Aus den Memoiren
des Herren
von Schnabelewopski

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel VIII

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Aber nicht bloß in Amsterdam haben die Götter
sich gütigst bemüht, mein Vorurteil gegen Blondinen
zu zerstören. Auch im übrigen Holland hatte ich das
Glück, meine früheren Irrtümer zu berichtigen. Ich
will beileibe die Holländerinnen nicht auf Kosten der
Damen anderer Länder hervorstreichen. Bewahre
mich der Himmel vor solchem Unrecht, welches von
meiner Seite zugleich der größte Undank wäre. Jedes
Land hat seine besondere Küche und seine besondere
Weiblichkeiten, und hier ist alles Geschmacksache.
Der eine liebt gebratene Hühner, der andere gebratene
Enten; was mich betrifft, ich liebe gebratene Hühner
und gebratene Enten und noch außerdem gebratene
Gänse. Von hohem idealischen Standpunkte betrach-
tet, haben die Weiber überall eine gewisse Ähnlich-
keit mit der Küche des Landes. Sind die britischen
Schönen nicht ebenso gesund, nahrhaft, solide, konsi-
stent, kunstlos und doch so vortrefflich wie Alteng-
lands einfach gute Kost: Roastbeef, Hammelbraten,
Pudding in flammendem Kognak, Gemüse in Wasser
gekocht, nebst zwei Saucen, wovon die eine aus ge-
lassener Butter besteht? Da lächelt kein Frikassee, da
täuscht kein flatterndes Vol-au-vent, da seufzt kein
geistreiches Ragout, da tändeln nicht jene
tausendartig gestopften, gesottenen, aufgehüpften, ge-
rösteten, durchzückerten, pikanten, deklamatorischen
und sentimentalen Gerichte, die wir bei einem franzö-
sischen Restaurant finden und die mit den schönen
Französinnen selbst die größte Ähnlichkeit bieten!
Merken wir doch nicht selten, daß bei diesen eben-
falls der eigentliche Stoff nur als Nebensache betrach-
tet wird, daß der Braten selber manchmal weniger
wert ist als die Sauce, daß hier Geschmack, Grazie
und Eleganz die Hauptsache sind. Italiens gelbfette,
leidenschaftgewürzte, humoristisch garnierte, aber
doch schmachtend idealische Küche trägt ganz den
Charakter der italienischen Schönen. Oh, wie sehne
ich mich manchmal nach den lombardischen Stuffa-
dos, nach den Tagliarinis und Broccolis des holdseli-
gen Toskana! Alles schwimmt in Öl, träge und zärt-
lich, und trillert Rossinis süße Melodien und weint
vor Zwiebelduft und Sehnsucht! Den Makkaroni mußt
du aber mit den Fingern essen, und dann heißt er:
Beatrice!
Nur gar zu oft denke ich an Italien und am öftersten
des Nachts. Vorgestern träumte mir, ich befände mich
in Italien und sei ein bunter Harlekin und läge recht
faulenzerisch unter einer Trauerweide. Die herabhän-
genden Zweige dieser Trauerweide waren aber lauter
Makkaroni, die mir lang und lieblich bis ins Maul
hineinfielen; zwischen diesem Laubwerk von
Makkaroni flossen statt Sonnenstrahlen lauter gelbe
Butterströme, und endlich fiel von oben herab ein
weißer Regen von geriebenem Parmesankäse.
Ach! von geträumtem Makkaroni wird man nicht
satt - Beatrice!
Von der deutschen Küche kein Wort. Sie hat alle
möglichen Tugenden und nur einen einzigen Fehler;
ich sage aber nicht welchen. Da gibt's gefühlvolles,
jedoch unentschlossenes Backwerk, verliebte Eier-
speisen, tüchtige Dampfnudeln, Gemütssuppe mit
Gerste, Pfannkuchen mit Äpfel und Speck, tagend
hake Hausklöße, Sauerkohl - wohl dem, der es ver-
dauen kann.
Was die holländische Küche betrifft, so unterschei-
det sie sich von letzterer erstens durch die Reinlich-
keit, zweitens durch die eigentliche Leckerkeit. Be-
sonders ist die Zubereitung der Fische unbeschreibbar
liebenswürdig. Rührend inniger und doch zugleich
tiefsinnlicher Sellerieduft. Selbstbewußte Naivität und
Knoblauch. Tadelhaft jedoch ist es, daß sie Unterho-
sen von Flanell tragen; nicht die Fische, sondern die
schönen Töchter des meerumspülten Hollands.

Aber zu Leiden, als ich ankam, fand ich das Essen
fürchterlich schlecht. Die Republik Hamburg hatte
mich verwöhnt; ich muß die dortige Küche nachträg-
lich noch einmal loben, und bei dieser Gelegenheit
preise ich noch einmal Hamburgs schöne Mädchen
und Frauen. Oh, ihr Götter! in den ersten vier Wo-
chen, wie sehnte ich mich zurück nach den Rauch-
fleischlichkeiten und nach den Mockturteltauben
Hammonias! Ich schmachtete an Herz und Magen.
Hätte sich nicht endlich die Frau Wirtin zur Roten
Kuh in mich verliebt, ich wäre vor Sehnsucht gestor-
ben.

Heil dir, Wirtin zur Roten Kuh!

Es war eine untersetzte Frau mit einem sehr großen
runden Bauche und einem sehr kleinen runden Kopfe.
Rote Wängelein, blaue Äugelein; Rosen und Veil-
chen. Stundenlang saßen wir beisammen im Garten
und tranken Tee aus echt chinesischen Porzellantas-
sen. Es war ein schöner Garten, viereckige und drei-
eckige Beete, symmetrisch bestreut mit Goldsand,
Zinnober und kleinen blanken Muscheln. Die Stämme
der Bäume hübsch rot und blau angestrichen. Kupfer-
ne Käfige voll Kanarienvögel. Die kostbarsten Zwie-
belgewächse in buntbemalten, glasierten Töpfen. Der
Taxus allerliebst künstlich geschnitten, mancherlei
Obelisken, Pyramiden, Vasen, auch Tiergestalten bil-
dend. Da stand ein aus Taxus geschnittener grüner
Ochs, welcher mich fast eifersüchtig ansah, wenn ich
sie umarmte, die holde Wirtin zur Roten Kuh.

Heil dir, Wirtin zur Roten Kuh!

Wenn Myfrau den Oberteil des Kopfes mit den
friesischen Goldplatten umschildet, den Bauch mit
ihrem buntgeblümten Damastrock eingepanzert und
die Arme mit der weißen Fülle ihrer Brabanter Spit-
zen gar kostbar belastet hatte, dann sah sie aus wie
eine fabelhafte chinesische Puppe, wie etwa die Göt-
tin des Porzellans. Wenn ich alsdann in Begeisterung
geriet und sie auf beide Backen laut küßte, so blieb
sie ganz porzellanig steif stehen und seufzte ganz por-
zellanig: »Mynheer!« Alle Tulpen des Gartens schie-
nen dann mitgerührt und mitbewegt zu sein und schie-
nen mitzuseufzen: »Mynheer!«
Dieses delikate Verhältnis schaffte mir manchen
delikaten Bissen. Denn jede solche Liebesszene influ-
enzierte auf den Inhalt der Eßkörbe, welche mir die
vortreffliche Wirtin alle Tage ins Haus schickte.
Meine Tischgenossen, sechs andere Studenten, die auf
meiner Stube mit mir aßen, konnten an de Zuberei-
tung des Kalbsbratens oder des Ochsenfilets jedesmal
schmecken, wie sehr sie mich liebte, die Frau Wirtin
zur Roten Kuh. Wenn das Essen einmal schlecht war,
mußte ich viele demütigende Spötteleien ertragen,
und es hieß dann: »Seht, wie der Schnabelewopski
miserabel aussieht, wie gelb und runzlicht sein Ge-
sicht, wie katzenjämmerlich seine Augen, als wollte
er sie sich aus dem Kopfe herauskotzen, es ist kein
Wunder, daß unsere Wirtin seiner überdrüssig wird
und uns jetzt schlechtes Essen schickt.« Oder man
sagte auch: »Um Gottes willen, der Schnabelewopski
wird täglich schwächer und matter und verliert am
Ende ganz die Gunst unserer Wirtin, und wir kriegen
dann immer schlechtes Essen wie heut - wir müssen
ihn tüchtig füttern, damit er wieder ein feuriges Äuße-
re gewinnt.« Und dann stopften sie mir just die aller-
schlechtesten Stücke ins Maul und nötigten mich,
übergebührlich viel Sellerie zu essen. Gab es aber
magere Küche mehrere Tage hintereinander, dann
wurde ich mit den ernsthaftesten Bitten bestürmt, für
besseres Essen zu sorgen, das Herz unserer Wirtin
aufs neue zu entflammen, meine Zärtlichkeit für sie zu
erhöhen, kurz, mich fürs allgemeine Wohl aufzuop-
fern. In langen Reden wurde mir dann vorgestellt, wie
edel, wie herrlich es sei, wenn jemand für das Heil
seiner Mitbürger sich heroisch resigniert, gleich dem
Regulus, welcher sich in eine alte vernagelte Tonne
stecken ließ, oder auch gleich dem Theseus, welcher
sich in die Höhle des Minotaurs freiwillig begeben
hat - und dann wurde der Livius zitiert und der Plut-
arch usw. Auch sollte ich bildlich zur Nacheiferung
gereizt werden, indem man jene Großtaten auf die
Wand zeichnete, und zwar mit grotesken Anspielun-
gen; denn der Minotaur sah aus wie die rote Kuh auf
dem wohlbekannten Wirtshausschilde, und die kar-
thaginiensische vernagelte Tonne sah aus wie meine
Wirtin selbst. Überhaupt hatten jene undankbaren
Menschen die äußere Gestalt der vortrefflichen Frau
zur beständigen Zielscheibe ihres Witzes gewählt. Sie
pflegten gewöhnlich ihre Figur aus Äpfeln zusam-
menzusetzen oder aus Brotkrumen zu kneten. Sie nah-
men dann ein kleines Äpfelchen, welches der Kopf
sein sollte, setzten dieses auf einen ganz großen
Apfel, welcher den Bauch vorstellte, und dieser stand
wieder auf zwei Zahnstochern, welche sich für Beine
ausgaben. Sie formten auch wohl aus Brotkrumen das
Bild unserer Wirtin und kneteten dann ein ganz win-
ziges Püppchen, welches mich selber vorstellen sollte,
und dieses setzten sie dann auf die große Figur und
rissen dabei die schlechtesten Vergleiche. Z. B. der
eine bemerkte, die kleine Figur sei Hannibal, welcher
über die Alpen steigt. Ein anderer meinte hingegen, es
sei Marius, welcher auf den Ruinen von Karthago
sitzt. Dem sei nun, wie ihm wolle, wäre ich nicht
manchmal über die Alpen gestiegen oder hätte ich
mich nicht manchmal auch die Ruinen von Karthago
gesetzt, so würden meine Tischgenossen beständig
schlechtes Essen bekommen haben.

VII

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