Aus den Memoiren
des Herren
von Schnabelewopski

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel VII

I|II|III|IV|V|VI|VII|VIII|IX|X|XI|XII|XIII|XIV

Die Fabel von dem Fliegenden Holländer ist euch
gewiß bekannt. Es ist die Geschichte von dem ver-
wünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen
kann und jetzt schon seit undenklicher Zeit auf dem
Meere herumfährt. Begegnet es einem anderen Fahr-
zeuge, so kommen einige von der unheimlichen
Mannschaft in einem Boote herangefahren und bitten,
ein Paket Briefe gefälligst mitzunehmen. Diese Briefe
muß man an den Mastbaum festnageln, sonst wider-
fährt dem Schiffe ein Unglück, besonders wenn keine
Bibel an Bord oder kein Hufeisen am Fockmaste be-
findlich ist. Die Briefe sind immer an Menschen
adressiert, die man gar nicht kennt oder die längst ver-
storben, so daß zuweilen der späte Enkel einen Lie-
besbrief in Empfang nimmt, der an seine Urgroßmut-
ter gerichtet ist, die schon seit hundert Jahr im Grabe
liegt. Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte
Schiff führt seinen Namen von seinem Kapitän, einem
Holländer, der einst bei allen Teufeln geschworen,
daß er irgendein Vorgebirge, dessen Namen mir ent-
fallen, trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte,
umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum Jüngsten
Tage segeln müssen. Der Teufel hat ihn beim Wort
gefaßt, er muß bis zum Jüngsten Tage auf dem Meere
herumirren, es sei denn, daß er durch die Treue eines
Weibes erlöst werde. Der Teufel, dumm wie er ist,
glaubt nicht an Weibertreue und erlaubte daher dem
verwünschten Kapitän, alle sieben Jahr einmal ans
Land zu steigen und zu heuraten und bei dieser Gele-
genheit seine Erlösung zu betreiben. Armer Hollän-
der! Er ist oft froh genug, von der Ehe selbst wieder
erlöst und seine Erlöserin loszuwerden, und er begibt
sich dann wieder an Bord.
Auf diese Fabel gründete sich das Stück, das ich im
Theater zu Amsterdam gesehen. Es sind wieder sieben
Jahr verflossen, der arme Holländer ist des endlosen
Umherirrens müder als jemals, steigt ans Land,
schließt Freundschaft mit einem schottischen Kauf-
mann, dem er begegnet, verkauft ihm Diamanten zu
spottwohlfeilem Preise, und wie er hört, daß sein
Kunde eine schöne Tochter besitzt, verlangt er sie zur
Gemahlin. Auch dieser Handel wird abgeschlossen.
Nun sehen wir das Haus des Schotten, das Mädchen
erwartet den Bräutigam zagen Herzens. Sie schaut oft
mit Wehmut nach einem großen verwitterten Gemäl-
de, welches in der Stube hängt und einen schönen
Mann in spanisch-niederländischer Tracht darstellt; es
ist ein altes Erbstück, und nach der Aussage der
Großmutter ist es ein getreues Konterfei des Fliegen-
den Holländers, wie man ihn vor hundert Jahr in
Schottland gesehen, zur Zeit König Wilhelms von
Oranien. Auch ist mit diesem Gemälde eine überlie-
ferte Warnung verknüpft, daß die Frauen der Familie
sich vor dem Originale hüten sollten. Eben deshalb
hat das Mädchen von Kind auf sich die Züge des ge-
fährlichen Mannes ins Herz geprägt. Wenn nun der
wirkliche Fliegende Holländer leibhaftig hereintritt,
erschrickt das Mädchen; aber nicht aus Furcht. Auch
jener ist betroffen bei dem Anblick des Porträts. Als
man ihm bedeutet, wen es vorstelle, weiß er jedoch
jeden Argwohn von sich fernzuhalten; er lacht über
den Aberglauben, er spöttelt selber über den Fliegen-
den Holländer, den Ewigen Juden des Ozeans; jedoch
unwillkürlich in einen wehmütigen Ton übergehend,
schildert er, wie Mynheer auf der unermeßlichen Was-
serwüste die unerhörtesten Leiden erdulden müsse,
wie sein Leib nichts anderes sei als ein Sarg von
Fleisch, worin seine Seele sich langweilt, wie das
Leben ihn von sich stößt und auch der Tod ihn ab-
weist: gleich einer leeren Tonne, die sich die Wellen
einander zuwerfen und sich spottend einander zurück-
werfen, so werde der arme Holländer zwischen Tod
und Leben hin und her geschleudert, keins von beiden
wolle ihn behalten; sein Schmerz sei tief wie das
Meer, worauf er herumschwimmt, sein Schiff sei ohne
Anker und sein Herz ohne Hoffnung.
Ich glaube, dieses waren ungefähr die Worte,
womit der Bräutigam schließt. Die Braut betrachtet
ihn ernsthaft und wirft manchmal Seitenblicke nach
seinem Konterfei. Es ist, als ob sie sein Geheimnis
erraten habe, und wenn er nachher fragt: »Katharina,
willst du mir treu sein?«, antwortet sie entschlossen:
»Treu bis in den Tod.«
Bei dieser Stelle, erinnere ich mich, hörte ich la-
chen, und dieses Lachen kam nicht von unten, aus der
Hölle, sondern von oben, vom Paradiese. Als ich hin-
aufschaute, erblickte ich eine wunderschöne Eva, die
mich mit ihren großen blauen Augen verführerisch
ansah. Ihr Arm hing über der Galerie herab, und in
der Hand hielt sie einen Apfel oder vielmehr eine Ap-
felsine. Statt mir aber symbolisch die Hälfte anzubie-
ten, warf sie mir bloß metaphorisch die Schalen auf
den Kopf. War es Absicht oder Zufall? Das wollte ich
wissen. Ich war aber, als ich ins Paradies hinaufstieg,
um die Bekanntschaft fortzusetzen, nicht wenig be-
fremdet, ein weißes sanftes Mädchen zu finden, eine
überaus weiblich weiche Gestalt, nicht schmächtig,
aber doch kristallig zart, ein Bild häuslicher Zucht
und beglückender Holdseligkeit. Nur um die linke
Oberlippe zog sich etwas oder vielmehr ringelte sich
etwas wie das Schwänzchen einer fortschlüpfenden
Eidechse. Es war ein geheimnisvoller Zug, wie man
ihn just nicht bei den reinen Engeln, aber auch nicht
bei häßlichen Teufeln zu finden pflegt. Dieser Zug be-
deutete weder das Gute noch das Böse, sondern bloß
ein schlimmes Wissen; es ist ein Lächeln, welches
vergiftet worden von jenem Apfel der Erkenntnis, den
der Mund genossen. Wenn ich diesen Zug auf wei-
chen vollrosigen Mädchenlippen sehe, dann fühl ich
in den eigenen Lippen ein krampfhaftes Zucken, ein
zuckendes Verlangen, jene Lippen zu küssen; es ist
Wahlverwandtschaft.
Ich flüsterte daher dem schönen Mädchen ins Ohr:
»Juffrouw! ich will deinen Mund küssen.«
»Bei Gott, Mynheer, das ist ein guter Gedanke!«
war die Antwort, die hastig und mit entzückendem
Wohllaut aus dem Herzen hervorklang.
Aber nein - die ganze Geschichte, die ich hier zu
erzählen dachte und wozu der Fliegende Holländer
nur als Rahmen dienen sollte, will ich jetzt unter-
drücken. Ich räche mich dadurch an den Prüden, die
dergleichen Geschichten mit Wonne einschlürfen und
bis an den Nabel, ja noch tiefer, davon entzückt sind
und nachher den Erzähler schelten und in Gesellschaft
über ihn die Nase rümpfen und ihn als unmoralisch
verschreien. Es ist eine gute Geschichte, köstlich wie
eingemachte Ananas oder wie frischer Kaviar oder
wie Trüffel in Burgunder, und wäre eine angenehme
Lektüre nach der Betstunde; aber aus Ranküne, zur
Strafe für frühere Unbill, will ich sie unterdrücken.
Ich mache daher hier einen langen Gedankenstrich -
Dieser Strich bedeutet ein schwarzes Sofa, und
darauf passierte die Geschichte, die ich nicht erzähle.
Der Unschuldige muß mit dem Schuldigen leiden, und
manche gute Seele schaut mich jetzt an mit einem bit-
tenden Blick. Je nun, diesen Besseren will ich im Ver-
trauen gestehn, daß ich noch nie so wild geküßt wor-
den wie von jener holländischen Blondine und daß
diese das Vorurteil, welches ich bisher gegen blonde
Haare und blaue Augen hegte, aufs siegreichste zer-
stört hat. Jetzt erst begriff ich, warum ein englischer
Dichter solche Damen mit gefrorenem Champagner
verglichen hat. In der eisigen Hülle lauert der heißeste
Extrakt. Es gibt nichts Pikanteres als der Kontrast
jener äußeren Kälte und der inneren Glut, die bac-
chantisch emporlodert und den glücklichen Zecher un-
widerstehlich berauscht. Ja, weit mehr als in Brünet-
ten zehrt der Sinnenbrand in manchen scheinstillen
Heiligenbildern mit goldenem Glorienhaar und blauen
Himmelsaugen und frommen Lilienhänden. Ich weiß
eine Blondine aus einem der besten niederländischen
Häuser, die zuweilen ihr schönes Schloß am Zuider-
see verließ und inkognito nach Amsterdam und dort
ins Theater ging, jedem, der ihr gefiel, Apfelsinen-
schalen auf den Kopf warf, zuweilen gar in Matrosen-
herbergen die wüsten Nächte zubrachte, eine holländi-
sche Messaline.
-- Als ich ins Theater noch einmal zurückkehrte,
kam ich eben zur letzten Szene des Stücks, wo auf
einer hohen Meerklippe das Weib des Fliegenden
Holländers, die Frau Fliegende Holländerin, verzweif-
lungsvoll die Hände ringt, während auf dem Meere,
auf dem Verdeck seines unheimlichen Schiffes, ihr
unglücklicher Gemahl zu schauen ist. Er liebt sie und
will sie verlassen, um sie nicht ins Verderben zu zie-
hen, und er gesteht ihr sein grauenhaftes Schicksal
und den schrecklichen Fluch, der auf ihm lastet. Sie
aber ruft mit lauter Stimme: »Ich war dir treu bis zu
dieser Stunde, und ich weiß ein sicheres Mittel, wo-
durch ich dir meine Treue erhalte bis in den Tod!«
Bei diesen Worten stürzt sich das treue Weib ins
Meer, und nun ist auch die Verwünschung des Flie-
genden Holländers zu Ende, er ist erlöst, und wir
sehen, wie das gespenstische Schiff in den Abgrund
des Meeres versinkt.
Die Moral des Stückes ist für die Frauen, daß sie
sich in acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Hol-
länder zu heuraten; und wir Männer ersehen aus die-
sem Stücke, wie wir durch die Weiber, im günstigsten
Falle, zugrunde gehn.
VI

VIII

I|II|III|IV|V|VI|VII|VIII|IX|X|XI|XII|XIII|XIV