Zur Geschichte der
Religion und Philosophie
in Deutschland

Zweites Buch

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Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Im vorigen Buche haben wir von der großen reli-
giösen Revolution gehandelt, die von Martin Luther 
in Deutschland repräsentiert ward. Jetzt haben wir 
von der philosophischen Revolution zu sprechen, die 
aus jener hervorging, ja, die eben nichts anderes ist 
wie die letzte Konsequenz des Protestantismus.
Ehe wir aber erzählen, wie diese Revolution durch 
Immanuel Kant zum Ausbruch kam, müssen die phi-
losophischen Vorgänge im Auslande, die Bedeutung 
des Spinoza, die Schicksale der Leibnizischen Philo-
sophie, die Wechselverhältnisse dieser Philosophie 
und der Religion, die Reibungen derselben, ihr Zer-
würfnis u. dgl. m. erwähnt werden. Beständig aber 
halten wir im Auge diejenigen von den Fragen der 
Philosophie, denen wir eine soziale Bedeutung bei-
messen und zu deren Lösung sie mit der Religion 
konkurriert.
Dieses ist nun die Frage von der Natur Gottes. 
»Gott ist Anfang und Ende aller Weisheit!« sagen die 
Gläubigen in ihrer Demut, und der Philosoph, in 
allem Stolze seines Wissens, muß diesem frommen 
Spruche beistimmen.
Nicht Baco, wie man zu lehren pflegt, sondern 
René Descartes ist der Vater der neuern Philosophie, 
und in welchem Grade die deutsche Philosophie von 
ihm abstammt, werden wir ganz deutlich zeigen.
René Descartes ist ein Franzose, und dem großen 
Frankreich gebührt auch hier der Ruhm der Initiative. 
Aber das große Frankreich, das geräuschvolle, beweg-
te, vielschwatzende Land der Franzosen, war nie ein 
geeigneter Boden für Philosophie, diese wird viel-
leicht niemals darauf gedeihen, und das fühlte René 
Descartes, und er ging nach Holland, dem stillen, 
schweigenden Lande der Trekschuiten und Holländer,
und dort schrieb er seine philosophischen Werke. Nur
dort konnte er seinen Geist von dem traditionellen 
Formalismus befreien und eine ganze Philosophie aus
reinen Gedanken emporbauen, die weder dem Glau-
ben noch der Empirie abgeborgt sind, wie es seitdem 
von jeder wahren Philosophie verlangt wird. Nur dort 
konnte er so tief in des Denkens Abgründe sich ver-
senken, daß er es in den letzten Gründen des Selbst-
bewußtseins ertappte und er eben durch den Gedan-
ken das Selbstbewußtsein konstatieren konnte, in dem
weltberühmten Satze: Cogito, ergo sum.
Aber auch vielleicht nirgends anders als in Holland
konnte Descartes es wagen, eine Philosophie zu leh-
ren, die mit allen Traditionen der Vergangenheit in 
den offenbarsten Kampf geriet. Ihm gebührt die Ehre, 
die Autonomie der Philosophie gestiftet zu haben; 
diese brauchte nicht mehr die Erlaubnis zum Denken 
von der Theologie zu erbetteln und durfte sich jetzt 
als selbständige Wissenschaft neben dieselbe hinstel-
len. Ich sage nicht: derselben entgegensetzen, denn es 
galt damals der Grundsatz: die Wahrheiten, wozu wir 
durch die Philosophie gelangen, sind am Ende diesel-
ben, welche uns auch die Religion überliefert. Die 
Scholastiker, wie ich schon früher bemerkt, hatten 
hingegen der Religion nicht bloß die Suprematie über 
die Philosophie eingeräumt, sondern auch diese letzte-
re für ein nichtiges Spiel, für eitel Wortfechterei er-
klärt, sobald sie mit den Dogmen der Religion in Wi-
derspruch geriet. Den Scholastikern war es nur darum
zu tun, ihre Gedanken auszusprechen, gleichviel unter
welcher Bedingung. Sie sagten ein mal eins ist eins 
und bewiesen es; aber sie setzten lächelnd hinzu, das 
ist wieder ein Irrtum der menschlichen Vernunft, die 
immer irrt, wenn sie mit den Beschlüssen der ökume-
nischen Konzilien in Widerspruch gerät; ein mal eins 
ist drei, und das ist die wahre Wahrheit, wie uns 
längst offenbart worden, im Namen des Vaters, des 
Sohnes und des Heiligen Geistes! Die Scholastiker 
bildeten, im geheim, eine philosophische Opposition 
gegen die Kirche. Aber öffentlich heuchelten sie die 
größte Unterwürfigkeit, kämpften sogar in manchen 
Fällen für die Kirche, und bei Aufzügen paradierten 
sie im Gefolge derselben, ungefähr wie die französi-
schen Oppositionsdeputierten bei den Feierlichkeiten 
der Restauration. Die Komödie der Scholastiker dau-
erte mehr als sechs Jahrhunderte, und sie wurde 
immer trivialer. Indem Descartes den Scholastizismus
zerstörte, zerstörte er auch die verjährte Opposition 
des Mittelalters. Die alten Besen waren durch das 
lange Fegen stumpf geworden, es klebte daran allzu-
viel Kehricht, und die neue Zeit verlangte neue Besen.
Nach jeder Revolution muß die bisherige Opposition 
abdanken; es geschehen sonst große Dummheiten. 
Wir haben's erlebt. Weniger war es nun die katholi-
sche Kirche als vielmehr die alten Gegner derselben, 
der Nachtrab der Scholastiker, welche sich zuerst 
gegen die Cartesianische Philosophie erhoben. Erst 
1663 verbot sie der Papst.
Ich darf bei Franzosen eine zulängliche, süffisante 
Bekanntschaft mit der Philosophie ihres großen 
Landsmannes voraussetzen, und ich brauche hier 
nicht erst zu zeigen, wie die entgegengesetztesten 
Doktrinen aus ihr das nötige Material entlehnen konn-
ten. Ich spreche hier vom Idealismus und vom Mate-
rialismus.
Da man, besonders in Frankreich, diese zwei Dok-
trinen mit den Namen Spiritualismus und Sensualis-
mus bezeichnet und da ich mich dieser beiden Benen-
nungen in anderer Weise bediene, so muß ich, um Be-
griffsverwirrungen vorzubeugen, die obigen Aus-
drücke näher besprechen.
Seit den ältesten Zeiten gibt es zwei entgegenge-
setzte Ansichten über die Natur des menschlichen 
Denkens, d.h. über die letzten Gründe der geistigen 
Erkenntnis, über die Entstehung der Ideen. Die einen 
behaupten, wir erlangen unsere Ideen nur von außen, 
unser Geist sei nur ein leeres Behältnis, worin die von
den Sinnen eingeschluckten Anschauungen sich verar-
beiten, ungefähr wie die genossenen Speisen in unse-
rem Magen. Um ein besseres Bild zu gebrauchen, 
diese Leute betrachten unseren Geist wie eine tabula 
rasa, worauf später die Erfahrung täglich etwas Neues
schreibt, nach bestimmten Schreibregeln.
Die anderen, die entgegengesetzter Ansicht, be-
haupten, die Ideen sind dem Menschen angeboren, der
menschliche Geist ist der Ursitz der Ideen, und die 
Außenwelt, die Erfahrung und die vermittelnden 
Sinne bringen uns nur zur Erkenntnis dessen, was 
schon vorher in unserem Geiste war, sie wecken dort 
nur die schlafenden Ideen.
Die erstere Ansicht hat man nun den Sensualismus,
manchmal auch den Empirismus genannt; die andere 
nannte man den Spiritualismus, manchmal auch den 
Rationalismus. Dadurch können jedoch leicht Miß-
verständnisse entstehen, da wir mit diesen zwei 
Namen, wie ich schon im vorigen Buche erwähnt, seit
einiger Zeit auch jene zwei soziale Systeme, die sich 
in allen Manifestationen des Lebens geltend machen, 
bezeichnen. Den Namen Spiritualismus überlassen 
wir daher jener frevelhaften Anmaßung des Geistes, 
der, nach alleiniger Verherrlichung strebend, die Ma-
terie zu zertreten, wenigstens zu fletrieren sucht; und 
den Namen Sensualismus überlassen wir jener Oppo-
sition, die, dagegen eifernd, ein Rehabilitieren der 
Materie bezweckt und den Sinnen ihre Rechte vindi-
ziert, ohne die Rechte des Geistes, ja nicht einmal 
ohne die Suprematie des Geistes zu leugnen. Hinge-
gen den philosophischen Meinungen über die Natur 
unserer Erkenntnisse gehe ich lieber die Namen Idea-
lismus und Materialismus; und ich bezeichne mit dem
ersteren die Lehre von den angeborenen Ideen, von 
den Ideen a priori, und mit dem anderen Namen be-
zeichne ich die Lehre von der Geisteserkenntnis durch
die Erfahrung, durch die Sinne, die Lehre von den 
Ideen a posteriori.
Bedeutungsvoll ist der Umstand, daß die idealisti-
sche Seite der Cartesianischen Philosophie niemals in
Frankreich Glück machen wollte. Mehre berühmte 
Jansenisten verfolgten einige Zeit diese Richtung, 
aber sie verloren sich bald in den christlichen Spiri-
tualismus. Vielleicht war es dieser Umstand, welcher 
den Idealismus in Frankreich diskreditierte. Die Völ-
ker ahnen instinktmäßig, wessen sie bedürfen, um 
ihre Mission zu erfüllen. Die Franzosen waren schon 
auf dem Wege zu jener politischen Revolution, die 
erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ausbrach 
und wozu sie eines Beils und einer ebenso kaltschar-
fen, materialistischen Philosophie bedurften. Der 
christliche Spiritualismus stand als Mitkämpfer in den
Reihen ihrer Feinde, und der Sensualismus wurde 
daher ihr natürlicher Bundesgenosse. Da die französi-
schen Sensualisten gewöhnlich Materialisten waren, 
so entstand der Irrtum, daß der Sensualismus nur aus 
dem Materialismus hervorgehe. Nein, jener kann sich 
ebensogut als ein Resultat des Pantheismus geltend 
machen, und da ist seine Erscheinung schön und herr-
lich. Wir wollen jedoch dem französischen Materia-
lismus keineswegs seine Verdienste absprechen. Der 
französische Materialismus war ein gutes Gegengift 
gegen das Übel der Vergangenheit, ein verzweifeltes 
Heilmittel in einer verzweifelten Krankheit, Merkur 
für ein infiziertes Volk. Die französischen Philoso-
phen wählten John Locke zu ihrem Meister. Das war 
der Heiland, dessen sie bedurften. Sein »Essay on 
human understanding« ward ihr Evangelium; darauf 
schworen sie. John Locke war bei Descartes in die 
Schale gegangen und hatte alles von ihm gelernt, was 
ein Engländer lernen kann: Mechanik, Scheidekunst, 
Kombinieren, Konstruieren, Rechnen. Nur eins hat er 
nicht begreifen können, nämlich die angeborenen 
Ideen. Er vervollkommnete daher die Doktrin, daß wir
unsere Erkenntnisse von außen, durch die Erfahrung, 
erlangen. Er machte den menschlichen Geist zu einer 
Art Rechenkasten, der ganze Mensch wurde eine eng-
lische Maschine. Dieses gilt auch von dem Menschen,
wie ihn die Schüler Lockes konstruierten, obgleich sie
sich durch verschiedene Benennungen voneinander 
unterscheiden wollen. Sie haben alle Angst vor den 
letzten Folgerungen ihres obersten Grundsatzes, und 
der Anhänger Condillacs erschrickt, wenn man ihn 
mit einem Helvetius oder gar mit einem Holbach oder
vielleicht noch am Ende mit einem Lamettrie in eine 
Klasse setzt, und doch muß es geschehen, und ich 
darf daher die französischen Philosophen des acht-
zehnten Jahrhunderts und ihre heutigen Nachfolger 
samt und sonders als Materialisten bezeichnen. 
»L'homme machine« ist das konsequenteste Buch der 
französischen Philosophie, und der Titel schon verrät 
das letzte Wort ihrer ganzen Weltansicht.
Diese Materialisten waren meistens auch Anhänger
des Deismus, denn eine Maschine setzt einen Mecha-
nikus voraus, und es gehört zu der höchsten Vollkom-
menheit dieser ersteren, daß sie die technischen 
Kenntnisse eines solchen Künstlers, teils an ihrer ei-
genen Konstruktion, teils an seinen übrigen Werken, 
zu erkennen und zu schätzen weiß.
Der Materialismus hat in Frankreich seine Mission 
erfüllt. Er vollbringt jetzt vielleicht dasselbe Werk in 
England, und auf Locke fußen dort die revolutionären 
Parteien, namentlich die Benthamisten, die Prädikan-
ten der Utilität. Diese sind gewaltige Geister, die den 
rechten Hebel ergriffen, womit man John Bull in Be-
wegung setzen kann. John Bull ist ein geborener Ma-
terialist, und sein christlicher Spiritualismus ist mei-
stens eine traditionelle Heuchelei oder doch nur mate-
rielle Borniertheit - sein Fleisch resigniert sich, weil 
ihm der Geist nicht zu Hülfe kommt. Anders ist es in 
Deutschland, und die deutschen Revolutionäre irren 
sich, wenn sie wähnen, daß eine materialistische Phi-
losophie ihren Zwecken günstig sei. Ja, es ist dort gar 
keine allgemeine Revolution möglich, solange ihre 
Prinzipien nicht aus einer volkstümlicheren, religiöse-
ren und deutscheren Philosophie deduziert und durch 
die Gewalt derselben herrschend geworden. Welche 
Philosophie ist dieses? Wir werden sie späterhin un-
umwunden besprechen. Ich sage: unumwunden, denn 
ich rechne darauf, daß auch Deutsche diese Blätter 
lesen.
Deutschland hat von jeher eine Abneigung gegen 
den Materialismus bekundet und wurde deshalb, wäh-
rend anderthalb Jahrhunderte, der eigentliche Schau-
platz des Idealismus. Auch die Deutschen begaben 
sich in die Schule des Descartes, und der große Schü-
ler desselben hieß Gottfried Wilhelm Leibniz. Wie 
Locke die materialistische Richtung, so verfolgte 
Leibniz die idealistische Richtung des Meisters. Hier 
finden wir am determiniertesten die Lehre von den an-
geborenen Ideen Er bekämpfte Locke in seinen »Nou-
veaux essais sur l'entendement humain«. Mit Leibniz 
erblühte ein großer Eifer für philosophisches Studium
bei den Deutschen. Er weckte die Geister und lenkte 
sie in neue Bahnen. Ob der inwohnenden Milde, ob 
des religiösen Sinnes, der seine Schriften belebte, 
wurden auch die widerstrebenden Geister mit der 
Kühnheit derselben einigermaßen ausgesöhnt, und die
Wirkung war ungeheuer. Die Kühnheit dieses Den-
kers zeigt sich namentlich in seiner Monadenlehre, 
eine der merkwürdigsten Hypothesen, die je aus dem 
Haupte eines Philosophen hervorgegangen. Diese ist 
auch zugleich das Beste, was er geliefert; denn es 
dämmert darin schon die Erkenntnis der wichtigsten 
Gesetze, die unsere heutige Philosophie erkannt hat. 
Die Lehre von den Monaden war vielleicht nur eine 
unbehülfliche Formulierung dieser Gesetze, die jetzt 
von den Naturphilosophen in bessern Formeln ausge-
sprochen worden. Ich sollte hier eigentlich statt des 
Wortes »Gesetz« eben nur »Formel« sagen; denn 
Newton hat ganz recht, wenn er bemerkt, daß dasjeni-
ge, was wir Gesetze in der Natur nennen, eigentlich 
nicht existiert und daß es nur Formeln sind, die unse-
rer Fassungskraft zu Hülfe kommen, um eine Reihe 
von Erscheinungen in der Natur zu erklären. Die 
»Theodizee« ist in Deutschland von allen 
Leibnizischen Schriften am meisten besprochen wor-
den. Es ist jedoch sein schwächstes Werk. Dieses 
Buch, wie noch einige andere Schriften, worin sich 
der religiöse Geist des Leibniz ausspricht, hat ihm 
manchen bösen Leumund, manche bittere Verkennung
zugezogen. Seine Feinde haben ihn der gemütlichsten 
Schwachköpfigkeit beschuldigt; seine Freunde, die 
ihn verteidigten, machten ihn dagegen zu einem pfiffi-
gen Heuchler. Der Charakter des Leibniz blieb lange 
bei uns ein Gegenstand der Kontroverse. Die Billig-
sten haben ihn von dem Vorwurf der Zweideutigkeit 
nicht freisprechen können. Am meisten schmähten ihn
die Freidenker und Aufklärer. Wie konnten sie einem 
Philosophen verzeihen, die Dreieinigkeit, die ewigen 
Höllenstrafen und gar die Gottheit Christi verteidigt 
zu haben! So weit erstreckte sich nicht ihre Toleranz. 
Aber Leibniz war weder ein Tor noch ein Schuft, und 
von seiner harmonischen Höhe konnte er sehr gut das 
ganze Christentum verteidigen. Ich sage das ganze 
Christentum, denn er verteidigte es gegen das halbe 
Christentum. Er zeigte die Konsequenz der Orthodo-
xen im Gegensatze zur Halbheit ihrer Gegner. Mehr 
hat er nie gewollt. Und dann stand er auf jenem Indif-
ferenzpunkte, wo die verschiedensten Systeme nur 
verschiedene Seiten derselben Wahrheit sind. Diesen 
Indifferenzpunkt hat späterhin auch Herr Schelling 
erkannt, und Hegel hat ihn wissenschaftlich 
begründet, als ein System der Systeme. In gleicher 
Weise beschäftigte sich Leibniz mit einer Harmonie 
zwischen Plato und Aristoteles. Auch in der späteren 
Zeit ist diese Aufgabe oft genug bei uns vorgekom-
men. Ist sie gelöst worden?
Nein, wahrhaftig nein! Denn diese Aufgabe ist 
eben nichts anders als eine Schlichtung des Kampfes 
zwischen Idealismus und Materialismus. Plato ist 
durchaus Idealist und kennt nur angeborene oder viel-
mehr mitgeborene Ideen: der Mensch bringt die Ideen 
mit zur Welt, und wenn er derselben bewußt wird, so 
kommen sie ihm vor wie Erinnerungen aus einem frü-
heren Dasein. Daher auch das Vage und Mystische 
des Plato, er erinnert sich mehr oder minder klar. Bei 
Aristoteles hingegen ist alles klar, alles deutlich, alles
sicher; denn seine Erkenntnisse offenbaren sich nicht 
in ihm mit vorweltlichen Beziehungen, sondern er 
schöpft alles aus der Erfahrung und weiß alles aufs 
bestimmteste zu klassifizieren. Er bleibt daher auch 
ein Muster für alle Empiriker, und diese wissen nicht 
genug Gott zu preisen, daß er ihn zum Lehrer des 
Alexander gemacht, daß er durch dessen Eroberungen
so viele Gelegenheiten fand zur Beförderung der Wis-
senschaft und daß sein siegender Schüler ihm so viele
tausend Talente gegeben zu zoologischen Zwecken. 
Dieses Geld hat der alte Magister gewissenhaft ver-
wendet, und er hat dafür eine ehrliche Anzahl von 
Säugetieren seziert und Vögel ausgestopft und dabei 
die wichtigsten Beobachtungen angestellt; aber die 
große Bestie, die er am nächsten vor Augen hatte, die 
er selber auferzogen und die weit merkwürdiger war 
als die ganze damalige Weltmenagerie, hat er leider 
übersehen und unerforscht gelassen. In der Tat, er ließ
uns ganz ohne Kunde über die Natur jenes Jüngling-
königs, dessen Leben und Taten wir noch immer als 
Wunder und Rätsel anstaunen. Wer war Alexander? 
Was wollte er? War er ein Wahnsinniger oder ein 
Gott? Noch jetzt wissen wir es nicht. Desto bessere 
Auskunft gibt uns Aristoteles über babylonische 
Meerkatzen, indische Papageien und griechische Tra-
gödien, welche er ebenfalls seziert hat.
Plato und Aristoteles! Das sind nicht bloß die zwei 
Systeme, sondern auch die Typen zweier verschiede-
nen Menschennaturen, die sich, seit undenklicher Zeit,
unter allen Kostümen, mehr oder minder feindselig 
entgegenstehen. Vorzüglich das ganze Mittelalter hin-
durch, bis auf den heutigen Tag, wurde solchermaßen 
gekämpft, und dieser Kampf ist der wesentlichste In-
halt der christlichen Kirchengeschichte. Von Plato 
und Aristoteles ist immer die Rede, wenn auch unter 
anderem Namen. Schwärmerische, mystische, platoni-
sche Naturen offenbaren aus den Abgründen ihres Ge-
mütes die christlichen Ideen und die entsprechenden 
Symbole. Praktische, ordnende, aristotelische Naturen
bauen aus diesen Ideen und Symbolen ein festes Sy-
stem, eine Dogmatik und einen Kultus. Die Kirche 
umschließt endlich beide Naturen, wovon die einen 
sich meistens im Klerus und die anderen im Mönchs-
tum verschanzen, aber sich unablässig befehden. In 
der protestantischen Kirche zeigt sich derselbe 
Kampf, und das ist der Zwiespalt zwischen Pietisten 
und Orthodoxen, die den katholischen Mystikern und 
Dogmatikern in einer gewissen Weise entsprechen. 
Die protestantischen Pietisten sind Mystiker ohne 
Phantasie, und die protestantischen Orthodoxen sind 
Dogmatiker ohne Geist.
Diese beiden protestantischen Parteien finden wir 
in einem erbitterten Kampfe zur Zeit des Leibniz, und
die Philosophie desselben intervenierte späterhin, als 
Christian Wolff sich derselben bemächtigte, sie den 
Zeitbedürfnissen anpaßte und sie, was die Hauptsache
war, in deutscher Sprache vortrug. Ehe wir aber von 
diesem Schüler des Leibniz, von den Wirkungen sei-
nes Strebens und von den späteren Schicksalen des 
Luthertums ein Weiteres berichten, müssen wir des 
providentiellen Mannes erwähnen, der gleichzeitig 
mit Locke und Leibniz sich in der Schule des Des-
cartes gebildet hatte, lange Zeit nur mit Hohn und 
Haß betrachtet worden und dennoch in unseren heuti-
gen Tagen zur alleinigen Geisterherrschaft empor-
steigt.
Ich spreche von Benedikt Spinoza.
Ein großer Genius bildet sich durch einen anderen 
großen Genius, weniger durch Assimilierung als 
durch Reibung. Ein Diamant schleift den andern. So 
hat die Philosophie des Descartes keineswegs die des 
Spinoza hervorgebracht, sondern nur befördert. Daher
zunächst finden wir bei dem Schüler die Methode des 
Meisters; dieses ist ein großer Gewinn. Dann finden 
wir bei Spinoza, wie bei Descartes, die der Mathema-
tik abgeborgte Beweisführung. Dieses ist ein großes 
Gebrechen. Die mathematische Form gibt dem Spino-
za ein herbes Äußere. Aber dieses ist wie die herbe 
Schale der Mandel; der Kern ist um so erfreulicher. 
Bei der Lektüre des Spinoza ergreift uns ein Gefühl 
wie beim Anblick der großen Natur in ihrer lebendig-
sten Ruhe. Ein Wald von himmelhohen Gedanken, 
deren blühende Wipfel in wogender Bewegung sind, 
während die unerschütterlichen Baumstämme in der 
ewigen Erde wurzeln. Es ist ein gewisser Hauch in 
den Schriften des Spinoza, der unerklärlich. Man wird
angeweht wie von den Lüften der Zukunft. Der Geist 
der hebräischen Propheten ruhte vielleicht noch auf 
ihrem späten Enkel. Dabei ist ein Ernst in ihm, ein 
selbstbewußter Stolz, eine Gedankengrandezza, die 
ebenfalls ein Erbteil zu sein scheint; denn Spinoza ge-
hörte zu jenen Märtyrerfamilien, die damals von den 
allerkatholischsten Königen aus Spanien vertrieben 
worden. Dazu kommt noch die Geduld des Hollän-
ders, die sich ebenfalls, wie im Leben, so auch in den 
Schriften des Mannes, niemals verleugnet hat.
Konstatiert ist es, daß der Lebenswandel des Spi-
noza frei von allem Tadel war und rein und makellos 
wie das Leben seines göttlichen Vetters, Jesu Christi. 
Auch wie dieser litt er für seine Lehre, wie dieser trug
er die Dornenkrone. Überall, wo ein großer Geist sei-
nen Gedanken ausspricht, ist Golgatha.
Teurer Leser, wenn du mal nach Amsterdam 
kömmst, so laß dir dort von dem Lohnlakaien die spa-
nische Synagoge zeigen. Diese ist ein schönes Gebäu-
de, und das Dach ruht auf vier kolossalen Pfeilern, 
und in der Mitte steht die Kanzel, wo einst der Bann-
fluch ausgesprochen wurde über den Verächter des 
mosaischen Gesetzes, den Hidalgo Don Benedikt de 
Spinoza. Bei dieser Gelegenheit wurde auf einem 
Bockshorne geblasen, welches Schofar heißt. Es muß 
eine furchtbare Bewandtnis haben mit diesem Horne. 
Denn wie ich mal in dem Leben des Salomon Mai-
mon gelesen, suchte einst der Rabbi von Altona ihn, 
den Schüler Kants, wieder zum alten Glauben zurück-
zuführen, und als derselbe bei seinen philosophischen
Ketzereien halsstarrig beharrte, wurde er drohend und
zeigte ihm den Schofar, mit den finstern Worten: 
»Weißt du, was das ist?« Als aber der Schüler Kants 
sehr gelassen antwortete: »Es ist das Horn eines 
Bockes!«, da fiel der Rabbi rücklings zu Boden vor 
Entsetzen.
Mit diesem Horne wurde die Exkommunikation des
Spinoza akkompagniert, er wurde feierlich ausgesto-
ßen aus der Gemeinschaft Israels und unwürdig er-
klärt, hinfüro den Namen Jude zu tragen. Seine christ-
lichen Feinde waren großmütig genug, ihm diesen 
Namen zu lassen. Die Juden aber, die Schweizergarde
des Deismus, waren unerbittlich, und man zeigt den 
Platz vor der spanischen Synagoge zu Amsterdam, wo
sie einst mit ihren langen Dolchen nach dem Spinoza 
gestochen haben.
Ich konnte nicht umhin, auf solche persönliche 
Mißgeschicke des Mannes besonders aufmerksam zu 
machen. Ihn bildete nicht bloß die Schule, sondern 
auch das Leben. Das unterscheidet ihn von den mei-
sten Philosophen, und in seinen Schriften erkennen 
wir die mittelbaren Einwirkungen des Lebens. Die 
Theologie war für ihn nicht bloß eine Wissenschaft. 
Ebenso die Politik. Auch diese lernte er in der Praxis 
kennen. Der Vater seiner Geliebten wurde wegen po-
litischer Vergehen in den Niederlanden gehenkt. Und 
nirgends in der Welt wird man schlechter gehenkt wie
in den Niederlanden. Ihr habt keinen Begriff davon, 
wie unendlich viele Vorbereitungen und Zeremonien 
dabei stattfinden. Der Delinquent stirbt zugleich vor 
Langerweile, und der Zuschauer hat dabei 
hinlängliche Muße zum Nachdenken. Ich bin daher 
überzeugt, daß Benedikt Spinoza über die Hinrich-
tung des alten van Ende sehr viel nachgedacht hat, 
und so wie er früher die Religion mit ihren Dolchen 
begriffen, so begriff er auch jetzt die Politik mit ihren 
Stricken. Kunde davon gibt sein »Tractatus politi-
cus«.
Ich habe nur die Art und Weise hervorzuheben, wie
die Philosophen mehr oder minder miteinander ver-
wandt sind, und ich zeige nur die Verwandtschafts-
grade und die Erbfolge. Diese Philosophie des Spino-
za, des dritten Sohnes des René Descartes, wie er sie 
in seinem Hauptwerk, in der »Ethik«, doziert, ist von 
dem Materialismus seines Bruders Locke ebensosehr 
entfernt wie von dem Idealismus seines Bruders Leib-
niz. Spinoza quält sich nicht analytisch mit der Frage 
über die letzten Gründe unserer Erkenntnisse. Er gibt 
uns seine große Synthese, seine Erklärung von der 
Gottheit.
Benedikt Spinoza lehrt: Es gibt nur eine Substanz, 
das ist Gott. Diese eine Substanz ist unendlich, sie ist 
absolut. Alle endliche Substanzen derivieren von ihr, 
sind in ihr enthalten, tauchen in ihr auf, tauchen in ihr
unter, sie haben nur relative, vorübergehende, akzi-
dentielle Existenz. Die absolute Substanz offenbart 
sich uns sowohl unter der Form des unendlichen Den-
kens als auch unter der Form der unendlichen 
Ausdehnung. Beides, das unendliche Denken und die 
unendliche Ausdehnung, sind die zwei Attribute der 
absoluten Substanz. Wir erkennen nur diese zwei At-
tribute; Gott, die absolute Substanz, hat aber viel-
leicht noch mehr Attribute, die wir nicht kennen. 
»Non dico me deum omnino cognoscere, sed me 
quaedam ejus attributa, non autem omnia, neque ma-
ximam intelligere partem.«
Nur Unverstand und Böswilligkeit konnten dieser 
Lehre das Beiwort »atheistisch« beilegen. Keiner hat 
sich jemals erhabener über die Gottheit ausgespro-
chen wie Spinoza. Statt zu sagen, er leugne Gott, 
könnte man sagen, er leugne den Menschen. Alle end-
liche Dinge sind ihm nur Modi der unendlichen Sub-
stanz. Alle endliche Dinge sind in Gott enthalten, der 
menschliche Geist ist nur ein Lichtstrahl des unendli-
chen Denkens, der menschliche Leib ist nur ein Atom 
der unendlichen Ausdehnung; Gott ist die unendliche 
Ursache beider, der Geister und der Leiber, natura na-
turans.
In einem Briefe an Madame Du Devant zeigt Vol-
taire sich ganz entzückt über einen Einfall dieser 
Dame, die sich geäußert hatte, daß alle Dinge, die der 
Mensch durchaus nicht wissen könne, sicher von der 
Art sind, daß ein Wissen derselben ihm nichts nützen 
würde. Diese Bemerkung möchte ich auf jenen Satz 
des Spinoza anwenden, den ich oben mit seinen 
eignen Worten mitgeteilt und wonach der Gottheit 
nicht bloß die zwei erkennbaren Attribute, Denken 
und Ausdehnung, sondern vielleicht auch andere für 
uns unerkennbare Attribute gebühren. Was wir nicht 
erkennen können, hat für uns keinen Wert, wenigstens
keinen Wert auf dem sozialen Standpunkte, wo es 
gilt, das im Geiste Erkannte zur leiblichen Erschei-
nung zu bringen. In unserer Erklärung des Wesens 
Gottes nehmen wir daher Bezug nur auf jene zwei er-
kennbare Attribute. Und dann ist ja doch am Ende 
alles, was wir Attribute Gottes nennen, nur eine ver-
schiedene Form unserer Anschauung, und diese ver-
schiedenen Formen sind identisch in der absoluten 
Substanz. Der Gedanke ist am Ende nur die unsicht-
bare Ausdehnung, und die Ausdehnung ist nur der 
sichtbare Gedanke. Hier geraten wir in den Hauptsatz 
der deutschen Identitätsphilosophie, die in ihrem 
Wesen durchaus nicht von der Lehre des Spinoza ver-
schieden ist. Mag immerhin Herr Schelling dagegen 
eifern, daß seine Philosophie von dem Spinozismus 
verschieden sei, daß sie mehr »eine lebendige Durch-
dringung des Idealen und Realen« sei, daß sie sich 
von dem Spinozismus unterscheide »wie die ausgebil-
deten griechischen Statuen von den starr-ägyptischen 
Originalen«: dennoch muß ich aufs bestimmteste er-
klären, daß sich Herr Schelling in seiner früheren Pe-
riode, wo er noch ein Philosoph war, nicht im 
geringsten von Spinoza unterschied. Nur auf einem 
andern Wege ist er zu derselben Philosophie gelangt, 
und das habe ich späterhin zu erläutern, wenn ich er-
zähle, wie Kant eine neue Bahn betritt, Fichte ihm 
nachfolgt, Herr Schelling wieder in Fichtes Fußstap-
fen weiterschreitet und, durch das Walddunkel der 
Naturphilosophie umherirrend, endlich dem großen 
Standbilde Spinozas, Angesicht zu Angesicht, gegen-
übersteht.
Die neuere Naturphilosophie hat bloß das Ver-
dienst, daß sie den ewigen Parallelismus, der zwi-
schen dem Geiste und der Materie herrscht, aufs 
scharfsinnigste nachgewiesen. Ich sage Geist und Ma-
terie, und diese Ausdrücke brauche ich als gleichbe-
deutend für das, was Spinoza Gedanken und Ausdeh-
nung nennt. Gewissermaßen gleichbedeutend ist auch 
das, was unsere Naturphilosophen Geist und Natur 
oder das Ideale und das Reale nennen.
Ich werde in der Folge weniger das System als viel-
mehr die Anschauungsweise des Spinoza mit dem 
Namen Pantheismus bezeichnen. Bei letzterem wird, 
ebensogut wie bei dem Deismus, die Einheit Gottes 
angenommen. Aber der Gott des Pantheisten ist in der
Welt selbst, nicht indem er sie mit seiner Göttlichkeit 
durchdringt, in der Weise, die einst der heilige Augu-
stin zu veranschaulichen suchte, als er Gott mit einem
großen See und die Welt mit einem großen Schwamm
verglich, der in der Mitte läge und die Gottheit ein-
sauge: nein, die Welt ist nicht bloß gottgetränkt, gott-
geschwängert, sondern sie ist identisch mit Gott. 
»Gott«, welcher von Spinoza die eine Substanz und 
von den deutschen Philosophen das Absolute genannt 
wird, »ist alles, was da ist«, er ist sowohl Materie wie
Geist, beides ist gleich göttlich, und wer die heilige 
Materie beleidigt, ist ebenso sündhaft wie der, wel-
cher sündigt gegen den Heiligen Geist.
Der Gott des Pantheisten unterscheidet sich also 
von dem Gotte des Deisten dadurch, daß er in der 
Welt selbst ist, während letzterer ganz außer oder, 
was dasselbe ist, über der Welt ist. Der Gott des Dei-
sten regiert die Welt von oben herab, als ein von ihm 
abgesondertes Etablissement. Nur in betreff der Art 
dieses Regierens differenzieren untereinander die Dei-
sten. Die Hebräer denken sich Gott als einen donnern-
den Tyrannen; die Christen als einen liebenden Vater;
die Schüler Rousseaus, die ganze Genfer Schule, den-
ken sich ihn als einen weisen Künstler, der die Welt 
verfertigt hat, ungefähr wie ihr Papa seine Uhren ver-
fertigt, und als Kunstverständige bewundern sie das 
Werk und preisen den Meister dort oben.
Dem Deisten, welcher also einen außerweltlichen 
oder über, weltlichen Gott annimmt, ist nur der Geist 
heilig, indem er letzteren gleichsam als den göttlichen
Atem betrachtet, den der Weltschöpfer dem 
menschlichen Leibe, dem aus Lehm gekneteten Werk 
seiner Hände, eingeblasen hat. Die Juden achteten 
daher den Leib als etwas Geringes, als eine armselige 
Hülle des Ruach hakodasch, des heiligen Hauchs, des
Geistes, und nur diesem widmeten sie ihre Sorgfalt, 
ihre Ehrfurcht, ihren Kultus. Sie wurden daher ganz 
eigentlich das Volk des Geistes, keusch, genügsam, 
ernst, abstrakt, halsstarrig, geeignet zum Martyrtum, 
und ihre sublimste Blüte ist Jesus Christus. Dieser ist 
im wahren Sinne des Wortes der inkarnierte Geist, 
und tiefsinnig bedeutungsvoll ist die schöne Legende, 
daß ihn eine leiblich unberührte, immakulierte Jung-
frau, nur durch geistige Empfängnis, zur Welt ge-
bracht habe.
Hatten aber die Juden den Leib nur mit Gering-
schätzung betrachtet, so sind die Christen auf dieser 
Bahn noch weiter gegangen und betrachteten ihn als 
etwas Verwerfliches, als etwas Schlechtes, als das 
Übel selbst. Da sehen wir nun, einige Jahrhunderte 
nach Christi Geburt, eine Religion emporsteigen, wel-
che ewig die Menschheit in Erstaunen setzen und den 
spätesten Geschlechtern die schauerlichste Bewunde-
rung abtrotzen wird. Ja, es ist eine große, heilige, mit 
unendlicher Seligkeit erfüllte Religion, die dem Gei-
ste auf dieser Erde die unbedingteste Herrschaft er-
obern wollte - aber diese Religion war eben allzu er-
haben, allzu rein, allzu gut für diese Erde, wo ihre 
Idee nur in der Theorie proklamiert, aber niemals in 
der Praxis ausgeführt werden konnte. Der Versuch 
einer Ausführung dieser Idee hat in der Geschichte 
unendlich viel herrliche Erscheinungen hervorge-
bracht, und die Poeten aller Zeiten werden noch lange 
davon singen und sagen. Der Versuch, die Idee des 
Christentums zur Ausführung zu bringen, ist jedoch, 
wie wir endlich sehen, aufs kläglichste verunglückt, 
und dieser unglückliche Versuch hat der Menschheit 
Opfer gekostet, die unberechenbar sind, und trübseli-
ge Folge derselben ist unser jetziges soziales Unwohl-
sein in ganz Europa. Wenn wir noch, wie viele glau-
ben, im Jugendalter der Menschheit leben, so gehörte 
das Christentum gleichsam zu ihren überspanntesten 
Studentenideen, die weit mehr ihrem Herzen als ihrem
Verstande Ehre machen. Die Materie, das Weltliche, 
überließ das Christentum den Händen Cäsars und sei-
ner jüdischen Kammerknechte und begnügte sich 
damit, ersterem die Suprematie abzusprechen und 
letztere in der öffentlichen Meinung zu fletrieren - 
aber siehe! das gehaßte Schwert und das verachtete 
Geld erringen dennoch am Ende die Obergewalt, und 
die Repräsentanten des Geistes müssen sich mit ihnen
verständigen. Ja, aus diesem Verständnis ist sogar 
eine solidarische Allianz geworden. Nicht bloß die 
römischen, sondern auch die englischen, die preußi-
schen, kurz, alle privilegierten Priester haben sich 
verbündet mit Cäsar und Konsorten zur Unter-
drückung der Völker. Aber durch diese Verbündung 
geht die Religion des Spiritualismus desto schneller 
zugrunde. Zu dieser Einsicht gelangen schon einige 
Priester, und um die Religion zu retten, gehen sie sich
das Ansehen, als entsagten sie jener verderblichen Al-
lianz, und sie laufen über in unsere Reihen, sie setzen 
die rote Mütze auf, sie schwören Tod und Haß allen 
Königen, den sieben Blutsäufern, sie verlangen die 
irdische Gütergleichheit, sie fluchen, trotz Marat und 
Robespierre. - Unter uns gesagt, wenn ihr sie genau 
betrachtet, so findet ihr: sie lesen Messe in der Spra-
che des Jakobinismus, und wie sie einst dem Cäsar 
das Gift beigebracht, versteckt in der Hostie, so su-
chen sie jetzt dem Volke ihre Hostien beizubringen, 
indem sie solche in revolutionärem Gifte verstecken; 
denn sie wissen, wir lieben dieses Gift.
Vergebens jedoch ist all euer Bemühen! Die 
Menschheit ist aller Hostien überdrüssig und lechzt 
nach nahrhafterer Speise, nach echtem Brot und schö-
nem Fleisch. Die Menschheit lächelt mitleidig über 
jene Jugendideale, die sie trotz aller Anstrengung 
nicht verwirklichen konnte, und sie wird männlich 
praktisch. Die Menschheit huldigt jetzt dem irdischen 
Nützlichkeitssystem, sie denkt ernsthaft an eine bür-
gerlich wohlhabende Einrichtung, an vernünftigen 
Haushalt und an Bequemlichkeit für ihr späteres 
Alter. Da ist wahrlich nicht mehr die Rede davon, das
Schwert in den Händen des Cäsars und gar den Säckel
in den Händen seiner Knechte zu lassen. Dem Für-
stendienst wird die privilegierte Ehre entrissen, und 
die Industrie wird der alten Schmach entlastet. Die 
nächste Aufgabe ist, gesund zu werden; denn wir füh-
len uns noch sehr schwach in den Gliedern. Die heili-
gen Vampire des Mittelalters haben uns soviel Le-
bensblut ausgesaugt. Und dann müssen der Materie 
noch große Sühnopfer geschlachtet werden, damit sie 
die alten Beleidigungen verzeihe. Es wäre sogar rat-
sam, wenn wir Festspiele anordneten und der Materie 
noch mehr außerordentliche Entschädigungsehren er-
wiesen. Denn das Christentum, unfähig, die Materie 
zu vernichten, hat sie überall fletriert, es hat die edel-
sten Genüsse herabgewürdigt, und die Sinne mußten 
heucheln, und es entstand Lüge und Sünde. Wir müs-
sen unseren Weibern neue Hemden und neue Gedan-
ken anziehen, und alle unsere Gefühle müssen wir 
durchräuchern, wie nach einer überstandenen Pest.
Der nächste Zweck aller unserer neuen Institutio-
nen ist solchermaßen die Rehabilitation der Materie, 
die Wiedereinsetzung derselben in ihre Würde, ihre 
moralische Anerkennung, ihre religiöse Heiligung, 
ihre Versöhnung mit dem Geiste. Purusa wird wieder 
vermählt mit Prakriti. Durch ihre gewaltsame Tren-
nung, wie in der indischen Mythe so sinnreich 
dargestellt wird, entstand die große Weltzerrissenheit,
das Übel.
Wißt ihr nun, was in der Welt das Übel ist? Die 
Spiritualisten haben uns immer vorgeworfen, daß bei 
der pantheistischen Ansicht der Unterschied zwischen
dem Guten und dem Bösen aufhöre. Das Böse ist aber
einesteils nur ein Wahn begriff ihrer eignen Weltan-
schauung, anderenteils ist es ein reelles Ergebnis ihrer
eigenen Welteinrichtung. Nach ihrer Weltanschauung 
ist die Materie an und für sich böse, was doch wahr-
lich eine Verleumdung ist, eine entsetzliche Gotteslä-
sterung. Die Materie wird nur alsdann böse, wenn sie 
heimlich konspirieren muß gegen die Usurpationen 
des Geistes, wenn der Geist sie fletriert hat und sie 
sich aus Selbstverachtung prostituiert oder wenn sie 
gar mit Verzweiflungshaß sich an dem Geiste rächt; 
und somit wird das Übel nur ein Resultat der spiritua-
listischen Welteinrichtung.
Gott ist identisch mit der Welt. Er manifestiert sich
in den Pflanzen, die ohne Bewußtsein ein kosmisch-
magnetisches Leben führen. Er manifestiert sich in 
den Tieren, die in ihrem sinnlichen Traumleben eine 
mehr oder minder dumpfe Existenz empfinden. Aber 
am herrlichsten manifestiert er sich in dem Menschen,
der zugleich fühlt und denkt, der sich selbst individu-
ell zu unterscheiden weiß von der objektiven Natur 
und schon in seiner Vernunft die Ideen trägt, die sich 
ihm in der Erscheinungswelt kundgeben. Im Men-
schen kommt die Gottheit zum Selbstbewußtsein, und
solches Selbstbewußtsein offenbart sie wieder durch 
den Menschen. Aber dieses geschieht nicht in dem 
einzelnen und durch den einzelnen Menschen, sondern
in und durch die Gesamtheit der Menschen, so daß 
jeder Mensch nur einen Teil des Gottweltalls auffaßt 
und darstellt, alle Menschen zusammen aber das 
ganze Gottweltall in der Idee und in der Realität auf-
fassen und darstellen werden. Jedes Volk vielleicht 
hat die Sendung, einen bestimmten Teil jenes Gott-
weltalls zu erkennen und kundzugeben, eine Reihe 
von Erscheinungen zu begreifen und eine Reihe von 
Ideen zur Erscheinung zu bringen und das Resultat 
den nachfolgenden Völkern, denen eine ähnliche Sen-
dung obliegt, zu überliefern. Gott ist daher der eigent-
liche Held der Weltgeschichte, diese ist sein beständi-
ges Denken, sein beständiges Handeln, sein Wort, 
seine Tat; und von der ganzen Menschheit kann man 
mit Recht sagen, sie ist eine Inkarnation Gottes!
Es ist eine irrige Meinung, daß diese Religion, der 
Pantheismus, die Menschen zum Indifferentismus 
führe. Im Gegenteil, das Bewußtsein seiner Göttlich-
keit wird den Menschen auch zur Kundgebung dersel-
ben begeistern, und jetzt erst werden die wahren 
Großtaten des wahren Heroentums diese Erde verherr-
lichen.
Die politische Revolution, die sich auf die Prinzipi-
en des französischen Materialismus stützt, wird in 
den Pantheisten keine Gegner finden, sondern Gehül-
fen, aber Gehülfen, die ihre Überzeugungen aus einer 
tieferen Quelle, aus einer religiösen Synthese, ge-
schöpft haben. Wir befördern das Wohlsein der Mate-
rie, das materielle Glück der Völker, nicht weil wir 
gleich den Materialisten den Geist mißachten, son-
dern weil wir wissen, daß die Göttlichkeit des Men-
schen sich auch in seiner leiblichen Erscheinung 
kundgibt und das Elend den Leib, das Bild Gottes, 
zerstört oder aviliert und der Geist dadurch ebenfalls 
zugrunde geht. Das große Wort der Revolution, das 
Saint-Just ausgesprochen: Le pain est le droit du peu-
ple, lautet bei uns: Le pain est le droit divin de 
l'homme. Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte 
des Volks, sondern für die Gottesrechte des Men-
schen. Hierin, und in noch manchen andern Dingen, 
unterscheiden wir uns von den Männern der Revoluti-
on. Wir wollen keine Sansculotten sein, keine frugale 
Bürger, keine wohlfeile Präsidenten: wir stiften eine 
Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbe-
seligter Götter. Ihr verlangt einfache Trachten, ent-
haltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hinge-
gen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, 
kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachen-
den Nymphentanz, Musik und Komödien - Seid 
deshalb nicht ungehalten, ihr tugendhaften Republika-
ner! Auf eure zensorische Vorwürfe entgegnen wir 
euch, was schon ein Narr des Shakespeare sagte: 
»Meinst du, weil du tugendhaft bist, solle es auf die-
ser Erde keine angenehmen Torten und keinen süßen 
Sekt mehr geben?«
Die Saint-Simonisten haben etwas der Art begrif-
fen und gewollt. Aber sie standen auf ungünstigem 
Boden, und der umgebende Materialismus hat sie nie-
dergedrückt, wenigstens für einige Zeit. In Deutsch-
land hat man sie besser gewürdigt. Denn Deutschland
ist der gedeihlichste Boden des Pantheismus; dieser 
ist die Religion unserer größten Denker, unserer be-
sten Künstler, und der Deismus, wie ich späterhin er-
zählen werde, ist dort längst in der Theorie gestürzt. 
Er erhält sich dort nur noch in der gedankenlosen 
Masse, ohne vernünftige Berechtigung, wie so man-
ches andere. Man sagt es nicht, aber jeder weiß es; 
der Pantheismus ist das öffentliche Geheimnis in 
Deutschland. In der Tat, wir sind dem Deismus ent-
wachsen. Wir sind frei und wollen keinen donnernden
Tyrannen. Wir sind mündig und bedürfen keiner vä-
terlichen Vorsorge. Auch sind wir keine Machwerke 
eines großen Mechanikus. Der Deismus ist eine Reli-
gion für Knechte, für Kinder, für Genfer, für Uhrma-
cher.
Der Pantheismus ist die verborgene Religion 
Deutschlands, und daß es dahin kommen würde, 
haben diejenigen deutschen Schriftsteller vorausgese-
hen, die schon vor funfzig Jahren so sehr gegen Spi-
noza eiferten. Der wütendste dieser Gegner Spinozas 
war Fr. Heinr. Jacobi, dem man zuweilen die Ehre er-
zeigt, ihn unter den deutschen Philosophen zu nennen.
Er war nichts als ein zänkischer Schleicher, der sich 
in dem Mantel der Philosophie vermummt und sich 
bei den Philosophen einschlich, ihnen erst viel von 
seiner Liebe und weichem Gemüte vorwimmerte und 
dann auf die Vernunft losschmähte. Sein Refrain war 
immer, die Philosophie, die Erkenntnis durch Ver-
nunft, sei eitel Wahn, die Vernunft wisse selbst nicht, 
wohin sie führe, sie bringe den Menschen in ein dunk-
les Labyrinth von Irrtum und Widerspruch, und nur 
der Glaube könne ihn sicher leiten. Der Maulwurf! er 
sah nicht, daß die Vernunft der ewigen Sonne gleicht, 
die, während sie droben sicher einherwandelt, sich 
selber mit ihrem eignen Lichte ihren Pfad beleuchtet. 
Nichts gleicht dem frommen, gemütlichen Hasse des 
kleinen Jacobi gegen den großen Spinoza.
Merkwürdig ist es, wie die verschiedensten Partei-
en gegen Spinoza gekämpft. Sie bilden eine Armee, 
deren bunte Zusammensetzung den spaßhaftesten An-
blick gewährt. Neben einem Schwarm schwarzer und 
weißer Kapuzen, mit Kreuzen und dampfenden Weih-
rauchfässern, marschiert die Phalanx der 
Enzyklopädisten, die ebenfalls gegen diesen penseur 
téméraire eifern. Neben dem Rabbiner der Amsterda-
mer Synagoge, der mit dem Bockshorn des Glaubens 
zum Angriff bläst, wandelt Arouet de Voltaire, der 
mit der Pickelflöte der Persiflage zum Besten des De-
ismus musiziert. Dazwischen greint das alte Weib Ja-
cobi, die Marketenderin dieser Glaubensarmee.
Wir entrinnen so schnell als möglich solchem Cha-
rivari. Zurückkehrend von unserem pantheistischen 
Ausflug, gelangen wir wieder zur Leibnizischen Phi-
losophie und haben ihre weitern Schicksale zu erzäh-
len.
Leibniz hatte seine Werke, die ihr kennt, teils in 
lateinischer, teils in französischer Sprache geschrie-
ben. Christian Wolff heißt der vortreffliche Mann, der
die Ideen des Leibniz nicht bloß systematisierte, son-
dern auch in deutscher Sprache vortrug. Sein eigentli-
ches Verdienst besteht nicht darin, daß er die Ideen 
des Leibniz in ein festes System einschloß, noch we-
niger darin, daß er sie durch die deutsche Sprache 
dem größeren Publikum zugänglich machte: sein Ver-
dienst besteht darin, daß er uns anregte, auch in unse-
rer Muttersprache zu philosophieren. Wie wir bis Lu-
ther die Theologie, so haben wir bis Wolff die Philo-
sophie nur in lateinischer Sprache zu behandeln ge-
wußt. Das Beispiel einiger wenigen, die schon vorher 
dergleichen auf deutsch vortrugen, blieb ohne Erfolg; 
aber der Literarhistoriker muß ihrer mit besonderem 
Lobe gedenken. Hier erwähnen wir daher namentlich 
des Johannes Tauler, eines Dominikanermönchs, der 
zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts am Rheine 
geboren und 1361 ebendaselbst, ich glaube zu Straß-
burg, gestorben ist. Er war ein frommer Mann und ge-
hörte zu jenen Mystikern, die ich als die platonische 
Partei des Mittelalters bezeichnet habe. In den letzten 
Jahren seines Lebens entsagte dieser Mann allem ge-
lehrten Dünkel, schämte sich nicht, in der demütigen 
Volkssprache zu predigen, und diese Predigten, die er
aufgezeichnet, sowie auch die deutschen Übersetzun-
gen, die er von einigen seiner früheren lateinischen 
Predigten mitgeteilt, gehören zu den merkwürdigsten 
Denkmälern der deutschen Sprache. Denn hier zeigt 
sie schon, daß sie zu metaphysischen Untersuchungen
nicht bloß tauglich, sondern weit geeigneter ist als die
lateinische. Diese letztere, die Sprache der Römer, 
kann nie ihren Ursprung verleugnen. Sie ist eine 
Kommandosprache für Feldherren, eine Dekretalspra-
che für Administratoren, eine Justizsprache für Wu-
cherer, eine Lapidarsprache für das steinharte Römer-
volk. Sie wurde die geeignete Sprache für den Mate-
rialismus. Obgleich das Christentum, mit wahrhaft 
christlicher Geduld, länger als ein Jahrtausend sich 
damit abgequält, diese Sprache zu spiritualisieren, so 
ist es ihm doch nicht gelungen; und als Johannes 
Tauler sich ganz versenken wollte in die schauerlich-
sten Abgründe des Gedankens und als sein Herz am 
heiligsten schwoll, da mußte er deutsch sprechen. 
Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten 
Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von un-
bekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Stein-
kräften. Aber erst in neuerer Zeit ward die Benutzbar-
keit der deutschen Sprache für die Philosophie recht 
bemerklich. In keiner anderen Sprache hätte die Natur
ihr geheimstes Werk offenbaren können wie in unse-
rer lieben deutschen Muttersprache. Nur auf der star-
ken Eiche konnte die heilige Mistel gedeihen.
Hier wäre wohl der Ort zur Besprechung des Para-
celsus oder, wie er sich nannte, des Theophrastus Pa-
racelsus Bombastus von Hohenheim. Denn auch er 
schrieb meistens deutsch. Aber ich habe später in 
einer noch bedeutungsvolleren Beziehung von ihm zu 
reden. Seine Philosophie war nämlich das, was wir 
heutzutage Naturphilosophie nennen, und eine solche 
Lehre von der ideenbelebten Natur, wie sie dem deut-
schen Geiste so geheimnisvoll zusagt, hätte sich 
schon damals bei uns ausgebildet, wenn nicht, durch 
zufälligen Einfluß, die leblose, mechanistische Physik
der Cartesianer allgemein herrschend geworden wäre. 
Paracelsus war ein großer Scharlatan und trug immer 
einen Scharlachrock, eine Scharlachhose, rote 
Strümpfe und einen roten Hut und behauptete, 
homunculi, kleine Menschen, machen zu können, we-
nigstens stand er in vertrauter Bekanntschaft mit ver-
borgenen Wesen, die in den verschiedenen Elementen 
hausen - aber er war zugleich einer der tiefsinnigsten 
Naturkundigen, die mit deutschem Forscherherzen 
den vorchristlichen Volksglauben, den germanischen 
Pantheismus begriffen und, was sie nicht wußten, 
ganz richtig geahnt haben.
Von Jakob Böhme sollte eigentlich auch hier die 
Rede sein. Denn er hat ebenfalls die deutsche Sprache
zu philosophischen Darstellungen benutzt und wird in
diesem Betracht sehr gelobt. Aber ich habe mich noch
nie entschließen können, ihn zu lesen. Ich laß mich 
nicht gern zum Narren halten. Ich habe nämlich die 
Lobredner dieses Mystikers in Verdacht, daß sie das 
Publikum mystifizieren wollen. Was den Inhalt seiner
Werke betrifft, so hat euch ja Saint-Martin einiges 
davon in französischer Sprache mitgeteilt. Auch die 
Engländer haben ihn übersetzt. Karl I. hatte von die-
sem theosophischen Schuster eine so große Idee, daß 
er eigens einen Gelehrten zu ihm nach Görlitz schick-
te, um ihn zu studieren. Dieser Gelehrte war glückli-
cher als sein königlicher Herr. Denn während dieser 
zu Whitehall den Kopf verlor durch Cromwells Beil, 
hat jener zu Görlitz, durch Jakob Böhmes Theoso-
phie, nur den Verstand verloren.
Wie ich bereits gesagt, erst Christian Wolff hat mit
Erfolg die deutsche Sprache in die Philosophie einge-
führt. Sein geringeres Verdienst war sein Systemati-
sieren und sein Popularisieren der Leibnizischen 
Ideen. Beides unterliegt sogar dem größten Tadel, und
wir müssen beiläufig dessen erwähnen. Sein Systema-
tisieren war nur eitel Schein, und das Wichtigste der 
Leibnizischen Philosophie war diesem Scheine geop-
fert, z. B. der beste Teil der Monadenlehre. Leibniz 
hatte freilich kein systematisches Lehrgebäude hinter-
lassen, sondern nur die dazu nötigen Ideen. Eines Rie-
sen bedurfte es, um die kolossalen Quadern und Säu-
len zusammenzusetzen, die ein Riese aus den tiefsten 
Marmorbrüchen hervorgeholt und zierlich ausgemei-
ßelt hatte. Das wär ein schöner Tempel geworden. 
Christian Wolff jedoch war von sehr untersetzter Sta-
tur und konnte nur einen Teil solcher Baumaterialien 
bemeistern, und er verarbeitete sie zu einer kümmerli-
chen Stiftshütte des Deismus. Wolff war mehr ein en-
zyklopädischer Kopf als ein systematischer, und die 
Einheit einer Lehre begriff er nur unter der Form der 
Vollständigkeit. Er war zufrieden mit einem gewissen
Fachwerk, wo die Fächer schönstens geordnet, be-
stens gefüllt und mit deutlichen Etiketten versehen 
sind. So gab er uns eine »Enzyklopädie der philoso-
phischen Wissenschaften«. Daß er, der Enkel des 
Descartes, die großväterliche Form der mathemati-
schen Beweisführung geerbt hat, versteht sich von 
selbst. Diese mathematische Form habe ich bereits bei
Spinoza gerügt. Durch Wolff stiftete sie großes Un-
heil. Sie degenerierte bei seinen Schülern zum unleid-
lichsten Schematismus und zur lächerlichen Manie, 
alles in mathematischer Weise zu demonstrieren. Es 
entstand der sogenannte Wolffsche Dogmatismus. 
Alles tiefere Forschen hörte auf, und ein langweiliger 
Eifer nach Deutlichkeit trat an dessen Stelle. Die 
Wolffsche Philosophie wurde immer wäßriger und 
überschwemmte endlich ganz Deutschland. Die Spu-
ren dieser Sündflut sind noch heutzutage bemerkbar, 
und hie und da, auf unseren höchsten Musensitzen, 
findet man noch alte Fossilien aus der Wolffschen 
Schule.
Christian Wolff wurde geboren 1679 zu Breslau 
und starb 1754 zu Halle. Über ein halbes Jahrhundert
dauerte seine Geistesherrschaft in Deutschland. Sein 
Verhältnis zu den Theologen jener Tage müssen wir 
besonders erwähnen, und wir ergänzen damit unsere 
Mitteilungen über die Schicksale des Luthertums.
In der ganzen Kirchengeschichte gibt es keine ver-
wickeltere Partie als die Streitigkeiten der protestanti-
schen Theologen seit dem Dreißigjährigen Krieg. Nur
das spitzfündige Gezänke der Byzantiner ist damit zu 
vergleichen; jedoch war dieses nicht so langweilig, da
große, staatsinteressante Hofintrigen sich dahinter 
versteckten, statt daß die protestantische 
Klopffechterei meistens in dem Pedantismus enger 
Magisterköpfe und Schulfüchse ihren Grund hatte. 
Die Universitäten, besonders Tübingen, Wittenberg, 
Leipzig und Halle, sind die Schauplätze jener theolo-
gischen Kämpfe. Die zwei Parteien, die wir, im ka-
tholischen Gewande, während dem ganzen Mittelalter
kämpfen sahen, die platonische und die aristotelische,
haben nur Kostüme gewechselt und befehden sich 
nach wie vor. Das sind die Pietisten und die Orthodo-
xen, deren ich schon oben erwähnt und die ich als 
Mystiker ohne Phantasie und Dogmatiker ohne Geist 
bezeichnet habe. Johannes Spener war der Scotus Eri-
gena des Protestantismus, und wie dieser durch seine 
Übersetzung des fabelhaften Dionysius Areopagita 
den katholischen Mystizismus begründet, so begrün-
dete jener den protestantischen Pietismus durch seine 
Erbauungsversammlungen, colloquia pietatis, woher 
vielleicht der Namen Pietisten seinen Anhängern ge-
blieben ist. Er war ein frommer Mann, Ehre seinem 
Andenken. Ein Berliner Pietist, Herr Franz Horn, hat 
eine gute Biographie von ihm geliefert. Das Leben 
Speners ist ein beständiges Martyrtum für die christli-
che Idee. Er war in diesem Betracht seinen Zeitgenos-
sen überlegen. Er drang auf gute Werke und Fröm-
migkeit, er war viel mehr ein Prediger des Geistes als 
des Wortes. Sein homiletisches Wesen war damals 
löblich. Denn die ganze Theologie, wie sie auf den 
erwähnten Universitäten gelehrt wurde, bestand nur in
engbrüstiger Dogmatik und wortklaubender Polemik. 
Exegese und Kirchengeschichte wurden ganz beiseite 
gesetzt.
Ein Schüler jenes Speners, Hermann Francke, be-
gann in Leipzig Vorlesungen zu halten nach dem Bei-
spiele und im Sinne seines Lehrers. Er hielt sie auf 
deutsch, ein Verdienst, welches wir immer gern mit 
Anerkennung erwähnen. Der Beifall, den er dabei er-
warb, erregte den Neid seiner Kollegen, die deshalb 
unserem armen Pietisten das Leben sehr sauer mach-
ten. Er mußte das Feld räumen, und er begab sich 
nach Halle, wo er mit Wort und Tat das Christentum 
lehrte. Sein Andenken ist dort unverwelklich, denn er 
ist der Stifter des Halleschen Waisenhauses. Die Uni-
versität Halle ward nun bevölkert von Pietisten, und 
man nannte sie »die Waisenhauspartei«. Nebenbei ge-
sagt, diese hat sich dort bis auf heutigen Tag erhalten;
Halle ist noch bis jetzt die Taupinière der Pietisten, 
und ihre Streitigkeiten mit den protestantischen Ratio-
nalisten haben noch vor einigen Jahren einen Skandal 
erregt, der durch ganz Deutschland seinen Mißduft 
verbreitete. Glückliche Franzosen, die ihr nichts 
davon gehört habt! Sogar die Existenz jener evangeli-
schen Klatschblätter, worin die frommen Fischweiber 
der protestantischen Kirche sich weidlich ausge-
schimpft, ist euch unbekannt geblieben. Glückliche 
Franzosen, die ihr keinen Begriff davon habt, wie hä-
misch, wie kleinlich, wie widerwärtig unsre evangeli-
schen Priester einander begeifern können. Ihr wißt, 
ich bin kein Anhänger des Katholizismus. In meinen 
jetzigen religiösen Überzeugungen lebt zwar nicht 
mehr die Dogmatik, aber doch immer der Geist des 
Protestantismus. Ich bin also für die protestantische 
Kirche noch immer parteiisch. Und doch muß ich, der
Wahrheit wegen, eingestehen, daß ich nie in den An-
nalen des Papismus solche Miserabilitäten gefunden 
habe, wie in der Berliner »Evangelischen Kirchenzei-
tung« bei dem erwähnten Skandal zum Vorschein 
kamen. Die feigsten Mönchstücken, die kleinlichsten 
Klosterränke sind noch immer noble Gutmütigkeiten 
in Vergleichung mit den christlichen Heldentaten, die 
unsere protestantischen Orthodoxen und Pietisten 
gegen die verhaßten Rationalisten ausübten. Von dem
Haß, der bei solchen Gelegenheiten zum Vorschein 
kommt, habt ihr Franzosen keinen Begriff. Die Deut-
schen sind aber überhaupt vindikativer als die roma-
nischen Völker.
Das kommt daher, sie sind Idealisten auch im Haß. 
Wir hassen uns nicht um Außendinge, wie ihr, etwa 
wegen beleidigter Eitelkeit, wegen eines Epigramms, 
wegen einer nicht erwiderten Visitenkarte, nein, wir 
hassen bei unsern Feinden das Tiefste, das Wesent-
lichste, das in ihnen ist, den Gedanken. Ihr Franzosen 
seid leichtfertig und oberflächlich, wie in der Liebe, 
so auch im Haß. Wir Deutschen hassen gründlich, 
dauernd; da wir zu ehrlich, auch zu unbeholfen sind, 
um uns mit schneller Perfidie zu rächen, so hassen wir
bis zu unserem letzten Atemzug.
»Ich kenne, mein Herr, diese deutsche Ruhe«, sagte
jüngst eine Dame, indem sie mich mit großgeöffneten 
Augen ungläubig und beängstigt ansah; »ich weiß, ihr
Deutschen gebraucht dasselbe Wort für Verzeihen 
und Vergiften.« Und in der Tat, sie hat recht, das 
Wort Vergeben bedeutet beides.
Es waren nun, wenn ich nicht irre, die halleschen 
Orthodoxen, welche, in ihrem Kampfe mit den einge-
siedelten Pietisten, die Wolffsche Philosophie zu 
Hülfe riefen. Denn die Religion, wenn sie uns nicht 
mehr verbrennen kann, kommt sie bei uns betteln. 
Aber alle unsere Gaben bringen ihr schlechten Ge-
winn. Das mathematische, demonstrative Gewand, 
womit Wolff die arme Religion recht liebevoll einge-
kleidet hatte, paßte ihr so schlecht, daß sie sich noch 
beengter fühlte und in dieser Beengnis sehr lächerlich 
machte. Überall platzten die schwachen Nähte. Be-
sonders der verschämte Teil, die Erbsünde, trat hervor
in seiner grellsten Blöße. Hier half kein logisches Fei-
genblatt. Christlich-lutherische Erbsünde und Leibniz
Wolffscher Optimismus sind unverträglich. Die fran-
zösische Persiflage des Optimismus mißfiel daher am 
wenigsten unseren Theologen. Voltaires Witz kam 
der nackten Erbsünde zugute. Der deutsche Pangloß 
hat aber, durch die Vernichtung des Optimismus, sehr
viel verloren und suchte lange nach einer ähnlichen 
Trostlehre, bis das Hegelsche Wort »Alles, was ist, 
ist vernünftig!« ihm einigen Ersatz bot.
Von dem Augenblick an, wo eine Religion bei der 
Philosophie Hülfe begehrt, ist ihr Untergang unab-
wendlich. Sie sucht sich zu verteidigen und schwatzt 
sich immer tiefer ins Verderben hinein. Die Religion, 
wie jeder Absolutismus, darf sich nicht justifizieren. 
Prometheus wird an den Felsen gefesselt von der 
schweigenden Gewalt. Ja, Äschylus läßt die personifi-
zierte Gewalt kein einziges Wort reden. Sie muß 
stumm sein. Sobald die Religion einen räsonierenden 
Katechismus drucken läßt, sobald der politische Ab-
solutismus eine offizielle Staatszeitung herausgibt, 
haben beide ein Ende. Aber das ist eben unser Tri-
umph, wir haben unsere Gegner zum Sprechen ge-
bracht, und sie müssen uns Rede stehn.
Es ist freilich nicht zu leugnen, daß der religiöse 
Absolutismus, ebenso wie der politische, sehr gewal-
tige Organe seines Wortes gefunden hat. Doch laßt 
uns darob nicht bange sein. Lebt das Wort, so wird es
von Zwergen getragen; ist das Wort tot, so können es 
keine Riesen aufrechterhalten.
Seitdem nun, wie ich oben erzählt, die Religion 
Hülfe suchte bei der Philosophie, wurden von den 
deutschen Gelehrten, außer der neuen Einkleidung, 
noch unzählige Experimente mit ihr angestellt. Man 
wollte ihr eine neue Jugend bereiten, und man benahm
sich dabei ungefähr wie Medea bei der Verjüngung 
des Königs Äson. Zuerst wurde ihr zur Ader gelassen,
alles abergläubische Blut wurde ihr langsam abge-
zapft; um mich bildlos auszudrücken: es wurde der 
Versuch gemacht, allen historischen Inhalt aus dem 
Christentume herauszunehmen und nur den morali-
schen Teil zu bewahren. Hierdurch ward nun das 
Christentum zu einem reinen Deismus. Christus hörte 
auf, Mitregent Gottes zu sein, er wurde gleichsam me-
diatisiert, und nur noch als Privatperson fand er aner-
kennende Verehrung. Seinen moralischen Charakter 
lobte man über alle Maßen. Man konnte nicht genug 
rühmen, welch ein braver Mensch er gewesen sei. 
Was die Wunder betrifft, die er verrichtet, so erklärte 
man sie physikalisch, oder man suchte sowenig Auf-
hebens als möglich davon zu machen. Wunder, sagten
einige, waren nötig in jenen Zeiten des Aberglaubens,
und ein vernünftiger Mann, der irgendeine Wahrheit 
zu verkündigen hatte, bediente sich ihrer gleichsam 
als Annonce. Diese Theologen, die alles Historische 
aus dem Christentume schieden, heißen Rationalisten,
und gegen diese wendete sich sowohl die Wut der 
Pietisten als auch der Orthodoxen, die sich seitdem
minder heftig befehdeten und nicht selten verbünde-
ten. Was die Liebe nicht vermochte, das vermochte 
der gemeinschaftliche Haß, der Haß gegen die Ratio-
nalisten.
Diese Richtung in der protestantischen Theologie 
beginnt mit dem ruhigen Semler, den ihr nicht kennt, 
erstieg schon eine besorgliche Höhe mit dem klaren 
Teller, den ihr auch nicht kennt, und erreichte ihren 
Gipfel mit dem seichten Bahrdt, an dessen Bekannt-
schaft ihr nichts verliert. Die stärksten Anregungen 
kamen von Berlin, wo Friedrich der Große und der 
Buchhändler Nicolai regierten.
Über ersteren, den gekrönten Materialismus, seid 
ihr hinlänglich unterrichtet. Ihr wißt, daß er französi-
sche Verse machte, sehr gut die Flöte blies, die 
Schlacht bei Roßbach gewann, viel Tabak schnupfte 
und nur an Kanonen glaubte. Einige von euch haben 
gewiß auch Sanssouci besucht, und der alte Invalide, 
der dort Schloßwart, hat euch in der Bibliothek die 
französischen Romane gezeigt, die Friedrich als 
Kronprinz in der Kirche las und die er in schwarzen 
Maroquin einbinden lassen, damit sein gestrenger 
Vater glaubte, er läse in einem lutherischen Gesang-
buche. Ihr kennt ihn, den königlichen Weltweisen, 
den ihr den Salomo des Nordens genannt habt. Frank-
reich war das Ophir dieses nordischen Salomons, und 
von dorther erhielt er seine Poeten und Philosophen, 
für die er eine große Vorliebe hegte, gleich dem Salo-
mo des Südens, welcher, wie ihr im Buche der Köni-
ge, Kapitel 10, lesen könnt, durch seinen Freund 
Hiram ganze Schiffsladungen von Gold, Elfenbein, 
Poeten und Philosophen aus Ophir kommen ließ. 
Wegen solcher Vorliebe für ausländische Talente 
konnte nun freilich Friedrich der Große keinen allzu 
großen Einfluß auf den deutschen Geist gewinnen. Er 
beleidigte vielmehr, er kränkte das deutsche National-
gefühl. Die Verachtung, die Friedrich der Große unse-
rer Literatur angedeihen ließ, muß sogar uns Enkel 
noch verdrießen. Außer dem alten Gellert hatte keiner 
derselben sich seiner allergnädigsten Huld zu erfreu-
en. Die Unterredung, die er mit demselben führte, ist 
merkwürdig.
Hat aber Friedrich der Große uns verhöhnt, ohne 
uns zu unterstützen, so unterstützte uns desto mehr 
der Buchhändler Nicolai, ohne daß wir deshalb Be-
denken trugen, ihn zu verhöhnen. Dieser Mann war 
sein ganzes Leben lang unablässig tätig für das Wohl 
des Vaterlandes, er scheute weder Mühe noch Geld, 
wo er etwas Gutes zu befördern hoffte, und doch ist 
noch nie in Deutschland ein Mann so grausam, so un-
erbittlich, so zernichtend verspottet worden wie eben 
dieser Mann. Obgleich wir, die Spätergeborenen, 
recht wohl wissen, daß der alte Nicolai, der Freund 
der Aufklärung, sich in der Hauptsache durchaus 
nicht irrte; obgleich wir wissen, daß es meistens unse-
re eignen Feinde, die Obskuranten, gewesen, die ihn 
zugrunde persifliert: so können wir doch nicht mit 
ganz ernsthaftem Gesichte an ihn denken. Der alte Ni-
colai suchte in Deutschland dasselbe zu tun, was die 
französischen Philosophen in Frankreich getan: er 
suchte die Vergangenheit im Geiste des Volks zu ver-
nichten; eine löbliche Vorarbeit, ohne welche keine 
radikale Revolution stattfinden kann. Aber vergebens,
er war solcher Arbeit nicht gewachsen. Die alten Rui-
nen standen noch zu fest, und die Gespenster stiegen 
daraus hervor und verhöhnten ihn; dann aber wurde er
sehr unwirsch und schlug blind drein, und die Zu-
schauer lachten, wenn ihm die Fledermäuse um die 
Ohren zischten und sich in seiner wohlgepuderten Pe-
rücke verfingen. Auch geschah es wohl zuweilen, daß 
er Windmühlen für Riesen ansah und dagegen focht. 
Noch schlimmer aber bekam es ihm, wenn er manch-
mal wirkliche Riesen für bloße Windmühlen ansah, z.
B. einen Wolfgang Goethe. Er schrieb eine Satire 
gegen dessen »Werther«, worin er alle Intentionen des
Autors aufs plumpste verkannte. Indessen in der 
Hauptsache hatte er immer recht; wenn er auch nicht 
begriffen, was Goethe mit seinem »Werther« eigent-
lich sagen wollte, so begriff er doch ganz gut dessen 
Wirkung, die weichliche Schwärmerei, die unfrucht-
bare Sentimentalität, die durch diesen Roman aufkam 
und mit jeder vernünftigen Gesinnung, die uns not tat,
in feindlichem Widerspruch war. Hier stimmte Nico-
lai ganz überein mit Lessing, der an einen Freund fol-
gendes Urteil über den »Werther« schrieb:
»Wenn ein so warmes Produkt nicht mehr Unheil 
als Gutes stiften soll, meinen Sie nicht, daß es noch 
eine kleine kalte Schlußrede haben müßte? Ein paar 
Winke hinterher, wie Werther zu einem so abenteuer-
lichen Charakter gekommen; wie ein anderer Jüng-
ling, dem die Natur eine ähnliche Anlage gegeben, 
sich davor zu bewahren habe. Glauben Sie wohl, daß 
je ein römischer oder griechischer Jüngling sich so, 
und darum, das Leben genommen? Gewiß nicht. Die 
wußten sich vor der Schwärmerei der Liebe ganz an-
ders zu sichern; und zu Sokrates' Zeiten würde man 
eine solche ex erôtos katochê, welche ti tolman para 
physis antreibt, nur kaum einem Mädelchen verziehen
haben. Solche kleingroße, verächtlich schätzbare Ori-
ginale hervorzubringen war nur der christlichen Erzie-
hung vorbehalten, die ein körperliches Bedürfnis so 
schön in eine geistige Vollkommenheit zu verwandeln
weiß. Also, lieber Goethe, noch ein Kapitelchen zum 
Schlusse; und je zynischer, je besser!«
Freund Nicolai hat nun wirklich, nach solcher An-
gabe, einen veränderten »Werther« herausgegeben. 
Nach dieser Version hat sich der Held nicht totge-
schossen, sondern nur mit Hühnerblut besudelt; denn 
statt mit Blei war die Pistole nur mit letzterem gela-
den. Werther wird lächerlich, bleibt leben, heiratet 
Charlotte, kurz, endet noch tragischer als im Goethe-
schen Original.
Die »Allgemeine deutsche Bibliothek« hieß die 
Zeitschrift, die Nicolai gegründet und worin er und 
seine Freunde gegen Aberglauben, Jesuiten, Hofla-
kaien u. dgl. kämpften. Es ist nicht zu leugnen, daß 
mancher Hieb, der dem Aberglauben galt, unglückli-
cherweise die Poesie selbst traf. So stritt Nicolai z. B.
gegen die aufkommende Vorliebe für altdeutsche 
Volkslieder. Aber im Grunde hatte er wieder recht; 
bei aller möglichen Vorzüglichkeit enthielten doch 
jene Lieder mancherlei Erinnerungen, die eben nicht 
zeitgemäß waren, die alten Klänge der Kuhreigen des 
Mittelalters konnten die Gemüter des Volks wieder in
den Glaubensstall der Vergangenheit zurücklocken. 
Er suchte, wie Odysseus, die Ohren seiner Gefährten 
zu verstopfen, damit sie den Gesang der Sirenen nicht
hörten, unbekümmert, daß sie alsdann auch taub wur-
den für die unschuldigen Töne der Nachtigall. Damit 
das Feld der Gegenwart nur radikal von allem Un-
kraut gesäubert werde, trug der praktische Mann 
wenig Bedenken, auch die Blumen mit auszureuten. 
Dagegen erhob sich nun feindlichst die Partei der Blu-
men und Nachtigallen und alles, was zu dieser Partei 
gehört, Schönheit, Grazie, Witz und Scherz, und der 
arme Nicolai unterlag.
In dem heutigen Deutschland haben sich die Um-
stände geändert, und die Partei der Blumen und der 
Nachtigallen ist eng verbunden mit der Revolution. 
Uns gehört die Zukunft, und es dämmert schon herauf
die Morgenröte des Sieges. Wenn einst sein schöner 
Tag sein Licht über unser ganzes Vaterland ergießt, 
dann gedenken wir auch der Toten; dann gedenken 
wir gewiß auch deiner, alter Nicolai, armer Märtyrer 
der Vernunft! Wir werden deine Asche nach dem 
deutschen Pantheon tragen, der Sarkophag umgeben 
vom jubelnden Triumphzug und begleitet vom Chor 
der Musikanten, unter deren Blasinstrumenten beilei-
be keine Querpfeife sein wird; wir werden auf deinem 
Sarg die anständigste Lorbeerkrone legen, und wir 
werden uns alle mögliche Mühe geben, nicht dabei zu
lachen.
Da ich von den philosophischen und religiösen Zu-
ständen jener Zeit einen Begriff geben möchte, muß 
ich hier auch derjenigen Denker erwähnen, die mehr 
oder minder in Gemeinschaft mit Nicolai zu Berlin 
tätig waren und gleichsam ein Justemilieu zwischen 
Philosophen und Belletristik bildeten. Sie hatten kein 
bestimmtes System, sondern nur eine bestimmte Ten-
denz. Sie gleichen den englischen Moralisten in ihrem
Stil und in ihren letzten Gründen. Sie schreiben ohne 
wissenschaftlich strenge Form, und das sittliche 
Bewußtsein ist die einzige Quelle ihrer Erkenntnis. 
Ihre Tendenz ist ganz dieselbe, die wir bei den fran-
zösischen Philanthropen finden. In der Religion sind 
sie Rationalisten. In der Politik sind sie Weltbürger. 
In der Moral sind sie Menschen, edle, tugendhafte 
Menschen, streng gegen sich selbst, milde gegen an-
dere. Was Talent betrifft, so mögen wohl Mendels-
sohn, Sulzer, Abbt, Moritz, Garve, Engel und Biester 
als die ausgezeichnesten genannt werden. Moritz ist 
mir der liebste. Er leistete viel in der Erfahrungssee-
lenkunde. Er war von einer köstlichen Naivität, wenig
verstanden von seinen Freunden. Seine Lebensge-
schichte ist eins der wichtigsten Denkmäler jener Zeit.
Mendelssohn hat jedoch vor allen übrigen eine große 
soziale Bedeutung. Er war der Reformator der deut-
schen Israeliten, seiner Glaubensgenossen, er stürzte 
das Ansehen des Talmudismus, er begründete den rei-
nen Mosaismus. Dieser Mann, den seine Zeitgenossen
den deutschen Sokrates nannten und wegen seines 
Seelenadels und seiner Geisteskraft so ehrfurchtsvoll 
bewunderten, war der Sohn eines armen Küsters der 
Synagoge von Dessau. Außer diesem Geburtsübel 
hatte ihn die Vorsehung auch noch mit einem Buckel 
belastet, gleichsam um dem Pöbel in recht greller 
Weise die Lehre zu geben, daß man den Menschen 
nicht nach seiner äußern Erscheinung, sondern nach 
seinem innern Werte schätzen solle. Oder hat ihm die 
Vorsehung, eben aus gütiger Vorsicht, einen Buckel 
zugeteilt, damit er manche Unbill des Pöbels einem 
Übel zuschreibe, worüber ein Weiser sich leicht trö-
sten kann?
Wie Luther das Papsttum, so stürzte Mendelssohn 
den Talmud, und zwar in derselben Weise, indem er 
nämlich die Tradition verwarf, die Bibel für die Quel-
le der Religion erklärte und den wichtigsten Teil 
derselben übersetzte. Er zerstörte hierdurch den jüdi-
schen wie Luther den christlichen Katholizismus. In 
der Tat, der Talmud ist der Katholizismus der Juden. 
Er ist ein gotischer Dom, der zwar mit kindischen 
Schnörkeleien überladen, aber doch durch seine him-
melkühne Riesenhaftigkeit uns in Erstaunen setzt. Er 
ist eine Hierarchie von Religionsgesetzen, die oft die 
putzigsten, lächerlichsten Subtilitäten betreffen, aber 
so sinnreich einander über- und untergeordnet sind, 
einander stützen und tragen und so furchtbar konse-
quent zusammenwirken, daß sie ein grauenhaft trotzi-
ges, kolossales Ganze bilden.
Nach dem Untergang des christlichen Katholizis-
mus mußte auch der jüdische, der Talmud, unterge-
hen. Denn der Talmud hatte alsdann seine Bedeutung 
verloren; er diente nämlich nur als Schutzwerk gegen 
Rom, und ihm verdanken es die Juden, daß sie dem 
christlichen Rom ebenso heldenmütig wie einst dem 
heidnischen Rom widerstehen konnten. Und sie haben
nicht bloß widerstanden, sondern auch gesiegt. Der 
arme Rabbi von Nazareth, über dessen sterbendes 
Haupt der heidnische Römer die hämischen Worte 
schrieb: »König der Juden«- ebendieser dornenge-
krönte, mit dem ironischen Purpur behängte Spottkö-
nig der Juden wurde am Ende der Gott der Römer, 
und sie mußten vor ihm niederknien! Wie das heidni-
sche Rom wurde auch das christliche Rom besiegt, 
und dieses wurde sogar tributär. Wenn du, teurer 
Leser, dich in den ersten Tagen des Trimesters nach 
der Straße Lafitte verfügen willst, und zwar nach dem
Hotel Numero funfzehn, so siehst du dort vor einem 
hohen Portal eine schwerfällige Kutsche, aus welcher 
ein dicker Mann hervorsteigt. Dieser begibt sich die 
Treppe hinauf nach einem kleinen Zimmer, wo ein 
blonder junger Mensch sitzt, der dennoch älter ist, als 
er wohl aussieht, und in dessen vornehmer grandseig-
neurlicher Nonchalance dennoch etwas so Solides 
liegt, etwas so Positives, etwas so Absolutes, als habe
er alles Geld dieser Welt in seiner Tasche. Und wirk-
lich, er hat alles Geld dieser Welt in seiner Tasche, 
und er heißt Monsieur James de Rothschild, und der 
dicke Mann ist Monsignor Grimbaldi, Abgesandter 
Seiner Heiligkeit des Papstes, und er bringt in dessen 
Namen die Zinsen der römischen Anleihe, den Tribut 
von Rom.
Wozu jetzt noch der Talmud?
Moses Mendelssohn verdient daher großes Lob, 
daß er diesen jüdischen Katholizismus, wenigstens in 
Deutschland, gestürzt hat. Denn was überflüssig ist, 
ist schädlich. Die Tradition verwerfend, suchte er je-
doch das mosaische Zeremonialgesetz als religiöse 
Verpflichtung aufrechtzuerhalten. War es Feigheit 
oder Klugheit? War es eine wehmütige Nachliebe, die
ihn abhielt, die zerstörende Hand an Gegenstände zu 
legen, die seinen Vorvätern am heiligsten waren und 
wofür soviel Märtyrerblut und Märtyrertränen geflos-
sen? Ich glaube nicht. Wie die Könige der Materie, so
müssen auch die Könige des Geistes unerbittlich sein 
gegen Familiengefühle; auch auf dem Throne des Ge-
dankens darf man keinen sanften Gemütlichkeiten 
nachgeben. Ich bin deshalb vielmehr der Meinung, 
daß Moses Mendelssohn in dem reinen Mosaismus 
eine Institution sah, die dem Deismus gleichsam als 
eine letzte Verschanzung dienen konnte. Denn der 
Deismus war sein innerster Glaube und seine tiefste 
Überzeugung. Als sein Freund Lessing starb und man
denselben des Spinozismus anklagte, verteidigte er 
ihn mit dem ängstlichsten Eifer, und er ärgerte sich 
bei dieser Gelegenheit zu Tode.
Ich habe hier schon zum zweiten Male den Namen 
genannt, den kein Deutscher aussprechen kann, ohne 
daß in seiner Brust ein mehr oder minder starkes Echo
laut wird. Aber seit Luther hat Deutschland keinen 
größeren und besseren Mann hervorgebracht als Gott-
hold Ephraim Lessing. Diese beiden sind unser Stolz 
und unsere Wonne. In der Trübnis der Gegenwart 
schauen wir hinauf nach ihren tröstenden Standbil-
dern, und sie nicken eine glänzende Verheißung. Ja, 
kommen wird auch der dritte Mann, der da vollbringt,
was Luther begonnen, was Lessing fortgesetzt und 
dessen das deutsche Vaterland so sehr bedarf - der 
dritte Befreier! - Ich sehe schon seine goldne Rü-
stung, die aus dem purpurnen Kaisermantel hervor-
strahlt, »wie die Sonne aus dem Morgenrot!«
Gleich dem Luther wirkte Lessing nicht nur, indem
er etwas Bestimmtes tat, sondern indem er das deut-
sche Volk bis in seine Tiefen aufregte und indem er 
eine heilsame Geisterbewegung hervorbrachte, durch 
seine Kritik, durch seine Polemik. Er war die lebendi-
ge Kritik seiner Zeit, und sein ganzes Leben war Po-
lemik. Diese Kritik machte sich geltend im weitesten 
Bereiche des Gedankens und des Gefühls, in der Reli-
gion, in der Wissenschaft, in der Kunst. Diese Pole-
mik überwand jeden Gegner und erstarkte nach jedem
Siege. Lessing, wie er selbst eingestand, bedurfte 
eben des Kampfes zu der eignen Geistesentwickelung.
Er glich ganz jenem fabelhaften Normann, der die Ta-
lente, Kenntnisse und Kräfte derjenigen Männer erbte,
die er im Zweikampf erschlug, und in dieser Weise 
endlich mit allen möglichen Vorzügen und 
Vortrefflichkeiten begabt war. Begreiflich ist es, daß 
solch ein streitlustiger Kämpe nicht geringen Lärm in 
Deutschland verursachte, in dem stillen Deutschland, 
das damals noch sabbatlich stiller war als heute. Ver-
blüfft wurden die meisten ob seiner literarischen 
Kühnheit. Aber eben diese kam ihm hülfreich zustat-
ten; denn Oser! ist das Geheimnis des Gelingens in 
der Literatur, ebenso wie in der Revolution - und in 
der Liebe. Vor dem Lessingschen Schwerte zitterten 
alle. Kein Kopf war vor ihm sicher. Ja, manchen 
Schädel hat er sogar aus Übermut heruntergeschlagen,
und dann war er dabei noch so boshaft, ihn vom 
Boden aufzuheben und dem Publikum zu zeigen, daß 
er inwendig hohl war. Wen sein Schwert nicht errei-
chen konnte, den tötete er mit den Pfeilen seines Wit-
zes. Die Freunde bewunderten die bunten Schwungfe-
dern dieser Pfeile; die Feinde fühlten die Spitze in 
ihren Herzen. Der Lessingsche Witz gleicht nicht 
jenem Enjouement, jener Gaité, jenen springenden 
Saillies, wie man hierzuland dergleichen kennt. Sein 
Witz war kein kleines französisches Windhündchen, 
das seinem eigenen Schatten nachläuft; sein Witz war 
vielmehr ein großer deutscher Kater, der mit der Maus
spielt, ehe er sie würgt.
Ja, Polemik war die Lust unseres Lessings, und 
daher überlegte er nie lange, ob auch der Gegner sei-
ner würdig war. So hat er, eben durch seine Polemik, 
manchen Namen der wohlverdientesten Vergessenheit
entrissen. Mehre winzige Schriftstellerlein hat er mit 
dem geistreichsten Spott, mit dem köstlichsten Humor
gleichsam umsponnen, und in den Lessingschen Wer-
ken erhalten sie sich nun für ewige Zeiten wie Insek-
ten, die sich in einem Stück Bernstein verfangen. 
Indem er seine Gegner tötete, machte er sie zugleich 
unsterblich. Wer von uns hätte jemals etwas von 
jenem Klotz erfahren, an welchen Lessing soviel 
Hohn und Scharfsinn verschwendet! Die Felsen-
blöcke, die er auf diesen armen Antiquar geschleudert
und womit er ihn zerschmettert, sind jetzt dessen un-
verwüstliches Denkmal.
Merkwürdig ist es, daß jener witzigste Mensch in 
Deutschland auch zugleich der ehrlichste war. Nichts 
gleicht seiner Wahrheitsliebe. Lessing machte der 
Lüge nicht die mindeste Konzession, selbst wenn er 
dadurch, in der gewöhnlichen Weise der Weltklugen, 
den Sieg der Wahrheit befördern konnte. Er konnte 
alles für die Wahrheit tun, nur nicht lügen. »Wer dar-
auf denkt«, sagte er einst, »die Wahrheit unter allerlei 
Larven und Schminken an den Mann zu bringen, der 
möchte wohl gern ihr Kuppler sein, aber ihr Liebha-
ber ist er nie gewesen.«
Das schöne Wort Buffons »Der Stil ist der Mensch
selber!« ist auf niemand anwendbarer als auf Lessing.
Seine Schreibart ist ganz wie sein Charakter, wahr, 
fest, schmucklos, schön und imposant durch die in-
wohnende Stärke. Sein Stil ist ganz der Stil der römi-
schen Bauwerke: höchste Solidität bei der höchsten 
Einfachheit; gleich Quadersteinen ruhen die Sätze 
aufeinander, und wie bei jenen das Gesetz der Schwe-
re, so ist bei diesen die logische Schlußfolge das un-
sichtbare Bindemittel. Daher in der Lessingschen 
Prosa sowenig von jenen Füllwörtern und Wendungs-
künsten, die wir bei unserem Periodenbau gleichsam 
als Mörtel gebrauchen. Noch viel weniger finden wir 
da jene Gedankenkaryatiden, welche ihr la belle phra-
se nennt.
Daß ein Mann wie Lessing niemals glücklich sein 
konnte, werdet ihr leicht begreifen. Und wenn er auch 
nicht die Wahrheit geliebt hätte und wenn er sie auch 
nicht selbstwillig überall verfochten hätte, so mußte 
er doch unglücklich sein; denn er war ein Genie. 
»Alles wird man dir verzeihen«, sagte jüngst ein seuf-
zender Dichter, »man verzeiht dir deinen Reichtum, 
man verzeiht dir die hohe Geburt, man verzeiht dir 
deine Wohlgestalt, man Läßt dir sogar Talent hinge-
hen, aber man ist unerbittlich gegen das Genie.« Ach!
und begegnet ihm auch nicht der böse Wille von 
außen, so fände das Genie doch schon in sich selber 
den Feind, der ihm Elend bereitet. Deshalb ist die Ge-
schichte der großen Männer immer eine Märtyrerle-
gende; wenn sie auch nicht litten für die große 
Menschheit, so litten sie doch für ihre eigene Größe, 
für die große Art ihres Seins, das Unphilisterliche, für
ihr Mißbehagen an der prunkenden Gemeinheit, der 
lächelnden Schlechtigkeit ihrer Umgebung, ein Miß-
behagen, welches sie natürlich zu Extravaganzen 
bringt, z.B. zum Schauspielhaus oder gar zum Spiel-
haus - wie es dem armen Lessing begegnete.
Mehr als dieses hat ihm aber der böse Leumund 
nicht nach sagen können, und aus seiner Biographie 
erfahren wir nur, daß ihm schöne Komödiantinnen 
amüsanter dünkten als hamburgische Pastöre und daß
stumme Karten ihm bessere Unterhaltung gewährten 
als schwatzende Wolffianer.
Es ist herzzerreißend, wenn wir in dieser Biogra-
phie lesen, wie das Schicksal auch jede Freude diesem
Manne versagt hat und wie es ihm nicht einmal ver-
gönnte, in der Umfriedung der Familie sich von sei-
nen täglichen Kämpfen zu erholen. Einmal nur schien 
Fortuna ihn begünstigen zu wollen, sie gab ihm ein 
geliebtes Weib, ein Kind - aber dieses Glück war wie
der Sonnenstrahl, der den Fittich eines vorüberflie-
genden Vogels vergoldet, es schwand ebensoschnell, 
das Weib starb infolge des Wochenbetts, das Kind 
schon bald nach der Geburt, und über letzteres 
schrieb er einem Freunde die gräßlich witzigen 
Worte:
»Meine Freude war nur kurz. Und ich verlor ihn 
ungern, diesen Sohn! Denn er hatte soviel Verstand! 
soviel Verstand! - Glauben Sie nicht, daß die weni-
gen Stunden meiner Vaterschaft mich schon zu so 
einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was 
ich sage. - War es nicht Verstand, daß man ihn mit 
eisernen Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er so
bald Unrat merkte? - War es nicht Verstand, daß er 
die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davonzuma-
chen? - Ich wollte es auch einmal so gut haben wie 
andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekom-
men.«
Ein Unglück gab es, worüber sich Lessing nie 
gegen seine Freunde ausgesprochen: dieses war seine 
schaurige Einsamkeit, sein geistiges Alleinstehn. Ei-
nige seiner Zeitgenossen liebten ihn, keiner verstand 
ihn. Mendelssohn, sein bester Freund, verteidigte ihn 
mit Eifer, als man ihn des Spinozismus beschuldigte. 
Verteidigung und Eifer waren ebenso lächerlich wie 
überflüssig. Beruhige dich im Grabe, alter Moses; 
dein Lessing war zwar auf dem Wege zu diesem ent-
setzlichen Irrtum, zu diesem jammervollen Unglück, 
nämlich zum Spinozismus - aber der Allerhöchste, 
der Vater im Himmel, hat ihn noch zur rechten Zeit 
durch den Tod gerettet. Beruhige dich, dein Lessing 
war kein Spinozist, wie die Verleumdung behauptete; 
er starb als guter Deist wie du und Nicolai und Teller 
und die »Allgemeine deutsche Bibliothek«!
Lessing war nur der Prophet, der aus dem zweiten 
Testamente ins dritte hinüberdeutete. Ich habe ihn den
Fortsetzer des Luther genannt, und eigentlich in dieser
Eigenschaft habe ich ihn hier zu besprechen. Von sei-
ner Bedeutung für die deutsche Kunst kann ich erst 
später reden. In dieser hat er nicht bloß durch seine 
Kritik, sondern auch durch sein Beispiel eine heilsa-
me Reform bewirkt, und diese Seite seiner Tätigkeit 
wird gewöhnlich zumeist hervorgehoben und beleuch-
tet. Wir jedoch betrachten ihn von einem anderen 
Standpunkte aus, und seine philosophischen und theo-
logischen Kämpfe sind uns wichtiger als seine Dra-
maturgie und seine Dramata. Letztere jedoch, wie alle
seine Schriften, haben eine soziale Bedeutung, und 
»Nathan der Weise« ist im Grunde nicht bloß eine 
gute Komödie, sondern auch eine philosophisch-theo-
logische Abhandlung zugunsten des reinen Deismus. 
Die Kunst war für Lessing ebenfalls eine Tribüne, 
und wenn man ihn von der Kanzel oder vom Katheder
herabstieß, dann sprang er aufs Theater und sprach 
dort noch viel deutlicher und gewann ein noch zahl-
reicheres Publikum.
Ich sage, Lessing hat den Luther fortgesetzt. Nach-
dem Luther uns von der Tradition befreit und die 
Bibel zur alleinigen Quelle des Christentums erhoben 
hatte, da entstand, wie ich schon oben erzählt, ein 
starrer Wortdienst, und der Buchstabe der Bibel 
herrschte ebenso tyrannisch wie einst die Tradition. 
Zur Befreiung von diesem tyrannischen Buchstaben 
hat nun Lessing am meisten beigetragen. Wie Luther 
ebenfalls nicht der einzige war, der die Tradition be-
kämpft, so kämpfte Lessing zwar nicht allein, aber 
doch am gewaltigsten gegen den Buchstaben. Hier er-
schallt am lautesten seine Schlachtstimme. Hier 
schwingt er sein Schwert am freudigsten, und es 
leuchtet und tötet. Hier aber auch wird Lessing am 
stärksten bedrängt von der schwarzen Schar, und in 
solcher Bedrängnis rief er einst aus:
»O sancta simplicitas! - Aber noch bin ich nicht 
da, wo der gute Mann, der dieses ausrief, nur noch 
dieses ausrufen konnte. (Hus rief dieses auf dem 
Scheiterhaufen.) Erst soll uns hören, erst soll über uns
urteilen, wer hören und urteilen kann und will!
O daß er es könnte, er, den ich am liebsten zu mei-
nem Richter haben möchte! - Luther, du! - Großer, 
verkannter Mann! Und von niemanden mehr verkannt 
als von den Starrköpfen, die, deine Pantoffeln in der 
Hand, den von dir gebahnten Weg schreiend, aber 
gleichgültig daherschlendern! - Du hast uns von dem 
Joche der Tradition erlöst: wer erlöset uns von dem 
unerträglicheren Joche des Buchstabens! Wer bringt 
uns endlich ein Christentum, wie du es itzt lehren 
würdest, wie es Christus selbst lehren würde!«
Ja, der Buchstabe, sagte Lessing, sei die letzte 
Hülle des Christentums, und erst nach Vernichtung 
dieser Hülle trete hervor der Geist. Dieser Geist ist 
aber nichts anders als das, was die Wolffschen Philo-
sophen zu demonstrieren gedacht, was die Philanthro-
pen in ihrem Gemüte gefühlt, was Mendelssohn im 
Mosaismus gefunden, was die Freimaurer gesungen, 
was die Poeten gepfiffen, was sich damals in Deutsch-
land unter allen Formen geltend machte: der reine De-
ismus.
Lessing starb zu Braunschweig, im Jahr 1781, ver-
kannt, gehaßt und verschrien. In demselben Jahre er-
schien zu Königsberg die »Kritik der reinen Ver-
nunft« von Immanuel Kant. Mit diesem Buche, wel-
ches durch sonderbare Verzögerung erst am Ende der 
achtziger Jahre allgemein bekannt wurde, beginnt eine
geistige Revolution in Deutschland, die mit der mate-
riellen Revolution in Frankreich die sonderbarsten 
Analogien bietet und dem tieferen Denker ebenso 
wichtig dünken muß wie jene. Sie entwickelt sich mit 
denselben Phasen, und zwischen beiden herrscht der 
merkwürdigste Parallelismus. Auf beiden Seiten des 
Rheines sehen wir denselben Bruch mit der Vergan-
genheit, der Tradition wird alle Ehrfurcht aufgekün-
digt; wie hier in Frankreich jedes Recht, so muß dort 
in Deutschland jeder Gedanke sich justifizieren, und 
wie hier das Königtum, der Schlußstein der alten so-
zialen Ordnung, so stürzt dort der Deismus, der 
Schlußstein des geistigen alten Regimes.
Von dieser Katastrophe, von dem 21. Januar des 
Deismus, sprechen wir im folgenden Stücke. Ein ei-
gentümliches Grauen, eine geheimnisvolle Pietät er-
laubt uns heute nicht, weiterzuschreiben. Unsere 
Brust ist voll von entsetzlichem Mitleid - es ist der 
alte Jehova selber, der sich zum Tode bereitet. Wir 
haben ihn so gut gekannt, von seiner Wiege an, in 
Ägypten, als er unter göttlichen Kälbern, Krokodilen, 
heiligen Zwiebeln, Ibissen und Katzen erzogen 
wurde - Wir haben ihn gesehen, wie er diesen Ge-
spielen seiner Kindheit und den Obelisken und Sphin-
xen seines heimatlichen Niltals ade sagte und in Palä-
stina, bei einem armen Hirtenvölkchen, ein kleiner 
Gottkönig wurde und in einem eigenen Tempelpalast 
wohnte- Wir sahen ihn späterhin, wie er mit der assy-
risch-babylonischen Zivilisation in Berührung kam 
und seine allzu menschlichen Leidenschaften ablegte, 
nicht mehr lauter Zorn und Rache spie, wenigstens 
nicht mehr wegen jeder Lumperei gleich donnerte - 
Wir sahen ihn auswandern nach Rom, der Hauptstadt,
wo er aller Nationalvorurteile entsagte und die himm-
lische Gleichheit aller Völker proklamierte und mit 
solchen schönen Phrasen gegen den alten Jupiter Op-
position bildete und so lange intrigierte, bis er zur 
Herrschaft gelangte und vom Kapitole herab die Stadt
und die Welt, urbem et orbem, regierte - Wir sahen, 
wie er sich noch mehr vergeistigte, wie er sanftselig 
wimmerte, wie er ein liebevoller Vater wurde, ein all-
gemeiner Menschenfreund, ein Weltbeglücker, ein 
Philanthrop - es konnte ihm alles nichts helfen -
Hört ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder - 
Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte.

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