Geschrieben den 29. November 1830
Es war eine niedergedrückte, arretierte Zeit in
Deutschland, als ich den zweiten Band der »Reisebil-
der« schrieb und während des Schreibens drucken
ließ. Ehe er aber erschien, verlautete schon etwas
davon im Publikum, es hieß, mein Buch wolle den
eingeschüchterten Freiheitsmut wieder aufmuntern
und man treffe schon Maßregeln, es ebenfalls zu un-
terdrücken. Bei solchem Gerüchte war es ratsam, das
Werk um so schneller zu fördern und aus der Presse
zu jagen. Da es eine gewisse Bogenzahl enthalten
mußte, um den Ansprüchen einer hochlöblichen Zen-
sur zu entgehen, so glich ich in jener Not dem Benve-
nuto Cellini, als er beim Guß des Perseus nicht Erz
genug hatte und, zur Füllung der Form, alle zinnernen
Teller, die ihm zur Hand lagen, in den Schmelzofen
warf. Es war gewiß leicht, das Zinn, besonders das
zinnerne Ende des Buches, von dem besseren Erze zu
unterscheiden; doch wer das Handwerk verstand, ver-
riet den Meister nicht.
Wie aber alles in der Welt wiederkehren kann, so
geschieht es auch, daß sich zufälligerweise bei diesen
»Nachträgen« eine ähnliche Bedrängnis ereignet, und
ich habe wieder eine Menge Zinn in den Guß werfen
müssen, und ich wünsche, daß man meine Zinngieße-
reien nur der Zeitnot zuschreibe.
Ach! ist ja das ganze Buch aus der Zeitnot hervor-
gegangen, ebenso wie die früheren Schriften ähnlicher
Richtung; die näheren Freunde des Verfassers, die
seiner Privatverhältnisse kundig sind, wissen sehr gut,
wie wenig ihn die eigne Selbstsucht zur Tribüne
drängt und wie groß die Opfer sind, die er bringen
muß, für jedes freie Wort, das er seitdem gesprochen
- und, will's Gott!, noch sprechen wird. Jetzt ist das
Wort eine Tat, deren Folgen sich nicht abmessen las-
sen; kann doch keiner genau wissen, ob er nicht gar
am Ende als Blutzeuge auftreten muß für das Wort.
Seit mehreren Jahren warte ich vergebens auf das
Wort jener kühnen Redner, die einst in den Versamm-
lungen der deutschen Burschenschaft so oft ums Wort
baten und mich so oft durch ihre rhetorischen Talente
überwunden und eine so vielversprechende Sprache
gesprochen; sie waren sonst so vorlaut und sind jetzt
so nachstill. Wie schmähten sie damals die Franzen
und das welsche Babel und den undeutschen, frivolen
Vaterlandsverräter, der das Franzentum lobte. Jenes
Lob hat sich bewährt in der großen Woche.
Ach, die große Woche von Paris! Der Freiheitsmut,
der von dort herüberwehte nach Deutschland, hat frei-
lich hie und da die Nachtlichter umgeworfen, so daß
die roten Gardinen an einigen Thronen in Brand
gerieten und die goldnen Kronen heiß wurden unter
den lodernden Schlafmützen; - aber die alten Hä-
scher, denen die Reichspolizei anvertraut, schleppen
schon die Löscheimer herbei und schnüffeln jetzt um
so wachsamer und schmieden um so fester die heimli-
chen Ketten, und ich merke schon, unsichtbar wölbt
sich eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche
Volk.
Armes, gefangenes Volk! verzage nicht in deiner
Not - Oh, daß ich Katapulta sprechen könnte! Oh,
daß ich Falarika hervorschießen könnte aus meinem
Herzen!
Von meinem Herzen schmilzt die vornehme Eis-
rinde, eine seltsame Wehmut beschleicht mich - ist es
Liebe, und gar Liebe für das deutsche Volk? Oder ist
es Krankheit? - meine Seele bebt, und es brennt mir
im Auge, und das ist ein ungünstiger Zustand für
einen Schriftsteller, der den Stoff beherrschen und
hübsch objektiv bleiben soll, wie es die Kunstschule
verlangt und wie es auch Goethe getan - er ist achtzig
Jahr dabei alt geworden und Minister und wohlha-
bend - armes deutsches Volk! das ist dein größter
Mann!
Es fehlen mir noch einige Oktavseiten, und ich will
deshalb noch eine Geschichte erzählen - sie schwebt
mir schon seit gestern im Sinne -, es ist eine Ge-
schichte aus dem Leben Karls V. Doch ist es schon
lange her, seit ich sie vernahm, und ich weiß die be-
sonderen Umstände nicht mehr ganz genau. So was
vergißt sich leicht, wenn man kein bestimmtes Gehalt
dafür bezieht, daß man die alten Geschichten alle
halbe Jahre vom Hefte abliest. Was ist aber auch
daran gelegen, wenn man die Ortsnamen und Jahrzah-
len der Geschichten vergessen hat; wenn man nur ihre
innere Bedeutung, ihre Moral, im Gedächtnisse behal-
ten. Diese ist es eigentlich, die mir im Sinne klingt
und mich wehmütig bis zu Tränen stimmt. Ich fürch-
te, ich werde krank.
Der arme Kaiser war von seinen Feinden gefangen-
genommen und saß in schwerer Haft. Ich glaube, es
war in Tirol. Da saß er, in einsamer Betrübnis, verlas-
sen von allen seinen Rittern und Höflingen, und kei-
ner kam ihm zu Hülfe. Ich weiß nicht, ob er schon da-
mals jenes käsebleiche Gesicht hatte, wie es auf den
Bildern von Holbein abkonterfeit ist. Aber die men-
schenverachtende Unterlippe trat gewiß noch gewalt-
samer hervor als auf jenen Bildern. Mußte er doch die
Leute verachten, die, im Sonnenschein des Glückes,
ihn so ergeben umwedelt und ihn jetzt allein ließen in
dunkler Not. Da öffnete sich plötzlich die Kerkertüre,
und herein trat ein verhüllter Mann, und wie dieser
den Mantel zurückschlug, erkannte der Kaiser seinen
treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren. Dieser
brachte ihm Trost und Rat, und es war der Hofnarr.
Oh, deutsches Vaterland! teures deutsches Volk!
ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen
eigentliches Amt die Kurzweil und der dich nur belu-
stigen sollte in guten Tagen, er dringt in deinen Ker-
ker zur Zeit der Not; hier unter dem Mantel bringe ich
dir dein starkes Zepter und die schöne Krone - er-
kennst du mich nicht, mein Kaiser? Wenn ich dich
nicht befreien kann, so will ich dich wenigstens trö-
sten, und du sollst jemanden um dir haben, der mit dir
schwatzt über die bedränglichste Drangsal und dir
Mut einspricht und dich liebhat und dessen bester
Spaß und bestes Blut zu deinen Diensten steht. Denn
du, mein Volk, bist der wahre Kaiser, der wahre Herr
der Lande - dein Wille ist souverän und viel legitimer
als jenes purpurne Tel est notre plaisir, das sich auf
ein göttliches Recht beruft, ohne alle andre Gewähr
als die Salbadereien geschorener Gaukler - dein
Wille, mein Volk, ist die alleinig rechtmäßige Quelle
aller Macht. Wenn du auch in Fesseln daniederliegst,
so siegt doch am Ende dein gutes Recht, es naht der
Tag der Befreiung, eine neue Zeit beginnt - mein
Kaiser, die Nacht ist vorüber, und draußen glüht das
Morgenrot.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du irrst dich, ein
blankes Beil hältst du vielleicht für eine Sonne, und
das Morgenrot ist nichts als Blut.«
»Nein, mein Kaiser, es ist die Sonne, obgleich sie
im Westen hervorsteigt - seit sechstausend Jahren sah
man sie immer aufgehen im Osten, da wird es wohl
Zeit, daß sie mal eine Verändrung vornehme in ihrem
Lauf.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du hast ja die
Schellen verloren von deiner roten Mütze, und sie hat
jetzt so ein seltsames Ansehen, die rote Mütze.«
»Ach, mein Kaiser, ich habe ob Eurer Not so wü-
tend ernsthaft den Kopf geschüttelt, daß die närri-
schen Schellen abfielen von der Mütze; sie ist aber
darum nicht schlechter geworden.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, was bricht und
kracht da draußen?«
»Seid still! das ist die Säge und die Zimmermann-
saxt, und bald brechen zusammen die Pforten Eures
Kerkers, und Ihr seid frei, mein Kaiser!«
»Bin ich denn wirklich Kaiser? Ach, es ist ja der
Narr, der es mir sagt!«
»Oh, seufzt nicht, mein lieber Herr, die Kerkerluft
macht Euch so verzagt; wenn Ihr erst wieder Eure
Macht errungen, fühlt Ihr auch wieder das kühne Kai-
serblut in Euren Adern, und Ihr seid stolz wie ein
Kaiser und übermütig und genädig und ungerecht und
lächelnd und undankbar, wie Fürsten sind.«
»Kunz von der Rosen, mein Narr, wenn ich wieder
frei werde, was willst du dann anfangen?«
»Ich will mir dann neue Schellen an meine Mütze
nähen.«
»Und wie soll ich deine Treue belohnen?«
»Ach! lieber Herr, laßt mich nicht umbringen.«