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Die Harzreise
1824

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Nichts ist dauernd als der Wechsel; nichts be-
ständig als der Tod. Jeder Schlag des Herzens 
schlägt uns eine Wunde, und das Leben wäre 
ein ewiges Verbluten, wenn nicht die Dicht-
kunst wäre. Sie gewährt uns, was uns die Natur
versagt: eine goldene Zeit, die nicht rostet, 
einen Frühling, der nicht abblüht, wolkenloses 
Glück und ewige Jugend.
Börne

Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,
Weiße, höfliche Manschetten,
Sanfte Reden, Embrassieren -
Ach, wenn sie nur Herzen hätten!

Herzen in der Brust, und Liebe,
Warme Liebe in dem Herzen -
Ach, mich tötet ihr Gesinge
Von erlognen Liebesschmerzen.

Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
Wo die Brust sich frei erschließet,
Und die freien Lüfte wehen.

Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen,
Und die stolzen Wolken jagen.

Lebet wohl, ihr glatten Säle,
Glatte Herren! Glatte Frauen!
Auf die Berge will ich steigen,
Lachend auf euch niederschauen.

Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste 
und Universität gehört dem Könige von Hannover 
und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine 
Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, 
eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier 
sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt »die 
Leine« und dient des Sommers zum Baden; das Was-
ser ist sehr kalt und an einigen Orten so breit, daß 
Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen mußte, 
als er hinübersprang. Die Stadt selbst ist schön und 
gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem 
Rücken ansieht. Sie muß schon sehr lange stehen; 
denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort
immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, 
hatte sie schon dasselbe graue, altkluge Ansehen und 
war schon vollständig eingerichtet mit Schnurren, Pu-
deln, Dissertationen, Teedansants, Wäscherinnen, 
Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promoti-
onskutschen, Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten, 
Relegationsräten, Profaxen und anderen Faxen. Einige
behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völker-
wanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm 
habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mit-
glieder darin zurückgelassen, und davon stammten all
die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen,
Thüringer usw., die noch heutzutage in Göttingen, 
hordenweis und geschieden durch Farben der Mützen 
und der Pfeifenquäste, über die Weenderstraße einher-
ziehen, auf den blutigen Walstätten der Rasenmühle, 
des Ritschenkrugs und Bovdens sich ewig untereinan-
der herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen noch 
immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben 
und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne hei-
ßen, teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Kom-
ment heißt und in den legibus barbarorum eine Stelle 
verdient, regiert werden.
Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens 
eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und 
Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger als 
streng geschieden sind. Der Viehstand ist der 
bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller 
ordentlichen und unordentlichen Professoren hier her-
zuzählen, wäre zu weitläuftig; auch sind mir in die-
sem Augenblick nicht alle Studentennamen im Ge-
dächtnisse, und unter den Professoren sind manche, 
die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göt-
tinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand, oder 
besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich 
sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern 
und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akade-
mischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich 
kaum begreifen, wie Gott nur soviel Lumpenpack er-
schaffen konnte.
Ausführlicheres über die Stadt Göttingen läßt sich 
sehr bequem nachlesen in der Topographie derselben 
von K. F. H. Marx. Obzwar ich gegen den Verfasser, 
der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die 
heiligsten Verpflichtungen hege, so kann ich doch 
sein Werk nicht unbedingt empfehlen, und ich muß 
tadeln, daß er jener falschen Meinung, als hätten die 
Göttingerinnen allzu große Füße, nicht streng genug 
widerspricht. Ja, ich habe mich sogar seit Jahr und 
Tag mit einer ernsten Widerlegung dieser Meinung 
beschäftigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie
gehört, die seltensten Werke auf der Bibliothek exzer-
piert, auf der Weenderstraße stundenlang die Füße der
vorübergehenden Damen studiert, und in der 
grundgelehrten Abhandlung, so die Resultate dieser 
Studien enthalten wird, spreche ich 1. von den Füßen 
überhaupt, 2. von den Füßen bei den Alten, 3. von 
den Füßen der Elefanten, 4. von den Füßen der Göt-
tingerinnen, 5. stelle ich alles zusammen, was über 
diese Füße auf Ullrichs Garten schon gesagt worden, 
6. betrachte ich diese Füße in ihrem Zusammenhang 
und verbreite mich bei dieser Gelegenheit auch über 
Waden, Knie usw., und endlich 7., wenn ich nur so 
großes Papier auftreiben kann, füge ich noch hinzu 
einige Kupfertafeln mit dem Faksimile göttingischer 
Damenfüße.
Es war noch sehr früh, als ich Göttingen verließ, 
und der gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und 
träumte wie gewöhnlich, er wandle in einem schönen 
Garten, auf dessen Beeten lauter weiße, mit Zitaten 
beschriebene Papierchen wachsen, die im Sonnenlich-
te lieblich glänzen und von denen er hier und da meh-
rere pflückt und mühsam in ein neues Beet verpflanzt,
während die Nachtigallen mit ihren süßesten Tönen 
sein altes Herz erfreuen.
Vor dem Weender Tore begegneten mir zwei einge-
borne kleine Schulknaben, wovon der eine zum an-
dern sagte: »Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr 
umgehen, er ist ein Lumpenkerl, denn gestern wußte 
er nicht mal, wie der Genitiv von mensa heißt.« So 
unbedeutend diese Worte klingen, so muß ich sie 
doch wiedererzählen, ja, ich möchte sie als Stadtmot-
to gleich auf das Tor schreiben lassen; denn die Jun-
gen piepen, wie die Alten pfeifen, und jene Worte be-
zeichnen ganz den engen, trocknen Notizenstolz der 
hochgelahrten Georgia Augusta.
Auf der Chaussee wehte frische Morgenluft, und 
die Vögel sangen gar freudig, und auch mir wurde all-
mählich wieder frisch und freudig zumute. Eine sol-
che Erquickung tat not. Ich war die letzte Zeit nicht 
aus dem Pandektenstall herausgekommen, römische 
Kasuisten hatten mir den Geist wie mit einem grauen 
Spinnweb überzogen, mein Herz war wie einge-
klemmt zwischen den eisernen Paragraphen selbst-
süchtiger Rechtssysteme, beständig klang es mir noch
in den Ohren wie »Tribonian, Justinian, Hermogenian
und Dummerjahn«, und ein zärtliches Liebespaar, das
unter einem Baume saß, hielt ich gar für eine Corpus-
juris-Ausgabe mit verschlungenen Händen. Auf der 
Landstraße fing es an, lebendig zu werden. Milch-
mädchen zogen vorüber; auch Eseltreiber mit ihren 
grauen Zöglingen. Hinter Weende begegneten mir der
Schäfer und Doris. Dieses ist nicht das idyllische 
Paar, wovon Geßner singt, sondern es sind wohlbe-
stallte Universitätspedelle, die wachsam aufpassen 
müssen, daß sich keine Studenten in Bovden duellie-
ren und daß keine neue Ideen, die noch immer einige 
Dezennien vor Göttingen Quarantäne halten müssen, 
von einem spekulierenden Privatdozenten einge-
schmuggelt werden. Schäfer grüßte mich sehr kolle-
gialisch; denn er ist ebenfalls Schriftsteller und hat 
meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; 
wie er mich denn auch außerdem oft zitiert hat und, 
wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so gütig 
war, die Zitation mit Kreide auf meine Stubentür zu 
schreiben. Dann und wann rollte auch ein Einspänner 
vorüber, wohlbepackt mit Studenten, die für die Feri-
enzeit oder auch für immer wegreisten. In solch einer 
Universitätsstadt ist ein beständiges Kommen und 
Abgehen, alle drei Jahre findet man dort eine neue 
Studentengeneration, das ist ein ewiger Menschen-
strom, wo eine Semesterwelle die andere fortdrängt, 
und nur die alten Professoren bleiben stehen in dieser 
allgemeinen Bewegung, unerschütterlich fest, gleich 
den Pyramiden Ägyptens - nur daß in diesen Univer-
sitätspyramiden keine Weisheit verborgen ist.
Aus den Myrtenlauben bei Rauschenwasser sah ich
zwei hoffnungsvolle Jünglinge hervorreiten. Ein 
Weibsbild, das dort sein horizontales Handwerk 
treibt, gab ihnen bis auf die Landstraße das Geleit, 
klätschelte mit geübter Hand die mageren Schenkel 
der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reuter ihr hin-
ten, auf die breite Spontaneität, einige Galanterien mit
der Peitsche überlangte, und schob sich alsdann gen 
Bovden. Die Jünglinge aber jagten nach Nörten und 
johlten gar geistreich und sangen gar lieblich das 
Rossinische Lied: »Trink Bier, liebe, liebe Liese!« 
Diese Töne hörte ich noch lange in der Ferne; doch 
die holden Sänger selbst verlor ich bald völlig aus 
dem Gesichte, sintemal sie ihre Pferde, die im Grunde
einen deutsch langsamen Charakter zu haben schie-
nen, gar entsetzlich anspornten und vorwärtspeitsch-
ten. Nirgends wird die Pferdeschinderei stärker getrie-
ben als in Göttingen, und oft, wenn ich sah, wie solch
eine schweißtriefende, lahme Kracke für das bißchen 
Lebensfutter von unsern Rauschenwasserrittern abge-
quält ward oder wohl gar einen ganzen Wagen voll 
Studenten fortziehen mußte, so dachte ich auch: ›O du
armes Tier, gewiß haben deine Voreltern im Paradiese
verbotenen Hafer gefressen!‹
Im Wirtshause zu Nörten traf ich die beiden Jüng-
linge wieder. Der eine verzehrte einen Heringsalat, 
und der andere unterhielt sich mit der gelbledernen 
Magd, Fusia Canina, auch Trittvogel genannt. Er 
sagte ihr einige Anständigkeiten, und am Ende wur-
den sie handgemein. Um meinen Ranzen zu erleich-
tern, nahm ich die eingepackten blauen Hosen, die in 
geschichtlicher Hinsicht sehr merkwürdig sind, wie-
der heraus und schenkte sie dem kleinen Kellner, den 
man Kolibri nennt. Die Bussenia, die alte Wirtin, 
brachte mir unterdessen ein Butterbrot und beklagte 
sich, daß ich sie jetzt so selten besuche; denn sie liebt 
mich sehr.
Hinter Nörten stand die Sonne hoch und glänzend 
am Himmel. Sie meinte es recht ehrlich mit mir und 
erwärmte mein Haupt, daß alle unreife Gedanken 
darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirtshaussonne 
in Nordheim ist auch nicht zu verachten; ich kehrte 
hier ein und fand das Mittagessen schon fertig. Alle 
Gerichte waren schmackhaft zubereitet und wollten 
mir besser behagen als die abgeschmackten akademi-
schen Gerichte, die salzlosen, ledernen Stockfische 
mit ihrem alten Kohl, die mir in Göttingen vorgesetzt 
wurden. Nachdem ich meinen Magen etwas be-
schwichtigt hatte, bemerkte ich in derselben Wirtsstu-
be einen Herrn mit zwei Damen, die im Begriff waren
abzureisen. Dieser Herr war ganz grün gekleidet, trug 
sogar eine grüne Brille, die auf seine rote Kupfernase 
einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der
König Nebukadnezar in seinen spätern Jahren ausge-
sehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Tiere 
des Waldes, nichts als Salat aß. Der Grüne wünschte, 
daß ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen möch-
te, und ich riet ihm, dort von dem ersten besten Stu-
denten das Hotel de Brühbach zu erfragen. Die eine 
Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weit-
läuftige Dame, ein rotes Quadratmeilengesicht mit 
Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für 
Liebesgötter aussahen, ein langfleischig 
herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortset-
zung des Gesichtes zu sein schien, und ein hochaufge-
stapelter Busen, der mit steifen Spitzen und viel-
zackig festonierten Krägen wie mit Türmchen und 
Bastionen umbaut war und einer Festung glich, die 
gewiß ebensowenig wie jene anderen Festungen, von 
denen Philipp von Mazedonien spricht, einem mit 
Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere 
Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegen-
satz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pha-
raos fetten Kühen, so stammte diese von den magern. 
Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die 
Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Heide; die 
ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für 
arme Theologen. Beide Damen fragten mich zu glei-
cher Zeit, ob im Hotel de Brühbach auch ordentliche 
Leute logierten. Ich bejahte es mit gutem Gewissen, 
und als das holde Kleeblatt abfuhr, grüßte ich noch-
mals zum Fenster hinaus. Der Sonnenwirt lächelte gar
schlau und mochte wohl wissen, daß der Karzer von 
den Studenten in Göttingen Hotel de Brühbach ge-
nannt wird.
Hinter Nordheim wird es schon gebirgig, und hier 
und da treten schöne Anhöhen hervor. Auf dem Wege
traf ich meistens Krämer, die nach der Braunschwei-
ger Messe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer,
deren jede ein großes, fast häuserhohes, mit weißem 
Leinen überzogenes Behältnis auf dem Rücken trug. 
Darin saßen allerlei eingefangene Singvögel, die be-
ständig piepsten und zwitscherten, während ihre Trä-
gerinnen lustig dahinhüpften und schwatzten. Mir 
kam es gar närrisch vor, wie so ein Vogel den andern 
zu Markte trägt.
In pechdunkler Nacht kam ich an zu Osterode. Es 
fehlte mir der Appetit zum Essen, und ich legte mich 
gleich zu Bette. Ich war müde wie ein Hund und 
schlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach 
Göttingen zurück, und zwar nach der dortigen Biblio-
thek. Ich stand in einer Ecke des juristischen Saals, 
durchstöberte alte Dissertationen, vertiefte mich im 
Lesen, und als ich aufhörte, bemerkte ich zu meiner 
Verwunderung, daß es Nacht war und herabhängende 
Kristalleuchter den Saal er hellten. Die nahe Kirchen-
glocke schlug eben zwölf, die Saaltüre öffnete sich 
langsam, und herein trat eine stolze, gigantische Frau,
ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und An-
hängern der Juristischen Fakultät. Das Riesenweib, 
obgleich schon bejahrt, trug dennoch im Antlitz die 
Züge einer strengen Schönheit, jeder ihrer Blicke ver-
riet die hohe Titanin, die gewaltige Themis, Schwert 
und Waage hielt sie nachlässig zusammen in der 
einen Hand, in der andern hielt sie eine Pergamentrol-
le, zwei junge Doctores juris trugen die Schleppe 
ihres grau verblichenen Gewandes; an ihrer rechten 
Seite sprang windig hin und her der dünne Hofrat Ru-
sticus, der Lykurg Hannovers, und deklamierte aus 
seinem neuen Gesetzentwurf; an ihrer linken Seite 
humpelte, gar galant und wohlgelaunt, ihr Cavaliere 
servente, der Geheime Justizrat Cujacius, und riß be-
ständig juristische Witze und lachte selbst darüber so 
herzlich, daß sogar die ernste Göttin sich mehrmals 
lächelnd zu ihm herabbeugte, mit der großen Perga-
mentrolle ihm auf die Schulter klopfte und freundlich 
flüsterte: »Kleiner, loser Schalk, der die Bäume von 
oben herab beschneidet!« Jeder von den übrigen Her-
ren trat jetzt ebenfalls näher und hatte etwas hinzube-
merken und hinzulächeln, etwa ein neu ergrübeltes 
Systemchen oder Hypotheschen oder ähnliches Miß-
gebürtchen des eigenen Köpfchens. Durch die geöff-
nete Saaltüre traten auch noch mehrere fremde Herren 
herein, die sich als die andern großen Männer des il-
lustren Ordens kundgaben, meistens eckige, lauernde 
Gesellen, die mit breiter Selbstzufriedenheit gleich 
drauflos definierten und distinguierten und über jedes 
Titelchen eines Pandektentitels disputierten. Und 
immer kamen noch neue Gestalten herein, alte Rechts-
gelehrten, in verschollenen Trachten, mit weißen Al-
longeperücken und längst vergessenen Gesichtern und
sehr erstaunt, daß man sie, die Hochberühmten des 
verflossenen Jahrhunderts, nicht sonderlich regardier-
te; und diese stimmten nun ein, auf ihre Weise, in das 
allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreien, 
das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lau-
ter, die hohe Göttin umrauschte, bis diese die Geduld 
verlor und in einem Tone des entsetzlichsten Riesen-
schmerzes plötzlich aufschrie: »Schweigt! schweigt! 
ich höre die Stimme des teuren Prometheus, die höh-
nende Kraft und die stumme Gewalt schmieden den 
Schuldlosen an den Marterfelsen, und all euer Ge-
schwätz und Gezänke kann nicht seine Wunden koh-
len und seine Fesseln zerbrechen!« So rief die Göttin, 
und Tränenbäche stürzten aus ihren Augen, die ganze 
Versammlung heulte wie von Todesangst ergriffen, 
die Decke des Saales krachte, die Bücher taumelten 
herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte 
Münchhausen aus seinem Rahmen hervor, um Ruhe 
zu gebieten, es tobte und kreischte immer wilder - 
und fort aus diesem drängenden Tollhauslärm rettete 
ich mich in den historischen Saal, nach jener Gnaden-
stelle, wo die heiligen Bilder des Belvederischen 
Apolls und der Mediceischen Venus 
nebeneinanderstehen, und ich stürzte zu den Füßen 
der Schönheitsgöttin, in ihrem Anblick vergaß ich all 
das wüste Treiben, dem ich entronnen, meine Augen 
tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieb-
lichkeit ihres hochgebenedeiten Leibes, griechische 
Ruhe zog durch meine Seele, und über mein Haupt, 
wie himmlischen Segen, goß seine süßesten 
Lyraklänge Phöbus Apollo.
Erwachend hörte ich noch immer ein freundliches 
Klingen. Die Herden zogen auf die Weide, und es läu-
teten ihre Glöckchen. Die liebe, goldene Sonne schien
durch das Fenster und beleuchtete die Schildereien an 
den Wänden des Zimmers. Es waren Bilder aus dem 
Befreiungskriege, worauf treu dargestellt stand, wie 
wir alle Helden waren, dann auch Hinrichtungsszenen
aus der Revolutionszeit, Ludwig XVI. auf der Guillo-
tine und ähnliche Kopfabschneidereien, die man gar 
nicht ansehen kann, ohne Gott zu danken, daß man 
ruhig im Bette liegt und guten Kaffee trinkt und den 
Kopf noch so recht komfortabel auf den Schultern sit-
zen hat.
Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, 
die Inschriften auf den Fensterscheiben gelesen und 
alles im Wirtshause berichtigt hatte, verließ ich Oste-
rode.
Diese Stadt hat soundso viel Häuser, verschiedene 
Einwohner, worunter auch mehrere Seelen, wie in 
Gottschalks »Taschenbuch für Harzreisende« genauer
nachzulesen ist. Ehe ich die Landstraße einschlug, be-
stieg ich die Trümmer der uralten Osteroder Burg. Sie
bestehen nur noch aus der Hälfte eines großen, dick-
maurigen, wie von Krebsschäden angefressenen 
Turms. Der Weg nach Klaustal führte mich wieder 
bergauf, und von einer der ersten Höhen schaute ich 
nochmals hinab in das Tal, wo Osterode mit seinen 
roten Dächern aus den grünen Tannenwäldern hervor-
guckt, wie eine Moosrose. Die Sonne gab eine gar 
liebe, kindliche Beleuchtung. Von der erhaltenen 
Turmhälfte erblickt man hier die imponierende Rück-
seite.
Nachdem ich eine Strecke gewandert, traf ich zu-
sammen mit einem reisenden Handwerksburschen, der
von Braunschweig kam und mir als ein dortiges Ge-
rücht erzählte, der junge Herzog sei auf dem Wege 
nach dem Gelobten Lande von den Türken gefangen 
worden und könne nur gegen ein großes Lösegeld 
freikommen. Die große Reise des Herzogs mag diese 
Sage veranlaßt haben. Das Volk hat noch immer den 
traditionell fabelhaften Ideengang, der sich so lieblich
ausspricht in seinem »Herzog Ernst«. Der Erzähler 
jener Neuigkeit war ein Schneidergesell, ein niedli-
cher, kleiner junger Mensch, so dünn, daß die Sterne 
durchschimmern konnten, wie durch Ossians Nebel-
geister, und im ganzen eine volkstümlich barocke Mi-
schung von Laune und Wehmut. Dieses äußerte sich 
besonders in der drollig rührenden Weise, womit er 
das wunderbare Volkslied sang: »Ein Käfer auf dem 
Zaune saß; summ, summ!« Das ist schön bei uns 
Deutschen; keiner ist so verrückt, daß er nicht einen 
noch Verrückteren fände, der ihn versteht. Nur ein 
Deutscher kann jenes Lied nachempfinden und sich 
dabei totlachen und totweinen. Wie tief das Goethe-
sche Wort ins Leben des Volks gedrungen, bemerkte 
ich auch hier. Mein dünner Weggenosse trillerte eben-
falls zuweilen vor sich hin: »Leidvoll und freudvoll, 
Gedanken sind frei!« Solche Korruption des Textes 
ist beim Volke etwas Gewöhnliches. Er sang auch ein
Lied, wo »Lottchen bei dem Grabe ihres Werthers« 
trauert. Der Schneider zerfloß vor Sentimentalität bei 
den Worten: »Einsam wein ich an der Rosenstelle, wo
uns oft der späte Mond belauscht! Jammernd irr ich 
an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne zuge-
rauscht.« Aber bald darauf ging er in Mutwillen über 
und erzählte mir: »Wir haben einen Preußen in der 
Herberge zu Kassel, der ebensolche Lieder selbst 
macht; er kann keinen seligen Stich nähen; hat er 
einen Groschen in der Tasche, so hat er für zwei Gro-
schen Durst, und wenn er im Tran ist, hält er den 
Himmel für ein blaues Kamisol und weint wie eine 
Dachtraufe und singt ein Lied mit der doppelten Poe-
sie!« Von letzterem Ausdruck wünschte ich eine Er-
klärung, aber mein Schneiderlein, mit seinen Ziegen-
hainer Beinchen, hüpfte hin und her und rief bestän-
dig: »Die doppelte Poesie ist die doppelte Poesie!« 
Endlich brachte ich es heraus, daß er doppelt gereimte
Gedichte, namentlich Stanzen, im Sinne hatte. - Un-
terdes, durch die große Bewegung und durch den kon-
trären Wind, war der Ritter von der Nadel sehr müde 
geworden. Er machte freilich noch einige große An-
stalten zum Gehen und bramarbasierte: »Jetzt will ich
den Weg zwischen die Beine nehmen!«, doch bald 
klagte er, daß er sich Blasen unter die Füße gegangen 
und die Welt viel zu weitläuftig sei; und endlich, bei 
einem Baumstamme, ließ er sich sachte niedersinken, 
bewegte sein zartes Häuptlein wie ein betrübtes Läm-
merschwänzchen, und wehmütig lächelnd rief er: »Da 
bin ich armes Schindluderchen schon wieder maro-
de!«
Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwäl-
der wogten unten wie ein grünes Meer, und am blauen
Himmel oben schifften die weißen Wolken. Die Wild-
heit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfach-
heit gleichsam gezähmt. Wie ein guter Dichter liebt 
die Natur keine schroffen Übergänge. Die Wolken, so
bizarr gestaltet sie auch zuweilen erscheinen, tragen 
ein weißes oder doch ein mildes, mit dem blauen 
Himmel und der grünen Erde harmonisch korrespon-
dierendes Kolorit, so daß alle Farben einer Gegend 
wie leise Musik ineinanderschmelzen und jeder Na-
turanblick krampfstillend und gemütberuhigend 
wirkt. - Der selige Hoffmann würde die Wolken 
buntscheckig bemalt haben. - Eben wie ein großer 
Dichter weiß die Natur auch mit den wenigsten Mit-
teln die größten Effekte hervorzubringen. Da sind nur 
eine Sonne, Bäume, Blumen, Wasser und Liebe. 
Freilich, fehlt letztere im Herzen des Beschauers, so 
mag das Ganze wohl einen schlechten Anblick ge-
währen, und die Sonne hat dann bloß soundso viel 
Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum
Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfä-
den klassifiziert, und das Wasser ist naß.
Ein kleiner Junge, der für seinen kranken Oheim im
Walde Reisig suchte, zeigte mir das Dorf Lerbach, 
dessen kleine Hütten, mit grauen Dächern, sich über 
eine halbe Stunde durch das Tal hinziehen. »Dort«, 
sagte er, »wohnen dumme Kropfleute und weiße 
Mohren« - mit letzterem Namen werden die Albinos 
vom Volke benannt. Der kleine Junge stand mit den 
Bäumen in gar eigenem Einverständnis; er grüßte sie 
wie gute Bekannte, und sie schienen rauschend seinen
Gruß zu erwidern. Er pfiff wie ein Zeisig, ringsum 
antworteten zwitschernd die andern Vögel, und ehe 
ich mich dessen versah, war er mit seinen nackten 
Füßchen und seinem Bündel Reisig ins Walddickicht 
fortgesprungen. Die Kinder, dacht ich, sind jünger als
wir, können sich noch erinnern, wie sie ebenfalls 
Bäume oder Vögel waren, und sind also noch imstan-
de, dieselben zu verstehen; unsereins aber ist schon 
alt und hat zuviel Sorgen, Jurisprudenz und schlechte 
Verse im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir 
bei meinem Eintritt in Klaustal wieder recht lebhaft 
ins Gedächtnis. In dieses nette Bergstädtchen, 
welches man nicht früher erblickt, als bis man 
davorsteht, gelangte ich, als eben die Glocke zwölf 
schlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen. 
Die lieben Knaben, fast alle rotbäckig, blauäugig und 
flachshaarig, sprangen und jauchzten und weckten in 
mir die wehmütig heitere Erinnerung, wie ich einst 
selbst, als ein kleines Bübchen, in einer 
dumpfkatholischen Klosterschule zu Düsseldorf den 
ganzen lieben Vormittag von der hölzernen Bank 
nicht aufstehen durfte und soviel Latein, Prügel und 
Geographie ausstehen mußte und dann ebenfalls un-
mäßig jauchzte und jubelte, wenn die alte 
Franziskanerglocke endlich zwölf schlug. Die Kinder 
sahen an meinem Ranzen, daß ich ein Fremder sei, 
und grüßten mich recht gastfreundlich. Einer der Kna-
ben erzählte mir, sie hätten eben Religionsunterricht 
gehabt, und er zeigte mir den Königl. Hannöv. Kate-
chismus, nach welchem man ihnen das Christentum 
abfragt. Dieses Büchlein war sehr schlecht gedruckt, 
und ich fürchte, die Glaubenslehren machen dadurch 
schon gleich einen unerfreulich löschpapierigen Ein-
druck auf die Gemüter der Kinder; wie es mir denn 
auch erschrecklich mißfiel, daß das Einmaleins, wel-
ches doch mit der heiligen Dreiheitslehre bedenklich 
kollidiert, im Katechismus selbst, und zwar auf dem 
letzten Blatte desselben, abgedruckt ist und die Kin-
der dadurch schon frühzeitig zu sündhaften Zweifeln 
verleitet werden können. Da sind wir im Preußischen 
viel klüger, und bei unserem Eifer zur Bekehrung 
jener Leute, die sich so gut aufs Rechnen verstehen, 
hüten wir uns wohl, das Einmaleins hinter dem Kate-
chismus abdrucken zu lassen.
In der »Krone« zu Klaustal hielt ich Mittag. Ich 
bekam frühlingsgrüne Petersiliensuppe, veilchen-
blauen Kohl, einen Kalbsbraten, groß wie der Chim-
borazo in Miniatur, sowie auch eine Art geräucherter 
Heringe, die Bückinge heißen, nach dem Namen ihres
Erfinders, Wilhelm Bücking, der 1447 gestorben und 
um jener Erfindung willen von Karl V. so verehrt 
wurde, daß derselbe Anno 1556 von Middelburg nach
Bievlied in Seeland reiste, bloß um dort das Grab die-
ses großen Mannes zu sehen. Wie herrlich schmeckt 
doch solch ein Gericht, wenn man die historischen 
Notizen dazu weiß und es selbst verzehrt! Nur der 
Kaffee nach Tische wurde mir verleidet, indem sich 
ein junger Mensch diskursierend zu mir setzte und so 
entsetzlich schwadronierte, daß die Milch auf dem Ti-
sche sauer wurde. Es war ein junger Handlungsbeflis-
sener mit fünfundzwanzig bunten Westen und ebenso-
viel goldenen Petschaften, Ringen Brustnadeln usw. 
Er sah aus wie ein Affe, der eine rote Jacke angezogen
hat und nun zu sich selber sagt: Kleider machen 
Leute. Eine ganze Menge Scharaden wußte er aus-
wendig sowie auch Anekdoten, die er immer da 
anbrachte, wo sie am wenigsten paßten. Er fragte 
mich, was es in Göttingen Neues gäbe, und ich er-
zählte ihm, daß vor meiner Abreise von dort ein De-
kret des akademischen Senats erschienen, worin bei 
drei Taler Strafe verboten wird, den Hunden die 
Schwänze abzuschneiden, indem die tollen Hunde in 
den Hundstagen die Schwänze zwischen den Beinen 
tragen und man sie dadurch von den nichttollen unter-
scheidet, was doch nicht geschehen könnte, wenn sie 
gar keine Schwänze haben. - Nach Tische machte ich
mich auf den Weg, die Gruben, die Silberhütten und 
die Münze zu besuchen.
In den Silberhütten habe ich, wie oft im Leben, den
Silberblick verfehlt. In der Münze traf ich es schon 
besser und konnte zusehen, wie das Geld gemacht 
wird. Freilich, weiter hab ich es auch nie bringen kön-
nen. Ich hatte bei solcher Gelegenheit immer das Zu-
sehen, und ich glaube, wenn mal die Taler vom Him-
mel herunter regneten, so bekäme ich davon nur Lö-
cher in den Kopf, während die Kinder Israel die sil-
berne Manna mit lustigem Mute einsammeln würden. 
Mit einem Gefühle, worin gar komisch Ehrfurcht und 
Rührung gemischt waren, betrachtete ich die neuge-
bornen blanken Taler, nahm einen, der eben vom 
Prägstocke kam, in die Hand und sprach zu ihm: 
»Junger Taler! welche Schicksale erwarten dich! wie-
viel Gutes und wieviel Böses wirst du stiften! wie 
wirst du das Laster beschützen und die Tugend 
flicken, wie wirst du geliebt und dann wieder ver-
wünscht werden! wie wirst du schwelgen, kuppeln, 
lügen und morden helfen! wie wirst du rastlos umher-
irren, durch reine und schmutzige Hände, jahrhunder-
telang, bis du endlich, schuldbeladen und sündenmüd,
versammelt wirst zu den Deinigen im Schoße Abra-
hams, der dich einschmelzt und läutert und umbildet 
zu einem neuen besseren Sein.«
Das Befahren der zwei vorzüglichsten Klaustaler 
Gruben, der »Dorothea« und »Karolina«, fand ich 
sehr interessant, und ich muß ausführlich davon er-
zählen.
Eine halbe Stunde vor der Stadt gelangt man zu 
zwei großen schwärzlichen Gebäuden. Dort wird man
gleich von den Bergleuten in Empfang genommen. 
Diese tragen dunkle, gewöhnlich stahlblaue, weite, 
bis über den Bauch herabhängende Jacken, Hosen 
von ähnlicher Farbe, ein hinten aufgebundenes 
Schurzfell und kleine grüne Filzhüte, ganz randlos, 
wie ein abgekappter Kegel. In eine solche Tracht, 
bloß ohne Hinterleder, wird der Besuchende ebenfalls
eingekleidet, und ein Bergmann, ein Steiger, nachdem
er sein Grubenlicht angezündet, führt ihn nach einer 
dunkeln Öffnung, die wie ein Kaminfegeloch aussieht,
steigt bis an die Brust hinab, gibt Regeln, wie man 
sich an den Leitern festzuhalten habe, und bittet, 
angstlos zu folgen. Die Sache selbst ist nichts weniger
als gefährlich; aber man glaubt es nicht im Anfang, 
wenn man gar nichts vom Bergwerkswesen versteht. 
Es gibt schon eine eigene Empfindung, daß man sich 
ausziehen und die dunkle Delinquenten tracht anzie-
hen muß. Und nun soll man auf allen vieren hinab 
klettern, und das dunkle Loch ist so dunkel, und Gott 
weiß, wie lang die Leiter sein mag. Aber bald merkt 
man doch, daß es nicht eine einzige, in die schwarze 
Ewigkeit hinablaufende Leiter ist, sondern daß es 
mehrere von funfzehn bis zwanzig Sprossen sind, 
deren jede auf ein kleines Brett führt, worauf man ste-
hen kann und worin wieder ein neues Loch nach einer 
neuen Leiter hinableitet. Ich war zuerst in die »Karo-
lina« gestiegen. Das ist die schmutzigste und uner-
freulichste Karolina, die ich je kennengelernt habe. 
Die Leitersprossen sind kotig naß. Und von einer Lei-
ter zur andern geht's hinab, und der Steiger voran, und
dieser beteuert immer, es sei gar nicht gefährlich, nur 
müsse man sich mit den Händen fest an den Sprossen 
halten und nicht nach den Füßen sehen und nicht 
schwindlicht werden und nur beileibe nicht auf das 
Seitenbrett treten, wo jetzt das schnurrende Tonnen-
seil heraufgeht und wo, vor vierzehn Tagen, ein un-
vorsichtiger Mensch hinuntergestürzt und leider den 
Hals gebrochen. Da unten ist ein verworrenes Rau-
schen und Summen, man stößt beständig an Balken 
und Seile, die in Bewegung sind, um die Tonnen mit 
geklopften Erzen oder das hervorgesinterte Wasser 
heraufzuwinden. Zuweilen gelangt man auch in durch-
gehauene Gänge, Stollen genannt, wo man das Erz 
wachsen sieht und wo der einsame Bergmann den 
ganzen Tag sitzt und mühsam mit dem Hammer die 
Erzstücke aus der Wand herausklopft. Bis in die un-
terste Tiefe, wo man, wie einige behaupten, schon 
hören kann, wie die Leute in Amerika »Hurra Lafa-
yette!« schreien, bin ich nicht gekommen; unter uns 
gesagt, dort, bis wohin ich kam, schien es mir bereits 
tief genug: - immerwährendes Brausen und Sausen, 
unheimliche Maschinenbewegung, unterirdisches 
Quellengeriesel, von allen Seiten herabtriefendes 
Wasser, qualmig aufsteigende Erddünste und das 
Grubenlicht immer bleicher hineinflimmernd in die 
einsame Nacht. Wirklich, es war betäubend, das 
Atmen wurde mir schwer, und mit Mühe hielt ich 
mich an den glitschrigen Leitersprossen. Ich habe kei-
nen Anflug von sogenannter Angst empfunden, aber, 
seltsam genug, dort unten in der Tiefe erinnerte ich 
mich, daß ich im vorigen Jahre, ungefähr um dieselbe 
Zeit, einen Sturm auf der Nordsee erlebte, und ich 
meinte jetzt, es sei doch eigentlich recht traulich ange-
nehm, wenn das Schiff hin und her schaukelt, die 
Winde ihre Trompeterstückchen losblasen, zwischen-
drein der lustige Matrosenlärmen erschallt und alles 
frisch überschauert wird von Gottes lieber, freier Luft.
Ja, Luft! - Nach Luft schnappend, stieg ich einige 
Dutzend Leitern wieder in die Höhe, und mein Steiger
führte mich durch einen schmalen, sehr langen, in den
Berg gehauenen Gang nach der Grube »Dorothea«. 
Hier ist es luftiger und frischer, und die Leitern sind 
reiner, aber auch länger und steiler als in der »Karoli-
na«. Hier wurde mir auch besser zumute, besonders 
da ich wieder Spuren lebendiger Menschen gewahrte. 
In der Tiefe zeigten sich nämlich wandelnde Schim-
mer; Bergleute mit ihren Grubenlichtern kamen all-
mählich in die Höhe, mit dem Gruße »Glückauf!«, 
und mit demselben Widergruße von unserer Seite stie-
gen sie an uns vorüber; und wie eine befreundet ruhi-
ge und doch zugleich quälend rätselhafte Erinnerung 
trafen mich, mit ihren tiefsinnig klaren Blicken, die 
ernstfrommen, etwas blassen und vom Grubenlicht 
geheimnisvoll beleuchteten Gesichter dieser jungen 
und alten Männer, die in ihren dunkeln, einsamen 
Bergschachten den ganzen Tag gearbeitet hatten und 
sich jetzt hinaufsehnten nach dem lieben Tageslicht 
und nach den Augen von Weib und Kind.
Mein Cicerone selbst war eine kreuzehrliche, pu-
deldeutsche Natur. Mit innerer Freudigkeit zeigte er 
mir jene Stolle, wo der Herzog von Cambridge, als er 
die Grube befahren, mit seinem ganzen Gefolge ge-
speist hat und wo noch der lange hölzerne Speisetisch
steht sowie auch der große Stuhl von Erz, worauf der 
Herzog gesessen. Dieser bleibe zum ewigen Anden-
ken stehen, sagte der gute Bergmann, und mit Feuer 
erzählte er, wie viele Festlichkeiten damals stattgefun-
den, wie der ganze Stollen mit Lichtern, Blumen und 
Laubwerk verziert gewesen, wie ein Bergknappe die 
Zither gespielt und gesungen, wie der vergnügte, 
liebe, dicke Herzog sehr viele Gesundheiten ausge-
trunken habe und wie viele Bergleute, und er selbst 
ganz besonders, sich gern würden totschlagen lassen 
für den lieben, dicken Herzog und das ganze Haus 
Hannover. - Innig rührt es mich jedesmal, wenn ich 
sehe, wie sich dieses Gefühl der Untertanstreue in sei-
nen einfachen Naturlauten ausspricht. Es ist ein so 
schönes Gefühl! Und es ist ein so wahrhaft deutsches 
Gefühl! Andere Völker mögen gewandter sein und 
witziger und ergötzlicher, aber keines ist so treu wie 
das treue deutsche Volk. Wüßte ich nicht, daß die 
Treue so alt ist wie die Welt, so würde ich glauben, 
ein deutsches Herz habe sie erfunden. Deutsche 
Treue! sie ist keine moderne Adressenfloskel. An 
euren Höfen, ihr deutschen Fürsten, sollte man singen
und wieder singen das Lied von dem getreuen Eckart 
und dem bösen Burgund, der ihm die lieben Kinder 
töten lassen und ihn alsdann doch noch immer treu 
befunden hat. Ihr habt das treueste Volk, und ihr irrt, 
wenn ihr glaubt, der alte, verständige, treue Hund sei 
plötzlich toll geworden und schnappe nach euern ge-
heiligten Waden.
Wie die deutsche Treue, hatte uns jetzt das kleine 
Grubenlicht, ohne viel Geflacker, still und sicher ge-
leitet durch das Labyrinth der Schachten und Stollen; 
wir stiegen hervor aus der dumpfigen Bergnacht, das 
Sonnenlicht strahlt, - Glückauf!
Die meisten Bergarbeiter wohnen in Klaustal und 
in dem damit verbundenen Bergstädtchen Zellerfeld. 
Ich besuchte mehrere dieser wackern Leute, betrachte-
te ihre kleine häusliche Einrichtung, hörte einige ihrer
Lieder, die sie mit der Zither, ihrem Lieblingsinstru-
mente, gar hübsch begleiten, ließ mir alte Bergmär-
chen von ihnen erzählen und auch die Gebete hersa-
gen, die sie in Gemeinschaft zu halten pflegen, ehe sie
in den dunkeln Schacht hinuntersteigen, und manches 
gute Gebet habe ich mitgebetet. Ein alter Steiger 
meinte sogar, ich sollte bei ihnen bleiben und Berg-
mann werden; und als ich dennoch Abschied nahm, 
gab er mir einen Auftrag an seinen Bruder, der in der 
Nähe von Goslar wohnt, und viele Küsse für seine 
liebe Nichte.
So stillstehend ruhig auch das Leben dieser Leute 
erscheint, so ist es dennoch ein wahrhaftes, lebendiges
Leben. Die steinalte, zitternde Frau, die, dem großen 
Schranke gegenüber, hinterm Ofen saß, mag dort 
schon ein Vierteljahrhundert lang gesessen haben, 
und ihr Denken und Fühlen ist gewiß innig verwach-
sen mit allen Ecken dieses Ofens und allen Schnitze-
leien dieses Schrankes. Und Schrank und Ofen leben, 
denn ein Mensch hat ihnen einen Teil seiner Seele 
eingeflößt.
Nur durch solch tiefes Anschauungsleben, durch 
die »Unmittelbarkeit« entstand die deutsche Märchen-
fabel, deren Eigentümlichkeit darin besteht, daß nicht 
nur die Tiere und Pflanzen, sondern auch ganz leblos 
scheinende Gegenstände sprechen und handeln. Sinni-
gem, harmlosem Volke in der stillen, umfriedeten 
Heimlichkeit seiner niedern Berg- oder Waldhütten 
offenbarte sich das innere Leben solcher Gegenstände,
diese gewannen einen notwendigen, konsequenten 
Charakter, eine süße Mischung von phantastischer 
Laune und rein menschlicher Gesinnung; und so 
sehen wir im Märchen, wunderbar und doch als wenn 
es sich von selbst verstände: Nähnadel und Steckna-
del kommen von der Schneiderherberge und verirren 
sich im Dunkeln; Strohhalm und Kohle wollen über 
den Bach setzen und verunglücken; Schippe und 
Besen stehen auf der Treppe und zanken und schmei-
ßen sich; der befragte Spiegel zeigt das Bild der 
schönsten Frau; sogar die Blutstropfen fangen an zu 
sprechen, bange, dunkle Worte des besorglichsten 
Mitleids. - Aus demselben Grunde ist unser Leben in 
der Kindheit so unendlich bedeutend, in jener Zeit ist 
uns alles gleich wichtig, wir hören alles, wir sehen 
alles, bei allen Eindrücken ist Gleichmäßigkeit, statt 
daß wir späterhin absichtlicher werden, uns mit dem 
einzelnen ausschließlicher beschäftigen, das klare 
Gold der Anschauung für das Papiergeld der Bücher-
definitionen mühsam einwechseln und an Lebensbrei-
te gewinnen, was wir an Lebenstiefe verlieren. Jetzt 
sind wir ausgewachsene, vornehme Leute; wir bezie-
hen oft neue Wohnungen, die Magd räumt täglich auf 
und verändert nach Gutdünken die Stellung der Mö-
beln, die uns wenig interessieren, da sie entweder neu 
sind oder heute dem Hans, morgen dem Isaak gehö-
ren; selbst unsere Kleider bleiben uns fremd, wir wis-
sen kaum, wieviel Knöpfe an dem Rocke sitzen, den 
wir eben jetzt auf dem Leibe tragen; wir wechseln ja 
so oft als möglich mit Kleidungsstücken, keines 
derselben bleibt im Zusammenhange mit unserer inne-
ren und äußeren Geschichte; - kaum vermögen wir 
uns zu erinnern, wie jene braune Weste aussah, die 
uns einst soviel Gelächter zugezogen hat und auf 
deren breiten Streifen dennoch die liebe Hand der Ge-
liebten so lieblich ruhte!
Die alte Frau, dem großen Schrank gegenüber, hin-
term Ofen, trug einen geblümten Rock von verschol-
lenem Zeuge, das Brautkleid ihrer seligen Mutter. Ihr 
Urenkel, ein als Bergmann gekleideter, blonder, blit-
zäugiger Knabe, saß zu ihren Füßen und zählte die 
Blumen ihres Rockes, und sie mag ihm von diesem 
Rocke wohl schon viele Geschichtchen erzählt haben, 
viele ernsthafte, hübsche Geschichten, die der Junge 
gewiß nicht so bald vergißt, die ihm noch oft vor-
schweben werden, wenn er bald, als ein erwachsener 
Mann, in den nächtlichen Stollen der »Karolina« ein-
sam arbeitet, und die er vielleicht wiedererzählt, wenn
die liebe Großmutter längst tot ist und er selber, ein 
silberhaariger, erloschener Greis, im Kreise seiner 
Enkel sitzt, dem großen Schranke gegenüber, hinterm 
Ofen.
Ich blieb die Nacht ebenfalls in der »Krone«, wo 
unterdessen auch der Hofrat B. aus Göttingen ange-
kommen war. Ich hatte das Vergnügen, dem alten 
Herrn meine Aufwartung zu machen. Als ich mich ins
Fremdenbuch einschrieb und im Monat Juli blätterte, 
fand ich auch den vielteuern Namen Adelbert von 
Chamisso, den Biographen des unsterblichen Schle-
mihl. Der Wirt erzählte mir, dieser Herr sei in einem 
unbeschreibbar schlechten Wetter angekommen und 
in einem ebenso schlechten Wetter wieder abgereist.
Den andern Morgen mußte ich meinen Ranzen 
nochmals erleichtern, das eingepackte Paar Stiefel 
warf ich über Bord, und ich hob auf meine Füße und 
ging nach Goslar. Ich kam dahin, ohne zu wissen wie.
Nur soviel kann ich mich erinnern: Ich schlenderte 
wieder bergauf, bergab; schaute hinunter in manches 
hübsche Wiesental; silberne Wasser brausten, süße 
Waldvögel zwitscherten, die Herdenglöckchen läute-
ten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der 
lieben Sonne goldig angestrahlt, und oben war die 
blauseidene Decke des Himmels so durchsichtig, daß 
man tief hineinschauen konnte, bis ins Allerheiligste, 
wo die Engel zu den Füßen Gottes sitzen und in den 
Zügen seines Antlitzes den Generalbaß studieren. Ich 
aber lebte noch in dem Traum der vorigen Nacht, den 
ich nicht aus meiner Seele verscheuchen konnte. Es 
war das alte Märchen, wie ein Ritter hinabsteigt in 
einen tiefen Brunnen, wo unten die schönste Prinzes-
sin zu einem starren Zauberschlafe verwünscht ist. Ich
selbst war der Ritter und der Brunnen die dunkle 
Klaustaler Grube, und plötzlich erschienen viele 
Lichter, aus allen Seitenlöchern stürzten die wachsa-
men Zwerglein, schnitten zornige Gesichter, hieben 
nach mir mit ihren kurzen Schwertern, bliesen gellend
ins Horn, daß immer mehr und mehre herzueilten, und
es wackelten entsetzlich ihre breiten Häupter. Wie ich
darauf zuschlug und das Blut herausfloß, merkte ich 
erst, daß es die rotblühenden, langbärtigen Distelköp-
fe waren, die ich den Tag vorher an der Landstraße 
mit dem Stocke abgeschlagen hatte. Da waren sie 
auch gleich alle verscheucht, und ich gelangte in einen
hellen Prachtsaal; in der Mitte stand, weiß verschlei-
ert und wie eine Bildsäule starr und regungslos, die 
Herzgeliebte, und ich küßte ihren Mund, und, beim 
lebendigen Gott, ich fühlte den beseligenden Hauch 
ihrer Seele und das süße Beben der lieblichen Lippen.
Es war mir, als hörte ich, wie Gott rief: »Es werde 
Licht!«, blendend schoß herab ein Strahl des ewigen 
Lichts; aber in demselben Augenblick wurde es wie-
der Nacht, und alles rann chaotisch zusammen in ein 
wildes, wüstes Meer. Ein wildes, wüstes Meer! über 
das gärende Wasser jagten ängstlich die Gespenster 
der Verstorbenen, ihre weißen Totenhemde flatterten 
im Winde, hinter ihnen her, hetzend, mit klatschender 
Peitsche lief ein buntscheckiger Harlekin, und dieser 
war ich selbst - und plötzlich aus den dunkeln Wel-
len reckten die Meerungetüme ihre mißgestalteten 
Häupter und langten nach mir mit ausgebreiteten 
Krallen, und vor Entsetzen erwacht ich.
Wie doch zuweilen die allerschönsten Märchen 
verdorben werden! Eigentlich muß der Ritter, wenn er
die schlafende Prinzessin gefunden hat, ein Stück aus 
ihrem kostbaren Schleier herausschneiden; und wenn 
durch seine Kühnheit ihr Zauberschlaf gebrochen ist 
und sie wieder in ihrem Palast auf dem goldenen 
Stuhle sitzt, muß der Ritter zu ihr treten und spre-
chen: »Meine allerschönste Prinzessin, kennst du 
mich?« Und dann antwortet sie: »Mein allertapferster 
Ritter, ich kenne dich nicht.« Und dieser zeigt ihr als-
dann das aus ihrem Schleier herausgeschnittene 
Stück, das just in denselben wieder hineinpaßt, und 
beide umarmen sich zärtlich, und die Trompeter bla-
sen, und die Hochzeit wird gefeiert.
Es ist wirklich ein eigenes Mißgeschick, daß meine
Liebesträume selten ein so schönes Ende nehmen.
Der Name Goslar klingt so erfreulich, und es knüp-
fen sich daran so viele uralte Kaisererinnerungen, daß
ich eine imposante, stattliche Stadt erwartete. Aber so
geht es, wenn man die Berühmten in der Nähe be-
sieht! Ich fand ein Nest mit meistens schmalen, laby-
rinthisch krummen Straßen, allwo mittendurch ein 
kleines Wasser, wahrscheinlich die Gose, fließt, ver-
fallen und dumpfig, und ein Pflaster, so holprig wie 
Berliner Hexameter. Nur die Altertümlichkeiten der 
Einfassung, nämlich Reste von Mauern, Türmen und 
Zinnen, geben der Stadt etwas Pikantes. Einer dieser 
Türme, der Zwinger genannt, hat so dicke Mauern, 
daß ganze Gemächer darin ausgehauen sind. Der 
Platz vor der Stadt, wo der weitberühmte Schützenhof
gehalten wird, ist eine schöne große Wiese, ringsum 
hohe Berge. Der Markt ist klein, in der Mitte steht ein
Springbrunnen, dessen Wasser sich in ein großes Me-
tallbecken ergießt. Bei Feuersbrünsten wird einigemal
daran geschlagen; es gibt dann einen weitschallenden 
Ton. Man weiß nichts vom Ursprunge dieses 
Beckens. Einige sagen, der Teufel habe es einst, zur 
Nachtzeit, dort auf den Markt hingestellt. Damals 
waren die Leute noch dumm, und der Teufel war auch
dumm, und sie machten sich wechselseitig Geschen-
ke.
Das Rathaus zu Goslar ist eine weiß angestrichene 
Wachtstube. Das daneben stehende Gildenhaus hat 
schon ein besseres Ansehen. Ungefähr von der Erde 
und vom Dach gleich weit entfernt stehen da die 
Standbilder deutscher Kaiser, räucherig schwarz und 
zum Teil vergoldet, in der einen Hand das Zepter, in 
der andern die Weltkugel; sehen aus wie gebratene 
Universitätspedelle. Einer dieser Kaiser hält ein 
Schwert statt des Zepters. Ich konnte nicht erraten, 
was dieser Unterschied sagen soll; und es hat doch 
gewiß seine Bedeutung, da die Deutschen die merk-
würdige Gewohnheit haben, daß sie bei allem, was 
sie tun, sich auch etwas denken.
In Gottschalks »Handbuch« hatte ich von dem ural-
ten Dom und von dem berühmten Kaiserstuhl zu Gos-
lar viel gelesen. Als ich aber beides besehen wollte, 
sagte man mir, der Dom sei niedergerissen und der 
Kaiserstuhl nach Berlin gebracht worden. Wir leben 
in einer bedeutungschweren Zeit: tausendjährige 
Dome werden abgebrochen und Kaiserstühle in die 
Rumpelkammer geworfen.
Einige Merkwürdigkeiten des seligen Doms sind 
jetzt in der Stephanskirche aufgestellt. Glasmalereien,
die wunderschön sind, einige schlechte Gemälde, 
worunter auch ein Lukas Cranach sein soll, ferner ein 
hölzerner Christus am Kreuz und ein heidnischer Op-
feraltar aus unbekanntem Metall; er hat die Gestalt 
einer länglich viereckigen Lade und wird von vier Ka-
ryatiden getragen, die, in geduckter Stellung, die 
Hände stützend über dem Kopfe halten und unerfreu-
lich häßliche Gesichter schneiden. Indessen noch un-
erfreulicher ist das dabeistehende, schon erwähnte 
große hölzerne Kruzifix. Dieser Christuskopf mit na-
türlichen Haaren und Dornen und blutbeschmiertem 
Gesichte zeigt freilich höchst meisterhaft das Hinster-
ben eines Menschen, aber nicht eines gottgebornen 
Heilands. Nur das materielle Leiden ist in dieses Ge-
sicht hineingeschnitzelt, nicht die Poesie des Schmer-
zes. Solch Bild gehört eher in einen anatomischen 
Lehrsaal als in ein Gotteshaus.
Ich logierte in einem Gasthofe nahe dem Markte, 
wo mir das Mittagessen noch besser geschmeckt 
haben würde, hätte sich nur nicht der Herr Wirt mit 
seinem langen, überflüssigen Gesichte und seinen 
langweiligen Fragen zu mir hingesetzt; glücklicher-
weise ward ich bald erlöst durch die Ankunft eines 
andern Reisenden, der dieselben Fragen in derselben 
Ordnung aushalten mußte: quis? quid? ubi? quibus 
auxiliis? cur? quomodo? quando? Dieser Fremde war 
ein alter, müder, abgetragener Mann, der, wie aus sei-
nen Reden hervorging, die ganze Welt durchwandert, 
besonders lang auf Batavia gelebt, viel Geld erworben
und wieder alles verloren hatte und jetzt, nach drei-
ßigjähriger Abwesenheit, nach Quedlinburg, seiner 
Vaterstadt, zurückkehrte - »denn«, setzte er hinzu, 
»unsere Familie hat dort ihr Erbbegräbnis«. Der Herr 
Wirt machte die sehr aufgeklärte Bemerkung, daß es 
doch für die Seele gleichgültig sei, wo unser Leib be-
graben wird. »Haben Sie es schriftlich?« antwortete 
der Fremde, und dabei zogen sich unheimlich schlaue 
Ringe um seine kümmerlichen Lippen und verbliche-
nen Äugelein. »Aber«, setzte er ängstlich begütigend 
hinzu, »ich will darum über fremde Gräber doch 
nichts Böses gesagt haben; - die Türken begraben 
ihre Toten noch weit schöner als wir, ihre Kirchhöfe 
sind ordentlich Gärten, und da sitzen sie auf ihren 
weißen, beturbanten Grabsteinen, unter dem Schatten 
einer Zypresse, und streichen ihre ernsthaften Bärte 
und rauchen ruhig ihren türkischen Tabak, aus ihren 
langen türkischen Pfeifen; - und bei den Chinesen gar
ist es eine ordentliche Lust zuzusehen, wie sie auf den
Ruhestätten ihrer Toten manierlich herumtänzeln und 
beten und Tee trinken und die Geige spielen und die 
geliebten Gräber gar hübsch zu verzieren wissen mit 
allerlei vergoldetem Lattenwerk, Porzellanfigürchen, 
Fetzen von buntem Seidenzeug, künstlichen Blumen 
und farbigen Laternchen - alles sehr hübsch - wie 
weit hab ich noch bis Quedlinburg?«
Der Kirchhof in Goslar hat mich nicht sehr ange-
sprochen. Desto mehr aber jenes wunderschöne 
Lockenköpfchen, das bei meiner Ankunft in der Stadt 
aus einem etwas hohen Parterrefenster lächelnd her-
ausschaute. Nach Tische suchte ich wieder das liebe 
Fenster; aber jetzt stand dort nur ein Wasserglas mit 
weißen Glockenblümchen. Ich kletterte hinauf, nahm 
die artigen Blümchen aus dem Glase, steckte sie ruhig
auf meine Mütze und kümmerte mich wenig um die 
aufgesperrten Mäuler, versteinerten Nasen und Glotz-
augen, womit die Leute auf der Straße, besonders die 
alten Weiber, diesem qualifizierten Diebstahle zusa-
hen. Als ich eine Stunde später an demselben Hause 
vorbeiging, stand die Holde am Fenster, und wie sie 
die Glockenblümchen auf meiner Mütze gewahrte, 
wurde sie blutrot und stürzte zurück. Ich hatte jetzt 
das schöne Antlitz noch genauer gesehen; es war eine 
süße, durchsichtige Verkörperung von Sommerabend-
hauch, Mondschein, Nachtigallenlaut und Rosen-
duft. - Später, als es ganz dunkel geworden, trat sie 
vor die Türe. Ich kam - ich näherte mich - sie zieht 
sich langsam zurück in den dunkeln Hausflur - ich 
fasse sie bei der Hand und sage: »Ich bin ein Liebha-
ber von schönen Blumen und Küssen, und was man 
mir nicht freiwillig gibt, das stehle ich« - und ich 
küßte sie rasch - und wie sie entfliehen will, flüstere 
ich beschwichtigend: »Morgen reis ich fort und 
komme wohl nie wieder« - und ich fühle den gehei-
men Widerdruck der lieblichen Lippen und der klei-
nen Hände - und lachend eile ich von hinnen. Ja, ich 
muß lachen, wenn ich bedenke, daß ich unbewußt 
jene Zauberformel ausgesprochen, wodurch unsere 
Rot- und Blauröcke öfter als durch ihre schnurrbär-
tige Liebenswürdigkeit, die Herzen der Frauen be-
zwingen. »Ich reise morgen fort und komme wohl nie 
wieder!«
Mein Logis gewährte eine herrliche Aussicht nach 
dem Rammelsberg. Es war ein schöner Abend. Die 
Nacht jagte auf ihrem schwarzen Rosse, und die lan-
gen Mähnen flatterten im Winde. Ich stand am Fen-
ster und betrachtete den Mond. Gibt es wirklich einen
Mann im Monde? Die Slawen sagen, er heiße Chlo-
tar, und das Wachsen des Mondes bewirke er durch 
Wasseraufgießen. Als ich noch klein war, hatte ich 
gehört, der Mond sei eine Frucht, die, wenn sie reif 
geworden, vom lieben Gott abgepflückt und zu den 
übrigen Vollmonden in den großen Schrank gelegt 
werde, der am Ende der Welt steht, wo sie mit Bret-
tern zugenagelt ist. Als ich größer wurde, bemerkte 
ich, daß die Welt nicht so eng begrenzt ist und daß 
der menschliche Geist die hölzernen Schranken durch-
brochen und mit einem riesigen Petrischlüssel, mit der
Idee der Unsterblichkeit, alle sieben Himmel aufge-
schlossen hat. Unsterblichkeit! schöner Gedanke! wer
hat dich zuerst erdacht? War es ein Nürnberger 
Spießbürger, der, mit weißer Nachtmütze auf dem 
Kopfe und weißer Tonpfeife im Maule, am lauen 
Sommerabend vor seiner Haustüre saß und recht be-
haglich meinte, es wäre doch hübsch, wenn er nun so 
immer fort, ohne daß sein Pfeifchen und sein Leben-
satemchen ausgingen, in die liebe Ewigkeit hineinve-
getieren könnte! Oder war es ein junger Liebender, 
der in den Armen seiner Geliebten jenen Unsterblich-
keitsgedanken dachte, und ihn dachte, weil er ihn 
fühlte und weil er nichts anders fühlen und denken 
konnte! - Liebe! Unsterblichkeit! - in meiner Brust 
ward es plötzlich so heiß, daß ich glaubte, die Geo-
graphen hätten den Äquator verlegt und er laufe jetzt 
gerade durch mein Herz. Und aus meinem Herzen er-
gossen sich die Gefühle der Liebe, ergossen sich 
sehnsüchtig in die weite Nacht. Die Blumen im Gar-
ten unter meinem Fenster dufteten stärker. Düfte sind 
die Gefühle der Blumen, und wie das Menschenherz 
in der Nacht, wo es sich einsam und unbelauscht 
glaubt, stärker fühlt, so scheinen auch die Blumen, 
sinnig verschämt, erst die umhüllende Dunkelheit zu 
erwarten, um sich gänzlich ihren Gefühlen hinzuge-
ben und sie auszuhauchen in süßen Düften. - Ergießt 
euch, ihr Düfte meines Herzens! und sucht hinter 
jenen Bergen die Geliebte meiner Träume! Sie liegt 
jetzt schon und schläft; zu ihren Füßen knien Engel, 
und wenn sie im Schlafe lächelt, so ist es ein Gebet, 
das die Engel nachbeten; in ihrer Brust liegt der Him-
mel mit allen seinen Seligkeiten, und wenn sie atmet, 
so bebt mein Herz in der Ferne; hinter den seidnen 
Wimpern ihrer Augen ist die Sonne untergegangen, 
und wenn sie die Augen wieder aufschlägt, so ist es 
Tag, und die Vögel singen, und die Herdenglöckchen 
läuten, und die Berge schimmern in ihren smaragde-
nen Kleidern, und ich schnüre den Ranzen und wand-
re.
In jener Nacht, die ich in Goslar zubrachte, ist mir 
etwas höchst Seltsames begegnet. Noch immer kann 
ich nicht ohne Angst daran zurückdenken. Ich bin von
Natur nicht ängstlich, aber vor Geistern fürchte ich 
mich fast so sehr wie der »Östreichische Beobachter«.
Was ist Furcht? Kommt sie aus dem Verstande oder 
aus dem Gemüt? Über diese Frage disputierte ich so 
oft mit dem Doktor Saul Ascher, wenn wir zu Berlin, 
im »Café Royal«, wo ich lange Zeit meinen Mittags-
tisch hatte, zufällig zusammentrafen. Er behauptete 
immer, wir fürchten etwas, weil wir es durch Ver-
nunftschlüsse für furchtbar erkennen. Nur die Ver-
nunft sei eine Kraft, nicht das Gemüt. Während ich 
gut aß und gut trank, demonstrierte er mir fortwäh-
rend die Vorzüge der Vernunft. Gegen das Ende sei-
ner Demonstration pflegte er nach seiner Uhr zu 
sehen, und immer schloß er damit: »Die Vernunft ist 
das höchste Prinzip!« - Vernunft! Wenn ich jetzt die-
ses Wort höre, so sehe ich noch immer den Doktor 
Saul Ascher mit seinen abstrakten Beinen, mit seinem
engen, transzendentalgrauen Leihrock und mit seinem
schroffen, frierend kalten Gesichte, das einem Lehrbu-
che der Geometrie als Kupfertafel dienen konnte. Die-
ser Mann, tief in den Funfzigern, war eine personifi-
zierte grade Linie. In seinem Streben nach dem Positi-
ven hatte der arme Mann sich alles Herrliche aus dem 
Leben herausphilosophiert, alle Sonnenstrahlen, allen 
Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm nichts 
übrig als das kalte, positive Grab. Auf den Apoll von 
Belvedere und auf das Christentum hatte er eine spe-
zielle Malice. Gegen letzteres schrieb er sogar eine 
Broschüre, worin er dessen Unvernünftigkeit und Un-
haltbarkeit bewies. Er hat überhaupt eine ganze 
Menge Bücher geschrieben, worin immer die Ver-
nunft von ihrer eigenen Vortrefflichkeit renommiert 
und wobei es der arme Doktor gewiß ernsthaft genug 
meinte und also in dieser Hinsicht alle Achtung ver-
diente. Darin aber bestand ja eben der Hauptspaß, 
daß er ein so ernsthaft närrisches Gesicht schnitt, 
wenn er dasjenige nicht begreifen konnte, was jedes 
Kind begreift, eben weil es ein Kind ist. Einigemal 
besuchte ich auch den Vernunftdoktor in seinem eige-
nen Hause, wo ich schöne Mädchen bei ihm fand; 
denn die Vernunft verbietet nicht die Sinnlichkeit. Als
ich ihn einst ebenfalls besuchen wollte, sagte mir sein
Bedienter: »Der Herr Doktor ist eben gestorben.« Ich 
fühlte nicht viel mehr dabei, als wenn er gesagt hätte: 
Der Herr Doktor ist ausgezogen.
Doch zurück nach Goslar. »Das höchste Prinzip ist
die Vernunft!« sagte ich beschwichtigend zu mir 
selbst, als ich ins Bett stieg. Indessen, es half nicht. 
Ich hatte eben in Varnhagen von Enses »Deutsche Er-
zählungen«, die ich von Klaustal mitgenommen hatte,
jene entsetzliche Geschichte gelesen, wie der Sohn, 
den sein eigener Vater ermorden wollte, in der Nacht 
von dem Geiste seiner toten Mutter gewarnt wird. Die
wunderbare Darstellung dieser Geschichte bewirkte, 
daß mich während des Lesens ein inneres Grauen 
durchfröstelte. Auch erregen Gespenstererzählungen 
ein noch schauerlicheres Gefühl, wenn man sie auf 
der Reise liest, und zumal des Nachts, in einer Stadt, 
in einem Hause, in einem Zimmer, wo man noch nie 
gewesen: ›Wieviel Gräßliches mag sich schon zuge-
tragen haben auf diesem Flecke, wo du eben liegst?‹ 
so denkt man unwillkürlich. Überdies schien jetzt der 
Mond so zweideutig ins Zimmer herein, an der Wand 
bewegten sich allerlei unberufene Schatten, und als 
ich mich im Bett aufrichtete, um hinzusehen, erblickte
ich -
Es gibt nichts Unheimlicheres, als wenn man bei 
Mondschein das eigene Gesicht zufällig im Spiegel 
sieht. In demselben Augenblicke schlug eine schwer-
fällige, gähnende Glocke, und zwar so lang und lang-
sam, daß ich nach dem zwölften Glockenschlage si-
cher glaubte, es seien unterdessen volle zwölf Stun-
den verflossen und es müßte wieder von vorn anfan-
gen, zwölf zu schlagen. Zwischen dem vorletzten und 
letzten Glockenschlage schlug noch eine andere Uhr, 
sehr rasch, fast keifend gell und vielleicht ärgerlich 
über die Langsamkeit ihrer Frau Gevatterin. Als beide
eiserne Zungen schwiegen und tiefe Todesstille im 
ganzen Hause herrschte, war es mir plötzlich, als 
hörte ich auf dem Korridor, vor meinem Zimmer, 
etwas schlottern und schlappen, wie der unsichere 
Gang eines alten Mannes. Endlich öffnete sich meine 
Tür, und langsam trat herein der verstorbene Doktor 
Saul Ascher. Ein kaltes Fieber rieselte mir durch 
Mark und Bein, ich zitterte wie Espenlaub, und kaum 
wagte ich das Gespenst anzusehen. Er sah aus wie 
sonst, derselbe transzendentalgraue Leibrock, diesel-
ben abstrakten Beine und dasselbe mathematische 
Gesicht; nur war dieses etwas gelblicher als sonst, 
auch der Mund, der sonst zwei Winkel von 22.1/2 
Grad bildete, war zusammengekniffen, und die Au-
genkreise hatten einen größern Radius. Schwankend 
und wie sonst sich auf sein spanisches Röhrchen stüt-
zend, näherte er sich mir, und in seinem gewöhnlichen
mundfaulen Dialekte sprach er freundlich: »Fürchten 
Sie sich nicht, und glauben Sie nicht, daß ich ein Ge-
spenst sei. Es ist Täuschung Ihrer Phantasie, wenn 
Sie mich als Gespenst zu sehen glauben. Was ist ein 
Gespenst? Geben Sie mir eine Definition. Deduzieren 
Sie mir die Bedingungen der Möglichkeit eines Ge-
spenstes. In welchem vernünftigen Zusammenhange 
stände eine solche Erscheinung mit der Vernunft? Die
Vernunft, ich sage die Vernunft -« Und nun schritt 
das Gespenst zu einer Analyse der Vernunft, zitierte 
Kants »Kritik der reinen Vernunft«, 2. Teil, 1. Ab-
schnitt, 2. Buch, 3. Hauptstock, die Unterscheidung 
von Phänomena und Noumena, konstruierte alsdann 
den problematischen Gespensterglauben, setzte einen 
Syllogismus auf den andern und schloß mit dem logi-
schen Beweise, daß es durchaus keine Gespenster 
gibt. Mir unterdessen lief der kalte Schweiß über den 
Rücken, meine Zähne klapperten wie Kastagnetten, 
aus Seelenangst nickte ich unbedingte Zustimmung 
bei jedem Satz, womit der spukende Doktor die Ab-
surdität aller Gespensterfurcht bewies, und derselbe 
demonstrierte so eifrig, daß er einmal in der Zerstreu-
ung statt seiner goldenen Uhr eine Handvoll Würmer 
aus der Uhrtasche zog und, seinen Irrtum bemerkend, 
mit possierlich ängstlicher Hastigkeit wieder einsteck-
te. »Die Vernunft ist das höchste -«, da schlug die 
Glocke eins, und das Gespenst verschwand.
Von Goslar ging ich den andern Morgen weiter, 
halb auf Geratewohl, halb in der Absicht, den Bruder 
des Klaustaler Bergmanns aufzusuchen. Wieder schö-
nes, liebes Sonntagswetter. Ich bestieg Hügel und 
Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu ver-
scheuchen suchte, wanderte freudig durch die schau-
ernden Wälder, und um mein träumendes Haupt klin-
gelten die Glockenblümchen von Goslar. In ihren 
weißen Nachtmänteln standen die Berge, die Tannen 
rüttelten sich den Schlaf aus den Gliedern, der frische 
Morgenwind frisierte ihnen die herabhängenden, grü-
nen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wie-
sental blitzte wie eine diamantenbesäete Golddecke, 
und der Hirt schritt darüber hin mit seiner läutenden 
Herde. Ich mochte mich wohl eigentlich verirrt haben.
Man schlägt immer Seitenwege und Fußsteige ein und
glaubt dadurch näher zum Ziele zu gelangen. Wie im 
Leben überhaupt, geht's uns auch auf dem Harze. 
Aber es gibt immer gute Seelen, die uns wieder auf 
den rechten Weg bringen; sie tun es gern und finden 
noch obendrein ein besonderes Vergnügen daran, 
wenn sie uns mit selbstgefälliger Miene und wohlwol-
lend lauter Stimme bedeuten, welche große Umwege 
wir gemacht, in welche Abgründe und Sümpfe wir 
versinken konnten und welch ein Glück es sei, daß 
wir so wegkundige Leute, wie sie sind, noch zeitig 
angetroffen. Einen solchen Berichtiger fand ich un-
weit der Harzburg. Es war ein wohlgenährter Bürger 
von Goslar, ein glänzend wampiges, dummkluges Ge-
sicht; er sah aus, als habe er die Viehseuche erfunden.
Wir gingen eine Strecke zusammen, und er erzählte 
mir allerlei Spukgeschichten, die hübsch klingen 
konnten, wenn sie nicht alle darauf hinausliefen, daß 
es doch kein wirklicher Spuk gewesen, sondern daß 
die weiße Gestalt ein Wilddieb war und daß die wim-
mernden Stimmen von den eben geworfenen Jungen 
einer Bache (wilden Sau) und das Geräusch auf dem 
Boden von der Hauskatze herrührte. »Nur wenn der 
Mensch krank ist«, setzte er hinzu, »glaubt er Ge-
spenster zu sehen«; was aber seine Wenigkeit anbe-
lange, so sei er selten krank, nur zuweilen leide er an 
Hautübeln, und dann kuriere er sich jedesmal mit 
nüchternem Speichel. Er machte mich auch aufmerk-
sam auf die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in der 
Natur. Die Bäume sind grün, weil Grün gut für die 
Augen ist. Ich gab ihm recht und fügte hinzu, daß 
Gott das Rindvieh erschaffen, weil Fleischsuppen den
Menschen stärken, daß er die Esel erschaffen, damit 
sie den Menschen zu Vergleichungen dienen können, 
und daß er den Menschen selbst erschaffen, damit er 
Fleischsuppen essen und kein Esel sein soll. Mein 
Begleiter war entzückt, einen Gleichgestimmten ge-
funden zu haben, sein Antlitz erglänzte noch freudi-
ger, und bei dem Abschiede war er gerührt.
Solange er neben mir ging, war gleichsam die 
ganze Natur entzaubert, sobald er aber fort war, fin-
gen die Bäume wieder an zu sprechen, und die Son-
nenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen tanz-
ten, und der blaue Himmel umarmte die grüne Erde. 
Ja, ich weiß es besser: Gott hat den Menschen er-
schaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewunde-
re. Jeder Autor, und sei er noch so groß, wünscht, daß
sein Werk gelobt werde. Und in der Bibel, den Me-
moiren Gottes, steht ausdrücklich, daß er die Men-
schen erschaffen zu seinem Ruhm und Preis.
Nach einem langen Hin- und Herwandern gelangte 
ich zu der Wohnung des Bruders meines Klaustaler 
Freundes, übernachtete alldort und erlebte folgendes 
schöne Gedicht:

I

Auf dem Berge steht die Hütte,
Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauscht die grüne Tanne,
Und erglänzt der goldne Mond.

In der Hütte steht ein Lehnstuhl,
Reich geschnitzt und wunderlich,
Der darauf sitzt, der ist glücklich,
Und der Glückliche bin ich!

Auf dem Schemel sitzt die Kleine,
Stützt den Arm auf meinen Schoß;
Äuglein wie zwei blaue Sterne,
Mündlein wie die Purpurros'.

Und die lieben, blauen Sterne
Schaun mich an so himmelgroß,
Und sie legt den Lilienfinger
Schalkhaft auf die Purpurros'.

Nein, es sieht uns nicht die Mutter,
Denn sie spinnt mit großem Fleiß,
Und der Vater spielt die Zither,
Und er singt die alte Weis'.

Und die Kleine flüstert leise,
Leise, mit gedämpftem Laut;
Manches wichtige Geheimnis
Hat sie mir schon anvertraut.

»Aber seit die Muhme tot ist,
Können wir ja nicht mehr gehn
Nach dem Schützenhof zu Goslar,
Und dort ist es gar zu schön.

Hier dagegen ist es einsam,
Auf der kalten Bergeshöh',
Und des Winters sind wir gänzlich
Wie vergraben in dem Schnee.

Und ich bin ein banges Mädchen,
Und ich fürcht mich wie ein Kind
Vor den bösen Bergesgeistern,
Die des Nachts geschäftig sind.«

Plötzlich schweigt die liebe Kleine,
Wie vom eignen Wort erschreckt,
Und sie hat mit beiden Händchen
Ihre Äugelein bedeckt.

Lauter rauscht die Tanne draußen,
Und das Spinnrad schnarrt und brummt,
Und die Zither klingt dazwischen,
Und die alte Weise summt:

»Fürcht dich nicht, du liebes Kindchen,
Vor der bösen Geister Macht;
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
Halten Englein bei dir Wacht!«

II

Tannenbaum, mit grünen Fingern,
Pocht ans niedre Fensterlein,
Und der Mond, der gelbe Lauscher,
Wirft sein süßes Licht herein.

Vater, Mutter schnarchen leise
In dem nahen Schlafgemach,
Doch wir beide, selig schwatzend,
Halten uns einander wach.

»Daß du gar zu oft gebetet,
Das zu glauben wird mir schwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.

Jenes böse, kalte Zucken,
Das erschreckt mich jedesmal,
Doch die dunkle Angst beschwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.

Auch bezweifl' ich, daß du glaubest,
Was so rechter Glauben heißt,
Glaubst wohl nicht an Gott den Vater,
An den Sohn und Heil'gen Geist?«

»Ach, mein Kindchen, schon als Knabe,
Als ich saß auf Mutters Schoß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;

Der die schöne Erd' erschaffen,
Und die schönen Menschen drauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen
Vorgezeichnet ihren Lauf.

Als ich größer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich schon,
Und begriff, und ward vernünftig,
Und ich glaub auch an den Sohn;

An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebräuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.

Jetzo, da ich ausgewachsen,
Viel gelesen, viel gereist,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen
Glaub ich an den Heil'gen Geist.

Dieser tat die größten Wunder,
Und viel größre tut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.

Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleichgeboren,
Sind ein adliges Geschlecht.

Er verscheucht die bösen Nebel
Und das dunkle Hirngespinst,
Das uns Lieb' und Lust verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinst.

Tausend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der Heil'ge Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat sie mutbeseelt.

Ihre teuern Schwerter blitzen,
Ihre guten Banner wehn;
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,
Solche stolze Ritter sehn?

Nun, so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und schaue dreist;
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem Heil'gen Geist.«

III

Still versteckt der Mond sich draußen
Hinterm grünen Tannenbaum,
Und im Zimmer unsre Lampe
Flackert matt und leuchtet kaum.

Aber meine blauen Sterne
Strahlen auf in hellerm Licht,
Und es glüht die Purpurrose,
Und das liebe Mädchen spricht:

»Kleines Völkchen, Wichtelmännchen,
Stehlen unser Brot und Speck,
Abends liegt es noch im Kasten,
Und des Morgens ist es weg.

Kleines Völkchen, unsre Sahne
Nascht es von der Milch, und läßt
Unbedeckt die Schüssel stehen,
Und die Katze säuft den Rest.

Und die Katz' ist eine Hexe,
Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm,
Drüben nach dem Geisterberge,
Nach dem altverfallnen Turm.

Dort hat einst ein Schloß gestanden,
Voller Lust und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Fraun und Knappen
Schwangen sich im Fackeltanz.

Da verwünschte Schloß und Leute
Eine böse Zauberin,
Nur die Trümmer blieben stehen,
Und die Eulen nisten drin.

Doch die sel'ge Muhme sagte:
Wenn man spricht das rechte Wort,
Nächtlich zu der rechten Stunde,
Drüben an dem rechten Ort:

So verwandeln sich die Trümmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder lustig Ritter,
Fraun und Knappentroß;

Und wer jenes Wort gesprochen,
Dem gehören Schloß und Leut',
Pauken und Trompeten huld'gen
Seiner jungen Herrlichkeit.«

Also blühen Märchenbilder
Aus des Mundes Röselein,
Und die Augen gießen drüber
Ihren blauen Sternenschein.

Ihre goldnen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Händ',
Gibt den Fingern hübsche Namen,
Lacht und küßt, und schweigt am End'.

Und im stillen Zimmer alles
Blickt mich an so wohlvertraut;
Tisch und Schrank, mir ist, als hätt ich
Sie schon früher mal geschaut.

Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr,
Und die Zither, hörbar kaum,
Fängt von selber an zu klingen,
Und ich sitze wie im Traum.

»Jetzo ist die rechte Stunde,
Und es ist der rechte Ort;
Staunen würdest du, mein Kindchen,
Spräch ich aus das rechte Wort.

Sprech ich jenes Wort, so dämmert
Und erbebt die Mitternacht,
Bach und Tannen brausen lauter,
Und der alte Berg erwacht.

Zitherklang und Zwergenlieder
Tönen aus des Berges Spalt,
Und es sprießt, wie 'n toller Frühling,
Draus hervor ein Blumenwald;

Blumen, kühne Wunderblumen,
Blätter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und hastig regsam,
Wie gedrängt von Leidenschaft.

Rosen, wild wie rote Flammen,
Sprühn aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie kristallne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.

Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schaun herab mit Sehnsuchtglut;
In der Lilien Riesenkelche
Strömet ihre Strahlenflut.

Doch wir selber, süßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern lustig um uns her.

Du, du wurdest zur Prinzessin,
Diese Hütte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen Ritter,
Fraun und Knappentroß.

Aber ich, ich hab erworben
Dich und alles, Schloß und Leut';
Pauken und Trompeten huld'gen
Meiner jungen Herrlichkeit!«

Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespen-
ster beim dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder berg-
auf und bergab, und vor mir schwebte die schöne 
Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend. Der 
Geist des Gebirges begünstigte mich ganz offenbar; er
wußte wohl, daß so ein Dichtermensch viel Hübsches 
wiedererzählen kann, und er ließ mich diesen Morgen 
seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah. 
Aber auch mich sah der Harz, wie mich nur wenige 
gesehen, in meinen Augenwimpern flimmerten ebenso
kostbare Perlen wie in den Gräsern des Tals. Morgen-
tau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauschen-
den Tannen verstanden mich, ihre Zweige taten sich 
voneinander, bewegten sich herauf und herab, gleich 
stummen Menschen, die mit den Händen ihre Freude 
bezeigen, und in der Ferne klang's wunderbar geheim-
nisvoll, wie Glockengeläute einer verlornen Waldkir-
che. Man sagt, das seien die Herdenglöckchen, die im 
Harz so lieblich, klar und rein gestimmt sind.
Nach dem Stand der Sonne war es Mittag, als ich 
auf eine solche Herde stieß, und der Hirt, ein freund-
lich blonder junger Mensch, sagte mir, der große 
Berg, an dessen Fuß ich stände, sei der alte, weltbe-
rühmte Brocken. Viele Stunden ringsum liegt kein 
Haus, und ich war froh genug, daß mich der junge 
Mensch einlud, mit ihm zu essen. Wir setzten uns nie-
der zu einem Déjeuner dînatoire, das aus Käse und 
Brot bestand; die Schäfchen erhaschten die Krumen, 
die lieben, blanken Kühlein sprangen um uns herum 
und klingelten schelmisch mit ihren Glöckchen und 
lachten uns an mit ihren großen, vergnügten Augen. 
Wir tafelten recht königlich; überhaupt schien mir 
mein Wirt ein echter König, und weil er bis jetzt der 
einzige König ist, der mir Brot gegeben hat, so will 
ich ihn auch königlich besingen.

König ist der Hirtenknabe,
Grüner Hügel ist sein Thron,
Über seinem Haupt die Sonne
Ist die schwere, goldne Kron'.

Ihm zu Füßen liegen Schafe,
Weiche Schmeichler, rotbekreuzt;
Kavaliere sind die Kälber,
Und sie wandeln stolzgespreizt.

Hofschauspieler sind die Böcklein,
Und die Vögel und die Küh',
Mit den Flöten, mit den Glöcklein,
Sind die Kammermusici.

Und das klingt und singt so lieblich,
Und so lieblich rauschen drein
Wasserfall und Tannenbäume,
Und der König schlummert ein.

Unterdessen muß regieren
Der Minister, jener Hund,
Dessen knurriges Gebelle
Widerhallet in der Rund'.

Schläfrig lallt der junge König:
»Das Regieren ist so schwer,
Ach, ich wollt, daß ich zu Hause
Schon bei meiner Kön'gin wär!

In den Armen meiner Kön'gin
Ruht mein Königshaupt so weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!«

Wir nahmen freundschaftlich Abschied, und fröh-
lich stieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich 
eine Waldung himmelhoher Tannen, für die ich, in 
jeder Hinsicht, Respekt habe. Diesen Bäumen ist 
nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht 
worden, und sie haben es sich in der Jugend sauer 
werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen 
Granitblöcken übersäet, und die meisten Bäume muß-
ten mit ihren Wurzeln diese Steine umranken oder 
sprengen und mühsam den Boden suchen, woraus sie 
Nahrung schöpfen können. Hier und da liegen die 
Steine, gleichsam ein Tor bildend, übereinander, und 
oben darauf stehen die Bäume, die nackten Wurzeln 
über jene Steinpforte hinziehend und erst am Fuße 
derselben den Boden erfassend, so daß sie in der frei-
en Luft zu wachsen scheinen. Und doch haben sie sich
zu jener gewaltigen Höhe emporgeschwungen, und 
mit den umklammerten Steinen wie zusammenge-
wachsen, stehen sie fester als ihre bequemen Kollegen
im zahmen Forstboden des flachen Landes. So stehen 
auch im Leben jene großen Männer, die durch das 
Überwinden früher Hemmungen und Hindernisse sich
erst recht gestärkt und befestigt haben. Auf den Zwei-
gen der Tannen kletterten Eichhörnchen, und unter 
denselben spazierten die gelben Hirsche. Wenn ich 
solch ein liebes, edles Tier sehe, so kann ich nicht be-
greifen, wie gebildete Leute Vergnügen daran finden, 
es zu hetzen und zu töten. Solch ein Tier war barm-
herziger als die Menschen und säugte den schmach-
tenden Schmerzenreich der heiligen Genoveva.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter 
durch das dichte Tannengrün. Eine natürliche Treppe 
bildeten die Baumwurzeln. Überall schwellende 
Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den 
schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpol-
stern, bewachsen. Liebliche Kühle und träumerisches 
Quellengemurmel. Hier und da sieht man, wie das 
Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt und die 
nackten Baumwurzeln und Fasern bespült. Wenn man
sich nach diesem Treiben hinabbeugt, so belauscht 
man gleichsam die geheime Bildungsgeschichte der 
Pflanzen und das ruhige Herzklopfen des Berges. An 
manchen Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen 
und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Kaska-
den. Da läßt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht 
so wunderbar, die Vögel singen abgebrochene Sehn-
suchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend Mäd-
chenzungen, wie mit tausend Mädchenaugen schauen 
uns an die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach 
uns aus die wundersam breiten, drollig gezackten 
Blätter, spielend flimmern hin und her die lustigen 
Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräutlein erzählen sich 
grüne Märchen, es ist alles wie verzaubert, es wird 
immer heimlicher und heimlicher, ein uralter Traum 
wird lebendig, die Geliebte erscheint - ach, daß sie so
schnell wieder verschwindet!
Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, 
zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer 
mehr und mehr zusammenzuschrumpfen, bis nur 
Heidelbeer- und Rotbeersträuche und Bergkräuter üb-
rigbleiben. Da wird es auch schon fühlbar kälter. Die 
wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier 
erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher 
Größe. Das mögen wohl die Spielbälle sein, die sich 
die bösen Geister einander zuwerfen in der Walpur-
gisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und 
Mistgabeln einhergeritten kommen und die abenteuer-
lich verruchte Lust beginnt, wie die glaubhafte Amme
es erzählt und wie es zu schauen ist auf den hübschen 
Faustbildern des Meister Retzsch. Ja, ein junger 
Dichter, der auf einer Reise von Berlin nach Göttin-
gen in der ersten Mainacht am Brocken vorbeiritt, be-
merkte sogar, wie einige belletristische Damen auf 
einer Bergecke ihre ästhetische Teegesellschaft hiel-
ten, sich gemütlich die »Abendzeitung« vorlasen, ihre
poetischen Ziegenböckchen, die meckernd den Tee-
tisch umhüpften, als Universalgenies priesen und über
alle Erscheinungen in der deutschen Literatur ihr En-
durteil fällten; doch als sie auch auf den »Ratcliff« 
und »Almansor« gerieten und dem Verfasser alle 
Frömmigkeit und Christlichkeit absprachen, da 
sträubte sich das Haar des jungen Mannes, Entsetzen 
ergriff ihn - ich gab dem Pferde die Sporen und jagte 
vorüber.
In der Tat, wenn man die obere Hälfte des 
Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an 
die ergötzlichen Blocksbergsgeschichten zu denken 
und besonders an die große, mystische, deutsche Na-
tionaltragödie vom Doktor Faust. Mir war immer, als 
ob der Pferdefuß neben mir hinaufklettere und jemand
humoristisch Atem schöpfe. Und ich glaube, auch 
Mephisto muß mit Mühe Atem holen, wenn er seinen 
Lieblingsberg ersteigt; es ist ein äußerst erschöpfen-
der Weg, und ich war froh, als ich endlich das langer-
sehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam.
Dieses Haus, das, wie durch vielfache Abbildungen
bekannt ist, bloß aus einem Parterre besteht und auf 
der Spitze des Berges liegt, wurde erst 1800 vom 
Grafen Stolberg-Wernigerode erbaut, für dessen 
Rechnung es auch, als Wirtshaus, verwaltet wird. Die
Mauern sind erstaunlich dick, wegen des Windes und 
der Kälte im Winter; das Dach ist niedrig, in der 
Mitte desselben steht eine turmartige Warte, und bei 
dem Hause liegen noch zwei kleine Nebengebäude, 
wovon das eine, in frühern Zeiten, den Brockenbesu-
chern zum Obdach diente.
Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine
etwas ungewöhnliche, märchenhafte Empfindung. 
Man ist nach einem langen, einsamen Umhersteigen 
durch Tannen und Klippen plötzlich in ein Wolken-
haus versetzt; Städte, Berge und Wälder blieben 
unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zu-
sammengesetzte, fremde Gesellschaft, von welcher 
man, wie es an dergleichen Orten natürlich ist, fast 
wie ein erwarteter Genosse, halb neugierig und halb 
gleichgültig, empfangen wird. Ich fand das Haus vol-
ler Gäste, und wie es einem klugen Manne geziemt, 
dachte ich schon an die Nacht, an die Unbehaglichkeit
eines Strohlagers; mit hinsterbender Stimme verlangte
ich gleich Tee, und der Herr Brockenwirt war ver-
nünftig genug, einzusehen, daß ich kranker Mensch 
für die Nacht ein ordentliches Bett haben müsse. Die-
ses verschaffte er mir in einem engen Zimmerchen, wo
schon ein junger Kaufmann, ein langes Brechpulver 
in einem braunen Oberrock, sich etabliert hatte.
In der Wirtsstube fand ich lauter Leben und Bewe-
gung. Studenten von verschiedenen Universitäten. Die
einen sind kurz vorher angekommen und restaurieren 
sich, andere bereiten sich zum Abmarsch, schnüren 
ihre Ranzen, schreiben ihre Namen ins Gedächtnis-
buch, erhalten Brockensträuße von den Hausmäd-
chen; da wird in die Wangen gekniffen, gesungen, ge-
sprungen, gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wet-
ter, Fußweg, Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden 
sind auch etwas angesoffen, und diese haben von der 
schönen Aussicht einen doppelten Genuß, da ein Be-
trunkener alles doppelt sieht.
Nachdem ich mich ziemlich rekreiert, bestieg ich 
die Turmwarte und fand daselbst einen kleinen Herrn 
mit zwei Damen, einer jungen und einer ältlichen. Die
junge Dame war sehr schön. Eine herrliche Gestalt, 
auf dem lockigen Haupte ein helmartiger, schwarzer 
Atlashut, mit dessen weißen Federn die Winde spiel-
ten, die schlanken Glieder von einem schwarzseide-
nen Mantel so fest umschlossen, daß die edlen For-
men hervortraten, und das freie, große Auge ruhig 
hinabschauend in die freie, große Welt.
Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an nichts 
als an Zauber- und Wundergeschichten, und jede 
schöne Dame, die Straußfedern auf dem Kopfe trug, 
hielt ich für eine Elfenkönigin, und bemerkte ich gar, 
daß die Schleppe ihres Kleides naß war, so hielt ich 
sie für eine Wassernixe. Jetzt denke ich anders, seit 
ich aus der Naturgeschichte weiß, daß jene symboli-
schen Federn von dem dümmsten Vogel herkommen 
und daß die Schleppe eines Damenkleides auf sehr 
natürliche Weise naß werden kann. Hätte ich mit 
jenen Knabenaugen die erwähnte junge Schöne, in er-
wähnter Stellung, auf dem Brocken gesehen, so würde
ich sicher gedacht haben: das ist die Fee des Berges, 
und sie hat eben den Zauber ausgesprochen, wodurch 
dort unten alles so wunderbar erscheint. Ja, in hohem 
Grade wunderbar erscheint uns alles beim ersten Hin-
abschauen vom Brocken, alle Seiten unseres Geistes 
empfangen neue Eindrücke, und diese, meistens ver-
schiedenartig, sogar sich widersprechend, verbinden 
sich in unserer Seele zu einem großen, noch 
unentworrenen, unverstandenen Gefühl. Gelingt es 
uns, dieses Gefühl in seinem Begriffe zu erfassen, so 
erkennen wir den Charakter des Berges. Dieser Cha-
rakter ist ganz deutsch, sowohl in Hinsicht seiner 
Fehler als auch seiner Vorzüge. Der Brocken ist ein 
Deutscher. Mit deutscher Gründlichkeit zeigt er uns, 
klar und deutlich, wie ein Riesenpanorama, die vielen 
hundert Städte, Städtchen und Dörfer, die meistens 
nördlich liegen, und ringsum alle Berge, Wälder, 
Flüsse, Flächen, unendlich weit. Aber eben dadurch 
erscheint alles wie eine scharf gezeichnete, rein illu-
minierte Spezialkarte, nirgends wird das Auge durch 
eigentlich schöne Landschaften erfreut; wie es denn 
immer geschieht, daß wir deutschen Kompilatoren 
wegen der ehrlichen Genauigkeit, womit wir alles und
alles hingeben wollen, nie daran denken können, das 
einzelne auf eine schöne Weise zu geben. Der Berg 
hat auch so etwas Deutschruhiges, Verständiges, To-
lerantes; eben weil er die Dinge so weit und klar über-
schauen kann. Und wenn solch ein Berg seine Riesen-
augen öffnet, mag er wohl noch etwas mehr sehen als 
wir Zwerge, die wir mit unsern blöden Äuglein auf 
ihm herumklettern. Viele wollen zwar behaupten, der 
Brocken sei sehr philiströse, und Claudius sang: »Der
Blocksberg ist der lange Herr Philister!« Aber das ist 
Irrtum. Durch seinen Kahlkopf, den er zuweilen mit 
einer weißen Nebelkappe bedeckt, gibt er sich zwar 
einen Anstrich von Philiströsität; aber wie bei man-
chen andern großen Deutschen geschieht es aus purer 
Ironie. Es ist sogar notorisch, daß der Brocken seine 
burschikosen, phantastischen Zeiten hat, z.B. die erste
Mainacht. Dann wirft er seine Nebelkappe jubelnd in 
die Lüfte und wird, ebensogut wie wir übrigen, recht 
echtdeutsch romantisch verrückt.
Ich suchte gleich die schöne Dame in ein Gespräch 
zu verflechten: denn Naturschönheiten genießt man 
erst recht, wenn man sich auf der Stelle darüber aus-
sprechen kann. Sie war nicht geistreich, aber aufmerk-
sam sinnig. Wahrhaft vornehme Formen. Ich meine 
nicht die gewöhnliche, steife, negative Vornehmheit, 
die genau weiß, was unterlassen werden muß, sondern
jene seltnere, freie, positive Vornehmheit, die uns 
genau sagt, was wir tun dürfen, und die uns bei aller 
Unbefangenheit die höchste gesellige Sicherheit gibt. 
Ich entwickelte, zu meiner eigenen Verwunderung, 
viele geographische Kenntnisse, nannte der wißbegie-
rigen Schönen alle Namen der Städte, die vor uns 
lagen, suchte und zeigte ihr dieselben auf meiner 
Landkarte, die ich über den Steintisch, der in der 
Mitte der Turmplatte steht, mit echter Dozentenmiene 
ausbreitete. Manche Stadt konnte ich nicht finden, 
vielleicht weil ich mehr mit den Fingern suchte als 
mit den Augen, die sich unterdessen auf dem Gesicht 
der holden Dame orientierten und dort schönere 
Partien fanden als »Schierke« und »Elend«. Dieses 
Gesicht gehörte zu denen, die nie reizen, selten ent-
zücken und immer gefallen. Ich liebe solche Gesich-
ter, weil sie mein schlimmbewegtes Herz zur Ruhe 
lächeln.
In welchem Verhältnis der kleine Herr, der die 
Damen begleitete, zu denselben stehen mochte, konn-
te ich nicht erraten. Es war eine dünne, merkwürdige 
Figur. Ein Köpfchen, sparsam bedeckt mit grauen 
Härchen, die über die kurze Stirn bis an die grünli-
chen Libellenaugen reichten, die runde Nase weit her-
vortretend, dagegen Mund und Kinn sich wieder 
ängstlich nach den Ohren zurückziehend. Dieses Ge-
sichtchen schien aus einem zarten, gelblichen Tone zu
bestehen, woraus die Bildhauer ihre ersten Modelle 
kneten; und wenn die schmalen Lippen zusammen-
kniffen, zogen sich über die Wangen einige tausend 
halbkreisartige, feine Fältchen. Der kleine Mann 
sprach kein Wort, und nur dann und wann, wenn die 
ältere Dame ihm etwas Freundliches zuflüsterte, lä-
chelte er wie ein Mops, der den Schnupfen hat.
Jene ältere Dame war die Mutter der jüngeren, und 
auch sie besaß die vornehmsten Formen. Ihr Auge 
verriet einen krankhaft schwärmerischen Tiefsinn, um 
ihren Mund lag strenge Frömmigkeit, doch schien 
mir's, als ob er einst sehr schön gewesen sei und viel 
gelacht und viele Küsse empfangen und viele erwidert
habe. Ihr Gesicht glich einem Codex palimpsestus, 
wo, unter der neuschwarzen Mönchsschrift eines Kir-
chenvatertextes, die halberloschenen Verse eines alt-
griechischen Liebesdichters hervorlauschen. Beide 
Damen waren mit ihrem Begleiter dieses Jahr in Itali-
en gewesen und erzählten mir allerlei Schönes von 
Rom, Florenz und Venedig. Die Mutter erzählte viel 
von den Raffaelschen Bildern in der Peterskirche; die 
Tochter sprach mehr von der Oper im Theater Fenice.
Derweilen wir sprachen, begann es zu dämmern; 
die Luft wurde noch kälter, die Sonne neigte sich tie-
fer, und die Turmplatte füllte sich mit Studenten, 
Handwerksburschen und einigen ehrsamen Bürgerleu-
ten samt deren Ehefrauen und Töchtern, die alle den 
Sonnenuntergang sehen wollten. Es ist ein erhabener 
Anblick, der die Seele zum Gebet stimmt. Wohl eine 
Viertelstunde standen alle ernsthaft schweigend und 
sahen, wie der schöne Feuerball im Westen allmäh-
lich versank; die Gesichter wurden vom Abendrot an-
gestrahlt, die Hände falteten sich unwillkürlich; es 
war, als ständen wir, eine stille Gemeinde, im Schiffe 
eines Riesendoms und der Priester erhöbe jetzt den 
Leib des Herrn und von der Orgel herab ergösse sich 
Palestrinas ewiger Choral.
Während ich so in Andacht versunken stehe, höre 
ich, daß neben mir jemand ausruft: »Wie ist die Natur
doch im allgemeinen so schön!« Diese Worte kamen 
aus der gefühlvollen Brust meines Zimmergenossen, 
des jungen Kaufmanus. Ich gelangte dadurch wieder 
zu meiner Werkeltagsstimmung, war jetzt imstande, 
den Damen über den Sonnenuntergang recht viel Arti-
ges zu sagen und sie ruhig, als wäre nichts passiert, 
nach ihrem Zimmer zu führen. Sie erlaubten mir auch,
sie noch eine Stunde zu unterhalten. Wie die Erde 
selbst drehte sich unsre Unterhaltung um die Sonne. 
Die Mutter äußerte, die in Nebel versinkende Sonne 
habe ausgesehen wie eine rotglühende Rose, die der 
galante Himmel herabgeworfen in den weit ausgebrei-
teten, weißen Brautschleier seiner geliebten Erde. Die 
Tochter lächelte und meinte, der öftere Anblick sol-
cher Naturerscheinungen schwäche ihren Eindruck. 
Die Mutter berichtigte diese falsche Meinung durch 
eine Stelle aus Goethes Reisebriefen und frug mich, 
ob ich den »Werther« gelesen. Ich glaube, wir spra-
chen auch von Angorakatzen, etruskischen Vasen, 
türkischen Schals, Makkaroni und Lord Byron, aus 
dessen Gedichten die ältere Dame einige Sonnenun-
tergangsstellen, recht hübsch lispelnd und seufzend, 
rezitierte. Der jüngern Dame, die kein Englisch ver-
stand und jene Gedichte kennenlernen wollte, empfahl
ich die Übersetzungen meiner schönen, geistreichen 
Landsmännin, der Baronin Elise von Hohenhausen, 
bei welcher Gelegenheit ich nicht ermangelte, wie ich 
gegen junge Damen zu tun pflege, über Byrons 
Gottlosigkeit, Lieblosigkeit, Trostlosigkeit, und der 
Himmel weiß, was noch mehr, zu eifern.
Nach diesem Geschäfte ging ich noch auf dem 
Brocken spazieren; denn ganz dunkel wird es dort nie.
Der Nebel war nicht stark, und ich betrachtete die 
Umrisse der beiden Hügel, die man den Hexenaltar 
und die Teufelskanzel nennt. Ich schoß meine Pistolen
ab, doch es gab kein Echo. Plötzlich aber höre ich be-
kannte Stimmen und fühle mich umarmt und geküßt. 
Es waren meine Landsleute, die Göttingen vier Tage 
später verlassen hatten und bedeutend erstaunt waren,
mich ganz allein auf dem Blocksberge wiederzufin-
den. Da gab es ein Erzählen und Verwundern und 
Verabreden, ein Lachen und Erinnern, und im Geiste 
waren wir wieder in unserem gelehrten Sibirien, wo 
die Kultur so groß ist, daß die Bären in den Wirtshäu-
sern angebunden werden und die Zobel dem Jäger 
guten Abend wünschen.
Im großen Zimmer wurde eine Abendmahlzeit ge-
halten. Ein langer Tisch mit zwei Reihen hungriger 
Studenten. Im Anfange gewöhnliches Universitätsge-
spräch: Duelle, Duelle und wieder Duelle. Die Gesell-
schaft bestand meistens aus Hallensern, und Halle 
wurde daher Hauptgegenstand der Unterhaltung. Die 
Fensterscheiben des Hofrats Schütz wurden exege-
tisch beleuchtet. Dann erzählte man, daß die letzte 
Cour bei dem König von Zypern sehr glänzend 
gewesen sei, daß er einen natürlichen Sohn erwählt, 
daß er sich eine lichtensteinsche Prinzessin ans linke 
Bein antrauen lassen, daß er die Staatsmätresse abge-
dankt und daß das ganze gerührte Ministerium vor-
schriftmäßig geweint habe. Ich brauche wohl nicht zu 
erwähnen, daß sich dieses auf hallesche Bierwürden 
bezieht. Hernach kamen die zwei Chinesen aufs 
Tapet, die sich vor zwei Jahren in Berlin sehen ließen 
und jetzt in Halle zu Privatdozenten der chinesischen 
Ästhetik abgerichtet werden. Nun wurden Witze ge-
rissen. Man setzte den Fall, ein Deutscher ließe sich 
in China für Geld sehen; und zu diesem Zwecke 
wurde ein Anschlagzettel geschmiedet, worin die 
Mandarinen Tsching-Tschang-Tschung und Hi-Ha-
Ho begutachteten, daß es ein echter Deutscher sei, 
worin ferner seine Kunststücke aufgerechnet wurden, 
die hauptsächlich in Philosophieren, Tabakrauchen 
und Geduld bestanden, und worin noch schließlich 
bemerkt wurde, daß man um zwölf Uhr, welches die 
Fütterungsstunde sei, keine Hunde mitbringen dürfe, 
indem diese dem armen Deutschen die besten Brocken
wegzuschnappen pflegten.
Ein junger Burschenschafter, der kürzlich zur Puri-
fikation in Berlin gewesen, sprach viel von dieser 
Stadt, aber sehr einseitig. Er hatte Wisotzki und das 
Theater besucht; beide beurteilte er falsch. »Schnell 
fertig ist die Jugend mit dem Wort« usw. Er sprach 
von Garderobeaufwand, Schauspieler- und Schauspie-
lerinnenskandal usw. Der junge Mensch wußte nicht, 
daß, da in Berlin überhaupt der Schein der Dinge am 
meisten gilt, was schon die allgemeine Redensart 
»man so duhn« hinlänglich andeutet, dieses Schein-
wesen auf den Brettern erst recht florieren muß und 
daß daher die Intendanz am meisten zu sorgen hat für 
die »Farbe des Barts, womit eine Rolle gespielt 
wird«, für die Treue der Kostüme, die von beeidigten 
Historikern vorgezeichnet und von wissenschaftlich 
gebildeten Schneidern genäht werden. Und das ist 
notwendig. Denn trüge mal Maria Stuart eine Schür-
ze, die schon zum Zeitalter der Königin Anna gehört, 
so würde gewiß der Bankier Christian Gumpel sich 
mit Recht beklagen, daß ihm dadurch alle Illusion 
verlorengehe; und hätte mal Lord Burleigh aus Verse-
hen die Hosen von Heinrich IV. angezogen, so würde 
gewiß die Kriegsrätin von Steinzopf, geb. Lilientau, 
diesen Anachronismus den ganzen Abend nicht aus 
den Augen lassen. Solche täuschende Sorgfalt der Ge-
neralintendant erstreckt sich aber nicht bloß auf 
Schürzen und Hosen, sondern auch auf die darin ver-
wickelten Personen. So soll künftig der Othello von 
einem wirklichen Mohren gespielt werden, den Pro-
fessor Lichtenstein schon zu diesem Behufe aus Afri-
ka verschrieben hat; in »Menschenhaß und Reue« soll
künftig die Eulalia von einem wirklich verlaufenen 
Weibsbilde, der Peter von einem wirklich dummen 
Jungen und der Unbekannte von einem wirklich ge-
heimen Hahnrei gespielt werden, die man alle drei 
nicht erst aus Afrika zu verschreiben braucht. Hatte 
nun obenerwähnter junger Mensch die Verhältnisse 
des Berliner Schauspiels schlecht begriffen, so merkte
er noch viel weniger, daß die Spontinische Janitscha-
renoper, mit ihren Pauken, Elefanten, Trompeten und 
Tamtams, ein heroisches Mittel ist, um unser er-
schlafftes Volk kriegerisch zu stärken, ein Mittel, das 
schon Plato und Cicero staatspfiffig empfohlen haben.
Am allerwenigsten begriff der junge Mensch die di-
plomatische Bedeutung des Balletts. Mit Mühe zeigte
ich ihm, wie in Hoguets Füßen mehr Politik sitzt als 
in Buchholz' Kopf, wie alle seine Tanztouren diplo-
matische Verhandlungen bedeuten, wie jede seiner 
Bewegungen eine politische Beziehung habe, so z.B., 
daß er unser Kabinett meint, wenn er, sehnsüchtig 
vorgebeugt, mit den Händen weit ausgreift; daß er den
Bundestag meint, wenn er sich hundertmal auf einem 
Fuße herumdreht, ohne vom Fleck zu kommen; daß er
die kleinen Fürsten im Sinne hat, wenn er wie mit ge-
bundenen Beinen herumtrippelt; daß er das europäi-
sche Gleichgewicht bezeichnet, wenn er wie ein Trun-
kener hin und her schwankt; daß er einen Kongreß an-
deutet, wenn er die gebogenen Arme knäuelartig in-
einander verschlingt; und endlich, daß er unsern allzu 
großen Freund im Osten darstellt, wenn er in allmäh-
licher Entfaltung sich in die Höhe hebt, in dieser Stel-
lung lange ruht und plötzlich in die erschrecklichsten 
Sprünge ausbricht. Dem jungen Manne fielen die 
Schuppen von den Augen, und jetzt merkte er, warum
Tänzer besser honoriert werden als große Dichter, 
warum das Ballett beim diplomatischen Korps ein un-
erschöpflicher Gegenstand des Gesprächs ist und 
warum oft eine schöne Tänzerin noch privatim von 
dem Minister unterhalten wird, der sich gewiß Tag 
und Nacht abmüht, sich für sein politisches System-
chen empfänglich zu machen. Beim Apis! wie groß ist
die Zahl der exoterischen und wie klein die Zahl der 
esoterischen Theaterbesucher! Da steht das blöde 
Volk und gafft und bewundert Sprünge und Wendun-
gen und studiert Anatomie in den Stellungen der Le-
miere und applaudiert die Entrechats der Röhnisch 
und schwatzt von Grazie, Harmonie und Lenden - 
und keiner merkt, daß er in getanzten Chiffren das 
Schicksal des deutschen Vaterlandes vor Augen hat.
Während solcherlei Gespräche hin- und herflogen, 
verlor man doch das Nützliche nicht aus den Augen, 
und den großen Schüsseln, die mit Fleisch, Kartoffeln
usw. ehrlich angefüllt waren, wurde fleißig zugespro-
chen. Jedoch das Essen war schlecht. Dieses erwähnte
ich leichthin gegen meinen Nachbar, der aber, mit 
einem Akzente, woran ich den Schweizer erkannte, 
gar unhöflich antwortete, daß wir Deutschen, wie mit 
der wahren Freiheit, so auch mit der wahren Genüg-
samkeit unbekannt seien. Ich zuckte die Achseln und 
bemerkte, daß die eigentlichen Fürstenknechte und 
Leckerkramverfertiger überall Schweizer sind und 
vorzugsweise so genannt werden und daß überhaupt 
die jetzigen schweizerischen Freiheitshelden, die so-
viel Politisch-Kühnes ins Publikum hineinschwatzen, 
mir immer vorkommen wie Hasen, die auf öffentli-
chen Jahrmärkten Pistolen abschießen, alle Kinder 
und Bauern durch ihre Kühnheit in Erstaunen setzen 
und dennoch Hasen sind.
Der Sohn der Alpen hatte es gewiß nicht böse ge-
meint, »es war ein dicker Mann, folglich ein guter 
Mann«, sagt Cervantes. Aber mein Nachbar von der 
andern Seite, ein Greifswalder, war durch jene Äuße-
rung sehr pikiert; er beteuerte, daß deutsche Tatkraft 
und Einfältigkeit noch nicht erloschen sei, schlug sich
dröhnend auf die Brust und leerte eine ungeheure 
Stange Weißbier. Der Schweizer sagte: »Nu! Nu!« 
Doch je beschwichtigender er dieses sagte, desto eifri-
ger ging der Greifswalder ins Geschirr. Dieser war ein
Mann aus jenen Zeiten, als die Läuse gute Tage hat-
ten und die Friseure zu verhungern fürchteten. Er trug 
herabhängend langes Haar, ein ritterliches Barett, 
einen schwarzen, altdeutschen Rock, ein schmutziges 
Hemd, das zugleich das Amt einer Weste versah, und 
darunter ein Medaillon mit einem Haarbüschel von 
Blüchers Schimmel. Er sah aus wie ein Narr in Le-
bensgröße. Ich mache mir gern einige Bewegung 
beim Abendessen und ließ mich daher von ihm in 
einen patriotischen Streit verflechten. Er war der Mei-
nung, Deutschland müsse in dreiunddreißig Gauen 
geteilt werden. Ich hingegen behauptete, es müßten 
achtundvierzig sein, weil man alsdann ein systemati-
scheres Handbuch über Deutschland schreiben könne 
und es doch notwendig sei, das Leben mit der Wis-
senschaft zu verbinden. Mein Greifswalder Freund 
war auch ein deutscher Barde, und wie er mir vertrau-
te, arbeitete er an einem Nationalheldengedicht zur 
Verherrlichung Hermanns und der Hermannsschlacht.
Manchen nützlichen Wink gab ich ihm für die Anfer-
tigung dieses Epos. Ich machte ihn darauf aufmerk-
sam, daß er die Sümpfe und Knüppelwege des Teuto-
burger Waldes sehr onomatopöisch durch wäßrige 
und holprige Verse andeuten könne und daß es eine 
patriotische Feinheit wäre, wenn er den Varus und die
übrigen Römer lauter Unsinn sprechen ließe. Ich 
hoffe, dieser Kunstkniff wird ihm, ebenso erfolgreich 
wie andern Berliner Dichtern, bis zur bedenklichsten 
Illusion gelingen.
An unserem Tische wurde es immer lauter und 
traulicher, der Wein verdrängte das Bier, die 
Punschbowlen dampften, es wurde getrunken, 
smolliert und gesungen. Der alte Landesvater und 
herrliche Lieder von W. Müller, Rückert, Uhland 
usw. erschollen. Schöne Methfesselsche Melodien. 
Am allerbesten erklangen unseres Arndts deutsche 
Worte: »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte 
keine Knechte!« Und draußen brauste es, als ob der 
alte Berg mitsänge, und einige schwankende Freunde 
behaupteten sogar, er schüttle freudig sein kahles 
Haupt und unser Zimmer werde dadurch hin und her 
bewegt. Die Flaschen wurden leerer und die Köpfe 
voller. Der eine brüllte, der andere fistulierte, ein drit-
ter deklamierte aus der »Schuld«, ein vierter sprach 
Latein, ein fünfter predigte von der Mäßigkeit, und 
ein sechster stellte sich auf den Stuhl und dozierte: 
»Meine Herren! Die Erde ist eine runde Walze, die 
Menschen sind einzelne Stiftchen darauf, scheinbar 
arglos zerstreut; aber die Walze dreht sich, die Stift-
chen stoßen hier und da an und tönen, die einen oft, 
die andern selten, das gibt eine wunderbare, kompli-
zierte Musik, und diese heißt Weltgeschichte. Wir 
sprechen also erst von der Musik, dann von der Welt 
und endlich von der Geschichte; letztere aber teilen 
wir ein in Positiv und spanische Fliegen -« Und so 
ging's weiter mit Sinn und Unsinn.
Ein gemütlicher Mecklenburger, der seine Nase im 
Punschglase hatte und selig lächelnd den Dampf ein-
schnupfte, machte die Bemerkung, es sei ihm zumute, 
als stände er wieder vor dem Theaterbüfett in Schwe-
rin! Ein anderer hielt sein Weinglas wie ein Perspek-
tiv vor die Augen und schien uns aufmerksam damit 
zu betrachten, während ihm der rote Wein über die 
Backen ins hervortretende Maul hinablief. Der Greifs-
walder, plötzlich begeistert, warf sich an meine Brust 
und jauchzte: »Oh, verständest du mich, ich bin ein 
Liebender, ich bin ein Glücklicher, ich werde wieder-
geliebt, und, Gott verdamm mich! es ist ein gebildetes
Mädchen, denn sie hat volle Brüste und trägt ein wei-
ßes Kleid und spielt Klavier!« - Aber der Schweizer 
weinte und küßte zärtlich meine Hand und wimmerte 
beständig: »O Bäbeli! O Bäbeli!«
In diesem verworrenen Treiben, wo die Teller tan-
zen und die Gläser fliegen lernten, saßen mir gegen-
über zwei Jünglinge, schön und blaß wie Marmorbil-
der, der eine mehr dem Adonis, der andere mehr dem 
Apollo ähnlich. Kaum bemerkbar war der leichte Ro-
senhauch, den der Wein über ihre Wangen hinwarf. 
Mit unendlicher Liebe sahen sie sich einander an, als 
wenn einer lesen könnte in den Augen des andern, 
und in diesen Augen strahlte es, als wären einige 
Lichttropfen hineingefallen aus jener Schale voll lo-
dernder Liebe, die ein frommer Engel dort oben von 
einem Stern zum andern hinüberträgt. Sie sprachen 
leise, mit sehnsuchtbebender Stimme, und es waren 
traurige Geschichten, aus denen ein 
wunderschmerzlicher Ton hervorklang. »Die Lore ist 
jetzt auch tot!« sagte der eine und seufzte, und nach 
einer Pause erzählte er von einem halleschen Mäd-
chen, das in einen Studenten verliebt war und, als die-
ser Halle verließ, mit niemand mehr sprach und wenig
aß und Tag und Nacht weinte und immer den Kanari-
envogel betrachtete, den der Geliebte ihr einst ge-
schenkt hatte. »Der Vogel starb, und bald darauf ist 
auch die Lore gestorben!« so schloß die Erzählung, 
und beide Jünglinge schwiegen wieder und seufzten, 
als wollte ihnen das Herz zerspringen. Endlich sprach
der andere: »Meine Seele ist traurig! Komm mit hin-
aus in die dunkle Nacht! Einatmen will ich den Hauch
der Wolken und die Strahlen des Mondes. Genosse 
meiner Wehmut! ich liebe dich, deine Worte tönen 
wie Rohrgeflüster, wie gleitende Ströme, sie tönen 
wider in meiner Brust, aber meine Seele ist traurig!«
Nun erhoben sich die beiden Jünglinge, einer 
schlang den Arm um den Nacken des andern, und sie 
verließen das tosende Zimmer. Ich folgte ihnen nach 
und sah, wie sie in eine dunkle Kammer traten, wie 
der eine, statt des Fensters, einen großen Kleider-
schrank öffnete, wie beide vor demselben, mit sehn-
süchtig ausgestreckten Armen, stehenblieben und 
wechselweise sprachen. »Ihr Lüfte der dämmernden 
Nacht!« rief der erste, »wie erquickend kühlt ihr 
meine Wangen! Wie lieblich spielt ihr mit meinen 
flatternden Locken! Ich steh auf des Berges wolkigem
Gipfel, unter mir liegen die schlafenden Städte der 
Menschen und blinken die blauen Gewässer. Horch! 
dort unten im Tale rauschen die Tannen! Dort über 
die Hügel ziehen, in Nebelgestalten, die Geister der 
Väter. Oh, könnt ich mit euch jagen, auf dem Wol-
kenroß, durch die stürmische Nacht, über die rollende
See, zu den Sternen hinauf! Aber ach! ich bin beladen
mit Leid, und meine Seele ist traurig!« - Der andere 
Jüngling hatte ebenfalls seine Arme sehnsuchtsvoll 
nach dem Kleiderschrank ausgestreckt, Tränen stürz-
ten aus seinen Augen, und zu einer gelbledernen 
Hose, die er für den Mond hielt, sprach er mit weh-
mütiger Stimme: »Schön bist du, Tochter des Him-
mels! Holdselig ist deines Antlitzes Ruhe! Du wan-
delst einher in Lieblichkeit! Die Sterne folgen deinen 
blauen Pfaden im Osten. Bei deinem Anblick erfreuen
sich die Wolken, und es lichten sich ihre düstern Ge-
stalten. Wer gleicht dir am Himmel, Erzeugte der 
Nacht? Beschämt in deiner Gegenwart sind die Sterne
und wenden ab die grünfunkelnden Augen. Wohin, 
wenn des Morgens dein Antlitz erbleicht, entfliehst du
von deinem Pfade? Hast du gleich mir deine Halle? 
Wohnst du im Schatten der Wehmut? Sind deine 
Schwestern vom Himmel gefallen? Sie, die freudig 
mit dir die Nacht durchwallten, sind sie nicht mehr? 
Ja, sich fielen herab, o schönes Licht, und du 
verbirgst dich oft, sie zu betrauern. Doch einst wird 
kommen die Nacht, und du, auch du bist vergangen 
und hast deine blauen Pfade dort oben verlassen. 
Dann erheben die Sterne ihre grünen Häupter, die 
einst deine Gegenwart beschämt, sich werden sich 
freuen. Doch jetzt bist du gekleidet in deiner 
Strahlenpracht und schaust herab aus den Toren des 
Himmels. Zerreißt die Wolken, o Winde, damit die 
Erzeugte der Nacht hervorzuleuchten vermag und die 
buschigen Berge erglänzen und das Meer seine schäu-
menden Wogen rolle in Licht!«
Ein wohlbekannter, nicht sehr magerer Freund, der 
mehr getrunken als gegessen hatte, obgleich er auch 
heute abend, wie gewöhnlich, eine Portion Rind-
fleisch verschlungen, wovon sechs Gardeleutnants 
und ein unschuldiges Kind satt geworden wären, die-
ser kam jetzt in allzu gutem Humor, d.h. ganz en 
Schwein, vorbeigerannt, schob die beiden elegischen 
Freunde etwas unsanft in den Schrank hinein, polterte
nach der Haustüre und wirtschaftete draußen ganz 
mörderlich. Der Lärm im Saal wurde auch immer ver-
worrener und dumpfer. Die beiden Jünglinge im 
Schranke jammerten und wimmerten, sie lägen zer-
schmettert am Fuße des Berges; aus dem Hals strömte
ihnen der edle Rotwein, sie überschwemmten sich 
wechselseitig, und der eine sprach zum andern: »Lebe
wohl! Ich fühle, daß ich verblute. Warum weckst du 
mich, Frühlingsluft? Du buhlst und sprichst: Ich be-
taue dich mit Tropfen des Himmels. Doch die Zeit 
meines Welkens ist nahe, nahe der Sturm, der meine 
Blätter herabstört! Morgen wird der Wanderer kom-
men, kommen, der mich sah in meiner Schönheit, 
ringsum wird sein Auge im Felde mich suchen und 
wird mich nicht finden.« - Aber alles übertobte die 
wohlbekannte Baßstimme, die draußen vor der Türe, 
unter Fluchen und Jauchzen, sich gottlästerlich be-
klagte, daß auf der ganzen dunkeln Weenderstraße 
keine einzige Laterne brenne und man nicht einmal 
sehen könne, bei wem man die Fensterscheiben einge-
schmissen habe.
Ich kann viel vertragen - die Bescheidenheit er-
laubt mir nicht, die Bouteillenzahl zu nennen -, und 
ziemlich gut konditioniert gelangte ich nach meinem 
Schlafzimmer. Der junge Kaufmann lag schon im 
Bette, mit seiner kreideweißen Nachtmütze und sa-
frangelben Jacke von Gesundheitsflanell. Er schlief 
noch nicht und suchte ein Gespräch mit mir anzu-
knüpfen. Er war ein Frankfurt-am-Mainer, und folg-
lich sprach er gleich von den Juden, die alles Gefühl 
für das Schöne und Edle verloren haben und die eng-
lischen Waren 25 Prozent unter dem Fabrikpreise ver-
kaufen. Es ergriff mich die Lust, ihn etwas zu mystifi-
zieren; deshalb sagte ich ihm, ich sei ein Nachtwand-
ler und müsse im voraus um Entschuldigung bitten, 
für den Fall, daß ich ihn etwa im Schlafe stören 
möchte. Der arme Mensch hat deshalb, wie er mir den
andern Tag gestand, die ganze Nacht nicht geschlafen,
da er die Besorgnis hegte, ich könnte mit meinen Pi-
stolen, die vor meinem Bette lagen, im Nachtwandler-
zustande ein Malheur anrichten. Im Grunde war es 
mir nicht viel besser als ihm gegangen, ich hatte sehr 
schlecht geschlafen. Wüste, beängstigende Phantasie-
gebilde. Ein Klavierauszug aus Dantes »Hölle«. Am 
Ende träumte mir gar, ich sähe die Aufführung einer 
juristischen Oper, die »Falcidia« geheißen, erbrechtli-
cher Text von Gans und Musik von Spontini. Ein tol-
ler Traum. Das römische Forum leuchtete prächtig, 
Serv. Asinius Göschenus als Prätor auf seinem Stuh-
le, die Toga in stolze Falten werfend, ergoß sich in 
polternden Rezitativen; Marcus Tullius Elversus, als 
Primadonna legataria, all seine holde Weiblichkeit of-
fenbarend, sang die liebeschmelzende Bravourarie 
»Quicunque civis romanus«; ziegelrot geschminkte 
Referendarien brüllten als Chor der Unmündigen; Pri-
vatdozenten, als Genien in fleischfarbigen Trikot ge-
kleidet, tanzten ein antejustinianeisches Ballett und 
bekränzten mit Blumen die zwölf Tafeln; unter Don-
ner und Blitz stieg aus der Erde der beleidigte Geist 
der römischen Gesetzgebung, hierauf Posaunen, Tam-
tam, Feuerregen, cum omni causa.
Aus diesem Lärmen zog mich der Brockenwirt, 
indem er mich weckte, um den Sonnenaufgang anzu-
sehen. Auf dem Turm fand ich schon einige Harrende,
die sich die frierenden Hände rieben, andere, noch den
Schlaf in den Augen, taumelten herauf. Endlich stand 
die stille Gemeinde von gestern abend wieder ganz 
versammelt, und schweigend sahen wir, wie am Hori-
zonte die kleine karmoisinrote Kugel emporstieg, eine
winterlich dämmernde Beleuchtung sich verbreitete, 
die Berge wie in einem weißwallenden Meere 
schwammen und bloß die Spitzen derselben sichtbar 
hervortraten, so daß man auf einem kleinen Hügel zu 
stehen glaubte, mitten auf einer überschwemmten 
Ebene, wo nur hier und da eine trockene Erdscholle 
hervortritt. Um das Gesehene und Empfundene in 
Worten festzuhalten, zeichnete ich folgendes Gedicht:

Heller wird es schon im Osten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere schwimmen.

Hätt ich Siebenmeilenstiefel,
Lief' ich mit der Hast des Windes,
Über jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.

Von dem Bettchen, wo sie schlummert,
Zög ich leise die Gardinen,
Leise küßt' ich ihre Stirne,
Leise ihres Munds Rubinen.

Und noch leiser wollt' ich flüstern
In die kleinen Lilienohren
»Denk im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.«

Indessen, meine Sehnsucht nach einem Frühstück 
war ebenfalls groß, und nachdem ich meinen Damen 
einige Höflichkeiten gesagt, eilte ich hinab, um in der 
warmen Stube Kaffee zu trinken. Es tat not; in mei-
nem Magen sah es so nüchtern aus wie in der Goslar-
schen Stephanskirche. Aber mit dem arabischen 
Trank rieselte mir auch der warme Orient durch die 
Glieder, östliche Rosen umdufteten mich, süße Bul-
bullieder erklangen, die Studenten verwandelten sich 
in Kamele, die Brockenhausmädchen, mit ihren Con-
grevischen Blicken, wurden zu Huris, die Philisterna-
sen wurden Minaretts usw.
Das Buch, das neben mir lag, war aber nicht der 
Koran. Unsinn enthielt es freilich genug. Es war das 
sogenannte Brockenbuch, worin alle Reisende, die 
den Berg erstiegen, ihre Namen schreiben und die 
meisten noch einige Gedanken und, in Ermangelung 
derselben, ihre Gefühle hinzunotieren. Viele drücken 
sich sogar in Versen aus. In diesem Buche sieht man, 
welche Greuel entstehen, wenn der große Philistertroß
bei gebräuchlichen Gelegenheiten, wie hier auf dem 
Brocken, sich vorgenommen hat, poetisch zu werden. 
Der Palast des Prinzen von Pallagonia enthält keine 
so große Abgeschmacktheiten wie dieses Buch, wo 
besonders hervorglänzen die Herren Akziseeinnehmer
mit ihren verschimmelten Hochgefühlen, die Kontor-
jünglinge mit ihren pathetischen Seelenergüssen, die 
altdeutschen Revolutionsdilettanten mit ihren Turnge-
meinplätzen, die Berliner Schullehrer mit ihren verun-
glückten Entzückungsphrasen usw. Herr Johannes 
Hagel will sich auch mal als Schriftsteller zeigen Hier
wird des Sonnenaufgangs majestätische Pracht be-
schrieben; dort wird geklagt über schlechtes Wetter, 
über getäuschte Erwartungen, über den Nebel, der alle
Aussicht versperrt. »Benebelt heraufgekommen und 
benebelt hinuntergegangen!« ist ein stehender Witz, 
der hier von Hunderten nachgerissen wird.
Das ganze Buch riecht nach Käse, Bier und Tabak;
man glaubt, einen Roman von Clauren zu lesen.
Während ich nun besagtermaßen Kaffee trank und 
im Brockenbuche blätterte, trat der Schweizer mit 
hochroten Wangen herein, und voller Begeisterung 
erzählte er von dem erhabenen Anblick, den er oben 
auf dem Turm genossen, als das reine, ruhige Licht 
der Sonne, Sinnbild der Wahrheit, mit den 
nächtlichen Nebelmassen gekämpft, daß es ausgese-
hen habe wie eine Geisterschlacht, wo zürnende Rie-
sen ihre langen Schwerter ausstrecken, geharnischte 
Ritter, auf bäumenden Rossen, einherjagen, Streitwa-
gen, flatternde Banner, abenteuerliche Tierbildungen 
aus dem wildesten Gewühle hervortauchen, bis end-
lich alles in den wahnsinnigsten Verzerrungen zusam-
menkräuselt, blasser und blasser zerrinnt und spurlos 
verschwindet. Diese demagogische Naturerscheinung 
hatte ich versäumt, und ich kann, wenn es zur Unter-
suchung kommt, eidlich versichern, daß ich von 
nichts weiß als vom Geschmack des guten braunen 
Kaffees. Ach, dieser war sogar schuld, daß ich meine 
schöne Dame vergessen, und jetzt stand sie vor der 
Tür, mit Mutter und Begleiter, im Begriff, den Wagen
zu besteigen. Kaum hatte ich noch Zeit, hinzueilen 
und ihr zu versichern, daß es kalt sei. Sie schien un-
willig, daß ich nicht früher gekommen; doch ich glät-
tete bald die mißmütigen Falten ihrer schönen Stirn, 
indem ich ihr eine wunderliche Blume schenkte, die 
ich den Tag vorher, mit halsbrechender Gefahr, von 
einer steilen Felsenwand gepflückt hatte. Die Mutter 
verlangte den Namen der Blume zu wissen, gleichsam
als ob sie es unschicklich fände, daß ihre Tochter eine
fremde, unbekannte Blume vor die Brust stecke - 
denn wirklich, die Blume erhielt diesen beneidenswer-
ten Platz, was sie sich gewiß gestern auf ihrer 
einsamen Höhe nicht träumen ließ. Der schweigsame 
Begleiter öffnete jetzt auf einmal den Mund, zählte 
die Staubfäden der Blume und sagte ganz trocken: 
»Sie gehört zur achten Klasse.«
Es ärgert mich jedesmal, wenn ich sehe, daß man 
auch Gottes liebe Blumen, ebenso wie uns, in Kasten 
geteilt hat, und nach ähnlichen Äußerlichkeiten, näm-
lich nach Staubfädenverchiedenheit. Soll doch mal 
eine Einteilung stattfinden, so folge man dem Vor-
schlage Theophrasts, der die Blumen mehr nach dem 
Geiste, nämlich nach ihrem Geruch, einteilen wollte. 
Was mich betrifft, so habe ich in der Naturwissen-
schaft mein eigenes System, und demnach teile ich 
alles ein: in dasjenige, was man essen kann, und in 
dasjenige, was man nicht essen kann.
Jedoch der ältern Dame war die geheimnisvolle 
Natur der Blumen nichts weniger als verschlossen, 
und unwillkürlich äußerte sie, daß sie von den Blu-
men, wenn sie noch im Garten oder im Topfe wach-
sen, recht erfreut werde, daß hingegen ein leises 
Schmerzgefühl, traumhaft beängstigend, ihre Brust 
durchzittere, wenn sie eine abgebrochene Blume 
sehe - da eine solche doch eigentlich eine Leiche sei 
und so eine gebrochene, zarte Blumenleiche ihr wel-
kes Köpfchen recht traurig herabhängen lasse, wie ein
totes Kind. Die Dame war fast erschrocken über den 
trüben Widerschein ihrer Bemerkung, und es war 
meine Pflicht, denselben mit einigen Voltaireschen 
Versen zu verscheuchen. Wie doch ein paar französi-
sche Worte uns gleich in die gehörige Konvenienz-
stimmung zurückversetzen können! Wir lachten, 
Hände wurden geküßt, huldreich wurde gelächelt, die 
Pferde wieherten, und der Wagen holperte, langsam 
und beschwerlich, den Berg hinunter.
Nun machten auch die Studenten Anstalt zum Ab-
reisen, die Ranzen wurden geschnürt, die Rechnun-
gen, die über alle Erwartung billig ausfielen, berich-
tigt; die empfänglichen Hausmädchen, auf deren Ge-
sichtern die Spuren glücklicher Liebe, brachten, wie 
gebräuchlich ist, die Brockensträußchen, halfen sol-
che auf die Mützen befestigen, wurden dafür mit eini-
gen Küssen oder Groschen honoriert, und so stiegen 
wir alle den Berg hinab, indem die einen, wobei der 
Schweizer und Greifswalder, den Weg nach Schierke 
einschlugen und die andern, ungefähr zwanzig Mann, 
wobei auch meine Landsleute und ich, angeführt von 
einem Wegweiser, durch die sogenannten Schneelö-
cher hinabzogen nach Ilsenburg.
Das ging über Hals und Kopf. Hallesche Studenten
marschieren schneller als die östreichische Landwehr.
Ehe ich mich dessen versah, war die kahle Partie des 
Berges mit den darauf zerstreuten Steingruppen schon
hinter uns, und wir kamen durch einen Tannenwald, 
wie ich ihn den Tag vorher gesehen. Die Sonne goß 
schon ihre festlichsten Strahlen herab und beleuchtete 
die humoristisch buntgekleideten Burschen, die so 
munter durch das Dickicht drangen, hier verschwan-
den, dort wieder zum Vorschein kamen, bei Sumpf-
stellen über die quergelegten Baumstämme liefen, bei 
abschüssigen Tiefen an den rankenden Wurzeln klet-
terten, in den ergötzlichsten Tonarten emporjohlten 
und ebenso lustige Antwort zurückerhielten von den 
zwitschernden Waldvögeln, von den rauschenden 
Tannen, von den unsichtbar plätschernden Quellen 
und von dem schallenden Echo. Wenn frohe Jugend 
und schöne Natur zusammenkommen, so freuen sie 
sich wechselseitig.
Je tiefer wir hinabstiegen desto lieblicher rauschte 
das unterirdische Gewässer, nur hier und da, unter 
Gestein und Gestrippe, blinkte es hervor und schien 
heimlich zu lauschen, ob es ans Licht treten dürfe, 
und endlich kam eine kleine Welle entschlossen her-
vorgesprungen. Nun zeigt sich die gewöhnliche Er-
scheinung: ein Kühner macht den Anfang, und der 
große Troß der Zagenden wird plötzlich, zu seinem 
eigenen Erstaunen, von Mut ergriffen und eilt, sich 
mit jenem ersten zu vereinigen. Eine Menge anderer 
Quellen hüpften jetzt hastig aus ihrem Versteck, ver-
banden sich mit der zuerst hervorgesprungenen, und 
bald bildeten sie zusammen ein schon bedeutendes 
Bächlein, das in unzähligen Wasserfällen und in 
wunderlichen Windungen das Bergtal hinabrauscht. 
Das ist nun die Ilse, die liebliche, süße Ilse. Sie zieht 
sich durch das gesegnete Ilsetal, an dessen beiden Sei-
ten sich die Berge allmählich höher erheben, und 
diese sind, bis zu ihrem Fuße, meistens mit Buchen, 
Eichen und gewöhnlichem Blattgesträuche bewach-
sen, nicht mehr mit Tannen und anderm Nadelholz. 
Denn jene Blätterholzart wird vorherrschend auf dem 
»Unterharze«, wie man die Ostseite des Brockens 
nennt, im Gegensatz zur Westseite desselben, die der 
»Oberharz« heißt und wirklich viel höher ist und also 
auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhölzer.
Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, 
Naivetät und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über 
die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, die sie in 
ihrem Laufe findet, so daß das Wasser hier wild em-
porzischt oder schäumend überläuft, dort aus allerlei 
Steinspalten, wie aus tollen Gießkannen, in reinen 
Bögen sich ergießt und unten wieder über die kleinen 
Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die 
Sage ist wahr, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend 
und blühend den Berg hinabläuft. Wie blinkt im Son-
nenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im
Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und 
blitzen ihre Diamanten! Die hohen Buchen stehen 
dabei gleich ernsten Vätern, die verstohlen lächelnd 
dem Mutwillen des lieblichen Kindes zusehen; die 
weißen Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt und 
doch zugleich ängstlich über die gewagten Sprünge; 
der stolze Eichbaum schaut drein wie ein verdrießli-
cher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen soll; die 
Vögelein in den Lüften jubeln ihren Beifall, die Blu-
men am Ufer flüstern zärtlich: »Oh, nimm uns mit, 
nimm uns mit, lieb Schwesterchen!« - aber das lusti-
ge Mädchen springt unaufhaltsam weiter, und plötz-
lich ergreift sie den träumenden Dichter, und es 
strömt auf mich herab ein Blumenregen von klingen-
den Strahlen und strahlenden Klängen, und die Sinne 
vergehen mir vor lauter Herrlichkeit, und ich höre nur 
noch die flötensüße Stimme:

»Ich bin die Prinzessin Ilse,
Und wohne im Ilsenstein;
Komm mit nach meinem Schlosse,
Wir wollen selig sein.

Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well',
Du sollst deine Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!

In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.

Ich will dich küssen und herzen,
Wie ich geherzt und geküßt
Den lieben Kaiser Heinrich,
Der nun gestorben ist.

Es bleiben tot die Toten,
Und nur der Lebendige lebt;
Und ich bin schön und blühend,
Mein lachendes Herze bebt.

Und bebt mein Herz dort unten,
So klingt mein kristallenes Schloß,
Es tanzen die Fräulein und Ritter,
Es jubelt der Knappentroß.

Es rauschen die seidenen Schleppen,
Es klirren die Eisenspor'n,
Die Zwerge trompeten und pauken,
Und fiedeln und blasen das Horn.

Doch dich soll mein Arm umschlingen,
Wie er Kaiser Heinrich umschlang;
Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet' erklang.«

Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erschei-
nungswelt mit unserer Gemütswelt zusammenrinnt 
und grüne Bäume, Gedanken, Vögelgesang, Wehmut,
Himmelsbläue, Erinnerung und Kräuterduft sich in 
süßen Arabesken verschlingen. Die Frauen kennen am
besten dieses Gefühl, und darum mag auch ein so 
holdselig ungläubiges Lächeln um ihre Lippen schwe-
ben, wenn wir mit Schulstolz unsere logischen Taten 
rühmen, wie wir alles so hübsch eingeteilt in objektiv 
und subjektiv, wie wir unsere Köpfe apothekenartig 
mit tausend Schubladen versehen, wo in der einen 
Vernunft, in der andern Verstand, in der dritten Witz, 
in der vierten schlechter Witz und in der fünften gar 
nichts, nämlich die Idee, enthalten ist.
Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich fast nicht 
bemerkt, daß wir die Tiefe des Ilsetales verlassen und 
wieder bergauf stiegen. Dies ging sehr steil und müh-
sam, und mancher von uns kam außer Atem. Doch 
wie unser seliger Vetter, der zu Mölln begraben liegt, 
dachten wir im voraus ans Bergabsteigen und waren 
um so vergnügter. Endlich gelangten wir auf den 
Ilsenstein.
Das ist ein ungeheurer Granitfelsen, der sich lang 
und keck aus der Tiefe erhebt. Von drei Seiten um-
schließen ihn die hohen, waldbedeckten Berge, aber 
die vierte, die Nordseite, ist frei, und hier schaut man 
das unten liegende Ilsenburg und die Ilse, weit hinab 

ins niedere Land. Auf der turmartigen Spitze des Fel-
sens steht ein großes, eisernes Kreuz, und zur Not ist 
da noch Platz für vier Menschenfüße.
Wie nun die Natur, durch Stellung und Form, den 
Ilsenstein mit phantastischen Reizen geschmückt, so 
hat auch die Sage ihren Rosen, allein darüber ausge-
gossen. Gottschalk berichtet: »Man erzählt, hier habe 
ein verwünschtes Schloß gestanden, in welchem die 
reiche, schöne Prinzessin Ilse gewohnt, die sich noch 
jetzt jeden Morgen in der Ilse bade; und wer so glück-
lich ist, den rechten Zeitpunkt zu treffen, werde von 
ihr in den Felsen, wo ihr Schloß sei, geführt und kö-
niglich belohnt!« Andere erzählen von der Liebe des 
Fräuleins Ilse und des Ritters von Westenberg eine 
hübsche Geschichte, die einer unserer bekanntesten 
Dichter romantisch in der »Abendzeitung« besungen 
hat. Andere wieder erzählen anders: Es soll der alt-
sächsische Kaiser Heinrich gewesen sein, der mit Ilse,
der schönen Wasserfee, in ihrer verzauberten Felsen-
burg die kaiserlichsten Stunden genossen. Ein neuerer
Schriftsteller, Herr Niemann, Wohlgeb., der ein Harz-
reisebuch geschrieben, worin er die Gebirgshöhen, 
Abweichungen der Magnetnadel, Schulden der Städte 
und dergleichen mit löblichem Fleiße und genauen 
Zahlen angegeben, behauptet indes: »Was man von 
der schönen Prinzessin Ilse erzählt, gehört dem Fabel-
reiche an.« So sprechen alle diese Leute, denen eine 
solche Prinzessin niemals erschienen ist, wir aber, die
wir von schönen Damen besonders begünstigt wer-
den, wissen das besser. Auch Kaiser Heinrich wußte 
es. Nicht umsonst hingen die altsächsischen Kaiser so
sehr an ihrem heimischen Harze. Man blättere nur in 
der hübschen »Lüneburger Chronik«, wo die guten 
alten Herren in wunderlich treuherzigen Holzschnitten
abkonterfeit sind, wohlgeharnischt, hoch auf ihrem 
gewappneten Schlachtroß, die heilige Kaiserkrone auf
dem teuren Haupte, Zepter und Schwert in festen 
Händen; und auf den lieben, knebelbärtigen Gesich-
tern kann man deutlich lesen, wie oft sie sich nach 
den süßen Herzen ihrer Harzprinzessinnen und dem 
traulichen Rauschen der Harzwälder zurücksehnten, 
wenn sie in der Fremde weilten, wohl gar in dem zi-
tronen- und giftreichen Welschland, wohin sie und 
ihre Nachfolger so oft verlockt wurden von dem Wun-
sche, römische Kaiser zu heißen, einer echtdeutschen 
Titelsucht, woran Kaiser und Reich zugrunde gingen.
Ich rate aber jedem, der auf der Spitze des 
Ilsenstein steht, weder an Kaiser und Reich noch an 
die schöne Ilse, sondern bloß an seine Füße zu den-
ken. Denn als ich dort stand, in Gedanken verloren, 
hörte ich plötzlich die unterirdische Musik des Zau-
berschlosses, und ich sah, wie sich die Berge ringsum
auf die Köpfe stellten und die roten Ziegeldächer zu 
Ilsenburg anfingen zu tanzen und die grünen Bäume 
in der blauen Luft herumflogen, daß es mir blau und 
grün vor den Augen wurde und ich sicher, vom 
Schwindel erfaßt, in den Abgrund gestürzt wäre, 
wenn ich mich nicht, in meiner Seelennot, ans eiserne 
Kreuz festgeklammert hätte. Daß ich, in so mißlicher 
Stellung, dieses letztere getan habe, wird mir gewiß 
niemand verdenken.

Die »Harzreise« ist und bleibt Fragment, und die 
bunten Fäden, die so hübsch hineingesponnen sind, 
um sich im Ganzen harmonisch zu verschlingen, wer-
den plötzlich, wie von der Schere der unerbittlichen 
Parze, abgeschnitten. Vielleicht verwebe ich sie wei-
ter in künftigen Liedern, und was jetzt kärglich ver-
schwiegen ist, wird alsdann vollauf gesagt. Am Ende 
kommt es auch auf eins heraus, wann und wo man 
etwas ausgesprochen hat, wenn man es nur überhaupt 
einmal ausspricht. Mögen die einzelnen Werke im-
merhin Fragmente bleiben, wenn sie nur in ihrer Ver-
einigung ein Ganzes bilden. Durch solche Vereini-
gung mag hier und da das Mangelhafte ergänzt, das 
Schroffe ausgeglichen und das Allzuherbe gemildert 
werden. Dieses würde vielleicht schon bei den ersten 
Blättern der »Harzreise« der Fall sein, und sie könn-
ten wohl einen minder sauern Eindruck hervorbrin-
gen, wenn man anderweitig erführe, daß der Unmut, 
den ich gegen Göttingen im allgemeinen hege, 
obschon er noch größer ist, als ich ihn ausgesprochen,
doch lange nicht so groß ist wie die Verehrung, die 
ich für einige Individuen dort empfinde. Und warum 
sollte ich es verschweigen: Ich meine hier ganz beson-
ders jenen viel teueren Mann, der schon in frühern 
Zeiten sich so freundlich meiner annahm, mir schon 
damals eine innige Liebe für das Studium der Ge-
schichte einflößte, mich späterhin in dem Eifer für 
dasselbe bestärkte und dadurch meinen Geist auf ruhi-
gere Bahnen führte, meinem Lebensmute heilsamere 
Richtungen anwies und mir überhaupt jene histori-
schen Tröstungen bereitete, ohne welche ich die qual-
vollen Erscheinungen des Tages nimmermehr ertragen
würde. Ich spreche von Georg Sartorius, dem großen 
Geschichtsforscher und Menschen dessen Auge ein 
klarer Stern ist in unserer dunkeln Zeit und dessen 
gastliches Herz offensteht für alle fremde Leiden und 
Freuden, für die Besorgnisse des Bettlers und des Kö-
nigs und für die letzten Seufzer untergehender Völker 
und ihrer Götter.
Ich kann nicht umhin, hier ebenfalls anzudeuten, 
daß der Oberharz, jener Teil des Harzes, den ich bis 
zum Anfang des Ilsetals beschrieben habe, bei weitem
keinen so erfreulichen Anblick wie der romantisch 
malerische Unterharz gewährt und in seiner wild-
schroffen, tannendüstern Schönheit gar sehr mit dem-
selben kontrastiert; so wie ebenfalls die drei von der 
Ilse, von der Bode und von der Selke gebildeten Täler
des Unterharzes gar anmutig untereinander kontrastie-
ren, wenn man den Charakter jedes Tales zu personi-
fizieren weiß. Es sind drei Frauengestalten, wovon 
man nicht so leicht zu entscheiden vermag, welche die
schönste sei.
Von der lieben, süßen Ilse, und wie süß und lieb-
lich sie mich empfangen, habe ich schon gesagt und 
gesungen. Die düstere Schöne, die Bode, empfing 
mich nicht so gnädig, und als ich sie im schmiededun-
keln Rübeland zuerst erblickte, schien sie gar mür-
risch und verhüllte sich in einen silbergrauen Regen-
schleier. Aber mit rascher Liebe warf sie ihn ab, als 
ich auf die Höhe der Roßtrappe gelangte, ihr Antlitz 
leuchtete mir entgegen in sonnigster Pracht, aus allen 
Zügen hauchte eine kolossale Zärtlichkeit, und aus 
der bezwungenen Felsenbrust drang es hervor wie 
Sehnsuchtseufzer und schmelzende Laute der Weh-
mut. Minder zärtlich, aber fröhlicher, zeigte sich mir 
die schöne Selke, die schöne, liebenswürdige Dame, 
deren edle Einfalt und heitre Ruhe alle sentimentale 
Familiarität entfernt hält, die aber doch durch ein 
halbverstecktes Lächeln ihren neckenden Sinn verrät; 
und diesem möchte ich es wohl zuschreiben, daß mich
im Selketal gar mancherlei kleines Ungemach heim-
suchte, daß ich, indem ich über das Wasser springen 
wollte, just in die Mitte hineinplumpste, daß nachher, 
als ich das nasse Fußzeug mit Pantoffeln vertauscht 
hatte, einer derselben mir abhanden oder vielmehr 
abfüßen kam, daß mir ein Windstoß die Mütze ent-
führte, daß mir Walddorne die Beine zerfetzten, und 
leider so weiter. Doch all dieses Ungemach verzeihe 
ich gern der schönen Dame, denn sie ist schön. Und 
jetzt steht sie vor meiner Einbildung mit all ihrem 
stillen Liebreiz und scheint zu sagen: »Wenn ich auch
lache, so meine ich es doch gut mit Ihnen, und ich 
bitte Sie, besingen Sie mich.« Die herrliche Bode tritt 
ebenfalls hervor in meiner Erinnerung, und ihr dunk-
les Auge spricht: »Du gleichst mir im Stolz und im 
Schmerze, und ich will, daß du mich liebst.« Auch die
schöne Ilse kommt herangesprungen, zierlich und be-
zaubernd in Miene, Gestalt und Bewegung; sie gleicht
ganz dem holden Wesen, das meine Träume beseligt, 
und ganz wie sie schaut sie mich an, mit unwidersteh-
licher Gleichgültigkeit und doch zugleich so innig, so 
ewig, so durchsichtig wahr - Nun, ich bin Paris, die 
drei Göttinnen stehen vor mir, und den Apfel gebe ich
der schönen Ilse.
Es ist heute der erste Mai; wie ein Meer des Lebens
ergießt sich der Frühling über die Erde, der weiße 
Blütenschaum bleibt an den Bäumen hängen, ein wei-
ter, warmer Nebelglanz verbreitet sich überall; in der 
Stadt blitzen freudig die Fensterscheiben der Häuser, 
an den Dächern bauen die Spatzen wieder ihre 
Nestchen, auf der Straße wandeln die Leute und wun-
dern sich, daß die Luft so angreifend und ihnen selbst 
so wunderlich zumute ist; die bunten Vierlanderinnen 
bringen Veilchensträußer; die Waisenkinder, mit 
ihren blauen Jäckchen und ihren lieben, unehelichen 
Gesichtchen, ziehen über den Jungfernstieg und freu-
en sich, als sollten sie heute einen Vater wiederfinden;
der Bettler an der Brücke schaut so vergnügt, als hätte
er das Große Los gewonnen; sogar den schwarzen, 
noch ungehenkten Makler, der dort mit seinem spitz-
bübischen Manufakturwarengesicht einherläuft, be-
scheint die Sonne mit ihren tolerantesten Strahlen - 
ich will hinauswandern vor das Tor.
Es ist der erste Mai, und ich denke deiner, du schö-
ne Ilse - oder soll ich dich »Agnes« nennen, weil dir 
dieser Name am besten gefällt? -, ich denke deiner, 
und ich möchte wieder zusehen, wie du leuchtend den 
Berg hinabläufst. Am liebsten aber möchte ich unten 
im Tale stehen und dich auffangen in meine Arme. - 
Es ist ein schöner Tag! Überall sehe ich die grüne 
Farbe, die Farbe der Hoffnung. Überall, wie holde 
Wunder, blühen hervor die Blumen, und auch mein 
Herz will wieder blühen. Dieses Herz ist auch eine 
Blume, eine gar wunderliche. Es ist kein bescheidenes
Veilchen, keine lachende Rose, keine reine Lilie oder 
sonstiges Blümchen, das mit artiger Lieblichkeit den 
Mädchensinn erfreut und sich hübsch vor den 
hübschen Busen stecken läßt und heute welkt und 
morgen wieder blüht. Dieses Herz gleicht mehr jener 
schweren, abenteuerlichen Blume aus den Wäldern 
Brasiliens, die der Sage nach alle hundert Jahre nur 
einmal blüht. Ich erinnere mich, daß ich als Knabe 
eine solche Blume gesehen. Wir hörten in der Nacht 
einen Schuß, wie von einer Pistole, und am folgenden 
Morgen erzählten mir die Nachbarskinder, daß es ihre
Aloe gewesen, die mit solchem Knalle plötzlich auf-
geblüht sei. Sie führten mich in ihren Garten, und da 
sah ich zu meiner Verwunderung, daß das niedrige, 
harte Gewächs mit den närrisch breiten, scharfgezack-
ten Blättern, woran man sich leicht verletzen konnte, 
jetzt ganz in die Höhe geschossen war und oben, wie 
eine goldene Krone, die herrlichste Blüte trug. Wir 
Kinder konnten nicht mal so hoch hinaufsehen, und 
der alte, schmunzelnde Christian, der uns liebhatte, 
baute eine hölzerne Treppe um die Blume herum, und
da kletterten wir hinauf, wie die Katzen, und schauten
neugierig in den offenen Blumenkelch, woraus die 
gelben Strahlenfäden und wildfremden Düfte mit un-
erhörter Pracht hervordrangen.
Ja, Agnes, oft und leicht kommt dieses Herz nicht 
zum Blühen; soviel ich mich erinnere, hat es nur ein 
einziges Mal geblüht, und das mag schon lange her 
sein, gewiß schon hundert Jahr. Ich glaube, so herr-
lich auch damals seine Blüte sich entfaltete, so mußte 
sie doch aus Mangel an Sonnenschein und Wärme 
elendiglich verkümmern, wenn sie nicht Bar von 
einem dunkeln Wintersturme gewaltsam zerstört wor-
den. Jetzt aber regt und drängt es sich wieder in mei-
ner Brust, und hörst da plötzlich den Schuß - Mäd-
chen, erschrick nicht! ich hab mich nicht totgeschos-
sen, sondern meine Liebe sprengt ihre Knospe und 
schießt empor in strahlenden Liedern, in ewigen Di-
thyramben, in freudigster Sangesfülle.
Ist dir aber diese hohe Liebe zu hoch, Mädchen, so 
mach es dir bequem und besteige die hölzerne Treppe
und schaue von dieser hinab in mein blühendes Herz.
Es ist noch früh am Tage, die Sonne hat kaum die 
Hälfte ihres Weges zurückgelegt, und mein Herz duf-
tet schon so stark, daß es mir betäubend zu Kopfe 
steigt, daß ich nicht mehr weiß, wo die Ironie aufhört 
und der Himmel anfängt, daß ich die Luft mit meinen 
Seufzern bevölkere und daß ich selbst wieder zerrin-
nen möchte in süße Atome, in die unerschaffene Gott-
heit; - wie soll das erst gehen, wenn es Nacht wird 
und die Sterne am Himmel erscheinen, »die unglück-
sel'gen Sterne, die dir sagen können --«
Es ist der erste Mai, der lumpigste Ladenschwengel
hat heute das Recht, sentimental zu werden, und dem 
Dichter wolltest du es verwehren?


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