Heinrich Heine

Deutschland. Ein Wintermärchen
oder
Wie es dazu kam

Ein Kommentar von Marcus Meier

Wen interessiert das Wintermärchen?

Zehntausende von Menschen haben täglich mit Heinrich Heine zu tun - wenn sie in die U- Bahn steigen, Tausende befinden sich täglich auf dem Campus der Heinrich-Heine- Universität, Hunderte sitzen pro Woche im Schnablewobski, auf dessen Grund sich das Geburtshaus Heines befand, und schlürfen ihren Tee. Aber für wieviele von diesen ist der Dichter und Denker Heine relevant, wenn sie sich nicht gerade fachspezifisch damit beschäftigen (sollen). Schön, Sie haben diese Datei angewählt, vielleicht brauchen Sie die Daten für eine Hausarbeit oder ein Referat, das ihnen einen Schein bringt, vielleicht gehören Sie auch zu den Idealisten, die dank ihrer Jugend noch revolutionäre Ideen in sich tragen, oder zu den Romantikern, denen die Gedichte gefallen, wie das von der Loreley. Schauen Sie also, ob ihnen das gefällt, was folgt.

Jede Menge Geschichte!

Das Schlimm-Schöne an der Germanistik ist, daß es eigentlich ein Teilgebiet der Geschichte ist, oder wie sagte ein Dozent: „Der Schriftsteller muß erst dreißig Jahre tot sein, damit man sich mit ihm beschäftigen darf.“
Diese Grundvorraussetzung erfüllt Heinrich Heine problemlos, wurde er doch im Jahre 1797 in der Bolkerstraße, heute Nummer 53, zu Düsseldorf geboren. Besagte Stadt war zu diesem Zeitpunkt noch ein beschauliches Nest und nicht die hektische Selbstdarstellermetropole, wie wir sie kennen. Seine Kindheit war anscheinend glücklich, trotz Latein, trotz Außenseiterstatus.
Politisch hatte sich einiges getan um die Jahrhundertwende, oder soll es heißen: Es hatte sich einiges beim Nachbarn getan? In Frankreich waren die Köpfe gerollt, die Monarchien österreichs und Preußens grollten, sie wollten wieder ganze Adelige auf dem Thron, dann wars wieder friedlicher, dann kam Napoleon (1804-1814 Kaiser), der große Franzose, dessen Vorfahren auch mal Italiener gewesen waren, Korsika wechselte zuweilen den Besitzer. Am 3. November 1811 ritt er durch Düsseldorf und brachte gleich den Code Napoleon mit, einen ziemlichen dicken Wälzer, in dem drin stand, wie Europa auszusehen hatte. Heine und sein Kumpel Börne freuten sich natürlich, konnten sie doch unter dem Protektorat des Rheinbundes studieren, auch wenn aus Karrieregründen für Heine nach der kaufmännischen Ausbildung Jura angesagt war. Lieber ging er aber in andere Vorlesungen oder schrieb Gedichte. Ehe er ein richtiger Nichtsnutz werden konnte, übergab ihm der Onkel ein Geschäft, das aber etwas später pleite ging, weil es in den Bankrott von Heinrichs Vater hineingezogen wurde. Vielleicht hat die Stadt Düsseldorf nicht nur ein so großes Interesse an der Person Heines wegen seiner Person als Künstler, sondern auch wegen seiner geschäftlichen Tätigkeit.
Wieder zurück zur großen Geschichte: Es ging rückwärts, die Historiker nennen es Restauration, und damit ist kein Verpflegungsbetrieb gemeint. 1819 wurden die Karlsbader Beschlüsse beschlossen, u. a. mußten alle Schriften unter zwanzig Bögen Papier kontrolliert werden. Dies traf noch 1844 Heine, als er das „Wintermärchen“ bei seinem Verleger Campe herausgeben wollte. Die Zensur zu umgehen, gab es verschiedene Methoden: Börne-Baruch, der Ex-Polizeiaktuar, schrieb lustige Titel, die irgendwie nie zum politischen Inhalt paßten ( z. B. „Monographie der Deutschen Postschnecke. Beitrag zur Naturgeschichte der Mollusken und Testaceen.“), Heine machte auf unübersehbar symbolisch und Karl Gutzkow nannte dies in einem Brief an Büchner „Schmuggelhandel der Freiheit“.
1831 geht und fährt Heine nach Paris, weil ihm schlimmstenfalls die preußischen Kerker zu kalt gewesen wären.

über seine Ankunft in Paris, am 19.05.1831
„In zwanzig Minuten war ich in Paris, und zog ein durch die Triumphpforte des Boulevard Saint-Denis, die ursprünglich zu Ehren Ludwigs des 14. errichtet worden war, jetzt aber zur Verherrlichung meines Einzugs in Paris diente. Wahrhaft überraschte mich die Menge von geputzten Leuten, die sehr geschmackvoll gekleidet waren, wie Bilder eines Modejournals. Dann imponierte mir, daß sie alle französisch sprachen, was bei uns ein Kennzeichen der vornehmen Welt, hier ist also das Volk so vornehm, wie bei uns der Adel. Die Männer waren so höflich, und die schönen Frauen so lächelnd. Gab mir jemand ein unversehnes einen Stoß, ohne gleich um Verzeihung zu bitten, so konnte ich darauf wetten, daß es ein Landsmann war; und wenn irgendeine Schöne etwas allzu säuerlich aussah, so hatte sie entweder Sauerkraut gegessen oder konnte Klopstock im Original lesen.“

1832 versammeln sich 30 000 Menschen, Bürger, Studenten und Börne, zum Hammbacher Fest, schwenkten unsere jetzige Fahne und proklamieren Freiheit. Die Jugend, im (Alters-)Vergleich zu Heine und Börne, ist auch aktiv gewesen, darunter sind zwei Namen zu nennen, die man schnell überließt, und beim Abschalten des Monitors wieder vergessen hat:

Karl Gutzkow (1811-1878), der Verfasser des Romans „Wally, die Zweiflerin“, den er 1835 geschrieben hat, Thema ist die religiöse und sexuelle Emanzipation der modernen Frau (!)

Ludolf Wienbarg (1802-1872), der seine „ästhetischen Feldzüge“ dem „Jungen Deutschland“ gewidmet hat

Diese Bewegung, die aus mehreren jungen Männern bestand, die mal in den Urlaub nach Italien fuhren, öfter aber viel schrieben, Gutzkow übrigens sehr viel, wurde dem preußischen Staat so gefährlich, daß er sogar einen V-Mann bei den Jungdeutschen einschleuste, Gustav Schleier.
Der einflußreiche Redakteur Menzel hetzte dazu noch in einer Pressekampangne gegen seinen ehemaligen Schützling Gutzkow, tritt schließlich noch bei einem politischen Prozeß betreffend des „Jungen Deutschlands“ gegen ihn auf, obwohl er selbst als Jungdeutscher bezeichnet wurde und ein Freund Heines war. Heine und Börne bemühen sich nicht selbst zum Prozeß, schickten Erklärungen und blieben im sicheren Paris. Folge war das Verbot vom 10.12.1835!
Der Tropfen, das Faß überlaufen ließ, war besagter Roman „Wally, die Zweiflerin“. Zweifeln ist im übrigen ein beliebtes Hobby deutscher Schriftsteller, und wer in die Weltliteratur eingehen will, muß mindestens in drei Büchern gezweifelt haben! Und Heine zweifelt oft in Paris über seine Heimaten Deutschland und Frankreisch. Aber es entstand auch erbauliches für die Leser beider Länder. Er integrierte sich schnell in den französischen Kulturbetrieb, sprach bald fließendes, wenn auch nicht ganz fehlerfreies Französisch, und wurde eine namenhafte Persönlichkeit für die Franzosen. Bevor ich jetzt schreibe, daß 1842 das Verbot der jungdeutschen Geistesprodukte aussetzte und Heine 1843/44 nach Deutschland zurückreiste, sollte ich noch schärfer umreißen, wer und was denn nun eigentlich die Jungdeutschen waren:

Die Jungdeutschen
-kamen aus bürgerlichen Verhältnissen
- stießen sich an den politischen, wie auch religiösen Zuständen, hatten das Ideal der nationalen Einheit und der Freiheit und nicht zuletzt der Demokratie
- hatten von Jahr zu Jahr mehr Schwierigkeiten, Texte zu veröffentlichen, für Zeitschriften brauchte man eine Konzession, und Gutzkow und die anderen galten als kritisch und subversiv (!)
- hatten Veleger, die ebenfalls Veboten unterworfen waren (Löwenthal, Campe)
- litten z. T. am Ende ihres Lebens an Verfolgungswahn, Wienbarg starb sogar in der Psychiatrie
- sprachen sich gegen Zensur und Pressegesetze aus
- waren alle auf der Uni, haben alle promoviert, zwei sogar habilitiert
- waren gegen Korruption, gegen reaktionäre Ambitionen
- lehnten Machtmißbrauch ab
- waren alle mal in Haft (bis auf Heine)

Nächstes Thema: Der Orginaltext
Aber lassen wir doch Heine selbst was dazu sagen (macht weniger Arbeit):

„Es ist ein gereimtes Gedicht, welches, vier Strophen die Seite berechnet, über zehn Druckbogen betragen mag und die ganze Gährung unserer deutschen Gegenwart, in der kekesten, persönlichsten Weise ausspricht. Es ist politromantisch und wird der prosaisch bombastischen Tendenzpoesie hoffentlich den Todesstoß geben. Sie wissen, ich prahle nicht, aber ich bin diesmal sicher daß ich eon Werkchen gegeben habe, das mehr furore machen wird als die populärste Broschüre und dennoch den bleibenden Werth einer klassischen Dichtung haben wird.
(An Campe, Paris, 17. April, 1844)

Ganz problemlos war die Veröffentlichung allerdings nicht. Zwar war das Veröffetlichungsverbot zurückgenommen worden, die Zensur jedoch blieb. Wer das Manuskript von „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (oder auch nur das Faksimile im empfehlenswerten Heine-Institut, Bilker Straße, Düsseldorf) sieht, und die schriftlich darin enthaltenen änderungen und Streichungen, der oder die wird feststellen, daß es sich um ein gutes Drittel handelt, das im Mai 1844 zensurgerecht geändert wurde. Was noch zu erwähnen wäre, sind die Motivationen der Bücherverbote in den einzelnen Staaten in den Jahren 1844/45, ebenfalls dem Heine-Institut entnommen:

 

konfessionell politisch sittlich
Österreich 68 55 10
Preußen 22 73 -

Was dem Problem der Herausgabe vorausging, war das Schreiben und das Reisen.
Heinrich Heine, eigentlich Heinrich Christian Johann Heine, vormals Harry genannt, und in Paris Henri (!), war Lyriker, Erzähler, Essayist, Journalist, Dramatiker, Kaufmann und irgendwo auch Tourist. Das läßt sich kaum verkennen, wenn amn sich den Katalog der Orte anschaut, in denen er schon mal war: London, Amsterdam, Hamburg, Berlin, Weimar, Frankfurt, Paris, München, Marsailles, Genua, Helgoland, usw.
Und wie er so herumreiste, griff er auch zur Feder, um seine Gedanken privater und gesellschaftlicher Art zu Papier zu bringen. Andererseits muß man vorsichtig sein, Realität mit Fiktion gleichzusetzen, den Literatur, und das ist vielleicht ihr besonderer Reiz, formt um, erfindet dazu, definiert neu. So tritt bei Heine de Rahmen, die Reise, gegenüber dem kritischen Inhalt zurück.
Fangen wir in dieser Hinsicht bei der Reiseroute von Heine an. Die war, soweit sich das noch feststellen läßt, folgende:

Aachen, Köln, Mülheim, Hagen, Unna, Münster, Bremen, Harburg, Hamburg, Celle, Hannover Bückeburg, Minden, Hagen, Mülheim, Köln, Aachen, und zurück nach Paris.

Im Büchlein nimmt er diese:
Aachen, Köln, Mülheim, Hagen, Minden, Bückeberg, Hannover, Celle, Hamburg.

Die Zeit in der wir uns befinden das Jahr 1844, wird dem Vormärz zugerechnet, wie eigentlich alles Vörmarz ist, was zwischen Restauration und vor der bürgerlichen Beinahe- Revolution von 1848 liegt.
Das „Wintermärchen“ richtet sich gegen die eingefrohrenen Zustände in Deutschland, das sich von den Umstürzen und Regierungswechseln in Frankreich weitgehend unbeeindruckt zeigt. Es ist in der Form eines Versepos verfaßt und hat 27 Kapitel, ist „Haßtirade und Vaterlandslob“ in einem und richtet sich vornehmlich gegen religiöse Anschauungen, den Adel, die geistige Einengung.

Caput I

An der Grenze wird Heine von einem himmlischen Harfenmädchen empfangen:

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

In den darauffolgenden Strophen befinden sich vieldiskutierte Zeilen, die von den Kommunisten gern in Anspruch genommen wurden. Jedoch muß betont werden, daß Heine im Vorwort sagt:

„Pflanzt die schwarz-rot-goldene Farbe auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebenso sehr wie ihr!“

Heine traf auf den gerade mal 24jährigen Karl Marx, dessen berühmtes Zitat („Religion ist Opium fürs Volk“) möglicherweise durch Heine gefärbt wurde. Belegt ist, daß sich Heine für die Ideen des Claude Henri Comte de Saint-Simon interessierte:

Aus Caput I

Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben

Es wächst hienieden Brot genug,
Für alle Menschenkinder,
auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Im ersten Kapitel wird das bei Heine wichtige Bild des Baumes, insbesondere des deutsches Baumes, der Eiche aufgeführt, das immer wieder, in verschiedenen Texten eine Rolle spielt:

Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen.

Dazwischen wirft Heine immer wieder Inhalte ein, die legendären oder mytischen Gehalt haben:

Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte-
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

Dieses eigentümliche Spiel mit politischen, kulturellen, religiösen, sozialen und persönlichen Inhalten, verbunden durch einen eigenen, feinen, perfektionierten, ästhetichen Schreibstil macht dieses vielleicht am häufigsten gelesene Versepos Heines interessant. ümliche Spiel mit politischen, kulturellen, religiösen, sozialen und persönlichen Inhalten, verbunden durch einen eigenen, feinen, perfektionierten, ästhetichen Schreibstil macht dieses vielleicht am häufigsten gelesene Versepos Heines interessant.