Vorreden
zur ersten deutschen Ausgabe
Zur Geschichte der neueren schönen Literatur
in Deutschland
I
Obgleich diese Blätter, die ich, für die »Europe lit-
téraire«, eine hiesige Zeitschrift, geschrieben habe,
erst die Einleitung zu weiteren Artikeln bilden, so
muß ich sie doch jetzt schon dem vaterländischen Pu-
blikum mitteilen, damit kein Dritter mir die Ehre er-
zeigt, mich aus dem Französischen ins Deutsche zu
übersetzen.
In der »Europe littéraire« fehlen einige Stellen, die
ich hier vollständig abdrucke; die Ökonomie der Zeit-
schrift verlangte einige geringfügige Auslassungen.
An Druckfehlern ließ es der deutsche Setzer ebenso-
wenig fehlen wie der französische. Das hier zum
Grunde gelegte Buch der Frau v. Staël heißt »De l'Al-
lemagne«. Ich kann zugleich nicht umhin, eine An-
merkung zu berichtigen, womit die Redaktion der
»Europe littéraire« diese Blätter begleitet hat. Sie be-
merkte nämlich, »daß dem katholischen Frankreich
die deutsche Literatur von einem protestantischen
Standpunkte aus dargestellt werden müsse«. Verge-
bens war meine Einwendung, »es gäbe kein katholi-
sches Frankreich; ich schriebe für kein katholisches
Frankreich; es sei hinreichend, wenn ich selbst erwäh-
ne, daß ich in Deutschland zur protestantischen Kir-
che gehöre; diese Erwähnung, indem sie bloß das
Faktum ausspricht, daß ich das Vergnügen habe, in
einem lutherischen Kirchenbuche als ein evangeli-
scher Christ zu paradieren, gestatte sie mir doch, in
den Büchern der Wissenschaft jede Meinung, selbst
wenn solche dem protestantischen Dogma widersprä-
che, vorzutragen: wohingegen die Anmerkung, ich
schriebe meine Aufsätze vom protestantischen Stand-
punkte aus, mir eine dogmatische Fessel anlegen
würde«. - Vergebens, die Redaktion der »Europe«
hat solche subtile, tüdeske Distinktionen unbeachtet
gelassen. Ich berichte dieses zum Teil, damit man
mich nicht einer Inkonsequenz zeihe, zum Teil auch,
damit mich nicht gar der läppische Argwohn trifft, als
wollte ich auf kirchliche Unterscheidungen einen
Wert legen.
Da die Franzosen unsere deutsche Schulsprache
nicht verstehen, habe ich, bei einigen das Wesen Got-
tes betreffenden Erörterungen, diejenigen Ausdrücke
gebraucht, mit denen sie, durch den apostolischen
Eifer der Saint-Simonisten, vertraut geworden sind;
da nun diese Ausdrücke ganz nackt und bestimmt
meine Meinung aussprechen, habe ich sie auch in der
deutschen Version beibehalten. Junker und Pfaffen,
die, in der letzten Zeit mehr als je, die Macht meines
Wortes gefürchtet und mich deshalb zu depopularisie-
ren gesucht, mögen immerhin jene Ausdrücke miß-
brauchen, um mich, mit einigem Schein, des Materia-
lismus oder gar des Atheismus zu beschuldigen; sie
mögen mich immerhin zum Juden machen oder zum
Saint-Simonisten; sie mögen mit allen möglichen
Verketzerungen mich bei ihrem Pöbel anklagen: -
keine feigen Rücksichten sollen mich jedoch verleiten,
meine Ansicht von den göttlichen Dingen mit den ge-
bräuchlichen, zweideutigen Worten zu verschleiern.
Auch die Freunde mögen mir immerhin darob zürnen,
daß ich meine Gedanken nicht gehörig verstecke, daß
ich die delikatesten Gegenstände schonungslos ent-
hülle, daß ich ein Ärgernis gebe: - weder die Böswil-
ligkeit meiner Feinde noch die pfiffige Torheit meiner
Freunde soll mich davon abhalten, über die wichtigste
Frage der Menschheit, über das Wesen Gottes, unum-
wunden und offen, mein Bekenntnis auszusprechen.
Ich gehöre nicht zu den Materialisten, die den Geist
verkörpern; ich gebe vielmehr den Körpern ihren
Geist zurück, ich durchgeistige sie wieder, ich heilige
sie.
Ich gehöre nicht zu den Atheisten, die da vernei-
nen; ich bejahe.
Die Indifferentisten und sogenannten klugen Leute,
die sich über Gott nicht aussprechen wollen, sind die
eigentlichen Gottesleugner. Solche schweigende Ver-
leugnung wird jetzt sogar zum bürgerlichen Verbre-
chen, indem dadurch den Mißbegriffen gefrönt wird,
die bis jetzt noch immer dem Despotismus als Stütze
dienen.
Anfang und Ende aller Dinge ist in Gott.
Geschrieben zu Paris, den 2. April 1833
Heinrich Heine
II
Die Vorrede des ersten Teiles dieses Buches mag
auch das Erscheinen des zweiten Teiles rechtfertigen.
Jener besprach die Geschichte der romantischen Schu-
le im allgemeinen, dieser bespricht die Häuptlinge
derselben insbesondere. In einem dritten und vierten
Teile wird nachträglich von den übrigen Helden des
Schlegelschen Sagenkreises, dann auch von den Tra-
gödiendichtern aus der letzten Goetheschen Zeit und
endlich von den Schriftstellern meiner eigenen Zeit
die Rede sein.
Eindringlich bitte ich den geneigten Leser, nicht zu
vergessen, daß ich diese Blätter für die »Europe
littéraire« geschrieben und mich den Beschränkungen,
welche dieses Journal in Hinsicht der Politik vor-
zeichnet, einigermaßen fugen mußte.
Da ich selber die Korrektur dieses Buches besorgt,
so bitte ich, eine etwa zu große Menge Druckfehler zu
entschuldigen. Schon ein flüchtiger Anblick meiner
Aushängebogen zeigt mir, daß ich es auch an sonsti-
gen Versehen nicht fehlen lassen. Sehr ernsthaft muß
ich hier berichten, daß der Kaiser Heinrich kein Enkel
des Barbarossa ist und daß Herr August Wilhelm
Schlegel ein Jahr jünger ist, als ich hier angegeben.
Auch das Geburtsjahr Arnims ist unrichtig verzeich-
net. Wenn ich ebenfalls in diesen Blättern mal be-
hauptet, die höhere Kritik in Deutschland habe sich
nie mit Hoffmann beschäftigt, so vergaß ich aus-
nahmsweise zu erwähnen, daß Willibald Alexis, der
Dichter des »Cabanis«, eine Charakteristik Hoff-
manns geschrieben hat.
Paris, den 30. Juni 1833
Heinrich Heine
Vorrede
Den beträchtlichsten Teil dieser Blätter, die ur-
sprünglich in französischer Sprache abgefaßt und an
Franzosen gerichtet sind, habe ich bereits vor einiger
Zeit in deutscher Version, unter dem Titel » Zur Ge-
schichte der neueren schönen Literatur in Deutsch-
land«, dem vaterländischen Publikum mitgeteilt. In
der gegenwärtigen Ergänzung mag das Buch wohl
den neuen Titel »Die romantische Schule« verdienen;
denn ich glaube, daß es dem Leser die Hauptmomente
der literarischen Bewegung, die jene Schule hervorge-
bracht, aufs getreusamste veranschaulichen kann.
Es war meine Absicht, auch die spätere Periode un-
serer Literatur in ähnlicher Form zu besprechen; aber
dringendere Beschäftigungen und äußere Verhältnisse
erlaubten mir nicht, unmittelbar ans Werk zu gehen.
Überhaupt ist die Art der Behandlung und die Weise
der Herausgabe bei meinen letzten Geisteserzeugnis-
sen immer von zeitlichen Umständen bedingt gewe-
sen. So habe ich meine Mitteilungen »Zur Geschichte
der Religion und Philosophie in Deutschland« als
einen zweiten Teil des »Salon« publizieren müssen;
und doch sollte diese Arbeit eigentlich die allgemeine
Einleitung in die deutsche Literatur bilden. Ein beson-
deres Mißgeschick, das mich bei diesem zweiten Teile
des »Salons« betroffen, habe ich bereits, durch die
Tagespresse, zur öffentlichen Kunde gebracht. Mein
Herr Verleger, den ich anklagte, mein Buch eigen-
mächtig verstümmelt zu haben, hat dieser Beschuldi-
gung, durch dasselbe Organ, widersprochen; er erklär-
te jene Verstümmelung für das glorreiche Werk einer
Behörde, die über alle Rügen erhaben ist.
Dem Mitleid der ewigen Götter empfehle ich das
Heil des Vaterlandes und die schutzlosen Gedanken
seiner Schriftsteller.
Geschrieben zu Paris, im Herbst 1835
Heinrich Heine
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