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Die Nordsee. 1826. Dritte Abteilung

und

Ideen. Das Buch Le Grand
1826

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Motto: Varnhagen von Enses »Biographische
Denkmale«. 1. Teil, S. 1 und 2

Geschrieben auf der Insel Norderney

- - - Die Eingeborenen sind meistens blutarm und 
leben vom Fischfang, der erst im nächsten Monat, im 
Oktober, bei stürmischem Wetter, seinen Anfang 
nimmt. Viele dieser Insulaner dienen auch als Matro-
sen auf fremden Kauffahrteischiffen und bleiben jah-
relang vom Hause entfernt, ohne ihren Angehörigen 
irgendeine Nachricht von sich zukommen zu lassen. 
Nicht selten finden sie den Tod auf dem Wasser. Ich 
habe einige arme Weiber auf der Insel gefunden, 
deren ganze männliche Familie solcherweise umge-
kommen, was sich leicht ereignet, da der Vater mit 
seinen Söhnen gewöhnlich auf demselben Schiffe zur 
See fährt.
Das Seefahren hat für diese Menschen einen großen
Reiz; und dennoch, glaube ich, daheim ist ihnen allen
am wohlsten zumute. Sind sie auch auf ihren Schiffen 
sogar nach jenen südlichen Ländern gekommen, wo 
die Sonne blühender und der Mond romantischer 
leuchtet, so können doch alle Blumen dort nicht den 
Leck ihres Herzens stopfen, und mitten in der dufti-
gen Heimat des Frühlings sehnen sie sich wieder zu-
rück nach ihrer Sandinsel, nach ihren kleinen Hütten, 
nach dem flackernden Herde, wo die Ihrigen, wohl-
verwahrt in wollenen Jacken, herumkauern und einen 
Tee trinken, der sich von gekochtem Seewasser nur 
durch den Namen unterscheidet, und eine Sprache 
schwatzen, wovon kaum begreiflich scheint, wie es 
ihnen selber möglich ist, sie zu verstehen.
Was diese Menschen so fest und genügsam zusam-
menhält, ist nicht so sehr das innig mystische Gefühl 
der Liebe als vielmehr die Gewohnheit, das naturge-
mäße Ineinander-Hinüberleben, die gemeinschaftliche
Unmittelbarkeit. Gleiche Geisteshöhe oder, besser ge-
sagt, Geistesniedrigkeit, daher gleiche Bedürfnisse 
und gleiches Streben; gleiche Erfahrungen und Gesin-
nungen, daher leichtes Verständnis untereinander; und
sie sitzen verträglich am Feuer in den kleinen Hütten, 
rücken zusammen, wenn es kalt wird, an den Augen 
sehen sie sich ab, was sie denken, die Worte lesen sie 
sich von den Lippen, ehe sie gesprochen worden, alle 
gemeinsamen Lebensbeziehungen sind ihnen im Ge-
dächtnisse, und durch einen einzigen Laut, eine 
einzige Miene, eine einzige stumme Bewegung erre-
gen sie untereinander soviel Lachen oder Weinen oder
Andacht, wie wir bei unseresgleichen erst durch lange
Expositionen, Expektorationen und Deklamationen 
hervorbringen können. Denn wir leben im Grunde 
geistig einsam; durch eine besondere Erziehungsme-
thode oder zufällig gewählte besondere Lektüre hat 
jeder von uns eine verschiedene Charakterrichtung 
empfangen; jeder von uns, geistig verlarvt, denkt, 
fühlt und strebt anders als die andern, und des Miß-
verständnisses wird so viel, und selbst in weiten Häu-
sern wird das Zusammenleben so schwer, und wir 
sind überall beengt, überall fremd und überall in der 
Fremde.
In jenem Zustande der Gedanken- und Gefühls-
gleichheit, wie wir ihn bei unseren Insulanern sehen, 
lebten oft ganze Völker und haben oft ganze Zeitalter 
gelebt. Die römisch-christliche Kirche im Mittelalter 
hat vielleicht einen solchen Zustand in den Korpora-
tionen des ganzen Europa begründen wollen und 
nahm deshalb alle Lebensbeziehungen, alle Kräfte 
und Erscheinungen, den ganzen physischen und mora-
lischen Menschen unter ihre Vormundschaft. Es läßt 
sich nicht leugnen, daß viel ruhiges Glück dadurch 
gegründet ward und das Leben warm-inniger blühte 
und die Künste, wie still hervorgewachsene Blumen, 
jene Herrlichkeit entfalteten, die wir noch jetzt 
anstaunen und mit all unserem hastigen Wissen nicht 
nachahmen können. Aber der Geist hat seine ewigen 
Rechte, er läßt sich nicht eindämmen durch Satzungen
und nicht einlullen durch Glockengeläute; er zerbrach 
seinen Kerker und zerriß das eiserne Gängelband, 
woran ihn die Mutterkirche leitete, und er jagte im 
Befreiungstaumel über die ganze Erde, erstieg die 
höchsten Gipfel der Berge, jauchzte vor Übermut, ge-
dachte wieder uralter Zweifel, grübelte über die Wun-
der des Tages und zählte die Sterne der Nacht. Wir 
kennen noch nicht die Zahl der Sterne, die Wunder 
des Tages haben wir noch nicht enträtselt, die alten 
Zweifel sind mächtig geworden in unserer Seele - ist 
jetzt mehr Glück darin als ehemals? Wir wissen, daß 
diese Frage, wenn sie den großen Haufen betrifft, 
nicht leicht bejaht werden kann; aber wir wissen auch,
daß ein Glück, das wir der Lüge verdanken, kein 
wahres Glück ist und daß wir, in den einzelnen zerris-
senen Momenten eines gottgleicheren Zustandes, 
einer höheren Geisteswürde, mehr Glück empfinden 
können als in den lang hinvegetierten Jahren eines 
dumpfen Köhlerglaubens.
Auf jeden Fall war jene Kirchenherrschaft eine Un-
terjochung der schlimmsten Art. Wer bürgte uns für 
die gute Absicht, wie ich sie eben ausgesprochen? 
Wer kann beweisen, daß sich nicht zuweilen eine 
schlimme Absicht beimischte? Rom wollte immer 
herrschen, und als seine Legionen fielen, sandte es 
Dogmen in die Provinzen. Wie eine Riesenspinne saß
Rom im Mittel punkte der lateinischen Welt und 
überzog sie mit seinem unendlichen Gewebe. Genera-
tionen der Völker lebten darunter ein beruhigtes 
Leben, indem sie das für einen nahen Himmel hielten,
was bloß römisches Gewebe war; nur der höherstre-
bende Geist, der dieses Gewebe durchschaute, fühlte 
sich beengt und elend, und wenn er hindurchbrechen 
wollte, erhaschte ihn leicht die schlaue Weberin und 
sog ihm das kühne Blut aus dem Herzen; - und war 
das Traumglück der blöden Menge nicht zu teuer er-
kauft für solches Blut? Die Tage der Geistes knecht-
schaft sind vorüber; alterschwach, zwischen den ge-
brochenen Pfeilern ihres Koliseums sitzt die alte 
Kreuzspinne und spinnt noch immer das alte Gewebe,
aber es ist matt und morsch, und es verfangen sich 
darin nur Schmetterlinge und Fledermäuse und nicht 
mehr die Steinadler des Nordens.
- Es ist doch wirklich belächelnswert, während ich 
im Begriff bin, mich so recht wohlwollend über die 
Absichten der römischen Kirche zu verbreiten, erfaßt 
mich plötzlich der angewöhnte protestantische Eifer, 
der ihr immer das Schlimmste zumutet; und eben die-
ser Meinungszwiespalt in mir selbst gibt mir wieder 
ein Bild von der Zerrissenheit der Denkweise unserer 
Zeit. Was wir gestern bewundert, hassen wir heute, 
und morgen vielleicht verspotten wir es mit Gleich-
gültigkeit.
Auf einem gewissen Standpunkte ist alles gleich 
groß und gleich klein, und an die großen europäischen
Zeitverwandlungen werde ich erinnert, indem ich den 
kleinen Zustand unserer armen Insulaner betrachte. 
Auch diese stehen an der Grenze einer solchen neuen 
Zeit, und ihre alte Sinneseinheit und Einfalt wird ge-
stört durch das Gedeihen des hiesigen Seebades, 
indem sie dessen Gästen täglich etwas Neues ablau-
schen, was sie nicht mit ihrer altherkömmlichen Le-
bensweise zu vereinen wissen. Stehen sie des Abends 
vor den erleuchteten Fenstern des Konversationshau-
ses und betrachten dort die Verhandlungen der Herren
und Damen, die verständlichen Blicke, die begehrli-
chen Grimassen, das lüsterne Tanzen, das vergnügte 
Schmausen, das habsüchtige Spielen usw., so bleibt 
das für diese Menschen nicht ohne schlimme Folgen, 
die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die Bade-
anstalt zufließt, nimmermehr aufgewogen werden. 
Dieses Geld reicht nicht hin für die eindringenden 
neuen Bedürfnisse; daher innere Lebensstörung, 
schlimmer Anreiz, großer Schmerz. Als ich ein Knabe
war, fühlte ich immer eine brennende Sehnsucht, 
wenn schön gebackene Torten, wovon ich nichts be-
kommen sollte, duftigoffen bei mir vorübergetragen 
wurden; späterhin stachelte mich dasselbe Gefühl, 
wenn ich modisch entblößte, schöne Damen vorbei-
spazieren sah; und ich denke jetzt, die armen Insula-
ner, die noch in einem Kindheitszustande leben, 
haben hier oft Gelegenheit zu ähnlichen Empfindun-
gen, und es wäre gut, wenn die Eigentümer der schö-
nen Torten und Frauen solche etwas mehr verdeckten.
Diese vielen unbedeckten Delikatessen, woran jene 
Leute nur die Augen weiden können, müssen ihren 
Appetit sehr stark wecken, und wenn die armen Insu-
lanerinnen in ihrer Schwangerschaft allerlei süßge-
backene Gelüste bekommen und am Ende sogar Kin-
der zur Welt bringen, die den Badegästen ähnlich 
sehen, so ist das leicht zu erklären. Ich will hier 
durchaus auf kein unsittliches Verhältnis anspielen. 
Die Tugend der Insulanerinnen wird durch ihre Häß-
lichkeit und gar besonders durch ihren Fischgeruch, 
der mir wenigstens unerträglich war, vorderhand ge-
schützt. Ich würde, wenn ihre Kinder mit badegästli-
chen Gesichtern zur Welt kommen, vielmehr ein psy-
chologisches Phänomen erkennen und mir solches 
durch jene materialistisch-mystischen Gesetze erklä-
ren, die Goethe in den »Wahlverwandtschaften« so 
schön entwickelt.
Wie viele rätselhafte Naturerscheinungen sich 
durch jene Gesetze erklären lassen, ist erstaunlich. 
Als ich voriges Jahr, durch Seesturm, nach einer an-
deren ostfriesischen Insel verschlagen wurde, sah ich 
dort in einer Schifferhütte einen schlechten Kupfer-
stich hängen, la tentation du vieillard überschrieben 
und einen Greis darstellend, der in seinen Studien ge-
stört wird durch die Erscheinung eines Weibes, das 
bis an die nackten Hüften aus einer Wolke her-
vortaucht; und sonderbar! die Tochter des Schiffers 
hatte dasselbe lüsterne Mopsgesicht wie das Weib auf
jenem Bilde. Um ein anderes Beispiel zu erwähnen: 
Im Hause eines Geldwechslers, dessen geschäftfüh-
rende Frau das Gepräge der Münzen immer am sorg-
fältigsten betrachtet, fand ich, daß die Kinder in ihren 
Gesichtern eine erstaunliche Ähnlichkeit hatten mit 
den größten Monarchen Europas, und wenn sie alle 
beisammen waren und miteinander stritten, glaubte 
ich einen kleinen Kongreß zu sehen.
Deshalb ist das Gepräge der Münzen kein gleich-
gültiger Gegenstand für den Politiker. Da die Leute 
das Geld so innig lieben und gewiß liebevoll betrach-
ten, so bekommen die Kinder sehr oft die Züge des 
Landesfürsten, der darauf geprägt ist, und der arme 
Fürst kommt in den Verdacht, der Vater seiner Unter-
tanen zu sein. Die Bourbonen haben ihre guten Grün-
de, die Napoleonsdor einzuschmelzen; sie wollen 
nicht mehr unter ihren Franzosen so viele Napoleons-
köpfe sehen. Preußen hat es in der Münzpolitik am 
weitesten gebracht, man weiß es dort, durch eine ver-
ständige Beimischung von Kupfer, so einzurichten, 
daß die Wangen des Königs auf der neuen Scheide 
münze gleich rot werden, und seit einiger Zeit haben 
daher die Kinder in Preußen ein weit gesünderes An-
sehen als früherhin, und es ist ordentlich eine Freude, 
wenn man ihre blühenden Silbergroschengesichtchen 
betrachtet.
Ich habe, indem ich das Sittenverderbnis andeutete,
womit die Insulaner hier bedroht sind, die geistliche 
Schutzwehr, ihre Kirche, unerwähnt gelassen. Wie 
diese eigentlich aussieht, kann ich nicht genau berich-
ten, da ich noch nicht darin gewesen. Gott weiß, daß 
ich ein guter Christ bin und oft sogar im Begriff stehe,
sein Haus zu besuchen, aber ich werde immer fataler-
weise daran verhindert, es findet sich gewöhnlich ein 
Schwätzer, der mich auf dem Wege festhält, und ge-
lange ich auch einmal bis an die Pforten des Tempels,
so erfaßt mich unversehens eine spaßhafte Stimmung,
und dann halte ich es für sündhaft, hineinzutreten. 
Vorigen Sonntag begegnete mir etwas der Art, indem 
mir vor der Kirchtür die Stelle aus Goethes »Faust« in
den Kopf kam, wo dieser mit dem Mephistopheles bei
einem Kreuze vorübergeht und ihn fragt:

»Mephisto, hast du Eil'?
Was schlägst vorm Kreuz die Augen nieder?«

und worauf Mephistopheles antwortet:

»Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurteil;
Allein es ist mir mal zuwider.«

Diese Verse sind, soviel ich weiß, in keiner Ausga-
be des »Fausts« gedruckt, und bloß der selige Hofrat 
Moritz, der sie aus Goethes Manuskript kannte, teilt 
sie mit in seinem »Philipp Reiser«, einem schon ver-
schollenen Romane, der die Geschichte des Verfassers
enthält oder vielmehr die Geschichte einiger hundert 
Taler, die der Verfasser nicht hatte und wodurch sein 
ganzes Leben eine Reihe von Entbehrungen und Ent-
sagungen wurde, während doch seine Wünsche nichts
weniger als unbescheiden waren, wie z.B. sein 
Wunsch, nach Weimar zu gehen und bei dem Dichter 
des »Werthers« Bedienter zu werden, unter welchen 
Bedingungen es auch sei, um nur in der Nähe desjeni-
gen zu leben, der von allen Menschen auf Erden den 
stärksten Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte.
Wunderbar! damals schon erregte Goethe eine sol-
che Begeisterung, und doch ist erst »unser drittes 
nachwachsendes Geschlecht« imstande, seine wahre 
Größe zu begreifen.
Aber dieses Geschlecht hat auch Menschen hervor-
gebracht, in deren Herzen nur faules Wasser sintert 
und die daher in den Herzen anderer alle Springquel-
len eines frischen Blutes verstopfen möchten, Men-
schen von erloschener Genußfähigkeit, die das Leben 
verleumden und anderen alle Herrlichkeit dieser Welt 
verleiden wollen, indem sie solche als die Lockspei-
sen schildern, die der Böse bloß zu unserer Versu-
chung hingestellt habe, gleichwie eine pfiffige Haus-
frau die Zuckerdose mit den gezählten Stückchen 
Zucker in ihrer Abwesenheit offen stehenläßt, um die 
Enthaltsamkeit der Magd zu prüfen; und diese Men-
schen haben einen Tugendpöbel um sich versammelt 
und predigen ihm das Kreuz gegen den großen Heiden
und gegen seine nackten Göttergestalten, die sie gern 
durch ihre vermummten dummen Teufel ersetzen 
möchten.
Das Vermummen ist so recht ihr höchstes Ziel, das 
Nackt göttliche ist ihnen fatal, und ein Satyr hat 
immer seine guten Gründe, wenn er Hosen anzieht 
und darauf dringt, daß auch Apollo Hosen anziehe. 
Die Leute nennen ihn dann einen sittlichen Mann und 
wissen nicht, daß in dem Clauren-Lächeln eines ver-
mummten Satyrs mehr Anstößiges liegt als in der 
ganzen Nacktheit eines Wolfgang Apollo und daß just
in den Zeiten, wo die Menschheit jene Pluderhosen 
trug, wozu sechzig Ellen Zeug nötig waren, die Sitten 
nicht anständiger gewesen sind als jetzt.
Aber werden es mir nicht die Damen übelnehmen, 
daß ich Hosen statt Beinkleider sage? Oh, über das 
Feingefühl der Damen! Am Ende werden nur Eunu-
chen für sie schreiben dürfen, und ihre Geistesdiener 
im Okzident werden so harmlos sein müssen wie ihre 
Leibdiener im Orient.
Hier kommt mir ins Gedächtnis eine Stelle aus 
»Bertholds Tagebuch«:
»›Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir 
doch alle nackt in unseren Kleidern‹, sagte der Doktor
M. zu einer Dame, die ihm eine etwas derbe Äuße-
rung übelgenommen hatte.«
Der hannövrische Adel ist mit Goethe sehr unzu-
frieden und behauptet, er verbreite Irreligiosität, und 
diese könne leicht auch falsche politische Ansichten 
hervorbringen, und das Volk müsse doch durch den 
alten Glauben zur alten Bescheidenheit und Mäßi-
gung zurückgeführt werden. Auch hörte ich in der 
letzten Zeit viel diskutieren, ob Goethe größer sei als 
Schiller oder umgekehrt. Ich stand neulich hinter dem 
Stuhle einer Dame, der man schon von hinten ihre 
vierundsechzig Ahnen ansehen konnte, und hörte über
jenes Thema einen eifrigen Diskurs zwischen ihr und 
zwei hannövrischen Nobilis, deren Ahnen schon auf 
dem Zodiakus von Dendera abgebildet sind und 
wovon der eine, ein langmagerer, quecksilbergefüllter
Jüngling, der wie ein Barometer aussah, die Schiller-
sche Tugend und Reinheit pries, während der andere, 
ebenfalls ein langaufgeschossener Jüngling, einige 
Verse aus der »Würde der Frauen« hinlispelte und 
dabei so süß lächelte wie ein Esel, der den Kopf in 
ein Sirupfaß gesteckt hatte und sich wohlgefällig die 
Schnauze ableckt. Beide Jünglinge verstärkten ihre 
Behauptungen beständig mit dem beteuernden Re-
frain: »Er ist doch größer, er ist wirklich größer, 
wahrhaftig, er ist größer, ich versichere Sie auf Ehre, 
er ist größer.« Die Dame war so gütig, auch mich in 
dieses ästhetische Gespräch zu ziehen, und fragte: 
»Doktor, was halten Sie von Goethe?« Ich aber legte 
meine Arme kreuzweis auf die Brust, beugte gläubig 
das Haupt und sprach: »La illah ill allah, wamoham-
med rasul allah!«
Die Dame hatte, ohne es selbst zu wissen, die aller-
schlaueste Frage getan. Man kann ja einen Mann 
nicht gradezu fragen: »Was denkst du von Himmel 
und Erde? was sind deine Ansichten über Menschen 
und Menschenleben? bist du ein vernünftiges Ge-
schöpf oder ein dummer Teufel?« Diese delikaten 
Fragen liegen aber alle in den unverfänglichen Wor-
ten: »Was halten Sie von Goethe?« Denn indem uns 
allen Goethes Werke vor Augen liegen, so können wir
das Urteil, das jemand darüber fället, mit dem unsri-
gen schnell vergleichen, wir bekommen dadurch einen
festen Maßstab, womit wir gleich alle seine Gedanken
und Gefühle messen können, und er hat unbewußt 
sein eignes Urteil gesprochen. Wie aber Goethe, auf 
diese Weise, weil er eine gemeinschaftliche Welt ist, 
die der Betrachtung eines jeden offenliegt, uns das 
beste Mittel wird, um die Leute kennenzulernen, so 
können wir wiederum Goethe selbst am besten ken-
nenlernen durch sein eignes Urteil über Gegenstände, 
die uns allen vor Augen liegen und worüber uns 
schon die bedeutendsten Menschen ihre Ansichten 
mitgeteilt haben. In dieser Hinsicht möchte ich am 
liebsten auf Goethes »Italienische Reise« hindeuten, 
indem wir alle, entweder durch eigne Betrachtung 
oder durch fremde Vermittelung, das Land Italien 
kennen und dabei so leicht bemerken, wie jeder das-
selbe mit subjektiven Augen ansieht, dieser mit Ar-
chenhölzern unmutigen Augen, die nur das Schlimme 
sehen, jener mit begeisterten Corinnaaugen, die über-
all nur das Herrliche sehen, während Goethe mit sei-
nem klaren Griechenauge alles sieht, das Dunkle und 
das Helle, nirgends die Dinge mit seiner Gemütsstim-
mung koloriert und uns Land und Menschen schildert 
in den wahren Umrissen und wahren Farben, womit 
sie Gott umkleidet.
Das ist ein Verdienst Goethes, das erst spätere Zei-
ten erkennen werden; denn wir, die wir meist alle 
krank sind, stecken viel zu sehr in unseren kranken, 
zerrissenen, romantischen Gefühlen, die wir aus allen 
Ländern und Zeitaltern zusammengelesen, als daß wir
unmittelbar sehen könnten, wie gesund, einheitlich 
und plastisch sich Goethe in seinen Werken zeigt. Er 
selbst merkt es ebensowenig; in seiner naiven 
Unbewußtheit des eignen Vermögens wundert er sich,
wenn man ihm »ein gegenständliches Denken« zu-
schreibt, und indem er durch seine Selbstbiographie 
uns selbst eine kritische Beihülfe zum Beurteilen sei-
ner Werke geben will, liefert er doch keinen Maßstab 
der Beurteilung an und für sich, sondern nur neue 
Fakta, woraus man ihn beurteilen kann, wie es ja na-
türlich ist, daß kein Vogel über sich selbst hinauszu-
fliegen vermag.
Spätere Zeiten werden, außer jenem Vermögen des 
plastischen Anschauens, Fühlens und Denkens, noch 
vieles in Goethe entdecken, wovon wir jetzt keine Ah-
nung haben. Die Werke des Geistes sind ewig festste-
hend, aber die Kritik ist etwas Wandelbares, sie geht 
hervor aus den Ansichten der Zeit, hat nur für diese 
ihre Bedeutung, und wenn sie nicht selbst kunstwert-
licher Art ist, wie z.B. die Schlegelsche, so geht sie 
mit ihrer Zeit zu Grabe. Jedes Zeitalter, wenn es neue 
Ideen bekömmt, bekömmt auch neue Augen und sieht 
gar viel Neues in den alten Geisteswerken. Ein Schu-
barth sieht jetzt in der »Ilias« etwas anderes und viel 
mehr als sämtliche Alexandriner; dagegen werden 
einst Kritiker kommen, die viel mehr als Schubarth in
Goethe sehen.
So hätte ich mich dennoch an Goethe festge-
schwatzt! Aber solche Abschweifungen sind sehr na-
türlich, wenn einem, wie auf dieser Insel, beständig 
das Meergeräusch in die Ohren dröhnt und den Geist 
nach Belieben stimmt.
Es geht ein starker Nordostwind, und die Hexen 
haben wieder viel Unheil im Sinne. Man hegt hier 
nämlich wunderliche Sagen von Hexen, die den Sturm
zu beschwören wissen; wie es denn überhaupt auf 
allen nordischen Meeren viel Aberglauben gibt. Die 
Seeleute behaupten, manche Insel stehe unter der ge-
heimen Herrschaft ganz besonderer Hexen, und dem 
bösen Willen derselben sei es zuzuschreiben, wenn 
den vorbeifahrenden Schiffen allerlei Widerwärtigkei-
ten begegnen. Als ich voriges Jahr einige Zeit auf der 
See lag, erzählte mir der Steuermann unseres Schiffes,
die Hexen wären besonders mächtig auf der Insel 
Wight und suchten jedes Schiff, das bei Tage dort 
vorbeifahren wolle, bis zur Nachtzeit aufzuhalten, um
es alsdann an Klippen oder an die Insel selbst zu trei-
ben. In solchen Fällen höre man diese Hexen so laut 
durch die Luft sausen und um das Schiff herumheu-
len, daß der Klabotermann ihnen nur mit vieler Mühe 
widerstehen könne. Als ich nun fragte, wer der Klabo-
termann sei, antwortete der Erzähler sehr ernsthaft: 
»Das ist der gute, unsichtbare Schutzpatron der Schif-
fe, der da verhütet, daß den treuen und ordentlichen 
Schiffern Unglück begegne, der da überall selbst 
nachsieht und sowohl für die Ordnung wie für die 
gute Fahrt sorgt.« Der wackere Steuermann 
versicherte mit etwas heimlicherer Stimme, ich könne 
ihn selber sehr gut im Schiffsraume hören, wo er die 
Waren gern noch besser nachstaue, daher das Knarren
der Fässer und Kisten, wenn das Meer hoch gehe, 
daher bisweilen das Dröhnen unserer Balken und 
Bretter; oft hämmere der Klabotermann auch außen 
am Schiffe, und das gelte dann dem Zimmermanne, 
der dadurch gemahnt werde, eine schadhafte Stelle 
ungesäumt auszubessern; am liebsten aber setze er 
sich auf das Bramsegel, zum Zeichen, daß guter Wind
wehe oder sich nahe. Auf meine Frage, ob man ihn 
nicht sehen könne, erhielt ich zur Antwort: Nein, man
sähe ihn nicht, auch wünsche keiner ihn zu sehen, da 
er sich nur dann zeige, wenn keine Rettung mehr vor-
handen sei. Einen solchen Fall hatte zwar der gute 
Steuermann noch nicht selbst erlebt, aber von andern 
wollte er wissen, den Klabotermann höre man alsdann
vom Bramsegel herab mit den Geistern sprechen, die 
ihm untertan sind; doch wenn der Sturm zu stark und 
das Scheitern unvermeidlich würde, setze er sich auf 
das Steuer, zeige sich da zum erstenmal und ver-
schwinde, indem er das Steuer zerbräche - diejenigen 
aber, die ihn in diesem furchtbaren Augenblick sähen,
fänden unmittelbar darauf den Tod in den Wellen.
Der Schiffskapitän, der dieser Erzählung mit zuge-
hört hatte, lächelte so fein, wie ich seinem rauhen, 
wind- und wetterdienenden Gesichte nicht zugetraut 
hätte, und nachher versicherte er mir, vor funfzig und 
gar vor hundert Jahren sei auf dem Meere der Glaube 
an den Klabotermann so stark gewesen, daß man bei 
Tische immer auch ein Gedeck für denselben aufge-
legt und von jeder Speise, etwa das Beste, auf seinen 
Teller gelegt habe, ja, auf einigen Schiffen geschähe 
das noch jetzt. -
Ich gehe hier oft am Strande spazieren und gedenke
solcher seemännischen Wundersagen. Die anziehend-
ste derselben ist wohl die Geschichte vom Fliegenden 
Holländer, den man im Sturm mit aufgespannten Se-
geln vorbeifahren sieht und der zuweilen ein Boot 
aussetzt, um den begegnenden Schiffern allerlei Briefe
mitzugeben, die man nachher nicht zu besorgen weiß, 
da sie an längst verstorbene Personen adressiert sind. 
Manchmal gedenke ich auch des alten, lieben Mär-
chens von dem Fischerknaben, der am Strande den 
nächtlichen Reigen der Meernixen belauscht hatte und
nachher mit seiner Geige die ganze Welt durchzog 
und alle Menschen zauberhaft entzückte, wenn er 
ihnen die Melodie des Nixenwalzers vorspielte. Diese
Sage erzählte mir einst ein lieber Freund, als wir, im 
Konzerte zu Berlin, solch einen wundermächtigen 
Knaben, den Felix Mendelssohn-Bartholdy, spielen 
hörten.
Einen eigentümlichen Reiz gewährt das Kreuzen 
um die Insel. Das Wetter muß aber schön sein, die 
Wolken müssen sich ungewöhnlich gestalten, und 
man muß rücklings auf dem Verdecke liegen und in 
den Himmel sehen und allenfalls auch ein Stückchen 
Himmel im Herzen haben. Die Wellen murmeln als-
dann allerlei wunderliches Zeug, allerlei Worte, 
woran liebe Erinnerungen flattern, allerlei Namen, die
wie süße Ahnung in der Seele widerklingen - »Eve-
lina!« Dann kommen auch Schiffe vorbeigefahren, 
und man grüßt, als ob man sich alle Tage wiedersehen
könnte. Nur des Nachts hat das Begegnen fremder 
Schiffe auf dem Meere etwas Unheimliches; man will 
sich dann einbilden, die besten Freunde, die wir seit 
Jahren nicht gesehen, führen schweigend vorbei und 
man verlöre sie auf immer.
Ich liebe das Meer wie meine Seele.
Oft wird mir sogar zumute, als sei das Meer ei-
gentlich meine Seele selbst; und wie es im Meere ver-
borgene Wasserpflanzen gibt, die nur im Augenblick 
des Aufblühens an dessen Oberfläche heraufschwim-
men und im Augenblick des Verblühens wieder hin-
abtauchen, so kommen zuweilen auch wunderbare 
Blumenbilder heraufgeschwommen aus der Tiefe mei-
ner Seele und duften und leuchten und verschwinden 
wieder - »Evelina!«
Man sagt, unfern dieser Insel, wo jetzt nichts als 
Wasser ist, hätten einst die schönsten Dörfer und 
Städte gestanden, das Meer habe sie plötzlich alle 
überschwemmt, und bei klarem Wetter sähen die 
Schiffer noch die leuchtenden Spitzen der versunke-
nen Kirchtürme, und mancher habe dort in der Sonn-
tagsfrühe sogar ein frommes Glockengeläute gehört. 
Die Geschichte ist wahr; denn das Meer ist meine 
Seele -

»Eine schöne Welt ist da versunken,
Ihre Trümmer blieben unten stehn,
Lassen sich als goldne Himmelsfunken
Oft im Spiegel meiner Träume sehn.«

W. Müller

Erwachend höre ich dann ein verhallendes Glockenge-
läute und Gesang heiliger Stimmen - »Evelina!«
Geht man am Strande spazieren, so gewähren die 
vorbeifahrenden Schiffe einen schönen Anblick. 
Haben sie die blendend weißen Segel aufgespannt, so 
sehen sie aus wie vorbeiziehende große Schwäne. Gar
besonders schön ist dieser Anblick, wenn die Sonne 
hinter dem vorbeisegelnden Schiffe untergeht und die-
ses, wie von einer riesigen Glorie, umstrahlt wird.
Die Jagd am Strande soll ebenfalls ein großes Ver-
gnügen gewähren. Was mich betrifft, so weiß ich es 
nicht sonderlich zu schätzen. Der Sinn für das Edle, 
Schöne und Gute läßt sich oft durch Erziehung den 
Menschen beibringen; aber der Sinn für die Jagd liegt
im Blute. Wenn die Ahnen schon seit undenklichen 
Zeiten Rehböcke geschossen haben, so findet auch der
Enkel ein Vergnügen an dieser legitimen Beschäfti-
gung. Meine Ahnen gehörten aber nicht zu den Jagen-
den, viel eher zu den Gejagten, und soll ich auf die 
Nachkömmlinge ihrer ehemaligen Kollegen los-
drücken, so empört sich dawider mein Blut. Ja, aus 
Erfahrung weiß ich, daß, nach abgesteckter Mensur, 
es mir weit leichter wird, auf einen Jäger loszu-
drücken, der die Zeiten zurückwünscht, wo auch 
Menschen zur hohen Jagd gehörten. Gottlob, diese 
Zeiten sind vorüber! Gelüstet es jetzt solche Jäger, 
wieder einen Menschen zu jagen, so müssen sie ihn 
dafür bezahlen, wie z.B. den Schnelläufer, den ich vor
zwei Jahren in Göttingen sah. Der arme Mensch hatte 
sich schon in der schwülen Sonntagshitze ziemlich 
müde gelaufen, als einige hannövrische Junker, die 
dort Humaniora studierten, ihm ein paar Taler boten, 
wenn er den zurückgelegten Weg nochmals laufen 
wolle; und der Mensch lief, und er war todblaß und 
trug eine rote Jacke, und dicht hinter ihm, im wirbeln-
den Staube, galoppierten die wohlgenährten, edlen 
Jünglinge auf hohen Rossen, deren Hufen zuweilen 
den gehetzten, keuchenden Menschen trafen, und es 
war ein Mensch.
Des Versuchs halber, denn ich muß mein Blut bes-
ser gewöhnen, ging ich gestern auf die Jagd. Ich 
schoß nach einigen Möwen, die gar zu sicher umher-
flatterten und doch nicht bestimmt wissen konnten, 
daß ich schlecht schieße. Ich wollte sie nicht treffen 
und sie nur warnen, sich ein andermal vor Leuten mit 
Flinten in acht zu nehmen; aber mein Schuß ging fehl,
und ich hatte das Unglück, eine junge Möwe totzu-
schießen. Es ist gut, daß es keine alte war; denn was 
wäre dann aus den armen, kleinen Möwchen gewor-
den, die noch unbefiedert im Sandneste der großen 
Düne liegen und ohne die Mutter verhungern müßten. 
Mir ahndete schon vorher, daß mich auf der Jagd ein 
Mißgeschick treffen würde; ein Hase war mir über 
den Weg gelaufen.
Gar besonders wunderbar wird mir zumute, wenn 
ich allein in der Dämmerung am Strande wandle - 
hinter mir flache Dünen, vor mir das wogende, uner-
meßliche Meer, über mir der Himmel wie eine riesige 
Kristallkuppel - ich erscheine mir dann selbst sehr 
ameisenklein, und dennoch dehnt sich meine Seele so 
weltenweit. Die hohe Einfachheit der Natur, wie sie 
mich hier umgibt, zähmt und erhebt mich zu gleicher 
Zeit, und zwar in stärkerem Grade als jemals eine an-
dere erhabene Umgebung. Nie war mir ein Dom groß 
genug; meine Seele mit ihrem alten Titanengebet 
strebte immer höher als die gotischen Pfeiler und 
wollte immer hinausbrechen durch das Dach. Auf der 
Spitze der Roßtrappe haben mir, beim ersten Anblick,
die kolossalen Felsen in ihren kühnen Gruppierungen 
ziemlich imponiert; aber dieser Eindruck dauerte nicht
lange, meine Seele war nur überrascht, nicht überwäl-
tigt, und jene ungeheure Steinmassen wurden in mei-
nen Augen allmählich kleiner, und am Ende erschie-
nen sie mir nur wie geringe Trümmer eines zerschla-
genen Riesenpalastes, worin sich meine Seele viel-
leicht komfortabel befunden hätte.
Mag es immerhin lächerlich klingen, ich kann es 
dennoch nicht verhehlen, das Mißverhältnis zwischen 
Körper und Seele quält mich einigermaßen, und hier 
am Meere, in großartiger Naturumgebung, wird es 
mir zuweilen recht deutlich, und die Metempsychose 
ist oft der Gegenstand meines Nachdenkens. Wer 
kennt die große Gottesironie, die allerlei Widersprü-
che zwischen Seele und Körper hervorzubringen 
pflegt. Wer kann wissen, in welchem Schneider jetzt 
die Seele eines Platos und in welchem Schulmeister 
die Seele eines Cäsars wohnt! Wer weiß, ob die Seele
Gregors VII. nicht in dem Leibe des Großtürken sitzt 
und sich unter tausend hätschelnden Weiberhändchen 
behaglicher fühlt als einst in ihrer purpurnen Zöli-
batskutte. Hingegen wie viele Seelen treuer Mosle-
mim aus Alys Zeiten mögen sich jetzt in unseren anti-
hellenischen Kabinettern befinden! Die Seelen der 
beiden Schächer, die zur Seite des Heilands gekreu-
zigt worden, sitzen vielleicht jetzt in dicken 
Konsistorialbäuchen und glühen für den orthodoxen 
Lehrbegriff. Die Seele Dschingis-Khans wohnt viel-
leicht jetzt in einem Rezensenten, der täglich, ohne es 
zu wissen, die Seelen seiner treuesten Baschkiren und 
Kalmücken in einem kritischen Journale niedersäbelt. 
Wer weiß! wer weiß! die Seele des Pythagoras ist 
vielleicht in einen armen Kandidaten gefahren, der 
durch das Examen fällt, weil er den pythagoreischen 
Lehrsatz nicht beweisen konnte, während in seinen 
Herren Examinatoren die Seelen jener Ochsen woh-
nen, die einst Pythagoras aus Freude über die Ent-
deckung seines Satzes den ewigen Göttern geopfert 
hatte. Die Hindus sind so dumm nicht, wie unsere 
Missionäre glauben, sie ehren die Tiere wegen der 
menschlichen Seele, die sie in ihnen vermuten, und 
wenn sie Lazarette für invalide Affen stiften, in der 
Art unserer Akademien, so kann es wohl möglich 
sein, daß in jenen Affen die Seelen großer Gelehrten 
wohnen, da es hingegen bei uns ganz sichtbar ist, daß
in einigen großen Gelehrten nur Affenseelen stecken.
Wer doch mit der Allwissenheit des Vergangenen 
auf das Treiben der Menschen von oben herabsehen 
könnte! Wenn ich des Nachts, am Meere wandelnd, 
den Wellengesang höre und allerlei Ahnung und Erin-
nerung in mir erwacht, so ist mir, als habe ich einst 
solchermaßen von oben herabgesehen und sei vor 
schwindelndem Schrecken zur Erde heruntergefallen; 
es ist mir dann auch, als seien meine Augen so tele-
skopisch scharf gewesen, daß ich die Sterne in Le-
bensgröße am Himmel wandeln gesehen und durch all
den wirbelnden Glanz geblendet worden; - wie aus 
der Tiefe eines Jahrtausends kommen mir dann aller-
lei Gedanken in den Sinn, Gedanken uralter Weisheit,
aber sie sind so neblicht, daß ich nicht ers kenne, was 
sie wollen. Nur soviel weiß ich, daß all unser kluges 
Wissen, Streben und Hervorbringen irgendeinem hö-
heren Geiste ebenso klein und nichtig erscheinen 
muß, wie mir jene Spinne erschien, die ich in der Göt-
tinger Bibliothek so oft betrachtete. Auf den Folianten
der Weltgeschichte saß sie emsig webend, und sie 
blickte so philosophisch sicher auf ihre Umgebung 
und hatte ganz den göttingischen Gelahrtheitsdünkel 
und schien stolz zu sein auf ihre mathematischen 
Kenntnisse, auf ihre Kunstleistungen, auf ihr einsa-
mes Nachdenken - und doch wußte sie nichts von all 
den Wundern, die in dem Buche stehen, worauf sie 
geboren worden, worauf sie ihr ganzes Leben ver-
bracht hatte und worauf sie auch sterben wird, wenn 
der schleichende Dr. L. sie nicht verjagt. Und wer ist 
der schleichende Dr. L.? Seine Seele wohnte vielleicht
einst in eben einer solchen Spinne, und jetzt hütet er 
die Folianten, worauf er einst saß - und wenn er sie 
auch liest, er erfährt doch nicht ihren wahren Inhalt.
Was mag auf dem Boden einst geschehen sein, wo 
ich jetzt wandle? Ein Konrektor, der hier badete, 
wollte behaupten, hier sei einst der Dienst der Hertha 
oder, besser gesagt, Forsete begangen worden, wovon
Tacitus so geheimnisvoll spricht. Wenn nur die Be-
richterstatter, denen Tacitus nacherzählt, sich nicht 
geirrt und eine Badekutsche für den heiligen Wagen 
der Göttin angesehen haben!
Im Jahr 1819, als ich zu Bonn, in einem und dem-
selben Semester, vier Kollegien hörte, worin meistens
deutsche Antiquitäten aus der blauesten Zeit traktiert 
wurden, nämlich 1. Geschichte der deutschen Sprache
bei Schlegel, der fast drei Monat lang die barocksten 
Hypothesen über die Abstammung der Deutschen ent-
wickelte, 2. die »Germania« des Tacitus bei Arndt, 
der in den altdeutschen Wäldern jene Tugenden such-
te, die er in den Salons der Gegenwart vermißte, 3. 
germanisches Staatsrecht bei Hüllmann, dessen histo-
rische Ansichten noch am wenigstens vage sind, und 
4. deutsche Urgeschichte bei Radloff, der am Ende 
des Semesters noch nicht weiter gekommen war als 
bis zur Zeit des Sesostris - damals möchte wohl die 
Sage von der alten Hertha mich mehr interessiert 
haben als jetzt. Ich ließ sie durchaus nicht auf Rügen 
residieren und versetzte sie vielmehr nach einer ost-
friesischen Insel. Ein junger Gelehrter hat gern seine 
Privathypothese. Aber auf keinen Fall hätte ich da-
mals geglaubt, daß ich einst am Strande der Nordsee 
wandeln würde, ohne an die alte Göttin mit patrioti-
scher Begeisterung zu denken. Es ist wirklich nicht 
der Fall, und ich denke hier an ganz andre, jüngere 
Göttinnen. Abo sonderlich, wenn ich am Strande über
die schaurige Stelle wandle, wo noch jüngst die 
schönsten Frauen gleich Nixen geschwommen. Denn 
weder Herren noch Damen baden hier unter einem 
Schirm, sondern spazieren in die freie See. Deshalb 
sind auch die Badestellen beider Geschlechter vonein-
ander geschieden, doch nicht allzu weit, und wer ein 
gutes Glas führt, kann überall in der Welt viel sehen. 
Es geht die Sage, ein neuer Aktäon habe auf solche 
Weise eine badende Diana erblickt, und wunderbar! 
nicht er, sondern der Gemahl der Schönen habe da-
durch Hörner erworben.
Die Badekutschen, die Droschken der Nordsee, 
werden hier nur bis ans Wasser geschoben und beste-
hen meistens aus viereckigen Holzgestellen, mit stei-
fem Leinen überzogen. Jetzt, für die Winterzeit, ste-
hen sie im Konversationssaale und führen dort gewiß 
ebenso hölzerne und steifleinene Gespräche wie die 
vornehme Welt, die noch unlängst dort verkehrte.
Wenn ich aber sage: die vornehme Welt, so verste-
he ich nicht darunter die guten Bürger Ostfrieslands, 
ein Volk, das flach und nüchtern ist wie der Boden, 
den es bewohnt, das weder singen noch pfeifen kann, 
aber dennoch ein Talent besitzt, das besser ist als alle 
Triller und Schnurrpfeifereien, ein Talent, das den 
Menschen adelt und über jene windige Dienstseelen 
erhebt, die allein edel zu sein wähnen, ich meine das 
Talent der Freiheit. Schlägt das Herz für Freiheit, so 
ist ein solcher Schlag des Herzens ebensogut wie ein 
Ritterschlag, und das wissen die freien Friesen, und 
sie verdienen ihr Volksepitheton; die Häuptlingsperi-
ode abgerechnet, war die Aristokratie in Ostfriesland 
niemals vorherrschend, nur sehr wenige adlige Fami-
lien haben dort gewohnt, und der Einfluß des hannö-
vrischen Adels, durch Verwaltungs- und Militärstand,
wie er sich jetzt über das Land hinzieht, betrübt man-
ches freie Friesenherz, und überall zeigt sich die Vor-
liebe für die ehemalige preußische Regierung.
Was aber die allgemeinen deutschen Klagen über 
hannövrischen Adelstolz betrifft, so kann ich nicht 
unbedingt einstimmen. Das hannövrische Offizier-
korps gibt am wenigsten Anlaß zu solchen Klagen. 
Freilich, wie in Madagaskar nur Adlige das Recht 
haben, Metzger zu werden, so hatte früherhin der han-
növrische Adel ein analoges Vorrecht, da nur Adlige 
zum Offizierrange gelangen konnten. Seitdem sich 
aber in der Deutschen Legion so viele Bürgerliche 
ausgezeichnet und zu Offizierstellen emporgeschwun-
gen, hat auch jenes üble Gewohnheitsrecht nachgelas-
sen. Ja, das ganze Korps der Deutschen Legion hat 
viel beigetragen zur Milderung alter Vorurteile, diese 
Leute sind weit herum in der Welt gewesen, und in 
der Welt sieht man viel, besonders in England, und 
sie haben viel gelernt, und es ist eine Freude, ihnen 
zuzuhören, wenn sie von Portugal, Spanien, Sizilien, 
den Ionischen Inseln, Irland und anderen weiten Län-
dern sprechen, wo sie gefochten und »vieler Men-
schen Städte gesehen und Sitten gelernet«, so daß 
man glaubt, eine Odyssee zu hören, die leider keinen 
Homer finden wird. Auch ist unter den Offizieren die-
ses Korps viel freisinnige, englische Sitte geblieben, 
die mit dem altherkömmlichen hannövrischen Brauch 
stärker kontrastiert, als wir es im übrigen Deutschland
glauben wollen, da wir gewöhnlich dem Beispiele 
Englands viel Einwirkung auf Hannover zuschreiben. 
In diesem Lande Hannover sieht man nichts als 
Stammbäume, woran Pferde gebunden sind, und vor 
lauter Bäumen bleibt das Land obskur, und trotz allen
Pferden kömmt es nicht weiter. Nein, durch diesen 
hannövrischen Adelswald drang niemals ein Sonnen-
strahl britischer Freiheit, und kein britischer 
Freiheitston konnte jemals vernehmbar werden im 
wiehernden Lärm hannövrischer Rosse.
Die allgemeine Klage über hannövrischen Adel-
stolz trifft wohl zumeist die liebe Jugend gewisser Fa-
milien, die das Land Hannover regieren oder mittelbar
zu regieren glauben. Aber auch die edlen Jünglinge 
würden bald jene Fehler der Art oder, besser gesagt, 
jene Unart ablegen, wenn sie ebenfalls etwas in der 
Welt herumgedrängt würden oder eine bessere Erzie-
hung genössen. Man schickt sie freilich nach Göttin-
gen, doch da hocken sie beisammen und sprechen nur 
von ihren Hunden, Pferden und Ahnen, hören wenig 
neuere Geschichte, und wenn sie auch wirklich einmal
dergleichen hören, so sind doch unterdessen ihre 
Sinne befangen durch den Anblick des Grafentisches, 
der, ein Wahrzeichen Göttingens, nur für hoch, gebo-
rene Studenten bestimmt ist. Wahrlich, durch eine 
bessere Erziehung des jungen hannövrischen Adels 
liefe sich vielen Klagen vorbauen. Aber die Jungen 
werden wie die Alten. Derselbe Wahn: als wären sie 
die Blumen der Welt, während wir anderen bloß das 
Gras sind; dieselbe Torheit: mit dem Verdienste der 
Ahnen den eigenen Unwert bedecken zu wollen; die-
selbe Unwissenheit über das Problematische dieser 
Verdienste, indem die wenigsten bedenken, daß die 
Fürsten selten ihre treuesten und tugendhaftesten Die-
ner, aber sehr oft den Kuppler, den Schmeichler und 
dergleichen Lieblingsschufte mit adelnder Huld beehrt
haben. Die wenigsten jener Ahnenstolzen können be-
stimmt angeben, was ihre Ahnen getan haben, und sie
zeigen nur, daß ihr Name in Rüxeners »Turnierbuch« 
erwähnt sei; - ja, können sie auch nachweisen, daß 
diese Ahnen etwa als Kreuzritter bei der Eroberung 
Jerusalems zugegen waren, so sollten sie, ehe sie sich 
etwas darauf zugute tun, auch beweisen, daß jene Rit-
ter ehrlich mitgefochten haben, daß ihre Eisenhosen 
nicht mit gelber Furcht wattiert worden und daß unter 
ihrem roten Kreuze das Herz eines honetten Mannes 
gesessen. Gäbe es keine »Ilias«, sondern bloß ein Na-
mensverzeichnis der Helden, die vor Troja gestanden, 
und ihre Namen existierten noch jetzt - wie würde 
sich der Ahnenstolz derer von Thersites zu blähen 
wissen! Von der Reinheit des Blutes will ich gar nicht
einmal sprechen; Philosophen und Stallknechte haben
darüber gar seltsame Gedanken.
Mein Tadel, wie gesagt, treffe zumeist die schlech-
te Erziehung des hannövrischen Adels und dessen 
früh eingeprägten Wahn von der Wichtigkeit einiger 
andressierten Formen. Oh! wie oft habe ich lachen 
müssen, wenn ich bemerkte, wieviel man sich auf 
diese Formen zugute tat; - als sei es so gar überaus 
schwer zu erlernen, dieses Repräsentieren, dieses Prä-
sentieren, dieses Lächeln, ohne etwas zu sagen, dieses
Sagen, ohne etwas zu denken, und all diese adligen 
Künste, die der gute Bürgersmann als Meerwunder 
angafft und die doch jeder französische Tanzmeister 
besser innehat als der deutsche Edelmann, dem sie in 
der bärenleckenden Lutetia mühsam eingeübt worden 
und der sie zu Hause wieder mit deutscher Gründlich-
keit und Schwerfälligkeit seinen Deszendenten über-
liefert. Dies erinnert mich an die Fabel von dem 
Bären, der auf Märkten tanzte, seinem führenden Leh-
rer entlief, zu seinen Mitbären in den Wald zurück-
kehrte und ihnen vorprahlte, wie das Tanzen eine so 
gar schwere Kunst sei und wie weit er es darin ge-
bracht habe - und in der Tat, den Proben, die er von 
seiner Kunst ablegte, konnten die armen Bestien ihre 
Bewunderung nicht versagen. Jene Nation, wie sie 
Werther nennt, bildete die vornehme Welt, die hier 
dieses Jahr zu Wasser und zu Lande geglänzt hat, und
es waren lauter liebe, liebe Leute, und sie haben alle 
gut gespielt.
Auch fürstliche Personen gab es hier, und ich muß 
gestehen, daß diese in ihren Ansprüchen bescheidener
waren als die geringere Noblesse. Ob aber diese Be-
scheidenheit in den Herzen dieser hohen Personen 
liegt oder ob sie durch ihre äußere Stellung hervorge-
bracht wird, das will ich unentschieden lassen. Ich 
sage dieses nur in Beziehung auf deutsche mediati-
sierte Fürsten. Diesen Leuten ist in der letzten Zeit ein
großes Unrecht geschehen, indem man sie einer Sou-
veränetät beraubte, wozu sie ein ebenso gutes Recht 
haben wie die größeren Fürsten, wenn man nicht etwa
annehmen will, daß dasjenige, was sich nicht durch 
eigene Kraft erhalten kann, auch kein Recht hat zu 
existieren. Für das vielzersplitterte Deutschland war 
es aber eine Wohltat, daß diese Anzahl von Sedezde-
spötchen ihr Regieren einstellen mußten. Es ist 
schrecklich, wenn man bedenkt, wie viele derselben 
wir armen Deutschen zu ernähren haben. Wenn diese 
Mediatisierten auch nicht mehr das Zepter führen, so 
führen sie doch noch immer Löffel, Messer und 
Gabel, und sie essen keinen Hafer, und auch der Hafer
wäre teuer genug. Ich denke, daß wir einmal durch 
Amerika etwas von dieser Fürstenlast erleichtert wer-
den. Denn früh oder spät werden sich doch die Präsi-
denten dortiger Freistaaten in Souveräne verwandeln, 
und dann fehlt es diesen Herren an Gemahlinnen, die 
schon einen legitimen Anstrich haben, sie sind dann 
froh, wenn wir ihnen unsere Prinzessinnen überlassen,
und wenn sie sechs nehmen, geben wir ihnen die sie-
bente gratis, und auch unsre Prinzchen können sie 
späterhin bei ihren Töchtern employieren; - daher 
haben die mediatisierten Fürsten sehr politisch gehan-
delt, als sie sich wenigstens das Gleichbürtigkeits-
recht erhielten und ihre Stammbäume ebenso hoch-
schätzten wie die Araber die Stammbäume ihrer Pfer-
de, und zwar aus derselben Absicht, indem sie wohl 
wissen, daß Deutschland von jeher das große 
Fürstengestüte war, das alle regierenden Nachbarhäu-
ser mit den nötigen Mutterpferden und Beschälern 
versehen muß.
In allen Bädern ist es ein altes Gewohnheitsrecht, 
daß die abgegangenen Gäste von den zurückgebliebe-
nen etwas stark kritisiert werden, und da ich der letzte
bin, der noch hier weilt, so durfte ich wohl jenes 
Recht in vollem Maße ausüben.
Es ist aber jetzt so öde auf der Insel, daß ich mir 
vorkomme wie Napoleon auf St. Helena. Nur daß ich 
hier eine Unterhaltung gefunden, die jenem dort fehl-
te. Es ist nämlich der große Kaiser selbst, womit ich 
mich hier beschäftige. Ein junger Engländer hat mir 
das eben erschienene Buch des Maitland mitgeteilt. 
Dieser Seemann berichtet die Art und Weise, wie Na-
poleon sich ihm ergab und auf dem »Bellerophon« 
sich betrug, bis er auf Befehl des englischen Ministe-
riums an Bord des »Northumberland« gebracht 
wurde. Aus diesem Buche ergibt sich sonnenklar, daß
der Kaiser, in romantischem Vertrauen auf britische 
Großmut und um der Welt endlich Ruhe zu schaffen, 
zu den Engländern ging, mehr als Gast denn als Ge-
fangener. Das war ein Fehler, den gewiß kein anderer 
und am allerwenigsten ein Wellington begangen 
hätte. Die Geschichte aber wird sagen, dieser Fehler 
ist so schön, so erhaben, so herrlich, daß dazu mehr 
Seelengröße gehörte, als wir anderen zu allen unseren
Großtaten erschwingen können.
Die Ursache, weshalb Kapt. Maitland jetzt sein 
Buch herausgibt, scheint keine andere zu sein als das 
moralische Reinigungsbedürfnis, das jeder ehrliche 
Mann fühlt, den ein böses Geschick in eine zweideuti-
ge Handlung verflochten hat. Das Buch selbst ist aber
ein unschätzbarer Gewinn für die Gefangenschaftsge-
schichte Napoleons, die den letzten Akt seines Lebens
bildet, alle Rätsel der früheren Akte wunderbar löst 
und, wie es eine echte Tragödie tun soll, die Gemüter 
erschüttert, reinigt und versöhnt. Der Charakterunter-
schied der vier Hauptschriftsteller, die uns von dieser 
Gefangenschaft berichten, besonders wie er sich in 
Stil und Anschauungsweise bekundet, zeigt sich erst 
recht durch ihre Zusammenstellung.
Maitland, der sturmkalte, englische Seemann, ver-
zeichnet die Begebenheiten vorurteilslos und be-
stimmt, als wären es Naturerscheinungen, die er in 
sein Logbook einträgt; Las Cases, ein enthusiasti-
scher Kammerherr, liegt in jeder Zeile, die er schreibt,
zu den Füßen des Kaisers, nicht wie ein russischer 
Sklave, sondern wie ein freier Franzose, dem die Be-
wunderung einer unerhörten Heldengröße und Ruh-
meswürde unwillkürlich die Knie beugt; O'Meara, der
Arzt, obgleich in Irland geboren, dennoch ganz Eng-
länder, als solcher ein ehemaliger Feind des Kaisers, 
aber jetzt anerkennend die Majestätsrechte des Un-
glücks, schreibt freimütig, schmucklos, tatbeständ-
lich, fast im Lapidarstil; hingegen kein Stil, sondern 
ein Stilett ist die spitzige, zustoßende Schreibart des 
französischen Arztes Antommarchi, eines Italieners, 
der ganz besonnentrunken ist von dem Ingrimm und 
der Poesie seines Landes.
Beide Völker, Briten und Franzosen, lieferten von 
jeder Seite zwei Männer, gewöhnlichen Geistes und 
unbestochen von der herrschenden Macht, und diese 
Jury hat den Kaiser gerichtet und verurteilet, ewig zu 
leben, ewig bewundert, ewig bedauert.
Es sind schon viele große Männer über diese Erde 
geschritten, hier und da sehen wir die leuchtenden 
Spuren ihrer Fußstapfen, und in heiligen Stunden tre-
ten sie wie Nebelgebilde vor unsere Seele; aber ein 
ebenfalls großer Mann sieht seine Vorgänger weit 
deutlicher; aus einzelnen Funken ihrer irdischen 
Lichtspur erkennt er ihr geheimstes Tun, aus einem 
einzigen hinterlassenen Worte erkennt er alle Falten 
ihres Herzens; und solchermaßen, in einer mystischen 
Gemeinschaft, leben die großen Männer aller Zeiten; 
über die Jahrtausende hinweg nicken sie einander zu 
und sehen sich an bedeutungsvoll, und ihre Blicke be-
gegnen sich auf den Gräbern untergegangener Ge-
schlechter, die sich zwischen sie gedrängt hatten, und 
sie verstehen sich und haben sich lieb. Wir Kleinen 
aber, die wir nicht so intimen Umgang pflegen kön-
nen mit den Großen der Vergangenheit, wovon wir 
nur selten die Spur und Nebelformen sehen, für uns 
ist es vom höchsten Werte, wenn wir über einen sol-
chen Großen so viel erfahren, daß es uns leicht wird, 
ihn ganz lebensklar in unsre Seele aufzunehmen und 
dadurch unsre Seele zu erweitern. Ein solcher ist 
Napoleon Bonaparte. Wir wissen von ihm, von sei-
nem Leben und Streben, mehr als von den andern 
Großen dieser Erde, und täglich erfahren wir davon 
noch mehr und mehr. Wir sehen, wie das verschüttete 
Götterbild langsam ausgegraben wird, und mit jeder 
Schaufel Erdschlamm, die man von ihm abnimmt, 
wächst unser freudiges Erstaunen über das Ebenmaß 
und die Pracht der edlen Formen, die da hervortreten, 
und die Geistesblitze der Feinde, die das große Bild 
zerschmettern wollen, dienen nur dazu, es desto 
glanzvoller zu beleuchten. Solches geschieht nament-
lich durch die Äußerungen der Frau von Staël, die in 
all ihrer Herbheit doch nichts anders sagt, als daß der 
Kaiser kein Mensch war wie die andern und daß sein 
Geist mit keinem vorhandenen Maßstab gemessen 
werden kann.
Ein solcher Geist ist es, worauf Kant hindeutet, 
wenn er sagt, daß wir uns einen Verstand denken kön-
nen, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, son-
dern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der 
Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zum Be-
sonderen geht, das ist, von dem Ganzen zu den Tei-
len. Ja, was wir durch langsames analytisches Nach-
denken und lange Schlußfolgen erkennen, das hatte 
jener Geist im selben Momente angeschaut und tief 
begriffen. Daher sein Talent, die Zeit, die Gegenwart 
zu verstehen, ihren Geist zu kajolieren, ihn nie zu 
beleidigen und immer zu benutzen.
Da aber dieser Geist der Zeit nicht bloß revolutio-
när ist, sondern durch den Zusammenfluß beider An-
sichten, der revolutionären und der konterrevolutionä-
ren, gebildet worden, so handelte Napoleon nie ganz 
revolutionär und nie ganz konterrevolutionär, sondern
immer im Sinne beider Ansichten, beider Prinzipien, 
beider Bestrebungen, die in ihm ihre Vereinigung fan-
den, und demnach handelte er beständig naturgemäß, 
einfach, groß, nie krampfhaft barsch, immer ruhig 
milde. Daher intrigierte er nie im einzelnen, und seine
Schläge geschahen immer durch seine Kunst, die 
Massen zu begreifen und zu lenken. Zur verwickelten,
langsamen Intrige neigen sich kleine, analytische Gei-
ster, hingegen synthetische, intuitive Geister wissen 
auf wunderbar geniale Weise die Mittel, die ihnen die 
Gegenwart bietet, so zu verbinden, daß sie dieselben 
zu ihrem Zwecke schnell benutzen können. Erstere 
scheitern sehr oft, da keine menschliche Klugheit alle 
Vorfallenheiten des Lebens voraussehen kann und die
Verhältnisse des Lebens nie lange stabil sind; letzte-
ren hingegen, den intuitiven Menschen, gelingen ihre 
Vorsätze am leichtesten, da sie nur einer richtigen Be-
rechnung des Vorhandenen bedürfen und so schnell 
handeln, daß dieses durch die Bewegung der Lebens-
wogen keine plötzliche, unvorhergesehene Verände-
rung erleiden kann.
Es ist ein glückliches Zusammentreffen, daß Napo-
leon gerade zu einer Zeit gelebt hat, die ganz beson-
ders viel Sinn hat für Geschichte, ihre Erforschung 
und Darstellung. Es werden uns daher, durch die Me-
moiren der Zeitgenossen, wenige Notizen über Napo-
leon vorenthalten werden, und täglich vergrößert sich 
die Zahl der Geschichtsbücher, die ihn mehr oder 
minder im Zusammenhang mit der übrigen Welt 
schildern wollen. Die Ankündigung eines solchen Bu-
ches aus Walter Scotts Feder erregt daher die neugie-
rigste Erwartung.
Alle Verehrer Scotts müssen für ihn zittern; denn 
ein solches Buch kann leicht der russische Feldzug 
jenes Ruhmes werden, den er mühsam erworben 
durch eine Reihe historischer Romane, die mehr durch
ihr Thema als durch ihre poetische Kraft alle Herzen 
Europas bewegt haben. Dieses Thema ist aber nicht 
bloß eine elegische Klage über Schottlands volkstüm-
liche Herrlichkeit, die allmählich verdrängt wurde von
fremder Sitte, Herrschaft und Denkweise; sondern es 
ist der große Schmerz über den Verlust der National-
besonderheiten, die in der Allgemeinheit neuerer Kul-
tur verlorengehen, ein Schmerz, der jetzt in den Her-
zen aller Völker zuckt. Denn Nationalerinnerungen 
liegen tiefer in der Menschen Brust, als man gewöhn-
lich glaubt. Man wage es nur, die alten Bilder wieder 
auszugraben, und über Nacht blüht hervor auch die 
alte Liebe mit ihren Blumen. Das ist nicht figürlich 
gesagt, sondern es ist eine Tatsache; als Bullock vor 
einigen Jahren ein altheidnisches Steinbild in Mexiko 
ausgegraben, fand er den andern Tag, daß es nächtli-
cherweile mit Blumen bekränzt worden; und doch 
hatte Spanien, mit Feuer und Schwert, den alten Glau-
ben der Mexikaner zerstört und seit drei Jahrhunder-
ten ihre Gemüter gar stark umgewühlt und gepflügt 
und mit Christentum besäet. Solche Blumen aber blü-
hen auch in den Walter Scottschen Dichtungen, diese 
Dichtungen selbst wecken die alten Gefühle, und wie 
einst in Granada Männer und Weiber mit dem Geheul
der Verzweiflung aus den Häusern stürzten, wenn das
Lied vom Einzug des Maurenkönigs auf den Straßen 
erklang, dergestalt, daß bei Todesstrafe verboten 
wurde, es zu singen, so hat der Ton, der in den Scott-
schen Dichtungen herrscht, eine ganze Welt schmerz-
haft erschüttert. Dieser Ton klingt wider in den Her-
zen unseres Adels, der seine Schlösser und Wappen 
verfallen sieht; er klingt wider in den Herzen des Bür-
gers, dem die behaglich enge Weise der Altvordern 
verdrängt wird durch weite, unerfreuliche Modernität;
er klingt wider in katholischen Domen, woraus der 
Glaube entflohen, und in rabbinischen Synagogen, 
woraus sogar die Gläubigen fliehen; er klingt über die
ganze Erde, bis in die Banjanenwälder Hindostans, 
wo der seufzende Brahmine das Absterben seiner 
Götter, die Zerstörung ihrer uralten Weltordnung und 
den ganzen Sieg der Engländer voraussieht.
Dieser Ton, der gewaltigste, den der schottische 
Barde auf seiner Riesenharfe anzuschlagen weiß, paßt
aber nicht zu dem Kaiserliede von dem Napoleon, 
dem neuen Manne, dem Manne der neuen Zeit, dem 
Manne, worin diese neue Zeit so leuchtend sich ab-
spiegelt, daß wir dadurch fast geblendet werden und 
unterdessen nimmermehr denken an die verschollene 
Vergangenheit und ihre verblichene Pracht. Es ist 
wohl zu vermuten, daß Scott, seiner Vorneigung 
gemäß, jenes angedeutete stabile Element im Charak-
ter Napoleons, die konterrevolutionäre Seite seines 
Geistes, vorzugsweise auffassen wird, statt daß ande-
re Schriftsteller bloß das revolutionäre Prinzip in ihm 
erkennen. Von dieser letzteren Seite würde ihn Byron 
geschildert haben, der in seinem ganzen Streben den 
Gegensatz zu Scott bildete und, statt, gleich diesem, 
den Untergang der alten Formen zu beklagen, sich 
sogar von denen, die noch stehengeblieben sind, ver-
drießlich beengt fühlt, sie mit revolutionärem Lachen 
und Zähnefletschen niederreißen möchte und in die-
sem Ärger die heiligsten Blumen des Lebens mit sei-
nem melodischen Gifte beschädigt und sich, wie ein 
wahnsinniger Harlekin, den Dolch ins Herz stößt, um,
mit dem hervorströmenden schwarzen Blute, Herren 
und Damen neckisch zu bespritzen.
Wahrlich, in diesem Augenblicke fühle ich sehr 
lebhaft, daß ich kein Nachbeter oder, besser gesagt, 
Nachfrevler Byrons bin, mein Blut ist nicht so splee-
nig schwarz, meine Bitterkeit kömmt nur aus den 
Galläpfeln meiner Dinte, und wenn Gift in mir ist, so 
ist es doch nur Gegengift, Gegengift wider jene 
Schlangen, die im Schutte der alten Dome und Burgen
so bedrohlich lauern. Von allen großen Schriftstellern
ist Byron just derjenige, dessen Lektüre mich am un-
leidlichsten berührt, wohingegen Scott mir, in jedem 
seiner Werke, das Herz erfreut beruhigt und erkräftigt.
Mich erfreut sogar die Nachahmung derselben, wie 
wir sie bei W. Alexis, Bronikowski und Cooper fin-
den, welcher erstere, im ironischen »Walladmor«, sei-
nem Vorbilde am nächsten steht und uns auch in einer
späteren Dichtung so viel Gestalten- und Geistes-
reichtum gezeigt hat, daß er wohl imstande wäre, mit 
poetischer Ursprünglichkeit, die sich nur der Scotti-
schen Form bedient, uns die teuersten Momente deut-
scher Geschichte, in einer Reihe historischer Novel-
len, vor die Seele zu führen.
Aber keinem wahren Genius lassen sich bestimmte 
Bahnen vorzeichnen, diese liegen außerhalb aller kri-
tischen Berechnung, und so mag es auch als ein harm-
loses Gedankenspiel betrachtet werden, wenn ich über
W. Scotts Kaisergeschichte mein Vorurteil aussprach.
»Vorurteil« ist hier der umfassendste Ausdruck. Nur 
eins läßt sich mit Bestimmtheit sagen: das Buch wird 
gelesen werden vom Aufgang bis zum Niedergang, 
und wir Deutschen werden es übersetzen.
Wir haben auch den Ségur übersetzt. Nicht wahr, 
es ist ein hübsches episches Gedicht? Wir Deutschen 
schreiben auch epische Gedichte, aber die Helden 
derselben existieren bloß in unserem Kopfe. Hingegen
die Helden des französischen Epos sind wirkliche 
Helden, die viel größere Taten vollbracht und viel 
größere Leiden gelitten, als wir in unseren Dachstüb-
chen ersinnen können. Und wir haben doch viel Phan-
tasie, und die Franzosen haben nur wenig. Vielleicht 
hat deshalb der liebe Gott den Franzosen auf eine an-
dere Art nachgeholfen, und sie brauchen nur treu zu 
erzählen, was sie in den letzten dreißig Jahren gese-
hen und getan, und sie haben eine erlebte Literatur, 
wie noch kein Volk und keine Zeit sie hervorgebracht.
Diese Memoiren von Staatsleuten, Soldaten und edlen
Frauen, wie sie in Frankreich täglich erscheinen, bil-
den einen Sagenkreis, woran die Nachwelt genug zu 
denken und zu singen hat und worin, als dessen Mit-
telpunkt, das Leben des großen Kaisers, wie ein Rie-
senbaum, emporragt. Die Ségursche Geschichte des 
Rußlandzuges ist ein Lied, ein französisches Volks-
lied, das zu diesem Sagenkreise gehört und, in seinem
Tone und Stoffe, den epischen Dichtungen aller Zei-
ten gleicht und gleichsteht. Ein Heldengedicht, das 
durch den Zauberspruch »Freiheit und Gleichheit« 
aus dem Boden Frankreichs emporgeschossen, hat, 
wie im Triumphzug, berauscht von Ruhm und geführt
von dem Gotte des Ruhmes selbst, die Welt durchzo-
gen, erschreckt und verherrlicht, tanzt endlich den ras-
selnden Waffentanz auf den Eisfeldern des Nordens, 
und diese brechen ein, und die Söhne des Feuers und 
der Freiheit gehen zugrunde durch Kälte und Sklaven.
Solche Beschreibung oder Prophezeiung des Unter-
gangs einer Heldenwelt ist Grundton und Stoff der 
epischen Dichtungen aller Volker. Auf den Felsen von
Ellore und anderer indischer Grottentempel steht sol-
che epische Katastrophe eingegraben mit Riesenhiero-
glyphen, deren Schlüssel im »Mahabharata« zu finden
ist; der Norden hat in nicht minder steinernen Worten,
in seiner »Edda«, diesen Götteruntergang ausgespro-
chen; das »Lied der Nibelungen« besingt dasselbe tra-
gische Verderben und hat, in seinem Schlusse, noch 
ganz besondere Ähnlichkeit mit der Ségurschen Be-
schreibung des Brandes von Moskau; das »Rolands-
lied« von der Schlacht bei Roncisval, dessen Worte 
verschollen, dessen Sage aber noch nicht erloschen 
und noch unlängst von einem der größten Dichter des 
Vaterlandes, von Immermann, heraufbeschworen wor-
den, ist ebenfalls der alte Unglücksgesang; und gar 
das Lied von Ilion verherrlicht am schönsten das alte 
Thema und ist doch nicht großartiger und 
schmerzlicher als das französische Volkslied, worin 
Ségur den Untergang seiner Heroenwelt besungen hat.
Ja, dieses ist ein wahres Epos, Frankreichs Heldenju-
gend ist der schöne Heros, der früh dahinsinkt, wie 
wir solches Leid schon sahen in dem Tode Baldurs, 
Siegfrieds, Rolands und Achilles', die ebenso durch 
Unglück und Verrat gefallen; und jene Helden, die 
wir in der »Ilias« bewundert, wir finden sie wieder im
Liede des Séqur, wir sehen sie ratschlagen, zanken 
und kämpfen, wie einst vor dem Skäischen Tore; ist 
auch die Jacke des Königs von Neapel etwas allzu 
buntscheckig modern, so ist doch sein Schlachtmut 
und Übermut ebenso groß wie der des Peliden; ein 
Hektor an Milde und Tapferkeit, steht vor uns Prinz 
Eugen, der edle Ritter, Ney kämpft wie ein Ajax, 
Berthier ist ein Nestor ohne Weisheit, Davoust, Daru,
Caulaincourt usw., in ihnen wohnen die Seelen des 
Menelaos, des Odysseus, des Diomedes - nur der 
Kaiser selbst findet nicht seinesgleichen, in seinem 
Haupte ist der Olymp des Gedichtes, und wenn ich 
ihn, in seiner äußeren Herrschererscheinung, mit dem 
Agamemnon vergleiche, so geschieht das, weil ihn, 
ebenso wie den größten Teil seiner herrlichen Kampf-
genossen, ein tragisches Schicksal erwartete und weil 
sein Orestes noch lebt.
Wie die Scottschen Dichtungen hat auch das 
Ségursche Epos einen Ton, der unsere Herzen 
bezwingt. Aber dieser Ton weckt nicht die Liebe zu 
längst verschollenen Tagen der Vorzeit, sondern es ist
ein Ton, dessen Klangfigur uns die Gegenwart gibt, 
ein Ton, der uns für eben diese Gegenwart begeistert.
Wir Deutschen sind doch wahre Peter Schlemihle! 
Wir haben auch in der letzten Zeit viel gesehen, viel 
ertragen, z.B. Einquartierung und Adelstolz; und wir 
haben unser edelstes Blut hingegeben, z.B. an Eng-
land, das noch jetzt jährlich eine anständige Summe 
für abgeschossene deutsche Arme und Beine ihren 
ehemaligen Eigentümern zu bezahlen hat; und wir 
haben im Kleinen so viel Großes getan, daß, wenn 
man es zusammenrechnete, die größten Taten heraus-
kämen, z.B. in Tirol; und wir haben viel verloren, 
z.B. unsern Schlagschatten, den Titel des lieben Hei-
ligen Römischen Reichs - und dennoch, mit allen 
Verlüsten, Opfern, Entbehrungen, Malheurs und 
Großtaten hat unsere Literatur kein einziges solcher 
Denkmäler des Ruhmes gewonnen, wie sie bei unse-
ren Nachbaren, gleich ewigen Trophäen, täglich em-
porsteigen. Unsere Leipziger Messen haben wenig 
profitiert durch die Schlacht bei Leipzig. Ein Gothaer,
höre ich, will sie noch nachträglich in epischer Form 
besingen; da er aber noch nicht weiß, ob er zu den 
100000 Seelen gehört, die Hildburghausen bekömmt, 
oder zu den 150000, die Meiningen bekömmt, oder 
zu den 160000, die Altenburg bekömmt, so kann er 
sein Epos noch nicht anfangen, er müßte denn begin-
nen: »Singe unsterbliche Seele, hildburghäusische 
Seele - meining'sche Seele oder auch altenburgische 
Seele - gleichviel, singe, singe der sündigen Deut-
schen Erlösung!« Dieser Seelenschacher im Herzen 
des Vaterlandes und dessen blutende Zerrissenheit 
läßt keinen stolzen Sinn und noch viel weniger ein 
stolzes Wort aufkommen, unsere schönsten Taten 
werden lächerlich durch den dummen Erfolg, und 
während wir uns unmutig einhüllen in den Purpur-
mantel des deutschen Heldenblutes, kömmt ein politi-
scher Schalk und setzt uns die Schellenkappe aufs 
Haupt.
Eben die Literaturen unserer Nachbaren jenseits 
des Rheins und des Kanals muß man mit unserer Ba-
gatelliteratur vergleichen, um das Leere und Bedeu-
tungslose unseres Bagatelllebens zu begreifen. Da ich
selbst mich erst späterhin über dieses Thema, über 
deutsche Literaturmisere verbreiten will, so liefere ich
einen heitern Ersatz durch das Einschalten der folgen-
den Xenien, die aus der Feder Immermanns, meines 
hohen Mitstrebenden, geflossen sind. Die Gleichge-
sinnten danken mir gewiß für die Mitteilung dieser 
Verse, und bis auf wenige Ausnahmen, die ich mit 
Sternen bezeichne, will ich sie gern als meine eigne 
Gesinnung vertreten.

Der poetische Literator

Laß dein Lächeln, laß dein Flennen, sag uns ohne Hinterlist,
Wann Hans Sachs das Licht erblickte, Weckherlin gestorben ist.

»Alle Menschen müssen sterben«, spricht das Männlein mit Bedeutung.
Alter Junge, dessengleichen ist uns keine große Zeitung.

Mit vergeßnen, alten Schwarten schmiert er seine Autorstiefeln,
Daß er dazu heiter weine, frißt er fromm poet'sche Zwiefeln.

*Willst du kommentieren, Fränzel, mindestens verschon den Luther,
Dieser Fisch behagt uns besser ohne die zerlaßne Butter.

Dramatiker

1

*»Nimmer schreib ich mehr Tragödien, mich am Publikum zu rächen
Schimpf uns, wie du willst, mein Guter, aber halte dein Versprechen.

2

Diesen Reiterleutnant müsset, Stachelverse, ihr verschonen;
Denn er kommandiert Sentenzen und Gefühl' in Eskadronen.

3

Wär Melpomene ein Mädchen, gut, gefühlvoll und natürlich,
Riet' ich ihr: Heirate diesen, der so milde und so zierlich.

4

Seiner vielen Sünden wegen geht der tote Kotzebue
Um in diesem Ungetüme ohne Strümpfe, ohne Schuhe.

Und so kommt zu vollen Ehren tiefe Lehr' aus grauen Jahren,
Daß die Seelen der Verstorbnen müssen in die Bestien fahren.

Östliche Poeten

Groß mérite ist es jetzo, nach Saadis Art zu girren,
Doch mir scheint's egal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.

Sonsten sang, beim Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.

Alter Dichter, du gemahnst mich, als wie Hamelns Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all die lieben kleinen Sänger.

Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Daß sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zuviel, die Armen, und vomieren dann Ghaselen.

Glockentöne

Seht den dicken Pastor dorten unter seiner Tür im Staate,
Läutet mit den Glocken, daß man ihn verehr' in dem Ornate.

Und es kamen, ihn zu schauen, flugs die Blinden und die Lahmen,
Engebrust und Krampf, besonders hysteriegeplagte Damen.

Weiße Salbe weder heilet noch verschlimmert irgend Schäden,
Weiße Salbe findest jetzo du in allen Bücherläden.

Geht's so fort, und läßt sich jeder Pfaffe ferner adorieren,
Werd ich in den Schoß der Kirche ehebaldigst retournieren.

Dort gehorch ich einem Papste und verehr ein praesens numen,
Aber hier macht sich zum numen jeglich ordiniertes lumen.

Orbis pictus

Hätte einen Hals das ganze weltverderbende Gelichter,
Einen Hals, ihr hohen Götter: Priester, Histrionen, Dichter!

In die Kirche ging ich morgens, um Komödien zu schauen,
Abends ins Theater, um mich an der Predigt zu erbauen.

Selbst der liebe Gott verlieret sehr bei mir an dem Gewichte,
Weil nach ihrem Ebenbilde schnitzen ihn viel tausend Wichte.

Wenn ich euch gefall, ihr Leute, dünk ich mich ein Leineweber,
Aber, wenn ich euch verdrieße, seht, das stärkt mir meine Leber.

»Ganz bewältigt er die Sprache«; ja, es ist, sich totzulachen,
Seht nur, was für tolle Sprünge lässet er die arme machen.

Vieles Schlimme kann ich dulden, aber eins ist mir zum Ekel,
Wenn der nervenschwache Zärtling spielt den genialen Rekel.

*Damals mochtst du mir gefallen, als du buhltest mit Lucindchen,
Aber, o der frechen Liebschaft! mit Marien wollen sünd'gen.

Erst in England, dann in Spanien, jetzt in Brahmas Finsternissen,
Überall umhergestrichen, deutschen Rock und Schuh zerrissen.

Wenn die Damen schreiben, kramen stets sie aus von ihren Schmerzen,
Fausses couches touchierter Tugend - ach, die gar zu offnen Herzen!

Laßt die Damen mir zufrieden; daß sie schreiben, find ich rätlich:
Führt die Frau die Autorfeder, wird sie wenigstens nicht schädlich.

Glaubt, das Schriftentum wird gleichen bald den ärgsten Rockenstuben,
Die Gevatterinnen schnacken, und es hören zu die Buben.

Wär ich Dschingis-Khan, o China, wärst du längst von mir vernichtet,
Dein verdammtes Teegeplätscher hat uns langsam hingerichtet.

Alles setzet sich zur Ruhe, und der Größte wird geduldig,
Streicht gemächlich ein, was frühre Zeiten blieben waren schuldig.

Jene Stadt ist voller Verse, Töne, Statuen, Schilderein,
Wursthans steht mit der Trompete an dem Tor und schreit: »Herein!«

»Diese Reime klingen schändlich, ohne Metrum und Zäsuren«;
Wollt in Uniform ihr stecken literarische Panduren? -

»Sag, wie kommst du nur zu Worten, die so grob und ungezogen?«
Freund, im wüsten Marktgedränge braucht man seine Ellenbogen.

»Aber du hast auch bereimet, was unleugbar gut und groß.«
Mischt der Beste sich zum Plebse, duldet er desPlebses Los.

Wenn die Sommerfliegen schwärmen, tutet ihr sie mit den Klappen,
Und nach diesen Reimen werdet schlagen ihr mit euren Kappen.


Ideen. Das Buch Le Grand.1826

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