Aus den Memoiren
des Herren
von Schnabelewopski

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel XI

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Das Haus, worin ich zu Leiden logierte, bewohnte
einst Jan Steen, der große Jan Steen, den ich für eben-
so groß halte wie Raffael. Auch als religiöser Maler
war Jan ebenso groß, und das wird man einst ganz
klar einsehn, wenn die Religion des Schmerzes erlo-
schen ist und die Religion der Freude den trüben Flor
von den Rosenbüschen dieser Erde fortreißt und die
Nachtigallen endlich ihre lang verheimlichten Ent-
zückungen hervorjauchzen dürfen.
Aber keine Nachtigall wird je so heiter und jubelnd
singen, wie Jan Steen gemalt hat. Keiner hat so tief
wie er begriffen, daß auf dieser Erde ewig Kirmes
sein sollte; er begriff, daß unser Leben nur ein farbi-
ger Kuß Gottes sei, und er wußte, daß der Heilige
Geist sich am herrlichsten offenbart im Licht und La-
chen.
Sein Auge lachte ins Licht hinein, und das Licht
spiegelte sich in seinem lachenden Auge.
Und Jan blieb immer ein gutes, liebes Kind. Als
der alte strenge Prädikant von Leiden sich neben ihm
an den Herd setzte und eine lange Vermahnung hielt
über sein fröhliches Leben, seinen lachend unchristli-
chen Wandel, seine Trunkliebe, seine ungeregelte
Wirtschaft und seine verstockte Lustigkeit, da hat Jan
ihm zwei Stunden lang ganz ruhig zugehört, und er
verriet nicht die mindeste Ungeduld über die lange
Strafpredigt, und nur einmal unterbrach er sie mit den
Worten: »Ja, Domine, die Beleuchtung wäre dann viel
besser, ja ich bitte Euch, Domine, dreht Euren Stuhl
ein klein wenig dem Kamine zu, damit die Flamme
ihren roten Schein über Eu'r ganzes Gesicht wirft und
der übrige Körper im Schatten bleibt --«
Der Domine stand wütend auf und ging davon. Jan
aber griff sogleich nach der Palette und malte den
alten strengen Herren ganz, wie er ihm in jener Straf-
predigtpositur, ohne es zu ahnen, Modell gesessen.
Das Bild ist vortrefflich und hing in meinem Schlaf-
zimmer zu Leiden.
Nachdem ich in Holland so viele Bilder von Jan
Steen gesehen, ist mir, als kennte ich das ganze Leben
des Mannes. Ja ich kenne seine sämtliche Sippschaft,
seine Frau, seine Kinder seine Mutter, alle seine Vet-
tern, seine Hausfeinde und sonstige Angehörigen, ja,
ich kenne sie von Angesicht zu Angesicht. Grüßen
uns doch diese Gesichter aus allen seinen Gemälden
hervor, und eine Sammlung derselben wäre eine Bio-
graphie des Malers. Er hat oft mit einem einzigen Pin-
selstrich die tiefsten Geheimnisse seiner Seele darin
eingezeichnet. So glaube ich, seine Frau hat ihm allzu
oft Vorwürfe gemacht über sein vieles Trinken. Denn
auf dem Gemälde, welches das Bohnenfest vorstellt
und wo Jan mit seiner ganzen Familie zu Tische sitzt,
da sehen wir seine Frau mit einem gar großen Wein-
krug in der Hand, und ihre Augen leuchten wie die
einer Bacchantin. Ich bin aber überzeugt, die gute
Frau hat nie zuviel Wein genossen und der Schalk hat
uns weismachen wollen, nicht er, sondern seine Frau
liebe den Trunk. Deshalb lacht er desto vergnügter
aus dem Bilde hervor. Er ist glücklich: er sitzt in der
Mitte der Seinigen; sein Söhnchen ist Bohnenkönig
und steht mit der Krone von Flittergold auf einem
Stuhle; seine alte Mutter, in ihren Gesichtsfalten das
seligste Schmunzeln, trägt das jüngste Enkelchen auf
dem Arm; die Musikanten spielen ihre närrisch lustig-
sten Hopsamelodien; und die sparsam bedächtige,
ökonomisch schmollende Hausfrau ist bei der ganzen
Nachwelt in den Verdacht hineingemalt, als sei sie
besoffen.
Wie oft, in meiner Wohnung zu Leiden, konnte ich
mich ganze Stunden lang in die häuslichen Szenen zu-
rückdenken, die der vortreffliche Jan dort erlebt und
erlitten haben mußte. Manchmal glaubte ich, ich sähe
ihn leibhaftig selber an seiner Staffelei sitzen, dann
und wann nach dem großen Henkelkrug greifen,
ȟberlegen und dabei trinken, und dann wieder trin-
ken, ohne zu überlegen«. Das war kein trübkatholi-
scher Spuk, sondern ein modern heller Geist der Freu-
de, der nach dem Tode noch sein altes Atelier
besucht, um lustige Bilder zu malen und zu trinken.
Nur solche Gespenster werden unsere Nachkommen
zuweilen schauen, am lichten Tage, während die
Sonne durch die blanken Fenster schaut und vom
Turme herab keine schwarzdumpfe Glocken, sondern
rotjauchzende Trompetentöne die liebliche Mittag-
stunde ankündigen.
Die Erinnerung an Jan Steen war aber das Beste
oder vielmehr das einzig Gute an meiner Wohnung zu
Leiden. Ohne diesen gemütlichen Reiz hätte ich darin
keine acht Tage ausgehalten. Das Äußere des Hauses
war elend und kläglich und mürrisch, ganz unhollän-
disch. Das dunkle, morsche Haus stand dicht am
Wasser, und wenn man an der anderen Seite des Ka-
nals vorbeiging, glaubte man eine alte Hexe zu sehen,
die sich in einem glänzenden Zauberspiegel betrach-
tet. Auf dem Dache standen immer ein paar Störche,
wie auf allen holländischen Dächern. Neben mir lo-
gierte die Kuh, deren Milch ich des Morgens trank,
und unter meinem Fenster war ein Hühnersteig.
Meine gefiederte Nachbarinnen lieferten gute Eier;
aber da ich immer, ehe sie deren zur Welt brachten,
ein langes Gackern, gleichsam die langweilige Vorre-
de zu den Eiern, anhören mußte, so wurde mir der
Genuß derselben ziemlich verleidet. Zu den eigentli-
chen Unannehmlichkeiten meiner Wohnung gehörten
aber zwei der fatalsten Mißstände: erstens das
Violinspielen, womit man meine Ohren während des
Tags belästigte, und dann die Störungen des Nachts,
wenn meine Wirtin ihren armen Mann mit ihrer son-
derbaren Eifersucht verfolgte.
Wer das Verhältnis meines Hauswirts zu meiner
Frau Wirtin kennenlernen wollte, brauchte nur beide
zu hören, wenn sie miteinander Musik machten. Der
Mann spielte das Violoncello, und die Frau spielte
das sogenannte Violon d'Amour; aber sie hielt nie
Tempo und war dem Manne immer einen Takt voraus
und wußte ihrem unglücklichen Instrumente die grell-
feinsten Keiflaute abzuquälen; wenn das Cello
brummte und die Violine greinte, glaubte man ein
zankendes Ehepaar zu hören. Auch spielte die Frau
noch immer weiter, wenn der Mann längst fertig war,
daß es schien, als wollte sie das letzte Wort behalten.
Es war ein großes, aber sehr mageres Weib, nichts als
Haut und Knochen, ein Maul, worin einige falsche
Zähne klapperten, eine kurze Stirn, fast gar kein Kinn
und eine desto längere Nase, deren Spitze wie ein
Schnabel sich herabzog und womit sie zuweilen,
wenn sie Violine spielte, den Ton einer Saite zu
dämpfen schien.
Mein Hauswirt war etwa fünfzig Jahr alt und ein
Mann von sehr dünnen Beinen, abgezehrt bleichem
Antlitz und ganz kleinen, grünen Äuglein, womit er
beständig blinzelte, wie eine Schildwache, welcher
die Sonne ins Gesicht scheint. Er war seines Gewer-
bes ein Bruchbandmacher und seiner Religion nach
ein Wiedertäufer. Er las sehr fleißig in der Bibel.
Diese Lektüre schlich sich in seine nächtliche Träu-
me, und mit blinzelnden Äuglein erzählte er seiner
Frau des Morgens beim Kaffee, wie er wieder hochbe-
gnadigt worden, wie die heiligsten Personen ihn ihres
Gespräches gewürdigt, wie er sogar mit der aller-
höchst heiligen Majestät Jehovas verkehrt und wie
alle Frauen des Alten Testamentes ihn mit der freund-
lichsten und zärtlichsten Aufmerksamkeit behandelt.
Letzterer Umstand war meiner Hauswirtin gar nicht
lieb, und nicht selten bezeugte sie die eifersüchtigste
Mißlaune über ihres Mannes nächtlichen Umgang mit
den Weibern des Alten Testamentes. Wäre es noch,
sagte sie, die keusche Mutter Maria oder die alte Mar-
the oder auch meinethalb die Magdalene, die sich ja
gebessert hat - aber ein nächtliches Verhältnis mit
den Sauftöchtern des alten Lot, mit der sauberen
Madam Judith, mit der verlaufenen Königin von Saba
und dergleichen zweideutigen Weibsbildern darf nicht
geduldet werden. Nichts glich aber ihrer Wut, als
eines Morgens ihr Mann im Übergeschwätze seiner
Seligkeit eine begeisterte Schilderung der schönen
Esther entwarf, welche ihn gebeten, ihr bei ihrer Toi-
lette behülflich zu sein, indem sie, durch die Macht
ihrer Reize, den König Ahasverus für die gute Sache
gewinnen wollte. Vergebens beteuerte der arme
Mann, daß Herr Mardochai selber ihn bei seiner schö-
nen Pflegetochter eingeführt, daß diese schon halb be-
kleidet war, daß er ihr nur die langen, schwarzen
Haare ausgekämmt - vergebens! die erboste Frau
schlug den armen Mann mit seinen eignen Bruchbän-
dern, goß ihm den heißen Kaffee ins Gesicht, und sie
hätte ihn gewiß umgebracht, wenn er nicht aufs hei-
ligste versprach, allen Umgang mit den alttestamenta-
rischen Weibern aufzugeben und künftig nur mit Erz-
vätern und männlichen Propheten zu verkehren.
Die Folge dieser Mißhandlung war, daß Mynheer
von nun an sein nächtliches Glück gar ängstlich ver-
schwieg; er wurde jetzt erst ganz ein heiliger Roue;
wie er mir gestand, hatte er den Mut, sogar der nack-
ten Susanna die unsittlichsten Anträge zu machen; ja,
er war am Ende frech genug, sich in den Harem des
König Salomon hineinzuträumen und mit dessen tau-
send Weibern Tee zu trinken.
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