Text by Heinrich Heine (1797-1856)
Kapitel IV
I|II|III|IV|V|VI|VII|VIII|IX|X|XI|XII|XIII|XIV
Für Leser, denen die Stadt
Hamburg nicht bekannt ist - und es gibt deren vielleicht in China und Ober- bayern -, für diese muß ich bemerken, daß der schön- ste Spaziergang der Söhne und Töchter Hammonias den rechtmäßigen Namen Jungfernsteg führt, daß er aus einer Lindenallee besteht, die auf der einen Seite von einer Reihe Häuser, auf der anderen Seite von dem großen Alsterbassin begrenzt wird; und daß vor letzterem, ins Wasser hineingebaut, zwei zeltartige lustige Kaffeehäuslein stehen, die man Pavillons nennt. Besonders vor dem einen, dem sogenannten Schweizerpavillon, läßt sich gut sitzen, wenn es Som- mer ist und die Nachmittagssonne nicht zu wild glüht, sondern nur heiter lächelt und mit ihrem Glanze die Linden, die Häuser, die Menschen, die Alster und die Schwäne, die sich darauf wiegen, fast märchenhaft lieblich übergießt. Da läßt sich gut sitzen, und da saß ich gut gar manchen Sommernachmittag und dachte, was ein junger Mensch zu denken pflegt, nämlich gar nichts, und betrachtete, was ein junger. Mensch zu be- trachten pflegt, nämlich die jungen Mädchen, die vor- übergingen - und da flatterten sie vorüber, jene hol- den Wesen mit ihren geflügelten Häubchen und ihren verdeckten Körbchen, worin nichts enthalten ist - da trippelten sie dahin, die bunten Vierlanderinnen, die ganz Hamburg mit Erdheeren und eigener Milch ver- sehen und deren Röcke noch immer viel zu lang sind - da stolzierten die schönen Kaufmannstöchter, mit deren Liebe man auch soviel bares Geld bekömmt - da hüpft eine Amme, auf den Armen ein rosiges Knä- bchen, das sie beständig küßt, während sie an ihren Geliebten denkt - da wandeln Priesterinnen der schaumentstiegenen Göttin, hanseatische Vestalen, Dianen, die auf die Jagd gehn, Najaden, Dryaden, Ha- madryaden und sonstige Predigerstöchter - ach! da wandelt auch Minka und Heloisa! Wie oft saß ich vor dem Pavillon und sah sie vorüberwandeln in ihren ro- sagestreiften Roben - die Elle kostet 4 Mark und 3 Schilling, und Herr Seligmann hat mir versichert, die Rosastreifen würden im Waschen die Farbe behal- ten. - »Prächtige Dirnen!« riefen dann die tugendhaf- ten Jünglinge, die neben mir saßen. - Ich erinnere mich, ein großer Assekuradeur, der immer wie ein Pfingstochs geputzt ging, sagte einst: »Die eine möcht ich mir mal als Frühstück und die andere als Abend- brot zu Gemüte fahren, und ich würde an solchem Tage gar nicht zu Mittag speisen.« - »Sie ist ein Engel!« sagte einst ein Seekapitän ganz laut, so daß sich beide Mädchen zu gleicher Zeit umsahen und sich dann einander eifersüchtig anblickten. - Ich sel- ber sagte nie etwas, und ich dachte meine süßesten Garnichtsgedanken und betrachtete die Mädchen und den heiter sanften Himmel und den langen Petriturm mit der schlanken Taille und die stille blaue Alster, worauf die Schwäne so stolz und so lieblich und so sicher umherschwammen. Die Schwäne! Stundenlang konnte ich sie betrachten, diese holden Geschöpfe mit ihren sanften langen Hälsen, wie sie sich üppig auf den weichen Fluten wiegten, wie sie zuweilen selig untertauchten und wieder auftauchten und übermütig plätscherten, bis der Himmel dunkelte und die gold- nen Sterne hervortraten, verlangend, verheißend, wun- derbar zärtlich, verklärt. Die Sterne! Sind es goldne Blumen am bräutlichen Busen des Himmels? Sind es verliebte Engelsaugen, die sich sehnsüchtig spiegeln in den blauen Gewässern der Erde und mit den Schwänen buhlen? --- Ach! das ist nun lange her. Ich war damals jung und töricht. Jetzt bin ich alt und töricht. Manche Blume ist unterdessen verwelkt und manche sogar zertreten worden. Manches seidne Kleid ist unterdes- sen zerrissen, und sogar der rosagestreifte Kattun des Herren Seligmann hat unterdessen die Farbe verloren. Er selbst aber ist ebenfalls verblichen - die Firma ist jetzt »Seligmanns selige Witwe« - und Heloisa, das sanfte Wesen, das geschaffen schien, nur auf weichbe- blümte indische Teppiche zu wandeln und mit Pfau- enfedern gefächelt zu werden, sie ging unter in Matrosenlärm, Punsch, Tabaksrauch und schlechter Musik. Als ich Minka wiedersah - sie nannte sich jetzt Kathinka und wohnte zwischen Hamburg und Altona -, da sah sie aus wie der Tempel Salomonis, als ihn Nebukadnezar zerstört hatte, und roch nach assyrischem Knaster - und als sie mir Heloisas Tod erzählte, weinte sie bitterlich und riß sich verzweif- lungsvoll die Haare aus und wurde schier ohnmächtig und mußte ein großes Glas Branntewein austrinken, um zur Besinnung zu kommen. Und die Stadt selbst, wie war sie verändert! Und der Jungfernsteg! Der Schnee lag auf den Dächern, und es schien, als hätten sogar die Häuser gealtert und weiße Haare bekommen. Die Linden des Jungfern- stegs waren nur tote Bäume mit dürren Ästen, die sich gespenstisch im kalten Winde bewegten. Der Himmel war schneidend blau und dunkelte hastig. Es war Sonntag, fünf Uhr, die allgemeine Fütterungstunde, und die Wagen rollten, Herren und Damen stiegen aus mit einem gefrorenen Lächeln auf den hungrigen Lip- pen - Entsetzlich! in diesem Augenblick durchschau- erte mich die schreckliche Bemerkung, daß ein uner- gründlicher Blödsinn auf allen diesen Gesichtern lag und daß alle Menschen, die eben vorbeigingen, in einem wunderbaren Wahnwitz befangen schienen. Ich hatte sie schon vor zwölf Jahren, um dieselbe Stunde, mit denselben Mienen, wie die Puppen einer Rathausuhr, in derselben Bewegung gesehen, und sie hatten seitdem ununterbrochen in derselben Weise ge- rechnet, die Börse besucht, sich einander eingeladen, die Kinnbacken bewegt, ihre Trinkgelder bezahlt und wieder gerechnet: zwei mal zwei ist vier - »Entsetz- lich!« rief ich, »wenn einem von diesen Leuten, wäh- rend er auf dem Kontorbock säße, plötzlich einfiele, daß zwei mal zwei eigentlich fünf sei und daß er also sein ganzes Leben verrechnet und sein ganzes Leben in einem schauderhaften Irrtum vergeudet habe!« Auf einmal aber ergriff mich selbst ein närrischer Wahn- sinn, und als ich die vorüberwandlenden Menschen genauer betrachtete, kam es mir vor, als seien sie sel- ber nichts anders als Zahlen, als arabische Chiffern; und da ging eine krummfüßige Zwei neben einer fata- len Drei, ihrer schwangeren und vollbusigen Frau Ge- mahlin; dahinter ging Herr Vier auf Krücken; einher- watschelnd kam eine fatale Fünf, rundbäuchig mit kleinem Köpfchen; dann kam eine wohlbekannte klei- ne Sechse und eine noch wohlbekanntere böse Sie- ben - doch als ich die unglückliche Acht, wie sie vor- überschwankte, ganz genau betrachtete, erkannte ich den Assekuradeur, der sonst wie ein Pfingstochs ge- putzt ging, jetzt aber wie die magerste von Pharaos mageren Kühen aussah - blasse, hohle Wangen wie ein leerer Suppenteiler, kaltrote Nase wie eine Winterrose, abgeschabter schwarzer Rock, der einen kümmerlich weißen Widerschein gab, ein Hut, worin Saturn mit der Sense einige Luftlöcher geschnitten, doch die Stiefel noch immer spiegelblank gewichst - und er schien nicht mehr daran zu denken, Heloisa und Minka als Frühstück und Abendbrot zu verzeh- ren, er schien sich vielmehr nach einem Mittagessen von gewöhnlichem Rindfleisch zu sehnen. Unter den vorüberrollenden Nullen erkannte ich noch manchen alten Bekannten. Diese und die anderen Zahlenmen- schen rollten vorüber, hastig und hungrig, während unfern, längs den Häusern des Jungfernstegs, noch grauenhafter drollig, ein Leichenzug sich hinbewegte. Ein trübsinniger Mummenschanz! Hinter den Trauer- wagen, einherstelzend auf ihren dünnen schwarzseide- nen Beinchen, gleich Marionetten des Todes, gingen die wohlbekannten Ratsdiener, privilegierte Leidtra- gende in parodiert altburgundischem Kostüm; kurze, schwarze Mäntel und schwarze Pluderhosen, weiße Perücken und weiße Halsbergen, wozwischen die roten bezahlten Gesichter gar possenhaft hervor- gucken, kurze Stahldegen an den Hüften, unterm Arm ein grüner Regenschirm. Aber noch unheimlicher und verwirrender als diese Bilder, die sich, wie ein chinesisches Schattenspiel, schweigend vorbeibewegten, waren die Töne, die von einer anderen Seite in mein Ohr drangen. Es waren heisere, schnarrende, metallose Töne, ein unsinniges Kreischen, ein ängstliches Plätschern und verzwei- felndes Schlürfen, ein Keichen und Schollern, ein Stöhnen und Ächzen, ein unbeschreibbar eiskalter Schmerzlaut. Das Bassin der Alster war zugefroren, nur nahe am Ufer war ein großes, breites Viereck in der Eisdecke ausgehauen, und die entsetzlichen Töne, die ich eben vernommen, kamen aus den Kehlen der armen weißen Geschöpfe, die darin herumschwam- men und in entsetzlicher Todesangst schrien, und ach! es waren dieselben Schwäne, die einst so weich und heiter meine Seele bewegten. Ach! die schönen wei- ßen Schwäne, man hatte ihnen die Flügel gebrochen, damit sie im Herbst nicht auswandern konnten nach dem warmen Süden, und jetzt hielt der Norden sie festgebannt in seinen dunkeln Eisgruben - und der Markeur des Pavillons meinte, sie befänden sich wohl darin und die Kälte sei ihnen gesund. Das ist aber nicht wahr, es ist einem nicht wohl, wenn man ohn- mächtig in einem kalten Pfuhl eingekerkert ist, fast eingefroren, und einem die Flügel gebrochen sind und man nicht fortfliegen kann nach dem schönen Süden, wo die schönen Blumen, wo die goldnen Sonnenlich- ter, wo die blauen Bergseen - Ach! auch mir erging es einst nicht viel besser, und ich verstand die Qual dieser armen Schwäne; und als es gar immer dunkler wurde und die Sterne oben hell hervortraten, diesel- ben Sterne, die einst in schönen Sommernächten so liebeheiß mit den Schwänen gebuhlt, jetzt aber so winterkalt, so frostig klar und fast verhöhnend auf sie herabblickten - wohl begriff ich jetzt, daß die Sterne keine liebende, mitfühlende Wesen sind, sondern nur glänzende Täuschungen der Nacht, ewige Trugbilder in einem erträumten Himmel, goldne Lügen im dun- kelblauen Nichts -- |
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