Über Polen

I | II

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Seit einigen Monaten habe ich den preußischen 
Teil Polens die Kreuz und die Quer durchstreift; in 
dem russischen Teil bin ich nicht weit gekommen, 
nach dem österreichischen gar nicht. Von den Men-
schen hab ich sehr viele, und aus allen Teilen Polens, 
kennengelernt. Diese waren freilich meistens nur 
Edelleute, und zwar die vornehmsten. Aber wenn 
auch mein Leib sich bloß in den Kreisen der höheren 
Gesellschaft, in dem Schloßbann der polnischen Gro-
ßen, bewegte, so schweifte der Geist doch oft auch in 
den Hütten des Neidern Volks. Hier haben Sie den 
Standpunkt für die Würdigung meines Urteils über 
Polen.
Vom Äußern des Landes wüßte ich Ihnen nicht viel
Reizendes mitzuteilen. Hier sind nirgends pikante 
Felsengruppen, romantische Wasserfälle, Nachtigal-
lengehölze usw.; hier gibt es nur weite Flächen von 
Ackerland, das meistens gut ist, und dicke, mürrische 
Fichtenwälder. Polen lebt nur von Ackerbau und 
Viehzucht; von Fabriken und Industrie gibt es hier 
fast keine Spur. Den traurigsten Anblick geben die 
polnischen Dörfer: niedere Ställe von Lehm, mit dün-
nen Latten oder Binsen bedeckt. In diesen lebt der 
polnische Bauer mit seinem Vieh und seiner übrigen 
Familie, erfreut sich seines Daseins und denkt an 
nichts weniger als an die - ästhetischen Pustkuchen. 
Leugnen läßt es sich indessen nicht, daß der polnische
Bauer oft mehr Verstand und Gefühl hat als der deut-
sche Bauer in manchen Ländern. Nicht selten fand ich
bei dem geringsten Polen jenen originellen Witz 
(nicht Gemütswitz, Humor), der bei jedem Anlaß mit 
wunderlichem Farbenspiel hervorsprudelt, und jenen 
schwärmerisch-sentimentalen Zug, jenes brillante 
Aufleuchten eines Ossianschen Naturgefühls, dessen 
plötzliches Hervorbrechen bei leidenschaftlichen An-
lässen ebenso unwillkürlich ist wie das Insgesichtstei-
gen des Blutes. Der polnische Bauer trägt noch seine 
Nationaltracht: eine Jacke ohne Ärmel! die bis zur 
Mitte der Schenkel reicht; darüber einen Oberrock, 
mit hellen Schnüren besetzt. Letzterer, gewöhnlich 
von hellblauer oder grüner Farbe, ist das grobe Origi-
nal jener feinen Polenröcke unserer Elegants. Den 
Kopf bedeckt ein kleines rundes Hütchen, weißgerän-
dert, oben wie ein abgekappter Kegel spitz zulaufend 
und vorn mit bunten Bandschleifen oder mit einigen 
Pfauenfedern geschmückt. In diesem Kostüm sieht 
man den polnischen Bauer des Sonntags nach der 
Stadt wandern, um dort ein dreifaches Geschäft zu 
verrichten: erstens, sich rasieren zu lassen; zweitens, 
die Messe zu hören, und drittens, sich vollzusaufen. 
Den durch das dritte Geschäft gewiß Seliggewordenen
sieht man des Sonntags, alle viere ausgestreckt, in 
einer Straßengosse liegen, sinnberaubt und umgeben 
von einem Haufen Freunde, die, in wehmütiger Grup-
pierung, die Betrachtung zu machen scheinen, daß der
Mensch hienieden so wenig vertragen kann! Was ist 
der Mensch, wenn - drei Kannen Schnaps ihn zu 
Boden werfen! Aber die Polen haben es doch im Trin-
ken übermenschlich weit gebracht. - Der Bauer ist 
von gutem Körperbau, starkstämmig, soldatischen 
Ansehens und hat gewöhnlich blondes Haar; die mei-
sten lassen dasselbe lang herunterwallen. Dadurch 
haben so viele Bauern die Plica polonica (Weich-
selzopf), eine sehr anmutige Krankheit, womit auch 
wir hoffentlich einst gesegnet werden, wenn das 
Lange-Haartum in den deutschen Gauen allgemeiner 
wird. Die Unterwürfigkeit des polnischen Bauers 
gegen den Edelmann ist empörend. Er beugt sich mit 
dem Kopf fast bis zu den Füßen des gnädigen Herrn 
und spricht die Formel: »Ich küsse die Füße.« Wer 
den Gehorsam personifiziert haben will, sehe einen 
polnischen Bauer vor seinem Edelmann stehen; es 
fehlt nur der wedelnde Hundeschweif. Bei einem sol-
chen Anblick denke ich unwillkürlich: Und Gott er-
schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde! - und es
ergreift mich ein unendlicher Schmerz, wenn ich einen
Menschen vor einem andern so tief erniedrigt sehe. 
Nur vor dem Könige soll man sich beugen; bis auf 
dieses letztere Glaubensgesetz bekenne ich mich ganz
zum nordamerikanischen Katechismus. Ich leugne es 
nicht, daß ich die Bäume der Flur mehr liebe als 
Stammbäume, daß ich das Menschenrecht mehr achte 
als das kanonische Recht und daß ich die Gebote der 
Vernunft höher schätze als die Abstraktionen kurz-
sichtiger Historiker; wenn Sie mich aber fragen, ob 
der polnische Bauer wirklich unglücklich ist und ob 
seine Lage besser wird, wenn jetzt aus den gedrückten
Hörigen lauter freie Eigentümer gemacht werden, so 
müßte ich lügen, sollte ich diese Frage unbedingt be-
jahen. Wenn man den Begriff von Glücklichsein in 
seiner Relativität auffaßt und sich wohl merkt, daß es 
kein Unglück ist, wenn man von Jugend auf gewöhnt 
ist, den ganzen Tag zu arbeiten und Lebensbequem-
lichkeiten zu entbehren, die man gar nicht kennt, so 
muß man gestehen, daß der polnische Bauer im ei-
gentlichen Sinne nicht unglücklich ist: um so mehr, 
da er gar nichts hat und folglich in der großen Sorglo-
sigkeit, die ja von vielen als das höchste Glück ge-
schildert wird, sein Leben dahinlebt. Aber es ist keine
Ironie, wenn ich sage, daß, im Fall man jetzt die pol-
nischen Bauern plötzlich zu selbständigen Eigentü-
mern machte, sie sich gewiß bald in der unbehaglich-
sten Lage von der Welt befinden und manche gewiß 
dadurch in größeres Elend geraten würden. Bei seiner 
jetzt zur zweiten Natur gewordenen Sorglosigkeit 
würde der Bauer sein Eigentum schlecht verwalten, 
und träfe ihn ein Unglück, wär er ganz und gar verlo-
ren. Wenn jetzt ein Mißwachs ist, so muß der Edel-
mann dem Bauer von seinem eigenen Getreide 
schicken; es wäre ja auch sein eigener Verlust, wenn 
der Bauer verhungerte oder nicht säen könnte. Er muß
ihm aus demselben Grunde ein neues Stück Vieh 
schicken, wenn der Ochs oder die Kuh des Bauers 
krepiert ist. Er gibt ihm Holz im Winter, er schickt 
ihm Ärzte, Arzneien, wenn er oder einer von der Fa-
milie krank ist; kurz, der Edelmann ist der beständige 
Vormund desselben. Ich habe mich überzeugt, daß 
diese Vormundschaft von den meisten Edelleuten sehr
gewissenhaft und liebreich ausgeübt wird, und über-
haupt gefunden, daß die Edelleute ihre Bauern milde 
und gütig behandeln; wenigstens sind die Reste der 
alten Strenge selten. Viele Edelleute wünschen sogar 
die Selbständigkeit der Bauern - der größte Mensch, 
den Polen hervorgebracht hat und dessen Andenken 
noch in allen Herzen lebt, Thaddäus Kosciuszko, war 
eifriger Beförderer der Bauernemanzipation, und die 
Grundsätze eines Lieblings dringen unbemerkt in alle 
Gemüter. Außerdem ist der Einfluß französischer 
Lehren, die in Polen leichter als irgendwo Eingang 
finden, von unberechenbarer Wirkung für den Zu-
stand der Bauern. Sie sehen, daß es mit letzteren nicht
mehr so schlimm steht und daß ein allmähliches 
Selbständigwerden derselben wohl zu hoffen ist. 
Auch die preußische Regierung scheint dies durch 
zweckmäßige Einrichtungen nach und nach zu erzie-
len. Möge diese begütigende Allmählichkeit gedei-
hen; sie ist gewisser, zeitlich nützlicher als die zerstö-
rungssüchtige Plötzlichkeit. Aber auch das Plötzliche 
ist zuweilen gut, wie sehr man dagegen eifere. - - - 
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Zwischen dem Bauer und dem Edelmann stehen in 
Polen die Juden. Diese betragen fast mehr als den 
vierten Teil der Bevölkerung, treiben alle Gewerbe 
und können füglich der dritte Stand Polens genannt 
werden. Unsere Statistikkompendienmacher, die an 
alles den deutschen, wenigstens den französischen 
Maßstab legen, schreiben also mit Unrecht, daß Polen
keinen tiers état habe, weil dort dieser Stand von den 
übrigen schroffer abgesondert ist, weil seine Glieder 
am Mißverständnisse des Alten Testaments - Gefal-
len finden - - - und weil dieselben vom Ideal gemüt-
licher Bürgerlichkeit, wie dasselbe in einem Nürnber-
ger Frauentaschenbuche, unter dem Bilde reichsstädti-
scher Philiströsität, so niedlich und sonntäglich 
schmuck dargestellt wird, äußerlich noch sehr entfernt
sind. Sie sehen also, daß die Juden in Polen durch 
Zahl und Stellung von größerer staatswirtschaftlicher 
Wichtigkeit sind als bei uns in Deutschland und daß, 
um Gediegenes über dieselben zu sagen, etwas mehr 
dazu gehört als die großartige Leihhausanschauung 
gefühlvoller Romanenschreiber des Nordens oder der 
naturphilosophische Tiefsinn geistreicher Ladendiener
des Südens. Man sagte mir, daß die Juden des Groß-
herzogtums auf einer niedrigeren Humanitätsstufe 
ständen als ihre östlicheren Glaubensgenossen; ich 
will daher nichts Bestimmtes von polnischen Juden 
überhaupt sprechen und verweise Sie lieber auf David
Friedländers »Über die Verbesserung der Israeliten 
(Juden) im Königreich Polen«, Berlin 1819. Seit dem 
Erscheinen dieses Buches, das, bis auf eine zu unge-
rechte Verkennung der Verdienste und der sittlichen 
Bedeutung der Rabbinen, mit einer seltenen Wahrheit
- und Menschenliebe geschrieben ist, hat sich der Zu-
stand der polnischen Juden wahrscheinlich nicht gar 
besonders verändert. Im Großherzogtum sollen sie 
einst, wie noch im übrigen Polen, alle Handwerke 
ausschließlich getrieben haben; jetzt aber sieht man 
viele christliche Handwerker aus Deutschland ein-
wandern, und auch die polnischen Bauern scheinen an
Handwerken und andern Gewerben mehr Geschmack 
zu finden. Seltsam aber ist es, daß der gemeine Pole 
gewöhnlich Schuster oder Bierbrauer und Brannt-
weinbrenner wird. In der Wallischei, einer Vorstadt 
Posens, fand ich das zweite Haus immer mit einem 
Schuhmacherschilde verziert, und ich dachte an die 
Stadt Bradford in Shakespeares »Flurschütz von 
Wakefield«. Im preußischen Polen erlangen die Juden
kein Staatsamt, die sich nicht taufen lassen; im russi-
schen Polen werden auch die Juden zu allen Staatsäm-
tern zugelassen, weil man es dort für zweckmäßig 
hält. Übrigens ist der Arsenik in den dortigen Berg-
werken auch noch nicht zu einer überfrommen Philo-
sophie sublimiert, und die Wölfe in den altpolnischen
Wäldern sind noch nicht darauf abgerichtet, mit histo-
rischen Zitaten zu heulen.
Es wäre zu wünschen, daß unsere Regierung, durch
zweckmäßige Mittel, den Juden des Großherzogtums 
mehr Liebe zum Ackerbau einzuflößen suchte; denn 
jüdische Ackerbauer soll es hier nur sehr wenige 
geben. Im russischen Polen sind sie häufig. Die Ab-
neigung gegen den Pflug soll bei den polnischen 
Juden daher entstanden sein, weil sie ehemals den 
leibeigenen Bauer in einem äußerlich so sehr trauri-
gen Zustande sahen. Hebt sich jetzt der Bauernstand 
aus seiner Erniedrigung, so werden auch die Juden 
zum Pflug greifen. - Bis auf wenige Ausnahmen sind 
alle Wirtshäuser Polens in den Händen der Juden, und
ihre vielen Branntweinbrennereien werden dem Lande
sehr schädlich, indem die Bauern dadurch zur Völle-
rei angereizt werden. Aber ich habe ja schon oben ge-
zeigt, wie das Branntweintrinken zur Seligmachung 
der Bauern gehört. - Jeder Edelmann hat einen Juden 
im Dorf oder in der Stadt, den er Faktor nennt und der
alle seine Kommissionen, Ein- und Verkäufe, Erkun-
digungen usw. ausführt. Eine originelle Einrichtung, 
welche ganz die Bequemlichkeitsliebe der polnischen 
Edelleute zeigt. Das Äußere des polnischen Juden ist 
schrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich 
daran denke, wie ich hinter Meseritz zuerst ein polni-
sches Dorf sah, meistens von Juden bewohnt. Das W-
cksche Wochenblatt, auch zu physischem Brei ge-
kocht, hätte mich nicht so brechpulverisch anwidern 
können als der Anblick jener zerlumpten Schmutzge-
stalten; und die hochherzige Rede eines für Turnplatz 
und Vaterland begeisterten Tertianers hätte nicht so 
zerreißend meine Ohren martern können als der polni-
sche Judenjargon. Dennoch wurde der Ekel bald ver-
drängt von Mitleid, nachdem ich den Zustand dieser 
Menschen näher betrachtete und die schweinestallarti-
gen Löcher sah, worin sie wohnen, mauscheln, beten, 
schachern und - elend sind. Ihre Sprache ist ein mit 
Hebräisch durchwirktes und mit Polnisch fassoniertes
Deutsch. Sie sind in sehr frühen Zeiten wegen Religi-
onsverfolgung aus Deutschland nach Polen eingewan-
dert; denn die Polen haben sich in solchen Fällen 
immer durch Toleranz ausgezeichnet. Als Frömmlin-
ge einem polnischen Könige rieten, die polnischen 
Protestanten zum Katholizismus zurückzuzwingen, 
antwortete derselbe: »Sum rex populorum, sed non 
conscientiarum!« - Die Juden brachten zuerst Gewer-
be und Handel nach Polen und wurden unter Kasimir 
dem Großen mit bedeutenden Privilegien begünstigt. 
Sie scheinen dem Adel weit näher gestanden zu haben
als den Bauern; denn nach einem alten Gesetze wurde
der Jude durch seinen Übertritt zum Christentum eo 
ipso in den Adelstand erhoben. Ich weiß nicht, ob und
warum dieses Gesetz untergegangen und was etwa 
mit Bestimmtheit im Werte gesunken ist. - In jenen 
frühern Zeiten standen indessen die Juden in Kultur 
und Geistesausbildung gewiß weit über dem Edel-
mann, der nur das rauhe Kriegshandwerk trieb und 
noch den französischen Firnis entbehrte. Jene aber be-
schäftigten sich wenigstens immer mit ihren hebräi-
schen Wissenschaft und Religionsbüchern, um derent-
willen eben sie Vaterland und Lebensbehaglichkeit 
verlassen. Aber sie sind offenbar mit der europäischen
Kultur nicht fortgeschritten, und ihre Geisteswelt ver-
sumpfte zu einem unerquicklichen Aberglauben, den 
eine spitzfindige Scholastik in tausenderlei wunderli-
che Formen hineinquetscht. Dennoch, trotz der barba-
rischen Pelzmütze, die seinen Kopf bedeckt, und der 
noch barbarischeren Ideen, die denselben füllen, 
schätze ich den polnischen Juden weit höher als so 
manchen deutschen Juden, der seinen Bolivar auf dem
Kopf und seinen Jean Paul im Kopfe trägt. In der 
schroffen Abgeschlossenheit wurde der Charakter des 
polnischen Juden ein Ganzes; durch das Einatmen to-
leranter Luft bekam dieser Charakter den Stempel der 
Freiheit. Der innere Mensch wurde kein quodlibetarti-
ges Kompositum heterogener Gefühle und verküm-
merte nicht durch die Einzwängung Frankfurter Juden
gaßmauern, hochweiser Stadtverordnungen und lieb-
reicher Gesetzbeschränkungen. Der polnische Jude 
mit seinem schmutzigen Pelze, mit seinem bevölker-
ten Barte und Knoblauchgeruch und Gemauschel ist 
mir noch immer lieber als mancher in all seiner staats-
papiernen Herrlichkeit.
Wie ich bereits oben bemerkt, dürfen Sie in diesem
Briefe keine Schilderungen reizender Naturszenen, 
herrlicher Kunstwerke usw. erwarten; nur die Men-
schen, und zwar besonders die nobelste Sorte, die 
Edelleute, verdienen hier in Polen die Aufmerksam-
keit des Reisenden. Und wahrlich, ich sollte denken, 
wenn man einen kräftigen, echten polnischen Edel-
mann oder eine schöne edle Polin in ihrem wahren 
Glanze sieht, so könnte dieses die Seele ebenso er-
freuen wie etwa der Anblick einer romantischen Fel-
senburg oder einer marmornen Mediceerin. Ich lieferte
Ihnen sehr gerne eine Charakterschilderung der polni-
schen Edelleute, und das gäbe eine sehr kostbare Mo-
saikarbeit von den Adjektiven: gastfrei, stolz, mutig, 
geschmeidig, falsch (dieses gelbe Steinchen darf nicht
fehlen), reizbar, enthusiastisch, spielsüchtig, 
lebenslustig, edelmütig und übermütig. Aber ich 
selbst habe zu oft geeifert gegen unsre Broschürens-
kribler, die, wenn sie einen Pariser Tanzmeister hüp-
fen sehen, aus dem Stegreif die Charakteristik eines 
Volkes schreiben - - - - - - - und die, wenn sie 
einen dicken Liverpooler Baumwollnhändler jähnen 
sahen, auf der Stelle eine Beurteilung jenes Volkes 
liefern - - - - - - - Diese allgemeinen Charaktristi-
ken sind die Quelle aller Übel. Es gehört mehr als ein 
Menschenalter dazu, um den Charakter eines einzigen
Menschen zu begreifen: und aus Millionen einzelnen 
Menschen besteht eine Nation. Nur wenn wir die Ge-
schichte eines Menschen, die Geschichte seiner Erzie-
hung und seines Lebens, betrachten, wird es uns mög-
lich, einzelne Hauptzüge seines Charakters aufzufas-
sen. - Bei Menschenklassen, deren einzelne Glieder 
durch Erziehung und Leben eine gleiche Richtung ge-
winnen, müssen sich indessen einige hervortretende 
Charakterzüge bemerken lassen; dies ist bei den pol-
nischen Edelleuten der Fall, und nur von diesem 
Standpunkte aus läßt sich etwas Allgemeines über 
ihren Charakter ausmitteln. Die Erziehung selbst wird
überall und immer bedingt durch das Lokale und 
durch das Temporale, durch den Boden und durch die 
politische Geschichte. In Polen ist ersteres weit mehr 
der Fall als irgendwo. Polen liegt zwischen Rußland 
und - Frankreich. Das noch vor Frankreich liegende 
Deutschland will ich nicht rechnen, da ein großer Teil
der Polen es ungerechterweise wie einen breiten 
Sumpf ansah, den man schnell überspringen müsse, 
um nach dem gebenedeiten Lande zu gelangen, wo die
Sitten und die Pomaden am feinsten fabriziert werden.
Den heterogensten Einflüssen war Polen dadurch aus-
gesetzt. Eindringende Barbarei von Osten, durch die 
feindlichen Berührungen mit Rußland; eindringende 
Überkultur von Westen, durch die freundschaftlichen 
Berührungen mit Frankreich: daher jene seltsamen 
Mischungen von Kultur und Barbarei im Charakter 
und im häuslichen Leben der Polen. Ich sage just 
nicht, daß alle Barbarei von Osten eingedrungen, ein 
sehr beträchtlicher Teil mag im Lande selbst vorrätig 
gewesen sein; aber in der neuern Zeit war dieses Ein-
drängen sehr sichtbar. Einen Haupteinfluß übt das 
Landleben auf den Charakter der polnischen Edelleu-
te. Nur wenige derselben werden in den Städten erzo-
gen; die meisten Knaben bleiben auf den Landgütern 
ihrer Angehörigen, bis sie erwachsen sind und durch 
die nicht gar zu großen Bemühungen eines Hofmei-
sters oder durch einen nicht gar zu langen Schulbe-
such oder durch das bloße Walten der lieben Natur in 
den Stand gesetzt sind, Kriegsdienste zu nehmen oder
eine Universität zu beziehen oder von der bären-
leckenden Lutetia die Weihe der höchsten Ausbildung
zu empfangen. Da nicht allen hierzu dieselben Mittel 
zu Gebot stehen, so ist es einleuchtend, daß man 
einen Unterschied machen muß zwischen armen Edel-
leuten, reichen Edelleuten und Magnaten. Erstere 
leben oft höchst jämmerlich, fast wie der Bauer, und 
machen keine besonderen Ansprüche an Kultur. Bei 
den reichen Edelleuten und den Magnaten ist die Un-
terscheidung nicht schroff, dem Fremden ist sie sogar 
sehr wenig bemerkbar. An und für sich selbst ist die 
Würde eines polnischen Edelmanus (civis polonus) 
bei dem ärmsten wie bei dem reichsten von demselben
Umfange und demselben innern Werte. Aber an die 
Namen gewisser Familien, die sich immer durch gro-
ßen Güterbesitz und durch Verdienste um den Staat 
ausgezeichnet, hat sich die Idee einer höhern Würde 
geknüpft, und man bezeichnet sie gemeiniglich mit 
dem Namen Magnaten. Die Czartoryskis, die 
Radziwills, die Zamoyskis, die Sapiehas, die 
Poniatowskis, die Potockis usw. werden zwar ebenso-
gut als bloße polnische Edelleute betrachtet wie man-
cher arme Edelmann, der vielleicht hinterm Pflug 
geht; dennoch sind sie der höhere Adel de facto, wenn
auch nicht de nomine. Ihr Ansehen ist sogar fester be-
gründet als das von unserm hohen Adel, weil sie 
selbst sich ihre Würde gegeben und weil nicht bloß 
manches geschnürte alte Fräulein, sondern das ganze 
Volk ihren Stammbaum im Kopfe trägt. Die Benen-
nung Starost findet man jetzt selten, und sie ist ein 
bloßer Titel geworden. Der Name Graf ist ebenfalls 
bei den Polen ein bloßer Titel, und es sind nur von 
Preußen und Österreich einige derselben verteilt. Von 
Adelstolz gegen Bürgerliche wissen die Polen nichts, 
und er kann sich nur in Ländern bilden, wo ein mäch-
tiger und mit Ansprüchen hervortretender Bürgerstand
sich erhebt. Erst dann, wenn der polnische Bauer 
Güter kaufen wird und der polnische Jude sich nicht 
mehr dem Edelmann zuvorkommend erzeigt, möchte 
sich bei diesem der Adelstolz regen, der also das Em-
porkommen des Landes beweisen würde. Weil hier 
die Juden höher als die Bauern gestellt sind, müssen 
sie zuerst mit diesem Adelstolze kollidieren; aber die 
Sache wird gewiß alsdann einen religiöseren Namen 
annehmen.
Dieses hier nur flüchtig angedeutete Wesen des 
polnischen Adels hat, wie man sich denken kann, am 
meisten beigetragen zu der höchst wunderlichen Ge-
staltung von Polens politischer Geschichte, und die 
Einflüsse dieser letztern auf die Erziehung der Polen, 
und also auf ihren Nationalcharakter, waren fast noch 
wichtiger als die obenerwähnten Einflüsse des Bo-
dens. Durch die Idee der Gleichheit entwickelte sich 
bei den polnischen Edelleuten jener Nationalstolz, der
uns oft so sehr überrascht durch seine Herrlichkeit, 
der uns oft auch so sehr ärgert durch seine Gering-
schätzung des Deutschen und der so sehr kontrastiert 
mit eingeknuteter Bescheidenheit. Durch eben jene 
Gleichheit entwickelte sich der bekannte großartige 
Ehrgeiz, der den Geringsten wie den Höchsten beseel-
te und der oft nach dem Gipfel der Macht strebte: da 
Polen meistens ein Wahlreich war. Herrschen hieß die
süße Frucht, nach der es jedem Polen gelüstete. Nicht 
durch Geisteswaffen wollte der Pole sie erbeuten, 
diese führen nur langsam zum Ziele; ein kühner 
Schwerthieb sollte die süße Frucht zum raschen 
Genuß herunterhauen. Daher aber bei den Polen die 
Vorliebe für den Militärstand, wozu ihr heftiger und 
streitlustiger Charakter sie hinzog; daher bei den 
Polen gute Soldaten und Generale, aber gar wenige 
seidene Staatsmänner, noch viel weniger zu Ansehen 
gestiegene Gelehrte. Die Vaterlandsliebe ist bei den 
Polen das große Gefühl, worin alle anderen Gefühle 
wie der Strom in das Weltmeer zusammenfließen; und
dennoch trägt dieses Vaterland kein sonderlich reizen-
des Äußere. Ein Franzose, der diese Liebe nicht be-
greifen konnte, betrachtete eine trübselige polnische 
Sumpfgegend, stampfte ein Stück aus dem Boden und
sprach pfiffig und kopfschüttelnd: »Und das nennen 
die Kerls ein Vaterland!« Aber nicht aus dem Boden 
selbst, nur aus dem Kampfe um Selbständigkeit, aus 
historischen Erinnerungen und aus dem Unglück ist 
bei den Polen diese Vaterlandsliebe entsprossen. Sie 
flammt jetzt noch immer so glühend wie in den Tagen
Kosciuszkos, vielleicht noch glühender. Fast bis zur 
Lächerlichkeit ehren jetzt die Polen alles, was vater-
ländisch ist. Wie ein Sterbender, der sich in krampf-
hafter Angst gegen den Tod sträubt, so empört und 
sträubt sich ihr Gemüt gegen die Idee der Vernichtung
ihrer Nationalität. Dieses Todeszucken des polnischen
Volkskörpers ist ein entsetzlicher Anblick! Aber alle 
Völker Europas und der ganzen Erde werden diesen 
Todeskampf überstehen müssen, damit aus dem Tode 
das Leben, aus der heidnischen Nationalität die 
christliche Fraternität hervorgehe. Ich meine hier nicht
alles Aufgeben schöner Besonderheiten, worin sich 
die Liebe am liebsten abspiegelt, sondern jene von 
uns Deutschen am meisten erstrebte und von unsern 
edelsten Volkssprechern, Lessing, Herder, Schiller 
usw., am schönsten ausgesprochene allgemeine Men-
schenverbrüderung, das Urchristentum. Von diesem 
sind die polnischen Edelleute, ebensogut wie wir, 
noch sehr entfernt. Ein großer Teil lebt noch in den 
Formen des Katholizismus, ohne leider den großen 
Geist dieser Formen und ihren jetzigen Übergang zum
Weltgeschichtlichen zu ahnen; ein größerer Teil be-
kennt sich zur französischen Philosophie. Ich will hier
diese gewiß nicht verunglimpfen: es gibt Stunden, wo
ich sie verehre, und sehr verehre; ich selbst bin gewis-
sermaßen ein Kind derselben. Aber ich glaube doch, 
es fehlt ihr die Hauptsache - die Liebe. Wo dieser 
Stern nicht leuchtet, da ist es Nacht, und wenn auch 
alle Lichter der Enzyklopädie ihr Brillantfeuer umher-
sprühen. - Wenn Vaterland das erste Wort des Polen 
ist, so ist Freiheit das zweite. Ein schönes Wort! 
Nächst der Liebe gewiß das schönste. Aber es ist 
auch nächst der Liebe das Wort, das am meisten miß-
verstanden wird und ganz entgegengesetzten Dingen 
zur Bezeichnung dienen muß. Hier ist das der Fall. 
Die Freiheit der meisten Polen ist nicht die göttliche, 
die Washingtonsche; nur ein geringer Teil, nur Män-
ner wie Koscinszko haben letztere begriffen und zu 
verbreiten gesucht. Viele zwar sprechen enthusia-
stisch von dieser Freiheit, aber sie machen keine An-
stalt, ihre Bauern zu emanzipieren. Das Wort Frei-
heit, das so schön und volltönend in der polnischen 
Geschichte durchklingt, war nur der Wahlspruch des 
Adels, der dem Könige soviel Rechte als möglich ab-
zuzwängen suchte, um seine eigne Macht zu vergrö-
ßern und auf solche Weise die Anarchie hervorzuru-
fen. C'était tout comme chez nous, wo ebenfalls deut-
sche Freiheit einst nichts anders hieß, als den Kaiser 
zum Bettler machen, damit der Adel desto reichlicher 
schlemmen und desto willkürlicher herrschen konnte; 
und ein Reich mußte untergehen, dessen Vogt auf sei-
nem Stuhle festgebunden war und endlich nur ein 
Holzschwert in der Hand trug. In der Tat, die polni-
sche Geschichte ist die Miniaturgeschichte 
Deutschlands; nur daß in Polen die Großen sich vom 
Reichsoberhaupte nicht so ganz losgerissen und selb-
ständig gemacht hatten wie bei uns und daß durch die 
deutsche Bedächtigkeit doch immer einige Ordnung in
die Anarchie hineingelangsamt wurde. Hätte Luther, 
der Mann Gottes und Katharinas, vor einem Krakauer
Reichstage gestanden, so hätte man ihn sicher nicht so
ruhig wie in Augsburg aussprechen lassen. Jener 
Grundsatz von der stürmischen Freiheit, die besser 
sein mag als ruhige Knechtschaft, hat dennoch, trotz 
seiner Herrlichkeit, die Polen ins Verderben gestürzt. 
Aber es ist auch erstaunlich, wenn man sieht, welche 
Macht schon das bloße Wort Freiheit auf ihre Gemü-
ter ausübt; sie glühen und flammen, wenn sie hören, 
daß irgend für die Freiheit gestritten wird; ihre Augen
schauen leuchtend nach Griechenland und Südameri-
ka. In Polen selbst aber wird, wie ich oben schon ge-
sagt, unter Niederdrückung der Freiheit bloß die Be-
schränkung der Adelsrechte verstanden oder gar die 
allmähliche Ausgleichung der Stände. Wir wissen das
besser; die Freiheiten müssen untergehen, wo die all-
gemeine gesetzliche Freiheit gedeihen soll.
Jetzt aber knien Sie nieder, oder wenigstens ziehen 
Sie den Hut ab - ich spreche von Polens Weibern. 
Mein Geist schweift an den Ufern des Ganges und 
sucht die zartesten und lieblichsten Blumen, um sie 
damit zu vergleichen. Aber was sind gegen diese 
Holden alle Reize der Mallika, der Kuwalaja, der 
Oschadhi, der Nagakesarblüten, der heiligen Lotos-
blumen, und wie sie alle heißen mögen - Kamalata, 
Pedma, Kamala, Tamala, Sirischa usw.!! Hätte ich 
den Pinsel Raffaels, die Melodien Mozarts und die 
Sprache Calderons, so gelänge es mir vielleicht, Ihnen
ein Gefühl in die Brust zu zaubern, das Sie empfinden
würden, wenn eine wahre Polin, eine Weichselaphro-
dite, vor Ihren hochbegnadigten Augen leibhaftig er-
schiene. Aber was sind Raffaelsche Farbenkleckse 
gegen diese Altarbilder der Schönheit, die der leben-
dige Gott in seinen heitersten Stunden fröhlich hinge-
zeichnet! Was sind Mozartsche Klimpereien gegen 
die Worte, die gefüllten Bonbons für die Seele, die 
aus den Rosenlippen dieser Süßen hervorquellen! 
Was sind alle Calderonischen Sterne der Erde und 
Blumen des Himmels gegen diese Holden, die ich 
ebenfalls, auf gut calderonisch, Engel der Erde be-
namse, weil ich die Engel selbst Polinnen des Him-
mels nenne! Ja, mein Lieber, wer in ihre Gazellenau-
gen blickt, glaubt an den Himmel, und wenn er der 
eifrigste Anhänger des Baron Holbach war; - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - Wenn ich über den 
Charakter der Polinnen sprechen soll, so bemerke ich 
bloß: sie sind Weiber. Wer will sich anheischig ma-
chen, den Charakter dieser letztern zu zeichnen!
Ein sehr werter Weltweiser, der zehn Oktavbände 
»weibliche Charaktere« geschrieben, hat endlich seine
eigne Frau in militärischen Umarmungen gefunden. 
Ich will hier nicht sagen, die Weiber hätten gar keinen
Charakter. Beileibe nicht! Sie haben vielmehr jeden 
Tag einen andern. Diesen immerwährenden Wechsel 
des Charakters will ich ebenfalls durchaus nicht ta-
deln. Es ist sogar ein Vorzug. Ein Charakter entsteht 
durch ein System stereotyper Grundsätze. Sind letzte-
re irrig, so wird das ganze Leben desjenigen Men-
schen, der sie systematisch in seinem Geiste aufge-
stellt, nur ein großer, langer Irrtum sein. Wir loben 
das und nennen es »Charakter haben«, wenn ein 
Mensch nach festen Grundsätzen handelt, und beden-
ken nicht, daß in einem solchen Menschen die Wil-
lensfreiheit untergegangen, daß sein Geist nicht fort-
schreitet und daß er selbst ein blinder Knecht seiner 
verjährten Gedanken ist. Wir nennen das auch Konse-
quenz, wenn jemand dabei bleibt, was er ein für alle-
mal in sich aufgestellt und ausgesprochen hat, und wir
sind oft tolerant genug, Narren zu bewundern und Bö-
sewichter zu entschuldigen, wenn sich nur von ihnen 
sagen läßt, daß sie konsequent gehandelt. Diese mora-
lische Selbstunterjochung findet sich aber fast nur bei 
Männern; im Geiste der Frauen bleibt immer lebendig
und in lebendiger Bewegung das Element der Freiheit.
Jeden Tag wechseln sie ihre Weltansichten, meistens 
ohne sich dessen bewußt zu sein. Sie stehen des 
Morgens auf wie unbefangene Kinder, bauen des Mit-
tags ein Gedankensystem, das wie ein Kartenhaus des
Abends wieder zusammenfällt. Haben sie heute 
schlechte Grundsätze, so wette ich darauf, haben sie 
morgen die allerbesten. Sie wechseln ihre Meinungen 
so oft wie ihre Kleider. Wenn in ihrem Geiste just 
kein herrschender Gedanke steht, so zeigt sich das Al-
lererfreulichste, das Interregnum des Gemüts. Und 
dieses ist bei den Frauen am reinsten und am stärk-
sten und führt sie sicherer als die Verstandesabstrakti-
onslaternen, die uns Männer so oft irreleiten. Glauben
Sie nicht etwa, ich wollte hier den Advocatus Diaboli 
spielen und die Weiber noch obendrein preisen wegen
jenes Charaktermangels, den unsere Gelbschnäbel 
und Grauschnäbel - die einen durch Amor, die andern
durch Hymen malträtiert - mit so vielen Stoßseufzern
beklagen. Auch müssen Sie bemerken, daß, bei die-
sem allgemeinen Ausspruch über die Weiber, die Po-
linnen hauptsächlich gemeint sind und die deutschen 
Frauen so halb und halb ausgenommen werden. Das 
ganze deutsche Volk hat, durch seinen angeborenen 
Tiefsinn, ganz besondere Anlage zu einem festen 
Charakter, und auch den Frauen hat sich ein Anflug 
davon mitgeteilt, der durch die Zeit sich immer mehr 
und mehr verdichtet, so daß man bei ältlichen deut-
schen Damen, sogar bei Frauen aus dem Mittelalter, 
d. h. bei Vierzigerinnen, eine ziemlich dicke, 
schuppige Charakterhornhaut vorfindet. Unendlich 
verschieden sind die Polinnen von den deutschen 
Frauen. Das slawische Wesen überhaupt und die pol-
nische Sitte insbesondere mag dieses hervorgebracht 
haben. In Hinsicht der Liebenswürdigkeit will ich die 
Polin nicht über die Deutsche erheben: sie sind nicht 
zu vergleichen. Wer will eine Venus von Tizian über 
eine Maria von Correggio setzen? In einem sonnen-
hellen Blumentale würde ich mir eine Polin zur Be-
gleiterin wählen; in einem mondbeleuchteten Linden-
garten wählte ich eine Deutsche. Zu einer Reise durch
Spanien, Frankreich und Italien wünschte ich eine 
Polin zur Begleiterin; zu einer Reise durch das Leben 
wünschte ich eine Deutsche. Muster von Häuslichkeit,
Kindererziehung, frommer Demut und allen jenen stil-
len Tugenden der deutschen Frauen wird man wenige 
unter den Polinnen finden. Jene Haustugenden finden 
sich aber auch bei uns meistens nur im Bürgerstande 
und einem Teile des Adels, der sich in Sitten und An-
sprüchen dem Bürgerstande angeschlossen. Bei dem 
übrigen Teile des deutschen Adels werden oft jene 
Haustugenden in höherem Grade und auf eine weit 
empfindlichere Weise vermißt als bei den Frauen des 
polnischen Adels. Ja, bei diesen ist es doch nie der 
Fall, daß auf diesen Mangel sogar ein Wert gelegt 
wird, daß man sich etwas darauf einbildet; wie von so
manchen deutschen adligen Damen geschieht, die 
nicht Geld- oder Geisteskraft genug besitzen, um sich 
über den Bürgerstand zu erheben, und die sich wenig-
stens durch Verachtung bürgerlicher Tugenden und 
Beibehaltung nichtskostender altadliger Gebrechen 
auszuzeichnen suchen. Auch die Frauen der Polen 
sind nicht ahnenstolz, und es fällt keinem polnischen 
Fräulein ein, sich etwas darauf einzubilden, daß vor 
einigen hundert Jahren ihr wegelagernder Ahnherr, 
der Raubritter, der verdienten Strafe - entgangen ist. 
- Das religiöse Gefühl ist bei den deutschen Frauen 
tiefer als bei den Polinnen. Diese leben mehr nach 
außen als nach innen; sie sind heitere Kinder die sich 
vor Heiligenbildern bekreuzen, durch das Leben wie 
durch einen schönen Redoutensaal gaukeln und la-
chen und tanzen und liebenswürdig sind. Ich möchte 
wahrlich nicht Leichtfertigkeit und nicht einmal 
Leichtsinn nennen jenen leichten Sinn der Polinnen, 
der so sehr begünstigt wird durch die leichten polni-
schen Sitten überhaupt, durch den leichten französi-
schen Ton, der sich mit diesen vermischt, durch die 
leichte französische Sprache, die in Polen mit Vorlie-
be, und fast wie eine Muttersprache, gesprochen wird,
und durch die leichte französische Literatur, deren 
Dessert, die Romane, von den Polinnen verschlungen 
werden; und was die Sittenreinheit betrifft, so bin ich 
überzeugt, daß die Polinnen hierin den deutschen 
Frauen nicht nachzustehen brauchen. Die 
Ausschweifungen einiger polnischen Magnatenweiber
haben, wegen ihrer Großartigkeit, zu verschiedenen 
Zeiten viele Augen auf sich gezogen, und unser Pöbel,
wie ich schon oben bemerkt, beurteilt eine ganze Na-
tion nach den paar schmutzigen Exemplaren, die ihm 
davon zu Gesicht gekommen. Außerdem muß man 
bedenken, daß die Polinnen schön sind und daß schö-
ne Frauen, aus bekannten Gründen, dem bösen Leu-
mund am meisten ausgesetzt sind und demselben nie 
entgehen, wenn sie, wie die Polinnen, freudig dahinle-
ben in leichter, anmutiger Unbefangenheit. Glauben 
Sie mir, man ist in Warschau um nichts weniger tu-
gendhaft wie in Berlin, nur daß die Wogen der 
Weichsel etwas wilder brausen als die stillen Wasser 
der seichten Spree.

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