Heinrich Heine

Testament
Übersetzung von Adolf Strodtmann. Erstdruck
in: Adolf Strodtmann: Heinrich Heines Leben
und Werke, 2. Auflage, Berlin 1874.


Vor den unterzeichneten Notaren zu Paris, Herrn
Ferdinand Léon Ducloux und Herrn Charles Louis
Emile Rousse; und in Gegenwart von
1. Herrn Michel Jacob, Bäcker, wohnhaft zu Paris,
Rue d'Amsterdam Nr. 60; und
2. Herrn Eugène Grouchy, Gewürzkrämer, wohn-
haft zu Paris, Rue d'Amsterdam Nr. 52;
welche beide Zeugen den gesetzlich vorgeschriebe-
nen Bedingungen entsprechen, wie sie den unterzeich-
neten Notaren auf separat an jeden von ihnen gerich-
tete Anfrage erklärt haben; und im Schlafzimmer des
nachfolgend benannten Herrn Heine, gelegen im zwei-
ten Stock eines Hauses, Rue d'Amsterdam Nr. 50; in
welchem Schlafzimmer, das durch ein auf den Hof ge-
hendes Fenster erhellt wird, die oben genannten, vom
Testator gewählten Notare und Zeugen sich auf aus-
drückliches Verlangen desselben versammelt haben,
Erschien
Herr Heinrich Heine, Schriftsteller und Doktor der
Rechte, wohnhaft zu Paris, Rue d'Amsterdam Nr. 50;
welcher, krank an Körper, aber gesunden Geistes,
Gedächtnisses und Verstandes, wie es den genannten
Notaren und Zeugen bei der Unterhaltung mit ihm
vorgekommen ist, im Hinblick auf den Tod, dem ge-
nannten Herrn Ducloux, in Gegenwart des Herrn
Rousse und der Zeugen, sein Testament in folgender
Weise diktiert hat:
§ 1. Ich ernenne zu meiner Universalerbin Mathilde
Crescence Heine, geborene Mirat, meine rechtmäßige
Ehefrau, mit welcher ich seit vielen Jahren meine
guten und schlimmen Tage verbracht habe und welche
mich während der Dauer meiner langen und schreckli-
chen Krankheit gepflegt hat. Ich vermache ihr als vol-
les und gänzliches Eigentum, und ohne jede Bedin-
gung oder Beschränkung, alles, was ich besitze und
was ich bei meinem Ableben besitzen mag, und alle
meine Rechte auf irgendein künftiges Besitztum.
§ 2. In einer Epoche, wo ich an eine begüterte Zu-
kunft für mich glaubte, habe ich mich meines ganzen
literarischen Eigentums unter sehr mäßigen Bedin-
gungen entäußert; unglückliche Ereignisse haben spä-
ter das kleine Vermögen, welches ich besaß, ver-
schlungen, und meine Krankheit gestattet mir nicht,
meine Vermögensverhältnisse zugunsten meiner Frau
etwas zu verbessern. Die Pension, welche ich von
meinem verstorbenen Oheim Salomon Heine erhalte
und welche immer die Grundlage meines Budgets
war, ist meiner Frau nur teilweise zugesichert; ich
selbst hatte es so gewollt. Ich empfinde gegenwärtig
das tiefste Bedauern, nicht besser für das gute Aus-
kommen meiner Frau nach meinem Tode gesorgt zu
haben. Die obenerwähnte Pension meines Oheims
stellte im Grunde die Rente eines Kapitals dar,
welches dieser väterliche Wohltäter nicht gern in
meine geschäftsunkundigen Poetenhände legen wollte,
um mir besser den dauernden Genuß davon zu si-
chern. Ich rechnete auf dies mir zugewiesene Einkom-
men, als ich eine Person an mein Schicksal knüpfte,
die mein Oheim sehr schätzte und der er manches Zei-
chen liebevoller Zuneigung gab. Obwohl er in seinen
testamentarischen Verfügungen nichts in offizieller
Weise für sie getan hat, so ist doch nichtsdestoweni-
ger anzunehmen, daß solches Vergessen viel mehr
einem unseligen Zufalle als den Gefühlen des Verstor-
benen beizumessen ist; er, dessen Freigebigkeit so
viele Personen bereichert hat die seiner Familie und
seinem Herzen fremd waren, darf nicht einer kärgli-
chen Knauserei beschuldigt werden, wo es sich um
das Schicksal der Gemahlin eines Neffen handelte,
der seinen Namen berühmt machte. Die geringsten
Winke und Worte eines Mannes, der die Großmut sel-
ber war, müssen großmütig ausgelegt werden. Mein
Vetter Carl Heine, der würdige Sohn seines Vaters,
ist sich mit mir in diesen Gefühlen begegnet, und mit
edler Bereitwilligkeit ist er meiner Bitte nachgekom-
men, als ich ihn ersuchte, die förmliche Verpflichtung
zu übernehmen, nach meinem Ableben meiner Frau
als lebenslängliche Rente die Hälfte der Pension zu
zahlen, welche von seinem seligen Vater herrührte.
Diese Übereinkunft hat am 25. Februar 1847
stattgefunden, und noch rührt mich die Erinnerung an
die edlen Vorwürfe, welche mein Vetter, trotz unserer
damaligen Zwistigkeiten, mir über mein geringes Ver-
trauen in seine Absichten betreffs meiner Frau mach-
te; als er mir die Hand als Unterpfand seines Verspre-
chens reichte, drückte ich sie an meine armen kranker
Augen und benetzte sie mit Tränen. Seitdem hat sich
meine Lag' verschlimmert, und meine Krankheit hat
viele Hilfsquellen versiegen machen, die ich meiner
Frau hätte hinterlassen können. Diese unvorhergese-
henen Wechselfälle und andere gewichtige Gründe
zwingen mich, von neuem mich an die würdigen und
rechtlichen Gefühle meines Vetters zu wenden: ich
fordere ihn dringend auf, meine oben erwähnte Pensi-
on nicht um die Hälfte zu schmälern, indem er sie
nach meinem Tode auf meine Frau überträgt, sondern
ihr dieselbe unverkürzt auszuzahlen, wie ich sie bei
Lebzeiten meines Oheims bezog.
Ich sage ausdrücklich: »Wie ich sie bei Lebzeiten
meines Oheims bezog«, weil mein Vetter Carl Heine
seit nahezu fünf Jahren, seit meine Krankheit sich
stark verschlimmert hat, die Summe meiner Pension
tatsächlich mehr als verdoppelte, für welche edelmüti-
ge Aufmerksamkeit ich ihm großen Dank schulde. Es
ist mehr als wahrscheinlich, daß ich nicht nötig ge-
habt hätte, diesen Appell an die Liberalität meines
Vetters zu richten; denn ich bin überzeugt, daß er mit
der ersten Schaufel Erde, die er, nach seinem Rechte
als mein nächster Anverwandter, auf mein Grab wer-
fen wird, wenn er sich zur Zeit meines Abscheidens in
Paris befindet, all jene peinlichen Beklagnisse verges-
sen wird, die ich so sehr bedauert und durch ein lang-
wieriges Sterbelager gesühnt habe; er wird sich dann
gewiß nur unserer einstmaligen herzlichen Freund-
schaft erinnern, jener Verwandtschaft und Überein-
stimmung der Gefühle, die uns seit unserer zarten Ju-
gend verband, und er wird der Witwe seines Freundes
einen echt väterlichen Schutz angedeihen lassen; aber
es ist für die Ruhe der einen wie der andern nicht un-
nütz, daß die Lebenden wissen, was die Toten von
ihnen begehren.
§ 3. Ich wünsche, daß nach meinem Ableben alle
meine Papiere und meine sämtlichen Briefe sorgfältig
verschlossen und zur Verfügung meines Neffen Lud-
wig von Embden gehalten werden, dem ich meine
weiteren Bestimmungen über den Gebrauch, den er
davon machen soll, erteilen werde, ohne Präjudiz für
die Eigentumsrechte meiner Universalerbin.
§ 4. Wenn ich sterbe, bevor die Gesamtausgabe
meiner Werke erschienen ist, und wenn ich nicht die
Leitung dieser Ausgabe habe übernehmen können
oder selbst wenn mein Tod eintritt, bevor sie beendet
ist, so bitte ich meinen Verwandten, Herrn Doktor
Rudolf Christiani, mich in der Leitung dieser
Publikation zu ersetzen, indem er sich streng an den
Prospektus hält, den ich ihm zu diesem Zweck hinter-
lassen werde. Wenn mein Freund, Herr Campe, der
Verleger meiner Werke, irgendwelche Änderungen in
der Art und Weise wünscht, wie ich meine verschie-
denen Schriften in dem genannten Prospektus geord-
net habe, so wünsche ich, daß man ihm in dieser Hin-
sicht keine Schwierigkeiten bereite, da ich mich
immer gern seinen buchhändlerischen Bedürfnissen
gefügt habe. Die Hauptsache ist, daß in meinen
Schriften keine Zeile eingeschaltet werde, die ich
nicht ausdrücklich zur Veröffentlichung bestimmt
habe oder die ohne die Unterschrift meines vollständi-
gen Namens gedruckt worden ist; eine angenommene
Chiffre genügt nicht, um mir ein Schriftstück zuzu-
schreiben, das in irgendeinem Journal veröffentlicht
worden, da die Bezeichnung des Autors durch eine
Chiffre immer von den Chefredakteuren abhing, die
sich niemals die Gewohnheit versagten, in einem bloß
mit einer Chiffre bezeichneten Artikel Änderungen am
Inhalt oder der Form vorzunehmen. Ich verbiete aus-
drücklich, daß unter irgendwelchem Vorwande ir-
gendein Schriftstück eines andern, sei es so klein, wie
es wolle, meinen Werken angehängt werde, falls es
nicht eine biographische Notiz aus der Feder eines
meiner alten Freunde wäre, den ich ausdrücklich mit
einer solchen Arbeit betraut hätte. Ich setze voraus,
daß mein Wille in dieser Beziehung, d. h. daß meine
Bücher nicht dazu dienen, irgendein fremdes Schrift-
stück ins Schlepptau zu nehmen oder zu verbreiten, in
seinem vollen Umfange loyal befolgt wird.
§ 5. Ich verbiete, meinen Körper nach meinem Hin-
scheiden einer Autopsie zu unterwerfen; nur glaube
ich, da meine Krankheit oftmals einem starrsüchtigen
Zustande glich, daß man die Vorsicht treffen sollte,
mir vor meiner Beerdigung eine Ader zu öffnen.
§ 6. Wenn ich mich zur Zeit meines Ablebens in
Paris befinde und nicht zu weit von Montmartre ent-
fernt wohne, so wünsche ich auf dem Kirchhofe dieses
Namens beerdigt zu werden, da ich eine Vorliebe für
dieses Quartier hege, wo ich lange Jahre hindurch ge-
wohnt habe.
§ 7. Ich verlange, daß mein Leichenbegängnis so
einfach wie möglich sei und daß die Kosten meiner
Beerdigung nicht den gewöhnlichen Betrag derjenigen
des geringsten Bürgers übersteigen. Obschon ich
durch den Taufakt der lutherischen Konfession ange-
höre, wünsche ich nicht, daß die Geistlichkeit dieser
Kirche zu meinem Begräbnisse eingeladen werde;
ebenso verzichte ich auf die Amtshandlung jeder an-
dern Priesterschaft, um mein Leichenbegängnis zu fei-
ern. Dieser Wunsch entspringt aus keiner freigeistigen
Anwandlung. Seit vier Jahren habe ich allem philoso-
phischen Stolze entsagt und bin zu religiösen Ideen
und Gefühlen zurückgekehrt; ich sterbe im Glauben
an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der
Welt, dessen Erbarmen ich anflehe für meine unsterb-
liche Seele. Ich bedaure, in meinen Schriften zuweilen
von heiligen Dingen ohne die ihnen schuldige Ehr-
furcht gesprochen zu haben, aber ich wurde mehr
durch den Geist meines Zeitalters als durch meine ei-
genen Neigungen fortgerissen. Wenn ich unwissent-
lich die guten Sitten und die Moral beleidigt habe,
welche das wahre Wesen aller monotheistischen
Glaubenslehren ist, so bitte ich Gott und die Men-
schen um Verzeihung. Ich verbiete, daß irgendeine
Rede, deutsch oder französisch, an meinem Grabe ge-
halten werde. Gleichzeitig spreche ich den Wunsch
aus, daß meine Landsleute, wie glücklich sich auch
die Geschicke unsrer Heimat gestalten mögen, es ver-
meiden, meine Asche nach Deutschland überzuführen;
ich habe es nie geliebt, meine Person zu politischen
Possenspielen herzugeben. Es war die große Aufgabe
meines Lebens, an dem herzlichen Einverständnisse
zwischen Deutschland und Frankreich zu arbeiten und
die Ränke der Feinde der Demokratie zu vereiteln,
welche die internationalen Vorurteile und Animositä-
ten zu ihrem Nutzen ausbeuten. Ich glaube mich so-
wohl um meine Landsleute wie um die Franzosen
wohlverdient gemacht zu haben, und die Ansprüche,
welche ich auf ihren Dank besitze, sind ohne Zweifel
das wertvollste Vermächtnis, das ich meiner Univer-
salerbin zuwenden kann.
§ 8. Ich ernenne Herrn Maxime Jaubert, Rat im
Kassationsgerichtshofe, zum Testamentsvollstrecker,
und ich danke ihm für die bereitwillige Übernahme
dieses Amtes.

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Das vorliegende Testament ist so von Herrn Hein-
rich Heine diktiert und ganz von der Hand des Herrn
Ducloux, eines der unterzeichneten Notare, geschrie-
ben worden, wie es der Testator ihm diktiert hat, alles
in Gegenwart der benannten Notare und der Zeugen,
welche, darüber befragt, erklärt haben, daß sie nicht
mit der Erbin verwandt seien.
Und nachdem es in Gegenwart derselben Personen
dem Testator vorgelesen worden, hat er erklärt,
dabei als dem genauen Ausdruck seines Willens zu
verharren.
Geschehen und vollzogen zu Paris im oben be-
zeichneten Schlafzimmer des Herrn Heine.
Im Jahre achtzehnhunderteinundfünfzig, Donners-
tag, den dreizehnten November, gegen sechs Uhr
nachmittags.
Und nach abermaliger vollständiger Vorlesung
haben der Testator und die Zeugen nebst den Notaren
unterzeichnet.