Geständnisse - Vorwort

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Geschrieben im Winter 1854
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Die nachfolgenden Blätter schrieb ich, um sie einer
neuen Ausgabe meines Buches »De l'Allemagne« ein-
zuverleiben. Voraussetzend, daß ihr Inhalt auch die 
Aufmerksamkeit des heimischen Publikums in An-
spruch nehmen dürfte, veröffentliche ich diese Ge-
ständnisse ebenfalls in deutscher Sprache, und zwar 
noch vor dem Erscheinen der französischen Version. 
Zu dieser Vorsicht zwingt mich die Fingerfertigkeit 
sogenannter Übersetzer, die, obgleich ich jüngst in 
deutschen Blättern die Originalausgabe eines Opus 
ankündigte, dennoch sich nicht entblödeten, aus einer 
Pariser Zeitschrift den bereits in französischer Spra-
che erschienenen Anfang meines Werks aufzuschnap-
pen und als besondere Broschüre verdeutscht heraus-
zugeben1, solchermaßen nicht bloß die literarische 
Reputation, sondern auch die Eigentumsinteressen des
Autors beeinträchtigend. Dergleichen Schnapphähne 
sind weit verächtlicher als der Straßenräuber, der sich 
mutig der Gefahr des Gehenktwerdens aussetzt, wäh-
rend jene, mit feigster Sicherheit die Lücken unsrer 
Preßgesetzgebung ausbeutend, ganz straflos den 
armen Schriftsteller um seinen ebenso mühsamen wie 
kümmerlichen Erwerb bestehlen können. Ich will den 
besondern Fall, von welchem ich rede, hier nicht 
weitläufig erörtern; überrascht, ich gestehe es, hat die 
Büberei mich nicht. Ich habe mancherlei bittere Er-
fahrungen gemacht, und der alte Glaube oder Aber-
glaube an deutsche Ehrlichkeit ist bei mir sehr in die 
Krümpe gegangen. Ich kann es nicht verhehlen, daß 
ich, zumal während meines Aufenthalts in Frankreich,
sehr oft das Opfer jenes Aberglaubens ward. Sonder-
bar genug, unter den Gaunern, die ich leider zu mei-
nem Schaden kennenlernte, befand sich nur ein einzi-
ger Franzose, und dieser Gauner war gebürtig aus 
einem jener deutschen Gauen, die, einst dem deut-
schen Reich entrissen, jetzt von unsern Patrioten zu-
rückverlangt werden. Sollte ich, in der ethnographi-
schen Weise des Leporello, eine illustrierte Liste von 
den respektiven Spitzbuben anfertigen, die mir die 
Tasche geleert, so würden freilich alle zivilisierten 
Länder darin zahlreich genug repräsentiert werden, 
aber die Palme bliebe doch dem Vaterlande, welches 
das Unglaublichste geleistet, und ich könnte davon 
ein Lied singen mit dem Refrain:

Aber in Deutschland tausend und drei!

Charakteristisch ist es, daß unsern deutschen 
Schelmen immer eine gewisse Sentimentalität an-
klebt. Sie sind keine kalten Verstandesspitzbuben, 
sondern Schufte von Gefühl. Sie haben Gemüt, sie 
nehmen den wärmsten Anteil an dem Schicksal derer, 
die sie bestohlen, und man kann sie nicht loswerden. 
Sogar unsre vornehmen Industrieritter sind nicht 
bloße Egoisten, die nur für sich stehlen, sondern sie 
wollen den schnöden Mammon erwerben, um Gutes 
zu tun; in den Freistunden, wo sie nicht von ihren Be-
rufsgeschäften, z.B. von der Direktion einer Gasbe-
leuchtung der böhmischen Wälder, in Anspruch ge-
nommen werden, beschützen sie Pianisten und Jour-
nalisten, und unter der buntgestickten, in allen Farben
der Iris schillernden Weste trägt mancher auch ein 
Herz, und in dem Herzen den nagenden Bandwurm 
des Weltschmerzes. Der Industrielle, der mein obener-
wähntes Opus in sogenannter Übersetzung als Bro-
schüre herausgegeben, begleitete dieselbe mit einer 
Notiz über meine Person, worin er wehmütig meinen 
traurigen Gesundheitszustand bejammert und durch 
eine Zusammenstellung von allerlei Zeitungsartikeln 
über mein jetziges klägliches Aussehen die rührend-
sten Nachrichten mitteilt, so daß ich hier von Kopf 
bis zu Fuß beschrieben bin und ein witziger Freund 
bei dieser Lektüre lachend ausrufen konnte: »Wir 
leben wirklich in einer verkehrten Welt, und es ist 
jetzt der Dieb, welcher den Steckbrief des ehrlichen 
Mannes, den er bestohlen hat, zur öffentlichen Kunde 
bringt.« -

Geschrieben zu Paris, im März 1854
 

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