Aus den Memoiren
des Herren
von Schnabelewopski

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel V

I|II|III|IV|V|VI|VII|VIII|IX|X|XI|XII|XIII|XIV

Während ich das vorige Kapitel hinschrieb, dacht
ich unwillkürlich an ganz etwas anders. Ein altes Lied
summte mir beständig im Gedächtnis, und Bilder und
Gedanken verwirrten sich aufs unleidlichste; ich mag
wollen oder nicht, ich muß von jenem Liede sprechen.
Vielleicht auch gehört es hierher, und es drängt sich
mit Recht in mein Geschreibsel hinein. Ja, ich fange
jetzt sogar an, es zu verstehen, und ich verstehe jetzt
auch den verdüsterten Ton, womit der Claas Hinrich-
son es sang; er war ein Jütländer und diente bei uns
als Pferdeknecht. Er sang es noch den Abend vorher,
ehe er sich in unserem Stall erhenkte. Bei dem Refrain
»Schau dich um, Herr Vonved!« lachte er manchmal
gar bitterlich; die Pferde wieherten dabei sehr angst-
voll, und der Hofhund bellte, als stürbe jemand. Es ist
das altdänische Lied von dem Herrn Vonved, der in
die Welt ausreitet und sich so lange darin herum-
schlägt, bis man seine Fragen beantwortet, und der
endlich, wenn alle seine Rätsel gelöst sind, gar ver-
drießlich nach Hause reitet. Die Harfe klingt von An-
fang bis zu Ende. Was sang er im Anfang? was sang
er am Ende? Ich hab oft drüber nachgedacht. Claas
Hinrichsons Stimme war manchmal tränenweich,
wenn er das Lied anfing, und wurde allmählich rauh
und grollend wie das Meer, wenn ein Sturm heran-
zieht. Es beginnt:

Herr Vonved sitzt im Kämmerlein,
Er schlägt die Goldharf' an so rein,
Er schlägt die Goldharf' unterm Kleid,
Da kommt seine Mutter gegangen herein.
Schau dich um, Herr Vonved!

Das war seine Mutter Adelin, die Königin, die
spricht zu ihm: Mein junger Sohn, laß andere die
Harfe spielen, gürt um das Schwert, besteige dein
Roß, reit aus, versuche deinen Mut, kämpfe und
ringe, schau dich um in der Welt, schau dich um, Herr
Vonved. Und

Herr Vonved bindet sein Schwert an die Seite,
Ihn lüstet, mit Kämpfern zu streiten;
So wunderlich ist seine Fahrt:
Gar keinen Mann er drauf gewahrt.
Schau dich um, Herr Vonved!

Sein Helm war blinkend,
Sein Sporn war klingend,
Sein Roß war springend,
Selbst war der Herr so schwingend.
Schau dich um, Herr Vonved!

Ritt einen Tag, ritt drei darnach,
Doch nimmer eine Stadt er sah;
»Eia«, sagte der junge Mann,
»Ist keine Stadt in diesem Land?«
Schau dich um, Herr Vonved!

Er ritt wohl auf dem Weg dahin,
Herr Thule Vang begegnet' ihm;
Herr Thule mit seinen zwölf Söhnen zumal,
Die waren gute Ritter all.
Schau dich um, Herr Vonved!

»Mein jüngster Sohn, hör du mein Wort:
Den Harnisch tausch mit mir sofort,
Unter uns tauschen wir das Panzerkleid,
Eh' wir schlagen diesen Helden frei.«
Schau dich um, Herr Vonved!

Herr Vonved reißt sein Schwert von der Seite,
Es lüstet ihn, mit Kämpfern zu streiten:
Erst schlägt er den Herren Thule selbst,
Darnach all seine Söhne zwölf.
Schau dich um, Herr Vonved!

Herr Vonved bindet sein Schwert an die Seite, es
lüstet ihn, weiter auszureiten. Da kommt er zu dem
Weidmann und verlangt von ihm die Hälfte seiner
Jagdheute; der aber will nicht teilen und muß mit ihm
kämpfen und wird erschlagen. Und

Herr Vonved bindet sein Schwert an die Seite,
Ihn lüstet, weiter auszureiten;
Zum großen Berge der Held hinreit't,
Sieht, wie der Hirte das Vieh da treibt.
Schau dich um, Herr Vonved!

»Und hör du, Hirte, sag du mir:
Wes ist das Vieh, das du treibst vor dir?
Und was ist runder als ein Rad?
Wo wird getrunken fröhliche Weihnacht?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Sag: wo steht der Fisch in der Flut?
Und wo ist der rote Vogel gut?
Wo mischet man den besten Wein?
Wo trinkt Vidrich mit den Kämpfern sein?«
Schau dich um, Herr Vonved!

Da saß der Hirt, so still sein Mund,
Davon er gar nichts sagen kunnt.
Er schlug nach ihm mit der Zunge,
Da fiel heraus Leber und Lunge.
Schau dich um, Herr Vonved!

Und er kommt zu einer anderen Herde, und da sitzt
wieder ein Hirt, an den er seine Fragen richtet. Dieser
aber gibt ihm Bescheid, und Herr Vonved nimmt
einen Goldring und steckt ihn dem Hirten an den
Arm. Dann reitet er weiter und kommt zu Tyge Nold
und erschlägt ihn mitsamt seinen zwölf Söhnen. Und
wieder

Er warf herum sein Pferd,
Herr Vonved, der junge Edelherr;
Er tät über Berg und Tale dringen,
Doch konnt er niemand zur Rede bringen.
Schau dich um, Herr Vonved!

So kam er zu der dritten Schar.
Da saß ein Hirt mit silbernem Haar:
»Hör du, guter Hirte mit deiner Herd',
Du gibst mir gewißlich Antwort wert.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Was ist runder als ein Rad?
Wo wird getrunken die beste Weihnacht?
Wo geht die Sonne zu ihrem Sitz?
Und wo ruhn eines toten Mannes Füß'?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Was füllet aus alle Tale?
Was kleidet am besten im Königssaale?
Was ruft lauter, als der Kranich kann?
Und was ist weißer als ein Schwan?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Wer trägt den Bart auf seinem Rück'?
Wer trägt die Nas' unter seinem Kinn?
Als ein Riegel, was ist schwärzer noch mehr?
Und was ist rascher als ein Reh?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Wo ist die allerbreiteste Brück'?
Was ist am meisten zuwider der Menschen Blick?
Wo wird gefunden der höchste Gang?
Wo wird getrunken der kälteste Trank?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Die Sonn' ist runder als ein Rad,
Im Himmel begeht man die fröhliche Weihnacht,
Gen Westen geht die Sonne zu ihrem Sitz.
Gen Osten ruhn eines toten Mannes Füß'.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Der Schnee füllt aus alle Tale,
Am herrlichsten kleidet der Mut im Saale,
Der Donner ruft lauter, als der Kranich kann,
Und Engel sind weißer als der Schwan.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Der Kiebitz trägt den Bart in dem Nacken sein,
Der Bär hat die Nas' unterm Kinn allein,
Die Sünde schwärzer ist als ein Riegel noch mehr
Und der Gedanke rascher als ein Reh.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Das Eis macht die allerbreiteste Brück',
Die Kröt' ist am meisten zuwider des Menschen
Blick,
Zum Paradies geht der höchste Gang,
Da unten, da trinkt man den kältesten Trank.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Weisen Spruch und Rat hast du nun hier,
So wie ich ihn habe gegeben dir.«
»Nun hab ich so gutes Vertrauen auf dich,
Viel Kämpfer zu finden bescheidest du mich.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Ich weis dich zu der Sonderburg,
Da trinken die Helden den Met ohne Sorg',
Dort findest du viel Kämpfer und Rittersleut',
Die können viel gut sich wehren im Streit.«
Schau dich um, Herr Vonved!

Er zog einen Goldring von der Hand,
Der wog wohl fünfzehn goldne Pfund;
Den tät er dem alten Hirten reichen,
Weil er ihm durft die Helden anzeigen.
Schau dich um, Herr Vonved!

Und er reitet ein in die Burg, und er erschlägt zu-
erst den Randulf, hernach den Strandulf.

Er schlug den starken Ege Under,
Er schlug den Ege Karl, seinen Bruder,
So schlug er in die Kreuz und Quer,
Er schlug die Feinde vor sich her.
Schau dich um, Herr Vonved!

Herr Vonved steckt sein Schwert in die Scheide,
Er denkt noch weiter fort zu reiten.
Er findet da in der wilden Mark
Einen Kämpfer, und der war viel stark.
Schau dich um, Herr Vonved!

»Sag mir, du edler Ritter gut,
Wo steht der Fisch in der Flut?
Wo wird geschenkt der beste Wein?
Und wo trinkt Vidrich mit den Kämpfern sein?«
Schau dich um, Herr Vonved!

»In Osten steht der Fisch in der Flut,
In Norden wird getrunken der Wein so gut,
In Halland findst du Vidrich daheim
Mit Kämpfern und vielen Gesellen sein.«
Schau dich um, Herr Vonved!

Von der Brust Vonved einen Goldring nahm,
Den steckt er dem Kämpfer an seinen Arm:
»Sag, du wärst der letzte Mann,
Der Gold vom Herrn Vonved gewann.«
Schau dich um, Herr Vonved!

Herr Vonved vor die hohe Zinne tät reiten,
Bat die Wächter, ihn hineinzuleiten;
Als aber keiner heraus zu ihm ging,
Da sprang er über die Mauer dahin.
Schau dich um, Herr Vonved!

Sein Roß an einen Strick er band,
Darauf er sich zur Burgstube gewandt;
Er setzte sich oben an die Tafel sofort,
Dazu sprach er kein einziges Wort.
Schau dich um, Herr Vonved!

Er aß, er trank, nahm Speise sich,
Den König fragt' er darum nicht;
»Gar nimmer bin ich ausgefahren,
Wo soviel verfluchte Zungen waren.«
Schau dich um, Herr Vonved!

Der König sprach zu den Kämpfern sein:
»Der tolle Gesell muß gebunden sein
Bindet ihr den fremden Gast nicht fest,
So dienet ihr mir nicht aufs best'.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Nimm du fünf, nimm du zwanzig auch dazu
Und komm zum Spiel du selbst herzu:
Ein Hurensohn, so nenn ich dich,
Außer, du bindest mich.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»König Esmer, mein lieber Vater,
Und stolz Adelin, meine Mutter,
Haben mir gegeben das strenge Verbot,
Mit 'nem Schalk nicht zu verzehren mein Gold.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»War Esmer, der König, dein Vater,
Und Frau Adelin deine liebe Mutter,
So bist du Herr Vonved, ein Kämpfer schön,
Dazu meiner liebsten Schwester Sohn.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Herr Vonved, willst du bleiben bei mir,
Beides, Ruhm und Ehre, soll werden dir,
Und willst du zu Land ausfahren,
Meine Ritter sollen dich bewahren.«
Schau dich um, Herr Vonved!

»Mein Gold soll werden für dich gespart,
Wenn du willst halten deine Heimfahrt.«
Doch das zu tun lüstet ihn nicht,
Er wollt fahren zu seiner Mutter zurück
Schau dich um, Herr Vonved!

Herr Vonved ritt auf dem Weg dahin,
Er war so gram in seinem Sinn;
Und als er zur Burg geritten kam,
Da standen zwölf Zauberweiber daran.
Schau dich um, Herr Vonved!

Standen mit Rocken und Spindeln vor ihm,
Schlugen ihn übers weiße Schienbein hin;
Herr Vonved mit seinem Roß herumdringt,
Die zwölf Zauberweiber schlägt er in einen Ring.
Schau dich um, Herr Vonved!

Schlägt die Zauberweiber, die stehen da,
Sie finden bei ihm so kleinen Rat.
Seine Mutter genießt dasselbe Glück,
Er haut sie in fünftausend Stück'.
Schau dich um, Herr Vonved!

So geht er in den Saal hinein,
Er ißt, und trinkt den klaren Wein,
Dann schlägt er die Goldharfe so lang,
Daß springen entzwei alle die Strang'.
Schau dich um, Herr Vonved!

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