
gewesen, so hätte ich gewiß durch jene Ereignisse 
meinen Verstand verloren, aber verrückt, wie ich da-
mals war, mußte das Gegenteil geschehen, und 
sonderbar! just in den Tagen des allgemeinen Wahn-
sinus kam ich selber wieder zur Vernunft! Gleich vie-
len anderen heruntergekommenen Göttern jener Um-
sturzperiode mußte auch ich kümmerlich abdanken 
und in den menschlichen Privatstand wieder zurück-
treten. Das war auch das Gescheiteste, das ich tun 
konnte. Ich kehrte zurück in die niedre Hürde der 
Gottesgeschöpfe, und ich huldigte wieder der All-
macht eines höchsten Wesens, das den Geschicken 
dieser Welt vorsteht und das auch hinfüro meine eig-
nen irdischen Angelegenheiten leiten sollte. Letztere 
waren während der Zeit, wo ich meine eigne Vorse-
hung war, in bedenkliche Verwirrung geraten, und ich
war froh, sie gleichsam einem himmlischen Intendan-
ten zu übertragen, der sie mit seiner Allwissenheit 
wirklich viel besser besorgt. Die Existenz eines Got-
tes war seitdem für mich nicht bloß ein Quell des 
Heils, sondern sie überhob mich auch aller jener 
quälerischen Rechnungsgeschäfte, die mir so verhaßt, 
und ich verdanke ihr die größten Ersparnisse. Wie für
mich, brauche ich jetzt auch nicht mehr für andre zu 
sorgen, und seit ich zu den Frommen gehöre, gebe ich
fast gar nichts mehr aus für Unterstützung von Hülfs-
bedürftigen; - ich bin zu bescheiden, als daß ich der 
göttlichen Fürsehung wie ehemals ins Handwerk pfu-
schen sollte, ich bin kein Gemeindeversorger mehr, 
kein Nachäffer Gottes, und meinen ehemaligen 
Klienten habe ich mit frommer Demut angezeigt, daß 
ich nur ein armseliges Menschengeschöpf bin, eine 
seufzende Kreatur, die mit der Weltregierung nichts 
mehr zu schaffen hat, und daß sie sich hinfüro in Not 
und Trübsal an den Herrgott wenden müßten, der im 
Himmel wohnt und dessen Budget ebenso unermeß-
lich wie seine Güte ist, während ich armer Exgott 
sogar in meinen göttlichsten Tagen, um meinen 
Wohltätigkeitsgelüsten zu genügen, sehr oft den Teu-
fel an dem Schwanz ziehen mußte.
»Tirer le diable par la queue« ist in der Tat einer 
der glücklichsten Ausdrücke der französischen Spra-
che, aber die Sache selbst war höchst demütigend für 
einen Gott. Ja, ich bin froh, meiner angemaßten Glo-
rie entledigt zu sein, und kein Philosoph wird mir je-
mals wieder einreden, daß ich ein Gott sei! Ich bin 
nur ein armer Mensch, der obendrein nicht mehr ganz 
gesund und sogar sehr krank ist. In diesem Zustand 
ist es eine wahre Wohltat für mich, daß es jemand im 
Himmel gibt, dem ich beständig die Litanei meiner 
Leiden vorwimmern kann, besonders nach Mitter-
nacht, wenn Mathilde sich zur Ruhe begeben, die sie 
oft sehr nötig hat. Gottlob! in solchen Stunden bin ich
nicht allein, und ich kann beten und flennen, soviel 
ich will und ohne mich zu genieren, und ich kann 
ganz mein Herz ausschütten vor dem Allerhöchsten 
und ihm manches vertrauen, was wir sogar unsrer 
eignen Frau zu verschweigen pflegen.
Nach obigen Geständnissen wird der geneigte 
Leser leichtlich begreifen, warum mir meine Arbeit 
über die Hegelsche Philosophie nicht mehr behagte. 
Ich sah gründlich ein, daß der Druck derselben weder 
den Publikum noch dem Autor heilsam sein konnte; 
ich sah ein, daß die magersten Spittelsuppen der 
christlichen Barmherzigkeit für die verschmachtende 
Menschheit noch immer erquicklicher sein dürften als 
das gekochte graue Spinnweb der Hegelschen Dialek-
tik; - ja ich will alles gestehen, ich bekam auf einmal 
eine große Furcht vor den ewigen Flammen - es ist 
freilich ein Aberglaube, aber ich hatte Furcht -, und 
an einem stillen Winterabend, als eben in meinem 
Kamin ein starkes Feuer brannte, benutzte ich die 
schöne Gelegenheit, und ich warf mein Manuskript 
über die Hegelsche Philosophie in die lodernde Glut; 
die brennenden Blätter flogen hinauf in den Schlot mit
einem sonderbaren kichernden Geknister.
Gottlob, ich war sie los! Ach, könnte ich doch 
alles, was ich einst über die deutsche Philosophie 
drucken ließ, in derselben Weise vernichten! Aber das
ist unmöglich, und da ich nicht einmal den Wiederab-
druck bereits vergriffener Bücher verhindern kann, 
wie ich jüngst betrübsamlichst erfahren, so bleibt mir 
nichts übrig, als öffentlich zu gestehen, daß meine 
Darstellung der deutschen philosophischen Systeme, 
also fürnehmlich die ersten drei Abteilungen meines 
Buches »De l'Allemagne«, die sündhaftesten Irrtümer 
enthalten. Ich hatte die genannten drei Partien in einer
deutschen Version als ein besonderes Buch drucken 
lassen, und da die letzte Ausgabe des selben vergrif-
fen war und mein Buchhändler das Recht besaß, eine 
neue Ausgabe zu veröffentlichen, so versah ich das 
Buch mit einer Vorrede, woraus ich eine Stelle hier 
mitteile, die mich des traurigen Geschäftes überhebt, 
in bezug auf die erwähnten drei Partien der »Allema-
gne« mich besonders auszusprechen. Sie lautet wie 
folgt: »Ehrlich gestanden, es wäre mir lieb, wenn ich 
das Buch ganz ungedruckt lassen könnte. Es haben 
sich nämlich seit dem Erscheinen desselben meine 
Ansichten über manche Dinge, besonders über göttli-
che Dinge, bedenklich geändert, und manches, was 
ich behauptete, widerspricht jetzt meiner bessern 
Überzeugung. Aber der Pfeil gehört nicht mehr dem 
Schützen, sobald er von der Sehne des Bogens fort-
fliegt, und das Wort gehört nicht mehr dem Sprecher, 
sobald es seiner Lippe entsprungen und gar durch die 
Presse vervielfältigt worden. Außerdem würden frem-
de Befugnisse mir mit zwingendem Einspruch entge-
gentreten, wenn ich dieses Buch ungedruckt ließe und 
meinen Gesamtwerken entzöge. Ich könnte zwar, wie 
manche Schriftsteller in solchen Fällen tun, zu einer 
Milderung der Ausdrücke, zu Verhüllungen durch 
Phrase meine Zuflucht nehmen; aber ich hasse im 
Grund meiner Seele die zweideutigen Worte, die 
heuchlerischen Blumen, die feigen Feigenblätter. 
Einem ehrlichen Manne bleibt aber unter allen Um-
ständen das unveräußerliche Recht, seinen Irrtum 
offen zu gestehen, und ich will es ohne Scheu hier 
ausüben. Ich bekenne daher unumwunden, daß alles, 
was in diesem Buche namentlich auf die große Got-
tesfrage Bezug hat, ebenso falsch wie unbesonnen ist.
Ebenso unbesonnen wie falsch ist die Behauptung, 
die ich der Schule nachsprach, daß der Deismus in der
Theorie zugrunde gerichtet sei und sich nur noch in 
der Erscheinungswelt kümmerlich hinfriste. Nein, es 
ist nicht wahr, daß die Vernunftkritik, welche die Be-
weistümer für das Dasein Gottes, wie wir dieselben 
seit Anselm von Canterbury kennen, zernichtet hat, 
auch dem Dasein Gottes selber ein Ende gemacht 
habe. Der Deismus lebt, lebt sein lebendigstes Leben,
er ist nicht tot, und am allerwenigsten hat ihn die 
neueste deutsche Philosophie getötet. Diese spinnwe-
bige Berliner Dialektik kann keinen Hund aus dem 
Ofenloch locken, sie kann keine Katze töten, wieviel 
weniger einen Gott. Ich habe es am eignen Leibe er-
probt, wie wenig gefährlich ihr Umbringen ist; sie 
bringt immer um, und die Leute bleiben dabei am 
Leben. Der Türhüter der Hegelschen Schule, der 
grimme Ruge, behauptete einst steif und fest oder 
vielmehr fest und steif, daß er mich mit seinem Por-
tierstock in den ›Hallischen Jahrbüchern‹ totgeschla-
gen habe, und doch zur selben Zeit ging ich umher auf
den Boulevards von Paris, frisch und gesund und un-
sterblicher als je. Der arme, brave Ruge! er selber 
konnte sich später nicht des ehrlichsten Lachens ent-
halten, als ich ihm hier in Paris das Geständnis mach-
te, daß ich die fürchterlichen Totschlagblätter, die 
›Hallischen Jahrbücher‹, nie zu Gesicht bekommen 
hatte, und sowohl meine vollen roten Backen als auch
der gute Appetit, womit ich Austern schluckte, über-
zeugten ihn, wie wenig mir der Name einer Leiche ge-
bührte. In der Tat, ich war damals noch gesund und 
feist, ich stand im Zenit meines Fettes und war so 
übermütig wie der König Nebukadnezar vor seinem 
Sturze.
Ach! einige Jahre später ist eine leibliche und gei-
stige Veränderung eingetreten. Wie oh seitdem denke 
ich an die Geschichte dieses babylonischen Königs, 
der sich selbst für den lieben Gott hielt, aber von der 
Höhe seines Dünkels erbärmlich herabstürzte, wie ein
Tier am Boden kroch und Gras aß - (es wird wohl 
Salat gewesen sein). In dem prachtvoll grandiosen 
Buch Daniel steht diese Legende, die ich nicht bloß 
dem guten Ruge, sondern auch meinem noch viel ver-
stocktern Freunde Marx, ja auch den Herren Feuer-
bach, Daumer, Bruno Bauer, Hengstenberg, und wie 
sie sonst heißen mögen, diese gottlosen Selbstgötter, 
zur erbaulichen Beherzigung empfehle. Es stehen 
überhaupt noch viel schöne und merkwürdige Erzäh-
lungen in der Bibel, die ihrer Beachtung wert wären, 
z.B. gleich im Anfang die Geschichte von dem verbo-
tenen Baume im Paradiese und von der Schlange, der 
kleinen Privatdozentin, die schon sechstausend Jahre 
vor Hegels Geburt die ganze Hegelsche Philosophie 
vortrug. Dieser Blaustrumpf ohne Füße zeigt sehr 
scharfsinnig, wie das Absolute in der Identität von 
Sein und Wissen besteht, wie der Mensch zum Gotte 
werde durch die Erkenntnis oder, was dasselbe ist, 
wie Gott im Menschen zum Bewußtsein seiner selbst 
gelange. - Diese Formel ist nicht so klar wie die ur-
sprünglichen Worte: ›Wenn ihr vom Baume der Er-
kenntnis genossen, werdet ihr wie Gott sein!‹ Frau 
Eva verstand von der ganzen Demonstration nur das 
eine, daß die Frucht verboten sei, und weil sie verbo-
ten, aß sie davon, die gute Frau. Aber kaum hatte sie 
von dem lockenden Apfel gegessen, so verlor sie ihre 
Unschuld, ihre naive Unmittelbarkeit, sie fand, daß 
sie viel zu nackend sei für eine Person von ihrem 
Stande, die Stammutter so vieler künftigen Kaiser und
Könige, und sie verlangte ein Kleid. Freilich nur ein 
Kleid von Feigenblättern, weil damals noch keine 
Lyoner Seidenfabrikanten geboren waren und weil es 
auch im Paradiese noch keine Putzmacherinnen und 
Modehändlerinnen gab - o Paradies! Sonderbar, 
sowie das Weib zum denkenden Selbstbewußtsein 
kommt, ist ihr erster Gedanke ein neues Kleid! Auch 
diese biblische Geschichte, zumal die Rede der 
Schlange, kommt mir nicht aus dem Sinn, und ich 
möchte sie als Motto diesem Buche voransetzen, in 
derselben Weise, wie man oft vor fürstlichen Gärten 
eine Tafel sieht mit der warnenden Aufschrift: ›Hier 
liegen Fußangeln und Selbstschüsse‹.«
Nach der Stelle, welche ich hier zitiert, folgen Ge-
ständnisse über den Einfluß, den die Lektüre der 
Bibel auf meine spätere Geistesevolution ausübte. Die
Wiedererweckung meines religiösen Gefühls verdan-
ke ich jenem heiligen Buche, und dasselbe ward für 
mich ebensosehr eine Quelle des Heils als ein Gegen-
stand der frömmigsten Bewunderung. Sonderbar! 
Nachdem ich mein ganzes Leben hindurch mich auf 
allen Tanzböden der Philosophie herumgetrieben, 
allen Orgien des Geistes mich hingegeben, mit allen 
möglichen Systemen gebuhlt, ohne befriedigt worden 
zu sein, wie Messaline nach einer lüderlichen Nacht -
jetzt befinde ich mich plötzlich auf demselben Stand-
punkt, worauf auch der Onkel Tom steht, auf dem der 
Bibel, und ich knie neben dem schwarzen Betbruder 
nieder in derselben Andacht -
Welche Demütigung! mit all meiner Wissenschaft 
habe ich es nicht weiter gebracht als der arme 
unwissende Neger, der kaum buchstabieren gelernt! 
Der arme Tom scheint freilich in dem heiligen Buche 
noch tiefere Dinge zu sehen als ich, dem besonders 
die letzte Partie noch nicht ganz klar geworden. Tom 
versteht sie vielleicht besser, weil mehr Prügel darin 
vorkommen, nämlich jene unaufhörlichen 
Peitschendiebe, die mich manchmal bei der Lektüre 
der Evangelien und der Apostelgeschichte sehr unäs-
thetisch anwiderten. So ein armer Negersklave liest 
zugleich mit dem Rücken und begreift daher viel bes-
ser als wir. Dagegen glaube ich mir schmeicheln zu 
dürfen, daß mir der Charakter des Moses in der ersten
Abteilung des heiligen Buches einleuchtender aufge-
gangen sei. Diese große Figur hat mir nicht wenig im-
poniert. Welche Riesengestalt! Ich kann mir nicht 
vorstellen, daß Ok, König von Basan, größer gewesen
sei. Wie klein erscheint der Sinai, wenn der Moses 
darauf steht! Dieser Berg ist nur das Postament, wor-
auf die Füße des Mannes stehen, dessen Haupt in den 
Himmel hineinragt, wo er mit Gott spricht - Gott ver-
zeih mir die Sünde, manchmal wollte es mich bedün-
ken, als sei dieser mosaische Gott nur der 
zurückgestrahlte Lichtglanz des Moses selbst, dem er 
so ähnlich sieht, ähnlich in Zorn und in Liebe - Es 
wäre eine große Sünde, es wäre Anthropomorphis-
mus, wenn man eine solche Identität des Gottes und 
seines Propheten annähme - aber die Ähnlichkeit ist 
frappant.
Ich hatte Moses früher nicht sonderlich geliebt, 
wahrscheinlich, weil der hellenische Geist in mir vor-
waltend war und ich dem Gesetzgeber der Juden sei-
nen Haß gegen alle Bildlichkeit, gegen die Plastik, 
nicht verzeihte. Ich sah nicht, daß Moses, trotz seiner 
Befeindung der Kunst, dennoch selber ein großer 
Künstler war und den wahren Künstlergeist besaß. 
Nur war dieser Künstlergeist bei ihm, wie bei seinen 
ägyptischen Landsleuten, nur auf das Kolossale und 
Unverwüstliche gerichtet. Aber nicht wie die Ägypter 
formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Gra-
nit, sondern er baute Menschenpyramiden, er meißelte
Menschenobelisken, er nahm einen armen Hirten-
stamm und schuf daraus ein Volk, das ebenfalls den 
Jahrhunderten trotzen sollte, ein großes, ewiges, heili-
ges Volk, ein Volk Gottes, das allen andern Völkern 
als Muster, ja der ganzen Menschheit als Prototyp 
dienen konnte: er schuf Israel! Mit größerm Rechte 
als der römische Dichter darf jener Künstler, der Sohn
Amrams und der Hebamme Jochebed, sich rühmen, 
ein Monument errichtet zu haben, das alle Bildungen 
aus Erz überdauern wird!
Wie über den Werkmeister, hab ich auch über das 
Werk, die Juden, nie mit hinlänglicher Ehrfurcht ge-
sprochen, und zwar gewiß wieder meines hellenischen
Naturells wegen, dem der judäische Asketismus 
zuwider war. Meine Vorliebe für Hellas hat seitdem 
abgenommen. Ich sehe jetzt, die Griechen waren nur 
schöne Jünglinge, die Juden aber waren immer Män-
ner, gewaltige, unbeugsame Männer, nicht bloß ehe-
mals, sondern bis auf den heutigen Tag, trotz acht-
zehn Jahrhunderten der Verfolgung und des Elends. 
Ich habe sie seitdem besser würdigen gelernt, und 
wenn nicht jeder Geburtsstolz bei dem Kämpen der 
Revolution und ihrer demokratischen Prinzipien ein 
närrischer Widerspruch wäre, so könnte der Schreiber
dieser Blätter stolz darauf sein, daß seine Ahnen dem 
edlen Hause Israel angehörten, daß er ein Abkömm-
ling jener Märtyrer, die der Welt einen Gott und eine 
Moral gegeben und auf allen Schlachtfeldern des Ge-
dankens gekämpft und gelitten haben.
Die Geschichte des Mittelalters und selbst der mo-
dernen Zeit hat selten in ihre Tagesberichte die 
Namen solcher Ritter des heiligen Geistes eingezeich-
net, denn sie fochten gewöhnlich mit verschlossenem 
Visier. Ebensowenig die Taten der Juden wie ihr ei-
gentliches Wesen sind der Welt bekannt. Man glaubt 
sie zu kennen, weil man ihre Bärte gesehen, aber 
mehr kam nie von ihnen zum Vorschein, und wie im 
Mittelalter sind sie auch noch in der modernen Zeit 
ein wandelndes Geheimnis. Es mag enthüllt werden 
an dem Tage, wovon der Prophet geweissagt, daß es 
alsdann nur noch einen Hirten und eine Herde geben 
wird und der Gerechte, der für das Heil der Mensch-
heit geduldet, seine glorreiche Anerkennung emp-
fängt.
Man sieht, ich, der ich ehemals den Homer zu zitie-
ren pflegte, ich zitiere jetzt die Bibel, wie der Onkel 
Tom. In der Tat, ich verdanke ihr viel. Sie hat, wie ich
oben gesagt, das religiöse Gefühl wieder in mir er-
weckt; und diese Wiedergeburt des religiösen Gefühls
genügte dem Dichter, der vielleicht weit leichter als 
andre Sterbliche der positiven Glaubensdogmen ent-
behren kann. Er hat die Gnade, und seinem Geist er-
schließt sich die Symbolik des Himmels und der Erde,
er bedarf dazu keines Kirchenschlüssels. Die töricht-
sten und widersprechendsten Gerüchte sind in dieser 
Beziehung über mich in Umlauf gekommen. Sehr 
fromme, aber nicht sehr gescheute Männer des prote-
stantischen Deutschlands haben mich dringend be-
fragt, ob ich dem lutherisch-evangelischen Bekennt-
nisse, zu welchem ich mich bisher nur in lauer, offizi-
eller Weise bekannte, jetzt, wo ich krank und gläubig 
geworden, mit größerer Sympathie als zuvor zugetan 
sei. Nein, ihr lieben Freunde, es ist in dieser Bezie-
hung keine Änderung mit mir vorgegangen, und wenn
ich überhaupt dem evangelischen Glauben angehörig 
bleibe, so geschieht es, weil er mich auch jetzt durch-
aus nicht geniert, wie er mich früher nie allzusehr ge-
nierte. Freilich, ich gestehe es aufrichtig, als ich mich 
in Preußen und zumal in Berlin befand, hätte ich, wie 
manche meiner Freunde, mich gern von jedem kirchli-
chen Bande bestimmt losgesagt, wenn nicht die dorti-
gen Behörden jedem, der sich zu keiner von den staat-
lich privilegierten positiven Religionen bekannte, den 
Aufenthalt in Preußen und zumal in Berlin verweiger-
ten. Wie Henri IV einst lachend sagte: »Paris vaut 
bien une messe«, so konnte ich mit Fug sagen: »Ber-
lin vaut bien un prêche«, und ich konnte mir, nach 
wie vor, das sehr aufgeklärte und von jedem Aber-
glauben filtrierte Christentum gefallen lassen, das 
man damals sogar ohne Gottheit Christi, wie Schild-
krötensuppe ohne Schildkröte, in den Berliner Kir-
chen haben konnte. Zu jener Zeit war ich selbst noch 
ein Gott, und keine der positiven Religionen hatte 
mehr Wert für mich als die andere; ich konnte aus 
Courtoisie ihre Uniformen tragen, wie z.B. der russi-
sche Kaiser sich in einen preußischen Gardeoffizier 
verkleidet, wenn er dem König von Preußen die Ehre 
erzeigt, einer Revue in Potsdam bei zuwohnen.
Jetzt, wo durch das Wiedererwachen des religiösen 
Gefühls, sowie auch durch meine körperlichen Lei-
den, mancherlei Veränderung in mir vorgegangen - 
entspricht jetzt die lutherische Glaubensuniform eini-
germaßen meinem innersten Gedanken? Inwieweit ist 
das offizielle Bekenntnis zur Wahrheit geworden? 
Solcher Frage will ich durch keine direkte 
Beantwortung begegnen, sie soll mir nur eine Gele-
genheit bieten, die Verdienste zu beleuchten, die sich 
der Protestantismus, nach meiner jetzigen Einsicht, 
um das Heil der Welt erworben; und man mag danach
ermessen, inwiefern ihm eine größere Sympathie von 
meiner Seite gewonnen ward.
Früherhin, wo die Philosophie ein überwiegendes 
Interesse für mich hatte, wußte ich den Protestantis-
mus nur wegen der Verdienste zu schätzen, die er sich
durch die Eroberung der Denkfreiheit erworben, die 
doch der Boden ist, auf welchem sich später Leibniz, 
Kant und Hegel bewegen konnten - Luther, der ge-
waltige Mann mit der Axt, mußte diesen Kriegern 
vorangehen und ihnen den Weg bahnen. In dieser Be-
ziehung habe ich auch die Reformation als den An-
fang der deutschen Philosophie gewürdigt und meine 
kampflustige Parteinahme für den Protestantismus ju-
stifiziert. Jetzt, in meinen spätern und reifern Tagen, 
wo das religiöse Gefühl wieder überwältigend in mir 
aufwogt und der gescheiterte Metaphysiker sich an die
Bibel festklammert: jetzt würdige ich den Protestan-
tismus ganz absonderlich ob der Verdienste, die er 
sich durch die Auffindung und Verbreitung des heili-
gen Buches erworben. Ich sage die Auffindung, denn 
die Juden, die das selbe aus dem großen Brande des 
zweiten Tempels gerettet und es im Exile gleichsam 
wie ein portatives Vaterland mit sich 
herumschleppten, das ganze Mittelalter hindurch, sie 
hielten diesen Schatz sorgsam verborgen in ihrem 
Ghetto, wo die deutschen Gelehrten, Vorgänger und 
Beginner der Reformation, hinschlichen, um Hebrä-
isch zu lernen, um den Schlüssel zu der Truhe zu ge-
winnen, welche den Schatz barg. Ein solcher Gelehr-
ter war der fürtreffliche Reuchlinus, und die Feinde 
desselben, die Hoogstraeten u. Komp. in Köln, die 
man als blödsinnige Dunkelmänner darstellte, waren 
keineswegs so ganz dumme Tröpfe, sondern sie waren
fernsichtige Inquisitoren, welche das Unheil, das die 
Bekanntschaft mit der Heiligen Schrift für die Kirche 
herbeiführen würde, wohl voraussahen: daher ihr Ver-
folgungseifer gegen alle hebräische Schriften, die sie 
ohne Ausnahme zu verbrennen rieten, während sie die
Dolmetscher dieser heiligen Schriften, die Juden, 
durch den verhetzten Pöbel auszurotten suchten. Jetzt,
wo die Motive jener Vorgänge aufgedeckt liegen, 
sieht man, wie jeder im Grunde recht hatte. Die Köl-
ner Dunkelmänner glaubten das Seelenheil der Welt 
bedroht, und alle Mittel, sowohl Lüge als Mord, 
dünkten ihnen erlaubt, zumal in betreff der Juden. 
Das arme niedere Volk, die Kinder des Erbelends, 
haßte die Juden schon wegen ihrer aufgehäuften 
Schätze, und was heutzutage der Haß der Proletarier 
gegen die Reichen überhaupt genannt wird, hieß ehe-
mals Haß gegen die Juden. In der Tat, da diese 
letztern, ausgeschlossen von jedem Grundbesitz und 
jedem Erwerb durch Handwerk, nur auf den Handel 
und die Geldgeschäfte angewiesen waren, welche die 
Kirche für Rechtgläubige verpönte, so waren sie, die 
Juden, gesetzlich dazu verdammt, reich, gehaßt und 
ermordet zu werden. Solche Ermordungen freilich tru-
gen in jenen Zeiten noch einen religiösen Deckmantel,
und es hieß, man müsse diejenigen töten, die einst un-
sern Herrgott getötet. Sonderbar! ebendas Volk, das 
der Welt einen Gott gegeben und dessen ganzes 
Leben nur Gottesandacht atmete, ward als Deizide 
verschrien! Die blutige Parodie eines solchen Wahn-
sinns sahen wir beim Ausbruch der Revolution von 
Sankt Domingo, wo ein Negerhaufen, der die Pflan-
zungen mit Mord und Brand heimsuchte, einen 
schwarzen Fanatiker an seiner Spitze hatte, der ein 
ungeheures Kruzifix trug und blutdürstig schrie: »Die
Weißen haben Christum getötet, laßt uns alle Weißen
totschlagen!«
Ja, den Juden, denen die Welt ihren Gott verdankt, 
verdankt sie auch dessen Wort, die Bibel; sie haben 
sie gerettet aus dem Bankerott des römischen Reichs, 
und in der tollen Raufzeit der Völkerwanderung be-
wahrten sie das teure Buch, bis es der Protestantismus
bei ihnen aufsuchte und das gefundene Buch in die 
Landessprachen übersetzte und in alle Welt verbreite-
te. Diese Verbreitung hat die segensreichsten Früchte 
hervorgebracht und dauert noch bis auf heutigen Tag, 
wo die Propaganda der Bibelgesellschaft eine provi-
dentielle Sendung erfüllt, die bedeutsamer ist und je-
denfalls ganz andere Folgen haben wird, als die from-
men Gentlemen dieser britischen Christentums-Spedi-
tions-Sozietät selber ahnen. Sie glauben eine kleine 
enge Dogmatik zur Herrschaft zu bringen und wie das
Meer auch den Himmel zu monopolisieren, denselben
zur britischen Kirchendomäne zu machen: und siehe! 
sie fördern, ohne es zu wissen, den Untergang aller 
protestantischen Sekten, die alle in der Bibel ihr 
Leben haben und in einem allgemeinen Bibeltume 
aufgehen. Sie fördern die große Demokratie, wo jeder 
Mensch nicht bloß König, sondern auch Bischof in 
seiner Hausburg sein soll; indem sie die Bibel über 
die ganze Erde verbreiten, sie sozusagen der ganzen 
Menschheit durch merkantilische Kniffe, Schmuggel 
und Tausch, in die Hände spielen und der Exegese, 
der individuellen Vernunft überliefern, stiften sie das 
große Reich des Geistes, das Reich des religiösen Ge-
fühls, der Nächstenliebe, der Reinheit und der wahren
Sittlichkeit, die nicht durch dogmatische Begriffsfor-
meln gelehrt werden kann, sondern durch Bild und 
Beispiel, wie dergleichen enthalten ist in dem schönen
heiligen Erziehungsbuche für kleine und große Kin-
der, in der Bibel.
Es ist für den beschaulichen Denker ein 
wunderbares Schauspiel, wenn er die Länder betrach-
tet, wo die Bibel schon seit der Reformation ihren bil-
denden Einfluß ausgeübt auf die Bewohner und ihnen 
in Sitte, Denkungsart und Gemütlichkeit jenen Stem-
pel des palästinischen Lebens aufgeprägt hat, das in 
dem Alten wie in dem Neuen Testamente sich bekun-
det. Im Norden von Europa und Amerika, namentlich 
in den skandinavischen und anglosächsischen, über-
haupt in germanischen und einigermaßen auch in kel-
tischen Landen, hat sich das Palästinatum so geltend 
gemacht, daß man sich dort unter Juden versetzt zu 
sehen glaubt. Zum Beispiel die protestantischen 
Schotten, sind sie nicht Hebräer, deren Namen überall
biblisch, deren cant sogar etwas jerusalemitisch-pha-
risäisch klingt und deren Religion nur ein Judentum 
ist, welches Schweinefleisch frißt? So ist es auch mit 
manchen Provinzen Norddeutschlands und mit Däne-
mark; ich will gar nicht reden von den meisten neuen 
Gemeinden der Vereinigten Staaten, wo man das alt-
testamentarische Leben pedantisch nachäfft. Letzteres
erscheint hier wie daguerreotypiert, die Konturen sind
ängstlich richtig, doch alles ist grau in grau, und es 
fehlt der sonnige Farbenschmelz des Gelobten Lan-
des. Aber die Karikatur wird einst schwinden, das 
Echte, Unvergängliche und Wahre, nämlich die Sitt-
lichkeit des alten Judentums, wird in jenen Ländern 
ebenso gotterfreulich blühen wie einst am Jordan und 
auf den Höhen des Libanons. Man hat keine Palme 
und Kamele nötig, um gut zu sein, und Gutsein ist 
besser denn Schönheit.
Vielleicht liegt es nicht bloß in der Bildungsfähig-
keit der erwähnten Völker, daß sie das jüdische Leben
in Sitte und Denkweise so leicht in sich aufgenom-
men. Der Grund dieses Phänomens ist vielleicht auch 
in dem Charakter des jüdischen Volks zu suchen, das 
immer sehr große Wahlverwandtschaft mit dem Cha-
rakter der germanischen und einigermaßen auch der 
keltischen Rasse hatte. Judäa erschien mir immer wie 
ein Stück Okzident, das sich mitten in den Orient ver-
loren. In der Tat, mit seinem spiritualistischen Glau-
ben, seinen strengen, keuschen, sogar asketischen Sit-
ten, kurz, mit seiner abstrakten Innerlichkeit, bildete 
dieses Land und sein Volk immer den sonderbarsten 
Gegensatz zu den Nachbarländern und Nachbarvöl-
kern, die, den üppig buntesten und brünstigsten Na-
turkulten huldigend, im bacchantischen Sinnenjubel 
ihr Dasein verluderten. Israel saß fromm unter seinem
Feigenbaum und sang das Lob des unsichtbaren Got-
tes und übte Tugend und Gerechtigkeit, während in 
den Tempeln von Babel, Ninive, Sidon und Tyrus 
jene blutigen und unzüchtigen Orgien gefeiert wur-
den, ob deren Beschreibung uns noch jetzt das Haar 
sich sträubt! Bedenkt man diese Umgebung, so kann 
man die frühe Größe Israels nicht genug bewundern. 
Von der Freiheitsliebe Israels, während nicht bloß in 
seiner Umgebung, sondern bei allen Völkern des Al-
tertums, sogar bei den philosophischen Griechen, die 
Sklaverei justifiziert war und in Blüte stand, will ich 
gar nicht reden, um die Bibel nicht zu kompromittie-
ren bei den jetzigen Gewalthabern. Es gibt wahrhaftig
keinen Sozialisten, der terroristischer wäre als unser 
Herr und Heiland, und bereits Moses war ein solcher 
Sozialist, obgleich er, als ein praktischer Mann, be-
stehende Gebräuche, namentlich in bezug auf das Ei-
gentum, nur umzumodeln suchte. Ja, statt mit dem 
Unmöglichen zu ringen, statt die Abschaffung des Ei-
gentums tollköpfig zu dekretieren, erstrebte Moses 
nur die Moralisation desselben, er suchte das Eigen-
tum in Einklang zu bringen mit der Sittlichkeit, mit 
dem wahren Vernunftrecht, und solches bewirkte er 
durch die Einführung des Jubeljahrs, wo jedes alie-
nierte Erbgut, welches bei einem ackerbauenden 
Volke immer Grundbesitz war, an den ursprünglichen
Eigentümer zurückfiel, gleichviel, in welcher Weise 
dasselbe veräußert worden. Diese Institution bildet 
den entschiedensten Gegensatz zu der »Verjährung« 
bei den Römern, wo nach Ablauf einer gewissen Zeit 
der faktische Besitzer eines Gutes von dem legitimen 
Eigentümer nicht mehr zur Rückgabe gezwungen 
werden kann, wenn letzterer nicht zu beweisen ver-
mag, während jener Zeit eine solche Restitution in 
gehöriger Form begehrt zu haben. Diese letzte Be-
dingnis ließ der Schikane offnes Feld, zumal in einem
Staate, wo Despotismus und Jurisprudenz blühte und 
dem ungerechten Besitzer alle Mittel der Ab-
schreckung, besonders dem Armen gegenüber, der die
Streitkosten nicht erschwingen kann, zu Gebote stehn.
Der Römer war zugleich Soldat und Advokat, und das
Fremdgut, das er mit dem Schwerte erbeutet, wußte er
durch Zungendrescherei zu verteidigen. Nur ein Volk 
von Räubern und Kasuisten konnte die Proskription, 
die Verjährung, erfinden und dieselbe konsakrieren in 
jenem abscheulichsten Buche, welches die Bibel des 
Teufels genannt werden kann, im Kodex des römi-
schen Zivilrechts, der leider noch jetzt herrschend ist.
Ich habe oben von der Verwandtschaft gesprochen, 
welche zwischen Juden und Germanen, die ich einst 
»die beiden Völker der Sittlichkeit« nannte, stattfin-
det, und in dieser Beziehung erwähne ich auch als 
einen merkwürdigen Zug den ethischen Unwillen, 
womit das alte deutsche Recht die Verjährung stigma-
tisiert; in dem Munde des niedersächsischen Bauers 
lebt noch heute das rührend schöne Wort: »Hundert 
Jahr Unrecht machen nicht ein Jahr Recht.« Die mo-
saische Gesetzgebung protestiert noch entschiedener 
durch die Institution des Jubeljahrs. Moses wollte 
nicht das Eigentum abschaffen, er wollte vielmehr, 
daß jeder dessen besäße, damit niemand durch Armut
ein Knecht mit knechtischer Gesinnung sei. Freiheit 
war immer des großen Emanzipators letzter Gedanke, 
und dieser atmet und flammt in allen seinen Gesetzen,
die den Pauperismus betreffen. Die Sklaverei selbst 
haßte er über alle Maßen, schier ingrimmig, aber auch
diese Unmenschlichkeit konnte er nicht ganz vernich-
ten, sie wurzelte noch zu sehr im Leben jener Urzeit, 
und er mußte sich darauf beschränken, das Schicksal 
der Sklaven gesetzlich zu mildern, den Loskauf zu er-
leichtern und die Dienstzeit zu beschränken. Wollte 
aber ein Sklave, den das Gesetz endlich befreite, 
durchaus nicht das Haus des Herrn verlassen, so be-
fahl Moses, daß der unverbesserliche servile Lump 
mit dem Ohr an den Türpfosten des herrschaftlichen 
Hauses angenagelt würde, und nach dieser schimpfli-
chen Ausstellung war er verdammt, auf Lebenszeit zu 
dienen. O Moses, unser Lehrer, Mosche Rabenu, 
hoher Bekämpfer der Knechtschaft, reiche mir Ham-
mer und Nägel, damit ich unsre gemütlichen Sklaven 
in schwarzrotgoldner Livree mit ihren langen Ohren 
festnagle an das Brandenburger Tor!
Ich verlasse den Ozean allgemeiner religiös-mora-
lisch-historischer Betrachtungen und lenke mein Ge-
dankenschiff wieder bescheiden in das stille Binnen-
landgewässer, wo der Autor so treu sein eignes Bild 
abspiegelt.
Ich habe oben erwähnt, wie protestantische 
Stimmen aus der Heimat, in sehr indiskret gestellten 
Fragen, die Vermutung ausdrückten, als ob bei dem 
Wiedererwachen meines religiösen Gefühls auch der 
Sinn für das Kirchliche in mir stärker geworden. Ich 
weiß nicht, inwieweit ich merken ließ, daß ich weder 
für ein Dogma noch für irgendeinen Kultus außeror-
dentlich schwärme und ich in dieser Beziehung der-
selbe geblieben bin, der ich immer war. Ich mache 
dieses Geständnis jetzt auch, um einigen Freunden, 
die mit großem Eifer der römisch-katholischen Kirche
zugetan sind, einen Irrtum zu benehmen, in den sie 
ebenfalls in bezug auf meine jetzige Denkungsart ver-
fallen sind. Sonderbar! zur selben Zeit, wo mir in 
Deutschland der Protestantismus die unverdiente Ehre
erzeigte, mir eine evangelische Erleuchtung zuzu-
trauen, verbreitete sich auch das Gerücht, als sei ich 
zum katholischen Glauben übergetreten, ja manche 
gute Seelen versicherten, ein solcher Übertritt habe 
schon vor vielen Jahren stattgefunden, und sie unter-
stützten ihre Behauptung mit der Angabe der be-
stimmtesten Details, sie nannten Zeit und Ort, sie 
gaben Tag und Datum an, sie bezeichneten mit 
Namen die Kirche, wo ich die Ketzerei des Protestan-
tismus abgeschworen und den alleinseligmachenden 
römisch-katholisch-apostolischen Glauben angenom-
men haben sollte; es fehlte nur die Angabe, wieviel 
Glockengeläute und Schellengeklingel der Mesner bei
dieser Feierlichkeit spendierte.
Wie sehr solches Gerücht Konsistenz gewonnen, 
ersehe ich aus Blättern und Briefen, die mir zukom-
men, und ich gerate fast in eine wehmütige Verlegen-
heit, wenn ich die wahrhafte Liebesfreude sehe, die 
sich in manchen Zuschriften so rührend ausspricht. 
Reisende erzählen mir, daß meine Seelenrettung sogar
der Kanzelberedsamkeit Stoff geliefert. Junge katholi-
sche Geistliche wollen ihre homiletischen Erstlings-
schriften meinem Patronate anvertrauen. Man sieht in 
mir ein künftiges Kirchenlicht. Ich kann nicht darüber
lachen, denn der fromme Wahn ist so ehrlich ge-
meint - und was man auch den Zeloten des Katholi-
zismus nachsagen mag, eins ist gewiß: sie sind keine 
Egoisten, sie bekümmern sich um ihre Nebenmen-
schen; leider oft ein bißchen zuviel. Jene falschen Ge-
rüchte kann ich nicht der Böswilligkeit, sondern nur 
dem Irrtum zuschreiben; die unschuldigsten Tatsa-
chen hat hier gewiß nur der Zufall entstellt. Es hat 
nämlich ganz seine Richtigkeit mit jener Angabe von 
Zeit und Ort, ich war in der Tat an dem genannten 
Tage in der genannten Kirche, die sogar einst eine 
Jesuitenkirche gewesen, nämlich in Saint-Sulpice, und
ich habe mich dort einem religiösen Akte unterzogen 
- Aber dieser Akt war keine gehässige Abjuration, 
sondern eine sehr unschuldige Konjugation; ich ließ 
nämlich dort meine Ehe mit meiner Gattin, nach der 
Ziviltrauung, auch kirchlich einsegnen, weil meine 
Gattin, von erzkatholischer Familie, ohne solche Ze-
remonie sich nicht gottgefällig genug verheiratet ge-
glaubt hätte. Und ich wollte um keinen Preis bei die-
sem teuren Wesen in den Anschauungen der angebor-
nen Religion eine Beunruhigung oder Störnis verursa-
chen.
Es ist übrigens sehr gut, wenn die Frauen einer po-
sitiven Religion anhängen. Ob bei den Frauen evan-
gelischer Konfession mehr Treue zu finden, lasse ich 
dahingestellt sein. Jedenfalls ist der Katholizismus 
der Frauen für den Gemahl sehr heilsam. Wenn sie 
einen Fehler begangen haben, behalten sie nicht lange
den Kummer darüber im Herzen, und sobald sie vom 
Priester Absolution erhielten, sind sie wieder trällernd
aufgeheitert und verderben sie ihrem Manne nicht die 
gute Laune oder Suppe durch kopfhängerisches Nach-
grübeln über eine Sünde, die sie sich verpflichtet hal-
ten, bis an ihr Lebensende durch grämliche Prüderie 
und zänkische Übertugend abzubüßen. Auch noch in 
andrer Beziehung ist die Beichte hier so nützlich: die 
Sünderin behält ihr furchtbares Geheimnis nicht lange
lastend im Kopfe, und da doch die Weiber am Ende 
alles ausplaudern müssen, ist es besser, sie gestehen 
gewisse Dinge nur ihrem Beichtiger, als daß sie in die
Gefahr geraten, plötzlich in überwallender Zärtlich-
keit oder Schwatzsucht oder Gewissensbissigkeit dem
armen Gatten die fatalen Geständnisse zu machen!
Der Unglauben ist in der Ehe jedenfalls gefährlich, 
und so freigeistig ich selbst gewesen, so durfte doch 
in meinem Hause nie ein frivoles Wort gesprochen 
werden. Wie ein ehrsamer Spießbürger lebte ich mit-
ten in Paris, und deshalb, als ich heiratete, wollte ich 
auch kirchlich getraut werden, obgleich hierzulande 
die gesetzlich eingeführte Zivilehe hinlänglich von der
Gesellschaft anerkannt ist. Meine liberalen Freunde 
grollten mir deshalb und überschütteten mich mit 
Vorwürfen, als hätte ich der Klerisei eine zu große 
Konzession gemacht. Ihr Murrsinn über meine 
Schwäche würde sich noch sehr gesteigert haben, hät-
ten sie gewußt, wieviel größere Konzessionen ich da-
mals der ihnen verhaßten Priesterschaft machte. Als 
Protestant, der sich mit einer Katholikin verheiratete, 
bedurfte ich, um von einem katholischen Priester 
kirchlich getraut zu werden, eine besondere Dispens 
des Erzbischofs, der diese aber in solchen Fällen nur 
unter der Bedingung erteilt, daß der Gatte sich schrift-
lich verpflichtet, die Kinder, die er zeugen würde, in 
der Religion ihrer Mutter erziehen zu lassen. Es wird 
hierüber ein Revers ausgestellt, und wie sehr auch die
protestantische Welt über solchen Zwang schreit, so 
will mich bedünken, als sei die katholische Priester-
schaft ganz in ihrem Rechte, denn wer ihre einsegnen-
de Garantie nachsucht, muß sich auch ihren 
Bedingungen fügen. Ich fügte mich denselben ganz de
bonne foi, und ich wäre gewiß meiner Verpflichtung 
redlich nachgekommen. Aber, unter uns gesagt, da ich
wohl wußte, daß Kinderzeugen nicht meine Speziali-
tät ist, so konnte ich besagten Revers mit desto leich-
term Gewissen unterzeichnen, und als ich die Feder 
aus der Hand legte, kicherten in meinem Gedächtnis 
die Worte der schönen Ninon de Lenclos: »Oh, le 
beau billet qu'a Lechastre!«
Ich will meinen Bekenntnissen die Krone aufset-
zen, indem ich gestehe, daß ich damals, um die Dis-
pens des Erzbischofs zu erlangen, nicht bloß meine 
Kinder, sondern sogar mich selbst der katholischen 
Kirche verschrieben hätte - Aber der ogre de Rome, 
der wie das Ungeheuer in den Kindermärchen sich die
künftige Geburt für seine Dienste ausbedingt, be-
gnügte sich mit den armen Kindern, die freilich nicht 
geboren wurden, und so blieb ich ein Protestant, nach 
wie vor, ein protestierender Protestant, und ich prote-
stiere gegen Gerüchte, die, ohne verunglimpfend zu 
sein, dennoch zum Schaden meines guten Leumunds 
ausgebeutet werden können.
Ja, ich, der ich immer selbst das aberwitzigste Ge-
rede, ohne mich viel darum zu bekümmern, über mich
hingehen ließ, ich habe mich zu obiger Berichtigung 
verpflichtet geglaubt, um der Partei des edlen Atta 
Troll, die noch immer in Deutschland herumtroddelt, 
keinen Anlaß zu gewähren, in ihrer täppisch treulosen
Weise meinen Wankelmut zu bejammern und dabei 
wieder auf ihre eigne, unwandelbare, in der dicksten 
Bärenhaut eingenähte Charakterfestigkeit zu pochen. 
Gegen den armen ogre de Rome, gegen die römische 
Kirche, ist also diese Reklamation nicht gerichtet. Ich 
habe längst aller Befehdung derselben entsagt, und 
längst ruht in der Scheide das Schwert, das ich einst 
zog im Dienste einer Idee und nicht einer Privatlei-
denschaft. Ja, ich war in diesem Kampf gleichsam ein 
officier de fortune, der sich brav schlägt, aber nach 
der Schlacht oder nach dem Scharmützel keinen Trop-
fen Groll im Herzen bewahrt, weder gegen die be-
kämpfte Sache noch gegen ihre Vertreter Von fanati-
scher Feindschaft gegen die römische Kirche kann bei
mir nicht die Rede sein, da es mir immer an jener 
Borniertheit fehlt, die zu einer solchen Animosität 
nötig ist. Ich kenne zu gut meine geistige Taille, um 
nicht zu wissen, daß ich einem Kolosse, wie die Pe-
terskirche ist, mit meinem wütendsten Anrennen 
wenig schaden dürfte; nur ein bescheidener Handlan-
ger konnte ich sein bei dem langsamen Abtragen sei-
ner Quadern, welches Geschäft freilich doch noch 
viele Jahrhunderte dauern mag. Ich war zu sehr Ge-
schichtskundiger, als daß ich nicht die Riesenhaftig-
keit jenes Granitgebäudes erkannt hätte; - nennt es 
immerhin die Bastille des Geistes, behauptet 
immerhin, dieselbe werde jetzt nur noch von Invali-
den verteidigt; aber es ist darum nicht minder wahr, 
daß auch diese Bastille nicht so leicht einzunehmen 
wäre und noch mancher junge Anstürmer an seinen 
Wällen den Hals brechen wird. Als Denker, als Meta-
physiker, mußte ich immer der Konsequenz der rö-
misch-katholischen Dogmatik meine Bewunderung 
zollen; auch darf ich mich rühmen, weder das Dogma 
noch den Kultus je durch Witz oder Spötterei be-
kämpft zu haben, und man hat mir zugleich zuviel 
Ehre und zuviel Unehre erzeigt, wenn man mich einen
Geistesverwandten Voltaires nannte. Ich war immer 
ein Dichter, und deshalb mußte sich mir die Poesie, 
welche in der Symbolik des katholischen Dogmas und
Kultus blüht und lodert, viel tiefer als andern Leuten 
offenbaren, und nicht selten in meiner Jünglingszeit 
überwältigte auch mich die unendliche Süße, die ge-
heimnisvoll selige Überschwenglichkeit und schauer-
liche Todeslust jener Poesie: auch ich schwärmte 
manchmal für die hochgebenedeite Königin des Him-
mels, die Legenden ihrer Huld und Güte brachte ich 
in zierliche Reime, und meine erste Gedichtesamm-
lung enthält Spuren dieser schönen Madonnaperiode, 
die ich in spätern Sammlungen lächerlich sorgsam 
ausmerzte.
Die Zeit der Eitelkeit ist vorüber, und ich erlaube 
jedem, über diese Geständnisse zu lächeln.
Ich brauche wohl nicht erst zu gestehen, daß in 
derselben Weise, wie kein blinder Haß gegen die rö-
mische Kirche in mir waltete, auch keine kleinliche 
Ranküne gegen ihre Priester in meinem Gemüte ni-
sten konnte: wer meine satirische Begabnis und die 
Bedürfnisse meines parodierenden Übermuts kennt, 
wird mir gewiß das Zeugnis erteilen, daß ich die 
menschlichen Schwächen der Klerisei immer schonte, 
obgleich in meiner spätern Zeit die frommtuenden, 
aber dennoch sehr bissigen Ratten, die in den Sakri-
steien Bayerns und Österreichs herumrascheln, das 
verfaulte Pfaffengeschmeiß, mich oft genug zur Ge-
genwehr reizte. Aber ich bewahrte im zornigsten Ekel
dennoch immer eine Ehrfurcht vor dem wahren Prie-
sterstand, indem ich, in die Vergangenheit zurück-
blickend, der Verdienste gedachte, die er sich einst 
um mich erwarb. Denn katholische Priester waren es, 
denen ich als Kind meinen ersten Unterricht verdank-
te; sie leiteten meine ersten Geistesschritte. Auch in 
der höhern Unterrichtsanstalt zu Düsseldorf, welche 
unter der französischen Regierung das Lyzeum hieß, 
waren die Lehrer fast lauter katholische Geistliche, 
die sich alle mit ernster Güte meiner Geistesbildung 
annahmen; seit der preußischen Invasion, wo auch 
jene Schule den preußisch-griechischen Namen Gym-
nasium annahm, wurden die Priester allmählich durch
weltliche Lehrer ersetzt. Mit ihnen wurden auch ihre 
Lehrbücher abgeschafft, die kurzgefaßten, in lateini-
scher Sprache geschriebenen Leitfaden und Chresto-
mathien, welche noch aus den Jesuitenschulen her-
stammten, und sie wurden ebenfalls ersetzt durch 
neue Grammatiken und Kompendien, geschrieben in 
einem schwindsüchtigen, pedantischen Berliner-
deutsch, in einem abstrakten Wissenschaftsjargon, der
den jungen Intelligenzen minder zugänglich war als 
das leichtfaßliche, natürliche und gesunde Jesuitenla-
tein. Wie man auch über die Jesuiten denkt, so muß 
man doch eingestehen, sie bewährten immer einen 
praktischen Sinn im Unterricht, und ward auch bei 
ihrer Methode die Kunde des Altertums sehr verstüm-
melt mitgeteilt, so haben sie doch diese Altertums-
kenntnis sehr verallgemeinert, sozusagen demokrati-
siert, sie ging in die Massen über, statt daß bei der 
heutigen Methode der einzelne Gelehrte, der Geistesa-
ristokrat, das Altertum und die Alten besser begreifen 
lernt, aber der großen Volksmenge sehr selten ein 
klassischer Brocken, irgendein Stück Herodot oder 
eine Äsopische Fabel oder ein Horazischer Vers, im 
Hirntopfe zurückbleibt, wie ehemals, wo die armen 
Leute an den alten Schulbrotkrusten ihrer Jugend spä-
ter noch lange zu knuspern hatten. »So ein bißchen 
Latein ziert den ganzen Menschen«, sagte mir einst 
ein alter Schuster, dem aus der Zeit, wo er mit dem 
schwarzen Mäntelchen in das Jesuitenkollegium ging,
so mancher schöne Ciceronianische Passus aus den 
Catilinarischen Reden im Gedächtnisse geblieben, 
den er gegen heutige Demagogen so oft und so spaß-
haft glücklich zitierte. Pädagogik war die Spezialität 
der Jesuiten, und obgleich sie dieselbe im Interesse 
ihres Ordens treiben wollten, so nahm doch die Lei-
denschaft für die Pädagogik selbst, die einzige 
menschliche Leidenschaft, die ihnen blieb, manchmal 
die Oberhand, sie vergaßen ihren Zweck, die Unter-
drückung der Vernunft zugunsten des Glaubens, und 
statt die Menschen wieder zu Kindern zu machen, wie
sie beabsichtigten, haben sie im Gegenteil, gegen 
ihren Willen, durch den Unterricht die Kinder zu 
Menschen gemacht. Die größten Männer der Revolu-
tion sind aus den Jesuitenschulen hervorgegangen, 
und ohne die Disziplin dieser letztern wäre vielleicht 
die große Geisterbewegung erst ein Jahrhundert später
ausgebrochen.
Arme Väter von der Gesellschaft Jesu! Ihr seid der 
Popanz und der Sündenbock der liberalen Partei ge-
worden, man hat jedoch nur eure Gefährlichkeit, aber 
nicht eure Verdienste begriffen. Was mich betrifft, so 
konnte ich nie einstimmen in das Zetergeschrei meiner
Genossen, die bei dem Namen Loyola immer in Wut 
gerieten, wie Ochsen, denen man einen roten Lappen 
vorhält! Und dann, ohne im geringsten die Hut meiner
Parteiinteressen zu verabsäumen, mußte ich mir in der
Besonnenheit meines Gemütes zuweilen gestehen, wie
es oft von den kleinsten Zufälligkeiten abhing, daß 
wir dieser statt jener Partei zufielen und uns jetzt 
nicht in einem ganz entgegengesetzten Feldlager be-
fänden. In dieser Beziehung kommt mir oft ein Ge-
spräch in den Sinn, das ich mit meiner Mutter führte, 
vor etwa acht Jahren, wo ich die hochbetagte Frau, 
die schon damals achtzigjährig, in Hamburg besuchte.
Eine sonderbare Äußerung entschlüpfte ihr, als wir 
von den Schulen, worin ich meine Knabenzeit zu-
brachte, und von meinen katholischen Lehrern spra-
chen, worunter sich, wie ich jetzt erfuhr, manche ehe-
malige Mitglieder des Jesuitenordens befanden. Wir 
sprachen viel von unserm alten lieben Schallmeyer, 
dem in der französischen Periode die Leitung des 
Düsseldorfer Lyzeums als Rektor anvertraut war und 
der auch für die oberste Klasse Vorlesungen über Phi-
losophie hielt, worin er unumwunden die freigeistig-
sten griechischen Systeme auseinandersetzte, wie grell
diese auch gegen die orthodoxen Dogmen abstachen, 
als deren Priester er selbst zuweilen in geistlicher 
Amtstracht am Altar fungierte. Es ist gewiß bedeut-
sam, und vielleicht einst vor den Assisen im Tale Jo-
saphat kann es mir als circonstance atténuante ange-
rechnet werden, daß ich schon im Knabenalter den be-
sagten philosophischen Vorlesungen beiwohnen durf-
te. Diese bedenkliche Begünstigung genoß ich 
vorzugsweise, weil der Rektor Schallmeyer sich als 
Freund unsrer Familie ganz besonders für mich inter-
essierte; einer meiner Öhme, der mit ihm zu Bonn stu-
diert hatte, war dort sein akademischer Pylades gewe-
sen, und mein Großvater errettete ihn einst aus einer 
tödlichen Krankheit. Der alte Herr besprach sich des-
halb sehr oft mit meiner Mutter über meine Erziehung
und künftige Laufbahn, und in solcher Unterredung 
war es, wie mir meine Mutter später in Hamburg er-
zählte, daß er ihr den Rat erteilte, mich dem Dienst 
der Kirche zu widmen und nach Rom zu schicken, um
in einem dortigen Seminar katholische Theologie zu 
studieren; durch die einflußreichen Freunde, die der 
Rektor Schallmeyer unter den Prälaten höchsten Ran-
ges zu Rom besaß, versicherte er, imstande zu sein, 
mich zu einem bedeutenden Kirchenamte zu fördern. 
Als mir dieses meine Mutter erzählte, bedauerte sie 
sehr, daß sie dem Rate des geistreichen alten Herrn 
nicht Folge geleistet, der mein Naturell frühzeitig 
durchschaut hatte und wohl am richtigsten begriff, 
welches geistige und physische Klima demselben am 
angemessensten und heilsamsten gewesen sein möch-
te. Die alte Frau bereute jetzt sehr, einen so vernünfti-
gen Vorschlag abgelehnt zu haben; aber zu jener Zeit 
träumte sie für mich sehr hochfliegende weltliche 
Würden, und dann war sie eine Schülerin Rousseaus, 
eine strenge Deistin, und es war ihr auch außerdem 
nicht recht, ihren ältesten Sohn in jene Soutane zu 
stecken, welche sie von deutschen Priestern mit so 
plumpem Ungeschick tragen sah. Sie wußte nicht, wie
ganz anders ein römischer Abate dieselbe mit einem 
graziösen Schick trägt und wie kokett er das schwarz-
seidne Mäntelchen achselt, das die fromme Uniform 
der Galanterie und der Schöngeisterei ist im ewig 
schönen Rom.
Oh, welch ein glücklicher Sterblicher ist ein römi-
scher Abate, der nicht bloß der Kirche Christi, son-
dern auch dem Apoll und den Musen dient. Er selbst 
ist ihr Liebling, und die drei Göttinnen der Anmut 
halten ihm das Tintenfaß, wenn er seine Sonette ver-
fertigt, die er in der Akademie der Arkadier mit zierli-
chen Kadenzen rezitiert. Er ist ein Kunstkenner, und 
er braucht nur den Hals einer jungen Sängerin zu be-
tasten, um voraussagen zu können, ob sie einst eine 
celeberrima cantatrice, eine Diva, eine Weltprimadon-
na, sein wird. Er versteht sich auf Antiquitäten, und 
über den ausgegrabenen Torso einer griechischen 
Bacchantin schreibt er eine Abhandlung im schönsten
ciceronianischen Latein, die er dem Oberhaupte der 
Christenheit, dem Pontifex maximus, wie er ihn 
nennt, ehrfurchtsvoll widmet. Und gar welcher Ge-
mäldekenner ist der Signor Abate, der die Maler in 
ihren Ateliers besucht und ihnen über ihre weiblichen 
Modelle die feinsten anatomischen Beobachtungen 
mitteilt. Der Schreiber dieser Blätter hätte ganz das 
Zeug dazu gehabt, ein solcher Abate zu werden und 
im süßesten Dolcefarniente dahinzuschlendern durch 
die Bibliotheken, Galerien, Kirchen und Ruinen der 
Ewigen Stadt, studierend im Genusse und genießend 
im Studium, und ich hätte Messe gelesen vor den aus-
erlesensten Zuhörern, ich wäre auch in der heiligen 
Woche als strenger Sittenprediger auf die Kanzel ge-
treten, freilich auch hier niemals in asketische Roheit 
ausartend - ich hätte am meisten die römischen 
Damen erbaut und wäre vielleicht durch solche Gunst 
und Verdienste in der Hierarchie der Kirche zu den 
höchsten Würden gelangt, ich wäre vielleicht ein 
Monsignore geworden, ein Violettstrumpf, sogar der 
rote Hut konnte mir auf den Kopf fallen - und wie 
das Sprüchlein heißt:

Es ist kein Pfäfflein noch so klein,
Es möchte gern ein Päpstlein sein -,

so hätte ich am Ende vielleicht gar jenen erhabensten 
Ehrenposten erklommen - denn obgleich ich von 
Natur nicht ehrgeizig bin, so würde ich dennoch die 
Ernennung zum Papste nicht ausgeschlagen haben, 
wenn die Wahl des Konklaves auf mich gefallen 
wäre. Es ist dieses jedenfalls ein sehr anständiges und
auch mit gutem Einkommen versehenes Amt, das ich 
gewiß mit hinlänglichem Geschick versehen konnte. 
Ich hätte mich ruhig niedergesetzt auf den Stuhl Petri,
allen frommen Christen, sowohl Priestern als Laien, 
das Bein hinstreckend zum Fußkuß. Ich hätte mich 
ebenfalls mit gehöriger Seelenruhe durch die Pfeiler-
gänge der großen Basilika in Triumph herumtragen 
lassen, und nur im wackelndsten Falle würde ich mich
ein bißchen festgeklammert haben an der Armlehne 
des goldnen Sessels, den sechs stämmige karmoisin-
rote Camerieren auf ihren Schultern tragen, während 
nebenher glatzköpfige Kapuziner mit brennenden 
Kerzen und galonierte Lakaien wandeln, welche unge-
heuer große Pfauenwedel emporhalten und das Haupt 
des Kirchenfürsten befächeln - wie gar lieblich zu 
schauen ist auf dem Prozessionsgemälde des Horaz 
Vernet. Mit einem gleichen unerschütterlichen sazer-
dotalen Ernste - denn ich kann sehr ernst sein, wenn 
es durchaus nötig ist - hätte ich auch vom Lateran 
herab der ganzen Christenheit den jährlichen Segen 
erteilt; in pontificalibus, mit der dreifachen Krone auf 
dem Kopfe und umgeben von einem Generalstab von 
Rothüten und Bischofsmützen, Goldbrokatgewändern
und Kutten von allen Couleuren, hätte sich Meine 
Heiligkeit auf dem hohen Balkon dem Volke gezeigt, 
das tief unten, in unabsehbar wimmelnder Menge, mit
gebeugten Köpfen und kniend hingelagert - und ich 
hätte ruhig die Hände ausgestreckt und den Segen 
erteilt, der Stadt und der Welt.
Aber, wie du wohl weißt, geneigter Leser, ich bin 
kein Papst geworden, auch kein Kardinal, nicht mal 
ein römischer Nuntius, und wie in der weltlichen, so 
auch in der geistlichen Hierarchie habe ich weder Amt
noch Würden errungen. Ich habe es, wie die Leute 
sagen, auf dieser schönen Erde zu nichts gebracht. Es 
ist nichts aus mir geworden, nichts als ein Dichter.
Nein, ich will keiner heuchlerischen Demut mich 
hingebend diesen Namen geringschätzen. Man ist 
viel, wenn man ein Dichter ist, und gar wenn man ein 
großer lyrischer Dichter ist in Deutschland, unter dem
Volke, das in zwei Dingen, in der Philosophie und im
Liede, alle andern Nationen überflügelt hat. Ich will 
nicht mit der falschen Bescheidenheit, welche die 
Lumpen erfunden, meinen Dichterruhm verleugnen. 
Keiner meiner Landsleute hat in so frühem Alter wie 
ich den Lorbeer errungen, und wenn mein Kollege 
Wolfgang Goethe wohlgefällig davon singt, »daß der 
Chinese mit zitternder Hand Werthern und Lotten auf 
Glas male«, so kann ich, soll doch einmal geprahlt 
werden, dem chinesischen Ruhm einen noch weit fa-
belhaftern, nämlich einen japanischen, entgegenset-
zen. Als ich mich vor etwa zwölf Jahren hier im Hôtel
des Princes bei meinem Freunde H. Wöhrmann aus 
Riga befand, stellte mir derselbe einen Holländer vor, 
der eben aus Japan gekommen, dreißig Jahre dort in 
Nangasaki zugebracht und begierig wünschte, meine 
Bekanntschaft zu machen. Es war der Dr. Bürger, der 
jetzt in Leiden mit dem gelehrten Seybold das große 
Werk über Japan herausgibt. Der Holländer erzählte 
mir, daß er einen jungen Japanesen Deutsch gelehrt, 
der später meine Gedichte in japanischer Übersetzung
drucken ließ, und dieses sei das erste europäische 
Buch gewesen, das in japanischer Sprache erschie-
nen - übrigens fände ich über diese kuriose Übertra-
gung einen weitläufigen Artikel in der englischen 
»Review« von Kalkutta. Ich schickte sogleich nach 
mehreren cabinets de lecture, doch keine ihrer gelehr-
ten Vorsteherinnen konnte mir die »Review« von Kal-
kutta verschaffen, und auch an Julien und Paulthier 
wandte ich mich vergebens -
Seitdem habe ich über meinen japanischen Ruhm 
keine weitern Nachforschungen angestellt. In diesem 
Augenblick ist er mir ebenso gleichgültig wie etwa 
mein finnländischer Ruhm. Ach! der Ruhm über-
haupt, dieser sonst so süße Tand, süß wie Ananas und
Schmeichelei, er ward mir seit geraumer Zeit sehr ver-
leidet; er dünkt mich jetzt bitter wie Wermut. Ich 
kann wie Romeo sagen: »Ich bin der Narr des 
Glücks.« Ich stehe jetzt vor dem großen Breinapf, 
aber es fehlt mir der Löffel. Was nützt es mir, daß bei
Festmahlen aus goldnen Pokalen und mit den besten 
Weinen meine Gesundheit getrunken wird, wenn ich 
selbst unterdessen, abgesondert von aller Weltlust, 
nur mit einer schalen Tisane meine Lippen netzen 
darf! Was nützt es mir, daß begeisterte Jünglinge und 
Jungfrauen meine marmorne Büste mit Lorbeeren um-
kränzen, wenn derweilen meinem wirklichen Kopfe 
von den welken Händen einer alten Wärterin eine spa-
nische Fliege hinter die Ohren gedrückt wird! Was 
nützt es mir, daß alle Rosen von Schiras so zärtlich 
für mich glühen und duften - ach, Schiras ist zweitau-
send Meilen entfernt von der Rue d'Amsterdam, wo 
ich in der verdrießlichen Einsamkeit meiner Kranken-
stube nichts zu riechen bekomme als etwa die Par-
füms von gewärmten Servietten. Ach; der Spott Got-
tes lastet schwer auf mir. Der große Autor des Welt-
alls, der Aristophanes des Himmels, wollte dem klei-
nen irdischen, sogenannten deutschen Aristophanes 
recht grell dartun, wie die witzigsten Sarkasmen des-
selben nur armselige Spöttereien gewesen im Ver-
gleich mit den seinigen und wie kläglich ich ihm 
nachstehen muß im Humor, in der kolossalen Spaß-
macherei.
Ja, die Lauge der Verhöhnung, die der Meister über
mich herabgeußt, ist entsetzlich, und schauerlich 
grausam ist sein Spaß. Demütig bekenne ich seine 
Überlegenheit, und ich beuge mich vor ihm im Stau-
be. Aber wenn es mir auch an solcher höchsten 
Schöpfungskraft fehlt, so blitzt doch in meinem 
Geiste die ewige Vernunft, und ich darf sogar den 
Spaß Gottes vor ihr Forum ziehen und einer ehr-
furchtsvollen Kritik unterwerfen. Und da wage ich 
nun zunächst die untertänigste Andeutung auszuspre-
chen, es wolle mich bedünken, als zöge sich jener 
grausame Spaß, womit der Meister den armen Schüler
heimsucht, etwas zu sehr in die Länge; er dauert 
schort über sechs Jahre, was nachgerade langweilig 
wird. Dann möchte ich ebenfalls mir die unmaßgebli-
che Bemerkung erlauben, daß jener Spaß nicht neu ist
und daß ihn der große Aristophanes des Himmels 
schon bei einer andern Gelegenheit angebracht und 
also ein Plagiat an hoch sich selber begangen habe. 
Um diese Behauptung zu unterstützen, will ich eine 
Stelle der »Limburger Chronik« zitieren. Diese Chro-
nik ist sehr interessant für diejenigen, welche sich 
über Sitten und Bräuche des deutschen Mittelalters 
unterrichten wollen. Sie beschreibt, wie ein Mode-
journal, die Kleidertrachten, sowohl die männlichen 
als die weiblichen, welche in jeder Periode aufkamen. 
Sie gibt auch Nachricht von den Liedern, die in jedem
Jahre gepfiffen und gesungen wurden, und von man-
chem Lieblingsliede der Zeit werden die Anfänge mit-
geteilt. So vermeldet sie von Anno 1480, daß man in 
diesem Jahre in ganz Deutschland Lieder gepfiffen 
und gesungen, die süßer und lieblicher als alle Wei-
sen, so man zuvor in deutschen Landen kannte, und 
jung und alt, zumal das Frauenzimmer, sei ganz 
davon vernarrt gewesen, so daß man sie von Morgen 
bis Abend singen hörte; diese Lieder aber, setzt die 
Chronik hinzu, habe ein junger Klerikus gedichtet, 
der von der Misselsucht behaftet war und sich, vor 
aller Welt verborgen, in einer Einöde aufhielt. Du 
weißt gewiß, lieber Leser, was für ein schauderhaftes 
Gebreste im Mittelalter die Misselsucht war und wie 
die armen Leute, die solchem unheilbaren Siechtum 
verfallen, aus jeder bürgerlichen Gesellschaft ausge-
stoßen waren und sich keinem menschlichen Wesen 
nahen durften. Lebendig Tote wandelten sie einher, 
vermummt vom Haupt bis zu den Füßen, die Kapuze 
über das Gesicht gezogen und in der Hand eine Klap-
per tragend, die sogenannte Lazarusklapper, womit 
sie ihre Nähe ankündigten, damit ihnen jeder zeitig 
aus dem Wege gehen konnte. Der arme Klerikus, von 
dessen Ruhm als Liederdichter die obgenannte »Lim-
burger Chronik« gesprochen, war nun ein solcher 
Misselsüchtiger, und er saß traurig in der Öde seines 
Elends, während jauchzend und jubelnd ganz 
Deutschland seine Lieder sang und pfiff! Oh, dieser 
Ruhm war die uns wohlbekannte Verhöhnung, der 
grausame Spaß Gottes, der auch hier derselbe ist, ob-
gleich er diesmal im romantischern Kostüme des Mit-
telalters erscheint. Der blasierte König von Judäa 
sagte mit Recht: »Es gibt nichts Neues unter der 
Sonne« - Vielleicht ist diese Sonne selbst ein alter 
aufgewärmter Spaß, der, mit neuen Strahlen geflickt, 
jetzt so imposant funkelt!
Manchmal in meinen trüben Nachtgesichten glaube
ich den armen Klerikus der »Limburger Chronik«, 
meinen Bruder in Apoll, vor mir zu sehen, und seine 
leidenden Augen lugen sonderbar stier hervor aus sei-
ner Kapuze; aber im selben Augenblick huscht er von 
dannen, und verhallend, wie das Echo eines Traumes, 
hör ich die knarrenden Töne der Lazarusklapper.
 

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