Heinrich Heine

Romanzero

Nachwort

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

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Ich habe dieses Buch »Romanzero« genannt, weil 
der Romanzenton vorherrschend in den Gedichten, die
hier gesammelt. Mit wenigen Ausnahmen schrieb ich 
sie während der letzten drei Jahre, unter mancherlei 
körperlichen Hindernissen und Qualen. Gleichzeitig 
mit dem »Romanzero« lasse ich in derselben Verlags-
handlung ein Büchlein erscheinen, welches »Der 
Doktor Faust, ein Tanzpoem, nebst kuriosen Berich-
ten über Teufel, Hexen und Dichtkunst« betitelt ist. 
Ich empfehle solches einem verehrungswürdigen Pu-
bliko, das sich gern ohne Kopfanstrengung über der-
gleichen Dinge belehren lassen möchte; es ist eine 
leichte Goldarbeit, worüber gewiß mancher Grob-
schmied den Kopf schütteln wird. Ich hegte ursprüng-
lich die Absicht, dieses Produkt dem »Romanzero« 
einzuverleiben, was ich aber unterließ, um nicht die 
Einheit der Stimmung, die in letzterem waltet und 
gleichsam sein Kolorit bildet, zu stören. Jenes Tanz-
poem schrieb ich nämlich im Jahre 1847, zu einer 
Zeit, wo mein böses Siechtum bereits bedenklich vor-
geschritten war, aber doch noch nicht seine grämli-
chen Schatten über mein Gemüt warf. Ich hatte da-
mals noch etwas Fleisch und Heidentum an mir, und 
ich war noch nicht zu dem spiritualistischen Skelette 
abgemagert, das jetzt seiner gänzlichen Auflösung 
entgegenharrt. Aber existiere ich wirklich noch? Mein
Leib ist so sehr in die Krümpe gegangen, daß schier 
nichts übriggeblieben als die Stimme, und mein Bett 
mahnt mich an das tönende Grab des Zauberers Mer-
linus, welches sich im Walde Brozeliand in der Breta-
gne befindet, unter hohen Eichen, deren Wipfel wie 
grüne Flammen gen Himmel lodern. Ach, um diese 
Bäume und ihr frisches Wehen beneide ich dich, Kol-
lege Merlinus, denn kein grünes Blatt rauscht herein 
in meine Matratzengruft zu Paris, wo ich früh und 
spat nur Wagengerassel, Gehämmer, Gekeife und 
Klaviergeklimper vernehme. Ein Grab ohne Ruhe, der
Tod ohne die Privilegien der Verstorbenen, die kein 
Geld auszugeben und keine Briefe oder gar Bücher zu
schreiben brauchen - das ist ein trauriger Zustand. 
Man hat mir längst das Maß genommen zum Sarg, 
auch zum Nekrolog, aber ich sterbe so langsam, daß 
solches nachgerade langweilig wird für mich, wie für 
meine Freunde. Doch Geduld, alles hat sein Ende. Ihr 
werdet eines Morgens die Bude geschlossen finden, 
wo euch die Puppenspiele meines Humors so oft er-
götzten.
Was soll aber, wenn ich tot bin, aus den armen 
Hanswürsten werden, die ich seit Jahren bei jenen 
Darstellungen employiert hatte? Was soll z.B. aus 
Maßmann werden? Ungern verlaß ich ihn, und es er-
faßt mich schier eine tiefe Wehmut, wenn ich denke 
an die Verse:

Ich sehe die kurzen Beinchen nicht mehr,
Nicht mehr die platte Nase;
Er schlug wie ein Pudel, frisch, fromm, fröhlich, frei,
Die Purzelbäume im Grase.

Und er versteht Latein. Ich habe freilich in meinen 
Schriften so oft das Gegenteil behauptet, daß niemand
mehr meine Behauptung bezweifelte und der Ärmste 
ein Stichblatt der allgemeinen Verhöhnung ward. Die 
Schulbuben frugen ihn, in welcher Sprache der »Don 
Quixote« geschrieben sei, und wenn mein armer Maß-
mann antwortete: in spanischer Sprache - erwiderten 
sie, er irre sich, derselbe sei lateinisch geschrieben, 
und das käme ihm so spanisch vor. Sogar die eigene 
Gattin war grausam genug, bei häuslichen Mißver-
ständnissen auszurufen, sie wundere sich, daß ihr 
Mann sie nicht verstehe, da sie doch deutsch und kein
Latein gesprochen habe. Die Maßmännische Groß-
mutter, eine Wäscherin von unbescholtener Sittlich-
keit und die einst für Friedrich den Großen gewa-
schen, hat sich über die Schmach ihres Enkels zu 
Tode gegrämt; der Onkel, ein wackerer altpreußischer
Schuhflicker, bildete sich ein, die ganze Familie sei 
schimpfiert, und vor Verdruß ergab er sich dem 
Trunk.
Ich bedaure, daß meine jugendliche Unbesonnen-
heit solches Unheil angerichtet. Die würdige Wasch-
frau kann ich leider nicht wieder ins Leben zurückru-
fen, und den zartfühlenden Oheim, der jetzt zu Berlin 
in der Gosse liegt, kann ich nicht mehr des Schnapses
entwöhnen; aber ihn selbst, meinen armen Hanswurst 
Maßmann, will ich in der öffentlichen Meinung wie-
der rehabilitieren, indem ich alles, was ich über seine 
lateinlosigkeit, seine lateinische Impotenz, seine 
magna linguae romanae ignorantia jemals geäußert 
habe, feierlich widerrufe.
So hätte ich denn mein Gewissen erleichtert. Wenn 
man auf dem Sterbebette liegt, wird man sehr emp-
findsam und weichselig und möchte Frieden machen 
mit Gott und der Welt. Ich gestehe es, ich habe man-
chen gekratzt, manchen gebissen, und war kein 
Lamm. Aber glaubt mir, jene gepriesenen Lämmer der
Sanftmut würden sich minder frömmig gebärden, be-
säßen sie die Zähne und die Tatzen des Tigers. Ich 
kann mich rühmen, daß ich mich solcher angebornen 
Waffen nur selten bedient habe. Seit ich selbst der 
Barmherzigkeit Gottes bedürftig, habe ich allen mei-
nen Feinden Amnestie erteilt; manche schöne Gedich-
te, die gegen sehr hohe und sehr niedrige Personen ge-
richtet waren, wurden deshalb in vorliegender 
Sammlung nicht aufgenommen. Gedichte, die nur 
halbweg Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott 
selbst enthielten, habe ich mit ängstlichstem Eifer den
Flammen überliefert. Es ist besser, daß die Verse 
brennen als der Versifex. Ja, wie mit der Kreatur, 
habe ich auch mit dem Schöpfer Frieden gemacht, 
zum größten Ärgernis meiner aufgeklärten Freunde, 
die mir Vorwürfe machten über dieses Zurückfallen in
den alten Aberglauben, wie sie meine Heimkehr zu 
Gott zu nennen beliebten. Andere, in ihrer Intoleranz, 
äußerten sich noch herber. Der gesamte hohe Klerus 
des Atheismus hat sein Anathema über mich ausge-
sprochen, und es gibt fanatische Pfaffen des Unglau-
bens, die mich gerne auf die Folter spannten, damit 
ich meine Ketzereien bekenne. Zum Glück stehen 
ihnen keine andern Folterinstrumente zu Gebote als 
ihre Schriften. Aber ich will auch ohne Tortur alles 
bekennen. Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der 
verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den 
Hegelianern die Schweine gehütet. War es die Misere,
die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder misera-
bler Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich 
und trieb mich fort durch Wälder und Schluchten, 
über die schwindligsten Bergpfade der Dialektik. Auf 
meinem Wege fand ich den Gott der Pantheisten, aber
ich konnte ihn nicht gebrauchen. Dies arme träumeri-
sche Wesen ist mit der Welt verwebt und verwachsen,
gleichsam in ihr eingekerkert, und gähnt dich an, wil-
lenlos und ohnmächtig. Um einen Willen zu haben, 
muß man eine Person sein, und um ihn zu manifestie-
ren, muß man die Ellbogen frei haben. Wenn man nun
einen Gott begehrt, der zu helfen vermag - und das ist
doch die Hauptsache - , so muß man auch seine Per-
sönlichkeit, seine Außerweltlichkeit und seine heili-
gen Attribute, die Allgüte, die Allweisheit, die Allge-
rechtigkeit usw., annehmen. Die Unsterblichkeit der 
Seele, unsre Fortdauer nach dem Tode, wird uns als-
dann gleichsam mit in den Kauf gegeben, wie der 
schöne Markknochen, den der Fleischer, wenn er mit 
seinen Kunden zufrieden ist, ihnen unentgeltlich in 
den Korb schiebt. Ein solcher schöner Markknochen 
wird in der französischen Küchensprache la réjouis-
sance genannt, und man kocht damit ganz vorzügliche
Kraftbrühen, die für einen armen schmachtenden 
Kranken sehr stärkend und labend sind. Daß ich eine 
solche réjouissance nicht ablehnte und sie mir viel-
mehr mit Behagen zu Gemüte führte, wird jeder 
fühlende Mensch billigen.
Ich habe vom Gott der Pantheisten geredet, aber ich
kann nicht umhin zu bemerken, daß er im Grunde gar 
kein Gott ist, so wie überhaupt die Pantheisten eigent-
lich nur verschämte Atheisten sind, die sich weniger 
vor der Sache als vor dem Schatten, den sie an die 
Wand wirft, vor dem Namen, fürchten. Auch haben 
die meisten in Deutschland während der Restaurati-
onszeit mit dem lieben Gotte dieselbe funfzehnjährige
Komödie gespielt, welche hier in Frankreich die kon-
stitutionellen Royalisten, die größtenteils im Herzen 
Republikaner waren, mit dem Königtume spielten. 
Nach der Juliusrevolution ließ man jenseits wie dies-
seits des Rheines die Maske fallen. Seitdem, beson-
ders aber nach dem Sturz Ludwig Philipps, des besten
Monarchen, der jemals die konstitutionelle Dornen-
krone trug, bildete sich hier in Frankreich die Mei-
nung, daß nur zwei Regierungsformen, das absolute 
Königtum und die Republik, die Kritik der Vernunft 
oder der Erfahrung aushielten, daß man eins von bei-
den wählen müsse, daß alles dazwischenliegende 
Mischwerk unwahr, unhaltbar und verderblich sei. In 
derselben Weise tauchte in Deutschland die Ansicht 
auf, daß man wählen müsse zwischen der Religion 
und der Philosophie, zwischen dem geoffenbarten 
Dogma des Glaubens und der letzten Konsequenz des
Denkens, zwischen dem absoluten Bibelgott und dem 
Atheismus.
Je entschiedener die Gemüter, desto leichter werden
sie das Opfer solcher Dilemmen. Was mich betrifft, 
so kann ich mich in der Politik keines sonderlichen 
Fortschritts rühmen; ich verharrte bei denselben de-
mokratischen Prinzipien, denen meine früheste Ju-
gend huldigte und für die ich seitdem immer 
flammender erglühte. In der Theologie hingegen muß 
ich mich des Rückschreitens beschuldigen, indem ich,
was ich bereits oben gestanden, zu dem alten Aber-
glauben, zu einem persönlichen Gotte, zurückkehrte. 
Das läßt sich nun einmal nicht vertuschen, wie es 
mancher aufgeklärte und wohlmeinende Freund ver-
suchte. Ausdrücklich widersprechen muß ich jedoch 
dem Gerüchte, als hätten mich meine Rückschritte bis
zur Schwelle irgendeiner Kirche oder gar in ihren 
Schoß geführt. Nein, meine religiösen Überzeugungen
und Ansichten sind frei geblieben von jeder Kirch-
lichkeit; kein Glockenklang hat mich verlockt, keine 
Altarkerze hat mich geblendet. Ich habe mit keiner 
Symbolik gespielt und meiner Vernunft nicht ganz 
entsagt. Ich habe nichts abgeschworen, nicht einmal 
meine alten Heidengötter, von denen ich mich zwar 
abgewendet, aber scheidend in Liebe und Freund-
schaft. Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich 
zum letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von
den holden Idolen, die ich angebetet in den Zeiten 
meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte ich mich bis 
zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in 
den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göt-
tin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf 
ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange,
und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein er-
barmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf 
mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie 
sagen: siehst du denn nicht, daß ich keine Arme habe 
und also nicht helfen kann?
Ich breche hier ab, denn ich gerate in einen larmoy-
anten Ton, der vielleicht überhandnehmen kann, wenn
ich bedenke, daß ich jetzt auch von dir, teurer Leser, 
Abschied nehmen soll. Eine gewisse Rührung be-
schleicht mich bei diesem Gedanken; denn ungern 
trenne ich mich von dir. Der Autor gewöhnt sich am 
Ende an sein Publikum, als wäre es ein vernünftiges 
Wesen. Auch dich scheint es zu betrüben, daß ich dir 
Valet sagen muß; du bist gerührt, mein teurer Leser, 
und kostbare Perlen fallen aus deinen Tränensäck-
chen. Doch beruhige dich, wir werden uns wiederse-
hen in einer besseren Welt, wo ich dir auch bessere 
Bücher zu schreiben gedenke. Ich setze voraus, daß 
sich dort auch meine Gesundheit bessert und daß 
mich Swedenborg nicht belogen hat. Dieser erzählt 
nämlich mit großer Zuversicht, daß wir in der andern 
Welt das alte Treiben, ganz wie wir es in dieser Welt 
getrieben, ruhig fortsetzen, daß wir dort unsere Indivi-
dualität unverändert bewahren und daß der Tod in un-
serer organischen Entwickelung gar keine sonderliche 
Störung hervorbringe. Swedenborg ist eine grundehr-
liche Haut, und glaubwürdig sind seine Berichte über 
die andere Welt, wo er mit eigenen Augen die Perso-
nen sah, die auf unserer Erde eine Rolle gespielt. Die 
meisten, sagt er, blieben unverändert und beschäftigen
sich mit denselben Dingen, mit denen sie sich auch 
vormals beschäftigt; sie blieben stationär, waren ver-
altet, rokoko, was sich mitunter sehr lächerlich aus-
nahm. So z.B. unser teurer Doktor Martinus Luther 
war stehengeblieben bei seiner Lehre von der Gnade, 
über die er während dreihundert Jahren tagtäglich die-
selben verschimmelten Argumente niederschrieb - 
ganz in derselben Weise wie der verstorbene Baron 
Eckstein, der während zwanzig Jahren in der »Allge-
meinen Zeitung« einen und denselben Artikel drucken
ließ, den alten jesuitischen Sauerteig beständig wie-
derkäuend. Aber, wie gesagt, nicht alle Personen, die 
hienieden eine Rolle gespielt, fand Swedenborg in 
solcher fossilen Erstarrung; sie hatten im Guten wie 
im Bösen ihren Charakter weidlich ausgebildet in der 
anderen Welt, und da gab es sehr wunderliche Er-
scheinungen. Helden und Heilige dieser Erde waren 
dort zu Lumpen und Taugenichtsen herabgesunken, 
während auch das Gegenteil stattfand. So z.B. stieg 
dem heiligen Antonius der Hochmut in den Kopf, als 
er erfuhr, welche ungeheure Verehrung und Anbetung 
ihm die ganze Christenheit zollt, und er, der hienieden
den furchtbarsten Versuchungen widerstanden, ward 
jetzt ein ganz impertinenter Schlingel und liederlicher 
Galgenstrick, der sich mit seinem Schweine um die 
Wette in den Kot wälzt. Die keusche Susanne brachte 
der Dünkel ihrer Sittlichkeit, die sie unbesiegbar 
glaubte, gar schmählich zu Falle, und sie, die einst 
den Greisen so glorreich widerstanden, erlag der Ver-
lockung des jungen Absalon, Sohn Davids. Die Töch-
ter Lots hingegen hatten sich im Verlauf der Zeit sehr 
vertugendhaftet und gelten in der andern Welt für Mu-
ster der Anständigkeit; der Alte verharrte leider bei 
der Weinflasche.
So närrisch sie auch klingen, so sind doch diese 
Nachrichten ebenso bedeutsam wie scharfsinnig. Der 
große skandinavische Seher begriff die Einheit und 
Unteilbarkeit unserer Existenz, so wie er auch die un-
veräußerlichen Individualitätsrechte des Menschen 
ganz richtig erkannte und anerkannte. Die Fortdauer 
nach dem Tode ist bei ihm kein idealer Mummen-
schanz, wo wir neue Jacken und einen neuen Men-
schen anziehen; Mensch und Kostüm bleiben bei ihm 
unverändert. In der anderen Welt des Swedenborg 
werden sich auch die armen Grönländer behaglich 
fühlen, die einst, als die dänischen Missionäre sie be-
kehren wollten, an diese die Frage richteten, ob es im 
christlichen Himmel auch Seehunde gäbe. Auf die 
verneinende Antwort erwiderten sie betrübt, der 
christliche Himmel passe alsdann nicht für Grönlän-
der, die nicht ohne Seehunde existieren könnten.
Wie sträubt sich unsere Seele gegen den Gedanken 
des Aufhörens unserer Persönlichkeit, der ewigen 
Vernichtung! Der horror vacui, den man der Natur zu-
schreibt, ist vielmehr dem menschlichen Gemüte an-
geboren. Sei getrost, teurer Leser, es gibt eine Fort-
dauer nach dem Tode, und in der anderen Welt wer-
den wir auch unsere Seehunde wiederfinden.
Und nun, lebe wohl, und wenn ich dir etwas schul-
dig bin, so schicke mir deine Rechnung. -

Geschrieben zu Paris, den 30. September 1851

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