Die romantische Schule

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Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Frau von Staëls Werk »De l'Allemagne« ist die 
einzige umfassende Kunde, welche die Franzosen 
über das geistige Leben Deutschlands erhalten haben.
Und doch ist, seitdem dieses Buch erschienen, ein 
großer Zeitraum verflossen, und eine ganz neue Lite-
ratur hat sich unterdessen in Deutschland entfaltet. Ist
es nur eine Übergangsliteratur? hat sie schon ihre 
Blüte erreicht? ist sie bereits abgewelkt? Hierüber 
sind die Meinungen geteilt. Die meisten glauben, mit 
dem Tode Goethes beginne in Deutschland eine neue 
literarische Periode, mit ihm sei auch das alte 
Deutschland zu Grabe gegangen, die aristokratische 
Zeit der Literatur sei zu Ende, die demokratische be-
ginne oder, wie sich ein französischer Journalist 
jüngst ausdrückte, »der Geist der einzelnen habe auf-
gehört, der Geist aller habe angefangen«.
Was mich betrifft, so vermag ich nicht in so be-
stimmter Weise über die künftigen Evolutionen des 
deutschen Geistes abzuurteilen. Die Endschaft der 
»Goetheschen Kunstperiode«, mit welchem Namen 
ich diese Periode zuerst bezeichnete, habe ich jedoch 
schon seit vielen Jahren vorausgesagt. Ich hatte gut 
prophezeien! Ich kannte sehr gut die Mittel und Wege
jener Unzufriedenen, die dem Goetheschen Kunstreich
ein Ende machen wollten, und in den damaligen 
Emeuten gegen Goethe will man sogar mich selbst ge-
sehen haben. Nun Goethe tot ist, bemächtigt sich mei-
ner darob ein wunderbarer Schmerz.
Indem ich diese Blätter gleichsam als eine Fortset-
zung des Frau v. Staëlschen »De l'Allemagne« ankün-
dige, muß ich, die Belehrung rühmend, die man aus 
diesem Werke schöpfen kann, dennoch eine gewisse 
Vorsicht beim Gebrauche desselben anempfehlen und 
es durchaus als Koteriebuch bezeichnen. Frau v. 
Staël, glorreichen Andenkens, hat hier, in der Form 
eines Buches, gleichsam einen Salon eröffnet, worin 
sie deutsche Schriftsteller empfing und ihnen Gele-
genheit gab, sich der französischen zivilisierten Welt 
bekannt zu machen; aber in dem Getöse der verschie-
densten Stimmen, die aus diesem Buche hervor-
schreien, hört man doch immer am vernehmlichsten 
den feinen Diskant des Herrn A. W. Schlegel. Wo sie 
ganz selbst ist, wo die großfühlende Frau sich unmit-
telbar ausspricht mit ihrem ganzen strahlenden Her-
zen, mit dem ganzen Feuerwerk ihrer Geistesraketen 
und brillanten Tollheiten, da ist das Buch gut und 
vortrefflich. Sobald sie aber fremden Einflüsterungen 
gehorcht, sobald sie einer Schule huldigt, deren 
Wesen ihr ganz fremd und unbegreifbar ist, sobald sie
durch die Anpreisung dieser Schule gewisse ultra-
montane Tendenzen befördert, die mit ihrer 
protestantischen Klarheit in direktem Widerspruche 
sind, da ist ihr Buch kläglich und ungenießbar. Dazu 
kömmt noch, daß sie außer den unbewußten auch 
noch bewußte Parteilichkeiten ausübt, daß sie durch 
die Lobpreisung des geistigen Lebens, des Idealismus
in Deutschland, eigentlich den damaligen Realismus 
der Franzosen, die materielle Herrlichkeit der Kaiser-
periode, frondieren will. Ihr Buch »De l'Allemagne« 
gleicht in dieser Hinsicht der »Germania« des Taci-
tus, der vielleicht ebenfalls, durch seine Apologie der 
Deutschen, eine indirekte Satire gegen seine Lands-
leute schreiben wollte.
Wenn ich oben einer Schule erwähnte, welcher 
Frau v. Staël huldigte und deren Tendenzen sie beför-
derte, so meinte ich die romantische Schule. Daß 
diese in Deutschland ganz etwas anderes war, als was
man in Frankreich mit diesem Namen bezeichnet, daß
ihre Tendenzen ganz verschieden waren von denen 
der französischen Romantiker, das wird in den folgen-
den Blättern klar werden.
Was war aber die romantische Schule in Deutsch-
land?
Sie war nichts anders als die Wiedererweckung der 
Poesie des Mittelalters, wie sie sich in dessen Lie-
dern, Bild- und Bauwerken, in Kunst und Leben ma-
nifestiert hatte. Diese Poesie aber war aus dem Chri-
stentume hervorgegangen, sie war eine 
Passionsblume, die dem Blute Christi entsprossen. 
Ich weiß nicht, ob die melancholische Blume, die wir 
in Deutschland Passionsblume benamsen, auch in 
Frankreich diese Benennung führt und ob ihr von der 
Volkssage ebenfalls jener mystische Ursprung zuge-
schrieben wird. Es ist jene sonderbare mißfarbige 
Blume, in deren Kelch man die Marterwerkzeuge, die 
bei der Kreuzigung Christi gebraucht worden, näm-
lich Hammer, Zange, Nägel usw., abkonterfeit sieht, 
eine Blume, die durchaus nicht häßlich, sondern nur 
gespenstisch ist, ja, deren Anblick sogar ein grauen-
haftes Vergnügen in unserer Seele erregt, gleich den 
krampfhaft süßen Empfindungen, die aus dem 
Schmerze selbst hervorgehen. In solcher Hinsicht 
wäre diese Blume das geeignetste Symbol für das 
Christentum selbst, dessen schauerlichster Reiz eben 
in der Wollust des Schmerzes besteht.
Obgleich man in Frankreich unter dem Namen 
Christentum nur den römischen Katholizismus ver-
steht, so muß ich doch besonders bevorworten, daß 
ich nur von letzterem spreche. Ich spreche von jener 
Religion, in deren ersten Dogmen eine Verdammnis 
alles Fleisches enthalten ist und die dem Geiste nicht 
bloß eine Obermacht über das Fleisch zugesteht, son-
dern auch dieses abtöten will, um den Geist zu ver-
herrlichen; ich spreche von jener Religion, durch 
deren unnatürliche Aufgabe ganz eigentlich die Sünde
und die Hypokrisie in die Welt gekommen, indem 
eben durch die Verdammnis des Fleisches die un-
schuldigsten Sinnenfreuden eine Sünde geworden und
durch die Unmöglichkeit, ganz Geist zu sein, die Hy-
pokrisie sich ausbilden mußte; ich spreche von jener 
Religion, die ebenfalls durch die Lehre von der Ver-
werflichkeit aller irdischen Güter, von der auferlegten 
Hundedemut und Engelsgeduld die erprobteste Stütze 
des Despotismus geworden. Die Menschen haben 
jetzt das Wesen dieser Religion erkannt, sie lassen 
sich nicht mehr mit Anweisungen auf den Himmel ab-
speisen, sie wissen, daß auch die Materie ihr Gutes 
hat und nicht ganz des Teufels ist, und sie vindizieren
jetzt die Genüsse der Erde, dieses schönen Gottesgar-
tens, unseres unveräußerlichen Erbteils. Eben weil 
wir alle Konsequenzen jenes absoluten Spiritualismus
jetzt so ganz begreifen, dürfen wir auch glauben, daß 
die christkatholische Weltansicht ihre Endschaft er-
reicht. Denn jede Zeit ist eine Sphinx, die sich in den 
Abgrund stürzt, sobald man ihr Rätsel gelöst hat.
Keineswegs jedoch leugnen wir hier den Nutzen, 
den die christkatholische Weltansicht in Europa ge-
stiftet. Sie war notwendig als eine heilsame Reaktion 
gegen den grauenhaft kolossalen Materialismus, der 
sich im römischen Reiche entfaltet hatte und alle gei-
stige Herrlichkeit des Menschen zu vernichten drohte.
Wie die schlüpfrigen Memoiren des vorigen 
Jahrhunderts gleichsam die pièces justificatives der 
französischen Revolution bilden; wie uns der Terro-
rismus eines Comité du salut public als notwendige 
Arznei erscheint, wenn wir die Selbstbekenntnisse der
französischen vornehmen Welt seit der Regentschaft 
gelesen: so erkennt man auch die Heilsamkeit des as-
ketischen Spiritualismus, wenn man etwa den Petron 
oder den Apulejus gelesen, Bücher, die man als 
pièces justificatives des Christentums betrachten 
kann. Das Fleisch war so frech geworden in dieser 
Römerwelt, daß es wohl der christlichen Disziplin be-
durfte, um es zu züchtigen. Nach dem Gastmahl eines
Trimalkion bedurfte man einer Hungerkur gleich dem 
Christentum.
Oder etwa, wie greise Lüstlinge durch Rutenstrei-
che das erschlaffte Fleisch zu neuer Genußfähigkeit 
aufreizen: wollte das alternde Rom sich mönchisch 
geißeln lassen, um raffinierte Genüsse in der Qual 
selbst und die Wollust im Schmerze zu finden?
Schlimmer Überreiz! er raubte dem römischen 
Staatskörper die letzten Kräfte. Nicht durch die Tren-
nung in zwei Reiche ging Rom zugrunde; am Bos-
phoros wie an der Tiber ward Rom verzehrt von dem-
selben judäischen Spiritualismus, und hier wie dort 
ward die römische Geschichte ein langsames Dahin-
sterben, eine Agonie, die Jahrhunderte dauerte. Hat 
etwa das gemeuchelte Judäa, indem es den Römern 
seinen Spiritualismus bescherte, sich an dem siegen-
den Feinde rächen wollen, wie einst der sterbende 
Zentaur, der dem Sohne Jupiters das verderbliche Ge-
wand, das mit dem eignen Blute vergiftet war, so li-
stig zu überliefern wußte? Wahrlich, Rom, der Herku-
les unter den Völkern, wurde durch das judäische Gift
so wirksam verzehrt, daß Helm und Harnisch seinen 
welkenden Gliedern entsanken und seine imperatori-
sche Schlachtstimme herabsiechte zu betendem Pfaf-
fengewimmer und Kastratengetriller.
Aber was den Greis entkräftet, das stärkt den Jüng-
ling. Jener Spiritualismus wirkte heilsam auf die 
übergesunden Völker des Nordens; die allzu vollblü-
tigen barbarischen Leiber wurden christlich vergei-
stigt; es begann die europäische Zivilisation. Das ist 
eine preiswürdige, heilige Seite des Christentums. Die
katholische Kirche erwarb sich in dieser Hinsicht die 
größten Ansprüche auf unsere Verehrung und Bewun-
derung. Sie hat, durch große, geniale Institutionen, die
Bestialität der nordischen Barbaren zu zähmen und 
die brutale Materie zu bewältigen gewußt.
Die Kunstwerke des Mittelalters zeigen nun jene 
Bewältigung der Materie durch den Geist, und das ist 
oft sogar ihre ganze Aufgabe. Die epischen Dichtun-
gen jener Zeit könnte man leicht nach dem Grade die-
ser Bewältigung klassifizieren.
Von lyrischen und dramatischen Gedichten kann 
hier nicht die Rede sein; denn letztere existierten 
nicht, und erstere sind sich ziemlich ähnlich in jedem 
Zeitalter, wie die Nachtigallenlieder in jedem Früh-
ling.
Obgleich die epische Poesie des Mittelalters in hei-
lige und profane geschieden war, so waren doch beide
Gattungen ihrem Wesen nach ganz christlich; denn 
wenn die heilige Poesie auch ausschließlich das jüdi-
sche Volk, welches für das allein heilige galt, und 
dessen Geschichte, welche allein die heilige hieß, die 
Helden des Alten und Neuen Testamentes, die Legen-
de, kurz, die Kirche besang, so spiegelte sich doch in 
der profanen Poesie das ganze damalige Leben mit 
allen seinen christlichen Anschauungen und Bestre-
bungen. Die Blüte der heiligen Dichtkunst im deut-
schen Mittelalter ist vielleicht »Barlaam und Josa-
phat«, ein Gedicht, worin die Lehre von der Abnega-
tion, von der Enthaltsamkeit, von der Entsagung, von 
der Verschmähung aller weltlichen Herrlichkeit am 
konsequentesten ausgesprochen worden. Hiernächst 
möchte ich den »Lobgesang auf den heiligen Anno« 
für das Beste der heiligen Gattung halten. Aber dieses
letztere Gedicht greift schon weit hinaus ins Weltli-
che. Es unterscheidet sich überhaupt von dem ersteren
wie etwa ein byzantinisches Heiligenbild von einem 
altdeutschen. Wie auf jenen byzantinischen Gemäl-
den, sehen wir ebenfalls in »Barlaam und Josaphat« 
die höchste Einfachheit, nirgends ist perspektivisches 
Beiwerk, und die lang mageren, statuenähnlichen Lei-
ber und die idealisch ernsthaften Gesichter treten 
streng abgezeichnet hervor, wie aus weichem Gold-
grund; - im »Lobgesang auf den heiligen Anno« 
wird, wie auf altdeutschen Gemälden, das Beiwerk 
fast zur Hauptsache, und trotz der grandiosen Anlage 
ist doch das einzelne aufs kleinlichste ausgeführt, und
man weiß nicht, ob man dabei die Konzeption eines 
Riesen oder die Geduld eines Zwergs bewundern soll.
Otfrieds Evangeliengedicht, das man als das Haupt-
werk der heiligen Poesie zu rühmen pflegt, ist lange 
nicht so ausgezeichnet wie die erwähnten beiden 
Dichtungen.
In der profanen Poesie finden wir, nach obiger An-
deutung, zuerst den Sagenkreis der Nibelungen und 
des »Heldenbuchs«; da herrscht noch die ganze vor-
christliche Denk- und Gefühlsweise, da ist die rohe 
Kraft noch nicht zum Rittertum herabgemildert, da 
stehen noch, wie Steinbilder, die starren Kämpen des 
Nordens, und das sanfte Licht und der sittige Atem 
des Christentums dringt noch nicht durch die eisernen
Rüstungen. Aber es dämmert allmählich in den altger-
manischen Wäldern, die alten Götzeneichen werden 
gefällt, und es entsteht ein lichter Kampfplatz, wo der 
Christ mit dem Heiden kämpft, und dieses sehen wir 
im Sagenkreis Karls des Großen, worin sich 
eigentlich die Kreuzzüge mit ihren heiligen Tenden-
zen abspiegeln. Nun aber, aus der christlich spirituali-
sierten Kraft, entfaltet sich die eigentümlichste Er-
scheinung des Mittelalters, das Rittertum, das sich 
endlich noch sublimiert als ein geistliches Rittertum. 
Jenes, das weltliche Rittertum, sehen wir am anmutig-
sten verherrlicht in dem Sagenkreis des Königs Artus,
worin die süßeste Galanterie, die ausgebildetste Cour-
toisie und die abenteuerlichste Kampflust herrscht. 
Aus den süß närrischen Arabesken und phantasti-
schen Blumengebilden dieser Gedichte grüßen uns der
köstliche Iwein, der vortreffliche Lanzelot vom See 
und der tapfere, galante, honette, aber etwas langwei-
lige Wigalois. Neben diesem Sagenkreis sehen wir 
den damit verwandten und verwebten Sagenkreis vom
»heiligen Gral«, worin das geistliche Rittertum ver-
herrlicht wird, und da treten uns entgegen drei der 
grandiosesten Gedichte des Mittelalters, der »Titu-
rel«, der »Parzival« und der »Lohengrin«; hier stehen 
wir der romantischen Poesie gleichsam persönlich ge-
genüber, wir schauen ihr tief hinein in die großen lei-
denden Augen, und sie umstrickt uns unversehens mit
ihrem scholastischen Netzwerk und zieht uns hinab in
die wahnwitzige Tiefe der mittelalterlichen Mystik. 
Endlich sehen wir aber auch Gedichte in jener Zeit, 
die dem christlichen Spiritualismus nicht unbedingt 
huldigen, ja worin dieser sogar frondiert wird, wo der 
Dichter sich den Ketten der abstrakten christlichen 
Tugenden entwindet und wohlgefällig sich hinab-
taucht in die Genußwelt der verherrlichten Sinnlich-
keit; und es ist eben nicht der schlechteste Dichter, 
der uns das Hauptwerk dieser Richtung, »Tristan und 
Isolde«, hinterlassen hat. Ja, ich muß gestehen, Gott-
fried von Straßburg, der Verfasser dieses schönsten 
Gedichts des Mittelalters, ist vielleicht auch dessen 
größter Dichter, und er überragt noch alle Herrlichkeit
des Wolfram von Eschilbach, den wir im »Parzival« 
und in den Fragmenten des »Titurel« so sehr bewun-
dern. Es ist vielleicht jetzt erlaubt, den Meister Gott-
fried unbedingt zu rühmen und zu preisen. Zu seiner 
Zeit hat man sein Buch gewiß für gottlos und ähnliche
Dichtungen, wozu schon der »Lanzelot« gehörte, für 
gefährlich gehalten. Und es sind wirklich auch be-
denkliche Dinge vorgefallen. Francesca da Polenta 
und ihr schöner Freund mußten teuer dafür büßen, 
daß sie eines Tages miteinander in einem solchen 
Buche lasen; - die größere Gefahr freilich bestand 
darin, daß sie plötzlich zu lesen aufhörten!
Die Poesie in allen diesen Gedichten des Mittelal-
ters trägt einen bestimmten Charakter, wodurch sie 
sich von der Poesie der Griechen und Römer unter-
scheidet. In betreff dieses Unterschieds nennen wir er-
stere die romantische und letztere die klassische Poe-
sie. Diese Benennungen aber sind nur unsichere 
Rubriken und führten bisher zu den unerquicklichsten
Verwirrnissen, die noch gesteigert wurden, wenn man 
die antike Poesie statt klassisch auch plastisch nannte.
Hier lag besonders der Grund zu Mißverständnissen. 
Nämlich die Künstler sollen ihren Stoff immer pla-
stisch bearbeiten, er mag christlich oder heidnisch 
sein, sie sollen ihn in klaren Umrissen darstellen, 
kurz: plastische Gestaltung soll in der romantisch mo-
dernen Kunst, ebenso wie in der antiken Kunst, die 
Hauptsache sein. Und in der Tat, sind nicht die Figu-
ren in der »Göttlichen Komödie« des Dante oder auf 
den Gemälden des Raffael ebenso plastisch wie die 
im Virgil oder auf den Wänden von Herkulanum? Der
Unterschied besteht darin, daß die plastischen Gestal-
ten in der antiken Kunst ganz identisch sind mit dem 
Darzustellenden, mit der Idee, die der Künstler dar-
stellen wollte, z.B. daß die Irrfahrten des Odysseus 
gar nichts anders bedeuten als die Irrfahrten des Man-
nes, der ein Sohn des Laertes und Gemahl der Penelo-
peia war und Odysseus hieß; daß ferner der Bacchus, 
den wir im Louvre sehen, nichts anders ist als der an-
mutige Sohn der Semele mit der kühnen Wehmut in 
den Augen und der heiligen Wollust in den gewölbt 
weichen Lippen. Anders ist es in der romantischen 
Kunst; da haben die Irrfahrten eines Ritters noch eine 
esoterische Bedeutung, sie deuten vielleicht auf die 
Irrfahrten des Lebens überhaupt; der Drache, der 
überwunden wird, ist Sünde; der Mandelbaum, der 
dem Helden aus der Ferne so tröstlich zuduftet, das ist
die Dreieinigkeit, Gott Vater und Gott Sohn und Gott 
Heiliger Geist, die zugleich eins ausmachen, wie Nuß,
Faser und Kern dieselbe Mandel sind. Wenn Homer 
die Rüstung eines Helden schildert, so ist es eben 
nichts andres als eine gute Rüstung, die soundso viel 
Ochsen wert ist; wenn aber ein Mönch des Mittelal-
ters in seinem Gedichte die Röcke der Muttergottes 
beschreibt, so kann man sich darauf verlassen, daß er 
sich unter diesen Röcken ebenso viele verschiedene 
Tugenden denkt, daß ein besonderer Sinn verborgen 
ist unter diesen heiligen Bedeckungen der unbefleck-
ten Jungfrauschaft Mariä, welche auch, da ihr Sohn 
der Mandelkern ist, ganz vernünftigerweise als Man-
delblüte besungen wird. Das ist nun der Charakter der
mittelalterlichen Poesie, die wir die romantische nen-
nen.
Die klassische Kunst hatte nur das Endliche darzu-
stellen, und ihre Gestalten konnten identisch sein mit 
der Idee des Künstlers. Die romantische Kunst hatte 
das Unendliche und lauter spiritualistische Beziehun-
gen darzustellen oder vielmehr anzudeuten, und sie 
nahm ihre Zuflucht zu einem System traditioneller 
Symbole oder vielmehr zum Parabolischen, wie schon
Christus selbst seine spiritualistischen Ideen durch al-
lerlei schöne Parabeln deutlich zu machen suchte. 
Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunderbare und 
Überschwengliche in den Kunstwerken des Mittelal-
ters; die Phantasie macht ihre entsetzlichsten Anstren-
gungen, das Reingeistige durch sinnliche Bilder dar-
zustellen, und sie erfindet die kolossalsten Tollheiten, 
sie stülpt den Pelion auf den Ossa, de »Parzival« auf 
den »Titurel«, um den Himmel zu erreichen.
Bei den Völkern, wo die Poesie ebenfalls das Un-
endliche darstellen wollte und ungeheure Ausgeburten
der Phantasie zum Vorschein kamen, z.B. bei den 
Skandinaviern und Indiern, finden wir Gedichte, die 
wir ebenfalls für romantisch halten und auch roman-
tisch zu nennen pflegen.
Von der Musik des Mittelalters können wir nicht 
viel sagen. Es fehlen uns die Urkunden. Erst spät, im 
sechzehnten Jahrhundert, entstanden die Meisterwerke
der katholischen Kirchenmusik, die man in ihrer Art 
nicht genug schätzen kann, da sie den christlichen 
Spiritualismus am reinsten aussprechen. Die rezitie-
renden Künste, spiritualistisch ihrer Natur nach, 
konnten im Christentum ein ziemliches Gedeihen fin-
den. Minder vorteilhaft war diese Religion für die bil-
denden Künste. Denn da auch diese den Sieg des Gei-
stes über die Materie darstellen sollten und dennoch 
ebendiese Materie als Mittel ihrer Darstellung gebrau-
chen mußten, so hatten sie gleichsam eine unnatürli-
che Aufgabe zu lösen. Daher in Skulptur und Malerei 
jene abscheulichen Themata: Martyrbilder, Kreuzi-
gungen, sterbende Heilige, Zerstörung des Fleisches. 
Die Aufgaben selbst waren ein Martyrtum der Skulp-
tur, und wenn ich jene verzerrten Bildwerke sehe, wo 
durch schief-fromme Köpfe, lange, dünne Arme, ma-
gere Beine und ängstlich unbeholfene Gewänder die 
christliche Abstinenz und Entsinnlichung dargestellt 
werden soll, so erfaßt mich unsägliches Mitleid mit 
den Künstlern jener Zeit. Die Maler waren wohl 
etwas begünstigter, da das Material ihrer Darstellung,
die Farbe, in seiner Unerfaßbarkeit, in seiner bunten 
Schattenhaftigkeit dem Spiritualismus nicht so derb 
widerstrebte wie das Material der Skulptoren; den-
noch mußten auch sie, die Maler, mit den widerwär-
tigsten Leidensgestalten die seufzende Leinwand be-
lasten. Wahrlich, wenn man manche Gemäldesamm-
lung betrachtet und nichts als Blutszenen, Stäupen 
und Hinrichtung dargestellt sieht, so sollte man glau-
ben, die alten Meister hätten diese Bilder für die Ga-
lerie eines Scharfrichters gemalt.
Aber der menschliche Genius weiß sogar die Unna-
tur zu verklären, vielen Malern gelang es, die unna-
türliche Aufgabe schön und erhebend zu lösen, und 
namentlich die Italiener wußten der Schönheit etwas 
auf Kosten des Spiritualismus zu huldigen und sich 
zu jener Idealität emporzuschwingen, die in so vielen 
Darstellungen der Madonna ihre Blüte erreicht hat. 
Die katholische Klerisei hat überhaupt, wenn es die 
Madonna galt, dem Sensualismus immer einige Zuge-
ständnisse gemacht. Dieses Bild einer unbefleckten 
Schönheit, die noch dabei von Mutterliebe und 
Schmerz verklärt ist, hatte das Vorrecht, durch Dich-
ter und Maler gefeiert und mit allen sinnlichen Reizen
geschmückt zu werden. Denn dieses Bild war ein Ma-
gnet, welcher die große Menge in den Schoß des 
Christentums ziehen konnte. Madonna Maria war 
gleichsam die schöne dame du comptoir der katholi-
schen Kirche, die deren Kunden, besonders die Bar-
baren des Nordens, mit ihrem himmlischen Lächeln 
anzog und festhielt.
Die Baukunst trug im Mittelalter denselben Cha-
rakter wie die andern Künste, wie denn überhaupt da-
mals alle Manifestationen des Lebens aufs wunder-
barste miteinander harmonierten. Hier, in der Archi-
tektur, zeigt sich dieselbe parabolische Tendenz wie 
in der Dichtkunst. Wenn wir jetzt in einen alten Dom 
treten, ahnen wir kaum mehr den esoterischen Sinn 
seiner steinernen Symbolik. Nur der Gesamteindruck 
dringt uns unmittelbar ins Gemüt. Wir fühlen hier die 
Erhebung des Geistes und die Zertretung des Flei-
sches. Das Innere des Doms selbst ist ein hohles 
Kreuz, und wir wandeln da im Werkzeuge des Mar-
tyrtums selbst; die bunten Fenster werfen auf uns ihre 
roten und grünen Lichter, wie Blutstropfen und Eiter; 
Sterbelieder umwimmern uns; unter unseren Füßen 
Leichensteine und Verwesung, und mit den kolossa-
len Pfeilern strebt der Geist in die Höhe, sich 
schmerzlich losreißend von dem Leib, der wie ein 
müdes Gewand zu Boden sinkt. Wenn man sie von 
außen erblickt, diese gotischen Dome, diese ungeheu-
ren Bauwerke, die so luftig, so fein, so zierlich, so 
durchsichtig gearbeitet sind, daß man sie für ausge-
schnitzelt, daß man sie für Brabanter Spitzen von 
Marmor halten sollte, dann fühlt man erst recht die 
Gewalt jener Zeit, die selbst den Stein so zu bewälti-
gen wußte, daß er fast gespenstisch durchgeistet er-
scheint, daß sogar diese härteste Materie den christli-
chen Spiritualismus ausspricht.
Aber die Künste sind nur der Spiegel des Lebens, 
und wie im Leben der Katholizismus erlosch, so ver-
hallte und erblich er auch in der Kunst. Zur Zeit der 
Reformation schwand allmählich die katholische Poe-
sie in Europa, und an ihrer Stelle sehen wir die längst 
abgestorbene griechische Poesie wieder aufleben. Es 
war freilich nur ein künstlicher Frühling, ein Werk 
des Gärtners und nicht der Sonne, und die Bäume und
Blumen steckten in engen Töpfen, und ein Glashim-
mel schützte sie vor Kälte und Nordwind.
In der Weltgeschichte ist nicht jedes Ereignis die 
unmittelbare Folge eines anderen, alle Ereignisse be-
dingen sich vielmehr wechselseitig. Keineswegs bloß 
durch die griechischen Gelehrten, die nach der Erobe-
rung von Byzanz zu uns herüber emigriert, ist die 
Liebe für das Griechentum und die Sucht, es nachzu-
ahmen, bei uns allgemein geworden, sondern auch in 
der Kunst wie im Leben regte sich ein gleichzeitiger 
Protestantismus; Leo X., der prächtige Mediceer, war 
ein ebenso eifriger Protestant wie Luther; und wie 
man zu Wittenberg in lateinischer Prosa protestierte, 
so protestierte man zu Rom in Stein, Farbe und Otta-
verime. Oder bilden die marmornen Kraftgestalten des
Michelangelo, die lachenden Nymphengesichter des 
Giulio Romano und die lebenstrunkene Heiterkeit in 
den Versen des Meisters Ludovico nicht einen prote-
stierenden Gegensatz zu dem altdüstern, abgehärmten
Katholizismus? Die Maler Italiens polemisierten 
gegen das Pfaffentum vielleicht weit wirksamer als 
die sächsischen Theologen. Das blühende Fleisch auf 
den Gemälden des Tizian, das ist alles Protestantis-
mus. Die Lenden seiner Venus sind viel gründlichere 
Thesen als die, welche der deutsche Mönch an die 
Kirchentüre von Wittenberg angeklebt. - Es war da-
mals, als hätten die Menschen sich plötzlich erlöst ge-
fühlt von tausendjährigem Zwang; besonders die 
Künstler atmeten wieder frei, als ihnen der Alp des 
Christentums von der Brust gewälzt schien; enthusia-
stisch stürzten sie sich in das Meer griechischer Hei-
terkeit, aus dessen Schaum ihnen wieder die 
Schönheitsgöttinnen entgegentauchten; die Maler 
malten wieder die ambrosische Freude des Olymps; 
die Bildhauer meißelten wieder mit alter Lust die 
alten Heroen aus dem Marmorblock hervor; die Poe-
ten besangen wieder das Haus des Atreus und des 
Lajos; es entstand die Periode der neuklassischen 
Poesie.
Wie sich in Frankreich unter Ludwig XIV. das mo-
derne Leben am vollendetsten ausgebildet, so gewann
hier jene neuklassische Poesie ebenfalls eine ausgebil-
dete Vollendung, ja gewissermaßen eine selbständige 
Originalität. Durch den politischen Einfluß des gro-
ßen Königs verbreitete sich diese neuklassische Poe-
sie im übrigen Europa; in Italien, wo sie schon einhei-
misch geworden war, erhielt sie ein französisches Ko-
lorit; mit den Anjous kamen auch die Helden der fran-
zösischen Tragödie nach Spanien; sie gingen nach 
England mit Madame Henriette, und wir Deutschen, 
wie sich von selbst versteht, wir bauten dem gepuder-
ten Olymp von Versailles unsere tölpischen Tempel. 
Der berühmteste Oberpriester derselben war Gott-
sched, jene große Allongeperücke, die unser teurer 
Goethe in seinen Memoiren so trefflich beschrieben 
hat.
Lessing war der literarische Arminius, der unser 
Theater von jener Fremdherrschaft befreite. Er zeigte 
uns die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die 
Abgeschmacktheit jener Nachahmungen des französi-
schen Theaters, das selbst wieder dem griechischen 
nachgeahmt schien. Aber nicht bloß durch seine Kri-
tik, sondern auch durch seine eignen Kunstwerke 
ward er der Stifter der neuern deutschen Originallite-
ratur. Alle Richtungen des Geistes, alle Seiten des Le-
bens verfolgte dieser Mann mit Enthusiasmus und 
Uneigennützigkeit. Kunst, Theologie, Altertumswis-
senschaft, Dichtkunst, Theaterkritik, Geschichte, alles
trieb er mit demselben Eifer und zu demselben 
Zwecke. In allen seinen Werken lebt dieselbe große 
soziale Idee, dieselbe fortschreitende Humanität, die-
selbe Vernunftreligion, deren Johannes er war und 
deren Messias wir noch erwarten. Diese Religion pre-
digte er immer, aber leider oft ganz allein und in der 
Wüste. Und dann fehlte ihm auch die Kunst, den 
Stein in Brot zu verwandeln; er verbrachte den größ-
ten Teil seines Lebens in Armut und Drangsal; das ist
ein Fluch, der fast auf allen großen Geistern der Deut-
schen lastet und vielleicht erst durch die politische 
Befreiung getilgt wird. Mehr, als man ahnte, war Les-
sing auch politisch bewegt, eine Eigenschaft, die wir 
bei seinen Zeitgenossen gar nicht finden; wir merken 
jetzt erst, was er mit der Schilderung des Duo-
dezdespotismus in »Emilia Galotti« gemeint hat. Man
hielt ihn damals nur für einen Champion der Geistes-
freiheit und Bekämpfer der klerikalen Intoleranz; denn
seine theologischen Schriften verstand man schon 
besser. Die Fragmente Ȇber Erziehung des Men-
schengeschlechts«, welche Eugène Rodrigues ins 
Französische übersetzt hat, können vielleicht den 
Franzosen von der umfassenden Weite des Les-
singschen Geistes einen Begriff geben. Die beiden 
kritischen Schriften, welche den meisten Einfluß auf 
die Kunst ausgeübt, sind seine »Hamburgische Dra-
maturgie« und sei »Laokoon oder über die Grenzen 
der Malerei und Poesie«. Seine ausgezeichneten Thea-
terstücke sind: »Emilia Galotti«, »Minna von Barn-
helm« und »Nathan der Weise«.
Gotthold Ephraim Lessing ward geboren zu Ka-
menz in der Lausitz den 22. Januar 1729 und starb zu
Braunschweig den 15. Februar 1781. Er war ein gan-
zer Mann, der, wenn er mit seiner Polemik das Alte 
zerstörend bekämpfte, auch zu gleicher Zeit selber 
etwas Neues und Besseres schuf; »er glich«, sagt ein 
deutscher Autor, »jenen frommen Juden, die beim 
zweiten Tempelbau von den Angriffen der Feinde oft 
gestört wurden und dann mit der einen Hand gegen 
diese kämpften und mit der anderen Hand am Gottes-
hause weiterbauten.« Es ist hier nicht die Stelle, wo 
ich mehr von Lessing sagen dürfte; aber ich kann 
nicht umhin, zu bemerken, daß er in der ganzen Lite-
raturgeschichte derjenige Schriftsteller ist, den ich am 
meisten liebe. Noch eines anderen Schriftstellers, der 
in demselben Geiste und zu demselben Zwecke wirkte
und Lessings nächster Nachfolger genannt werden 
kann, will ich hier erwähnen; seine Würdigung gehört
freilich ebenfalls nicht hierher, wie er denn überhaupt 
in der Literaturgeschichte einen ganz einsamen Platz 
einnimmt und sein Verhältnis zu Zeit und Zeitgenos-
sen noch immer nicht bestimmt ausgesprochen wer-
den kann. Es ist Johann Gottfried Herder, geboren 
1744 zu Mohrungen in Ostpreußen und gestorben zu 
Weimar in Sachsen im Jahr 1803.
Die Literaturgeschichte ist die große Morgue, wo 
jeder seine Toten aufsucht, die er liebt oder womit er 
verwandt ist. Wenn ich da unter so vielen unbedeu-
tenden Leichen den Lessing oder den Herder sehe mit 
ihren erhabenen Menschengesichtern, dann pocht mir 
das Herz. Wie dürfte ich vorübergehen, ohne euch 
flüchtig die blassen Lippen zu küssen!
Wenn aber Lessing die Nachahmerei des französi-
schen Aftergriechentums gar mächtig zerstörte, so hat 
er doch selbst, eben durch seine Hinweisung auf die 
wirklichen Kunstwerke des griechischen Altertums, 
gewissermaßen einer neuen Art törichter Nachahmun-
gen Vorschub geleistet. Durch seine Bekämpfung des 
religiösen Aberglaubens beförderte er sogar die nüch-
terne Aufklärungssucht, die sich zu Berlin breitmach-
te und im seligen Nicolai ihr Hauptorgan und in der 
»Allgemeinen deutschen Bibliothek« ihr Arsenal 
besaß. Die kläglichste Mittelmäßigkeit begann da-
mals, widerwärtiger als je, ihr Wesen zu treiben, und 
das Läppische und Leere blies sich auf wie der Frosch
in der Fabel.
Man irrt sehr, wenn man etwa glaubt, daß Goethe, 
der damals schon aufgetaucht, bereits allgemein aner-
kannt gewesen sei. Sein »Götz von Berlichingen« und
sein »Werther« waren mit Begeisterung aufgenommen
worden, aber die Werke der gewöhnlichsten Stümper 
waren es nicht minder, und man gab Goethen nur eine
kleine Nische in dem Tempel der Literatur. Nur den 
»Götz« und den »Werther« hatte das Publikum, wie 
gesagt, mit Begeisterung aufgenommen, aber mehr 
wegen des Stoffes als wegen ihrer artistischen Vorzü-
ge, die fast niemand in diesen Meisterwerken zu 
schätzen verstand. Der »Götz« war ein dramatisierter 
Ritterroman, und diese Gattung liebte man damals. In
dem »Werther« sah man nur die Bearbeitung einer 
wahren Geschichte, die des jungen Jerusalem, eines 
Jünglings, der sich aus Liebe totgeschossen und da-
durch in jener windstillen Zeit einen sehr starken 
Lärm gemacht; man las mit Tränen seine rührenden 
Briefe; man bemerkte scharfsinnig, daß die Art, wie 
Werther aus einer adeligen Gesellschaft entfernt wor-
den, seinen Lebensüberdruß gesteigert habe; die 
Frage über den Selbstmord gab dem Buche noch mehr
Besprechung; einige Narren verfielen auf die Idee, 
sich bei dieser Gelegenheit ebenfalls totzuschießen; 
das Buch machte, durch seinen Stoff, einen bedeuten-
den Knalleffekt. Die Romane von August Lafontaine 
wurden jedoch ebenso gern gelesen, und da dieser un-
aufhörlich schrieb, so war er berühmter als Wolfgang 
Goethe. Wieland war der damalige große Dichter, mit
dem es etwa nur der Herr Odendichter Ramler zu Ber-
lin in der Poesie aufnehmen konnte. Abgöttisch wurde
Wieland verehrt, mehr als jemals Goethe. Das Theater
beherrschte Iffland mit seinen bürgerlich larmoyanten 
Dramen und Kotzebue mit seinen banal witzigen Pos-
sen.
Diese Literatur war es, wogegen sich, während den 
letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Schule 
in Deutschland erhob, die wir die romantische ge-
nannt und als deren Gérants sich uns die Herren Au-
gust Wilhelm und Friedrich Schlegel präsentiert 
haben. Jena, wo sich diese beiden Brüder nebst vielen
gleichgestimmten Geistern auf und zu befanden, war 
der Mittelpunkt, von wo aus die neue ästhetische 
Doktrin sich verbreitete. Ich sage Doktrin, denn diese 
Schule begann mit Beurteilung der Kunstwerke der 
Vergangenheit und mit dem Rezept zu den Kunstwer-
ken der Zukunft. In diesen beiden Richtungen hat die 
Schlegelsche Schule große Verdienste um die ästheti-
sche Kritik. Bei der Beurteilung der schon vorhande-
nen Kunstwerke wurden entweder ihre Mängel und 
Gebrechen nachgewiesen oder ihre Vorzüge und 
Schönheiten beleuchtet. In der Polemik, in jenem Auf-
decken der artistischen Mängel und Gebrechen, waren
die Herren Schlegel durchaus die Nachahmer des 
alten Lessings, sie bemächtigten sich seines großen 
Schlachtschwerts; nur war der Arm des Herren Au-
gust Wilhelm Schlegel viel zu zart-schwächlich und 
das Auge seines Bruders Friedrich viel zu mystisch 
umwölkt, als daß jener so stark und dieser so scharf-
treffend zuschlagen konnte wie Lessing. In der repro-
duzierenden Kritik aber, wo die Schönheiten eines 
Kunstwerks veranschaulicht werden, wo es auf ein 
feines Herausfühlen der Eigentümlichkeiten ankam, 
wo diese zum Verständnis gebracht werden mußten, 
da sind die Herren Schlegel dem alten Lessing ganz 
überlegen. Was soll ich aber von ihren Rezepten für 
anzufertigende Meisterwerke sagen! Da offenbarte 
sich bei den Herren Schlegel eine Ohnmacht, die wir 
ebenfalls bei Lessing zu finden glauben. Auch dieser, 
so stark er im Verneinen ist, so schwach ist er im Be-
jahen, selten kann er ein Grundprinzip aufstellen, 
noch seltener ein richtiges. Es fehlt ihm der feste 
Boden einer Philosophie, eines philosophischen Sy-
stems. Dieses ist nun bei den Herren Schlegel in noch 
viel trostloserem Grade der Fall. Man fabelt mancher-
lei von dem Einfluß des Fichteschen Idealismus und 
der Schellingschen Naturphilosophie auf die 
romantische Schule, die man sogar ganz daraus her-
vorgehen läßt. Aber ich sehe hier höchstens nur den 
Einfluß einiger Fichteschen und Schellingschen Ge-
dankenfragmente, keineswegs den Einfluß einer Phi-
losophie. Herr Schelling, der damals in Jena dozierte, 
hat aber jedenfalls persönlich großen Einfluß auf die 
romantische Schule ausgeübt; er ist, was man in 
Frankreich nicht weiß, auch ein Stück Poet, und es 
heißt, er sei noch zweifelhaft, ob er nicht seine sämtli-
chen philosophischen Lehren in einem poetischen, ja 
metrischen Gewande herausgeben solle. Dieser Zwei-
fel charakterisiert den Mann.
Wenn aber die Herren Schlegel für die Meisterwer-
ke, die sie sich bei den Poeten ihrer Schule bestellten, 
keine feste Theorie angeben konnten, so ersetzten sie 
diesen Mangel dadurch, daß sie die besten Kunstwer-
ke der Vergangenheit als Muster anpriesen und ihren 
Schülern zugänglich machten. Dieses waren nun 
hauptsächlich die Werke der christlich-katholischen 
Kunst des Mittelalters. Die Übersetzung des Shake-
speares, der an der Grenze dieser Kunst steht und 
schon protestantisch klar in unsere moderne Zeit her-
einlächelt, war nur zu polemischen Zwecken be-
stimmt, deren Besprechung hier zu weitläufig wäre. 
Auch wurde diese Übersetzung von Herrn A. W. 
Schlegel unternommen zu einer Zeit, als man sich 
noch nicht ganz ins Mittelalter zurück enthusiasmiert 
hatte. Später, als dieses geschah, ward der Calderon 
übersetzt und weit über den Shakespeare angepriesen;
denn bei jenem fand man die Poesie des Mittelalters 
am reinsten ausgeprägt, und zwar in ihren beiden 
Hauptmomenten, Rittertum und Mönchtum. Die 
frommen Komödien des kastilianischen Priesterdich-
ters, dessen poetischen Blumen mit Weihwasser be-
sprengt und kirchlich geräuchert sind, wurden jetzt 
nachgebildet, mit all ihrer heiligen Grandezza, mit all 
ihrem sazerdotalen Luxus, mit all ihrer gebenedeiten 
Tollheit; und in Deutschland erblühten nun jene bunt-
gläubigen, närrisch tiefsinnigen Dichtungen, in wel-
chen man sich mystisch verliebte, wie in der »An-
dacht zum Kreuz«, oder zur Ehre der Muttergottes 
schlug, wie im »Standhaften Prinzen«; und Zacharias 
Werner trieb das Ding so weit, wie man es nur treiben
konnte, ohne von Obrigkeits wegen in ein Narrenhaus
eingesperrt zu werden.
Unsere Poesie, sagten die Herren Schlegel, ist alt, 
unsere Muse ist ein altes Weib mit einem Spinn-
rocken, unser Amor ist kein blonder Knabe, sondern 
ein verschrumpfter Zwerg mit grauen Haaren, unsere 
Gefühle sind abgewelkt, unsere Phantasie ist verdorrt:
wir müssen uns erfrischen, wir müssen die verschütte-
ten Quellen der naiven, einfältiglichen Poesie des 
Mittelalters wieder aufsuchen, da sprudelt uns entge-
gen der Trank der Verjüngung. Das ließ sich das 
trockne, dürre Volk nicht zweimal sagen; besonders 
die armen Dursthälse, die im märkischen Sande 
saßen, wollten wieder blühend und jugendlich wer-
den, und sie stürzten nach jenen Wunderquellen, und 
das soff und schlürfte und schlückerte mit übermäßi-
ger Gier. Aber es erging ihnen wie der alten Kammer-
jungfer, von welcher man folgendes erzählt: Sie hatte 
bemerkt, daß ihre Dame ein Wunderelixier besaß, das
die Jugend wiederherstellt; in Abwesenheit der Dame 
nahm sie nun aus deren Toilette das Fläschchen, wel-
ches jenes Elixier enthielt, statt aber nur einige Trop-
fen zu trinken, tat sie einen so großen, langen 
Schluck, daß sie durch die höchstgesteigerte Wunder-
kraft des verjüngenden Tranks nicht bloß wieder jung,
sondern gar zu einem ganz kleinen Kinde wurde. 
Wahrlich, so ging es namentlich unserem vortreffli-
chen Herrn Tieck, einem der besten Dichter der Schu-
le; er hatte von den Volksbüchern und Gedichten des 
Mittelalters so viel eingeschluckt, daß er fast wieder 
ein Kind wurde und zu jener lallenden Einfalt herab-
blühte, die Frau v. Staël so sehr viele Mühe hatte zu 
bewundern. Sie gesteht selber, daß es ihr kurios vor-
komme, wenn eine Person in einem Drama mit einem 
Monolog debütiert, welcher mit den Worten anfängt: 
»Ich bin der wackere Bonifazius, und ich komme, 
euch zu sagen« usw.
Herr Ludwig Tieck hat durch seinen Roman 
»Sternbalds Wanderungen« und durch die von ihm 
herausgegebenen und von einem gewissen Wackenro-
der geschriebene »Herzensergießungen eines kunstlie-
benden Klosterbruders« auch den bildenden Künst-
lern die naiven, rohen Anfänge der Kunst als Muster 
dargestellt. Die Frömmigkeit und Kindlichkeit dieser 
Werke, die sich eben in ihrer technischen Unbeholfen-
heit kundgibt, wurde zur Nachahmung empfohlen. 
Von Raffael wollte man nichts mehr wissen, kaum 
einmal von seinem Lehrer Perugino, den man freilich 
schon höher schätzte und in welchem man noch Reste
jener Vortrefflichkeiten entdeckte, deren ganze Fülle 
man in den unsterblichen Meisterwerken des Fra Gio-
vanni Angelico da Fiesole so andachtsvoll bewunder-
te. Will man sich hier einen Begriff von dem Ge-
schmacke der damaligen Kunstenthusiasten machen, 
so muß man nach dem Louvre gehen, wo noch die be-
sten Gemälde jener Meister hängen, die man damals 
unbedingt verehrte; und will man sich einen Begriff 
von dem großen Haufen der Poeten machen, die da-
mals in allen möglichen Versarten die Dichtungen des
Mittelalters nachahmten, so muß man nach dem Nar-
renhaus zu Charenton gehn.
Aber ich glaube, jene Bilder im ersten Saale des 
Louvre sind noch immer viel zu graziöse, als daß man
sich dadurch einen Begriff von dem damaligen Kunst-
geschmack machen könnte. Man muß sich diese 
altitalienischen Bilder noch obendrein ins Altdeutsche
übersetzt denken. Denn man erachtete die Werke der 
altdeutschen Maler für noch weit einfältiglicher und 
kindlicher und also nachahmungswürdiger als die alti-
talienischen. Denn die Deutschen vermögen ja, hieß 
es, mit ihrem Gemüt (ein Wort, wofür die französi-
sche Sprache keinen Ausdruck hat) das Christentum 
tiefer aufzufassen als andere Nationen, und Friedrich 
Schlegel und sein Freund Herr Joseph Görres wühlten
in den alten Städten am Rhein nach den Resten alt-
deutscher Gemälde und Bildwerke, die man, gleich 
heiligen Reliquien, blindgläubig verehrte.
Ich habe eben den deutschen Parnaß jener Zeit mit 
Charenton verglichen. Ich glaube aber, auch hier habe
ich viel zu wenig gesagt. Ein französischer Wahnsinn 
ist noch lange nicht so wahnsinnig wie ein deutscher; 
denn in diesem, wie Polonius sagen würde, ist Metho-
de. Mit einer Pedanterie ohnegleichen, mit einer ent-
setzlichen Gewissenhaftigkeit, mit einer Gründlich-
keit, wovon sich ein oberflächlicher französischer 
Narr nicht einmal einen Begriff machen kann, trieb 
man jene deutsche Tollheit.
Der politische Zustand Deutschlands war der 
christlich-altdeutschen Richtung noch besonders gün-
stig. »Not lehrt beten«, sagt das Sprüchwort, und 
wahrlich, nie war die Not in Deutschland größer und 
daher das Volk dem Beten, der Religion, dem 
Christentum zugänglicher als damals. Kein Volk hegt
mehr Anhänglichkeit für seine Fürsten wie das deut-
sche, und mehr noch als der traurige Zustand, worin 
das Land durch den Krieg und die Fremdherrschaft 
geraten, war es der jammervolle Anblick ihrer besieg-
ten Fürsten, die sie zu den Füßen Napoleons kriechen 
sahen, was die Deutschen aufs unleidlichste betrübte; 
das ganze Volk glich jenen treuherzigen alten Dienern
in großen Häusern, die alle Demütigungen, welche 
ihre gnädige Herrschaft erdulden muß, noch tiefer 
empfinden als diese selbst und die im verborgenen 
ihre kummervollsten Tränen weinen, wenn etwa das 
herrschaftliche Silberzeug verkauft werden soll, und 
die sogar ihre ärmlichen Ersparnisse heimlich dazu 
verwenden, daß nicht bürgerliche Talglichter statt ad-
liger Wachskerzen auf die herrschaftliche Tafel ge-
setzt werden, wie wir solches, mit hinlänglicher Rüh-
rung, in den alten Schauspielen sehen. Die allgemeine
Betrübnis fand Trost in der Religion, und es entstand 
ein pietistisches Hingeben in den Willen Gottes, von 
welchem allein die Hülfe erwartet wurde. Und in der 
Tat, gegen den Napoleon konnte auch gar kein ande-
rer helfen als der liebe Gott selbst. Auf die weltlichen 
Heerscharen war nicht mehr zu rechnen, und man 
mußte vertrauungsvoll den Blick nach dem Himmel 
wenden.
Wir hätten auch den Napoleon ganz ruhig ertragen.
Aber unsere Fürsten, während sie hofften, durch Gott 
von ihm befreit zu werden, gaben sie auch zugleich 
dem Gedanken Raum, daß die zusammengefaßten 
Kräfte ihrer Völker dabei sehr mitwirksam sein möch-
ten: man suchte in dieser Absicht den Gemeinsinn 
unter den Deutschen zu wecken, und sogar die aller-
höchsten Personen sprachen jetzt von deutscher 
Volkstümlichkeit, vom gemeinsamen deutschen Va-
terlande, von der Vereinigung der christlich-germani-
schen Stämme, von der Einheit Deutschlands. Man 
befahl uns den Patriotismus, und wir wurden Patrio-
ten; denn wir tun alles, was uns unsere Fürsten befeh-
len. Man muß sich aber unter diesem Patriotismus 
nicht dasselbe Gefühl denken, das hier in Frankreich 
diesen Namen führt. Der Patriotismus des Franzosen 
besteht darin, daß sein Herz erwärmt wird, durch 
diese Wärme sich ausdehnt, sich erweitert, daß es 
nicht mehr bloß die nächsten Angehörigen, sondern 
ganz Frankreich, das ganze Land der Zivilisation, mit 
seiner Liebe umfaßt; der Patriotismus des Deutschen 
hingegen besteht darin, daß sein Herz enger wird, daß
es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, daß er 
das Fremdländische haßt, daß er nicht mehr Weltbür-
ger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deut-
scher sein will. Da sahen wir nun das idealische Fle-
geltum, das Herr Jahn in System gebracht; es begann 
die schäbige, plumpe, ungewaschene Opposition 
gegen eine Gesinnung, die eben das Herrlichste und 
Heiligste ist, was Deutschland hervorgebracht hat, 
nämlich gegen jene Humanität, gegen jene allgemeine
Menschenverbrüderung, gegen jenen Kosmopolitis-
mus, dem unsere großen Geister, Lessing, Herder, 
Schiller, Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten in 
Deutschland immer gehuldigt haben.
Was sich bald darauf in Deutschland ereignete, ist 
euch allzuwohl bekannt. Als Gott, der Schnee und die
Kosaken die besten Kräfte des Napoleon zerstört hat-
ten, erhielten wir Deutsche den allerhöchsten Befehl, 
uns vom fremden Joche zu befreien, und wir loderten 
auf in männlichem Zorn ob der allzulang ertragenen 
Knechtschaft, und wir begeisterten uns durch die 
guten Melodien und schlechten Verse der Körner-
schen Lieder, und wir erkämpften die Freiheit; denn 
wir tun alles, was uns von unseren Fürsten befohlen 
wird.
In der Periode, wo dieser Kampf vorbereitet wurde,
mußte eine Schule, die dem französischen Wesen 
feindlich gesinnt war und alles deutsch Volkstümliche
in Kunst und Leben hervorrühmte, ihr trefflichstes 
Gedeihen finden. Die romantische Schule ging damals
Hand in Hand mit dem Streben der Regierungen und 
der geheimen Gesellschaften, und Herr A. W. Schle-
gel konspirierte gegen Racine zu demselben Ziel, wie 
der Minister Stein gegen Napoleon konspirierte. Die 
Schule schwamm mit dem Strom der Zeit, nämlich 
mit dem Strom, der nach seiner Quelle zurückströmte.
Als endlich der deutsche Patriotismus und die deut-
sche Nationalität vollständig siegte, triumphierte auch
definitiv die volkstümlich-germanisch-christlich-ro-
mantische Schule, die »neudeutsch-religiös-patrioti-
sche Kunst«. Napoleon, der große Klassiker, der so 
klassisch wie Alexander und Cäsar, stürzte zu Boden,
und die Herren August Wilhelm und Friedrich Schle-
gel, die kleinen Romantiker, die ebenso romantisch 
wie das »Däumchen« und der »Gestiefelte Kater«, er-
hoben sich als Sieger.
Aber auch hier blieb jene Reaktion nicht aus, wel-
che jeder Übertreibung auf dem Fuße folgt. Wie das 
spiritualistische Christentum eine Reaktion gegen die 
brutale Herrschaft des imperial römischen Materialis-
mus war; wie die erneuerte Liebe zur heiter griechi-
schen Kunst und Wissenschaft als eine Reaktion 
gegen den bis zur blödsinnigsten Abtötung ausgearte-
ten christlichen Spiritualismus zu betrachten ist; wie 
die Wiedererweckung der mittelalterlichen Romantik 
ebenfalls für eine Reaktion gegen die nüchterne Nach-
ahmerei der antiken, klassischen Kunst gelten kann: 
so sehen wir jetzt auch eine Reaktion gegen die Wie-
dereinführung jener katholisch-feudalistischen Denk-
weise, jenes Rittertums und Pfaffentums, das in Bild 
und Wort gepredigt worden, und unter höchst 
befremdlichen Umständen. Als nämlich die alten 
Künstler des Mittelalters, die empfohlenen Muster, so
hoch gepriesen und bewundert standen, hatte man ihre
Vortrefflichkeit nur dadurch zu erklären gewußt, daß 
diese Männer an das Thema glaubten, welches sie 
darstellten, daß sie in ihrer kunstlosen Einfalt mehr 
leisten konnten als die späteren glaubenlosen Meister,
die es im Technischen viel weiter gebracht, daß der 
Glauben in ihnen Wunder getan; - und in der Tat, 
wie konnte man die Herrlichkeiten eines Fra Angelico
da Fiesole oder das Gedicht des Bruder Otfried anders
erklären! Die Künstler allnun, die es mit der Kunst 
ernsthaft meinten und die gottvolle Schiefheit jener 
Wundergemälde und die heilige Unbeholfenheit jener 
Wundergedichte, kurz, das unerklärbar Mystische der 
alten Werke nachahmen wollten: diese entschlossen 
sich, zu derselben Hippokrene zu wandern, wo auch 
die alten Meister ihre mirakulöse Begeisterung ge-
schöpft; sie pilgerten nach Rom, wo der Statthalter 
Christi, mit der Milch seiner Eselin, die schwindsüch-
tige deutsche Kunst wieder stärken sollte; mit einem 
Worte, sie begaben sich in den Schoß der alleinselig-
machenden römisch-katholisch-apostolischen Kirche. 
Bei mehreren Anhängern der romantischen Schule be-
durfte es keines formellen Übergangs, sie waren Ka-
tholiken von Geburt, z. B. Herr Görres und Herr Cle-
mens Brentano, und sie entsagten nur ihren bisherigen
freigeistigen Ansichten. Andere aber waren im Scho-
ße der protestantischen Kirche geboren und erzogen, 
z. B. Friedrich Schlegel, Herr Ludwig Tieck, Novalis,
Werner, Schütz, Carové, Adam Müller usw., und ihr 
Übertritt zum Katholizismus bedurfte eines öffentli-
chen Akts. Ich habe hier nur Schriftsteller erwähnt; 
die Zahl der Maler, die scharenweis das evangelische 
Glaubensbekenntuis und die Vernunft abschworen, 
war weit größer.
Wenn man nun sah, wie diese jungen Leute vor der
römisch-katholischen Kirche gleichsam Queue mach-
ten und sich in den alten Geisteskerker wieder hinein-
drängten, aus welchem ihre Väter sich mit so vieler 
Kraft befreit hatten, da schüttelte man in Deutschland 
sehr bedenklich den Kopf. Als man aber entdeckte, 
daß eine Propaganda von Pfaffen und Junkern, die 
sich gegen die religiöse und politische Freiheit Euro-
pas verschworen, die Hand im Spiele hatte, daß es ei-
gentlich der Jesuitismus war, welcher, mit den süßen 
Tönen der Romantik, die deutsche Jugend so verderb-
lich zu verlocken wußte wie einst der fabelhafte Rat-
tenfänger die Kinder von Hameln, da entstand großer 
Unmut und auflodernder Zorn unter den Freunden der 
Geistesfreiheit und des Protestantismus in Deutsch-
land.
Ich habe Geistesfreiheit und Protestantismus zu-
sammen genannt; ich hoffe aber, daß man mich, 
obgleich ich mich in Deutschland zur protestantischen
Kirche bekenne, keiner Parteilichkeit für letztere be-
schuldigen wird. Wahrlich, ohne alle Parteilichkeit 
habe ich Geistesfreiheit und Protestantismus zusam-
men genannt; und in der Tat, es besteht in Deutsch-
land ein freundschaftliches Verhältnis zwischen bei-
den. Auf jeden Fall sind sie beide verwandt, und zwar
wie Mutter und Tochter. Wenn man auch der prote-
stantischen Kirche manche fatale Engsinnigkeit vor-
wirft, so muß man doch zu ihrem unsterblichen 
Ruhme bekennen: indem durch sie die freie Forschung
in der christlichen Religion erlaubt und die Geister 
vom Joche der Autorität befreit wurden, hat die freie 
Forschung überhaupt in Deutschland Wurzel schlagen
und die Wissenschaft sich selbständig entwickeln 
können. Die deutsche Philosophie, obgleich sie sich 
jetzt neben die protestantische Kirche stellt, ja sich 
über sie heben will, ist doch immer nur ihre Tochter; 
als solche ist sie immer in betreff der Mutter zu einer 
schonenden Pietät verpflichtet, und die Verwandt-
schaftsinteressen verlangten es, daß sie sich verbün-
deten, als sie beide von der gemeinschaftlichen Fein-
din, von dem Jesuitismus, bedroht waren. Alle Freun-
de der Gedankenfreiheit und der protestantischen Kir-
che, Skeptiker wie Orthodoxe, erhoben sich zu glei-
cher Zeit gegen die Restauratoren des Katholizismus; 
und wie sich von selbst versteht, die Liberalen, 
welche nicht eigentlich für die Interessen der Philoso-
phie oder der protestantischen Kirche, sondern für die
Interessen der bürgerlichen Freiheit besorgt waren, 
traten ebenfalls zu dieser Opposition. Aber in 
Deutschland waren die Liberalen bis jetzt auch immer
zugleich Schulphilosophen und Theologen, und es ist 
immer dieselbe Idee der Freiheit, wofür sie kämpfen, 
sie mögen nun ein rein politisches oder ein philoso-
phisches oder ein theologisches Thema behandeln. 
Dieses zeigt sich am offenbarsten in dem Leben des 
Mannes, der die romantische Schule in Deutschland 
schon bei ihrer Entstehung untergraben und jetzt am 
meisten dazu beigetragen hat, sie zu stürzen. Es ist 
Johann Heinrich Voß.
Dieser Mann ist in Frankreich gar nicht bekannt, 
und doch gibt es wenige, denen das deutsche Volk, in 
Hinsicht seiner geistigen Ausbildung, mehr verdankt 
als eben ihm. Er ist vielleicht, nach Lessing, der größ-
te Bürger in der deutschen Literatur. Jedenfalls war er
ein großer Mann, und er verdient, daß ich nicht allzu 
kärglichen Wortes ihn bespreche.
Die Biographie des Mannes ist fast die aller deut-
schen Schriftsteller der alten Schule. Er wurde gebo-
ren im Jahr 1751, im Mecklenburgischen, von armen 
Eltern, studierte Theologie, vernachlässigte sie, als er 
die Poesie und die Griechen kennenlernte, beschäftig-
te sich ernsthaft mit diesen beiden, gab Unterricht, um
nicht zu verhungern, wurde Schulmeister zu Ottern-
dorf im Lande Hadeln, übersetzte die Alten und lebte 
arm, frugal und arbeitsam bis in sein fünfundsiebzig-
stes Jahr. Er hatte einen ausgezeichneten Namen unter
den Dichtern der alten Schule; aber die neuen roman-
tischen Poeten zupften beständig an seinem Lorbeer 
und spöttelten viel über den altmodischen, ehrlichen 
Voß, der in treuherziger, manchmal sogar plattdeut-
scher Sprache das kleinbürgerliche Leben an der Nie-
derelbe besungen, der keine mittelalterlichen Ritter 
und Madonnen, sondern einen schlichten protestanti-
schen Pfarrer und seine tugendhafte Familie zu Hel-
den seiner Dichtungen wählte und der so kerngesund 
und bürgerlich und natürlich war, während sie, die 
neuen Troubadouren, so somnambülisch kränklich, so
ritterlich vornehm und so genial unnatürlich waren. 
Dem Friedrich Schlegel, dem berauschten Sänger der 
liederlich-romantischen »Lucinde«, wie fatal mußte er
ihm sein, dieser nüchterne Voß mit seiner keuschen 
Luise und seinem alten, ehrwürdigen Pfarrer von 
Grünau! Herr August Wilhelm Schlegel, der es mit 
der Liederlichkeit und dem Katholizismus nie so ehr-
lich gemeint hat wie sein Bruder, der konnte schon 
mit dem alten Voß viel besser harmonieren, und es 
bestand zwischen beiden eigentlich nur eine Überset-
zerrivalität, die übrigens für die deutsche Sprache von
großem Nutzen war. Voß hatte schon vor Entstehung 
der neuen Schule den Homer übersetzt, jetzt übersetz-
te er, mit unerhörtem Fleiß, auch die übrigen heidni-
schen Dichter des Altertums, während Herr A. W. 
Schlegel die christlichen Dichter der romantisch-ka-
tholischen Zeit übersetzte. Beider Arbeiten wurden 
bestimmt durch die versteckt polemische Absicht: 
Voß wollte die klassische Poesie und Denkweise 
durch seine Übersetzungen befördern, während Herr 
A. W. Schlegel die christlich-romantischen Dichter in
guten Übersetzungen dem Publikum, zur Nachah-
mung und Bildung, zugänglich machen wollte. Ja, der
Antagonismus zeigte sich sogar in den Sprachformen 
beider Übersetzer. Während Herr Schlegel immer 
süßlicher und zimperlicher seine Worte glättete, 
wurde Voß in seinen Übersetzungen immer herber 
und derber, die späteren sind durch die hineingefeilten
Rauheiten fast unaussprechbar, so daß, wenn man auf
dem blankpolierten, schlüpfrigen Mahagoniparkett 
der Schlegelschen Verse leicht ausglitschte, so stol-
perte man ebenso leicht über die versifizierten Mar-
morblöcke des alten Voß. Endlich, aus Rivalität, 
wollte letzterer auch den Shakespeare übersetzen, 
welchen Herr Schlegel in seiner ersten Periode so vor-
trefflich ins Deutsche übertragen; aber das bekam 
dem alten Voß sehr schlecht und seinem Verleger 
noch schlimmer; die Übersetzung mißlang ganz und 
gar. Wo Herr Schlegel vielleicht zu weich übersetzt, 
wo seine Verse manchmal wie geschlagene Sahne 
sind, wobei man nicht weiß, wenn man sie zu Munde 
führt, ob man sie essen oder trinken soll, da ist Voß 
hart wie Stein, und man muß fürchten, sich die Kinn-
lade zu zerbrechen, wenn man seine Verse ausspricht.
Aber was eben den Voß so gewaltig auszeichnete, das
ist die Kraft, womit er gegen alle Schwierigkeiten 
kämpfte; und er kämpfte nicht bloß mit der deutschen 
Sprache, sondern auch mit jenem jesuitisch-aristokra-
tischen Ungetüm, das damals aus dem Walddunkel 
der deutschen Literatur sein mißgestaltetes Haupt her-
vorreckte, und Voß schlug ihm eine tüchtige Wunde.
Herr Wolfgang Menzel, ein deutscher Schriftstel-
ler, welcher als einer der bittersten Gegner von Voß 
bekannt ist, nennt ihn einen niedersächsischen Bau-
ern. Trotz der schmähenden Absicht ist doch diese 
Benennung sehr treffend. In der Tat, Voß ist ein nie-
dersächsischer Bauer, so wie Luther es war; es fehlte 
ihm alles Chevalereske, alle Courtoisie, alle Graziösi-
tät; er gehörte ganz zu jenem derbkräftigen, stark-
männlichen Volksstamme, dem das Christentum mit 
Feuer und Schwert gepredigt werden mußte, der sich 
erst nach drei verlorenen Schlachten dieser Religion 
unterwarf, der aber immer noch, in seinen Sitten und 
Weisen, viel nordisch-heidnische Starrheit behalten 
und in seinen materiellen und geistigen Kämpfen so 
tapfer und hartnäckig sich zeigt wie seine alten 
Götter. Ja, wenn ich mir den Johann Heinrich Voß in 
seiner Polemik und in seinem ganzen Wesen betrach-
te, so ist mir, als sähe ich den alten einäugigen Odin 
selbst, der seine Asenburg verlassen, um Schulmeister
zu werden zu Otterndorf im Lande Hadeln, und der da
den blonden Holsteinern die lateinischen Deklinatio-
nen und den christlichen Katechismus einstudiert und 
der in seinen Nebenstunden die griechischen Dichter 
ins Deutsche übersetzt und von Thor den Hammer 
borgt, um die Verse damit zurechtzuklopfen, und der 
endlich, des mühsamen Geschäftes überdrüssig, den 
armen Fritz Stolberg mit dem Hammer auf den Kopf 
schlägt.
Das war eine famose Geschichte. Friedrich, Graf 
von Stolberg, war ein Dichter der alten Schule und 
außerordentlich berühmt in Deutschland, vielleicht 
minder durch seine poetische Talente als durch den 
Grafentitel, der damals in der deutschen Literatur viel 
mehr galt als jetzt. Aber Fritz Stolberg war ein libera-
ler Mann, von edlem Herzen, und er war ein Freund 
jener bürgerlichen Jünglinge, die in Göttingen eine 
poetische Schule stifteten. Ich empfehle den französi-
schen Literaten, die Vorrede zu den Gedichten von 
Hölty zu lesen, worin Johann Heinrich Voß das idylli-
sche Zusammenleben des Dichterbundes geschildert, 
wozu er und Fritz Stolberg gehörten. Diese beiden 
waren endlich allein übriggeblieben von jener 
jugendlichen Dichterschar. Als nun Fritz Stolberg mit
Eklat zur katholischen Kirche überging und Vernunft 
und Freiheitsliebe abschwor und ein Beförderer des 
Obskurantismus wurde und durch sein vornehmes 
Beispiel gar viele Schwächlinge nachlockte, da trat 
Johann Heinrich Voß, der alte, siebzigjährige Mann, 
dem ebenso alten Jugendfreunde öffentlich entgegen 
und schrieb das Büchlein »Wie ward Fritz Stolberg 
ein Unfreier?« Er analysierte darin dessen ganzes 
Leben und zeigte, wie die aristokratische Natur in 
dem verbrüderten Grafen immer lauernd verborgen 
lag; wie sie nach den Ereignissen der französischen 
Revolution immer sichtbarer hervortrat; wie Stolberg 
sich der sogenannten Adelskette, die den französi-
schen Freiheitsprinzipien entgegenwirken wollte, 
heimlich anschloß; wie diese Adligen sich mit den Je-
suiten verbanden; wie man durch die Wiederherstel-
lung des Katholizismus auch die Adelsinteressen zu 
fördern glaubte; wie überhaupt die Restauration des 
christkatholischen feudalistischen Mittelalters und der
Untergang der protestantischen Denkfreiheit und des 
politischen Bürgertums betrieben wurden. Die deut-
sche Demokratie und die deutsche Aristokratie, die 
sich vor den Revolutionszeiten, als jene noch nichts 
hoffte und diese nichts befürchtete, so unbefangen ju-
gendlich verbrüdert hatten, diese standen sich jetzt als
Greise gegenüber und kämpften den Todeskampf.
Der Teil des deutschen Publikums, der die Bedeu-
tung und die entsetzliche Notwendigkeit dieses 
Kampfes nicht begriffen, tadelte den armen Voß über 
die unbarmherzige Enthüllung von häuslichen Ver-
hältnissen, von kleinen Lebensereignissen, die aber in
ihrer Zusammenstellung ein beweisendes Ganze bil-
deten. Da gab es nun auch sogenannte vornehme See-
len, die, mit aller Erhabenheit, über engherzige Klei-
nigkeitskrämerei schrien und den armen Voß der 
Klatschsucht bezüchtigten. Andere, Spießbürger, die 
besorgt waren, man möchte von ihrer eigenen Misere 
auch einmal die Gardine fortziehen, diese eiferten 
über die Verletzung des literarischen Herkommens, 
wonach alle Persönlichkeiten, alle Enthüllungen des 
Privatlebens, streng verboten seien. Als nun Fritz 
Stolberg in derselben Zeit starb und man diesen Ster-
befall dem Kummer zuschrieb und gar nach seinem 
Tode da »Liebesbüchlein« herauskam, worin er, mit 
frömmelnd christlichem, verzeihendem, echt jesuiti-
schem Tone, über den armen verblendeten Freund 
sich aussprach, da flossen die Tränen des deutschen 
Mitleids, da weinte der deutsche Michel seine dick-
sten Tropfen, und es sammelte sich viel weichherzige 
Wut gegen den armen Voß, und die meisten Schelt-
worte erhielt er von ebendenselben Menschen, für 
deren geistiges und weltliches Heil er gestritten.
Überhaupt kann man in Deutschland auf das 
Mitleid und die Tränendrüsen der großen Menge rech-
nen, wenn man in einer Polemik tüchtig mißhandelt 
wird. Die Deutschen gleichen dann jenen alten Wei-
bern, die nie versäumen, einer Exekution zuzusehen, 
die sich da als die neugierigsten Zuschauer vorandrän-
gen, beim Anblick des armen Sünders und seiner Lei-
den aufs bitterste jammern und ihn sogar verteidigen. 
Diese Klageweiber, die bei literarischen Exekutionen 
so jammervoll sich gebärden, würden aber sehr ver-
drießlich sein, wenn der arme Sünder, dessen Aus-
peitschung sie eben erwarteten, plötzlich begnadigt 
würde und sie sich, ohne etwas gesehen zu haben, 
wieder nach Hause trollen müßten. Ihr vergrößerter 
Zorn trifft dann denjenigen, der sie in ihren Erwartun-
gen getäuscht hat.
Indessen die Vossische Polemik wirkte mächtig auf
das Publikum, und sie zerstörte in der öffentlichen 
Meinung die grassierende Vorliebe für das Mittelal-
ter. Jene Polemik hatte Deutschland aufgeregt, ein 
großer Teil des Publikums erklärte sich unbedingt für 
Voß, ein größerer Teil erklärte sich nur für dessen 
Sache. Es erfolgten Schriften und Gegenschriften, und
die letzten Lebenstage des alten Mannes wurden 
durch diese Händel nicht wenig verbittert. Er hatte es 
mit den schlimmsten Gegnern zu tun, mit den Pfaffen,
die ihn unter allen Vermummungen angriffen. Nicht 
bloß die Kryptokatholiken, sondern auch die 
Pietisten, die Quietisten, die lutherischen Mystiker, 
kurz, alle jene supernaturalistischen Sekten der prote-
stantischen Kirche, die untereinander so sehr ver-
schiedene Meinungen hegen, vereinigten sich doch 
mit gleich großem Haß gegen Johann Heinrich Voß, 
den Rationalisten. Mit diesem Namen bezeichnet man
in Deutschland diejenigen Leute, die der Vernunft 
auch in der Religion ihre Rechte einräumen, im Ge-
gensatz zu den Supernaturalisten, welche sich da, 
mehr oder minder, jeder Vernunfterkenntnis entäußert 
haben. Letztere, in ihrem Hasse gegen die armen Ra-
tionalisten, sind wie die Narren eines Narrenhauses, 
die, wenn sie auch von den entgegengesetztesten 
Narrheiten befangen sind, dennoch sich einigermaßen 
leidlich untereinander vertragen, aber mit der grim-
migsten Erbitterung gegen denjenigen Mann erfüllt 
sind, den sie als ihren gemeinschaftlichen Feind be-
trachten und der eben kein anderer ist als der Irren-
arzt, der ihnen die Vernunft wiedergeben will.
Wurde nun die romantische Schule, durch die Ent-
hüllung der katholischen Umtriebe, in der öffentlichen
Meinung zugrunde gerichtet, so erlitt sie gleichzeitig 
in ihrem eigenen Tempel einen vernichtenden Ein-
spruch, und zwar aus dem Munde eines jener Götter, 
die sie selbst dort aufgestellt. Nämlich Wolfgang 
Goethe trat von seinem Postamente herab und sprach 
das Verdammnisurteil über die Herren Schlegel, über 
dieselben Oberpriester, die ihn mit soviel Weihrauch 
umduftet. Diese Stimme vernichtete den ganzen Spuk;
die Gespenster des Mittelalters entflohen; die Eulen 
verkrochen sich wieder in die obskuren Burgtrümmer;
die Raben flatterten wieder nach ihren alten Kirchtür-
men; Friedrich Schlegel ging nach Wien, wo er täg-
lich Messe hörte und gebratene Hähndel aß; Herr Au-
gust Wilhelm Schlegel zog sich zurück in die Pagode 
des Brahma.
Offen gestanden, Goethe hat damals eine sehr 
zweideutige Rolle gespielt, und man kann ihn nicht 
unbedingt loben. Es ist wahr, die Herren Schlegel 
haben es nie ehrlich mit ihm gemeint; vielleicht nur, 
weil sie in ihrer Polemik gegen die alte Schule auch 
einen lebenden Dichter als Vorbild aufstellen mußten 
und keinen geeigneteren fanden als Goethe, auch von 
diesem einigen literarischen Vorschub erwarteten, 
bauten sie ihm einen Altar und räucherten ihm und 
ließen das Volk vor ihm knien. Sie hatten ihn auch so 
ganz in der Nähe. Von Jena nach Weimar führt eine 
Allee hübscher Bäume, worauf Pflaumen wachsen, 
die sehr gut schmecken, wenn man durstig ist von der 
Sommerhitze; und diesen Weg wanderten die Schlegel
sehr oft, und in Weimar hatten sie manche Unterre-
dung mit dem Herren Geheimerat von Goethe, der 
immer ein sehr großer Diplomat war und die Schlegel 
ruhig anhörte, beifällig lächelte, ihnen manchmal zu 
essen gab, auch sonst einen Gefallen tat usw. Sie hat-
ten sich auch an Schiller gemacht; aber dieser war ein 
ehrlicher Mann und wollte nichts von ihnen wissen. 
Der Briefwechsel zwischen ihm und Goethe, der vor 
drei Jahren gedruckt worden, wirft manches Licht auf 
das Verhältnis dieser beiden Dichter zu den Schle-
geln. Goethe lächelt vornehm über sie hinweg; Schil-
ler ist ärgerlich über ihre impertinente Skandalsucht, 
über ihre Manier, durch Skandal Aufsehen zu ma-
chen, und er nennt sie »Laffen«.
Mochte jedoch Goethe immerhin vornehm tun, so 
hatte er nichtsdestoweniger den größten Teil seiner 
Renommee den Schlegeln zu verdanken. Diese haben 
das Studium seiner Werke eingeleitet und befördert. 
Die schnöde, beleidigende Art, womit er diese beiden 
Männer am Ende ablehnte, riecht sehr nach Undank. 
Vielleicht verdroß es aber den tiefschauenden Goethe,
daß die Schlegel ihn nur als Mittel zu ihren Zwecken 
gebrauchen wollten; vielleicht haben ihn, den Mini-
ster eines protestantischen Staates, diese Zwecke zu 
kompromittieren gedroht; vielleicht war es gar der alt-
heidnische Götterzorn, der in ihm erwachte, als er das
dumpfig katholische Treiben sah: - denn wie Voß 
dem starren einäugigen Odin glich, so glich Goethe 
dem großen Jupiter, in Denkweise und Gestalt. Jener 
freilich mußte mit Thors Hammer tüchtig zuschlagen; 
dieser brauchte nur das Haupt mit den ambrosischen 
Locken unwillig zu schütteln, und die Schlegel zitter-
ten und krochen davon. Ein öffentliches Dokument 
jenes Einspruchs von seiten Goethes erschien im 
zweiten Hefte der Goetheschen Zeitschrift »Kunst und
Altertum«, und es führt den Titel »Über die christlich-
patriotisch-neudeutsche Kunst«. Mit diesem Artikel 
machte Goethe gleichsam seinen achtzehnten Bru-
maire in der deutschen Literatur; denn indem er so 
barsch die Schlegel aus dem Tempel jagte und viele 
ihrer eifrigsten Jünger an seine eigne Person heranzog
und von dem Publikum, dem das Schlegelsche Direk-
torium schon lange ein Greuel war, akklamiert wurde,
begründete er seine Alleinherrschaft in der deutschen 
Literatur. Von jener Stunde an war von den Herren 
Schlegel nicht mehr die Rede; nur dann und wann 
sprach man noch von ihnen, wie man jetzt noch 
manchmal von Barras oder Gohier spricht; man 
sprach nicht mehr von Romantik und klassischer Poe-
sie, sondern von Goethe und wieder von Goethe. Frei-
lich, es traten unterdessen einige Dichter auf den 
Schauplatz, die an Kraft und Phantasie diesem nicht 
viel nachgaben; aber sie erkannten ihn aus Courtoisie 
als ihr Oberhaupt, sie umgaben ihn huldigend, sie kü-
ßten ihm die Hand, sie knieten vor ihm; diese Gran-
den des Parnassus unterschieden sich jedoch von der 
großen Menge dadurch, daß sie auch in Goethes Ge-
genwart ihren Lorbeerkranz auf dem Haupte behalten 
durften. Manchmal auch frondierten sie ihn; sie ärger-
ten sich aber dann, wenn irgendein Geringerer sich 
ebenfalls berechtigt hielt, Goethen zu schelten. Die 
Aristokraten, wenn sie auch noch so böse gegen ihren 
Souverän gestimmt sind, werden doch verdrießlich, 
wenn sich auch der Plebs gegen diesen erhebt. Und 
die geistigen Aristokraten in Deutschland hatten, 
während der beiden letzten Dezennien, sehr gerechte 
Gründe, auf Goethe ungehalten zu sein. Wie ich sel-
ber es damals, mit hinlänglicher Bitterkeit, offen ge-
sagt habe: Goethe glich jenem Ludwig XI., der den 
hohen Adel unterdrückte und den tiers état emporhob.
Das war widerwärtig, Goethe hatte Angst vor 
jedem selbständigen Originalschriftsteller und lob und
pries alle unbedeutende Kleingeister; ja er trieb dieses
so weit, daß es endlich für ein Brevet der Mittelmä-
ßigkeit galt, von Goethe gelobt worden zu sein.
Späterhin spreche ich von den neuen Dichtern, die 
während der Goetheschen Kaiserzeit hervortraten. 
Das ist ein junger Wald, dessen Stämme erst jetzt ihre
Größe zeigen, seitdem die hundertjährige Eiche gefal-
len ist, von deren Zweigen sie so weit überragt und 
überschattet wurden.
Es fehlte, wie schon gesagt, nicht an einer Opposi-
tion, die gegen Goethe, diesen großen Baum, mit Er-
bitterung eiferte. Menschen von den entgegengesetzte-
sten Meinungen vereinigten sich zu solcher 
Opposition. Die Altgläubigen, die Orthodoxen, ärger-
ten sich, daß in dem Stamme des großen Baumes 
keine Nische mit einem Heiligenbildchen befindlich 
war, ja, daß sogar die nackten Dryaden des Heiden-
tums darin ihr Hexenwesen trieben, und sie hätten 
gern, mit geweihter Axt, gleich dem heiligen Bonifa-
zius, diese alte Zaubereiche niedergefällt; die 
Neugläubigen, die Bekenner des Liberalismus, ärger-
ten sich im Gegenteil, daß man diesen Baum nicht zu 
einem Freiheitsbaum und am allerwenigsten zu einer 
Barrikade benutzen konnte. In der Tat, der Baum war 
zu hoch, man konnte nicht auf seinen Wipfel eine rote
Mütze stecken und darunter die Carmagnole tanzen. 
Das große Publikum aber verehrte diesen Baum, eben
weil er so selbständig herrlich war, weil er so lieblich 
die ganze Welt mit seinem Wohlduft erfüllte, weil 
seine Zweige so prachtvoll bis in den Himmel ragten, 
so daß es aussah, als seien die Sterne nur die goldnen 
Früchte des großen Wunderbaums.
Die Opposition gegen Goethe beginnt eigentlich 
mit dem Erscheinen der sogenannten falschen »Wan-
derjahre«, welche unter dem Titel »Wilhelm Meisters 
Wanderjahre« im Jahre 1821, also bald nach dem Un-
tergang der Schlegel, bei Gottfried Basse in Quedlin-
burg herauskamen. Goethe hatte nämlich unter eben-
diesem Titel eine Fortsetzung von »Wilhelm Meisters
Lehrjahren« angekündigt, und sonderbarerweise 
erschien diese Fortsetzung gleichzeitig mit jenem lite-
rarischen Doppelgänger, worin nicht bloß die Goethe-
sche Schreibart nachgeahmt war, sondern auch der 
Held des Goetheschen Originalromans sich als han-
delnde Person darstellte. Diese Nachäffung zeugte 
nicht sowohl von vielem Geiste als vielmehr von gro-
ßem Takte, und da der Verfasser einige Zeit seine An-
onymität zu bewahren wußte und man ihn vergebens 
zu erraten suchte, so ward das Interesse des Publi-
kums noch künstlich gesteigert. Es ergab sich jedoch 
am Ende, daß der Verfasser ein bisher unbekannter 
Landprediger war, namens Pustkuchen, was auf fran-
zösisch omelette soufflée heißt, ein Name, welcher 
auch sein ganzes Wesen bezeichnete. Es war nichts 
anders als der alte pietistische Sauerteig, der sich äs-
thetisch aufgeblasen hatte. Es ward dem Goethe in 
jenem Buche vorgeworfen, daß seine Dichtungen kei-
nen moralischen Zweck hätten; daß er keine edlen Ge-
stalten, sondern nur vulgäre Figuren schaffen könne; 
daß hingegen Schiller die idealisch edelsten Charakte-
re aufgestellt und daher ein größerer Dichter sei.
Letzteres, daß nämlich Schiller größer sei als Goe-
the, war der besondere Streitpunkt, den jenes Buch 
hervorgerufen. Man verfiel in die Manie, die Produkte
beider Dichter zu vergleichen, und die Meinungen 
teilten sich. Die Schillerianer pochten auf die sittliche 
Herrlichkeit eines Max Piccolomini, einer Thekla, 
eines Marquis Posa und sonstiger Schillerschen Thea-
terhelden, wogegen sie die Goetheschen Personen, 
eine Philine, ein Käthchen, ein Klärchen und derglei-
chen hübsche Kreaturen, für unmoralische Weibsbil-
der erklärten. Die Goetheaner bemerkten lächelnd, 
daß letztere und auch die Goetheschen Helden 
schwerlich als moralisch zu vertreten wären, daß aber 
die Beförderung der Moral, die man von Goethes 
Dichtungen verlange, keineswegs der Zweck der 
Kunst sei, denn in der Kunst gäbe es keine Zwecke, 
wie in dem Weltbau selbst, wo nur der Mensch die 
Begriffe »Zweck und Mittel« hineingegrübelt; die 
Kunst, wie die Welt, sei ihrer selbst willen da, und 
wie die Welt ewig dieselbe bleibt, wenn auch in ihrer 
Beurteilung die Ansichten der Menschen unaufhörlich
wechseln, so müsse auch die Kunst von den zeitlichen
Ansichten der Menschen unabhängig bleiben; die 
Kunst müsse daher besonders unabhängig bleiben 
von der Moral, welche auf der Erde immer wechselt, 
sooft eine neue Religion emporsteigt und die alte Re-
ligion verdrängt. In der Tat, da jedesmal nach Abfluß 
einer Reihe Jahrhunderte immer eine neue Religion in 
der Welt aufkommt und, indem sie in die Sitten über-
geht, sich auch als eine neue Moral geltend macht, so 
würde jede Zeit die Kunstwerke der Vergangenheit als
unmoralisch verketzern, wenn solche nach dem Maß-
stabe der zeitigen Moral beurteilt werden sollen. Wie 
wir es auch wirklich erlebt, haben gute Christen, wel-
che das Fleisch als teuflisch verdammen, immer ein 
Ärgernis empfunden beim Anblick der griechischen 
Götterbilder; keusche Mönche haben der antiken 
Venus eine Schürze vorgebunden; sogar bis in die 
neuesten Zeiten hat man den nackten Statuen ein lä-
cherliches Feigenblatt angeklebt; ein frommer Quäker
hat sein ganzes Vermögen aufgeopfert, um die schön-
sten mythologischen Gemälde des Giulio Romano an-
zukaufen und zu verbrennen - wahrlich, er verdiente 
dafür in den Himmel zu kommen und dort täglich mit 
Ruten gepeitscht zu werden! Eine Religion, welche 
etwa Gott nur in die Materie setzte und daher nur das 
Fleisch für göttlich hielte, müßte, wenn sie in die Sit-
ten überginge, eine Moral hervorbringen, wonach nur 
diejenigen Kunstwerke preisenswert, die das Fleisch 
verherrlichen, und wonach im Gegenteil die christli-
chen Kunstwerke, die nur die Nichtigkeit des Flei-
sches darstellen, als unmoralisch zu verwerfen wären. 
Ja, die Kunstwerke, die in dem einen Lande mora-
lisch, werden in einem anderen Lande, wo eine andere
Religion in die Sitten übergegangen, als unmoralisch 
betrachtet werden können, z.B. unsere bildenden 
Künste erregen den Abscheu eines strenggläubigen 
Moslem, und dagegen manche Künste, die in den Ha-
remen des Morgenlands für höchst unschuldig gelten, 
sind dem Christen ein Greuel. Da in Indien der Stand 
einer Bajadere durchaus nicht durch die Sitte fletriert 
ist, so gilt dort das Drama »Vasantasena«, dessen 
Heldin ein feiles Freudenmädchen, durchaus nicht für 
unmoralisch; wagte man es aber einmal, dieses Stück 
im Théâtre Français aufzuführen, so würde das ganze 
Parterre über Immoralität schreien, dasselbe Parterre, 
welches täglich mit Vergnügen die Intrigenstücke be-
trachtet, deren Heldinnen junge Witwen sind, die am 
Ende lustig heuraten, statt sich, wie die indische 
Moral es verlangt, mit ihren verstorbenen Gatten zu 
verbrennen.
Indem die Goetheaner von solcher Ansicht ausge-
hen, betrachten sie die Kunst als eine unabhängige 
zweite Welt, die sie so hoch stellen, daß alles Treiben
der Menschen, ihre Religion und ihre Moral, wech-
selnd und wandelbar unter ihr hin sich bewegt. Ich 
kann aber dieser Ansicht nicht unbedingt huldigen; 
die Goetheaner ließen sich dadurch verleiten, die 
Kunst selbst als das Höchste zu proklamieren und 
von den Ansprüchen jener ersten wirklichen Welt, 
welcher doch der Vorrang gebührt, sich abzuwenden.
Schiller hat sich jener ersten Welt viel bestimmter 
angeschlossen als Goethe, und wir müssen ihn in die-
ser Hinsicht loben. Ihn, den Friedrich Schiller, erfaßte
lebendig der Geist seiner Zeit, er rang mit ihm, er 
ward von ihm bezwungen, er folgte ihm zum Kampfe,
er trug sein Banner, und es war dasselbe Banner, 
worunter man auch jenseits des Rheines so enthusia-
stisch stritt und wofür wir noch immer bereit sind, 
unser bestes Blut zu vergießen. Schiller schrieb für 
die großen Ideen der Revolution, er zerstörte die gei-
stigen Bastillen, er baute an dem Tempel der Freiheit,
und zwar an jenem ganz großen Tempel, der alle Na-
tionen, gleich einer einzigen Brüdergemeinde, um-
schließen soll; er war Kosmopolit. Er begann mit 
jenem Haß gegen die Vergangenheit, welchen wir in 
den »Räubern« sehen, wo er einem kleinen Titanen 
gleicht, der aus der Schule gelaufen ist und Schnaps 
getrunken hat und dem Jupiter die Fenster einwirft; er 
endigte mit jener Liebe für die Zukunft, die schon im 
»Don Carlos« wie ein Blumenwald hervorblüht, und 
er selber ist jener Marquis Posa, der zugleich Prophet 
und Soldat ist, der auch für das kämpft, was er pro-
phezeit, und unter dem spanischen Mantel das schön-
ste Herz trägt, das jemals in Deutschland geliebt und 
gelitten hat.
Der Poet, der kleine Nachschöpfer, gleicht dem lie-
ben Gott auch darin, daß er seine Menschen nach dem
eigenen Bilde erschafft. Wenn daher Karl Moor und 
der Marquis Posa ganz Schiller selbst sind, so gleicht 
Goethe seinem Werther, seinem Wilhelm Meister und
seinem Faust, worin man die Phasen seines Geistes 
studieren kann. Wenn Schiller sich ganz in die Ge-
schichte stürzt, sich für die gesellschaftlichen 
Fortschritte der Menschheit enthusiasmiert und die 
Weltgeschichte besingt, so versenkt sich Goethe mehr
in die individuellen Gefühle oder in die Kunst oder in 
die Natur. Goethe, den Pantheisten, mußte die Natur-
geschichte endlich als ein Hauptstudium beschäftigen,
und nicht bloß in Dichtungen, sondern auch in wis-
senschaftlichen Werken gab er uns die Resultate sei-
ner Forschungen. Sein Indifferentismus war ebenfalls 
ein Resultat seiner pantheistischen Weltansicht.
Es ist leider wahr, wir müssen es eingestehn, nicht 
selten hat der Pantheismus die Menschen zu Indiffe-
rentisten gemacht. Sie dachten: Wenn alles Gott ist, 
so mag es gleichgültig sein, womit man sich beschäf-
tigt, ob mit Wolken oder mit antiken Gemmen, ob mit
Volksliedern oder mit Affenknochen, ob mit Men-
schen oder mit Komödianten. Aber da ist eben der Irr-
tum: Alles ist nicht Gott, sondern Gott ist alles; Gott 
manifestiert sich nicht in gleichem Maße in allen Din-
gen, er manifestiert sich vielmehr nach verschiedenen 
Graden in den verschiedenen Dingen, und jedes trägt 
in sich den Drang, einen höheren Grad der Göttlich-
keit zu erlangen; und das ist das große Gesetz des 
Fortschrittes in der Natur. Die Erkenntnis dieses Ge-
setzes, das am tiefsinnigsten von den Saint-Simoni-
sten offenbart worden, macht jetzt den Pantheismus 
zu einer Weltansicht, die durchaus nicht zum Indiffe-
rentismus führt, sondern zum aufopferungsüchtigsten 
Fortstreben. Nein, Gott manifestiert sich nicht gleich-
mäßig in allen Dingen, wie Wolfgang Goethe glaubte,
der dadurch ein Indifferentist wurde und, statt mit den
höchsten Menschheitsinteressen, sich nur mit Kunst-
spielsachen, Anatomie, Farbenlehre, Pflanzenkunde 
und Wolkenbeobachtungen beschäftigte: Gott manife-
stiert sich in den Dingen mehr oder minder, er lebt in 
dieser beständigen Manifestation, Gott ist in der Be-
wegung, in der Handlung, in der Zeit, sein heiliger 
Odem weht durch die Blätter der Geschichte, letztere 
ist das eigentliche Buch Gottes; und das fühlte und 
ahnte Friedrich Schiller, und er ward ein »rückwärts-
gekehrter Prophet«, und er schrieb den »Abfall der 
Niederlande«, den »Dreißigjährigen Krieg« und die 
»Jungfrau von Orleans« und den »Tell«.
Freilich, auch Goethe besang einige große Emanzi-
pationsgeschichten, aber er besang sie als Artist. Da 
er nämlich den christlichen Enthusiasmus, der ihm 
fatal war, verdrießlich ablehnte und den philosophi-
schen Enthusiasmus unserer Zeit nicht begriff oder 
nicht begreifen wollte, weil er dadurch aus seiner Ge-
mütsruhe herausgerissen zu werden fürchtete, so be-
handelte er den Enthusiasmus überhaupt ganz histo-
risch, als etwas Gegebenes, als einen Stoff, der behan-
delt werden soll, der Geist wurde Materie unter seinen
Händen, und er gab ihm die schöne, gefällige Form. 
So wurde er der größte Künstler in unserer Literatur, 
und alles, was er schrieb, wurde ein abgerundetes 
Kunstwerk.
Das Beispiel des Meisters leitete die Jünger, und in
Deutschland entstand dadurch jene literarische Peri-
ode, die ich einst als »die Kunstperiode« bezeichnet 
und wobei ich den nachteiligen Einfluß auf die politi-
sche Entwickelung des deutschen Volkes nachgewie-
sen habe. Keineswegs jedoch leugnete ich bei dieser 
Gelegenheit den selbständigen Wert der Goetheschen 
Meisterwerke. Sie zieren unser teueres Vaterland, wie
schöne Statuen einen Garten zieren, aber es sind Sta-
tuen. Man kann sich darin verlieben, aber sie sind un-
fruchtbar: die Goetheschen Dichtungen bringen nicht 
die Tat hervor wie die Schillerschen. Die Tat ist das 
Kind des Wortes, und die Goetheschen schönen 
Worte sind kinderlos. Das ist der Fluch alles dessen, 
was bloß durch die Kunst entstanden ist. Die Statue, 
die der Pygmalion verfertigt, war ein schönes Weib, 
sogar der Meister verliebte sich darin, sie wurde le-
bendig unter seinen Küssen, aber soviel wir wissen, 
hat sie nie Kinder bekommen. Ich glaube, Herr Char-
les Nodier hat mal in solcher Beziehung etwas Ähnli-
ches gesagt, und des kam mir gestern in den Sinn, als 
ich, die unteren Säle des Louvre durchwandernd, die 
alten Götterstatuen betrachtete. Da standen sie, mit 
den stummen weißen Augen, in dem marmornen Lä-
cheln eine geheime Melancholie, eine trübe 
Erinnerung vielleicht an Ägypten, das Totenland, dem
sie entsprossen, oder leidende Sehnsucht nach dem 
Leben, woraus sie jetzt durch andere Gottheiten fort-
gedrängt sind, oder auch Schmerz über ihre tote Un-
sterblichkeit: - sie schienen des Wortes zu harren, 
das sie wieder dem Leben zurückgäbe, das sie aus 
ihrer kalten, starren Regungslosigkeit erlöse. Sonder-
bar! diese Antiken mahnten mich an die Goetheschen 
Dichtungen, die ebenso vollendet, ebenso herrlich, 
ebenso ruhig sind und ebenfalls mit Wehmut zu füh-
len scheinen, daß ihre Starrheit und Kälte sie von un-
serem jetzigen bewegt warmen Leben abscheidet, daß 
sie nicht mit uns leiden und jauchzen können, daß sie 
keine Menschen sind, sondern unglückliche Mischlin-
ge von Gottheit und Stein.
Diese wenigen Andeutungen erklären nun den 
Groll der verschiedenen Parteien, die in Deutschland 
gegen Goethe laut geworden. Die Orthodoxen waren 
ungehalten gegen den großen Heiden, wie man Goe-
the allgemein in Deutschland nennt; sie fürchteten sei-
nen Einfluß auf das Volk, dem er durch lächelnde 
Dichtungen, ja durch die unscheinbarsten Liederchen 
seine Weltansicht einflößte; sie sahen in ihm den ge-
fährlichsten Feind des Kreuzes, das ihm, wie er sagte,
so fatal war wie Wanzen, Knoblauch und Tabak; 
nämlich so ungefähr lautet die Xenie, die Goethe aus-
zusprechen wagte, mitten in Deutschland, im Lande, 
wo jenes Ungeziefer, der Knoblauch, der Tabak und 
das Kreuz, in heiliger Allianz überall herrschend sind.
Just dieses war es jedoch keineswegs, was uns, den 
Männern der Bewegung, an Goethe mißfiel. Wie 
schon erwähnt, wir tadelten die Unfruchtbarkeit sei-
nes Wortes, das Kunstwesen, das durch ihn in 
Deutschland verbreitet wurde, das einen quietisieren-
den Einfluß auf die deutsche Jugend ausübte, das 
einer politischen Regeneration unseres Vaterlandes 
entgegenwirkte. Der indifferente Pantheist wurde 
daher von den entgegengesetztesten Seiten angegrif-
fen; um französisch zu sprechen, die äußerste Rechte 
und die äußerste Linke verbanden sich gegen ihn; und
während der schwarze Pfaffe mit dem Kruzifixe gegen
ihn losschlug, rannte gegen ihn zu gleicher Zeit der 
wütende Sansculotte mit der Pike. Herr Wolfgang 
Menzel, der den Kampf gegen Goethe mit einem Auf-
wand von Esprit geführt hat, der eines besseren 
Zweckes wert war, zeigte in seiner Polemik nicht so 
einseitig den spiritualistischen Christen oder den un-
zufriedenen Patrioten: er basierte vielmehr einen Teil 
seiner Angriffe auf die letzten Aussprüche Friedrich 
Schlegels, der nach seinem Fall, aus der Tiefe seines 
katholischen Doms, sein Wehe über Goethe ausgeru-
fen, über den Goethe, »dessen Poesie keinen Mittel-
punkt habe«. Herr Menzel ging noch weiter und zeig-
te, daß Goethe kein Genie sei, sondern nur ein Talent,
er rühmte Schiller als Gegensatz usw. Das geschah 
einige Zeit vor der Juliusrevolution, Herr Menzel war 
damals der größte Verehrer des Mittelalters, sowohl 
in Hinsicht der Kunstwerke als der Institutionen des-
selben, er schmähte mit unaufhörlichem Ingrimm den 
Johann Heinrich Voß, pries mit unerhörter Begeiste-
rung den Herrn Joseph Görres: sein Haß gegen Goe-
the war daher echt, und er schrieb gegen ihn aus 
Überzeugung, also nicht, wie viele meinten, um sich 
dadurch bekannt zu machen. Obgleich ich selber da-
mals ein Gegner Goethes war, so war ich doch unzu-
frieden über die Herbheit, womit Herr Menzel ihn kri-
tisierte, und ich beklagte diesen Mangel an Pietät. Ich 
bemerkte, Goethe sei doch immer der König unserer 
Literatur; wenn man an einen solchen das kritische 
Messer lege, müsse man es nie an der gebührenden 
Courtoisie fehlen lassen, gleich dem Scharfrichter, 
welcher Karl I. zu köpfen hatte und, ehe er sein Amt 
verrichtete, vor dem Könige niederkniete und seine 
allerhöchste Verzeihung erbat.
Unter den Gegnern Goethes gehörte auch der famo-
se Hofrat Müllner und sein einzig treugebliebener 
Freund, der Herr Professor Schütz, Sohn des alten 
Schütz. Noch einige andere, die minder famose 
Namen führten, z.B. ein Herr Spaun, der lange Zeit, 
wegen politischer Vergehen, im Zuchthause gesessen 
hat, gehörten zu den öffentlichen Gegnern Goethes. 
Unter uns gesagt, es war eine sehr gemischte Gesell-
schaft. Was vorgebracht wurde, habe ich hinlänglich 
angedeutet; schwerer ist es, das besondere Motiv zu 
erraten, das jeden einzelnen bewogen haben mag, 
seine antigoetheanischen Überzeugungen öffentlich 
auszusprechen. Nur von einer Person kenne ich dieses
Motiv ganz genau, und da ich dieses selber bin, so 
will ich jetzt ehrlich gestehen: es war der Neid. Zu 
meinem Lobe muß ich jedoch nochmals erwähnen, 
daß ich in Goethe nie den Dichter angegriffen, son-
dern nur den Menschen. Ich habe nie seine Werke ge-
tadelt. Ich habe nie Mängel darin sehen können wie 
jene Kritiker, die mit ihren feingeschliffenen Augen-
gläsern auch die Flecken im Monde bemerkt haben; 
die scharfsichtigen Leute! was sie für Flecken anse-
hen, das sind blühende Wälder, silberne Ströme, erha-
bene Berge, lachende Täler.
Nichts ist törichter als die Geringschätzung Goe-
thes zugunsten des Schiller, mit welchem man es kei-
neswegs ehrlich meinte und den man von jeher pries, 
um Goethe herabzusetzen. Oder wußte man wirklich 
nicht, daß jene hochgerühmten hochidealischen Ge-
stalten, jene Altarbilder der Tugend und Sittlichkeit, 
die Schiller aufgestellt, weit leichter zu verfertigen 
waren als jene sündhaften, kleinweltlichen, befleckten
Wesen, die uns Goethe in seinen Werken erblicken 
läßt? Wissen sie denn nicht, daß mittelmäßige Maler 
meistens lebensgroße Heiligenbilder auf die Lein-
wand pinseln, daß aber schon ein großer Meister dazu
gehört, um etwa einen spanischen Betteljungen, der 
sich laust, einen niederländischen Bauern, welcher 
kotzt oder dem ein Zahn ausgezogen wird, und häßli-
che alte Weiber, wie wir sie auf kleinen holländischen
Kabinettbildchen sehen, lebenswahr und technisch 
vollendet zu malen? Das Große und Furchtbare läßt 
sich in der Kunst weit leichter darstellen als das Klei-
ne und Putzige. Die ägyptischen Zauberer haben dem 
Moses viele Kunststücke nachmachen können, z.B. 
die Schlangen, das Blut, sogar die Frösche; aber als er
scheinbar weit leichtere Zauberdinge, nämlich Unge-
ziefer, hervorbrachte, da gestanden sie ihre Ohn-
macht, und sie konnten das kleine Ungeziefer nicht 
nachmachen, und sie sagten: »Da ist der Finger Got-
tes.« Scheltet immerhin über die Gemeinheiten im 
»Faust«, über die Szenen auf dem Brocken, im Auer-
bachskeller, scheltet auf die Liederlichkeiten im 
»Meister« - das könnt ihr dennoch alles nicht nach-
machen; da ist der Finger Goethes! Aber ihr wollt das
auch nicht nachmachen, und ich höre, wie ihr mit Ab-
scheu behauptet: »Wir sind keine Hexenmeister, wir 
sind gute Christen.« Daß ihr keine Hexenmeister seid,
das weiß ich.
Goethes größtes Verdienst ist eben die Vollendung 
alles dessen, was er darstellt; da gibt es keine Partien,
die stark sind, während andere schwach, da ist kein 
Teil ausgemalt, während der andere nur skizziert wor-
den, da gibt es keine Verlegenheiten, kein herkömmli-
ches Füllwerk, keine Vorliebe für Einzelheiten. Jede 
Person in seinen Romanen und Dramen behandelt er, 
wo sie vorkommt, als wäre sie die Hauptperson. So 
ist es auch bei Homer, so bei Shakespeare. In den 
Werken aller großen Dichter gibt es eigentlich gar 
keine Nebenpersonen, jede Figur ist Hauptperson an 
ihrer Stelle. Solche Dichter gleichen den absoluten 
Fürsten, die den Menschen keinen selbständigen Wert
beimessen, sondern ihnen selber, nach eigenem Gut-
dünken, ihre höchste Geltung zuerkennen. Als ein 
französischer Gesandter einst gegen den Kaiser Paul 
von Rußland erwähnte, daß ein wichtiger Mann sei-
nes Reiches sich für irgendeine Sache interessiere, da 
fiel ihm der Kaiser streng in die Rede, mit den merk-
würdigen Worten: »Es gibt in diesem Reiche keinen 
wichtigen Mann außer denjenigen, mit welchem Ich 
eben spreche, und nur solange Ich mit ihm spreche, ist
er wichtig.« Ein absoluter Dichter, der ebenfalls seine
Macht von Gottes Gnade erhalten hat, betrachtet in 
gleicher Weise diejenige Person seines Geisterreichs 
als die wichtigste, die er eben sprechen läßt, die eben 
unter seine Feder geraten, und aus solchem Kunst-
despotismus entsteht jene wunderbare Vollendung der
kleinsten Figuren in den Werken Homers, 
Shakespeares und Goethes.
Wenn ich etwas herbe von den Gegnern Goethes 
gesprochen habe, so dürfte ich noch viel Herberes von
seinen Apologisten sagen. Die meisten derselben 
haben in ihrem Eifer noch größere Torheiten vorge-
bracht. Auf der Grenze des Lächerlichen steht in die-
ser Hinsicht einer, namens Herr Eckermann, dem es 
übrigens nicht an Geist fehlt. In dem Kampfe gegen 
Herrn Pustkuchen hat Karl Immermann, der jetzt 
unser größter dramatischer Dichter ist, seine kriti-
schen Sporen erworben; er hat da ein vortreffliches 
Schriftchen zutage gefördert. Zumeist haben sich die 
Berliner bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet. Der 
bedeutendste Kämpe für Goethe war zu jeder Zeit 
Varnhagen von Ense, ein Mann, der Gedanken im 
Herzen trägt, die so groß sind wie die Welt, und sie in
Worten ausspricht, die so kostbar und zierlich sind 
wie geschnittene Gemmen. Es ist jener vornehme 
Geist, auf dessen Urteil Goethe immer das meiste Ge-
wicht gelegt hat. - Vielleicht ist es nützlich, hier zu 
erwähnen, daß Herr Wilhelm von Humboldt bereits 
früher ein ausgezeichnetes Buch über Goethe ge-
schrieben hat. Seit den letzten zehn Jahren brachte 
jede Leipziger Messe mehrere Schriften über Goethe 
hervor. Die Untersuchungen des Herrn Schubarth 
über Goethe gehören zu den Merkwürdigkeiten der 
hohen Kritik. Was Herr Häring, der unter dem Namen
Willibald Alexis schreibt, in verschiedenen Zeitschrif-
ten über Goethe gesagt hat, war ebenso bedeutend wie
geistreich. Herr Zimmermann, Professor zu Hamburg,
hat in seinen mündlichen Vorträgen die vortrefflich-
sten Urteile über Goethe ausgesprochen, die man 
zwar spärlich, aber desto tiefsinniger in seinen »Dra-
maturgischen Blättern« angedeutet findet. Auf ver-
schiedenen deutschen Universitäten wurde ein Kolle-
gium über Goethe gelesen, und von allen seinen Wer-
ken war es vorzüglich der »Faust«, womit sich das 
Publikum beschäftigte. Er wurde vielfach fortgesetzt 
und kommentiert, er ward die weltliche Bibel der 
Deutschen.
Ich wäre kein Deutscher, wenn ich bei Erwähnung 
des »Faustes« nicht einige erklärende Gedanken dar-
über ausspräche. Denn vom größten Denker bis zum 
kleinsten Markeur, vom Philosophen bis herab zum 
Doktor der Philosophie übt jeder seinen Scharfsinn an
diesem Buche. Aber es ist wirklich ebenso weit wie 
die Bibel, und wie diese umfaßt es Himmel und Erde, 
mitsamt dem Menschen und seiner Exegese. Der Stoff
ist hier wieder der Hauptgrund, weshalb der »Faust« 
so populär ist; daß er jedoch diesen Stoff herausge-
sucht aus den Volkssagen, das zeugt eben von Goe-
thes unbewußtem Tiefsinn, von seinem Genie, das 
immer das Nächste und Rechte zu ergreifen wußte. 
Ich darf den Inhalt des »Faust« als bekannt 
voraussetzen; denn das Buch ist in der letzten Zeit 
auch in Frankreich berühmt geworden. Aber ich weiß 
nicht, ob hier die alte Volkssage selbst bekannt ist, ob
auch hierzuland, auf den Jahrmärkten, ein graues, 
fließpapiernes, schlechtgedrucktes und mit derben 
Holzschnitten verziertes Buch verkauft wird, worin 
umständlich zu lesen ist, wie der Erzzauberer Johan-
nes Faustus, ein gelehrter Doktor, der alle Wissen-
schaften studiert hatte, am Ende seine Bücher weg-
warf und ein Bündnis mit dem Teufel schloß, wo-
durch er alle sinnlichen Freuden der Erde genießen 
konnte, aber auch seine Seele dem höllischen Verder-
ben hingeben mußte. Das Volk im Mittelalter hat 
immer, wenn es irgendwo große Geistesmacht sah, 
dergleichen einem Teufelsbündnis zugeschrieben, und
der Albertus Magnus, Raimund Lullus, Theophrastus 
Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, auch in England
der Roger Baco, galten für Zauberer, Schwarzkünst-
ler, Teufelsbanner. Aber weit eigentümlichere Dinge 
singt und sagt man von dem Doktor Faustus, welcher 
nicht bloß die Erkenntnis der Dinge, sondern auch die
reellsten Genüsse vom Teufel verlangt hat, und das ist
eben der Faust, der die Buchdruckerei erfunden und 
zur Zeit lebte, wo man anfing, gegen die strenge Kir-
chenautorität zu predigen und selbständig zu for-
schen: - so daß mit Faust die mittelalterliche Glau-
bensperiode aufhört und die moderne kritische 
Wissenschaftsperiode anfängt. Es ist, in der Tat, sehr 
bedeutsam, daß zur Zeit, wo, nach der Volksmeinung,
der Faust gelebt hat, eben die Reformation beginnt 
und daß er selber die Kunst erfunden haben soll, die 
dem Wissen einen Sieg über den Glauben verschafft, 
nämlich die Buchdruckerei, eine Kunst, die uns aber 
auch die katholische Gemütsruhe geraubt und uns in 
Zweifel und Revolutionen gestürzt - ein anderer als 
ich würde sagen, endlich in die Gewalt des Teufels 
geliefert hat. Aber nein, das Wissen, die Erkenntnis 
der Dinge durch die Vernunft, die Wissenschaft, gibt 
uns endlich die Genüsse, um die uns der Glaube, das 
katholische Christentum, so lange geprellt hat; wir er-
kennen, daß die Menschen nicht bloß zu einer himm-
lischen, sondern auch zu einer irdischen Gleichheit 
berufen sind; die politische Brüderschaft, die uns von 
der Philosophie gepredigt wird, ist uns wohltätiger als
die rein geistige Brüderschaft, wozu uns das Christen-
tum verholfen; und das Wissen wird Wort, und das 
Wort wird Tat, und wir können noch bei Lebzeiten 
auf dieser Erde selig werden; - wenn wir dann noch 
obendrein der himmlischen Seligkeit, die uns das 
Christentum so bestimmt verspricht, nach dem Tode 
teilhaftig werden, so soll uns das sehr lieb sein.
Das hat nun längst schon das deutsche Volk tief-
sinnig geahnt: denn das deutsche Volk ist selber jener
gelehrte Doktor Faust, es ist selber jener Spiritualist, 
der mit dem Geiste endlich die Ungenügbarkeit des 
Geistes begriffen und nach materiellen Genüssen ver-
langt und dem Fleische seine Rechte wiedergibt; - 
doch noch befangen in der Symbolik der katholischen 
Poesie, wo Gott als der Repräsentant des Geistes und 
der Teufel als der Repräsentant des Fleisches gilt, be-
zeichnete man jene Rehabilitation des Fleisches als 
einen Abfall von Gott, als ein Bündnis mit dem Teu-
fel.
Es wird aber noch einige Zeit dauern, ehe beim 
deutschen Volke in Erfüllung geht, was es so tiefsin-
nig in jenem Gedichte prophezeit hat, ehe es eben 
durch den Geist die Usurpationen des Geistes einsieht
und die Rechte des Fleisches vindiziert. Das ist dann 
die Revolution, die große Tochter der Reformation.
Minder bekannt als der »Faust« ist hier, in Frank-
reich, Goethes »West-östlicher Divan«, ein späteres 
Buch, von welchem Frau v. Staël noch nicht Kenntnis
hatte und dessen wir hier besonders erwähnen müs-
sen. Es enthält die Denk- und Gefühlsweise des Ori-
ents, in blühenden Liedern und kernigen Sprüchen; 
und das duftet und glüht darin wie ein Harem voll 
verliebter Odalisken mit schwarzen geschminkten Ga-
zellenaugen und sehnsüchtig weißen Armen. Es ist 
dem Leser dabei so schauerlich lüstern zumute wie 
dem glücklichen Gaspard Deburau, als er in Konstan-
tinopel oben auf der Leiter stand und de haut en bas 
dasjenige sah, was der Beherrscher der Gläubigen nur
de bas en haut zu sehen pflegt. Manchmal ist dem 
Leser auch zumute, als läge er behaglich ausgestreckt 
auf einem persischen Teppich und rauche aus einer 
langröhrigen Wasserpfeife den gelben Tabak von 
Turkistan, während eine schwarze Sklavin ihm mit 
einem bunten Pfauenwedel Kühlung zuweht und ein 
schöner Knabe ihm eine Schale mit echtem Mokka-
kaffee darreicht: - den berauschendsten Lebensgenuß 
hat hier Goethe in Verse gebracht, und diese sind so 
leicht, so glücklich, so hingehaucht, so ätherisch, daß 
man sich wundert, wie dergleichen in deutscher Spra-
che möglich war. Dabei gibt er auch in Prosa die 
allerschönsten Erklärungen über Sitten und Treiben 
im Morgenlande, über das patriarchalische Leben der 
Araber; und da ist Goethe immer ruhig lächelnd und 
harmlos wie ein Kind und weisheitvoll wie ein Greis. 
Diese Prosa ist so durchsichtig wie das grüne Meer, 
wenn heller Sommernachmittag und Windstille und 
man ganz klar hinabschauen kann in die Tiefe, wo die
versunkenen Städte mit ihren verschollenen Herrlich-
keiten sichtbar werden; - manchmal ist aber auch jene
Prosa so magisch, so ahnungsvoll wie der Himmel, 
wenn die Abenddämmerung heraufgezogen, und die 
großen Goetheschen Gedanken treten dann hervor, 
rein und golden, wie die Sterne. Unbeschreiblich ist 
der Zauber dieses Buches: es ist ein Selam, den der 
Okzident dem Oriente geschickt hat, und es sind gar 
närrische Blumen darunter: sinnlich rote Rosen, Hor-
tensien wie weiße nackte Mädchenbusen, spaßhaftes 
Löwenmaul, Purpurdigitalis wie lange Menschenfin-
ger, verdrehte Krokosnasen und in der Mitte, lau-
schend verborgen, stille deutsche Veilchen. Dieser 
Selam aber bedeutet, daß der Okzident seines frierend
mageren Spiritualismus überdrüssig geworden und an
der gesunden Körperwelt des Orients sich wieder erla-
ben möchte. Goethe, nachdem er im »Faust« sein 
Mißbehagen an dem abstrakt Geistigen und sein Ver-
langen nach reellen Genüssen ausgesprochen, warf 
sich gleichsam mit dem Geiste selbst in die Arme des 
Sensualismus, indem er den »West-östlichen Divan« 
schrieb.
Es ist daher höchst bedeutsam, daß dieses Buch 
bald nach dem »Faust« erschien. Es war die letzte 
Phase Goethes, und sein Beispiel war von großem 
Einfluß auf die Literatur. Unsere Lyriker besangen 
jetzt den Orient. - Erwähnenswert mag es auch sein, 
daß Goethe, indem er Persien und Arabien so freudig 
besang, gegen Indien den bestimmtesten Widerwillen 
aussprach. Ihm mißfiel an diesem Lande das Bizarre, 
Verworrene, Unklare, und vielleicht entstand diese 
Abneigung dadurch, daß er bei den sanskritischen 
Studien der Schlegel und ihrer Herren Freunde eine 
katholische Hinterlist witterte. Diese Herren 
betrachteten nämlich Hindostan als die Wiege der ka-
tholischen Weltordnung, sie sahen dort das Muster-
bild ihrer Hierarchie, sie fanden dort ihre Dreieinig-
keit, ihre Menschwerdung, ihre Buße, ihre Sühne, ihre
Kasteiungen und alle ihre sonstigen geliebten 
Steckenpferde. Goethes Widerwillen gegen Indien 
reizte nicht wenig diese Leute, und Herr August Wil-
helm Schlegel nannte ihn deshalb mit gläsernem 
Ärger »einen zum Islam bekehrten Heiden«.
Unter den Schriften, welche dieses Jahr über Goe-
the erschienen sind, verdient ein hinterlassenes Werk 
von Johannes Falk, »Goethe aus näherem persönli-
chen Umgange dargestellt«, die rühmlichste Erwäh-
nung. Der Verfasser hat uns in diesem Buche außer 
einer detaillierten Abhandlung über den »Faust« (die 
nicht fehlen durfte!) die vortrefflichsten Notizen über 
Goethe mitgeteilt, und er zeigte uns denselben in allen
Beziehungen des Lebens, ganz naturgetreu, ganz un-
parteiisch, mit allen seinen Tugenden und Fehlern. 
Hier sehen wir Goethe im Verhältnis zu seiner Mut-
ter, deren Naturell sich so wunderbar im Sohne wie-
der abspiegelt; hier sehen wir ihn als Naturforscher, 
wie er eine Raupe beobachtet, die sich eingesponnen 
und als Schmetterling entpuppen wird; hier sehen wir 
ihn dem großen Herder gegenüber, der ernsthaft zürnt 
ob dem Indifferentismus, womit Goethe die Entpup-
pung der Menschheit selbst unbeachtet läßt; wir sehen
ihn, wie er, am Hofe des Großherzogs von Weimar, 
lustig improvisierend unter blonden Hofdamen sitzt, 
gleich dem Apoll unter den Schafen des König Adme-
tos; wir sehen ihn dann wieder, wie er, mit dem Stolze
eines Dalai-Lama, den Kotzebue nicht anerkennen 
will; wie dieser, um ihn herabzusetzen, eine öffentli-
che Feier zu Ehren Schillers veranstaltet; - überall 
aber sehen wir ihn klug, schön, liebenswürdig, eine 
holdselig erquickende Gestalt, ähnlich den ewigen 
Göttern.
In der Tat, die Übereinstimmung der Persönlichkeit
mit dem Genius, wie man sie bei außerordentlichen 
Menschen verlangt, fand man ganz bei Goethe. Seine 
äußere Erscheinung war ebenso bedeutsam wie das 
Wort, das in seinen Schriften lebte; auch seine Gestalt
war harmonisch, klar, freudig, edel gemessen, und 
man konnte griechische Kunst an ihm studieren, wie 
an einer Antike. Dieser würdevolle Leib war nie ge-
krümmt von christlicher Wurmdemut; die Züge dieses
Antlitzes waren nicht verzerrt von christlicher Zer-
knirschung; diese Augen waren nicht christlich sün-
derhaft scheu, nicht andächtelnd und himmelnd, nicht 
flimmernd bewegt: - nein, seine Augen waren ruhig 
wie die eines Gottes. Es ist nämlich überhaupt das 
Kennzeichen der Götter, daß ihr Blick fest ist und ihre
Augen nicht unsicher hin und her zucken. Daher, 
wenn Agni, Varuna, Yama und Indra die Gestalt des 
Nala annehmen, bei Damajantis Hochzeit, da erkennt 
diese ihren Geliebten an dem Zwinken seiner Augen, 
da, wie gesagt, die Augen der Götter immer unbewegt
sind. Letztere Eigenschaft hatten auch die Augen des 
Napoleon. Daher bin ich überzeugt, daß er ein Gott 
war. Goethes Auge blieb in seinem hohen Alter eben-
so göttlich wie in seiner Jugend. Die Zeit hat auch 
sein Haupt zwar mit Schnee bedecken, aber nicht beu-
gen können. Er trug es ebenfalls immer stolz und 
hoch, und wenn er sprach, wurde er immer größer, 
und wenn er die Hand ausstreckte, so war es, als ob 
er, mit dem Finger, den Sternen am Himmel den Weg 
vorschreiben könne, den sie wandeln sollten. Um sei-
nen Mund will man einen kalten Zug von Egoismus 
bemerkt haben; aber auch dieser Zug ist den ewigen 
Göttern eigen, und gar dem Vater der Götter, dem 
großen Jupiter, mit welchem ich Goethe schon oben 
verglichen. Wahrlich, als ich ihn in Weimar besuchte 
und ihm gegenüberstand, blickte ich unwillkürlich zur
Seite, ob ich nicht auch neben ihm den Adler sähe mit
den Blitzen im Schnabel. Ich war nahe daran, ihn 
griechisch anzureden; da ich aber merkte, daß er 
Deutsch verstand, so erzählte ich ihm auf deutsch, 
daß die Pflaumen auf dem Wege zwischen Jena und 
Weimar sehr gut schmeckten. Ich hatte in so manchen
langen Winternächten darüber nachgedacht, wieviel 
Erhabenes und Tiefsinniges ich dem Goethe sagen 
würde, wenn ich ihn mal sähe. Und als ich ihn endlich
sah, sagte ich ihm, daß die sächsischen Pflaumen sehr
gut schmeckten. Und Goethe lächelte. Er lächelte mit 
denselben Lippen, womit er einst die schöne Leda, 
die Europa, die Danae, die Semele und so manche an-
dere Prinzessinnen oder auch gewöhnliche Nymphen 
geküßt hatte --
Les dieux s'en vont. Goethe ist tot. Er starb den 22.
März des verflossenen Jahrs, des bedeutungsvollen 
Jahrs, wo unsere Erde ihre größten Renommeen verlo-
ren hat. Es ist, als sei der Tod in diesem Jahre plötz-
lich aristokratisch geworden, als habe er die Notabili-
täten dieser Erde besonders auszeichnen wollen, 
indem er sie gleichzeitig ins Grab schickte. Vielleicht 
gar hat er jenseits, im Schattenreich, eine Pairie stiften
wollen, und in diesem Falle wäre seine fournée sehr 
gut gewählt. Oder hat der Tod, im Gegenteil, im ver-
flossenen Jahr die Demokratie zu begünstigen ge-
sucht, indem er mit den großen Renommeen auch ihre
Autoritäten vernichtete und die geistige Gleichheit be-
förderte? War es Respekt oder Insolenz, weshalb der 
Tod im vorigen Jahre die Könige verschont hat? Aus 
Zerstreuung hatte er nach dem König von Spanien 
schon die Sense erhoben, aber er besann sich zur 
rechten Zeit, und er ließ ihn leben. In dem verflosse-
nen Jahr ist kein einziger König gestorben. Les dieux 
s'en vont; - aber die Könige behalten wir.

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