Heinrich Heine

Extrakte aus einem Vortragstext der Reihe: Mutter und Sohn

Dr. Marita Schweingel

pdf

Vorab ein ironisch - witziges Gedicht, geschrieben vom siebenundvierzigjährigen Heinrich Heine, das uns ein wenig auf das Verhältnis von Mutter und Sohn einstimmen soll.

Von Harburg fuhr ich in einer Stund´
nach Hamburg. Es war schon Abend.
Die Sterne am Himmel grüßten mich,
die Luft war lind und labend.

Und als ich zu meiner Frau Mutter kam,
erschrak sie fast vor Freude,
sie rief: "Mein liebes Kind!" und schlug
zusammen die Hände beide.

"Mein liebes Kind, wohl dreizehn Jahr´
verflossen unterdessen!
Du wirst gewiß sehr hungrig sein -
Sag an, was willst du essen?

Ich habe Fisch und Gänsefleisch
Und schöne Apfelsinen."
"So gib mir Fisch und Gänsefleisch
und schöne Apfelsinen."

Und als ich aß mit großem App´tit,
die Mutter ward glücklich und munter,
sie frug wohl dies, sie frug wohl das,
verfängliche Fragen mitunter.

"Mein liebes Kind! und wirst du auch
recht sorgsam gepflegt in der Fremde?
Versteht deine Frau die Haushaltung,
und flickt sie dir Strümpfe und Hemde?"

"Der Fisch ist gut, lieb Mütterlein,
doch muß man ihn schweigend verzehren;
man kriegt so leicht eine Grät´ in den Hals,
du darfst mich jetzt nicht stören."

Und als ich den braven Fisch verzehrt,
die Gans ward aufgetragen.
Die Mutter frug wieder wohl dies, wohl das,
mitunter verfängliche Fragen.

"Mein liebes Kind! in welchem Land
läßt sich am besten leben?
Hier oder in Frankreich? Und welchem Volk
Wirst du den Vorzug geben?"

"Die deutsche Gans, lieb Mütterlein,
ist gut, jedoch die Franzosen,
sie stopfen die Gänse besser als wir,
auch haben sie bessere Saucen."

Und als die Gans sich wieder empfahl,
da machten ihre Aufwartung
die Apfelsinen, sie schmeckten so süß,
ganz über alle Erwartung.

Die Mutter aber fing wieder an,
zu fragen sehr vergnüglich
nach tausend Dingen, mitunter sogar
nach Dingen, die sehr anzüglich.

"Mein liebes Kind! Wie denkst du jetzt?
Treibst du noch immer aus Neigung
Die Politik? Zu welcher Partei
gehörst du mit Überzeugung?"

"Die Apfelsinen, lieb Mütterlein,
sind gut, und mit wahrem Vergnügen
verschlucke ich den süßen Saft,
und ich lasse die Schalen liegen."

(Deutschland - ein Wintermärchen, Kaput XX)

Geschrieben wurden diese Zeilen 1844 von einem Deutschen, der bereits seit 12 Jahren im Französischen Exil, in Paris lebte. In einem Brief an eben diese Frau, der er sein Gedicht widmete, äußerte sich Heinrich Heine pessimistisch "Es ist mir nichts geglückt in dieser Welt."
Warum?
Im Folgenden soll insbesondere der mütterliche Einfluss auf den Werdegang des berühmten Sohnes ein wenig näher beleuchtet werden.

Heinrich Heines Mutter, Betty, charakterisierte ihren kleinen Sohn stolz als sehr aufgeweckt und wissbegierig. Das hört sich gut an, bedeutete aber für die besorgte Mutter, ständig wachsam zu sein. Ihr Kind zeigte eine außerordentliche Mobilität, krabbelnd und kletternd eroberte es seine Umwelt. Nichts, was des Knaben Neugier weckte, schien ihm unerreichbar. Ein Kind mit solch ausgeprägten Unternehmungs- und Entdeckergeist musste sinnvoll beschäftigt werden. Es heißt, dass die fürsorgliche Mutter dem vierjährigen, lebhaften Knaben auf einer braunen Türe vor dem Kamin die Buchstaben des Alphabets mit Kreide zu schreiben lehrte. Die braun angestrichene Türe vor dem Kamin diente ursprünglich als provisorisches Schutzbrett. Es sollte verhindern, dass der kleine, quirlige Junge in oder auf den Kamin klettert und sich oder seiner Umwelt schwerwiegende Schäden zufügt. Mutter Betty Heine funktionierte es kurzerhand zur Schultafel um, was heutige Pädagogen wahrscheinlich für unsinnig, weil verfrüht, erklären würden. Aber der kleine Sohn interessierte sich mit seinen vier Jahren nun einmal für die Buchstaben und kritzelte Wellen, Kringel und Linien auf Papier. Diesen "Brief" verlas er dann seiner Mutter. Diese amüsierte sich zwar über den Kleinen, der ihr auch aus der Zeitung "vorlas", lachte ihn aber nicht aus, sondern lehrte ihn das Alphabet. Sie tat dies nicht auf Anraten kluger Pädagogen, sondern sie tat es, weil da ein außerordentlich interessiertes und aufgewecktes Kind agierte. Sie förderte von sich aus, was da nach Förderung verlangte und verhinderte damit gleichzeitig, dass der Kleine unbeaufsichtigt Unsinn anstellt. Auch ihren Bruder, den braven und ehrenhaften Oheim Simon von Geldern, bezog sie schon frühzeitig in die Bildung und Erziehung des begabten Knaben mit ein. Heinrich Heine beschrieb diesen Oheim später als einen unscheinbaren, närrischen Sonderling mit blassem Gesicht und viel zu groß geratener Nase an der er sich ständig zupfte. Trotz seines sonderbaren Aussehens und seiner Eigenheiten schätzte die Mutter ihren Bruder, denn sie vertraute ihm ihren Ältesten zur vorschulischen Ausbildung an. Der kauzige Oheim besaß noch hohe Ideale. Er dachte und schrieb in einem steifen Kanzleistil mit unermüdlichem Fleiß für politische Tagesblätter und "obskure Zeitschriften". Er arbeitete zwar nicht als Arzt, wurde aber als solcher von den Nachbarn immer wieder zu Rate gezogen. Sein Enthusiasmus beim Studieren und Schreiben blieben sicher nicht ohne Einfluss auf den jungen, aufmerksam beobachtenden Heinrich Heine. Der Drang zum Schreiben und an die Öffentlichkeit gehen, wurde sicher zu einem guten Teil auch von diesem Onkel geweckt. Heine durfte dessen Bibliothek benutzen und nach Herzenslust in Büchern und Zeitungen wühlen, was er auch ausgiebig und mit besonderem Vergnügen tat.
Überhaupt erfahren wir in der Literatur mehr über den mütterlichen Verwandtschaftszweig und dessen Einfluss als über den väterlichen.
Heinrich Heine erklärte das folgendermaßen; sein Vater sei als völlig Fremder nach Düsseldorf gekommen und war sehr einsilbig. Die mütterliche Familie dagegen lebte in Düsseldorf und Mume und Basen gaben die Familiengeschichten gerne an die Nachkommen weiter.
Sohn Heinrich wurde also sowohl direkt durch die Mutter als auch indirekt durch deren weitläufige Verwandtschaft, gefördert.
Als es an der Zeit war, sorgte Mutter Betty für die standesgemäße Einschulung und kümmerte sich danach um die weitere solide schulische Ausbildung des Kindes.
Heine kommentierte in seinen "Memoiren" die Jahre im Lyzeum wie folgt: "Es ist gewiß bedeutsam, daß mir bereits in meinem dreizehnten Lebensjahre alle Systeme der freien Denker vorgetragen wurden, und zwar durch einen ehrwürdigen Geistlichen, der seine sazerdotalen Amtspflichten nicht im geringsten vernachlässigte, so daß ich hier frühe sah, wie ohne Heuchelei Religion und Zweifel ruhig nebeneinander gingen, woraus nicht bloß Unglauben, sondern auch die toleranteste Gleichgültigkeit entstand."
Zum Thema Unglauben bekam er vom normalerweise wortkargen Vater die längste Predigt, die ihm sein Vater je hielt, zu hören:
"Lieber Sohn! Deine Mutter läßt Dich beim Rektor Schallmeyer Philosophie studieren. Das ist ihre Sache. Ich meinesteils liebe nicht die Philosophie, denn sie ist lauter Aberglauben, und ich bin Kaufmann und habe meinen Kopf nötig für mein Geschäft. Du kannst Philosoph sein, soviel Du willst, aber ich bitte Dich, sage nicht öffentlich, was Du denkst, denn Du würdest mir im Geschäft schaden, wenn meine Kunden erführen, daß ich einen Sohn habe, der nicht an Gott glaubt...Ich bin Dein Vater und älter als Du und dadurch erfahrener; Du darfst mir aufs Wort glauben, wenn ich mir erlaube, Dir zu sagen, daß der Atheismus eine große Sünde ist."
Dieses Zitat widerspiegelt, wer in der Familie die Hosen an hatte und alle Belange, die Ausbildung betreffend, tatsächlich regelte. Im Grunde setzte sich immer wieder die Mutter durch. Der vom Vater benannte Rektor Schallmeyer mochte den aufgeweckten Schüler Heinrich Heine und sorgte sich um sein Wohl. "Der alte Herr besprach sich deshalb sehr oft mit meiner Mutter über meine Erziehung und künftige Laufbahn, und in solcher Unterredung war es, wie mir meine Mutter später in Hamburg erzählte, daß er ihr den Rat erteilte, mich dem Dienst der Kirche zu widmen und nach Rom zu schicken, um in einem dortigen Seminar katholische Theologie zu studieren."
Die Mutter lehnte den wohlgemeinten Ratschlag des Rektors ab, seine hilfreich angebotenen, einflussreichen Beziehungen zu nutzen. Die unkleidsame Soutane, ihre Rousseau - Schwärmerei und hochtrabende Vorstellungen von weltlichen Würden hinderten sie daran, dem Vorschlag des Rektors zuzustimmen. Im Alter bedauerte sie jedoch diese Entscheidung. Heinrich Heine verblieb am Lyzeum. Über seine ersten, lehrplangemäßen Berührungen mit der Poesie, schrieb er in seinen Memoiren wie folgt: "...am ungerechtesten blieb ich gegen die französische Poesie, die mir von Jugend an fatal war. Daran ist wohl zunächst der vermaledeite Abbe Daunoi schuld, der im Lyzeum zu Düsseldorf die französische Sprache dozierte und mich durchaus zwingen wollte, französische Verse zu machen. Wenig fehlte und er hätte mir nicht bloß die französische, sondern die Poesie überhaupt verleidet....Er sprach mir allen Sinn für Poesie ab und nannte mich einen Barbaren des Teutoburger Waldes." Und weiter resümierte er zum Thema Poesie: "Der französische Hexameter, dieses gereimte Rülpsen ist mir wahrhaft ein Abscheu."
Der freie Geist, das freie Denken am Lyzeum einerseits und die fest vorgeschriebenen, einzuhaltenden Regeln, nicht nur in der französischen Poesie, charakterisierten die recht widersprüchliche Zeit seiner Ausbildung am Lyzeum. Heinrich Heine verkraftete diese paradoxe Schulausbildung nicht ganz ohne Probleme. Im Grunde missfiel es ihm, seine Gedanken in eine Zwangsjacke stecken zu lassen und er wehrte sich dagegen mit Auflehnung und heftigen Disputen dem Lehrer gegenüber. Auch hier schritt die Mutter vermittelnd ein. "Durch den Rektor und meine Mutter wurde der Zwist beigelegt. Letztere war überhaupt nicht damit zufrieden, daß ich Verse machen lernte, und seien es auch nur französische. Sie hatte nämlich damals die größte Angst, daß ich ein Dichter werden möchte; das wäre das Schlimmste, sagte sie immer, was mir passieren könne."
Wovor hatte die Mutter Angst?
"Poet" setzte sie gleich mit Armut, Lotterleben, Krankheit und letztlich frühzeitigem Tod. Verständlicherweise wollte sie unter gar keinen Umständen, dass ihr heiß geliebter Sohn für ein paar Taler Gelegenheitsgedichte verfasst und schließlich als armer Schlucker im Hospital elend zu Grunde geht. Deshalb hasste sie die Poesie und setzte sich persönlich mit all ihrer enormen Energie für ihren Sohn und gegen die französischen Verse ein. Und nicht nur das. Jeden Roman riss sie dem Sohn wohl aus den Händen, verbot ihm den Besuch von Schauspielen, verbot ihm das Erzählen von Gespenstergeschichten, verbot ihm die Teilnahme an Volksspielen, vertrieb Aberglauben und Phantasie aus dem Umfeld ihres Sohnes. Kurz und gut, Mutter Betty muss sehr vernünftig, sehr rational und sehr bestimmend gewesen sein.
Was tat der Sohn bei all den mütterlichen Verboten?
Um nicht mit der gestrengen Schülerin Rousseaus anzuecken, studierte Heine heimlich und nachts. Seine Mutter beschrieb er als sehr klug und belesen. Er schilderte sie als musische Person, perfekt in Latein, Englisch und Französisch, die Rousseau und Goethe verehrte. Als junges Mädchen soll sie ihrem Vater Dissertationen und wissenschaftliche Abhandlungen vorgelesen und verblüffende Fragen gestellt haben. Sie genoss als Kind die gleichen Privilegien einer Ausbildung wie ihr Bruder, der frühzeitig verstarb.
Allerdings findet man in der Literatur zu dieser überaus positiven Schilderung seiner Mutter, sehr viel kritischere Äußerungen, beispielsweise dass Heinrich Heine wohl eher ein mütterliches Kunstprodukt schuf. Betty Heines Zeitgenossen überlieferten nämlich nichts dergleichen. Im Gegenteil, seine Mutter beherrschte Deutsch nur sehr mangelhaft und schrieb Hebräisch. Erwiesen ist, dass Heine zeitlebens große Hochachtung für seine Mutter empfand. In seiner typischen Art schrieb er: "Meine Mutter hat schönwissenschaftliche Werke gelesen, und ich bin ein Dichter geworden; meines Onkels Mutter dagegen hat den Räuberhauptmann Cartouche gelesen, und Onkel Salomon ist Bankier geworden".
Wie dem auch sei. Mutter Betty schmiedete sehr pragmatische Pläne, die Zukunft ihres Ältesten betreffend. Heine kommentierte dies folgendermaßen:
"Meine Mutter aber hatte große, hochfliegende Dinge mit mir im Sinn, und alle Erziehungspläne zielten darauf hin. Sie spielte die Hauptrolle in meiner Entwicklungsgeschichte, sie machte die Programme all meiner Studien, und schon vor meiner Geburt begannen ihre Erziehungspläne. Ich folgte gehorsam ihren ausgesprochenen Wünschen, jedoch gestehe ich, daß sie schuld war an der Unfruchtbarkeit meiner meisten Versuche und Bestrebungen in bürgerlichen Stellen, da dieselben niemals meinem Naturell entsprachen. Letzteres, weit mehr als die Weltbegebenheiten, bestimmte meine Zukunft."
Die Pracht des Kaiserreiches stach der ehrgeizigen Mutter in die Augen, ergo erträumte sie Glanz und Glorie für ihren Sohn am Hofe des Kaisers. Heine musste neben dem Unterricht am Lyzeum Privatunterricht nehmen. Der zusätzlich Unterricht diente dem Ziel, aus Heine einen großen Strategen und Administrator zu machen, der später am kaiserlichen Hofe karrieriert. Heine gehorchte. Er kümmerte sich um die mathematische Wissenschaften, lernte fleißig, um wie die Mutter es wünschte, Militärstratege am Hofe des Kaisers zu werden. Allerdings zerfielen mit dem Fall des Kaiserreiches 1806 ihre hochfliegenden Pläne, die Studien wurden abgebrochen und vergessen. Sie verschwanden sogar für lange Zeit aus dem Gedächtnis Heinrich Heines. Warum?
Die mathematischen Studien waren ihm völlig fremd und blieben es zeitlebens auch.
Aber die Mutter gab nicht auf, aus ihrem Erstgeborenen einen angesehenen Mann zu machen. Nicht die Intensität, sondern die Richtung ihrer Bemühungen wechselte. Reiche Industrielle und der befreundete Bankfürst Rothschild spukten ihr im Kopf herum. Heinrich Heine sollte nun eine Geldmacht werden! Ergo musste er Sprachen, Geographie, Buchhaltung, Land- und Seehandel und Gewerbskunde erlernen.
Heinrich Heine ging 1815 in Frankfurt u.a. beim Bankier Rindskopf in die Lehre, denn er sollte "Millionär lernen". Aber dazu taugte er nicht und das wussten nicht nur die, die ihm etwas beizubringen versuchten. Sein Fazit über die Zeit bei der Geldmacht lautete: "... ich lernte bei dieser Gelegenheit, wie man einen Wechsel ausstellt und wie Muskatnüsse aussehen. Ein berühmter Kaufmann, bei welchem ich ein apprendi millionaire werden sollte, meinte, ich hätte kein Talent zum Erwerb, und lachend gestand ich ihm, daß er wohl recht haben möchte."
Zu seiner weiteren Ausbildung trug sein millionenschwerer Hamburger Onkel Salomon, Bruder des Vaters, bei. Von 1816 - 1817 hielt sich Heinrich Heine als Lehrling in dessen Hamburger Bank auf. Leider verscherzte er sich die Gunst seines Onkels durch die unglückselige Liebe zu dessen Tochter, seiner Kusine Amelie. Heine tröstete sich über seinen Liebeskummer mit selbst produzierten Gedichten hinweg. In "Hamburgs Wächter" erschienen 1817 seine ersten Gedichte. Schließlich kehrte Heinrich Heine enttäuscht, ob seiner unerwiderten Liebe und seiner erfolglosen Studien nach Düsseldorf zurück.
Wie immer stand ihm die Mutter zur Seite. Wie immer wusste sie Rat. 1818 richtete sie für den enttäuschten Sohn in seiner Heimatstadt ein Komissionsgeschäft ein. Durch eine Handelskrise und verfehlte, private Aktionen ging die Familie kurz zuvor ihres Vermögens verlustig. Die vom Vater nicht abgesetzten Waren sollte Heinrich Heine im eigenen Geschäft verhökern. Äußerst freudlos werkelte er als Kaufmann. Statt zu verkaufen, dichtete Heine lieber über die Thematik, wie man auf Erden besser und glücklicher leben kann.
Das Geschäft ging auf diese Weise recht schnell, nämlich schon 1819 bankrott. Heinrich Heine nahm dies mit Gelassenheit hin. Die bürgerlichen Stellen entsprachen einfach nicht seinem Naturell. Viel lieber schrieb er eben Gedichte.
Von der Erfolglosigkeit ihrer bisherigen Pläne mit ihrem Sohn ließ sich die Mutter noch immer nicht entmutigen. Sie ersann eine neue Laufbahn für ihn. Advokaten hatten in ihren Augen Macht und Wohlstand und gelangten zu höchsten Staatsämtern. Also wünschte sie, dass ihr Sohn die Juristerei studiert, um dadurch doch noch eine prachtvolle Perspektive zu erhalten. 1819 zog Heine also auf Anraten der klug voraus planenden Mutter nach Bonn und nahm ein Jura - Studium an der 1818 neu gegründeten Universität auf. In den Vorlesungen bekam er den frischen Wind der Aufklärung durch Arndt, Schlegel, Fallersleben, Dieffenbach und Simrock zu spüren. Über sein Jura - Studium schrieb er in seinen Memoiren: "Welch ein fürchterliches Buch ist das Korpus Juris, die Bibel des Egoismus!
... Wie die Römer selbst blieb mir immer verhaßt ihr Rechtskodex. Diese Räuber wollten ihren Raub sicherstellen, und was sie mit dem Schwerte erbeutet, suchten sie durch Gesetze zu schützen..."

Diese klugen Zeilen sprechen nicht gerade dafür, dass er nun endlich seine Berufung fand und glücklich ward. Im Gegenteil. Das, worum es wirklich ging, missfiel ihm. Obwohl seine Mutter mit sich selbst sehr sparsam umging, verkaufte sie ihren wertvollen Schmuck, um dem Sohn die ersten vier Universitätsstudienjahre zu ermöglichen. Heines Kommentar: "Ich war übrigens nicht der erste in unserer Familie, der auf der Universität Edelsteine aufgegessen und Perlen verschluckt hatte. Der Vater meiner Mutter, wie diese mir einst erzählte, erprobte dasselbe Kunststück."
Heine fühlte sich durch den enormen persönlichen Einsatz der Mutter verpflichtet, das verhasste Studium, auch wenn er es noch so verfluchte, zu Ende zu bringen. Aber er konnte nichts damit anfangen und hängte schließlich seinen juristischen Doktorhut an den Nagel. Beschnittenen wie ihm war der Weg zu höheren Ämtern und Ehren zur damaligen Zeit sowieso versperrt.
"Meine Mutter machte eine noch ernstere Miene als gewöhnlich. Aber ich war ein erwachsener Mensch geworden, der in dem Alter stand, wo er der mütterlichen Obhut entbehren muß."
Der Sohn fühlte sich also mit 22 Jahren erwachsen und gewillt, sein weiteres Leben selbst zu bestimmen. So wie er seine Mutter achtete, so achtete und respektierte sie seinen freien Geist.

Kurz vor seinem Tod schrieb Heine über seine Mutter, die immer an ihn glaubte, die ihn immer unterstützte, die immer für ihn da war:
"Sie ist jetzt eine Matrone von 87 Jahren, und ihr Geist hat durch das Alter nicht gelitten. Über meine wirkliche Denkart hat sie sich nie eine Herrschaft angemaßt und war für mich immer die Schonung und Liebe selbst."
Hinterlassen hat Heinrich Heine folgendes wunderschöne Gedicht, das er seiner dauerhaftesten Liebe, seiner Mutter, widmete:

"An meine Mutter, B. Heine
Geb. v. Geldern

I.
Ich bin´s gewohnt den Kopf recht hoch zu tragen,
mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zäh
wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich´s sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
in Deiner selig süßen trauten Nähe
ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.

Ist es Dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?

Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
so manche Tat, die Dir das Herz betrübet,
das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?

II.
Im tollen Wahn hatt´ ich Dich einst verlassen,
ich wollte gehen die ganze Welt zu Ende,
und wollte sehn, ob ich die Liebe fände,
um liebevoll die Liebe zu umfassen.

Die Liebe suchte ich auf allen Gassen,
vor jeder Türe streckt´ ich aus die Hände,
und bettelt um g´ringere Liebesspende, -
doch lachend gab man mir nur kaltes Hassen.

Und immer irrte ich nach Liebe, immer
Nach Liebe, doch die fand ich nimmer,
und kehrte um nach Hause, krank und trübe.

Doch da bist Du entgegen mir gekommen,
Und ach! Was da in Deinem Aug´ geschwommen,
das war die süße, langgesuchte Liebe."