Steckbrief

von Herbert Witzel

Dieser Steckbrief erschien in fast gleicher Form im Berliner TAGESSPIEGEL
(12. September 1999).

Ein viel gelesener Verbotener

Tja, so ist das: Was gut ist, setzt sich durch. Deshalb war die zweite Lyriksammlung des Täters immerhin schon nach drei Wochen vergriffen.Aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, und es galt: üben, üben, üben! 

Vor seinem Erwachsenendasein hieß der Täter noch Harry mit Vornamen und machte als Kaufmann erst mal pleite. Danach sponserte sein Onkel ein Jurastudium. Von der Universität Göttingen erhielt er infolge eines Duells das Consilium abeundi, was so viel heißt wie: "Und Tschüss!" auf Lateinisch. 

Aber nichts ist so schlimm, daß es nicht auch zu etwas gut wäre, denn jetzt zog er nach Berlin — gerade noch rechtzeitig, um hier Carl Maria von Webers Oper: "Der Freischütz" als Uraufführung im Schauspielhaus mitzuerleben. Er hörte Vorlesungen bei Savigny und Hegel, besuchte den Salon Rahel Varnhagens und konnte Ecke Charlottenstraße/Jägerstraße in der Lese-Konditorei Stehely die dort ausgelegten 80 Zeitungen studieren, bevor es ihn ins Café Royal zog, Unter den Linden 33, sein Stammlokal. "Sie können hier oft die interessantesten Menschen sehen", schreibt er in seinen Berliner Briefen. "Dort am Tisch das kleine Männchen mit den ewig vibrierenden Gesichtsmuskeln, mit den possierlichen und doch unheimlichen Gesten? Das ist der Kammergerichtsrat Hoffmann, der den Kater Murr geschrieben." 

Damit der Gesuchte nach Examen und Promotion in den Staatsdienst gehen kann, läßt er sich taufen und bekommt einen Satz neuer Vornamen. Doch seine Hoffnungen auf eine Münchener Professur zerschlagen sich. Er zieht nach Paris. Dort lernt er Mathilde kennen, seine spätere Frau. In der Heimat werden seine Schriften verboten. Nichtsdestotrotz ist und bleibt er ein viel gelesenes Genie der deutschen Sprache, und eines Tages stellt er fest: "Sonderbar! Nachdem ich mein ganzes Leben hindurch mich auf den Tanzböden der Philosophie herumgetrieben, allen Orgien des Geistes mich hingegeben, mit allen möglichen Systemen gebuhlt, ohne befriedigt worden zu sein — jetzt befinde ich mich plötzlich auf demselben Standpunkt, worauf auch der Onkel Tom steht, auf dem der Bibel."

Auflösung

von: "Ein viel gelesener Verbotener"

"Die sich beizeiten umgestellt/und sich zu jedem Staat bekennen,/das sind die Praktiker der Welt,/man könnte sie auch Lumpen nennen." So schrieb Heinrich Johann Christian (eigentlich: Harry) Heine (1797-1856). Als Kaufmann war er ein Versager. Von 1821 bis 1824 studierte er in Berlin Jurisprudenz. Er war hin und her gerissen zwischen Romantik und Jungem Deutschland, schrieb u.a. das "Buch der Lieder", den "Romanzero" und die satirische Versdichtung: "Deutschland, ein Wintermärchen". Bekehrt wurde er in den letzten neun Jahren seines Lebens. "Ich verdanke meine Erleuchtung ganz einfach der Lektüre eines Buches — und dieses Buch heißt kurzweg das Buch, die Bibel.

Herbert Witzel