Aus den Memoiren
des Herren
von Schnabelewopski

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel XIII

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Wäre die Wirtin zur Roten Kuh eine Italienerin ge-
wesen, so hätte sie vielleicht mein Essen vergiftet; da
sie aber eine Holländerin war, so schickte sie mir sehr
schlechtes Essen. Schon des anderen Mittags erdulde-
ten wir die Folgen ihres weiblichen Unwillens. Das
erste Gericht war: keine Suppe. Das war schrecklich,
besonders für einen wohlerzogenen Menschen wie
ich, der von Jugend auf alle Tage Suppe gegessen, der
sich bis jetzt gar keine Welt denken konnte, wo nicht
des Morgens die Sonne aufgeht und des Mittags die
Suppe aufgetragen wird. Das zweite Gericht bestand
aus Rindfleisch, welches kalt und hart war wie My-
rons Kuh. Drittens kam ein Schellfisch, der aus dem
Halse roch wie ein Mensch. Viertens kam ein großes
Huhn, das, weit entfernt, unseren Hunger stillen zu
wollen, so mager und abgezehrt aussah, als ob es sel-
ber Hunger hätte, so daß man fast vor Mitleid nichts
davon essen konnte.
»Und nun, kleiner Simson«, rief der dicke Driksen,
»glaubst du noch an Gott? Ist das Gerechtigkeit? Die
Frau Bandagistin besucht den Schnabelewopski in der
dunkeln Nacht, und wir müssen dafür schlecht essen
am hellen lichten Tag?«
»O Gott! Gott!« seufzte der Kleine, gar
verdrießlich wegen solcher atheistischer Ausbrüche
und vielleicht auch wegen des schlechten Essens.
Seine Verdrießlichkeit stieg, als auch der lange Van-
pitter seine Witze gegen die Anthropomorphisten los-
ließ und die Ägypter lobte, die einst Ochsen und
Zwiebel verehrten; denn erstere, wenn sie gebraten,
und letztere, wenn sie gestovt, schmeckten ganz gött-
lich.
Des kleinen Simsons Gemüt wurde aber durch sol-
che Spöttereien immer bitterer gestimmt, und er
schloß endlich folgendermaßen seine Apologie des
Deismus: »Was die Sonne für die Blumen ist, das ist
Gott für die Menschen. Wenn die Strahlen jenes
himmlischen Gestirns die Blumen berühren, dann
wachsen sie heiter empor und öffnen ihre Kelche und
entfalten ihren buntesten Farbenschmuck. Des
Nachts, wenn ihre Sonne entfernt ist, stehen sie trau-
rig, mit geschlossenen Kelchen, und schlafen oder
träumen von den goldenen Strahlenküssen der Ver-
gangenheit. Diejenigen Blumen, die immer im Schat-
ten stehen, verlieren Farbe und Wuchs, verkrüppeln
und erbleichen und welken mißmütig, glücklos. Die
Blumen aber, die ganz im Dunkeln wachsen, in alten
Burgkellern, unter Klosterruinen, die werden häßlich
und giftig, sie ringeln am Boden wie Schlangen,
schon ihr Duft ist unheilbringend, boshaft betäubend,
tödlich -«
»Oh, du brauchst deine biblische Parabel nicht
weiter auszuspinnen«, schrie der dicke Driksen,
indem er sich ein großes Glas Schiedammer Genever
in den Schlund goß; »du, kleiner Simson, bist eine
fromme Blume, die im Sonnenschein Gottes die heili-
gen Strahlen der Tugend und Liebe so trunken ein-
saugt, daß deine Seele wie ein Regenbogen blüht,
während die unsrige, abgewendet von der Gottheit,
farblos und häßlich verwelkt, wo nicht gar pestilen-
zialische Düfte verbreitet -«
»Ich habe einmal zu Frankfurt«, sagte der kleine
Simson, »eine Uhr gesehen, die an keinen Uhrmacher
glaubte; sie war von Tombak und ging sehr schlecht -
«
»Ich will dir wenigstens zeigen, daß so eine Uhr
wenigstens gut schlagen kann«, versetzte Driksen,
indem er plötzlich ganz ruhig wurde und den Kleinen
nicht weiter molestierte.
Da letzterer trotz seiner schwachen Ärmchen ganz
vortrefflich stieß, so ward beschlossen, daß sich die
beiden noch denselben Tag auf Parisiens schlagen
sollten. Sie stachen aufeinander los mit großer Erbit-
terung. Die schwarzen Augen des kleinen Simson
glänzten feurig groß und kontrastierten um so wun-
derbarer mit seinen Ärmchen, die aus den aufge-
schürzten Hemdärmeln gar kläglich dünn hervortra-
ten. Er wurde immer heftiger; er schlug sich ja für die
Existenz Gottes, des alten Jehova, des Königs der
Könige. Dieser aber gewährte seinem Champion nicht
die mindeste Unterstützung, und im sechsten Gang
bekam der Kleine einen Stich in die Lunge.
»O Gott!« seufzte er und stürzte zu Boden.
XII

XIV

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