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Reise von München nach Genua

Kapitel I-X | Kapitel XI-XX | Kapitel XXI-XXX | Kapitel XXXI-XXXIV

und

Die Bäder von Lucca

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Kapitel XXI-XXX

Kapitel XXI

Ich ging bald zu Bette, schlief bald ein und ver-
wickelte mich in närrische Träume. Ich träumte mich 
nämlich wieder einige Stunden zurück, ich kam wie-
der an in Trient, ich staunte wie der wie vorher, und 
jetzt um so mehr, da lauter Blumen statt Menschen in 
den Straßen spazierengingen.
Da wandelten glühende Nelken, die sich wollüstig 
fächerten, kokettierende Balsaminen, Hyazinthen mit 
hübschen leeren Glockenköpfchen, hinterher ein Troß
von schnurrbärtigen Narzissen und tölpelhaften Rit-
tersporen. An der Ecke zankten sich zwei Maßlieb-
chen. Aus dem Fenster eines alten Hauses von krank-
haftem Aussehen guckte eine gesprenkelte Levkoje, 
gar närrisch buntgeputzt, und hinter ihr erklang eine 
niedlich duftende Veilchenstimme. Auf dem Balkon 
des großen Palazzos am Markte war der ganze Adel 
versammelt, die hohe Noblesse, nämlich jene Lilien, 
die nicht arbeiten und nicht spinnen und sich doch 
ebenso prächtig dünken wie König Salomon in all 
seiner Herrlichkeit. Auch die dicke Obstfrau glaubte 
ich dort zu sehen; doch als ich genauer hinblickte, war
es nur eine verwinterte Ranunkel, die gleich auf mich 
loskeifte: »Was wollen Sie unreife Blite? Sie saure 
Jurke? Sie ordinäre Blume mit man eenen Stoobfaden 
Ich will Ihnen schon begießen!« Vor Angst eilte ich 
in den Dom und überrannte fast ein altes hinkendes 
Stiefmütterchen, das sich von einem Gänseblümchen 
das Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war es 
wieder recht angenehm; in langen Reihen saßen da 
Tulpen von allen Farben und bewegten andächtig die 
Köpfe. Im Beichtstuhl saß ein schwarzer Rettich, und 
vor ihm kniete eine Blume, deren Gesicht nicht zum 
Vorschein kam. Doch sie duftete so wohlbekannt 
schauerlich, daß ich seltsamerweise wieder an die 
Nachtviole dachte die im Zimmer stand, wo die tote 
Maria lag.
Als ich wieder aus dem Dome trat, begegnete mir 
ein Leichenzug von lauter Rosen mit schwarzen Flö-
ren und weißen Taschentüchern, und ach! auf der 
Bahre lag die frühzerrissene Rose, die ich am Busen 
der kleinen Harfenistin kennengelernt. Sie sah jetzt 
noch viel anmutiger aus, aber ganz kreideblaß, eine 
weiße Rosenleiche. Bei einer kleinen Kapelle wurde 
der Sarg niedergesetzt; da gab es nichts als Weinen 
und Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatschrose
hervor und hielt eine lange Leichenpredigt, worin sie 
viel schwatzte von den Tugenden der Hingeschiede-
nen, von einem irdischen Katzenjammertal, von einem
besseren Sein, von Liebe, Hoffnung und Glaube, alles
in einem näselnd singenden Tone, eine breitgewäs-
serte Rede und so lang und langweilig, daß ich davon 
erwachte.

Kapitel XXII

Mein Vetturin hatte früher denn Helios seine Gäule
angeschirrt, und schon um Mittagszeit erreichten wir 
Ala. Hier pflegen die Vetturine einige Stunden zu hal-
ten, um ihre Wagen zu wechseln.
Ala ist schon ein echt italienisches Nest. Die Lage 
ist pittoresk, an einem Berghang, ein Fluß rauscht 
vorbei, heitergrüne Weinreben umranken hie und da 
die übereinanderstolpernden, zusammengeflickten 
Bettlerpaläste. An der Ecke des windschiefen Mark-
tes, der so klein ist wie ein Hühnerhof, steht mit groß-
mächtigen gigantischen Buchstaben Piazza di San 
Marco. Auf dem steinernen Bruchstück eines großen, 
altadligen Wappenschilds saß dort ein kleiner Knabe 
und notdürftelte. Die blanke Sonne beschien seine 
naive Rückseite, und in den Händen hielt er ein papi-
ernes Heiligenbild, das er vorher inbrünstig küßte. 
Ein kleines, bildschönes Mädchen stand betrach-
tungsvoll daneben und blies zuweilen akompagnie-
rend in eine hölzerne Kindertrompete.
Das Wirtshaus, wo ich einkehrte und zu Mittag 
speiste, war ebenfalls schon von echt italienischer 
Art. Oben, auf dem ersten Stockwerk, eine freie Estra-
de mit der Aussicht nach dem Hofe, wo zerschlagene 
Wagen und sehnsüchtige Misthaufen lagen, 
Truthähne mit närrisch roten Schnabellappen und bet-
telstolze Pfauen einherspazierten und ein halb Dut-
zend zerlumpter, sonnverbrannter Buben sich nach 
der Bell- und Lancasterschen Methode lausten. Auf 
jener Estrade, längs dem gebrochenen Eisengeländer, 
gelangt man in ein weites, hallendes Zimmer. Fußbo-
den von Marmor, in der Mitte ein breites Bett, worauf
die Flöhe Hochzeit halten; überall großartiger 
Schmutz. Der Wirt sprang hin und her, um meine 
Wünsche zu vernehmen. Er trug einen hastig grünen 
Leibrock und ein vielfältig bewegtes Gesicht, worin 
eine lange, höckerige Nase, mit einer haarigen, roten 
Warze, die mitten darauf saß wie ein rotjäckiger Affe 
auf dem Rücken eines Kamels. Er sprang hin und her,
und es war dann, als ob das rote Äffchen auf seiner 
Nase ebenfalls hin und her spränge. Es dauerte aber 
eine Stunde, ehe er das mindeste brachte, und wenn 
ich deshalb schalt, so beteuerte er, daß ich schon sehr 
gut italienisch spreche.
Ich mußte mich lange mit dem lieblichen Braten-
duft begnügen, der mir entgegenwogte aus der türlo-
sen Küche gegenüber, wo Mutter und Tochter neben-
einander saßen und sangen und Hühner rupften. Er-
stere war remarkabel korpulent; Brüste, die sich über-
reichlich hervorbäumten, die jedoch noch immer klein
waren im Vergleich mit dem kolossalen Hintergestell,
so daß jene erst die Institutionen zu sein schienen, 
dieses aber ihre erweiterte Ausführung als Pandekten. 
Die Tochter, eine nicht sehr große, aber stark geform-
te Person, schien sich ebenfalls zur Korpulenz hinzu-
neigen; aber ihr blühendes Fett war keineswegs mit 
dem alten Talg der Mutter zu vergleichen. Ihre Ge-
sichtszüge waren nicht sanft, nicht jugendlich liebrei-
zend, jedoch schön gemessen, edel, antik; Locken und
Augen brennend schwarz. Die Mutter hingegen hatte 
flache, stumpfe Gesichtszüge, eine rosenrote Nase, 
blaue Augen, wie Veilchen in Milch gekocht, und lili-
enweiß gepuderte Haare. Dann und wann kam der 
Wirt, il Signor padre, herangesprungen und fragte 
nach irgendeinem Geschirr oder Geräte, und im Rezi-
tativ bekam er die ruhige Weisung, es selbst zu su-
chen. Dann schnalzte er mit der Zunge, kramte in den 
Schränken, kostete aus den kochenden Töpfen, ver-
brannte sich das Maul und sprang wieder fort und mit
ihm sein Nasenkamel und das rote Äffchen. Hinter 
ihnen drein schlugen dann die lustigsten Triller, wie 
liebreiche Verhöhnung und Familienneckerei.
Aber diese gemütliche, fast idyllische Wirtschaft 
unterbrach plötzlich ein Donnerwetter; ein vierschrö-
tiger Kerl mit einem brüllenden Mordgesicht stürzte 
herein und schrie etwas, das ich nicht verstand. Als 
beide Frauenzimmer verneinend die Köpfe schüttel-
ten, geriet er in die tollste Wut und spie Feuer und 
Flamme, wie ein kleiner Vesuv, der sich ärgert. Die 
Wirtin schien in Angst zu geraten und flüsterte begü-
tigende Worte, die aber eine entgegengesetzte Wir-
kung hervorbrachten, so daß der rasende Mensch eine 
eiserne Schaufel ergriff, einige unglückliche Teller 
und Flaschen zerschlug und auch die arme Frau ge-
schlagen haben würde, hätte nicht die Tochter ein lan-
ges Küchenmesser erfaßt und ihn niederzustechen ge-
droht, im Fall er nicht sogleich abzöge.
Es war ein schöner Anblick, das Mädchen stand 
da, blaßgelb und vor Zorn erstarrend, wie ein Mar-
morbild, die Lippen ebenfalls bleich, die Augen tief 
und tödlich, eine blaugeschwollene Ader quer über 
der Stirn, die schwarzen Locken wie flatternde 
Schlangen, in den Händen ihr blutiges Messer - Ich 
schauerte vor Lust, denn leibhaftig sah ich vor mir 
das Bild der Medea, wie ich es oft geträumt in meinen
Jugendnächten, wenn ich entschlummert war an dem 
lieben Herzen Melpomenes, der finster schönen Göt-
tin.
Während dieser Szene kam der Signor padre nicht 
im mindesten aus dem Geleise, mit geschäftiger See-
lenruhe raffte er die Scherben vom Boden auf, suchte 
die Teller zusammen, die noch am Leben geblieben, 
brachte mir darauf: Zuppa mit Parmesankäse, einen 
Braten derb und fest wie deutsche Treue, Krebse rot 
wie Liebe, grünen Spinat wie Hoffnung mit Eier und 
zum Dessert gestovte Zwiebeln, die mir Tränen der 
Rührung aus den Augen lockten. »Das hat nichts zu 
bedeuten, das ist nun mal Pietros Methode«, sprach 
er, als ich verwundert nach der Küche zeigte; und 
wirklich, nachdem der Urheber des Zanks sich ent-
fernt hatte, schien es, als ob dort gar nichts vorgefal-
len sei, Mutter und Tochter saßen wieder ruhig nach 
wie vor und sangen und rupften Hühner.
Die Rechnung überzeugte mich, daß auch der Si-
gnor padre sich aufs Rupfen verstand, und als ich ihm
dennoch, außer der Zahlung, etwas für die gute Hand 
gab, da nieste er so vergnügt stark, daß das Äffchen 
beinah von seinem Sitze herabgefallen wäre. Hierauf 
winkte ich freundlich hinüber nach der Küche, freund-
lich war der Gegengruß, bald saß ich in dem einge-
tauschten Wagen, fuhr rasch hinab in die lombardi-
sche Ebene und erreichte gegen Abend die uralte, 
weltberühmte Stadt Verona.

Kapitel XXIII

Die bunte Gewalt der neuen Erscheinungen beweg-
te mich in Trient nur dämmernd und ahndungsvoll, 
wie Märchenschauer; in Verona aber erfaßte sie mich 
wie ein mächtiger Fiebertraum voll heißer Farben, 
scharfbestimmter Formen, gespenstischer Trompeten-
klänge und fernen Waffengeräusches. Da war manch 
verwitterter Palast, der mich so stier ansah, als wollte 
er mir ein altes Geheimnis anvertrauen und er scheu-
ete sich nur vor dem Gewühl der zudringlichen 
Tagesmenschen und bäte mich, zur Nachtzeit wieder-
zukommen. Jedoch trotz dem Gelärm des Volkes und 
trotz der wilden Sonne, die ihr rotes Licht hineingoß, 
hat doch hie und da ein alter dunkler Turm mir ein be-
deutendes Wort zugeworfen, hie und da vernahm ich 
das Geflüster gebrochener Bildsäulen, und als ich gar 
über eine kleine Treppe ging, die nach der Piazza de' 
Signori führte, da erzählten mir die Steine eine furcht-
bar blutige Geschichte, und ich las an der Ecke die 
Worte: Scala Mazzanti.
Verona, die uralte, weltberühmte Stadt, gelegen auf
beiden Seiten der Etsch, war immer gleichsam die 
erste Station für die germanischen Wandervölker, die 
ihre kaltnordischen Wälder verließen und über die 
Alpen stiegen, um sich im güldenen Sonnenschein des
lieblichen Italiens zu erlustigen. Einige zogen weiter 
hinab, anderen gefiel es schon gut genug am Orte 
selbst, und sie machten es sich heimatlich bequem 
und zogen seidne Hausgewänder an und ergingen sich
friedlich unter Blumen und Zypressen, bis neue An-
kömmlinge, die noch ihre frischen Eisenkleider anhat-
ten, aus dem Norden kamen und sie verdrängten - 
eine Geschichte, die sich oft wiederholte und von den 
Historikern die Völkerwanderung genannt wird. 
Wandelt man jetzt durch das Weichbild Veronas, so 
findet man überall die abenteuerlichen Spuren jener 
Tage sowie auch die Spuren der älteren und der späte-
ren Zeiten. An die Römer mahnt besonders das Am-
phitheater und der Triumphbogen; an die Zeit des 
Theoderichs, des Dietrichs von Bern, von dem die 
Deutschen noch singen und sagen, erinnern die fabel-
haften Reste so mancher byzantinisch vorgotischen 
Bauwerke; tolle Trümmer erinnern an König Alboin 
und seine wütenden Longobarden; sagenreiche Denk-
male mahnen an Carolum Magnum, dessen Paladine 
an der Pforte des Doms ebenso fränkisch roh gemei-
ßelt sind, wie sie gewiß im Leben gewesen - es will 
uns bedünken, als sei die Stadt eine große Völkerher-
berge, und gleichwie man in Wirtshäusern seinen 
Namen auf Wand und Fenster zu schreiben pflegt, so 
habe dort jedes Volk die Spuren seiner Anwesenheit 
zurückgelassen, freilich oft nicht in der leserlichsten 
Schrift, da mancher deutsche Stamm noch nicht 
schreiben konnte und sich damit behelfen mußte, zum
Andenken etwas zu zertrümmern, welches auch hin-
reichend war, da diese Trümmer noch deutlicher spre-
chen als zierliche Buchstaben. Die Barbaren, welche 
jetzt die alte Herberge bezogen haben, werden nicht 
ermangeln, ebensolche Denkmäler ihrer holden Ge-
genwart zu hinterlassen, da es ihnen an Bildhauern 
und Dichtern fehlt, um sich durch mildere Mittel im 
Andenken der Menschen zu erhalten.
Ich blieb nur einen Tag in Verona, in beständiger 
Verwunderung ob des nie Gesehenen, anstarrend jetzt
die altertümlichen Gebäude, dann die Menschen, die 
in geheimnisvoller Hast dazwischen wimmelten, und 
endlich wieder den gottblauen Himmel, der das seltsa-
me Ganze wie ein kostbarer Rahmen umschloß und 
dadurch gleichsam zu einem Gemälde erhob. Es ist 
aber eigen, wenn man in dem Gemälde, das man eben 
betrachtet hat, selbst steckt und hie und da von den 
Figuren desselben angelächelt wird und gar von den 
weiblichen, wie's mir auf der Piazza delle Erbe so 
lieblich geschah. Das ist nämlich der Gemüsemarkt, 
und da gab es vollauf ergötzliche Gestalten, Frauen 
und Mädchen, schmachtend großäugige Gesichter, 
süße wöhnliche Leiber, reizend gelb, naiv schmutzig, 
geschaffen viel mehr für die Nacht als für den Tag. 
Der weiße oder schwarze Schleier, den die 
Stadtfrauen auf dem Haupte tragen, war so listig um 
den Busen geschlagen, daß er die schonen Formen 
mehr verriet als verbarg. Die Mägde trugen Chignons,
durchstochen mit einem oder mehreren goldnen Pfei-
len, auch wohl mit einem eichelköpfigen Silber-
stäbchen. Die Bäuerinnen hatten meist kleine tellerar-
tige Strohhütchen mit kokettierenden Blumen an die 
eine Seite des Kopfes gebunden. Die Tracht der Män-
ner war minder abweichend von der unsrigen, und nur
die ungeheuern schwarzen Backenbärte, die aus der 
Krawatte hervorbuschten, waren mir hier, wo ich 
diese Mode zuerst bemerkte, etwas auffallend.
Betrachtete man aber genauer diese Menschen, die 
Männer wie die Frauen, so entdeckte man, in ihren 
Gesichtern und in ihrem ganzen Wesen, die Spuren 
einer Zivilisation, die sich von der unsrigen insofern 
unterscheidet, daß sie nicht aus der Mittelalterbarba-
rei hervorgegangen, sondern noch aus der Römerzeit 
herrührt, nie ganz vertilgt worden ist und sich nur 
nach dem jedesmaligen Charakter der Landesherr-
scher modifiziert hat. Die Zivilisation hat bei diesen 
Menschen keine so auffallend neue Politur wie bei 
uns, wo die Eichenstämme erst gestern gehobelt wor-
den sind und alles noch nach Firnis riecht. Es scheint 
uns, als habe dieses Menschengewühl auf der Piazza 
delle Erbe im Laufe der Zeiten nur allmählich Röcke 
und Redensarten gewechselt und der Geist der Gesit-
tung habe sich dort wenig verändert. Die Gebäude 
aber, die diesen Platz umgeben, mögen nicht so leicht 
imstande gewesen sein, mit der Zeit fortzuschreiten; 
doch schauen sie darum nicht minder anmutig, und ihr
Anblick bewegt wunderbar unsre Seele. Da stehen 
hohe Paläste im venezianisch-lombardischen Stil, mit 
unzähligen Balkonen und lachenden Freskobildern; in
der Mitte erhebt sich eine einzelne Denksäule, ein 
Springbrunnen und eine steinerne Heilige; hier schaut
man den launig rot und weiß gestreiften Podestà, der 
hinter einem mächtigen Pfeilertor emporragt; dort 
wieder erblickt man einen altviereckigen Kirchturm, 
woran oben der Zeiger und das Zifferblatt der Uhr zur
Hälfte zerstört ist, so daß es aussieht, als wolle die 
Zeit sich selber vernichten - über dem ganzen Platz 
liegt derselbe romantische Zauber, der uns so lieblich 
anweht aus den phantastischen Dichtungen des Ludo-
vico Ariosto oder des Ludovico Tieck.
Nahe bei diesem Platze steht ein Haus, das man 
wegen eines Hutes, der über dem inneren Tor in Stein 
gemeißelt ist, für den Palast der Capulets hält. Es ist 
jetzt eine schmutzige Kneipe für Fuhrleute und Kut-
scher, und als Herbergeschild hängt davor ein roter, 
durchlöcherter Blechhut. Unfern, in einer Kirche, 
zeigt man auch die Kapelle, worin, der Sage nach, das
unglückliche Liebespaar getraut worden. Ein Dichter 
besucht gern solche Orte, wenn er auch selbst lächelt 
über die Leichtgläubigkeit seines Herzens. Ich fand in
dieser Kapelle ein einsames Frauenzimmer, ein küm-
merlich verblichenes Wesen, das, nach langem Knien 
und Beten, seufzend aufstand, aus kranken, stillen 
Augen mich befremdet ansah und endlich, wie mit ge-
brochenen Gliedern, fortschwankte.
Auch die Grabmäler der Scaliger sind unfern der 
Piazza delle Erbe. Sie sind so wundersam prächtig 
wie dieses stolze Geschlecht selbst, und es ist schade, 
daß sie in einem engen Winkel stehen, wo sie sich 
gleichsam zusammendrängen müssen, um sowenig 
Raum als möglich einzunehmen, und wo auch dem 
Beschauer nicht viel Platz bleibt, um sie ordentlich zu
betrachten. Es ist, als sähen wir hier die geschichtli-
che Erscheinung dieses Geschlechtes vergleichnist; 
diese füllt ebenfalls nur einen kleinen Winkel in der 
allgemeinen italienischen Geschichte, aber dieser 
Winkel ist gedrängt voll von Tatenglanz, Gesin-
nungspracht und Übermutsherrlichkeit. Wie in der 
Geschichte, so sieht man sie auch auf ihren Monu-
menten, stolze, eiserne Ritter auf eisernen Rossen, vor
allen herrlich Can Grande, der Oheim, und Mastino, 
der Neffe.

Kapitel XXIV

Über das Amphitheater von Verona haben viele ge-
sprochen; man hat dort Platz genug zu Betrachtungen,
und es gibt keine Betrachtungen, die sich nicht in den 
Kreis dieses berühmten Bauwerks einfangen ließen. 
Es ist ganz in jenem ernsten tatsächlichen Stil gebaut,
dessen Schönheit in der vollendeten Solidität besteht 
und, wie alle öffentlichen Gebäude der Römer, einen 
Geist ausspricht, der nichts anders ist als der Geist 
von Rom selbst. Und Rom? Wer ist so gesund 
unwissend, daß nicht heimlich bei diesem Namen sein
Herz erbebte und nicht wenigstens eine traditionelle 
Furcht seine Denkkraft aufrüttelte? Was mich betrifft,
so gestehe ich, daß mein Gefühl mehr Angst als Freu-
de enthielt, wenn ich daran dachte, bald umherzuwan-
deln auf dem Boden der alten Roma. »Die alte Roma 
ist ja jetzt tot«, beschwichtigte ich die zagende Seele, 
»und du hast die Freude, ihre schöne Leiche ganz 
ohne Gefahr zu betrachten.« Aber dann stieg wieder 
das Falstaffsche Bedenken in mir auf: Wenn sie aber 
doch nicht ganz tot wäre und sich nur verstellt hätte 
und sie stände plötzlich wieder auf - es wäre entsetz-
lich!
Als ich das Amphitheater besuchte, wurde just Ko-
mödie darin gespielt; eine kleine Holzbude war näm-
lich in der Mitte errichtet, darauf ward eine italieni-
sche Posse aufgeführt, und die Zuschauer saßen unter 
freiem Himmel, teils auf kleinen Stühlchen, teils auf 
den hohen Steinbänken des alten Amphitheaters. Da 
saß ich nun und sah Brighellas und Tartaglias Spie-
gelfechtereien auf derselben Stelle, wo der Römer 
einst saß und seinen Gladiatoren und Tierhetzen 
zusah. Der Himmel über mir, die blaue Kristallschale,
war noch derselbe wie damals. Es dunkelte allmäh-
lich, die Sterne schimmerten hervor, Truffaldino lach-
te, Smeraldina jammerte, endlich kam Pantalone und 
legte ihre Hände ineinander. Das Volk klatschte 
Beifall und zog jubelnd von dannen. Das ganze Spiel 
hatte keinen Tropfen Blut gekostet. Es war aber nur 
ein Spiel. Die Spiele der Römer hingegen waren keine
Spiele, diese Männer konnten sich nimmermehr am 
bloßen Schein ergötzen, es fehlte ihnen dazu die kind-
liche Seelenheiterkeit, und ernsthaft, wie sie waren, 
zeigte sich auch in ihren Spielen der barste, blutigste 
Ernst. Sie waren keine große Menschen, aber durch 
ihre Stellung waren sie größer als andre Erdenkinder, 
denn sie standen auf Rom. Sowie sie von den sieben 
Hügeln herabstiegen, waren sie klein. Daher die 
Kleinlichkeit, die wir da entdecken, wo ihr Privatle-
ben sich ausspricht; und Herkulanum und Pompeji, 
jene Palimpsesten der Natur, wo jetzt wieder der alte 
Steintext hervorgegraben wird, zeigen dem Reisenden
das römische Privatleben in kleinen Häuschen mit 
winzigen Stübchen, welche so auffallend kontrastie-
ren gegen jene kolossalen Bauwerke, die das öffentli-
che Leben aussprachen, jene Theater, Wasserleitun-
gen, Brunnen, Landstraßen, Brücken, deren Ruinen 
noch jetzt unser Staunen erregen. Aber das ist es ja 
eben; wie der Grieche groß ist durch die Idee der 
Kunst, der Hebräer durch die Idee eines heiligsten 
Gottes, so sind die Römer groß durch die Idee ihrer 
ewigen Roma, groß überall, wo sie in der Begeiste-
rung dieser Idee gefochten, geschrieben und gebaut 
haben. Je größer Rom wurde, je mehr erweiterte sich 
diese Idee, der einzelne verlor sich darin, die Großen, 
die noch hervorragen, sind nur getragen von dieser 
Idee, und sie macht die Kleinheit der Kleinen noch 
bemerkbarer. Die Römer sind deshalb zugleich die 
größten Helden und die größten Satiriker gewesen, 
Helden, wenn sie handelten, während sie an Rom 
dachten, Satiriker, wenn sie an Rom dachten, während
sie die Handlungen ihrer Genossen beurteilten. Ge-
messen mit solchem ungeheuren Maßstab der Idee 
Rom, mußte selbst die größte Persönlichkeit zwerg-
haft erscheinen und somit der Spottsucht anheimfal-
len. Tacitus ist der grausamste Meister in dieser Sati-
re, eben weil er die Größe Roms und die Kleinheit der
Menschen am tiefsten fühlte. Recht in seinem Ele-
mente ist er jedesmal, wenn er berichten kann, was 
die maliziösen Zungen auf dem Forum über irgendei-
ne imperiale Schandtat räsonierten; recht ingrimmig 
glücklich ist er, wenn er irgendeine senatorische Bla-
mage, etwa eine verfehlte Schmeichelei, zu erzählen 
hat.
Ich ging noch lange umher spazieren auf den höhe-
ren Bänken des Amphitheaters, zurücksinnend in die 
Vergangenheit. Wie alle Gebäude im Abendlichte 
ihren inwohnenden Geist am anschaulichsten offenba-
ren, so sprachen auch diese Mauern zu mir, in ihrem 
fragmentarischen Lapidarstil, tiefernste Dinge; sie 
sprachen von den Männern des alten Roms, und mir 
war dabei, als sähe ich sie selber umherwandeln, 
weiße Schatten unter mir im dunkeln Zirkus. Mir war,
als sähe ich die Gracchen mit ihren begeisterten Mär-
tyreraugen. »Tiberius Sempronius«, rief ich hinab, 
»ich werde mit dir stimmen für das agrarische Ge-
setz!« Auch Cäsar sah ich, Arm in Arm wandelte er 
mit Marcus Brutus - »Seid ihr wieder versöhnt?« rief 
ich. »Wir glaubten beide recht zu haben«, lachte 
Cäsar zu mir herauf, »ich wußte nicht, daß es noch 
einen Römer gab, und hielt mich deshalb für berech-
tigt, Rom in die Tasche zu stecken, und weil mein 
Sohn Marcus eben dieser Römer war, so glaubte er 
sich berechtigt, mich deshalb umzubringen.« Hinter 
diesen beiden schlich Tiberius Nero mit Nebelbeinen 
und unbestimmten Mienen. Auch Weiber sah ich dort 
wandeln, darunter Agrippina mit ihrem schönen 
herrschsüchtigen Gesichte, das wundersam rührend 
anzusehen war, wie ein altes Marmorbild, in dessen 
Zügen der Schmerz wie versteinert erscheint. »Wen 
suchst du, Tochter des Germanicus?« Schon hörte ich 
sie klagen - da plötzlich erscholl das dumpfsinnige 
Geläute einer Betglocke und das fatale Getrommel des
Zapfenstreichs. Die stolzen römischen Geister ver-
schwanden, und ich war wieder ganz in der christlich 
östreichischen Gegenwart.

Kapitel XXV

Auf dem Platze La Bra spaziert, sobald es dunkel 
wird, die schöne Welt von Verona oder sitzt dort auf 
kleinen Stühlchen vor den Kaffeebuden und schlürft 
Sorbett und Abendkühle und Musik. Da läßt sich gut 
sitzen, das träumende Herz wiegt sich auf süßen 
Tönen und erklingt im Widerhall. Manchmal, wie 
schlaftrunken, taumelt es auf, wenn die Trompeten er-
schallen, und es stimmt ein mit vollem Orchester. 
Dann ist der Geist wieder sonnig ermuntert, großblu-
mige Gefühle und Erinnerungen mit tiefen schwarzen 
Augen blühen hervor, und drüber hin ziehen die Ge-
danken, wie Wolkenzüge, stolz und langsam und 
ewig.
Ich wandelte noch bis spät nach Mitternacht durch 
die Straßen Veronas, die allmählich menschenleer 
wurden und wunderbar widerhallten. Im halben 
Mondlicht dämmerten die Gebäude und ihre Bildwer-
ke, und bleich und schmerzhaft sah mich an manch 
marmornes Gesicht. Ich eilte schnell den Grabmälern 
der Scaliger vorüber; denn mir schien, als wolle Can 
Grande, artig, wie er immer gegen Dichter war, von 
seinem Rosse herabsteigen und mich als Wegweiser 
begleiten. »Bleib du nur sitzen«, rief ich ihm zu, »ich 
bedarf deiner nicht, mein Herz ist der beste Cicerone 
und erzählt mir überall die Geschichten, die in den 
Häusern passiert sind, und bis auf Namen und Jahr-
zahl erzählt es sie treu genug.«
Als ich an den römischen Triumphbogen kam, 
huschte eben ein schwarzer Mönch hindurch, und 
fernher erscholl ein deutsch brummendes »Werda?« -
»Gut Freund!« greinte ein vergnügter Diskant.
Welchem Weibe aber gehörte die Stimme, die mir 
so süß unheimlich in die Seele drang, als ich über die 
Scala Mazzanti stieg? Es war Gesang wie aus der 
Brust einer sterbenden Nachtigall, todzärtlich und wie
hülferufend an den steinernen Häusern widerhallend. 
Auf dieser Stelle hat Antonio della Scala seinen Bru-
der Bartolomeo umgebracht, als dieser eben zur Ge-
liebten gehen wollte. Mein Herz sagte mir, sie säße 
noch immer in ihrer Kammer und erwarte den Gelieb-
ten und sänge nur, um ihre ahnende Angst zu über-
stimmen. Aber bald schienen mir Lied und Stimme so
wohlbekannt, ich hatte diese seidnen, schaurigen, ver-
blutenden Töne schon früher gehört, sie umstrickten 
mich wie weiche, flehende Erinnerungen und - »O du
dummes Herz«, sprach ich zu mir selber, »kennst du 
denn nicht mehr das Lied vom kranken Mohrenkönig,
das die tote Maria so oft gesungen? Und die Stimme 
selbst - kennst du denn nicht mehr die Stimme der 
toten Maria?«
Die langen Töne verfolgten mich durch alle Stra-
ßen, bis zum Gasthof »Due Torre«, bis ins 
Schlafgemach, bis in den Traum - Und da sah ich 
wieder mein süßes gestorbenes Leben schön und re-
gungslos liegen, die alte Wachfrau entfernte sich wie-
der mit rätselhaftem Seitenblick, die Nachtviole dufte-
te, ich küßte wieder die lieblichen Lippen, und die 
holde Leiche erhob sich langsam, um mir den Gegen-
kuß zu bieten.
Wüßte ich nur, wer das Licht ausgelöscht hat.

Kapitel XXVI

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?

Kennt du das Lied? Ganz Italien ist darin geschil-
dert, aber mit den seufzenden Farben der Sehnsucht. 
In der »Italienische Reise« hat es Goethe etwas aus-
führlicher besungen, und wo er malt, hat er das Origi-
nal immer vor Augen, und man kann sich auf die 
Treue der Umrisse und der Farbengebung ganz verlas-
sen. Ich finde es daher bequem, hier ein für allemal 
auf Goethes »Italienische Reise« hinzudeuten, um so 
mehr, da er, bis Verona, dieselbe Tour, durch Tirol, 
gemacht hat. Ich habe schon früherhin über jenes 
Buch gesprochen, ehe ich den Stoff, den es behandelt,
gekannt habe, und ich finde jetzt mein ahnendes Ur-
teil vollauf bestätigt. Wir schauen nämlich darin 
überall tatsächliche Auffassung und die Ruhe der 
Natur. Goethe hält ihr den Spiegel vor, oder besser 
gesagt, er ist selbst der Spiegel der Natur. Die Natur 
wollte wissen, wie sie aussieht, und sie erschuf Goe-
the. Sogar die Gedanken, die Intentionen der Natur 
vermag er uns widerzuspiegeln, und es ist einem hit-
zigen Goethianer, zumal in den Hundstagen, nicht zu 
verargen, wenn er über die Identität der Spiegelbilder 
mit den Objekten selbst so sehr erstaunt, daß er dem 
Spiegel sogar Schöpfungskraft, die Kraft, ähnliche 
Objekte zu erschaffen, zutraut. Ein Herr Eckermann 
hat mal ein Buch über Goethe geschrieben, worin er 
ganz ernsthaft versichert: hätte der liebe Gott bei Er-
schaffung der Welt zu Goethe gesagt: »Lieber Goe-
the, ich bin jetzt gottlob fertig, ich habe jetzt alles er-
schaffen, bis auf die Vögel und die Bäume, und du tä-
test mir eine Liebe, wenn du statt meiner diese Baga-
tellen noch erschaffen wolltest« - so würde Goethe, 
ebensogut wie der liebe Gott, diese Tiere und Ge-
wächse ganz im Geiste der übrigen Schöpfung, näm-
lich die Vögel mit Federn und die Bäume grün, er-
schaffen haben.
Es liegt Wahrheit in diesen Worten, und ich bin 
sogar der Meinung, daß Goethe manchmal seine 
Sache noch besser gemacht hätte als der liebe Gott 
selbst und daß er z.B. den Herrn Eckermann viel rich-
tiger, ebenfalls mit Federn und grün, erschaffen hätte. 
Es ist wirklich ein Schöpfungsfehler, daß auf dem 
Kopfe des Herrn Eckermann keine grüne Federn 
wachsen, und Goethe hat diesem Mangel wenigstens 
dadurch abzuhelfen gesucht, daß er ihm einen Doktor-
hut aus Jena verschrieben und eigenhändig aufgesetzt 
hat.
Nächst Goethes »Italienischer Reise« ist Frau von 
Morgans »Italien« und Frau von Staëls »Corinna« zu 
empfehlen. Was diesen Frauen an Talent fehlt, um 
neben Goethe nicht unbedeutend zu erscheinen, das 
ersetzen sie durch männliche Gesinnungen, die jenem 
mangeln. Denn Frau v. Morgan hat wie ein Mann ge-
sprochen, sie sprach Skorpionen in die Herzen frecher
Söldner, und mutig und süß waren die Triller dieser 
flatternden Nachtigall der Freiheit. Ebenso, wie män-
niglich bekannt ist, war Frau von Staël eine liebens-
würdige Marketenderin im Heer der Liberalen und lief
mutig durch die Reihen der Kämpfenden mit ihrem 
Enthusiasmusfäßchen und stärkte die Müden und 
focht selber mit, besser als die Besten.
Was überhaupt italienische Reisebeschreibungen 
betrifft, so hat W. Müller vor geraumer Zeit im »Her-
mes« eine Übersicht derselben gegeben. Ihre Zahl ist 
Legion. Unter den ältern deutschen Schriftstellern in 
diesem Fache sind, durch Geist oder Eigentümlich-
keit, am ausgezeichnetsten: Moritz, Archenholz, Bar-
tels, der brave Seume, Arndt, Meyer, Benkowitz und 
Rehfues. Die neueren kenne ich weniger, und nur we-
nige davon haben mir Vergnügen und Belehrung ge-
währt. Unter diesen nenne ich des allzufrüh verstorbe-
nen W. Müllers »Rom, Römer und Römerinnen« - 
ach, er war ein deutscher Dichter! -, dann die Reise 
von Kephalides, die ein bißchen trocken ist, ferner 
Leßmanns »Cisalpinische Blätter«, die etwas zu flüs-
sig sind, und endlich die »Reisen in Italien seit 
1822«, von Friedrich Thiersch, Lud. Schorn, Eduard 
Gerhardt und Leo v. Klenze; von diesem Werke ist 
erst ein Teil erschienen, und er enthält meistens Mit-
teilungen von meinem lieben, edlen Thiersch, dessen 
humanes Auge aus jeder Zeile hervorblickt.

Kapitel XXVII

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl? 
Dahin! dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

- Aber reise nur nicht im Anfang August, wo man 
des Tags von der Sonne gebraten und des Nachts von 
den Flöhen verzehrt wird. Auch rate ich dir, mein lie-
ber Leser, von Verona nach Mailand nicht mit dem 
Postwagen zu fahren.
Ich fuhr, in Gesellschaft von sechs Banditen, in 
einer schwerfälligen Carrozza, die, wegen des allzu 
gewaltigen Staubes, von allen Seiten so sorgfältig 
verschlossen wurde, daß ich von der Schönheit der 
Gegend wenig bemerken konnte. Nur zweimal, ehe 
wir Brescia erreichten, lüftete mein Nachbar das Sei-
tenleder, um hinauszuspucken. Das eine Mal sah ich 
nichts als einige schwitzende Tannen, die in ihren 
grünen Winterröcken von der schwülen Sonnenhitze 
sehr zu leiden schienen; das andere Mal sah ich ein 
Stück von einem wunderklaren blauen See, worin die 
Sonne und ein magerer Grenadier sich spiegelten. 
Letzterer, ein östreichischer Narziß, bewunderte mit 
kindischer Freude, wie sein Spiegelbild ihm alles ge-
treu nachmachte, wenn er das Gewehr präsentierte 
oder schulterte oder zum Schießen auslegte.
Von Brescia selbst weiß ich ebenfalls wenig zu er-
zählen, indem ich die Zeit meines dortigen Aufent-
halts dazu benutzte, ein gutes Pranzo einzunehmen. 
Man kann es einem armen Reisenden nicht verdenken,
wenn er den Hunger des Leibes früher stillt als den 
des Geistes. Doch war ich gewissenhaft genug, ehe 
ich wieder in den Wagen stieg, einige Notizen über 
Brescia vom Cameriere zu erfragen, und da erfuhr ich 
unter anderen: die Stadt habe 40000 Einwohner, ein 
Rathaus, 21 Kaffeehäuser, 20 katholische Kirchen, 
ein Tollhaus, eine Synagoge, eine Menagerie, ein 
Zuchthaus, ein Krankenhaus, ein ebenso gutes Thea-
ter und einen Galgen für Diebe, die unter 100000 
Taler stehlen.
Um Mitternacht arrivierte ich in Mailand und kehr-
te ein bei Herrn Reichen, einem Deutschen, der sein 
Hotel ganz nach deutscher Weise eingerichtet. Es sei 
das beste Wirtshaus in ganz Italien, sagten mir einige 
Bekannte, die ich dort wiederfand und die über italie-
nische Gastwirte und Flöhe sehr schlecht zu sprechen 
waren. Da hörte ich nichts als ärgerliche Histörchen 
von italienischen Prellereien, und besonders Sir Wil-
liam fluchte und versicherte, wenn Europa der Kopf 
der Welt sei, so sei Italien das Diebesorgan dieses 
Kopfes. Der arme Baronet hat in der Locanda Croce 
bianca zu Padua nicht weniger als zwölf Francs für 
ein mageres Frühstück bezahlen müssen, und zu Vi-
cenza hat ihm jemand ein Trinkgeld abgefordert, als 
er ihm einen Handschuh aufhob, den er beim Einstei-
gen in den Wagen fallen lassen. Sein Vetter Tom 
sagte, alle Italiener seien Spitzbuben bis auf den ein-
zigen Umstand, daß sie nicht stehlen. Hätte er lie-
benswürdiger ausgesehen, so würde er auch die Be-
merkung gemacht haben, daß alle Italienerinnen 
Spitzbübinnen sind. Der Dritte im Bunde war ein 
Mister Liver, den ich in Brighton als ein junges Kalb 
verlassen hatte und jetzt in Malland als einen bœuf à 
la mode wiederfand. Er war ganz als Dandy gekleidet,
und ich habe nie einen Menschen gesehen, der es bes-
ser verstanden hätte, mit seiner Figur lauter Ecken 
hervorzubringen. Wenn er die Daumen in die Är-
melausschnitte der Weste einkrempte, machte er auch 
mit der Handwurzel und mit jedem Finger einige 
Ecken; ja sein Maul war sogar viereckig aufgesperrt. 
Dazu kommt ein eckiger Kopf, hinten schmal, oben 
spitz, mit kurzer Stirn und sehr langem Kinn. Unter 
den englischen Bekannten, die ich in Mailand wieder-
sah, war auch Livers dicke Tante; gleich einer Fettla-
wine war sie von den Alpen herabgekommen, in Ge-
sellschaft zweier schneeweißen, schneekalten Schnee-
gänschen, Miß Polly und Miß Molly.
Beschuldige mich nicht der Anglomanie, lieber 
Leser, wenn ich in diesem Buche sehr häufig von 
Engländern spreche; sie sind jetzt in Italien zu zahl-
reich, um sie übersehen zu können, sie durchziehen 
dieses Land in ganzen Schwärmen, lagern in allen 
Wirtshäusern, laufen überall umher, um alles zu 
sehen, und man kann sich keinen italienischen Zitro-
nenbaum mehr denken ohne eine Engländerin, die 
daran riecht, und keine Galerie ohne ein Schock Eng-
länder, die, mit ihrem Guide in der Hand, darin um-
herrennen und nachsehen, ob noch alles vorhanden, 
was in dem Buche als merkwürdig erwähnt ist. Wenn 
man jenes blonde, rotbäckige Volk mit seinen blan-
ken Kutschen, bunten Lakaien, wiehernden Rennpfer-
den, grünverschleierten Kammerjungfern und sonstig 
kostbaren Geschirren, neugierig und geputzt, über die
Alpen ziehen und Italien durchwandern sieht, glaubt 
man eine elegante Völkerwanderung zu sehen. Und in
der Tat, der Sohn Albions, obgleich er weiße Wäsche 
trägt und alles bar bezahlt, ist doch ein zivilisierter 
Barbar, in Vergleichung mit dem Italiener, der viel-
mehr eine in Barbarei übergehende Zivilisation be-
kundet. Jener zeigt in seinen Sitten eine zurückgehal-
tene Roheit, dieser eine ausgelassene Feinheit. Und 
gar die blassen italienischen Gesichter, in den Augen 
das leidende Weiß, die Lippen krankhaft zärtlich, wie
heimlich vornehm sind sie gegen die steif britischen 
Gesichter mit ihrer pöbelhaft roten Gesundheit! Das 
ganze italienische Volk ist innerlich krank, und kran-
ke Menschen sind immer wahrhaft vornehmer als ge-
sunde; denn nur der kranke Mensch ist ein Mensch, 
seine Glieder haben eine Leidensgeschichte, sie sind 
durchgeistet. Ich glaube sogar, durch Leidenskämpfe 
könnten die Tiere zu Menschen werden; ich habe mal 
einen sterbenden Hund gesehen, der in seinen Todes-
qualen mich fast menschlich ansah.
Der leidende Gesichtsausdruck wird bei den Italie-
nern am sichtbarsten, wenn man mit ihnen vom 
Unglück ihres Vaterlandes spricht, und dazu gibt's in 
Mailand genug Gelegenheit. Das ist die schmerzlich-
ste Wunde in der Brust der Italiener, und sie zucken 
zusammen, sobald man diese nur leise berührt. Sie 
haben alsdann eine Bewegung der Achsel, die uns mit
sonderbarem Mitleid erfüllt. Einer meiner Briten hielt 
die Italiener für politisch indifferent, weil sie gleich-
gültig zuzuhören schienen, wenn wir Fremde über die
katholische Emanzipation und den Türkenkrieg politi-
sierten; und er war ungerecht genug, gegen einen blas-
sen Italiener mit pechschwarzem Barte sich darüber 
spöttisch zu äußern. Wir hatten den Abend vorher 
eine neue Oper in der Scala aufführen sehen und den 
Mordspektakel gehört, der, wie gebräuchlich, bei sol-
chen Anlässen stattfindet. »Ihr Italiener«, sagte der 
Brite zu dem Blassen, »scheint für alles abgestorben 
zu sein, außer für Musik, und nur noch diese vermag 
euch zu begeistern.« - »Sie tun uns unrecht«, sagte 
der Blasse und bewegte die Achsel. »Ach!« seufzte er 
hinzu, »Italien sitzt elegisch träumend auf seinen Rui-
nen, und wenn es dann manchmal bei der Melodie ir-
gendeines Liedes plötzlich erwacht und stürmisch em-
porspringt, so gilt diese Begeisterung nicht dem Liede
selbst, sondern vielmehr den alten Erinnerungen und 
Gefühlen, die das Lied ebenfalls geweckt hat, die Ita-
lien immer im Herzen trug und die jetzt gewaltig 
hervorbrausen - und das ist die Bedeutung des tollen 
Lärms, den Sie in der Scala gehört haben.«
Vielleicht gewährt dieses Bekenntnis auch einigen 
Aufschluß über den Enthusiasmus, den jenseits der 
Alpen Rossinis oder Meyerbeers Opern überall her-
vorbringen. Habe ich jemals menschliche Raserei ge-
sehen, so war es bei einer Aufführung des »Crociato 
in Egitto«, wenn die Musik manchmal aus dem wei-
chen, wehmütigen Ton plötzlich in jauchzenden 
Schmerz übersprang. Jene Raserei heißt in Italien: fu-
rore.

Kapitel XXVIII

Obgleich ich, lieber Leser, jetzt schon Gelegenheit 
hätte, bei Erwähnung der Brera und Ambrosiana dir 
meine Kunsturteile aufzutischen, so will ich doch die-
sen Kelch an dir vorübergehen lassen und mich mit 
der Bemerkung begnügen, daß ich das spitze Kinn, 
das den Bildern der lombardischen Schule einen An-
strich von Sentimentalität gibt, auch auf den Straßen 
von Mailand bei mancher schönen Lombardin gese-
hen habe. Es war mir immer außerordentlich beleh-
rend, wenn ich mit den Werken einer Schule auch die 
Originale vergleichen konnte, die ihr als Modelle ge-
dient haben; der Charakter der Schule kam mir dann 
klarer zur Anschauung. So ist mir auf dem Jahrmarkt 
zu Rotterdam der Jan Steen in seiner göttlichsten Hei-
terkeit plötzlich verständlich geworden; so habe ich 
späterhin am Long-Arno die Formenwahrheit und den
tüchtigen Geist der Florentiner und auf dem San 
Marco die Farbenwahrheit und die träumerische 
Oberflächlichkeit der Venezianer begreifen lernen. 
Geh nach Rom, liebe Seele, und vielleicht schwingst 
du dich dort hinauf zur Anschauung der Idealität und 
zum Verständnis des Raffael.
Indessen eine Merkwürdigkeit Mailands, die in 
jeder Hinsicht die größte ist, kann ich nicht uner-
wähnt lassen - das ist der Dom.
In der Ferne scheint es, als sei er aus weißem Post-
papier geschnitzelt, und in der Nähe erschrickt man, 
daß dieses Schnitzwerk aus unwiderlegbarem Marmor
besteht. Die unzähligen Heiligenbilder, die das ganze 
Gebäude bedecken, die überall unter den gotischen 
Krondächlein hervorgucken und oben auf allen Spit-
zen gepflanzt stehen, dieses steinerne Volk verwirrt 
einem fast die Sinne. Betrachtet man das ganze Werk 
etwas länger, so findet man es doch recht hübsch, ko-
lossal niedlich, ein Spielzeug für Riesenkinder. Im 
mitternächtlichen Mondschein gewährt es noch den 
besten Anblick, dann kommen all die weißen Stein-
menschen aus ihrer wimmelnden Höhe herabgestiegen
und gehen mit einem über die Piazza und flüstern 
einem alte Geschichten ins Ohr, putzig heilige, ganz 
geheime Geschichten von Galeazzo Visconti, der den 
Dombau begonnen, und von Napoleon Buonaparte, 
der ihn späterhin fortgesetzt.
»Siehst du« - sagte mir ein gar seltsamer Heiliger, 
der in der neuesten Zeit aus dem neuesten Marmor 
verfertigt war -, »siehst du, meine älteren Kameraden
können nicht begreifen, warum der Kaiser Napoleon 
den Dombau so eifrig betrieben hat. Aber ich weiß es 
sehr gut, er hat eingesehen, daß dieses große Stein-
haus auf jeden Fall ein sehr nützliches Gebäude sein 
würde und auch dann noch brauchbar, wenn einst das 
Christenturn vorüber ist.«
Wenn einst das Christentum vorüber ist - Ich war 
schier erschrocken, als ich hörte, daß es Heilige in 
Italien gibt, die eine solche Sprache führen und dazu 
auf einem Platze, wo östreichische Schildwachen, mit 
Bärenmützen und Tornistern, auf und ab gehen. In-
dessen, der steinerne Kauz hat gewissermaßen recht, 
das Innere des Domes ist hübsch kühl im Sommer, 
und heiter und angenehm, und würde auch bei verän-
derter Bestimmung seinen Wert behalten.
Die Vollendung des Domes war einer von Napole-
ons Lieblingsgedanken, und er war nicht weit vom 
Ziele entfernt, als seine Herrschaft gebrochen wurde. 
Die Östreicher vollenden jetzt das Werk. Auch an 
dem berühmten Triumphbogen, der die Simplonstraße
beschließen sollte, wird weitergebaut. Freilich, 
Napoleons Standbild wird nicht, wie früher bestimmt 
war, auf die Spitze jenes Bogens gestellt werden. Im-
merhin, der große Kaiser hat ein Standbild hinterlas-
sen, das viel besser ist und dauerhafter als Marmor 
und das kein Östreicher unseren Blicken entziehen 
kann. Wenn wir anderen längst von der Sense der Zeit
niedergemäht und wie Spreu des Feldes verweht sein 
werden, wird jenes Standbild noch unversehrt daste-
hen; neue Geschlechter werden aus der Erde hervor-
wachsen, werden schwindelnd an jenes Bild hinaufse-
hen und sich wieder in die Erde legen; - und die Zeit, 
unfähig, solch Bild zu zerstören, wird es in sagenhafte
Nebel zu hüllen suchen, und seine ungeheure Ge-
schichte wird endlich ein Mythos.
Vielleicht, nach Jahrtausenden, wird ein spitzfindi-
ger Schulmeister, in einer grundgelehrten Dissertati-
on, unumstößlich beweisen, daß der Napoleon Bona-
parte ganz identisch sei mit jenem andern Titane, der 
den Göttern das Licht raubte und für dieses Vergehen 
auf einem einsamen Felsen, mitten im Meere, ange-
schmiedet wurde, preisgegeben einem Geier, der täg-
lich sein Herz zerfleischte.

Kapitel XXIX

Ich bitte dich, lieber Leser, halte mich nicht für 
einen unbedingten Bonapartisten; meine Huldigung 
gilt nicht den Handlungen, sondern nur dem Genius 
des Mannes. Unbedingt liebe ich ihn nur bis zum 
achtzehnten Brumaire - da verriet er die Freiheit. Und
er tat es nicht aus Notwendigkeit, sondern aus gehei-
mer Vorliebe für Aristokratismus. Napoleon Bona-
parte war ein Aristokrat, ein adeliger Feind der bür-
gerlichen Gleichheit, und es war ein kolossales Miß-
verständnis, daß die europäische Aristokratie, reprä-
sentiert von England, ihn so todfeindlich bekriegte; 
denn wenn er auch in dem Personal dieser Aristokra-
tie einige Veränderungen vorzunehmen beabsichtigte, 
so hätte er doch den größten Teil derselben und ihr 
eigentliches Prinzip erhalten, er würde diese Aristo-
kratie regeneriert haben, statt daß sie jetzt darnieder-
liegt durch Alterschwäche, Blutverlust und Ermüdung
von ihrem letzten, gewiß allerletzten Sieg.
Lieber Leser! wir wollen uns hier ein für allemal 
verständigen. Ich preise nie die Tat, sondern nur den 
menschlichen Geist, die Tat ist nur dessen Gewand, 
und die Geschichte ist nichts anders als die alte Gar-
derobe des menschlichen Geistes. Doch die Liebe 
liebt zuweilen alte Röcke, und so liebe ich den Mantel
von Marengo.
»Wir sind auf dem Schlachtfelde von Marengo.« 
Wie lachte mein Herz, als der Postillion diese Worte 
sprach! Ich war in Gesellschaft eines sehr artigen Liv-
länders, der vielmehr den Russen spielte, des Abends 
von Mailand abgereist und sah des folgenden Mor-
gens die Sonne aufgehn über das berühmte Schlacht-
feld.
Hier tat der General Bonaparte einen so starken 
Zug aus dem Kelch des Ruhmes, daß er im Rausche 
Konsul, Kaiser, Welteroberer wurde und sich erst zu 
St. Helena ernüchtern konnte. Es ist uns selbst nicht 
viel besser ergangen; wir waren mitberauscht, wir 
haben alles mitgeträumt, sind ebenfalls erwacht, und 
im Jammer der Nüchternheit machen wir allerlei ver-
ständige Reflexionen. Es will uns da manchmal be-
dünken, als sei der Kriegsruhm ein veraltetes Vergnü-
gen, die Kriege bekämen eine edlere Bedeutung und 
Napoleon sei vielleicht der letzte Eroberer.
Es hat wirklich den Anschein, als ob jetzt mehr 
geistige Interessen verfochten würden als materielle 
und als ob die Welthistorie nicht mehr eine Räuberge-
schichte, sondern eine Geistergeschichte sein solle. 
Der Haupthebel, den ehrgeizige und habsüchtige Für-
sten zu ihren Privatzwecken sonst so wirksam in Be-
wegung zu setzen wußten, nämlich die Nationalität 
mit ihrer Eitelkeit und ihrem Haß, ist jetzt morsch und
abgenutzt; täglich verschwinden mehr und mehr die 
törichten Nationalvorurteile, alle schroffen Besonder-
heiten gehen unter in der Allgemeinheit der europäi-
schen Zivilisation, es gibt jetzt in Europa keine Natio-
nen mehr, sondern nur Parteien, und es ist ein wun-
dersamer Anblick, wie diese trotz der mannigfaltig-
sten Farben sich sehr gut erkennen und trotz der vie-
len Sprachverschiedenheiten sich sehr gut verstehen. 
Wie es eine materielle Staatenpolitik gibt, so gibt es 
jetzt auch eine geistige Parteipolitik, und wie die 
Staatenpolitik auch den kleinsten Krieg, der zwischen
den zwei unbedeutendsten Mächten ausbräche, gleich 
zu einem allgemeinen europäischen Krieg machen 
würde, worin sich alle Staaten, mit mehr oder minde-
rem Eifer, auf jeden Fall mit Interesse, mischen müß-
ten, so kann jetzt in der Welt auch nicht der geringste 
Kampf vorfallen, bei dem, durch jene Parteipolitik, 
die allgemein geistigen Bedeutungen nicht sogleich 
erkannt und die entferntesten und heterogensten Par-
teien nicht gezwungen würden, pro oder kontra Anteil
zu nehmen. Vermöge dieser Parteipolitik, die ich, 
weil ihre Interessen geistiger und ihre ultimae rationes
nicht von Metall sind, eine Geisterpolitik nenne, bil-
den sich jetzt, ebenso wie vermittelst der Staatenpoli-
tik, zwei große Massen, die feindselig einander ge-
genüberstehen und mit Reden und Blicken kämpfen. 
Die Losungsworte und Repräsentanten dieser zwei 
großen Parteimassen wechseln täglich, es fehlt nicht 
an Verwirrung, oft entstehen die größten Mißver-
ständnisse, diese werden durch die Diplomaten dieser 
Geisterpolitik, die Schriftsteller, eher vermehrt als 
vermindert; doch wenn auch die Köpfe irren, so füh-
len die Gemüter nichtsdestoweniger, was sie wollen, 
und die Zeit drängt mit ihrer großen Aufgabe.
Was ist aber diese große Aufgabe unserer Zeit?
Es ist die Emanzipation. Nicht bloß die der Irlän-
der, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen 
Schwarzen und dergleichen gedrückten Volkes, son-
dern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, abson-
derlich Europas, das mündig geworden ist und sich 
jetzt losreißt von dem eisernen Gängelbande der Be-
vorrechteten, der Aristokratie. Mögen immerhin eini-
ge philosophische Renegaten der Freiheit die feinsten 
Kettenschlüsse schmieden, um uns zu beweisen, daß 
Millionen Menschen geschaffen sind als Lasttiere ei-
niger tausend privilegierter Ritter; sie werden uns 
dennoch nicht davon überzeugen können, solange sie 
uns, wie Voltaire sagt, nicht nachweisen, daß jene mit
Sätteln auf dem Rücken und diese mit Sporen an den 
Füßen zur Welt gekommen sind.
Jede Zeit hat ihre Aufgabe, und durch die Lösung 
derselben rückt die Menschheit weiter. Die frühere 
Ungleichheit, durch das Feudalsystem in Europa ge-
stiftet, war vielleicht notwendig oder notwendige 
Bedingung zu den Fortschritten der Zivilisation; jetzt 
aber hemmt sie diese, empört sie die zivilisierten Her-
zen. Die Franzosen, das Volk der Gesellschaft, hat 
diese Ungleichheit, die mit dem Prinzip der Gesell-
schaft am unleidlichsten kollidiert, notwendigerweise 
am tiefsten erbittert, sie haben die Gleichheit zu er-
zwingen gesucht, indem sie die Häupter derjenigen, 
die durchaus hervorragen wollten, gelinde abschnit-
ten, und die Revolution ward ein Signal für den Be-
freiungskrieg der Menschheit.
Laßt uns die Franzosen preisen! sie sorgten für die 
zwei größten Bedürfnisse der menschlichen Gesell-
schaft, für gutes Essen und bürgerliche Gleichheit; in 
der Kochkunst und in der Freiheit haben sie die größ-
ten Fortschritte gemacht, und wenn wir einst alle, als 
gleiche Gäste, das große Versöhnungsmahl halten 
und guter Dinge sind - denn was gäbe es Besseres als
eine Gesellschaft von Pairs an einem gutbesetzten Ti-
sche? -, dann wollen wir den Franzosen den ersten 
Toast darbringen. Es wird freilich noch einige Zeit 
dauern, bis dieses Fest gefeiert werden kann, bis die 
Emanzipation durchgesetzt sein wird; aber sie wird 
doch endlich kommen, diese Zeit, wir werden, ver-
söhnt und allgleich, um denselben Tisch sitzen; wir 
sind dann vereinigt und kämpfen vereinigt gegen an-
dere Weltübel, vielleicht am Ende gar gegen den 
Tod - dessen ernstes Gleichheitssystem uns 
wenigstens nicht so sehr beleidigt wie die lachende 
Ungleichheitslehre des Aristokratismus.
Lächle nicht, später Leser. Jede Zeit glaubt, ihr 
Kampf sei vor allen der wichtigste, dieses ist der ei-
gentliche Glaube der Zeit, in diesem lebt sie und stirbt
sie, und auch wir wollen leben und sterben in dieser 
Freiheitsreligion, die vielleicht mehr den Namen Reli-
gion verdient als das hohle, ausgestorbene Seelenge-
spenst, das wir noch so zu benennen pflegen - unser 
heiliger Kampf dünkt uns der wichtigste, wofür je-
mals auf dieser Erde gekämpft worden, obgleich hi-
storische Ahnung uns sagt, daß einst unsre Enkel auf 
diesen Kampf herabsehen werden, vielleicht mit dem-
selben Gleichgültigkeitsgefühl, womit wir herabsehen
auf den Kampf der ersten Menschen, die gegen eben-
so gierige Ungetüme, Lindwürmer und Rauhriesen, zu
kämpfen hatten.

Kapitel XXX

Auf dem Schlachtfelde von Marengo kommen 
einem die Betrachtungen so scharenweis angeflogen, 
daß man glauben sollte, es wären dieselben, die dort 
so mancher plötzlich aufgeben mußte und die nun, 
wie herrenlose Hunde, umherirren. Ich liebe Schlacht-
felder, denn so furchtbar auch der Krieg ist, so 
bekundet er doch die geistige Größe des Menschen, 
der seinem mächtigsten Erbfeinde, dem Tode, zu trot-
zen vermag. Und gar dieses Schlachtfeld, wo die Frei-
heit auf Blutrosen tanzte, den üppigen Brauttanz! 
Frankreich war damals Bräutigam, hatte die ganze 
Welt zur Hochzeit geladen, und, wie es im Liede 
heißt,

Heida! am Polterabend
Zerschlug man statt der Töpfe
Aristokratenköpfe.

Aber ach! jeder Zoll, den die Menschheit weiterrückt, 
kostet Ströme Blutes; und ist das nicht etwas zu 
teuer? Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht 
ebensoviel wert wie das des ganzen Geschlechtes? 
Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die 
mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem 
Grabstein liegt eine Weltgeschichte - »Still davon«, 
so würden die Toten sprechen, die hier gefallen sind, 
wir aber leben und wollen weiterkämpfen im heiligen 
Befreiungskriege der Menschheit.
»Wer denkt jetzt noch an Marengo!« - sagte mein 
Reisegefährte, der livländische Russe, als wir über 
das Brachfeld fuhren - »jetzt sind alle Augen gerich-
tet nach dem Balkan, wo mein Landsmann Diebitsch 
den Türken die Turbane zurechtsetzt, und wir werden 
noch dieses Jahr Konstantinopel einnehmen. Sind Sie 
gut russisch?«
Das war eine Frage, die ich überall lieber beant-
wortet hätte als auf dem Schlachtfelde von Marengo -
Ich sah im Morgennebel den Mann mit dem dreiecki-
gen Hütchen und dem grauen Schlachtmantel, er jagte
dahin wie ein Gedanke, geisterschnell, in der Ferne 
erscholl es wie ein schaurig süßes »Allons, enfants de
la patrie« - Und dennoch antwortete ich: »Ja, ich bin 
gut russisch.«
Und in der Tat, bei dem wunderlichen Wechsel der 
Losungsworte und Repräsentanten in dem großen 
Kampfe hat es sich jetzt so gefügt, daß der glühendste
Freund der Revolution nur im Siege Rußlands das 
Heil der Welt sieht und den Kaiser Nikolas als den 
Gonfaloniere der Freiheit betrachten muß. Seltsamer 
Wechsel! noch vor zwei Jahren bekleideten wir mit 
diesem Amte einen englischen Minister, das Geheul 
des hochtoryschen Hasses gegen George Canning lei-
tete damals unsre Wahl, in den adlig unedlen Krän-
kungen, die er erlitt, sahen wir die Garantien seiner 
Treue, und als er des Märtyrertodes starb, da legten 
wir Trauer an, und der achte August wurde ein heili-
ger Tag im Kalender der Freiheit. Die Fahne aber 
nahmen wir wieder fort von Downing Street und 
pflanzten sie auf die Petersburg und wählten zu ihrem
Träger den Kaiser Nikolas, den Ritter von Europa, 
der die griechischen Witwen und Waisen schützte 
gegen asiatische Barbaren und in solchem guten 
Kampfe seine Sporen verdiente. Wieder hatten sich 
die Feinde der Freiheit zu sehr verraten, und wir be-
nutzten wieder den Scharfsinn ihres Hasses, um unser
eignes Beste zu erkennen. Wieder zeigte sich diesmal 
die gewöhnliche Erscheinung, daß wir unsre Reprä-
sentanten vielmehr der Stimmenmehrheit unserer 
Feinde als der eignen Wahl verdanken, und indem wir
die wunderlich zusammengesetzte Gemeinde betrach-
teten, die für das Heil der Türkei und den Untergang 
Rußlands ihre frommen Wünsche gen Himmel sandte,
so merkten wir bald, wer unser Freund oder vielmehr 
das Schrecken unserer Feinde ist. Wie mußte der liebe
Gott im Himmel lachen, als er zu gleicher Zeit Wel-
lington, den Großmufti, den Papst, Rothschild I., 
Metternich und einen ganzen Troß von Ritterlingen, 
Stockjobbern, Pfaffen und Türken für dieselbe Sache, 
für das Heil des Halbmonds, beten hörte!
Was die Alarmisten bisher über die Gefahr gefa-
belt, der wir durch die Übergröße Rußlands ausge-
setzt sind, ist töricht. Wenigstens wir Deutsche haben
nichts zu riskieren, etwas mehr oder weniger Knecht-
lichkeit, darauf darf es uns nicht ankommen, wo das 
Höchste, die Befreiung von den Resten des Feudalis-
mus und Klerikalismus, zu gewinnen ist. Man droht 
uns mit der Herrschaft der Knute, aber ich will gern
etwas Knute aushalten, wenn ich sicher weiß, daß 
unsre Feinde sie mitbekommen. Ich wette aber, sie 
werden, wie sie immer getan, der neuen Macht entge-
genwedeln und graziöse lächeln und zu den schand-
barsten Diensten sich darbieten und sich dafür, da 
doch einmal geknutet werden muß, das Privilegium 
einer Ehrenknute ausbedingen, so wie der Adlige in 
Siam, der, wenn er bestraft werden soll, in einen sei-
denen Sack gesteckt und mit parfümierten Stöcken ge-
prügelt wird, statt daß der straffällige Bürgerliche nur
einen leinenen Sack und keine so wohlriechende Prü-
gel bekömmt. Nun, dieses Privilegium, da es das ein-
zige ist, wollen wir ihnen gönnen, wenn sie nur Prü-
gel bekommen, besonders die englische Nobility. 
Mag man noch so eifrig erinnern, daß es eben diese 
Nobility sei, die dem Despotismus die Magna Charta 
abgezwungen, und daß England, bei aller Aufrecht-
haltung der bürgerlichen Standesungleichheit, doch 
die persönliche Freiheit gesichert, daß England der 
Zufluchtsort für freie Geister war, wenn der Despotis-
mus den ganzen Kontinent unterdrückte; - das sind 
tempi passati! England mit seinen Aristokraten gehe 
jetzt immerhin zugrunde, freie Geister haben jetzt im 
Notfall einen noch bessern Zufluchtsort; würde auch 
ganz Europa ein einziger Kerker, so gäbe es jetzt 
noch immer ein anderes Loch zum Entschlüpfen, das 
ist Amerika, und gottlob! das Loch ist noch größer als
der Kerker selbst.
Aber das sind alles lächerliche Grillen; vergleicht 
man in freiheitlicher Hinsicht England mit Rußland, 
so bleibt auch dem Besorglichsten kein Zweifel übrig,
welche Partei zu erfassen sei. Die Freiheit ist in Eng-
land aus historischen Begebenheiten, in Rußland aus 
Prinzipien hervorgegangen. Wie jene Begebenheiten 
selbst, so tragen auch ihre geistigen Resultate das Ge-
präge des Mittelalters, ganz England ist erstarrt in un-
verjüngbaren, mittelalterlichen Institutionen, wohinter
sich die Aristokratie verschanzt und den Todeskampf 
erwartet. Jene Prinzipien aber, woraus die russische 
Freiheit entstanden ist oder vielmehr täglich sich wei-
ter entfaltet, sind die liberalen Ideen unserer neuesten 
Zeit; die russische Regierung ist durchdrungen von 
diesen Ideen, ihr unumschränkter Absolutismus ist 
vielmehr Diktatur, um jene Ideen unmittelbar ins 
Leben treten zu lassen; diese Regierung hat nicht ihre 
Wurzel im Feudalismus und Klerikalismus, sie ist der
Adel- und Kirchengewalt direkt entgegenstrebend; 
schon Katharina hat die Kirche eingeschränkt, und der
russische Adel entsteht durch Staatsdienste; Rußland 
ist ein demokratischer Staat, ich möchte es sogar 
einen christlichen Staat nennen, wenn ich dieses oft 
mißbrauchte Wort in seinem süßesten, weltbürger-
lichsten Sinne anwenden wollte: denn die Russen 
werden schon durch den Umfang ihres Reichs von der
Engherzigkeit eines heidnischen Nationalsinnes be-
freit, sie sind Kosmopoliten oder wenigstens 
Sechstelkosmopoliten, da Rußland fast den sechsten 
Teil der bewohnten Welt ausmacht -
Und wahrlich, wenn irgendein Deutschrusse, wie 
mein livländischer Reisegefährte, prahlerisch patrio-
tisch tut und von unserem Rußland und unserem Die-
bitsch spricht, so ist mir, als hörte ich einen Hering, 
der das Weltmeer für sein Vaterland und den Wal-
fisch für seinen Landsmann ausgibt.

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Die Bäder von Lucca

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