Text by Heinrich Heine (1797-1856)
Kapitel II
I|II|III|IV|V|VI|VII|VIII|IX|X|XI|XII|XIII|XIV
Meine Mutter packte selbst
meinen Koffer; mit jedem Hemde hat sie auch eine gute Lehre hineinge- packt. Die Wäscherinnen haben mir späterhin alle diese Hemde mitsamt den guten Lehren vertauscht. Mein Vater war tief bewegt; und er gab mir einen lan- gen Zettel, worin er artikelweis aufgeschrieben, wie ich mich in dieser Welt zu verhalten habe. Der erste Artikel lautete: daß ich jeden Dukaten zehnmal her- umdrehen solle, ehe ich ihn ausgäbe. Das befolgte ich auch im Anfang; nachher wurde mir das beständige Herumdrehen viel zu mühsam. Mit jenem Zettel über- reichte mir mein Vater auch die dazugehörigen Duka- ten. Dann nahm er eine Schere, schnitt damit das Zöpfchen von seinem lieben Haupte und gab mir das Zöpfchen zum Andenken. Ich besitze es noch und weine immer, wenn ich die gepuderten feinen Härchen betrachte -- Die Nacht vor meiner Abreise hatte ich folgenden Traum: Ich ging einsam spazieren in einer heiter schönen Gegend am Meer. Es war Mittag, und die Sonne schien auf das Wasser, daß es wie lauter Diamanten funkelte. Hie und da am Gestade erhob sich eine große Aloe, die sehnsüchtig ihre grünen Arme nach dem sonnigen Himmel emporstreckte. Dort stand auch eine Trauerweide mit lang herabhängenden Tres- sen, die sich jedesmal emporhoben, wenn die Wellen heranspielten, so daß sie alsdann wie eine junge Nixe aussah, die ihre grünen Locken in die Höhe hebt, um besser hören zu können, was die verliebten Luftgei- ster ihr ins Ohr flüstern. In der Tat, das klang manch- mal wie Seufzer und zärtliches Gekose. Das Meer er- strahlte immer blühender und lieblicher, immer wohl- lautender rauschten die Wellen, und auf den rauschen- den glänzenden Wellen schritt einher der silberne Adalbert, ganz wie ich ihn im Gnesener Dome gese- hen, den silbernen Krummstab in der silbernen Hand, die silberne Bischofmütze auf dem silbernen Haupte, und er winkte mir mit der Hand, und er nickte mir mit dem Haupte, und endlich, als er mir gegenüberstand, rief er mir zu mit unheimlicher Silberstimme; --- Ja, die Worte habe ich wegen des Wellengeräu- sches nicht hören können. Ich glaube aber, mein sil- berner Nebenbuhler hat mich verhöhnt. Denn ich stand noch lange am Strande und weinte, bis die Abenddämmerung heranbrach und Himmel und Meer trübe und blaß wurden und traurig über alle Maßen. Es stieg die Flut. Aloe und Weide krachten und wur- den fortgeschwemmt von den Wogen, die manchmal hastig zurückliefen und desto ungestümer wieder her- anschwollen, tosend, schaurig, in schaumweißen Halbkreisen. Dann aber auch hörte ich ein taktförmi- ges Geräusch, wie Ruderschlag, und endlich sah ich einen Kahn mit der Brandung herantreiben. Vier weiße Gestalten, fahle Totengesichter, eingehüllt in Leichentüchern, saßen darin und ruderten mit An- strengung. In der Mitte des Kahnes stand ein blasses, aber unendlich schönes Frauenbild, unendlich zart, wie geformt aus Lilienduft - und sie sprang ans Ufer. Der Kahn mit seinen gespenstischen Ruderknechten schoß pfeilschnell wieder zurück ins hohe Meer, und in meinen Armen lag Panna Jadviga und weinte und lachte: »Ich bete dich an.« |
|||
I |