Kapitel
I-X
Ein edles Gemüt kommt nie in eure Rechnung;
und daran scheitert heute eure Weisheit. (Er
öffnet seinen Schreibtisch, nimmt zwei Pistolen
heraus, wovon er das eine auf den Tisch legt
und das andre ladet.)
Roberts »Macht der Verhältnisse«
Kapitel I
Ich bin der höflichste Mensch von der Welt. Ich tue
mir was darauf zugute, niemals grob gewesen zu sein
auf dieser Erde, wo es so viele unerträgliche Schlingel
gibt, die sich zu einem hinsetzen und ihre Leiden er-
zählen oder gar ihre Verse deklamieren; mit wahrhaft
christlicher Geduld habe ich immer solche Misere
ruhig angehört, ohne nur durch eine Miene zu verra-
ten, wie sehr sich meine Seele ennuyierte. Gleich
einem büßenden Brahminen, der seinen Leib dem Un-
geziefer preisgibt, damit auch diese Gottesgeschöpfe
sich sättigen, habe ich dem fatalsten Menschenge-
schmeiß oft tagelang standgehalten und ruhig zuge-
hört, und meine inneren Seufzer vernahm nur ER, der
die Tugend belohnt.
Aber auch die Lebensklugheit gebietet uns, höflich
zu sein und nicht verdrießlich zu schweigen oder gar
Verdrießliches zu erwidern, wenn irgendein schwam-
miger Kommerzienrat oder dürrer Käsekrämer sich zu
uns setzt und ein allgemein europäisches Gespräch
anfängt mit den Worten: »Es ist heute eine schöne
Witterung.« Man kann nicht wissen, wie man mit
einem solchen Philister wieder zusammentrifft, und er
kann es uns dann bitter eintränken, daß wir nicht höf-
lich geantwortet: »Die Witterung ist sehr schön.« Es
kann sich sogar fügen, lieber Leser, daß du zu Kassel
an der Table d'hôte neben besagtem Philister zu sitzen
kömmst, und zwar an seine linke Seite, und er ist just
der Mann, der die Schüssel mit braunen Karpfen vor
sich stehen hat und lustig austeilt; - hat er nun eine
alte Pike auf dich, dann reicht er die Teller immer
rechts herum, so daß auch nicht das kleinste
Schwanzstückchen für dich übrigbleibt. Denn ach!
Du bist just der dreizehnte bei Tisch, welches immer
bedenklich ist, wenn man links neben dem Trancheur
sitzt und die Teller rechts herumgereicht werden. Und
keine Karpfen bekommen ist ein großes Übel, nächst
dem Verlust der Nationalkokarde vielleicht das größ-
te. Der Philister, der dir dieses Übel bereitet, verhöhnt
dich noch obendrein und offeriert dir die Lorbeeren,
die in der braunen Sauce liegengeblieben; - ach! was
helfen einem alle Lorbeeren, wenn keine Karpfen
dabei sind! - und der Philister blinzelt dann mit den
Äuglein und kichert und lispelt: »Es ist heute eine
schöne Witterung.«
Ach, liebe Seele, es kann sich sogar fügen, daß du
auf irgendeinem Kirchhofe neben diesem selben Phili-
ster zu liegen kömmst, und hörst du dann am Jüng-
sten Tage die Posaune erschallen und sagst zu deinem
Nachbar: »Guter Freund, reichen Sie mir gefälligst
die Hand, damit ich aufstehen kann, das linke Bein ist
mir eingeschlafen von dem verdammt langen Lie-
gen!«, dann bemerkst du plötzlich das wohlbekannte
Philisterlächeln und hörst die höhnische Stimme: »Es
ist heute eine schöne Witterung.«
Kapitel II
»Es ist heute eine scheene Witterung -«
Hättest du, lieber Leser, den Ton gehört, den un-
übertrefflichen Fistelbaß, womit diese Worte gespro-
chen wurden, und sahest du gar den Sprecher selbst,
das erzprosaische Witwenkassengesicht, die stockge-
scheuten Äuglein, die aufgestülpt pfiffige For-
schungsnase, so erkanntest du gleich, diese Blume ist
keinem gewöhnlichen Sande entsprossen, und diese
Töne sind die Sprache Charlottenburgs, wo man das
Berlinische noch besser spricht als in Berlin selbst.
Ich bin der höflichste Mensch von der Welt und
esse gern braune Karpfen und glaube zuweilen an
Auferstehung, und ich antwortete: »In der Tat, die
Witterung ist sehr scheene.«
Als der Sohn der Spree dermaßen geentert, ging er
erst recht derb auf mich ein, und ich konnte mich nim-
mermehr losreißen von seinen Fragen und Selbstbe-
antwortungen und absonderlich von seinen Parallelen
zwischen Berlin und München, dem neuen Athen,
dem er kein gutes Haar ließ.
Ich aber nahm das neue Athen sehr in Schutz, wie
ich denn immer den Ort zu loben pflege, wo ich mich
eben befinde. Daß solches diesmal auf Kosten Berlins
geschah, das wirst du mir gern verzeihen, lieber
Leser, wenn ich dir unterderhand gestehe, dergleichen
geschieht zumeist aus purer Politik; denn ich weiß,
sobald ich anfange, meine guten Berliner zu loben, so
hat mein Ruhm bei ihnen ein Ende, und sie zucken die
Achsel und flüstern einander zu: »Der Mensch wird
sehr seicht, uns sogar lobt er.« Keine Stadt hat näm-
lich weniger Lokalpatriotismus als Berlin. Tausend
miserable Schriftsteller haben Berlin schon in Prosa
und Versen gefeiert, und es hat in Berlin kein Hahn
danach gekräht, und kein Huhn ist ihnen dafür ge-
kocht worden, und man hat sie Unter den Linden
immer noch für miserable Poeten gehalten, nach wie
vor. Dagegen hat man ebensowenig Notiz davon ge-
nommen, wenn irgendein Afterpoet etwa in Parabasen
auf Berlin losschalt. Wage es aber mal jemand, gegen
Polkwitz, Innsbruck, Schilda, Posen, Krähwinkel und
andre Hauptstädte etwas Anzügliches zu schreiben!
Wie würde sich der respektive Patriotismus dort
regen! Der Grund davon ist: Berlin ist gar keine
Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort dazu her, wo
sich eine Menge Menschen, und zwar darunter viele
Menschen von Geist, versammeln, denen der Ort ganz
gleichgültig ist; diese bilden das geistige Berlin. Der
durchreisende Fremde sieht nur die langgestreckten,
uniformen Häuser, die langen, breiten Straßen, die
nach der Schnur und meistens nach dem Eigenwillen
eines einzelnen gebaut sind und keine Kunde geben
von der Denkweise der Menge. Nur Sonntagskinder
vermögen etwas von der Privatgesinnung der Einwoh-
ner zu erraten, wenn sie die langen Häuserreihen be-
trachten, die sich, wie die Menschen selbst, voneinan-
der fernzuhalten streben, erstarrend im gegenseitigen
Groll. Nur einmal, in einer Mondnacht, als ich etwas
spät von Lutter und Wegener heimkehrte, sah ich, wie
jene harte Stimmung sich in milde Wehmut aufgelöst
hatte, wie die Häuser, die einander so feindlich gegen-
übergestanden, sich gerührt baufällig christlich an-
blickten und sich versöhnt in die Arme stürzen woll-
ten, so daß ich armer Mensch, der in der Mitte der
Straße ging, zerquetscht zu werden fürchtete. Manche
werden diese Furcht lächerlich finden, und auch ich
lächelte darüber, als ich, nüchternen Blicks, den an-
dern Morgen durch eben jene Straßen wanderte und
sich die Häuser wieder so prosaisch entgegengähnten.
Es sind wahrlich mehrere Flaschen Poesie dazu nötig,
wenn man in Berlin etwas anderes sehen will als tote
Häuser und Berliner. Hier ist es schwer, Geister zu
sehen. Die Stadt enthält sowenig Altertümlichkeit und
ist so neu; und doch ist dieses Neue schon so alt, so
welk und abgestorben. Denn sie ist größtenteils, wie
gesagt, nicht aus der Gesinnung der Masse, sondern
einzelner entstanden. Der große Fritz ist wohl unter
diesen wenigen der vorzüglichste; was er vorfand, war
nur feste Unterlage, erst von ihm erhielt die Stadt
ihren eigentlichen Charakter, und wäre seit seinem
Tode nichts mehr daran gebaut worden, so bliebe ein
historisches Denkmal von dem Geiste jenes prosaisch
wundersamen Helden, der die raffinierte Geschmack-
losigkeit und blühende Verstandesfreiheit, das Seichte
und das Tüchtige seiner Zeit, recht deutsch-tapfer in
sich ausgebildet hatte. Potsdam z.B. erscheint uns als
ein solches Denkmal, durch seine öden Straßen wan-
dern wir wie durch die hinterlassenen Schriftwerke
des Philosophen von Sanssouci, es gehört zu dessen
œuvres posthumes, und obgleich es jetzt nur steiner-
nes Makulatur ist und des Lächerlichen genug enthält,
so betrachten wir es doch mit ernstem Interesse und
unterdrücken hie und da eine aufsteigende Lachlust,
als fürchteten wir, plötzlich einen Schlag auf den
Rücken zu bekommen, wie von dem spanischen
Röhrchen des Alten Fritz. Solche Furcht aber befällt
uns nimmermehr in Berlin, da fühlen wir, daß der
Alte Fritz und sein spanisches Röhrchen keine Macht
mehr üben; denn sonst würde aus den alten, aufge-
klärten Fenstern der gesunden Vernunftstadt nicht so
manch krankes Obskurantengesicht herausglotzen,
und so manch dummes, abergläubisches Gebäude
würde sich nicht unter die alten skeptisch philosophi-
schen Häuser eingesiedelt haben. Ich will nicht miß-
verstanden sein und bemerke ausdrücklich, ich stichle
hier keinesweges auf die neue Werdersche Kirche,
jenen gotischen Dom in verjüngtem Maßstabe, der
nur aus Ironie zwischen die modernen Gebäude hinge-
stellt ist, um allegorisch zu zeigen, wie läppisch und
albern es erscheinen würde, wenn man alte, längst un-
tergegangene Institutionen des Mittelalters wieder neu
aufrichten wollte, unter den neuen Bildungen einer
neuen Zeit.
Das oben Angedeutete gilt bloß von Berlins äußer-
licher Erscheinung, und wollte man in dieser Bezie-
hung München damit vergleichen, so könnte man mit
Recht behaupten, letzteres bilde ganz den Gegensatz
von Berlin. München nämlich ist eine Stadt, gebaut
von dem Volke selbst, und zwar von aufeinanderfol-
genden Generationen, deren Geist noch immer in
ihren Bauwerken sichtbar, so daß man dort, wie in der
Hexenszene des »Macbeth«, eine chronologische Gei-
sterreihe erblickt, von dem dunkelrohen Geiste des
Mittelalters, der geharnischt aus gotischen Kirchen-
pforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geist
unserer eignen Zeit, der uns einen Spiegel entgegen-
hält, worin jeder sich selbst mit Vergnügen anschaut.
In dieser Reihenfolge liegt eben das Versöhnende; das
Barbarische empört uns nicht mehr, und das Abge-
schmackte verletzt uns nicht mehr, wenn wir es als
Anfänge und notwendige Übergänge betrachten. Wir
sind ernst, aber nicht unmutig bei dem Anblick jenes
barbarischen Doms, der sich noch immer, in stiefel-
knechtlicher Gestalt, über die ganze Stadt erhebt und
die Schatten und Gespenster des Mittelalters in sei-
nem Schoße verbirgt. Mit ebensowenig Unmut, ja
sogar mit spaßhafter Rührung betrachten wir die
haarbeuteligen Schlösser der spätern Periode, die
plump deutschen Nachäffungen der glatt französi-
schen Unnatur, die Prachtgebäude der Abgeschmackt-
heit, toll schnörkelhaft von außen, von innen noch
putziger dekoriert mit schreiend bunten Allegorien,
vergoldeten Arabesken, Stukkaturen und jenen Schil-
dereien, worauf die seligen hohen Herrschaften ab-
konterfeit sind: die Kavaliere mit roten, betrunken
nüchternen Gesichtern, worüber die Allongeperücken,
wie gepuderte Löwenmähnen, herabhängen, die
Damen mit steifem Toupet, stählernem Korsett, das
ihr Herz zusammenschnürte, und ungeheurem Reif-
rock, der ihnen desto mehr prosaische Ausdehnung
gewährte. Wie gesagt, dieser Anblick verstimmt uns
nicht, er trägt vielmehr dazu bei, uns die Gegenwart
und ihren lichten Wert recht lebhaft fühlen zu lassen,
und wenn wir die neuen Werke betrachten, die sich
neben den alten erheben, so ist's, als würde uns eine
schwere Perücke vom Haupte genommen und das
Herz befreit von stählerner Fessel. Ich spreche hier
von den heiteren Kunsttempeln und edlen Palästen,
die in kühner Fülle hervorblühen aus dem Geiste
Klenzes, des großen Meisters.
Kapitel III
Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen
nennt, ist, unter uns gesagt, etwas ridikül, und es ko-
stet mich viele Mühe, wenn ich sie in solcher Qualität
vertreten soll. Dieses empfand ich aufs tiefste in dem
Zweigespräch mit dem Berliner Philister, der, ob-
gleich er schon eine Weile mit mir gesprochen hatte,
unhöflich genug war, alles attische Salz im neuen
Athen zu vermissen.
»Des«, rief er ziemlich laut, »gibt es nur in Berlin.
Da nur ist Witz und Ironie. Hier gibt es gutes
Weißbier, aber wahrhaftig keine Ironie.«
»Ironie haben wir nicht«, rief Nannerl, die schlan-
ke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang,
»aber jedes andre Bier können Sie doch haben.«
Daß Nannerl die Ironie für eine Sorte Bier gehal-
ten, vielleicht für das beste Stettiner, war mir sehr
leid, und damit sie sich in der Folge wenigstens keine
solche Blöße mehr gebe, begann ich folgendermaßen
zu dozieren: »Schönes Nannerl, die Ironie is ka Bier,
sondern eine Erfindung der Berliner, der klügsten
Leute von der Welt, die sich sehr ärgerten, daß sie zu
spät auf die Welt gekommen sind, um das Pulver er-
finden zu können, und die deshalb eine Erfindung zu
machen suchten, die ebenso wichtig und eben denjeni-
gen, die das Pulver nicht erfunden haben, sehr nütz-
lich ist. Ehemals, liebes Kind, wenn jemand eine
Dummheit beging, was war da zu tun? Das Geschehe-
ne konnte nicht ungeschehen gemacht werden, und die
Leute sagten: ›Der Kerl war ein Rindvieh.‹ Das war
unangenehm. In Berlin, wo man am klügsten ist und
die meisten Dummheiten begeht, fühlte man am tief-
sten diese Unannehmlichkeit. Das Ministerium suchte
dagegen ernsthafte Maßregeln zu ergreifen: bloß die
größeren Dummheiten durften noch gedruckt werden,
die kleineren erlaubte man nur in Gesprächen, solche
Erlaubnis erstreckte sich nur auf Professoren und
hohe Staatsbeamte, geringere Leute durften ihre
Dummheiten bloß im verborgenen laut werden las-
sen; - aber alle diese Vorkehrungen halfen nichts, die
unterdrückten Dummheiten traten bei außerordentli-
chen Anlässen desto gewaltiger hervor, sie wurden
sogar heimlich von oben herab protegiert, sie stiegen
öffentlich von unten hinauf, die Not war groß, bis
endlich ein rückwirkendes Mittel erfunden ward, wo-
durch man jede Dummheit gleichsam ungeschehen
machen und sogar in Weisheit umgestalten kann. Die-
ses Mittel ist ganz einfach und besteht darin, daß man
erklärt, man habe jene Dummheit bloß aus Ironie be-
gangen oder gesprochen. So, liebes Kind, avanciert
alles in dieser Welt, die Dummheit wird Ironie, ver-
fehlte Speichelleckerei wird Satire, natürliche Plump-
heit wird kunstreiche Persiflage, wirklicher Wahnsinn
wird Humor, Unwissenheit wird brillanter Witz, und
du wirst am Ende noch die Aspasia des neuen
Athens.«
Ich hätte noch mehr gesagt, aber das schöne Nan-
nerl, das ich unterdessen am Schürzenzipfel festhielt,
riß sich gewaltsam los, als man von allen Seiten »A
Bier! A Bier!« gar zu stürmisch forderte. Der Berliner
aber sah aus wie die Ironie selbst, als er bemerkte, mit
welchem Enthusiasmus die hohen schäumenden Glä-
ser in Empfang genommen wurden; und indem er auf
eine Gruppe Biertrinker hindeutete, die sich den Hop-
fennektar von Herzen schmecken ließen und über
dessen Vortrefflichkeit disputierten, sprach er lä-
chelnd: »Das wollen Athenienser sind?«
Die Bemerkungen, die der Mann bei dieser Gele-
genheit nachschob, taten mir ordentlich weh, da ich
für unser neues Athen keine geringe Vorliebe hege,
und ich bestrebte mich daher, dem raschen Tadler zu
bedeuten, daß wir erst seit kurzem auf den Gedanken
gekommen sind, uns als ein neues Athen aufzutun,
daß wir erst junge Anfänger sind und unsere großen
Geister, ja unser ganzes gebildetes Publikum noch
nicht danach eingerichtet ist, sich in der Nähe sehen
zu lassen. »Es ist alles noch im Entstehen, und wir
sind noch nicht komplett. Nur die untersten Fächer,
lieber Freund«, fügte ich hinzu, »sind erst besetzt,
und es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß wir z.B.
an Eulen, Sykophanten und Phrynen keinen Mangel
haben. Es fehlt uns nur an dem höhern Personal, und
mancher muß mehrere Rollen zu gleicher Zeit spielen.
Zum Beispiel unser Dichter, der die zarte griechische
Knabenliebe besingt, hat auch die aristophanische
Grobheit übernehmen müssen; aber er kann alles ma-
chen, er hat alles, was zu einem großen Dichter ge-
hört, außer etwa Phantasie und Witz, und wenn er
viel Geld hätte, wäre er ein reicher Mann. Was uns
aber an Quantität fehlt, das ersetzen wir durch Quali-
tät. Wir haben nur einen großen Bildhauer - aber es
ist ein ›Löwe‹! Wir haben nur einen großen Redner,
aber ich bin überzeugt, daß Demosthenes über den
Malzaufschlag in Attika nicht so gut donnern konnte.
Wenn wir noch keinen Sokrates vergiftet haben, so
war es wahrhaftig nicht das Gift, welches uns dazu
fehlte. Und wenn wir noch keinen eigentlichen
Demos, ein ganzes Demagogenvolk besitzen, so kön-
nen wir doch mit einem Prachtexemplare dieser Gat-
tung, mit einem Demagogen von Handwerk aufwar-
ten, der ganz allein einen ganzen Demos, einen gan-
zen Haufen Großschwätzer, Maulaufsperrer, Poltrons
und sonstigen Lumpengesindels aufwiegt - und hier
sehen Sie ihn selbst.«
Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, die
Figur, die sich uns jetzt präsentierte, etwas genauer zu
bezeichnen. Ob diese Figur mit Recht behauptet, daß
ihr Kopf etwas Menschliches habe und sie daher juri-
stisch befugt sei, sich für einen Menschen auszuge-
ben, das lasse ich dahingestellt sein. Ich würde diesen
Kopf vielmehr für den eines Affen halten; nur aus
Courtoisie will ich ihn für menschlich passieren las-
sen. Seine Bedeckung bestand aus einer Tuchmütze,
in der Form ähnlich dem Helm des Mambrin, und
steifschwarze Haare hingen lang herab und waren
vorn a l'enfant gescheitelt. Auf diese Vorderseite des
Kopfes, die sich für ein Gesicht ausgab, hatte die
Göttin der Gemeinheit ihren Stempel gedrückt, und
zwar so stark, daß die dort befindliche Nase fast
zerquetscht worden; die niedergeschlagenen Augen
schienen diese Nase vergebens zu suchen und deshalb
betrübt zu sein; ein übelriechendes Lächeln spielte
um den Mund, der überaus liebreizend war und durch
eine gewisse frappante Ähnlichkeit unseren griechi-
schen Afterdichter zu den zartesten Ghaselen begei-
stern konnte. Die Bekleidung war ein altdeutscher
Rock, zwar schon etwas modifiziert nach den drin-
gendsten Anforderungen der neueuropäischen Zivili-
sation, aber im Schnitt noch immer erinnernd an den,
welchen Arminius im Teutoburger Walde getragen
und dessen Urform sich unter einer patriot schen
Schneidergesellschaft ebenso geheimnisvoll-traditio-
nell erhalten hat wie einst die gotische Baukunst unter
einer mystischen Maurergilde. Ein weißgewaschener
Lappen, der mit dem bloßen, altdeutschen Halse tief-
bedeutsam kontrastierte, bedeckte den Kragen dieses
famosen Rockes, aus seinen langen Ärmeln hingen
lange schmutzige Hände, zwischen diesen zeigte sich
ein langweiliger Leib, woran wieder zwei kurzweilige
Beine schlotterten - die ganze Gestalt war eine kat-
zenjämmerliche Parodie des Apoll von Belvedere.
»Und des ist der Demagog des neuen Athens?«
frug spottlächelnd der Berliner. »Du juter Jott, des ist
ja ein Landsmann von mich! Ich traue kaum meinen
leiblichen Augen - des ist ja derjenige, welcher -
Nee, des ist die Möglichkeit!«
»Ja, ihr verblendeten Berliner«, sprach ich, nicht
ohne Feuer, »ihr verkennt eure heimischen Genies und
steinigt eure Propheten. Wir aber können alles ge-
brauchen!«
»Und wozu braucht ihr denn diese unglückliche
Fliege?«
»Er ist zu allem zu gebrauchen, wozu Springen,
Kriechen, Gemüt, Fressen, Frömmigkeit, viel Alt-
deutsch, wenig Latein und gar kein Griechisch nötig
ist. Er springt wirklich sehr gut übern Stock, macht
auch Tabellen von allen möglichen Sprüngen und
Verzeichnisse von allen möglichen Lesarten altdeut-
scher Gedichte. Dazu repräsentiert er die Vaterlands-
liebe, ohne im mindesten gefährlich zu sein. Denn
man weiß sehr gut, daß er sich von den altdeutschen
Demagogen, unter welchen er sich mal zufällig befun-
den, zu rechter Zeit zurückgezogen, als ihre Sache
etwas gefährlich wurde und daher mit den christlichen
Gefühlen seines weichen Herzens nicht mehr überein-
stimmte. Seitdem aber die Gefahr verschwunden, die
Märtyrer für ihre Gesinnung gelitten, fast alle sie von
selbst aufgegeben und sogar unsere feurigsten Barbie-
re ihre deutschen Röcke ausgezogen haben, seitdem
hat die Blütezeit unseres vorsichtigen Vaterlandsret-
ters erst recht begonnen; er allein hat noch das
Demagogenkostüm und die dazugehörigen Redensar-
ten beibehalten; er preist noch immer Arminius den
Cherusker und Frau Thusnelda, als sei er ihr blonder
Enkel; er bewahrt noch immer seinen germanisch-pa-
triotischen Haß gegen welsches Babeltum, gegen die
Erfindung der Seife, gegen Thierschs heidnisch-grie-
chische Grammatik, gegen Quinctilius Varus, gegen
Handschuh' und gegen alle Menschen, die eine an-
ständige Nase haben; - und so steht er da als wan-
delndes Denkmal einer untergegangenen Zeit, und wie
der letzte Mohikan ist auch er allein übriggeblieben
von einer ganzen tatkräftigen Horde, er, der letzte
Demagoge. Sie sehen also, daß wir im neuen Athen,
wo es noch ganz an Demagogen fehlt, diesen Mann
brauchen können, wir haben an ihm einen sehr guten
Demagogen, der zugleich so zahm ist, daß er jeden
Speichelnapf beleckt und aus der Hand frißt, Hasel-
nüsse, Kastanien, Käse, Würstchen, kurz, alles frißt,
was man ihm gibt; und da er jetzt einzig in seiner Art,
so haben wir noch den besonderen Vorteil, daß wir
späterhin, wenn er krepiert ist, ihn ausstopfen lassen
und als den letzten Demagogen mit Haut und Haar für
die Nachwelt aufbewahren können. Ich bitte Sie je-
doch, sagen Sie das nicht dem Professor Lichtenstein
in Berlin, der ließe ihn sonst für das zoologische Mu-
seum reklamieren, welches Anlaß zu einem Kriege
zwischen Preußen und Bayern geben könnte, da wir
ihn auf keinen Fall ausliefern werden. Schon haben
die Engländer ihn aufs Korn genommen und
zweitausendsiebenhundertsiebenundsiebenzig Guine-
en für ihn geboten, schon haben die Östreicher ihn
gegen die Giraffe eintauschen wollen; aber unser Mi-
nisterium soll geäußert haben: ›Der letzte Demagog
ist uns für keinen Preis feil, er wird einst der Stolz un-
seres Naturalienkabinetts und die Zierde unserer
Stadt.‹«
Der Berliner schien etwas zerstreut zuzuhören,
schönere Gegenstände hatten seine Aufmerksamkeit
in Anspruch genommen, und er fiel mir endlich in die
Rede mit den Worten: »Erlauben Sie gehorsamst, daß
ich Sie unterbreche, aber sagen Sie mir doch, was ist
denn das für ein Hund, der dort läuft?«
»Das ist ein anderer Hund.«
»Ach, Sie verstehen mich nicht, ich meine jenen
großen, weißzottigen Hund ohne Schwanz?«
»Mein lieber Herr, das ist der Hund des neuen Al-
kibiades.«
»Aber«, bemerkte der Berliner, »sagen Sie mir
doch, wo ist denn der neue Alkibiades selbst?«
»Aufrichtig gestanden«, antwortete ich, »diese Stel-
le ist noch nicht besetzt, und wir haben erst den
Hund.«
Kapitel IV
Der Ort, wo dieses Gespräch stattfand, heißt Bo-
genhausen oder Neuburghausen oder Villa Hompesch
oder Montgelasgarten oder das Schlössel, ja man
braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von
München dort hinfahren will, der Kutscher versteht
uns schon an einem gewissen durstigen Augenblin-
zeln, an einem gewissen vorseligen Kopfnicken und
ähnlichen Bezeichnungsgrimassen. Tausend Aus-
drücke hat der Araber für ein Schwert, der Franzose
für die Liebe, der Engländer für das Hängen, der
Deutsche für das Trinken und der neuere Athener
sogar für die Orte, wo er trinkt. Das Bier ist an besag-
tem Orte wirklich sehr gut, selbst im Prytaneum,
vulgo Bockkeller, ist es nicht besser, es schmeckt
ganz vortrefflich, besonders auf jener Treppenter-
rasse, wo man die Tiroler Alpen vor Augen hat. Ich
saß dort oft vorigen Winter und betrachtete die
schneebedeckten Berge, die, glänzend in der Sonnen-
beleuchtung, aus eitel Silber gegossen zu sein schie-
nen.
Es war damals auch Winter in meiner Seele, Ge-
danken und Gefühle waren wie eingeschneit, es war
mir so verdorrt und tot zumute, dazu kam die leidige
Politik, die Trauer um ein liebes gestorbenes Kind
und ein alter Nachärger und der Schnupfen. Außer-
dem trank ich viel Bier, weil man mich versicherte,
das gäbe leichtes Blut. Doch der beste attische Brei-
hahn wollte nicht fruchten bei mir, der ich mich in
England schon an Porter gewöhnt hatte.
Endlich kam der Tag, wo alles ganz anders wurde.
Die Sonne brach hervor aus dem Himmel und tränkte
die Erde, das alte Kind, mit ihrer Strahlenmilch, die
Berge schauerten vor Lust, und ihre Schneetränen
flossen gewaltig, es krachten und brachen die Eis-
decken der Seen, die Erde schlug die blauen Augen
auf, aus ihrem Busen quollen hervor die liebenden
Blumen und die klingenden Wilder, die grünen Palä-
ste der Nachtigallen, die ganze Natur lächelte, und
dieses Lächeln hieß Frühling. Da begann auch in mir
ein neuer Frühling, neue Blumen sproßten aus dem
Herzen, Freiheitsgefühle, wie Rosen, schossen hervor,
auch heimliches Sehnen, wie junge Veilchen, dazwi-
schen freilich manch unnütze Nessel. Über die Gräber
meiner Wünsche zog die Hoffnung wieder ihr heiteres
Grün, auch die Melodien der Poesie kamen wieder,
wie Zugvögel, die den Winter im warmen Süden ver-
bracht und das verlassene Nest im Norden wieder auf-
suchen, und das verlassene nordische Herz klang und
blühte wieder wie vormals - nur weiß ich nicht, wie
das alles kam. Ist es eine braune oder blonde Sonne
gewesen, die den Frühling in meinem Herzen aufs
neue geweckt und all die schlafenden Blumen in die-
sem Herzen wieder aufgeküßt und die Nachtigallen
wieder hineingelächelt? War es die wahlverwandte
Natur selbst, die in meiner Brust ihr Echo suchte und
sich gern darin bespiegelte mit ihrem neuen Früh-
lingsglanz? Ich weiß nicht, aber ich glaube, auf der
Terrasse zu Bogenhausen, im Angesicht der Tiroler
Alpen, geschah meinem Herzen solch neue Verzaube-
rung. Wenn ich dort in Gedanken saß, war mir's oft,
als sehe ich ein wunderschönes Jünglingsantlitz über
jene Berge hervorlauschen, und ich wünschte mir Flü-
gel, um hinzueilen nach seinem Residenzland Italien.
Ich fühlte mich auch oft angeweht von Zitronen- und
Orangendüften, die von den Bergen herüberwogten,
schmeichelnd und verheißend, um mich hinzulocken
nach Italien. Einst sogar, in der goldenen Abenddäm-
merung, sah ich auf der Spitze einer Alpe ihn ganz
und gar, lebensgroß, den jungen Frühlingsgott, Blu-
men und Lorbeeren umkränzten das freudige Haupt,
und mit lachendem Auge und blühendem Munde rief
er: »Ich liebe dich, komm zu mir nach Italien!«
Kapitel
V
Mein Blick machte daher wohl etwas sehnsüchtig
flimmern, als ich, in Verzweiflung über das unabseh-
bare Philistergespräch, nach den schönen Tiroler Ber-
gen hinaussah und tief seufzte. Mein Berliner Phili-
ster nahm aber eben diesen Blick und Seufzer als neue
Gesprächsfäden auf und seufzte mit: »Ach ja, ich
möchte auch jetzt in Konstantinopel sein! Ach! Kon-
stantinopel zu sehen war immer der einzige Wunsch
meines Lebens, und jetzt sind die Russen gewiß
schon eingezogen, ach, in Konstantinopel! Haben Sie
Petersburg gesehen?« Ich verneinte dieses und bat,
mir davon zu erzählen. Aber nicht er selbst, sondern
sein Herr Schwager, der Kammergerichtsrat, war vori-
gen Sommer da gewesen, und es soll eine ganz einzi-
ge Stadt sein. - »Haben Sie Kopenhagen gesehen?«
Da ich diese Frage ebenfalls verneinte und eine Schil-
derung dieser Stadt von ihm begehrte, lächelte er gar
pfiffig und wiegte das Köpfchen recht vergnügt hin
und her und versicherte mir auf Ehre, ich könne mir
keine Vorstellung davon machen, wenn ich nicht
selbst dort gewesen sei. »Dieses«, erwiderte ich,
»wird vorderhand noch nicht stattfinden, ich will jetzt
eine andere Reise antreten, die ich schon diesen Früh-
ling projektiert, ich reise nämlich nach Italien.«
Als der Mann dieses Wort hörte, sprang er plötz-
lich vom Stuhle auf, drehte sich dreimal auf einem
Fuße herum und trillerte: »Tirili! Tirili! Tirili!«
Das gab mir den letzten Sporn. Morgen reise ich,
beschloß ich auf der Stelle. Ich will nicht länger zö-
gern, ich will so bald als möglich das Land sehen, das
den trockensten Philister so sehr in Ekstase bringen
kann, daß er bei dessen Erwähnung plötzlich wie eine
Wachtel schlägt. Während ich zu Hause meinen Kof-
fer packte, klang mir der Ton jenes Tirilis noch immer
in den Ohren, und mein Bruder, Maximilian Heine,
der mich den andern Tag bis Tirol begleitete, konnte
nicht begreifen, warum ich auf dem ganzen Wege kein
vernünftiges Wort sprach und beständig tirilierte.
Kapitel VI
Tirili! Tirili! ich lebe! Ich fühle den süßen Schmerz
der Existenz, ich fühle alle Freuden und Qualen der
Welt, ich leide für das Heil des ganzen Menschenge-
schlechts, ich büße dessen Sünden, aber ich genieße
sie auch.
Und nicht bloß mit den Menschen, auch mit den
Pflanzen fühle ich, ihre tausend grünen Zungen erzäh-
len mir allerliebste Geschichten, sie wissen, daß ich
nicht menschenstolz bin und mit den niedrigsten
Wiesenblümchen ebenso gern spreche wie mit den
höchsten Tannen. Ach, ich weiß ja, wie es mit solchen
Tannen beschaffen ist! Aus der Tiefe des Tals schie-
ßen sie himmelhoch empor, überragen fast die kühn-
sten Felsenberge - Aber wie lange dauert diese Herr-
lichkeit? Höchstens ein paar lumpige Jahrhunderte,
dann krachen sie altersmüd zusammen und verfaulen
auf dem Boden. Des Nachts kommen dann die hämi-
schen Käuzlein aus ihren Felsenspalten hervorge-
huscht und verhöhnen sie noch obendrein: »Seht, ihr
starken Tannen, ihr glaubtet euch mit den Bergen
messen zu können, jetzt liegt ihr gebrochen da unten,
und die Berge stehen noch immer unerschüttert.«
Einem Adler, der auf seinem einsamen Lieblings-
felsen sitzt und solcher Verhöhnung zuhört, muß
recht mitleidig zumute werden. Er denkt dann an das
eigene Schicksal. Auch er weiß nicht, wie tief er einst
gebettet wird. Aber die Sterne funkeln so beruhigend,
die Waldwasser rauschen so trostvoll, und die eigene
Seele überbraust so stolz all die kleinmütigen Gedan-
ken, daß er sie bald wieder vergißt. Steigt gar die
Sonne hervor, so fühlt er sich wieder wie sonst und
fliegt zu ihr hinauf, und wenn er hoch genug ist, singt
er ihr entgegen seine Lust und Qual. Seine Mittiere,
besonders die Menschen, glauben, der Adler könne
nicht singen, und sie wissen nicht, daß er dann nur
singt, wenn er aus ihrem Bereich ist, und daß er aus
Stolz nur von der Sonne gehört sein will. Und er hat
recht; es könnte irgendeinem von der gefiederten
Sippschaft da unten einfallen, seinen Gesang zu re-
zensieren. Ich habe selbst erfahren, wie solche Kriti-
ken lauten: Das Huhn stellt sich dann auf ein Bein
und gluckt, der Sänger habe kein Gemüt; der Trut-
hahn kullert, es fehle ihm der wahre Ernst; die Taube
girrt, er kenne nicht die wahre Liebe; die Gans schnat-
tert, er sei nicht wissenschaftlich; der Kapaun kikert,
er sei nicht moralisch; der Dompfaff zwitschert, er
habe leider keine Religion; der Sperling piepst, er sei
nicht produktiv genug; Wiedehöpfchen, Elsterchen,
Schuhuchen, alles krächzt und ächzt und schnarrt -
Nur die Nachtigall stimmt nicht ein in diese Kritiken,
unbekümmert um die ganze Mitwelt, ist nur die rote
Rose ihr einziger Gedanke und ihr einziges Lied,
sehnsüchtig umflattert sie die rote Rose und stürzt
sich begeistert in die geliebten Dornen und blutet und
singt.
Kapitel
VII
Es gibt einen Adler im deutschen Vaterlande, des-
sen Sonnenlied so gewaltig erklingt, daß es auch hier
unten gehört wird und sogar die Nachtigallen aufhor-
chen, trotz all ihren melodischen Schmerzen. Das bist
du, Karl Immermann, und deiner dacht ich gar oft in
dem Lande, wovon du so schön gesungen. Wie konn-
te ich durch Tirol reisen, ohne an das »Trauerspiel«
zu denken?
Nun freilich, ich habe die Dinge in anderer Fär-
bung gesehen; aber ich bewundere doch den Dichter,
der aus der Fülle des Gemütes dasjenige, was er nie
gesehen hat, der Wirklichkeit so ähnlich schafft. Am
meisten ergötzte mich, daß »Das Trauerspiel in Tirol«
in Tirol verboten ist. Ich gedachte der Worte, die mir
mein Freund Moser schrieb, als er mir meldete, daß
der zweite Band der »Reisebilder« verboten sei: »Die
Regierung hätte aber das Buch gar nicht zu verbieten
brauchen, es wäre dennoch gelesen worden.«
Zu Innsbruck im »Goldenen Adler«, wo Andreas
Hofer logiert hatte und noch jede Ecke mit seinen
Bildnissen und Erinnerungen an ihn beklebt ist, fragte
ich den Wirt, Herrn Niederkirchner, ob er mir noch
viel von dem Sandwirt erzählen könne. Da war der
alte Mann überfließend von Redseligkeit und
vertraute mir mit klugen Augenzwinken, daß jetzt die
Geschichte auch ganz gedruckt heraus sei, aber auch
ganz geheim verboten; und als er mich nach einem
dunkeln Stübchen geführt, wo er seine Reliquien aus
dem Tiroler Krieg aufbewahrt, wickelte er ein schmut-
zig blaues Papier von einem schon zerlesenen grünen
Büchlein, das ich zu meiner Verwunderung als Im-
mermanns »Trauerspiel in Tirol« erkannte. Ich sagte
ihm, nicht ohne errötenden Stolz, der Mann, der es
geschrieben, sei mein Freund. Herr Niederkirchner
wollte nun soviel als möglich von dem Manne wissen,
und ich sagte ihm, es sei ein gedienter Mann, von fe-
ster Statur, sehr ehrlich und sehr geschickt in Schreib-
sachen, so daß er nur wenige seinesgleichen finde.
Daß er aber ein Preuße sei, wollte Herr Niederkirch-
ner durchaus nicht glauben und rief mit mitleidigem
Lächeln: »Warum nicht gar!« Er ließ sich nicht ausre-
den, daß der Immermann ein Tiroler sei und den Tiro-
ler Krieg mitgemacht habe - »wie könnte er sonst
alles wissen?«
Seltsame Grille des Volkes! Es verlangt seine Ge-
schichte aus der Hand des Dichters und nicht aus der
Hand des Historikers. Es verlangt nicht den treuen
Bericht nackter Tatsachen, sondern jene Tatsachen
wieder aufgelöst in die ursprüngliche Poesie, woraus
sie hervorgegangen. Das wissen die Dichter, und
nicht ohne geheime Schadenlust modeln sie
willkürlich die Völkererinnerungen, vielleicht zur
Verhöhnung stolztrockner Historiographen und per-
gamentener Staatsarchivare. Nicht wenig ergötzte es
mich, als ich in den Buden des letzten Jahrmarkts die
Geschichte des Belisars in grell kolorierten Bildern
ausgehängt sah, und zwar nicht nach dem Prokop,
sondern ganz treu nach Schenks Tragödie. »So wird
die Geschichte verfälscht« - rief der gelahrte Freund,
der mich begleitete -, »sie weiß nichts von jener
Rache einer beleidigten Gattin, von jenem gefangenen
Sohn, von jener liebenden Tochter und dergleichen
modernen Herzensgeburten!« Ist denn dies aber wirk-
lich ein Fehler? soll man den Dichtern wegen dieser
Fälschung gleich den Prozeß machen? Nein, denn ich
leugne die Anklage. Die Geschichte wird nicht von
den Dichtern verfälscht. Sie geben den Sinn derselben
ganz treu, und sei es auch durch selbsterfundene Ge-
stalten und Umstände. Es gibt Völker, denen nur auf
diese Dichterart ihre Geschichte überliefert worden,
z.B. die Indier. Dennoch geben Gesänge wie der
»Mahabharata« den Sinn indischer Geschichte viel
richtiger als irgendein Kompendienschreiber mit all
seinen Jahrzahlen. In gleicher Hinsicht möchte ich be-
haupten, Walter Scotts Romane gäben zuweilen den
Geist der englischen Geschichte weit treuer als Hume;
wenigstens hat Sartorius sehr recht, wenn er in seinen
Nachträgen zu Spittler jene Romane zu den Quellen
der englischen Geschichte rechnet.
Es geht den Dichtern wie den Träumern, die im
Schlafe dasjenige innere Gefühl, welches ihre Seele
durch wirkliche äußere Ursachen empfindet, gleich-
sam maskieren, indem sie an die Stelle dieser letzte-
ren ganz andere äußere Ursachen erträumen, die aber
insofern ganz adäquat sind, als sie dasselbe Gefühl
hervorbringen. So sind auch in Immermanns »Trauer-
spiel« manche Außendinge ziemlich willkürlich ge-
schaffen, aber der Held selbst, der Gefühlsmittel-
punkt, ist identisch geträumt, und wenn diese Traum-
gestalt selbst träumerisch erscheint, so ist auch dieses
der Wahrheit gemäß. Der Baron Hormayr, der hierin
der kompetenteste Richter sein kann, hat mich, als ich
jüngst das Vergnügen hatte, ihn zu sprechen, auf die-
sen Umstand aufmerksam gemacht. Das mystische
Gemütsleben, die abergläubische Religiosität, das
Epische des Mannes hat Immermann ganz richtig an-
gedeutet. Er gab ganz treu jene treue Taube, die, mit
dem blanken Schwert im Schnabel, wie die kriegeri-
sche Liebe, über den Bergen Tirols so heldenmütig
umherschwebte, bis die Kugeln von Mantua ihr treues
Herz durchbohrten.
Was aber dem Dichter am meisten zur Ehre ge-
reicht, ist die ebenso treue Schilderung des Gegners,
aus welchem er keinen wütenden Geßler gemacht, um
seinen Hofer desto mehr zu heben; wie dieser eine
Taube mit dem Schwerte, so ist jener ein Adler mit
dem Ölzweig.
Kapitel VIII
In der Wirtshausstube des Herrn Niederkirchner zu
Innsbruck hängen einträchtig nebeneinander die Bil-
der von Andreas Hofer, Napoleon Bonaparte und
Ludwig von Bayern.
Innsbruck selbst ist eine unwöhnliche, blöde Stadt.
Vielleicht mag sie im Winter etwas geistiger und be-
haglicher aussehen, wenn die hohen Berge, wovon sie
eingeschlossen, mit Schnee bedeckt sind und die La-
winen dröhnen und überall das Eis kracht und blitzt.
Ich fand die Häupter jener Berge mit Wolken, wie
mit grauen Turbanen, umwickelt. Man sieht dort die
Martinswand, den Schauplatz der lieblichsten Kaiser-
sage; wie denn überhaupt die Erinnerung an den rit-
terlichen Max in Tirol noch immer blüht und klingt.
In der Hofkirche stehen die oft besprochenen
Standbilder der Fürsten und Fürstinnen aus dem
Hause Östreich und ihrer Ahnen, worunter mancher
gerechnet worden, der gewiß bis auf den heutigen Tag
nicht begreift, wie er zu dieser Ehre gekommen. Sie
stehen in gewaltiger Lebensgröße, aus Eisen gegos-
sen, um das Grabmal des Maximilian. Da aber die
Kirche klein und das Dach niedrig ist, so kommt's
einem vor, als sähe man schwarze Wachsfiguren in
einer Marktbude. Am Fußgestell der meisten liest
man auch den Namen derjenigen hohen Personen, die
sie vorstellen. Als ich jene Statuen betrachtete, traten
Engländer in die Kirche; ein hagerer Mann mit aufge-
sperrtem Gesichte, die Daumen eingehakt in die Arm-
öffnungen der weißen Weste und im Maul einen le-
dernen Guide des voyageurs; hinter ihm seine lange
Lebensgefährtin, eine nicht mehr ganz junge, schon
etwas abgeliebte, aber noch immer hinlänglich schöne
Dame; hinter dieser ein rotes Portergesicht mit puder-
weißen Aufschlägen, steif einhertretend in einem dito
Rock und die hölzernen Hände vollauf befrachtet mit
Myladys Handschuhen, Alpenblumen und Mops.
Das Kleeblatt stieg schnurgerade nach dem obern
Ende der Kirche, wo der Sohn Albinos seiner Gemah-
lin die Statuen erklärte, und zwar nach seinem Guide
des voyageurs, in welchem ausführlich zu lesen war:
»Die erste Statue ist der König Chlodewig von Frank-
reich, die andere ist der König Arthur von England,
die dritte ist Rudolf von Habsburg usw.« Da aber der
arme Engländer die Reihe von oben anfing statt von
unten, wie es der Guide des voyageurs voraussetzte,
so geriet er in die ergötzlichsten Verwechselungen,
die noch komischer wurden, wenn er an eine Frauen-
statue kam, die er für einen Mann hielt, und
umgekehrt, so daß er nicht begriff, warum man Ru-
dolf von Habsburg in Weibskleidern dargestellt, da-
gegen die Königin Maria mit eisernen Hosen und
einem allzu langen Barte. Ich, der ich gerne mit mei-
nem Wissen nachhelfe, bemerkte beiläufig, derglei-
chen habe wahrscheinlich das damalige Kostüm erfor-
dert, auch könne es besonderer Wille der hohen Per-
sonen gewesen sein, so, und beileibe nicht anders, ge-
gossen zu werden. So könne es ja dem jetzigen Kaiser
einfallen, sich in einem Reifrock oder gar in Windeln
gießen zu lassen; - wer würde was dagegen einwen-
den?
Der Mops bellte kritisch, der Lakai glotzte, sein
Herr putzte sich die Nase, und Mylady sagte: »A fine
exhibition, very fine indeed!« -
Kapitel IX
Brixen war die zweite größere Stadt Tirols, wo ich
einkehrte. Sie liegt in einem Tal, und als ich ankam,
war sie mit Dampf und Abendschatten übergossen.
Dämmernde Stille, melancholisches Glockengebim-
mel, die Schafe trippelten nach ihren Ställen, die
Menschen nach den Kirchen; überall beklemmender
Geruch von häßlichen Heiligenbildern und getrockne-
tem Heu.
»Die Jesuiten sind in Brixen«, hatte ich kurz vorher
im »Hesperus« gelesen. Ich sah mich auf allen Stra-
ßen nach ihnen um; aber ich habe niemanden gesehen,
der einem Jesuiten glich, es sei denn jener dicke Mann
mit geistlich dreieckigem Hut und pfäffisch geschnit-
tenem schwarzen Rock, der alt und abgetragen war
und mit den glänzend neuen schwarzen Hosen gar
auffallend kontrastierte.
›Das kann auch kein Jesuit sein‹, sprach ich end-
lich zu mir selber; denn ich habe mir immer die Jesui-
ten etwas mager gedacht. Ob es wirklich noch Jesui-
ten gibt? Manchmal will es mich bedünken, als sei
ihre Existenz nur eine Schimäre, als spuke nur die
Angst vor ihnen noch in unseren Köpfen, nachdem
längst die Gefahr vorüber, und alles Eifern gegen Je-
suiten mahnt mich dann an Leute, die, wenn es längst
aufgehört hat zu regnen, noch immer mit aufgespann-
ten Regenschirmen umhergehen. Ja, mich dünkt zu-
weilen, der Teufel, der Adel und die Jesuiten existie-
ren nur so lange, als man an sie glaubt. Vom Teufel
könnten wir es wohl ganz bestimmt behaupten, denn
nur die Gläubigen haben ihn bisher gesehen. Auch in
betreff des Adels werden wir im Laufe einiger Zeit die
Erfahrung machen, daß die bonne societe aufhören
wird, die bonne societe zu sein, sobald der gute Bür-
gersmann nicht mehr die Güte hat, sie für die bonne
societe zu halten. Aber die Jesuiten? Wenigstens
haben sie doch nicht mehr die alten Hosen an! Die
alten Jesuiten liegen im Grabe mit ihren alten Hosen,
Begierden, Weltplänen, Ränken, Distinktionen, Re-
servationen und Giften, und was wir jetzt in neuen,
glänzenden Hosen durch die Welt schleichen sehen,
ist nicht sowohl ihr Geist als vielmehr ihr Gespenst,
ein albernes, blödsinniges Gespenst, das uns täglich
durch Wort und Tat zu beweisen sucht, wie wenig es
furchtbar sei; und wahrlich, es mahnt uns an die Ge-
schichte von einem ähnlichen Gespenste im Thüringer
Walde, das einst die Leute, so sich vor ihm fürchte-
ten, von ihrer Furcht befreite, indem es, vor aller
Augen, seinen Schädel von den Schultern herabnahm
und jedem zeigte, daß er inwendig ganz hohl und leer
sei.
Ich kann nicht umhin, nachträglich zu erzählen,
daß ich Gelegenheit fand, den dicken Mann mit den
glänzend neuen Hosen genauer zu beobachten und
mich zu überzeugen, daß er kein Jesuit war, sondern
ein ganz gewöhnliches Vieh Gottes. Ich traf ihn näm-
lich in der Gaststube meines Wirtshauses, wo er zu
Nacht speiste, in Gesellschaft eines langen, magern,
Exzellenz genannten Mannes, der jenem alten hage-
stolzlichen Landjunker, den uns Shakespeare geschil-
dert, so ähnlich war, daß es schien, als habe die Natur
ein Plagiat begangen. Beide würzten ihr Mahl, indem
sie die Aufwärterin mit Karessen bedrängten, die das
liebe, bildschöne Mädchen nicht wenig anzuekeln
schienen, so daß sie sich mit Gewalt losriß, wenn der
eine sie hinten klätschelte oder der andere sie gar zu
embrassieren suchte. Dabei rissen sie ihre rohesten
Zoten, die das Mädchen, wie sie wußten, nicht umhin
konnte anzuhören, da sie zur Aufwartung der Gäste
und auch, um mir den Tisch zu decken, im Zimmer
bleiben mußte. Als jedoch die Ungebühr ganz unleid-
lich wurde, ließ die junge Person plötzlich alles ste-
hen und liegen, eilte zur Tür hinaus und kam erst nach
einigen Minuten ins Zimmer zurück, mit einem klei-
nen Kinde auf dem Arm, das sie die ganze Zeit auf
dem Arm behielt, während sie im Gastzimmer ihre
Geschäfte besorgte, obgleich ihr diese dadurch um so
beschwerlicher wurden. Die beiden Kumpane aber,
der geistliche und der adlige Herr, wagten keine einzi-
ge Belästigung mehr gegen das Mädchen, das jetzt
ohne Unfreundlichkeit, jedoch mit seltsamem Ernst
sie bediente; - das Gespräch nahm eine andere Wen-
dung, beide schwatzten jetzt das gewöhnliche Ge-
schwätz von der großen Verschwörung gegen Thron
und Altar, sie verständigten sich über die Notwendig-
keit strenger Maßregeln und reichten sich mehrmals
die heiligen Allianzhände.
Kapitel X
Für die Geschichte von Tirol sind die Werke des
Joseph von Hormayr unentbehrlich; für die neueste
Geschichte ist er selbst die beste, oft die einzige Quel-
le. Er ist für Tirol, was Johannes von Müller für die
Schweiz ist; eine Parallele dieser beiden Historiker
drängt sich uns von selbst auf. Sie sind gleichsam
Wandnachbaren, beide in ihrer Jugend gleich begei-
stert für ihre Geburtsalpen, beide fleißig, forschsam,
von historischer Denkweise und Gefühlsrichtung; Jo-
hannes von Müller, epischer gestimmt, den Geist wie-
gend in den Geschichten der Vergangenheit, Joseph
von Hormayr, hastiger fühlend, mehr in die Gegen-
wart hineingerissen, uneigennützig das Leben wagend
für das, was ihm lieb war.
Bartholdys »Krieg der Tiroler Landleute im Jahr
1809« ist ein geistreich und schön geschriebenes
Buch, und wenn Mängel darin sind, so entstanden sie
notwendigerweise dadurch, weil der Verfasser, wie es
edlen Gemütern eigen ist, für die unterdrückte Partei
eine sichtbare Vorliebe hegte und weil noch Pulver-
dampf die Begebenheiten umhüllte, als er sie be-
schrieb.
Viele merkwürdige Ereignisse jener Zeit sind gar
nicht aufgeschrieben und leben nur im Gedächtnisse
des Volkes, das jetzt nicht gern mehr davon spricht,
da die Erinnerung mancher getäuschten Hoffnung
dabei auftaucht. Die armen Tiroler haben nämlich
auch allerlei Erfahrungen machen müssen, und wenn
man sie jetzt fragt, ob sie, zum Lohne ihrer Treue,
alles erlangt, was man ihnen in der Not versprochen,
so zucken sie gutmütig die Achsel und sagen naiv:
»Es war vielleicht so ernst nicht gemeint, und der
Kaiser hat viel zu denken, und da geht ihm manches
durch den Kopf.«
Tröstet euch, arme Schelme! Ihr seid nicht die ein-
zigen, denen etwas versprochen worden. Passiert es
doch oft auf großen Sklavenschiffen, daß man bei
großen Stürmen, und wenn das Schiff in Gefahr gerät,
zu den schwarzen Menschen seine Zuflucht nimmt,
die unten im dunkeln Schiffsraum zusammengestaut
liegen. Man bricht dann ihre eisernen Ketten und ver-
spricht heilig und teuer, ihnen die Freiheit zu schen-
ken, wenn durch ihre Tätigkeit das Schiff gerettet
werde. Die blöden Schwarzen jubeln nun hinauf ans
Tageslicht, hurra! sie eilen zu den Pumpen, stampfen
aus Leibeskräften, helfen, wo nur zu helfen ist, klet-
tern, springen, kappen die Masten, winden die Taue,
kurz, arbeiten so lange, bis die Gefahr vorüber ist.
Alsdann werden sie, wie sich von selbst versteht, wie-
der nach dem Schiffsraum hinabgeführt, wieder ganz
bequem angefesselt, und in ihrem dunkeln Elend
machen sie demagogische Betrachtungen über Ver-
sprechungen von Seelenverkäufern, deren ganze
Sorge, nach überstandener Gefahr, dahin geht, noch
einige Seelen mehr einzutauschen.
O navis, referent in mare te novi
Fluctus? etc.
Als mein alter Lehrer diese Oder des Horaz, worin
der Staat mit einem Schiffe verglichen wird, explizier-
te, hatte er allerlei politische Betrachtungen zu ma-
chen, die er bald einstellte, als die Schlacht bei Leip-
zig geschlagen worden und die ganze Klasse ausein-
anderging.
Mein alter Lehrer hat alles vorausgewußt. Als wir
die erste Nachricht dieser Schlacht erhielten, schüttel-
te er das graue Haupt. Jetzt weiß ich, was dieses
Schütteln bedeutete. Bald kamen die genaueren Be-
richte, und heimlich zeigte man einander die Bilder,
wo gar bunt und erbaulich abkonterfeit war, wie die
hohen Heerführer auf dem Schlachtfelde knieten und
Gott dankten.
»Ja, sie konnten Gott danken«, sagte mein Lehrer
und lächelte, wie er zu lächeln pflegte, wenn er den
Sallust explizierte, »der Kaiser Napoleon hat sie so
oft geklopft, daß sie es ihm doch am Ende ablernen
konnten.«
Nun kamen die Alliierten und die schlechten Be-
freiungsgedichte, Hermann und Thusnelda, hurra! und
der Frauenverein und die Vaterlandseicheln und das
ewige Prahlen mit der Schlacht bei Leipzig und wie-
der die Schlacht bei Leipzig und kein Aufhören
davon.
»Es geht diesen Leuten«, bemerkte mein Lehrer,
»wie den Thebanern, als sie bei Leuktra endlich ein-
mal jene unbesiegbaren Spartaner geschlagen und be-
ständig mit dieser Schlacht prahlten, so daß Antisthe-
nes von ihnen sagte: ›Sie machen es wie die Knaben,
die vor Freude sich nicht zu lassen wissen, wenn sie
einmal ihren Schulmeister ausgeprügelt haben.‹ Liebe
Jungens, es wäre besser gewesen, wir hätten selbst die
Prügel bekommen.«
Bald darauf ist der alte Mann gestorben. Auf sei-
nem Grabe wächst preußisches Gras, und es weiden
dort die adeligen Rosse unserer renovierten Ritter.
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