Gespiegelt mit freundlicher
Genehmigung von Herrn Prof. Eberhard Fromm.
Das Original befindet sich auf http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt97/9712deua.htm
»Zu fragmentarisch ist Welt und Leben! Ich will mich zum deutschen Professor begeben. Der weiß das Leben zusammen zusetzen, Und er macht ein verständlich System daraus. Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen Stopft er die Lücken des Weltenbaus.« Gibt es zu Heinrich Heine etwas Noch-Nicht-Gesagtes? Über den Dichter von unwiderstehlicher Liebeslyrik und beißendem Spott, über den »Reiseschriftsteller« und den politischen Journalisten, über den Mann des Vormärz, den »Sturmvogel der Revolution«, den verbotenen Sänger und viele andere Themen existiert eine breite Literatur. »Gelebter Widerspruch« nennt Jochanan Trilse-Finkelstein seine jüngste Heine-Biographie, die gerade rechtzeitig zum 200. Geburtstag des Dichters erschienen ist, und widmet sich damit unter einem überzeugenden Gesichtspunkt dem Leben und Werk Heinrich Heines. In unserem Beitrag soll es vor allem um den Denker Heine gehen, um den Intellektuellen Heinrich Heine, der für viele seiner Nachfahren ein Vorbild, eine Herausforderung, eine Provokation darstellt. Und dafür würde es eigentlich genügen, Heinrich Heine wieder mehr zu lesen. Enfant perdu »Verlorner Posten in dem Freiheitskriege, Heines bewegtes Leben führte den umtriebigen
Mann über viele Stationen, die zwischen Geburts- und Sterbeort liegen,
brachte ihm Freunde und Feinde ein, machte ihn berühmt – und krank. Am
13. Dezember 1797 in Düsseldorf in einer jüdischen Kaufmannsfamilie
geboren, kam er nach Lehrjahren in Frankfurt und Hamburg 1819 an die Bonner
Universität. Von hier wechselte er an die Universität in Göttingen, um
dann 1821 an die Berliner Universität zu gehen. Er beendete sein
Jura-Studium in Göttingen, promovierte 1825 und trat im selben Jahr zum
evangelischen Glauben über. In den darauf folgenden Jahren war Heine viel
auf Reisen – Deutschland, England, Italien –, bevor er 1831 nach Paris
übersiedelte. Zwar sollte das auch nur ein längerer Besuch werden, doch
durch die Verbote und Verfolgungen, denen er in verschiedenen deutschen
Staaten, vor allem auch in Preußen, ausgesetzt war, wurde daraus ein
lebenslanges Exil. Nur zweimal noch unternahm er kurze Reisen nach
Deutschland – ansonsten lebte er bis zu seinem Tode am 17. Februar 1856 in
Frankreich, vorwiegend in Paris. Dem Jahrhundert auf der Spur »Ein Posten ist vakant! – Die Wunden
klaffen – Für Heinrich Heine bedeutete Leben im
wahrsten Sinne des Wortes, Kämpfe zu bestehen für seine Ideen und Ideale,
gegen die Feinde seiner Visionen und Hoffnungen. In all seinen Arbeiten, den
Dichtungen wie den Prosatexten, den ästhetischen wie den politischen
Beiträgen ist die Absicht zu spüren, sich an den Auseinandersetzungen
seiner Zeit zu beteiligen, Position zu beziehen, den Zeitgeist zu erfassen
und ihn im Sinne der eigenen Ziele zu beeinflussen. »Jede Zeit hat ihre
Aufgabe und durch die Lösung derselben rückt die Menschheit weiter«,
schrieb er schon 1828 in der »Reise von München
nach Genua«, um die Aufgabe seiner Zeit unmißverständlich als
»die Emanzipation der ganzen Welt ... von dem eisernen Gängelbande der
Bevorrechteten« zu bestimmen. Denkanstöße: "Was die Deutschen betrifft, so
bedürfen sie weder der Freiheit noch der Gleichheit. Sie sind ein
spekulatives Volk, Ideologen, Vor- und Nachdenker, Träumer, die nur in der
Vergangenheit und in der Zukunft leben und keine Gegenwart haben. Engländer
und Franzosen haben eine Gegenwart, bei ihnen hat jeder Tag seinen Kampf und
Gegenkampf und seine Geschichte. Der Deutsche hat nichts, wofür er kämpfen
sollte, und da er zu mutmaßen begann, daß es doch Dinge geben könne,
deren Besitz wünschenswert wäre, so haben wohlweise seine Philosophen ihn
gelehrt, an der Existenz solcher Dinge zu zweifeln. Es läßt sich nicht
leugnen, daß auch die Deutschen die Freiheit lieben, aber anders wie andere
Völker. Der Engländer liebt die Freiheit wie sein rechtmäßiges Weib, er
besitzt sie, und wenn er sie auch nicht mit absonderlicher Zärtlichkeit
behandelt, so weiß er sie doch im Notfall wie ein Mann zu verteidigen ...
Der Franzose liebt die Freiheit wie seine Braut. Er glüht für sie, er
flammt, er wirft sich zu ihren Füßen mit den überspanntesten
Beteuerungen, er schlägt sich für sie auf Tod und Leben, er begeht für
sie tausenderlei Torheiten. Der Deutsche liebt die Freiheit wie seine alte
Großmutter." "Die kühlen und klugen Philosophen! Wie
mitleidig lächeln sie herab auf die Selbstquälereien und Wahnsinnigen
eines armen Don Quichotte, und in all ihrer Schulweisheit merken sie nicht,
daß jene Donquichotterie dennoch das Preisenswerteste des Lebens, ja das
Leben selbst ist und daß diese Donquichotterie die ganze Welt mit allem,
was darauf philosophiert, musiziert, ackert und gähnt, zu kühnerem Schwung
beflügelt! Denn die große Volksmasse, mitsamt den Philosophen, ist, ohne
es zu wissen, nichts anders als ein kolossaler Sancho Pansa, der trotz all
seiner nüchternen Prügelscheu und hausbacknen Verständigkeit dem
wahnsinnigen Ritter in allen seinen gefährlichen Abenteuern folgt, gelockt
von der versprochenen Belohnung, an die er glaubt, weil er sie wünscht,
mehr aber noch getrieben von der mystischen Gewalt, die der Enthusiasmus
immer ausübt auf den großen Haufen – wie wir es in allen politischen und
religiösen Revolutionen und vielleicht täglich im kleinsten Ereignisse
sehen können." "Die sogenannte Objektivität, wovon
heut soviel die Rede, ist nichts als eine trockene Lüge; es ist nicht
möglich, die Vergangenheit zu schildern, ohne ihr die Färbung unserer
eignen Gefühle zu verleihen. Ja, da der sogenannte objektive
Geschichtsschreiber doch immer sein Wort an die Gegenwart richtet, so
schreibt er unwillkürlich im Geiste seiner eigenen Zeit, und dieser
Zeitgeist wird in seinen Schriften sichtbar sein, wie sich in Briefen nicht
bloß der Charakter des Schreibers, sondern auch des Empfängers offenbart.
Jene sogenannte Objektivität, die, mit ihrer Leblosigkeit sich brüstend,
auf der Schädelstätte der Tatsachen thront, ist schon deshalb als unwahr
verwerflich, weil zur geschichtlichen Wahrheit nicht bloß die genauen
Angaben des Faktums, sondern auch gewisse Mitteilungen über den Eindruck,
den jenes Faktum auf seine Zeitgenossen hervorgebracht hat, notwendig sind.
Diese Mitteilungen sind aber die schwierigste Aufgabe; denn es gehört dazu
nicht bloß eine gewöhnliche Notizenkunde, sondern auch das
Anschauungsvermögen des Dichters, dem, wie Shakespeare sagt, »das Wesen
und der Körper verschollener Zeiten« sichtbar geworden." "Die deutsche Philosophie ist eine
wichtige, das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit, und erst
die spätesten Enkel werden darüber entscheiden können, ob wir dafür zu
tadeln oder zu loben sind, daß wir erst unsere Philosophie und hernach
unsere Revolution ausarbeiteten. Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir
mußte mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der
Philosophie beschäftigen und durfte nur nach deren Vollendung zur
politischen Revolution übergehen. Diese Ordnung finde ich ganz vernünftig.
Die Köpfe, welche die Philosophie zum Nachdenken benutzt hat, kann die
Revolution nachher zu beliebigen Zwecken abschlagen ... "Ich will beileibe nicht das alte
Regiment adeliger Bevorrechtung zurückwünschen; denn es war nichts als
überfirnißte Fäulnis, eine geschminkte und parfümierte Leiche, die man
ruhig ins Grab senken oder gewaltsam in die Gruft hineintreten mußte, im
Fall sie ihr trostloses Scheinleben fortsetzen und sich allzu sträubsam
gegen die Bestattung wehren wollte. Aber das neue Regiment, das an die
Stelle des alten getreten, ist noch viel fataler; und noch weit unleidlicher
anwidern muß uns diese ungefirnißte Roheit, dieses Leben ohne Wohlduft,
diese betriebsame Geldritterschaft, diese Nationalgarde, diese bewaffnete
Furcht, die dich mit dem intelligenten Bajonette niederstößt, wenn du etwa
behauptest, daß die Leitung der Welt nicht dem kleinen Zahlensinn, nicht
dem hochbesteuerten Rechentalente gebührt, sondern dem Genie, der
Schönheit, der Liebe und der Kraft. |