Zur Geschichte der
Religion und Philosophie
in Deutschland

Drittes Buch

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Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Es geht die Sage, daß ein englischer Mechanikus, 
der schon die künstlichsten Maschinen erdacht, end-
lich auch auf den Einfall geraten, einen Menschen zu 
fabrizieren; dieses sei ihm auch endlich gelungen, das 
Werk seiner Hände konnte sich ganz wie ein Mensch 
gebärden und betragen, es trug in der ledernen Brust 
sogar eine Art menschlichen Gefühls, das von den ge-
wöhnlichen Gefühlen der Engländer nicht gar zu sehr 
verschieden war, es konnte in artikulierten Tönen 
seine Empfindungen mitteilen, und eben das Geräusch
der innern Räder, Raspeln und Schrauben, das man 
dann vernahm, gab diesen Tönen eine echt englische 
Aussprache; kurz, dieses Automat war ein vollendeter
Gentleman, und zu einem echten Menschen fehlte ihm
gar nichts als eine Seele. Diese aber hat ihm der engli-
sche Mechanikus nicht geben können, und das arme 
Geschöpf, das sich solchen Mangels bewußt worden, 
quälte nun Tag und Nacht seinen Schöpfer mit der 
Bitte, ihm eine Seele zu geben. Solche Bitte, die sich 
immer dringender wiederholte, wurde jenem Künstler 
endlich so unerträglich, daß er vor seinem eignen 
Kunstwerk die Flocht ergriff. Das Automat aber nahm
gleich Extrapost, verfolgte ihn nach dem Kontinente 
reist beständig hinter ihm her, erwischt ihn manchmal
und schnarrt und grunzt ihm dann entgegen: »Give me
a soul!« Diesen beiden Gestalten begegnen wir nun in
allen Ländern, und nur wer ihr besonderes Verhältnis 
kennt, begreift ihre sonderbare Hast und ihren ängstli-
chen Mißmut. Wenn man aber dieses besondere Ver-
hältnis kennt, so sieht man darin wieder etwas Allge-
meines, man sieht, wie ein Teil des englischen Volks 
seines mechanischen Daseins überdrüssig ist und eine
Seele verlangt, der andere Teil aber aus Angst vor 
solcherlei Begehrnis in die Kreuz und die Quer getrie-
ben wird, beide aber es daheim nicht mehr aushalten 
können.
Dieses ist eine grauenhafte Geschichte. Es ist ent-
setzlich wenn die Körper, die wir geschaffen haben, 
von uns eine Seele verlangen. Weit grauenhafter, ent-
setzlicher, unheimlicher ist es jedoch, wenn wir eine 
Seele geschaffen und diese von uns ihren Leib ver-
langt und uns mit diesem Verlangen verfolgt. Der Ge-
danke, den wir gedacht, ist eine solche Seele, und er 
läßt uns keine Ruhe, bis wir ihm seinen Leib gegeben,
bis wir ihn zur sinnlichen Erscheinung gefördert. Der 
Gedanke will Tat, das Wort will Fleisch werden. Und 
wunderbar! der Mensch, wie der Gott der Bibel, 
braucht nur seinen Gedanken auszusprechen, und es 
gestaltet sich die Welt, es wird Licht oder es wird 
Finsternis, die Wasser sondern sich von dem Fest-
land, oder gar wilde Bestien kommen zum Vorschein.
Die Welt ist die Signatur des Wortes.
Dieses merkt euch, ihr stolzen Männer der Tat. Ihr 
seid nichts als unbewußte Handlanger der Gedanken-
männer, die oft in demütigster Stille euch all eu'r Tun 
aufs bestimmteste vorgezeichnet haben. Maximilian 
Robespierre war nichts als die Hand von Jean-
Jacques Rousseau, die blutige Hand, die aus dem 
Schoße der Zeit den Leib hervorzog, dessen Seele 
Rousseau geschaffen. Die unstete Angst, die dem Jean
-Jacques das Leben verkümmerte, rührte sie vielleicht
daher, daß er schon im Geiste ahnte, welch eines Ge-
burtshelfers seine Gedanken bedurften, um leiblich 
zur Welt zu kommen?
Der alte Fontenelle hatte vielleicht recht, als er 
sagte: »Wenn ich alle Gedanken dieser Welt in mei-
ner Hand trüge, so würde ich mich hüten, sie zu öff-
nen.« Ich meinesteils, ich denke anders. Wenn ich alle
Gedanken dieser Welt in meiner Hand hätte - ich 
würde euch vielleicht bitten, mir die Hand gleich ab-
zuhauen; auf keinen Fall hielte ich sie so lange ver-
schlossen. Ich bin nicht dazu geeignet, ein Kerkermei-
ster der Gedanken zu sein. Bei Gott! ich laß sie los. 
Mögen sie sich immerhin zu den bedenklichsten Er-
scheinungen verkörpern, mögen sie immerhin, wie ein
toller Bacchantenzug, alle Lande durchstürmen, 
mögen sie mit ihren Thyrsusstäben unsere unschul-
digsten Blumen zerschlagen, mögen sie immerhin in 
unsere Hospitäler hereinbrechen und die kranke alte 
Welt aus ihren Betten jagen - es wird freilich mein 
Herz sehr bekümmern, und ich selber werde dabei zu 
Schaden kommen! Denn ach! ich gehöre ja selber zu 
dieser kranken alten Welt, und mit Recht sagt der 
Dichter: Wenn man auch seiner Krücken spottet, so 
kann man darum doch nicht besser gehen. Ich bin der 
Krankste von euch allen und um so bedauernswürdi-
ger, da ich weiß, was Gesundheit ist. Ihr aber, ihr 
wißt es nicht, ihr Beneidenswerten! Ihr seid kapabel 
zu sterben, ohne es selbst zu merken. Ja, viele von 
euch sind längst tot und behaupten, jetzt erst beginne 
ihr wahres Leben. Wenn ich solchem Wahnsinn wi-
derspreche, dann wird man mir gram und schmäht 
mich - und entsetzlich! die Leichen springen an mich 
heran und schimpfen, und mehr noch als ihre Schmäh-
worte belästigt mich ihr Moderduft... Fort, ihr Ge-
spenster, ich spreche jetzt von einem Manne, dessen 
Name schon eine exorzierende Macht ausübt, ich 
spreche von Immanuel Kant!
Man sagt, die Nachtgeister erschrecken, wenn sie 
das Schwert eines Scharfrichters erblichen - Wie 
müssen sie erst erschrecken, wenn man ihnen Kants 
»Kritik der reinen Vernunft« entgegenhält! Dieses 
Buch ist das Schwert, womit der Deismus hingerichtet
worden in Deutschland.
Ehrlich gestanden, ihr Franzosen, in Vergleichung 
mit uns Deutschen seid ihr zahm und moderant. Ihr 
habt höchstens einen König töten können, und dieser 
hatte schon den Kopf verloren, ehe ihr köpftet. Und 
dabei mußtet ihr so viel trommeln und schreien und 
mit den Füßen trampeln, daß es den ganzen Erdkreis 
erschütterte. Man erzeigt wirklich dem Maximilian 
Robespierre zuviel Ehre, wenn man ihn mit dem Im-
manuel Kant vergleicht. Maximilian Robespierre, der 
große Spießbürger von der Rue Saint-Honoré, bekam 
freilich seine Anfälle von Zerstörungswut, wenn es 
das Königtum galt, und er zuckte dann furchtbar 
genug in seiner regiziden Epilepsie; aber sobald vom 
höchsten Wesen die Rede war, wusch er sich den wei-
ßen Schaum wieder vom Munde und das Blut von den
Händen und zog seinen blauen Sonntagsrock an, mit 
den Spiegelknöpfen, und steckte noch obendrein einen
Blumenstrauß vor seinen breiten Brustlatz.
Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist 
schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben 
noch Geschichte. Er lebte ein mechanisch geordnetes, 
fast abstraktes Hagestolzenleben, in einem stillen, ab-
gelegenen Gäßchen zu Königsberg, einer alten Stadt 
an der nordöstlichen Grenze Deutschlands. Ich glaube
nicht, daß die große Uhr der dortigen Kathedrale lei-
denschaftsloser und regelmäßiger ihr äußeres Tage-
werk vollbrachte wie ihr Landsmann Immanuel Kant. 
Aufstehn, Kaffeetrinken, Schreiben, Kollegienlesen, 
Essen, Spazierengehn, alles hatte seine bestimmte 
Zeit, und die Nachbaren wußten ganz genau, daß die 
Glocke halb vier sei, wenn Immanuel Kant in seinem 
grauen Leibrock, das spanische Röhrchen in der 
Hand, aus seiner Haustüre trat und nach der kleinen 
Lindenallee wandelte, die man seinetwegen noch jetzt 
den Philosophengang nennt. Achtmal spazierte er dort
auf und ab, in jeder Jahrzeit, und wenn das Wetter 
trübe war oder die grauen Wolken einen Regen ver-
kündigten, sah man seinen Diener, den alten Lampe, 
ängstlich besorgt hinter ihm drein wandeln, mit einem
langen Regenschirm unter dem Arm, wie ein Bild der 
Vorsehung.
Sonderbarer Kontrast zwischen dem äußeren Leben
des Mannes und seinen zerstörenden, weltzermalmen-
den Gedanken! Wahrlich, hätten die Bürger von Kö-
nigsberg die ganze Bedeutung dieses Gedankens ge-
ahnt, sie würden vor jenem Manne eine weit grauen-
haftere Scheu empfunden haben als vor einem Scharf-
richter, vor einem Scharfrichter, der nur Menschen 
hinrichtet - aber die guten Leute sahen in ihm nichts 
anderes als einen Professor der Philosophie, und wenn
er zur bestimmten Stunde vorbeiwandelte, grüßten sie
freundlich und richteten etwa nach ihm ihre Taschen-
uhr.
Wenn aber Immanuel Kant, dieser große Zerstörer 
im Reiche der Gedanken, an Terrorismus den 
Maximilian Robespierre weit übertraf, so hat er doch 
mit diesem manche Ähnlichkeiten, die zu einer Ver-
gleichung beider Männer auffordern. Zunächst finden 
wir in beiden dieselbe unerbittliche, schneidende, 
poesielose, nüchterne Ehrlichkeit. Dann finden wir in 
beiden dasselbe Talent des Mißtrauens, nur daß es der
eine gegen Gedanken ausübt und Kritik nennt, wäh-
rend der andere es gegen Menschen anwendet und re-
publikanische Tugend betitelt. Im höchsten Grade je-
doch zeigt sich in beiden der Typus des Spießbürger-
tums - die Natur hatte sie bestimmt, Kaffee und 
Zucker zu wiegen, aber das Schicksal wollte, daß sie 
andere Dinge abwögen, und legte dem einen einen 
König und dem anderen einen Gott auf die Waagscha-
le...
Und sie gaben das richtige Gewicht!
Die »Kritik der reinen Vernunft« ist das Hauptwerk
von Kant, und wir müssen uns vorzugsweise damit 
beschäftigen. Keine von allen Schriften Kants hat 
größere Wichtigkeit. Dieses Buch, wie schon er-
wähnt, erschien 1781 und wurde erst 1789 allgemein 
bekannt. Es wurde anfangs ganz übersehen, nur zwei 
unbedeutende Anzeigen sind damals darüber erschie-
nen, und erst spät wurde durch Artikel von Schütz, 
Schultz und Reinhold die Aufmerksamkeit des Publi-
kums auf dieses große Buch geleitet. Die Ursache die-
ser verzögerten Anerkenntnis liegt wohl in der 
ungewöhnlichen Form und schlechten Schreibart. In 
betreff der letztern verdient Kant größeren Tadel als 
irgendein anderer Philosoph; um so mehr, wenn wir 
seinen vorhergehenden besseren Stil erwägen. Die 
kürzlich erschienene Sammlung seiner kleinen Schrif-
ten enthält die ersten Versuche, und wir wundern uns 
da über die gute, manchmal sehr witzige Schreibart. 
Während Kant im Kopfe schon sein großes Werk aus-
arbeitete, hat er diese kleinen Aufsätze vor sich hin 
geträllert. Er lächelt da wie ein Soldat, der sich ruhig 
waffnet, um in eine Schlacht zu gehen, wo er gewiß 
zu siegen denkt. Unter jenen kleinen Schriften sind 
besonders merkwürdig: »Allgemeine Naturgeschichte 
und Theorie des Himmels«, geschrieben schon 1755; 
»Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und 
Erhabenen«, geschrieben zehn Jahre später, sowie 
auch »Träume eines Geistersehers«, voll guter Laune 
in der Art der französischen Essays. Der Witz eines 
Kant, wie er sich in diesen Schriftchen äußert, hat 
etwas höchst Eigentümliches. Der Witz rankt da an 
dem Gedanken, und trotz seiner Schwäche erreicht er 
dadurch eine erquickliche Höhe. Ohne solche Stütze 
freilich kann der reichste Witz nicht gedeihen; gleich 
der Weinrebe, die eines Stabes entbehrt, muß er als-
dann kümmerlich am Boden hinkriechen und mit sei-
nen kostbarsten Früchten vermodern.
Warum aber hat Kant seine »Kritik der reinen 
Vernunft« in einem so grauen, trocknen Packpapier-
stil geschrieben? Ich glaube, weil er die mathemati-
sche Form der Descartes-Leibniz-Wolffianer verwarf, 
fürchtete er, die Wissenschaft möchte etwas von ihrer 
Würde einbüßen, wenn sie sich in einem leichten, zu-
vorkommend heiteren Tone ausspräche. Er verlieh ihr 
daher eine steife, abstrakte Form, die alle Vertraulich-
keit der niederen Geistesklassen kalt ablehnte. Er 
wollte sich von den damaligen Popularphilosophen, 
die nach bürgerlichster Deutlichkeit strebten, vor-
nehm absondern, und er kleidete seine Gedanken in 
eine hofmännisch abgekältete Kanzleisprache. Hier 
zeigt sich ganz der Philister. Aber vielleicht bedurfte 
Kant zu seinem sorgfältig gemessenen Ideengang 
auch einer Sprache, die sorgfältig gemessener, und er 
war nicht imstande, eine bessere zu schaffen. Nur das 
Genie hat für den neuen Gedanken auch das neue 
Wort. Immanuel Kant war aber kein Genie. Im Ge-
fühl dieses Mangels, ebenso wie der gute Maximilian,
war Kant um so mißtrauischer gegen das Genie, und 
in seiner »Kritik der Urteilskraft« behauptete er sogar,
das Genie habe nichts in der Wissenschaft zu schaf-
fen, seine Wirksamkeit gehöre ins Gebiet der Kunst.
Kant hat durch den schwerfälligen, steifleinenen 
Stil seines Hauptwerks sehr vielen Schaden gestiftet. 
Denn die geistlosen Nachahmer äfften ihn nach in die-
ser Äußerlichkeit, und es entstand bei uns der 
Aberglaube, daß man kein Philosoph sei, wenn man 
gut schriebe. Die mathematische Form jedoch konnte 
seit Kant in der Philosophie nicht mehr aufkommen. 
Dieser Form hat er in der »Kritik der reinen Ver-
nunft« ganz unbarmherzig den Stab gebrochen. Die 
mathematische Form in der Philosophie, sagte er, 
bringe nichts als Kartengebäude hervor, so wie die 
philosophische Form in der Mathematik nur eitel Ge-
schwätz hervorbringt. Denn in der Philosophie könne 
es keine Definitionen gehen wie in der Mathematik, 
wo die Definitionen nicht diskursiv, sondern intuitiv 
sind, d.h. in der Anschauung nachgewiesen werden 
können; was man Definitionen in der Philosophie 
nenne, werde nur versuchsweise, hypothetisch, voran-
gestellt; die eigentlich richtige Definition erscheine 
nur am Ende als Resultat.
Wie kommt es, daß die Philosophen soviel Vorlie-
be für die mathematische Form zeigen? Diese Vorlie-
be beginnt schon mit Pythagoras, der die Prinzipien 
der Dinge durch Zahlen bezeichnete. Dieses war ein 
genialer Gedanke. In einer Zahl ist alles Sinnliche und
Endliche abgestreift, und dennoch bezeichnet sie 
etwas Bestimmtes und dessen Verhältnis zu etwas 
Bestimmtem, welches letztere, wenn es ebenfalls 
durch eine Zahl bezeichnet wird, denselben Charakter 
des Entsinnlichten und Unendlichen angenommen. 
Hierin gleicht die Zahl den Ideen, die denselben 
Charakter und dasselbe Verhältnis zueinander haben. 
Man kann die Ideen, wie sie in unserem Geiste und in 
der Natur sich kundgeben, sehr treffend durch Zahlen 
bezeichnen; aber die Zahl bleibt doch immer das Zei-
chen der Idee, nicht die Idee selber. Der Meister bleibt
dieses Unterschieds noch bewußt, der Schüler aber 
vergißt dessen und überliefert seinen Nachschülern 
nur eine Zahlenhieroglyphik, bloße Chiffern, deren 
lebendige Bedeutung niemand mehr kennt und die 
man mit Schulstolz nachplappert. Dasselbe gilt von 
den übrigen Elementen der mathematischen Form. 
Das Geistige in seiner ewigen Bewegung erlaubt kein 
Fixieren; ebensowenig wie durch die Zahl läßt es sich
fixieren durch Linie, Dreieck, Viereck und Kreis. Der 
Gedanke kann weder gezählt werden noch gemessen.
Da es mir hauptsächlich darum zu tun ist, das Stu-
dium der deutschen Philosophie in Frankreich zu er-
leichtern, so bespreche ich immer zumeist diejenigen 
Äußerlichkeiten, die den Fremden leicht abschrecken, 
wenn man ihn nicht vorher darüber in Kenntnis ge-
setzt hat. Literatoren, die den Kant für das französi-
sche Publikum bearbeiten wollen, mache ich beson-
ders darauf aufmerksam, daß sie denjenigen Teil sei-
ner Philosophie ausscheiden können, der bloß dazu 
dient, die Absurditäten der Wolffschen Philosophie zu
bekämpfen. Diese Polemik, die sich überall durch-
drängt, kann bei den Franzosen nur Verwirrung und 
gar keinen Nutzen hervorbringen. - Wie ich höre, be-
schäftigt sich der Herr Doktor Schön, ein deutscher 
Gelehrter in Paris, mit einer französischen Herausga-
be des Kant. Ich hege eine zu günstige Meinung von 
den philosophischen Einsichten des Obgenannten, als 
daß ich es für nötig erachtete, obigen Wink auch an 
ihn zu richten, und ich erwarte vielmehr von ihm ein 
ebenso nützliches wie wichtiges Buch.
Die »Kritik der reinen Vernunft« ist, wie ich be-
reits gesagt, das Hauptbuch von Kant, und seine übri-
gen Schriften sind einigermaßen als entbehrlich oder 
allenfalls als Kommentare zu betrachten. Welche so-
ziale Bedeutung jenem Hauptbuche innewohnt, wird 
sich aus folgendem ergeben.
Die Philosophen vor Kant haben zwar über den Ur-
sprung unserer Erkenntnisse nachgedacht und sind, 
wie wir bereits gezeigt, in zwei verschiedene Wege 
geraten, je nachdem sie Ideen a priori oder Ideen a po-
steriori annahmen; über das Erkenntnisvermögen sel-
ber, über den Umfang unseres Erkenntnisvermögens 
oder über die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens 
ist weniger nachgedacht worden. Dieses ward nun die 
Aufgabe von Kant, er unterwarf unser Erkenntnisver-
mögen einer schonungslosen Untersuchung, er son-
dierte die ganze Tiefe dieses Vermögens und konsta-
tierte alle seine Grenzen. Da fand er nun freilich, daß 
wir gar nichts wissen können von sehr vielen Dingen, 
mit denen wir früher in vertrautester Bekanntschaft zu
stehen vermeinten. Das war sehr verdrießlich. Aber es
war doch immer nützlich, zu wissen, von welchen 
Dingen wir nichts wissen können. Wer uns vor nutz-
losen Wegen warnt, leistet uns einen ebenso guten 
Dienst wie derjenige, der uns den rechten Weg an-
zeigt. Kant bewies uns, daß wir von den Dingen, wie 
sie an und für sich selber sind, nichts wissen, sondern 
daß wir nur insofern etwas von ihnen wissen, als sie 
sich in unserem Geiste reflektieren. Da sind wir nun 
ganz wie die Gefangenen, wovon Plato, im siebenten 
Buche vom »Staate«, so Betrübsames erzählt: Diese 
Unglücklichen, gefesselt an Hals und Schenkeln, so 
daß sie sich mit dem Kopfe nicht herumdrehen kön-
nen, sitzen in einem Kerker, der oben offen ist, und 
von oben her erhalten sie einiges Licht. Dieses Licht 
aber kömmt von einem Feuer, welches hinter ihnen 
oben brennt, und zwar noch getrennt von ihnen durch 
eine kleine Mauer. Längs dieser Mauer wandeln Men-
schen, welche allerlei Statuen, Holz- und Steinbilder, 
vorübertragen und miteinander sprechen. Die armen 
Gefangenen können nun von diesen Menschen, wel-
che nicht so hoch wie die Mauer, gar nichts sehen, 
und von den vorbeigetragenen Statuen, die über die 
Mauer hervorragen, sehen sie nur die Schatten, wel-
che sich an der ihnen gegenüberstehenden Wand da-
hinbewegen; und sie halten nun diese Schatten für die 
wirklichen Dinge, und getäuscht durch das Echo ihres
Kerkers, glauben sie, es seien diese Schatten, welche 
miteinander sprechen.
Die bisherige Philosophie, die schnüffelnd an den 
Dingen herumlief und sich Merkmale derselben ein-
sammelte und sie klassifizierte, hörte auf, als Kant er-
schien, und dieser lenkte die Forschung zurück in den 
menschlichen Geist und unter, suchte, was sich da 
kundgab. Nicht mit Unrecht vergleicht er daher seine 
Philosophie mit dem Verfahren des Kopernikus. Frü-
her, als man die Welt stillstehen und die Sonne um 
dieselbe herumwandeln ließ, wollten die Himmelsbe-
rechnungen nicht sonderlich übereinstimmen; da ließ 
Kopernikus die Sonne stillstehen und die Erde um sie 
herumwandeln, und siehe! alles ging nun vortrefflich. 
Früher lief die Vernunft, gleich der Sonne, um die Er-
scheinungswelt herum und suchte sie zu beleuchten; 
Kant aber läßt die Vernunft, die Sonne, stillstehen, 
und die Erscheinungswelt dreht sich um sie herum 
und wird beleuchtet, je nachdem sie in den Bereich 
dieser Sonne kömmt.
Nach diesen wenigen Worten, womit ich die Auf-
gabe Kants angedeutet, ist jedem begreiflich, daß ich 
denjenigen Abschnitt seines Buches, worin er die so-
genannten Phänomena und Noumena abhandelt, für 
den wichtigsten Teil, für den Mittelpunkt seiner Phi-
losophie halte. Kant macht nämlich einen Unterschied
zwischen den Erscheinungen der Dinge und den Din-
gen an sich. Da wir von den Dingen nur insoweit 
etwas wissen können, als sie sich uns durch Erschei-
nung kundgeben, und da also die Dinge nicht, wie sie 
an und für sich selbst sind, sich uns zeigen, so hat 
Kant die Dinge, insofern sie erscheinen, Phänomena 
und die Dinge an und für sich Noumena genannt. Nur 
von den Dingen als Phänomena können wir etwas 
wissen, nichts aber können wir von den Dingen wis-
sen als Noumena. Letztere sind nur problematisch, 
wir können weder sagen: sie existieren, noch: sie exi-
stieren nicht. Ja, das Wort Noumen ist nur dem Wort 
Phänomen nebengesetzt, um von Dingen, insoweit sie
uns erkennbar, sprechen zu können, ohne in unserem 
Urteil die Dinge, die uns nicht erkennbar, zu berüh-
ren.
Kant hat also nicht, wie manche Lehrer, die ich 
nicht nennen will, die Dinge unterschieden in Phäno-
mena und Noumena, in Dinge, welche für uns existie-
ren, und in Dinge, welche für uns nicht existieren. 
Dieses wäre ein irländischer Bull in der Philosophie. 
Er hat nur einen Grenzbegriff geben wollen.
Gott ist, nach Kant, ein Noumen. Infolge seiner Ar-
gumentation ist jenes transzendentale Idealwesen, 
welches wir bisher Gott genannt, nichts anders als 
eine Erdichtung. Es ist durch eine natürliche Illusion 
entstanden. Ja, Kant zeigt, wie wir von jenem 
Noumen, von Gott, gar nichts wissen können und wie
sogar jede künftige Beweisführung seiner Existenz 
unmöglich sei. Die Danteschen Worte »Laßt die 
Hoffnung zurück!« schreiben wir über diese Abtei-
lung der »Kritik der reinen Vernunft«.
Ich glaube, man erläßt mir gern die populäre Erör-
terung dieser Partie, wo »von den Beweisgründen der 
spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten 
Wesens zu schließen«, gehandelt wird. Obwohl die 
eigentliche Widerlegung dieser Beweisgründe nicht 
viel Raum einnimmt und erst in der zweiten Hälfte 
des Buches zum Vorschein kommt, so ist sie doch 
schon von vornherein aufs absichtlichste eingeleitet, 
und sie gehört zu dessen Pointen. Es knüpft sich 
daran die »Kritik aller spekulativen Theologie«, und 
vernichtet werden die übrigen Luftgebilde der Dei-
sten. Bemerken muß ich, daß Kant, indem er die drei 
Hauptbeweisarten für das Dasein Gottes, nämlich den
ontologischen, den kosmologischen und den physiko-
theologischen Beweis angreift, nach meiner Meinung 
die zwei letzteren, aber nicht den ersteren zugrunde 
richten kann. Ich weiß nicht, ob die obigen Ausdrücke
hier bekannt sind, und ich gebe daher die Stelle aus 
der »Kritik der reinen Vernunft«, wo Kant ihre Unter-
scheidungen formuliert:
»Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes 
aus spekulativer Vernunft möglich. Alle Wege, die 
man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen ent-
weder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch
erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnen-
welt an und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausa-
lität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf; 
oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, das ist ir-
gendein Dasein, zum Grunde, oder sie abstrahieren 
endlich von aller Erfahrung und schließen gänzlich a 
priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer 
höchsten Ursache. Der erste Beweis ist der physiko-
theologische, der zweite der kosmologische, der dritte 
ist der ontologische Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, 
und mehr kann es ihrer auch nicht geben.«
Nach mehrmaligem Durchstudieren des Kantschen 
Hauptbuchs glaubte ich zu erkennen, daß die Polemik
gegen jene bestehenden Beweise für das Dasein Got-
tes überall hervorlauscht, und ich würde sie weitläufi-
ger besprechen, wenn mich nicht ein religiöses Gefühl
davon abhielte. Schon daß ich jemanden das Dasein 
Gottes diskutieren sehe, erregt in mir eine so sonder-
bare Angst, eine so unheimliche Beklemmung, wie 
ich sie einst in London zu New-Bedlam empfand, als 
ich, umgehen von lauter Wahnsinnigen, meinen Füh-
rer aus den Augen verlor. »Gott ist alles, was da ist«, 
und Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, 
es ist der Tod.
So verwerflich auch jede Diskussion über das 
Dasein Gottes ist, desto preislicher ist das Nachden-
ken über die Natur Gottes. Dieses Nachdenken ist ein 
wahrhafter Gottesdienst unser Gemüt wird dadurch 
abgezogen vom Vergänglichen und Endlichen und ge-
langt zum Bewußtsein der Urgüte und der ewigen 
Harmonie. Dieses Bewußtsein durchschauert den Ge-
fühlsmenschen im Gebet oder bei der Betrachtung 
kirchlicher Symbole; der Denker findet diese heilige 
Stimmung in der Ausübung jener erhabenen Geistes-
kraft, welche wir Vernunft nennen und deren höchste 
Aufgabe es ist, die Natur Gottes zu erforschen. Ganz 
besonders religiöse Menschen beschäftigen sich mit 
dieser Aufgabe von Kind auf, geheimnisvoll sind sie 
davon schon bedrängt, durch die erste Regung der 
Vernunft. Der Verfasser dieser Blätter ist sich einer 
solchen frühen, ursprünglichen Religiosität aufs freu-
digste bewußt, und sie hat ihn nie verlassen. Gott war
immer der Anfang und das Ende aller meiner Gedan-
ken. Wenn ich jetzt frage: Was ist Gott, was ist seine 
Natur?, so frug ich schon als kleines Kind: Wie ist 
Gott? wie sieht er aus? Und damals konnte ich ganze 
Tage in den Himmel hinaufsehen und war des Abends
sehr betrübt, daß ich niemals das allerheiligste Ange-
sicht Gottes, sondern immer nur graue, blöde Wol-
kenfratzen erblickt hatte. Ganz konfus machten mich 
die Mitteilungen aus der Astronomie, womit man da-
mals, in der Aufklärungsperiode, sogar die kleinsten 
Kinder nicht verschonte, und ich konnte mich nicht 
genug wundern, daß alle diese tausend Millionen 
Sterne ebenso große, schöne Erdkugeln seien wie die 
unsrige und über all dieses leuchtende Weltengewim-
mel ein einziger Gott waltete. Einst im Traume, erin-
nere ich mich, sah ich Gott, ganz oben in der weite-
sten Ferne. Er schaute vergnüglich zu einem kleinen 
Himmelsfenster hinaus, ein frommes Greisengesicht 
mit einem kleinen Judenbärtchen, und er streute eine 
Menge Saatkörner herab, die, während sie vom Him-
mel niederfielen, im unendlichen Raum gleichsam 
aufgingen, eine ungeheure Ausdehnung gewannen, bis
sie lauter strahlende, blühende, bevölkerte Welten 
wurden, jede so groß wie unsere eigene Erdkugel. Ich 
habe dieses Gesicht nie vergessen können, noch oft 
im Traume sah ich den heiteren Alten aus seinem klei-
nen Himmelfenster die Weltensaat herabschütten; ich 
sah ihn einst sogar mit den Lippen schnalzen, wie un-
sere Magd, wenn sie den Hühnern ihr Gerstenfutter 
zuwarf. Ich konnte nur sehen, wie die fallenden Saat-
körner sich immer zu großen, leuchtenden Weltkugeln
ausdehnten; aber die etwanigen großen Hühner, die 
vielleicht irgendwo mit aufgesperrten Schnäbeln lau-
erten, um mit den hingestreuten Weltkugeln gefüttert 
zu werden, konnte ich nicht sehen.
Du lächelst, lieber Leser, über die großen Hühner. 
Diese kindische Ansicht ist aber nicht allzusehr 
entfernt von der Ansicht der reifsten Deisten. Um von 
dem außerweltlichen Gott einen Begriff zu geben, 
haben sich der Orient und der Okzident in kindischen 
Hyperbeln erschöpft. Mit der Unendlichkeit des Rau-
mes und der Zeit hat sich aber die Phantasie der Dei-
sten vergeblich abgequält. Hier zeigt sich ganz ihre 
Ohnmacht, die Haltlosigkeit ihrer Weltansicht, ihrer 
Idee von der Natur Gottes. Es betrübt uns daher 
wenig, wenn diese Idee zugrunde gerichtet wird. Die-
ses Leid aber hat ihnen Kant wirklich angetan, indem 
er ihre Beweisführungen von der Existenz Gottes zer-
störte.
Die Rettung des ontologischen Beweises käme dem
Deismus gar nicht besonders heilsam zustatten, denn 
dieser Beweis ist ebenfalls für den Pantheismus zu 
gebrauchen. Zu näherem Verständnis bemerke ich, 
daß der ontologische Beweis derjenige ist, den Des-
cartes aufstellt und der schon lange vorher im Mittel-
alter, durch Anselm von Canterbury, in einer ruhen-
den Gebetform ausgesprochen worden. Ja, man kann 
sagen daß der heilige Augustin schon im zweiten 
Buche »De libero arbitrio« den ontologischen Beweis 
aufgestellt hat.
Ich enthalte mich, wie gesagt, aller popularisieren-
den Erörterung der Kantschen Polemik gegen jene Be-
weise. Ich begnüge mich, zu versichern, daß der Deis-
mus seitdem im Reiche der spekulativen Vernunft 
erblichen ist. Diese betrübende Todesnachricht bedarf
vielleicht einiger Jahrhunderte, ehe sie sich allgemein 
verbreitet hat - wir aber haben längst Trauer ange-
legt. De profundis!
Ihr meint, wir könnten jetzt nach Hause gehn? Bei-
leibe! es wird noch ein Stück aufgeführt. Nach der 
Tragödie kommt die Farce. Immanuel Kant hat bis 
hier den unerbittlichen Philosophen traciert, er hat den
Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über 
die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt 
schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt 
keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte, keine 
jenseitige Belohnung für diesseitige Enthaltsamkeit, 
die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten 
Zügen - das röchelt, das stöhnt -, und der alte Lampe
steht dabei mit seinem Regenschirm unterm Arm, als 
betrübter Zuschauer, und Angstschweiß und Tränen 
rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel 
Kant und zeigt, daß er nicht bloß ein großer Philo-
soph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er über-
legt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: 
»Der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann 
der arme Mensch nicht glücklich sein - der Mensch 
soll aber auf der Welt glücklich sein - das sagt die 
praktische Vernunft - meinetwegen - so mag auch 
die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbür-
gen.« Infolge dieses Arguments unterscheidet Kant 
zwischen der theoretischen Vernunft und der prakti-
schen Vernunft, und mit dieser, wie mit einem Zau-
berstäbchen, belebte er wieder den Leichnam des De-
ismus, den die theoretische Vernunft getötet.
Hat vielleicht Kant die Resurrektion nicht bloß des 
alten Lampe wegen, sondern auch der Polizei wegen 
unternommen? Oder hat er wirklich aus Überzeugung 
gehandelt? Hat er eben dadurch, daß er alle Beweise 
für das Dasein Gottes zerstörte, uns recht zeigen wol-
len, wie mißlich es ist, wenn wir nichts von der Exi-
stenz Gottes wissen können? Er handelte da fast eben-
so weise wie mein westfälischer Freund, welcher alle 
Laternen auf der Grohnderstraße zu Göttingen zer-
schlagen hatte und uns nun dort, im Dunkeln stehend, 
eine lange Rede hielt über die praktische Notwendig-
keit der Laternen, welche er nur deshalb theoretisch 
zerschlagen habe, um uns zu zeigen, wie wir ohne 
dieselben nichts sehen können.
Ich habe schon früher erwähnt, daß die »Kritik der 
reinen Vernunft« bei ihrem Erscheinen nicht die ge-
ringste Sensation gemacht. Erst mehre Jahre später, 
als einige scharfsinnige Philosophen Erläuterungen 
über dieses Buch geschrieben, erregte es die Aufmerk-
samkeit des Publikums, und im Jahre 1789 war in 
Deutschland von nichts mehr die Rede als von Kant-
scher Philosophie, und sie hatte schon in Hülle und 
Fülle ihre Kommentare, Chrestomathien, 
Erklärungen, Beurteilungen, Apologien usw. Man 
braucht nur einen Blick auf den ersten besten philoso-
phischen Katalog zu werfen, und die Unzahl von 
Schriften, die damals über Kant erschienen, zeugt hin-
reichend von der geistigen Bewegung, die von diesem
einzigen Manne ausging. Bei dem einen zeigte sich 
ein schäumender Enthusiasmus, bei dem andern eine 
bittere Verdrießlichkeit, bei vielen eine glotzende Er-
wartung über den Ausgang dieser geistigen Revoluti-
on. Wir hatten Emeuten in der geistigen Welt ebenso-
gut wie ihr in der materiellen Welt, und bei dem Nie-
derreißen des alten Dogmatismus echauffierten wir 
uns ebensosehr wie ihr beim Sturm der Bastille. Es 
waren freilich ebenfalls nur ein paar alte Invaliden, 
welche den Dogmatismus, das ist die Wolffsche Phi-
losophie, verteidigten. Es war eine Revolution, und es
fehlte nicht an Greuel. Unter der Partei der Vergan-
genheit waren die eigentlichen guten Christen über 
jene Greuel am wenigsten ungehalten. Ja, sie wünsch-
ten noch schlimmere Greuel, damit sich das Maß fülle
und die Konterrevolution desto schneller als notwen-
dige Reaktion stattfinde. Es gab bei uns Pessimisten 
in der Philosophie wie bei euch in der Politik. Man-
che unserer Pessimisten gingen in der Selbstverblen-
dung so weit, daß sie sich einbildeten, Kant sei mit 
ihnen in einem geheimen Einverständnis und habe die
bisherigen Beweise für das Dasein Gottes nur deshalb
zerstört, damit die Welt einsehe, daß man durch die 
Vernunft nimmermehr zur Erkenntnis Gottes gelange 
und daß man sich also hier an der geoffenbarten Reli-
gion halten müsse.
Diese große Geisterbewegung hat Kant nicht so-
wohl durch den Inhalt seiner Schriften hervorgebracht
als vielmehr durch den kritischen Geist, der darin 
waltete und der sich jetzt in alle Wissenschaften ein-
drängte. Alle Disziplinen wurden davon ergriffen. Ja, 
sogar die Poesie blieb nicht verschont von ihrem Ein-
fluß. Schiller z.B. war ein gewaltsamer Kantianer, 
und seine Kunstansichten sind geschwängert von dem
Geist der Kantschen Philosophie. Der schönen Litera-
tur und den schönen Künsten wurde diese Kantsche 
Philosophie, wegen ihrer abstrakten Trockenheit, sehr
schädlich. Zum Glück mischte sie sich nicht in die 
Kochkunst.
Das deutsche Volk läßt sich nicht leicht bewegen; 
ist es aber einmal in irgendeine Bahn hineinbewegt, 
so wird es dieselbe mit beharrlichster Ausdauer bis 
ans Ende verfolgen. So zeigten wir uns in den Angele-
genheiten der Religion. So zeigten wir uns nun auch 
in der Philosophie. Werden wir uns ebenso konse-
quent weiterbewegen in der Politik?
Deutschland war durch Kant in die philosophische 
Bahn hineingezogen, und die Philosophie ward eine 
Nationalsache. Eine schöne Schar großer Denker 
sproßte plötzlich aus dem deutschen Boden wie her-
vorgezaubert. Wenn einst, gleich der französischen 
Revolution, auch die deutsche Philosophie ihren 
Thiers und ihren Mignet findet, so wird die Geschich-
te derselben eine ebenso merkwürdige Lektüre bieten,
und der Deutsche wird sie mit Stolz und der Franzose 
wird sie mit Bewunderung lesen.
Unter den Schülern Kants ragte schon früher hervor
Johann Gottlieb Fichte.
Ich verzweifle fast, von der Bedeutung dieses Man-
nes einen richtigen Begriff geben zu können. Bei Kant
hatten wir nur ein Buch zu betrachten. Hier aber 
kommt außer dem Buche auch ein Mann in Betrach-
tung; in diesem Manne sind Gedanke und Gesinnung 
eins, und in solcher großartigen Einheit wirken sie auf
die Mitwelt. Wir haben daher nicht bloß eine Philoso-
phie zu erörtern, sondern auch einen Charakter, durch 
den sie gleichsam bedingt wird, und um beider Ein-
fluß zu begreifen, bedürfte es auch wohl einer Dar-
stellung der damaligen Zeitverhältnisse. Welche weit-
reichende Aufgabe! Vollauf sind wir gewiß entschul-
digt, wenn wir hier nur dürftige Mitteilungen bieten.
Schon über den Fichteschen Gedanken ist sehr 
schwer zu berichten. Auch hier stoßen wir auf eigen-
tümliche Schwierigkeiten. Sie betreffen nicht bloß den
Inhalt, sondern auch die Form und die Methode, bei-
des Dinge, womit wir den Ausländer gern zunächst 
bekannt machen. Zuerst also über die Fichtesche Me-
thode. Diese ist anfänglich ganz dem Kant entlehnt. 
Bald aber ändert sich diese Methode durch die Natur 
des Gegenstandes. Kant hatte nämlich nur eine Kritik,
also etwas Negatives, Fichte aber hatte späterhin ein 
System, folglich etwas Positives aufzustellen. Wegen 
jenes Mangels an einem festen System hat man der 
Kantschen Philosophie manchmal den Titel »Philoso-
phie« absprechen wollen. In Beziehung auf Immanuel
Kant selber hatte man recht, keineswegs aber in Be-
ziehung auf die Kantianer, die aus Kants Sätzen eine 
hinlängliche Anzahl von festen Systemen zusammen-
gebaut. In seinen früheren Schriften bleibt Fichte, wie
gesagt, der Kantschen Methode ganz treu, so daß man
seine erste Abhandlung, als sie anonym erschien, für 
ein Werk von Kant halten konnte. Da Fichte aber spä-
ter ein System aufstellt, so gerät er in ein eifriges, gar 
eigensinniges Konstruieren, und wenn er die ganze 
Welt konstruiert hat, so beginnt er ebenso eifrig und 
eigensinnig von oben bis unten herab seine Konstruk-
tionen zu demonstrieren. In diesem Konstruieren und 
Demonstrieren bekundet Fichte eine sozusagen ab-
strakte Leidenschaft. Wie in seinem System selbst, so 
herrscht bald die Subjektivität auch in seinem Vor-
trag. Kant hingegen legt den Gedanken vor sich hin 
und seziert ihn und zerlegt ihn in seine feinsten Fa-
sern, und seine »Kritik der reinen Vernunft« ist 
gleichsam das anatomische Theater des Geistes. Er 
selber bleibt dabei kalt, gefühllos, wie ein echter 
Wundarzt.
Wie die Methode, so auch die Form der Fichte-
schen Schriften. Sie ist lebendig, aber sie hat auch 
alle Fehler des Lebens: sie ist unruhig und verwirr-
sam. Um recht lebendig zu bleiben, verschmäht Fichte
die gewöhnliche Terminologie der Philosophen, die 
ihm etwas Totes dünkt; aber wir geraten dadurch noch
viel weniger zum Verständnis. Er hat überhaupt über 
Verständnis ganz eigene Grillen. Als Reinhold mit 
ihm gleicher Meinung war, erklärte Fichte, daß ihn 
niemand besser verstehe wie Reinhold. Als dieser 
aber später von ihm abwich, erklärte Fichte, er habe 
ihn nie verstanden. Als er mit Kant differenzierte, ließ
er drucken, Kant verstehe sich selber nicht. Ich berüh-
re hier überhaupt die komische Seite unserer Philoso-
phen. Sie klagen beständig über Nichtverstandenwer-
den. Als Hegel auf dem Todbette lag, sagte er: »Nur 
einer hat mich verstanden«, aber gleich darauf fügte er
verdrießlich hinzu: »Und der hat mich auch nicht ver-
standen.«
In betreff ihres Inhalts an und für sich hat die Fich-
tesche Philosophie keine große Bedeutung. Sie hat der
Gesellschaft keine Resultate geliefert. Nur insofern 
sie eine der merkwürdigsten Phasen der deutschen 
Philosophie überhaupt ist, nur insofern sie die 
Unfruchtbarkeit des Idealismus in seiner letzten Kon-
sequenz beurkundet und nur insofern sie den notwen-
digen Übergang zur heutigen Naturphilosophie bildet,
ist der Inhalt der Fichteschen Lehre von einigem In-
teresse. Da dieser Inhalt also mehr historisch und wis-
senschaftlich als sozial wichtig ist, will ich ihn nur 
mit den kürzesten Worten andeuten.
Die Aufgabe, welche sich Fichte stellt, ist: Welche 
Gründe haben wir, anzunehmen, daß unseren Vorstel-
lungen von Dingen auch Dinge außer uns entspre-
chen? Und dieser Frage gibt er die Lösung: Alle 
Dinge haben Realität nur in unserem Geiste.
Wie die »Kritik der reinen Vernunft« das Haupt-
buch von Kant, so ist die »Wissenschaftslehre« das 
Hauptbuch von Fichte. Dieses Buch ist gleichsam 
eine Fortsetzung des ersteren. Die Wissenschaftslehre
verweist den Geist ebenfalls in sich selbst. Aber wo 
Kant analysiert, da konstruiert Fichte. Die Wissen-
schaftslehre beginnt mit einer abstrakten Formel (Ich 
= Ich), sie erschafft die Welt hervor aus der Tiefe des 
Geistes, sie fügt die zersetzten Teile wieder zusam-
men, sie macht den Weg der Abstraktion zurück, bis 
sie zur Erscheinungswelt gelangt. Diese Erschei-
nungswelt kann alsdann der Geist für notwendige 
Handlungen der Intelligenz erklären.
Bei Fichte ist noch die besondere Schwierigkeit, 
daß er dem Geiste zumutet, sich selber zu beobachten,
während er tätig ist. Das Ich soll über seine intellektu-
ellen Handlungen Betrachtungen anstellen, während 
es sie ausführt. Der Gedanke soll sich selber belau-
schen, während er denkt, während er allmählich warm
und wärmer und endlich gar wird. Diese Operation 
mahnt uns an den Affen, der am Feuerherde vor einem
kupfernen Kessel sitzt und seinen eigenen Schwanz 
kocht. Denn er meinte: Die wahre Kochkunst besteht 
nicht darin, daß man bloß objektiv kocht, sondern 
auch subjektiv des Kochens bewußt wird.
Es ist ein eigener Umstand, daß die Fichtesche Phi-
losophie immer viel von der Satire auszustehen hatte. 
Ich sah mal eine Karikatur, die eine Fichtesche Gans 
vorstellt. Sie hat eine so große Leber, daß sie nicht 
mehr weiß, ob sie die Gans oder ob sie die Leber ist. 
Auf ihrem Bauch steht: Ich - Ich. Jean Paul hat die 
Fichtesche Philosophie aufs heilloseste persifliert in 
einem Buche, betitelt »Clavis Fichteana«. Daß der 
Idealismus in seiner konsequenten Durchführung am 
Ende gar die Realität der Materie leugnete, das er-
schien dem großen Publikum als ein Spaß, der zu 
weit getrieben. Wir mokierten uns nicht übel über das
Fichtesche Ich, welches die ganze Erscheinungswelt 
durch sein bloßes Denken produzierte. Unseren Spöt-
tern kam dabei ein Mißverständnis zustatten, das zu 
populär geworden, als daß ich es unerwähnt lassen 
dürfte. Der große Haufe meinte nämlich, das 
Fichtesche Ich, das sei das Ich von Johann Gottlieb 
Fichte, und dieses individuelle Ich leugne alle anderen
Existenzen. »Welche Unverschämtheit!« riefen die 
guten Leute, »dieser Mensch glaubt nicht, daß wir 
existieren, wir, die wir weit korpulenter als er und als 
Bürgermeister und Amtsaktuare sogar seine Vorge-
setzten sind!« Die Damen fragten: »Glaubt er nicht 
wenigstens an die Existenz seiner Frau? Nein? Und 
das läßt Madame Fichte so hingehn?«
Das Fichtesche Ich ist aber kein individuelles Ich, 
sondern das zum Bewußtsein gekommene allgemeine 
Welt-Ich. Das Fichtesche Denken ist nicht das Den-
ken eines Individuums, eines bestimmten Menschen, 
der Johann Gottlieb Fichte heißt; es ist vielmehr ein 
allgemeines Denken, das sich in einem Individuum 
manifestiert. So wie man sagt: es regnet, es blitzt 
usw., so sollte auch Fichte nicht sagen: »ich denke«, 
sondern: »es denkt«, »das allgemeine Weltdenken 
denkt in mir«.
Bei einer Vergleichung der französischen Revoluti-
on mit der deutschen Philosophie habe ich einst, mehr
aus Scherz als im Ernste, den Fichte mit Napoleon 
verglichen. Aber, in der Tat, es bieten sich hier be-
deutsame Ähnlichkeiten. Nachdem die Kantianer ihr 
terroristisches Zerstörungswerk vollbracht, erscheint 
Fichte, wie Napoleon erschienen, nachdem die Kon-
vention ebenfalls mit einer reinen Vernunftkritik die 
ganze Vergangenheit niedergerissen hatte. Napoleon 
und Fichte repräsentieren das große, unerbittliche Ich,
bei welchem Gedanke und Tat eins sind, und die ko-
lossalen Gebäude, welche beide zu konstruieren wis-
sen, zeugen von einem kolossalen Willen. Aber durch
die Schrankenlosigkeit dieses Willens gehen jene Ge-
bäude gleich wieder zugrunde, und die Wissenschafts-
lehre wie das Kaiserreich zerfallen und verschwinden 
ebenso schnell, wie sie entstanden.
Das Kaiserreich gehört nur noch der Geschichte, 
aber die Bewegung, welche der Kaiser in der Welt 
hervorgebracht, ist noch immer nicht gestillt, und von 
dieser Bewegung lebt noch unsere Gegenwart. So ist 
es auch mit der Fichteschen Philosophie. Sie ist ganz 
untergegangen, aber die Geister sind noch aufgeregt 
von den Gedanken, die durch Fichte laut geworden, 
und unberechenbar ist die Nachwirkung seines Wor-
tes. Wenn auch der ganze Transzendentalidealismus 
ein Irrtum war, so lebte doch in den Fichteschen 
Schriften eine stolze Unabhängigkeit, eine Freiheits-
liebe, eine Manneswürde, die besonders auf die Ju-
gend einen heilsamen Einfluß übte. Fichtes Ich war 
ganz übereinstimmend mit seinem unbeugsamen, 
hartnäckigen, eisernen Charakter. Die Lehre von 
einem solchen allmächtigen Ich konnte vielleicht nur 
einem solchen Charakter entsprießen, und ein solcher 
Charakter mußte, zurückwurzelnd in eine solche 
Lehre, noch unbeugsamer werden, noch hartnäckiger, 
noch eiserner.
Wie mußte dieser Mann den gesinnungslosen 
Skeptikern, den frivolen Eklektikern und den Moder-
anten von allen Farben ein Greuel sein! Sein ganzes 
Leben war ein beständiger Kampf. Seine Jugendge-
schichte ist eine Reihe von Kümmernissen, wie bei 
fast allen unseren ausgezeichneten Männern. Armut 
sitzt an ihrer Wiege und schaukelt sie groß, und diese 
magere Amme bleibt ihre treue Lebensgefährtin.
Nichts ist rührender, als den willenstolzen Fichte 
zu sehen, wie er sich durch Hofmeisterei in der Welt 
durchzuquälen sucht. Solches klägliche Dienstbrot 
kann er nicht einmal in der Heimat finden, und er muß
nach Warschau wandern. Dort die alte Geschichte. 
Der Hofmeister mißfällt der gnädigen Frau oder viel-
leicht gar der ungnädigen Kammerjungfer. Seine 
Kratzfüße sind nicht fein genug, nicht französisch 
genug, und er wird nicht mehr würdig befunden, die 
Erziehung eines kleinen polnischen Junkers zu leiten. 
Johann Gottlieb Fichte wird abgeschafft wie ein 
Lakai, erhält von der mißvergnügten Herrschaft kaum
einen dürftigen Zehrpfennig, verläßt Warschau und 
wandert nach Königsberg, in jugendlichem Enthusias-
mus, um Kant kennenzulernen. Das Zusammentreffen 
dieser beiden Männer ist in jeder Hinsicht interessant,
und ich glaube beider Weise und Zustände nicht 
besser veranschaulichen zu können, als indem ich ein 
Fragment aus Fichtes Tagebuch mitteile, das in einer 
Biographie desselben, die sein Sohn unlängst heraus-
gegeben, enthalten ist:
»Am fünfundzwanzigsten Juni ging ich nach Kö-
nigsberg ab mit einem Fuhrmann von dorther und traf
ohne besondere Fährlichkeiten am ersten Juli daselbst
ein. - Den vierten Kant besucht, der mich indes nicht 
sonderlich aufnahm: ich hospitierte bei ihm und fand 
auch da meine Erwartungen nicht befriedigt. Sein 
Vortrag ist schläfrig. Unterdes schrieb ich dies Tage-
buch. -
- Schon lange wollte ich Kant ernsthafter besuchen,
fand aber kein Mittel. Endlich fiel ich darauf, eine 
›Kritik aller Offenbarungen‹ zu schreiben und sie ihm
statt einer Empfehlung zu überreichen. Ich fing unge-
fähr den dreizehnten damit an und arbeitete seitdem 
ununterbrochen fort. - Am achtzehnten August über-
schickte ich endlich die nun fertig gewordene Arbeit 
an Kant und ging den fünfundzwanzigsten hin, um 
sein Urteil darüber zu hören. Er empfing mich mit 
ausgezeichneter Güte und schien sehr wohl mit der 
Abhandlung zufrieden. Zu einem näheren wissen-
schaftlichen Gespräche kam es nicht; wegen meiner 
philosophischen Zweifel verwies er mich an seine 
›Kritik der reinen Vernunft‹ und an den Hofprediger 
Schultz, den ich sofort aufsuchen werde. Am 
sechsundzwanzigsten speiste ich bei Kant, in Gesell-
schaft des Professor Sommer, und fand einen sehr an-
genehmen, geistreichen Mann an Kant; erst jetzt er-
kannte ich Züge in ihm, die des großen, in seinen 
Schriften niedergelegten Geistes würdig sind.
Den siebenundzwanzigsten endigte ich dies Tage-
buch, nachdem ich vorher schon die Exzerpte aus den 
Kantschen Vorlesungen über Anthropologie, welche 
mir Herr v. S. geliehen, beendigt hatte. Zugleich be-
schließe ich, jenes hinfüro ordentlich alle Abende vor 
Schlafengehn fortzusetzen und alles Interessante, was 
mir begegnet, besonders aber Charakterzüge und Be-
merkungen, einzutragen.
Den achtundzwanzigsten, abends. Noch gestern 
fing ich an, meine ›Kritik‹ zu revidieren, und kam auf 
recht gute, tiefe Gedanken, die mich aber leider über-
zeugten, daß die erste Bearbeitung von Grund aus 
oberflächlich ist. Heute wollte ich die neuen Untersu-
chungen fortsetzen, fand mich aber von meiner Phan-
tasie so fortgerissen, daß ich den ganzen Tag nichts 
habe tun können. In meiner jetzigen Lage ist dies nun 
leider kein Wunder! Ich habe berechnet, daß ich von 
heute an nur noch vierzehn Tage hier subsistieren 
kann. - Freilich bin ich schon in solchen Verlegenhei-
ten gewesen, aber es war in meinem Vaterlande, und 
dann wird es bei zunehmenden Jahren und dringende-
rem Ehrgefühl immer härter. - Ich habe keinen 
Entschluß, kann keinen fassen. - Dem Pastor Bo-
rowski, zu welchem Kant mich gehen ließ, werde ich 
mich nicht entdecken; soll ich mich ja entdecken, so 
geschieht es an niemand als Kant selbst.
Am neunundzwanzigsten ging ich zu Borowski und
fand an ihm einen recht guten, ehrlichen Mann. Er 
schlug mir eine Kondition vor, die aber noch nicht 
völlig gewiß ist und die mich auch gar nicht sehr 
freut; zugleich nötigte er mir durch seine Offenheit 
das Geständnis ab, daß ich pressiert sei, eine Versor-
gung zu wünschen. Er riet mir, zu Professor W. zu 
gehn. Arbeiten habe ich nicht gekonnt. - Am folgen-
den Tage ging ich in der Tat zu W. und nachher zum 
Hofprediger Schultz. Die Aussichten bei ersterem 
sind sehr mißlich; doch sprach er von Hauslehrerstel-
len im Kurländischen, die mich ebenfalls nur die 
höchste Not anzunehmen bewegen wird! Nachher 
zum Hofprediger, wo anfangs mich seine Gattin emp-
fing. Auch er erschien, aber in mathematische Zirkel 
vertieft; nachher, als er meinen Namen genauer hörte, 
wurde er durch die Empfehlung Kants desto freundli-
cher. Es ist ein eckiges preußisches Gesicht, doch 
leuchtet die Ehrlichkeit und Gutherzigkeit selbst aus 
seinen Zügen hervor. Ferner lernte ich da noch kennen
Herrn Bräunlich und dessen Pflegbefohlnen, den Gra-
fen Dönhof, Herrn Büttner, Neveu des Hofpredigers, 
und einen jungen Gelehrten aus Nürnberg, Herrn 
Ehrhard, einen guten, trefflichen Kopf, doch ohne Le-
bensart und Weltkenntnis.
Am ersten September stand ein Entschluß in mir 
fest, den ich Kant entdecken wollte; eine Hauslehrer-
stelle, so ungern ich dieselbe auch angenommen hätte,
findet sich nicht, und die Ungewißheit meiner Lage 
hindert mich hier, mit freiem Geiste zu arbeiten und 
des bildenden Umgangs meiner Freunde zu genießen: 
also fort, in mein Vaterland zurück! Das kleine Darle-
hen, welches ich dazu bedarf, wird mir vielleicht 
durch Kants Vermittelung verschafft werden. Aber 
indem ich zu ihm gehn und meinen Vorschlag ihm 
machen wollte, entfiel mir der Mut. Ich beschloß zu 
schreiben. Abends wurde ich zu Hofpredigers gebe-
ten, wo ich einen sehr angenehmen Abend verlebte. 
Am zweiten vollendete ich den Brief an Kant und 
schickte ihn ab.«
Trotz seiner Merkwürdigkeit kann ich mich doch 
nicht entschließen, diesen Brief hier in französischer 
Sprache mitzuteilen. Ich glaube, es steigt mir eine 
Röte in die Wangen, und mir ist, als sollte ich die ver-
schämtesten Kümmernisse der eignen Familie vor 
fremden Leuten erzählen. Trotz meinem Streben nach 
französischem Weltsinn, trotz meinem philosophi-
schen Kosmopolitismus sitzt doch immer das alte 
Deutschland mit allen seinen Spießbürgergefühlen in 
meiner Brust. - Genug, ich kann jenen Brief nicht&nb