Kapitel
X-XI
Kapitel X
Als Candide nach Eldorado kam, sah er auf der
Straße mehrere Buben, die mit großen Goldklumpen
statt mit Steinen spielten. Dieser Luxus machte ihn
glauben, es seien das Kinder des Königs, und er war
nicht wenig verwundert, als er vernahm, daß in Eldo-
rado die Goldklumpen ebenso wertlos sind wie bei
uns die Kieselsteine und daß die Schulknaben damit
spielen. Einem meiner Freunde, einem Ausländer, ist
etwas Ähnliches begegnet, als er nach Deutschland
kam und zuerst deutsche Bücher las und über den Ge-
dankenreichtum, welchen er darin fand, sehr erstaun-
te; bald aber merkte er, daß Gedanken in Deutschland
so häufig sind wie Goldklumpen in Eldorado und daß
jene Schriftsteller, die er für Geistesprinzen gehalten,
nur gewöhnliche Schulknaben waren.
Diese Geschichte kommt mir immer in den Sinn,
wenn ich im Begriff stehe, die schönsten Reflexionen
über Kunst und Leben niederzuschreiben, und dann
lache ich und behalte lieber meine Gedanken in der
Feder oder kritzele statt dieser irgendein Bild oder
Figürchen auf das Papier und überrede mich, solche
Tapeten seien in Deutschland, dem geistigen Eldora-
do, weit brauchbarer als die goldigsten Gedanken.
Auf der Tapete, die ich dir jetzt zeige, lieber Leser,
siehst du wieder die wohlbekannten Gesichter Gum-
pelinos und seines Hirsch-Hyazinthos, und wenn auch
jener mit minder bestimmten Zügen dargestellt ist, so
hoffe ich doch, du wirst scharfsinnig genug sein,
einen Negationscharakter ohne allzu positive Be-
zeichnungen zu begreifen. Letztere könnten mir einen
Injurienprozeß zuwege bringen oder gar noch bedenk-
lichere Dinge. Denn der Marchese ist mächtig durch
Geld und Verbindungen. Dabei ist er der natürliche
Alliierte meiner Feinde, er unterstützt sie mit Subsidi-
en, er ist Aristokrat, Ultrapapist, nur etwas fehlte ihm
noch - je nun, auch das wird er sich schon anlehren
lassen -, er hat das Lehrbuch dazu in den Händen,
wie du auf der Tapete sehen wirst.
Es ist wieder Abend, auf dem Tische stehen zwei
Armleuchter mit brennenden Wachskerzen, ihr
Schimmer spielt über die goldenen Rahmen der Heili-
genbilder, die, an der Wand hängend, durch das
flackernde Licht und die beweglichen Schatten zu
leben scheinen. Draußen, vor dem Fenster, stehen im
silbernen Mondschein, unheimlich bewegungslos, die
düstern Zypressen, und in der Ferne ertönt ein trübes
Marienliedchen in abgebrochenen Lauten und wie von
einer kranken Kinderstimme. Es herrscht eine eigene
Schwüle im Zimmer, der Marchese Christophoro di
Gumpelino sitzt oder vielmehr liegt wieder, nachläs-
sig vornehm, auf den Kissen des Sofas, der edle
schwitzende Leib ist wieder mit dem dünnen, blausei-
denen Domino bekleidet, in den Händen hält er ein
Buch, das in rotes Saffianpapier mit Goldschnitt ge-
bunden ist, und deklamiert daraus laut und schmach-
tend. Sein Auge hat dabei einen gewissen klebrichten
Lustre, wie er verliebten Katern eigen zu sein pflegt,
und seine Wangen, sogar die beiden Seitenflügel der
Nase, sind etwas leidend blaß. Jedoch, lieber Leser,
diese Blässe ließe sich wohl philosophisch-anthropo-
logisch erklären, wenn man bedenkt, daß der Marche-
se den Abend vorher ein ganzes Glas Glaubersalz ver-
schluckt hat.
Hirsch-Hyazinthos aber kauert am Boden des Zim-
mers, und mit einem großen Stück weißer Kreide
zeichnet er auf das braune Estrich in großem Maßsta-
be ungefähr folgende Charaktere:
È È - È È - È È - È È
È È - È È - È È - È È
È È - È È - È È - È È
È È - È È - È È
È È
Dieses Geschäft scheint dem kleinen Manne ziem-
lich sauer zu werden; keuchend, bei dem jedesmaligen
Bücken, murmelt er verdrießlich: »Spondeus, Trochä-
us, Jambus, Antispaß, Anapäst und die Pest!« Dazu
hat er, um der bequemeren Bewegung willen, den
roten Oberrock abgelegt, und zum Vorschein kommen
zwei kurze demütige Beinchen in engen Scharlachho-
sen und zwei etwas längere abgemagerte Arme in wei-
ßen, schlotternden Hemdärmeln.
»Was sind das für sonderbare Figuren?« frug ich
ihn, als ich diesem Treiben eine Weile zugesehen.
»Das sind Füße in Lebensgröße«, ächzte er zur
Antwort, »und ich geplagter Mann muß diese Füße
im Kopf behalten, und meine Hände tun mir schon
weh von all den Füßen, die ich jetzt aufschreiben
muß. Es sind die wahren echten Füße von der Poesie.
Wenn ich es nicht meiner Bildung wegen täte, so
ließe ich die Poesie laufen mit allen ihren Füßen. Ich
habe jetzt bei dem Herrn Marchese Privatunterricht in
der Poesiekunst. Der Herr Marchese liest mir die Ge-
dichte vor und expliziert mir, aus wieviel Füßen sie
bestehen, und ich muß sie notieren und dann nach-
rechnen, ob das Gedicht richtig ist.«
»Sie treffen uns« - sprach der Marchese didaktisch
-pathetischen Tones - »wirklich in einer poetischen
Beschäftigung. Ich weiß wohl, Doktor, Sie gehören
zu den Dichtern, die einen eigensinnigen Kopf haben
und nicht einsehen, daß die Füße in der Dichtkunst
die Hauptsache sind. Ein gebildetes Gemüt wird aber
nur durch die gebildete Form angesprochen, diese
können wir nur von den Griechen lernen und von
neueren Dichtern, die griechisch streben, griechisch
denken, griechisch fühlen und in solcher Weise ihre
Gefühle an den Mann bringen.«
»Versteht sich, an den Mann, nicht an die Frau, wie
ein unklassischer romantischer Dichter zu tun
pflegt« - bemerkte meine Wenigkeit.
»Herr Gumpel spricht zuweilen wie ein Buch«, flü-
sterte mir Hyazinth von der Seite zu, preßte die
schmalen Lippen zusammen, blinzelte mit stolz ver-
gnügten Äuglein und schüttelte das wunderstaunende
Häuptlein. »Ich sage Ihnen« - setzte er etwas lauter
hinzu -, »wie ein Buch spricht er zuweilen, er ist
dann sozusagen kein Mensch mehr, sondern ein höhe-
res Wesen, und ich werde dann wie dumm, je mehr
ich ihn anhöre.«
»Und was haben Sie denn jetzt in den Händen?«
frug ich den Marchese.
»Brillanten!« antwortete er und überreichte mir das
Buch.
Bei dem Wort »Brillanten« sprang Hyazinth in die
Höhe; doch als er nur ein Buch sah, lächelte er mitlei-
digen Blicks. Dieses brillante Buch aber hatte auf
dem Vorderblatte folgenden Titel:
»Gedichte von August Grafen von Platen; Stuttgart
und Tübingen. Verlag der J. G. Cottaschen Buch-
handlung. 1828.«
Auf dem Hinterblatte stand zierlich geschrieben:
»Geschenk warmer brüderlicher Freundschaft.« Dabei
roch das Buch nach jenem seltsamen Parfüm, der mit
Eau de Cologne nicht die mindeste Verwandtschaft
hat und vielleicht auch dem Umstande beizumessen
war, daß der Marchese die ganze Nacht darin gelesen
hatte.
»Ich habe die ganze Nacht kein Auge zutun kön-
nen« - klagte er mir -, »ich war so sehr bewegt, ich
mußte elfmal aus dem Bette steigen, und zum Glück
hatte ich dabei diese vortreffliche Lektüre, woraus ich
nicht bloß Belehrung für die Poesie, sondern auch
Trost für das Leben geschöpft habe. Sie sehen, wie
sehr ich das Buch geehrt, es fehlt kein einziges Blatt,
und doch, wenn ich so saß, wie ich saß, kam ich
manchmal in Versuchung -«
»Das wird mehreren passiert sein, Herr Marchese.«
»Ich schwöre Ihnen bei Unserer Lieben Frau von
Loreto, und so wahr ich ein ehrlicher Mann bin« -
fuhr jener fort -, »diese Gedichte haben nicht ihres-
gleichen. Ich war, wie Sie wissen, gestern abend in
Verzweiflung, sozusagen au désespoir, als das Fatum
mir nicht vergönnte, meine Julia zu besitzen - da las
ich diese Gedichte, jedesmal ein Gedicht, wenn ich
aufstehen mußte, und eine solche Gleichgültigkeit
gegen die Weiber war die Folge, daß mir mein eigener
Liebesschmerz zuwider wurde. Das ist eben das
Schöne an diesem Dichter, daß er nur für Männer
glüht, in warmer Freundschaft; er gibt uns den Vor-
zug vor dem weiblichen Geschlechte, und schon für
diese Ehre sollten wir ihm dankbar sein. Er ist darin
größer als alle andern Dichter, er schmeichelt nicht
dem gewöhnlichen Geschmack des großen Haufens,
er heilt uns von unserer Passion für die Weiber, die
uns soviel Unglück zuzieht - O Weiber! Weiber! wer
uns von euren Fesseln befreit, der ist ein Wohltäter
der Menschheit. Es ist ewig schade, daß Shakespeare
sein eminentes theatralisches Talent nicht dazu be-
nutzt hat, denn er soll, wie ich hier zuerst lese, nicht
minder großherzig gefühlt haben als der große Graf
Platen, der in seinen Sonetten von Shakespeare sagt:
Nicht Mädchenlaunen störten deinen Schlummer,
Doch stets um Freundschaft sehn wir warm dich
ringen:
Dein Freund errettet dich aus Weiberschlingen,
Und seine Schönheit ist dein Ruhm und Kummer.«
Während der Marchese diese Worte mit warmem
Gefühl deklamierte und der glatte Mist ihm gleichsam
auf der Zunge schmolz, schnitt Hyazinth die
widersprechendsten Gesichter, zugleich verdrießlich
und beifällig, und endlich sprach er:
»Herr Marchese, Sie sprechen wie ein Buch, auch
die Verse gehen Ihnen wieder so leicht ab wie diese
Nacht, aber ihr Inhalt will mir nicht gefallen. Als
Mann fühle ich mich geschmeichelt, daß der Graf Pla-
ten uns den Vorzug gibt vor den Weibern, und als
Freund von den Weibern bin ich wieder ein Gegner
von solch einem Manne So ist der Mensch! Der eine
ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für
warme Freundschaft, und ich, als ehrlicher Mann,
muß aufrichtig gestehen, ich esse gern Zwiebeln, und
eine schiefe Köchin ist mir lieber als der schönste
Schönheitsfreund. Ja, ich muß gestehen, ich sehe
nicht so viel Schönes am männlichen Geschlecht, daß
man sich darin verlieben sollte.«
Diese letzteren Worte sprach Hyazinth, während er
sich musternd im Spiegel betrachtete, der Marchese
aber ließ sich nicht stören und deklamierte weiter:
»Der Hoffnung Schaumgebäude bricht zusammen,
Wir mühn uns, ach! und kommen nicht zusammen;
Mein Name klingt aus deinem Mund melodisch,
Doch reihst du selten dies Gedicht zusammen;
Wie Sonn' und Mond uns stets getrennt zu halten,
Verschworen Sitte sich und Pflicht zusammen,
Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen
Dein dunkles Haar, mein hell Gesicht zusammen!
Doch ach! ich träume, denn du ziehst von hinnen,
Eh' noch das Glück uns brachte dicht zusammen!
Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,
O wären's Blumen, die man flicht zusammen!«
»Eine komische Poesie!« - rief Hyazinth, der die
Reime nachmurmelte - »Sitte sich und Pflicht zusam-
men, Gesicht zusammen, dicht zusammen, flicht zu-
sammen! komische Poesie! Mein Schwager, wenn er
Gedichte liest, macht oft den Spaß, daß er am Ende
jeder Zeile die Wort von vorn und von hinten ab-
wechselnd hinzusetzt; und ich habe nie gewußt, daß
die Poesiegedichte, die dadurch entstehen, Ghaselen
heißen. Ich muß einmal die Probe machen, ob das Ge-
dicht, das der Herr Marchese deklamiert hat, nicht
noch schöner wird, wenn man nach dem Wort zu-
sammen jedesmal, mit Abwechslung von vorn und
von hinten setzt; die Poesie davon wird gewiß
zwanzig Prozent stärker.«
Ohne auf dieses Geschwätz zu achten, fuhr der
Marchese fort im Deklamieren von Ghaselen und So-
netten, worin der Liebende seinen Schönheitsfreund
besingt, ihn preist, sich über ihn beklagt, ihn des
Kaltsinns beschuldigt, Pläne schmiedet, um zu ihm zu
gelangen, mit ihm äugelt, eifersüchtelt, schmächtelt,
eine ganze Skala von Zärtlichkeiten durchliebelt, und
zwar so warmselig, betastungssüchtig und anleckend,
daß man glauben sollte, der Verfasser sei ein mann-
tolles Mägdlein - Nur müßte es dann einigermaßen
befremden, daß dieses Mägdlein beständig jammert,
ihre Liebe sei gegen die »Sitte«, daß sie gegen »diese
trennende Sitte« so bitter gestimmt ist wie ein Ta-
schendieb gegen die Polizei, daß sie liebend »die
Lende« des Freundes umschlingen möchte, daß sie
sich über »Neider« beklagt, »die sich schlau vereinen,
um uns zu hindern und getrennt zu halten«, daß sie
über verletzende Kränkungen klagt von seiten des
Freundes, daß sie ihm versichert, sie wolle ihn nur
flüchtig erblicken, ihm beteuert: »Nicht eine Silbe
soll dein Ohr erschrecken!« und endlich gesteht:
»Mein Wunsch bei andern zeugte Widerstreben,
Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen
Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!«
Ich muß dem Marchese das Zeugnis erteilen, daß er
diese Gedichte gut vortrug, hinlänglich dabei seufzte,
ächzte und, auf dem Sofa hin und her rutschend,
gleichsam mit dem Gesäße kokettierte. Hyazinth ver-
säumte keineswegs, immer die Reime nachzuplap-
pern, wenn er auch ungehörige Bemerkungen da zwi-
schenschwätzte. Den Oden schenkte er die meiste
Aufmerksamkeit. »Man kann bei dieser Sorte«, sagte
er, »weit mehr lernen als bei Saunetten und Ghaselen;
da bei den Oden die Füße oben ganz besonders abge-
druckt sind, kann man jedes Gedicht mit Bequemlich-
keit nachrechnen. Jeder Dichter sollte, wie der Graf
Platen, bei seinen schwierigsten Poesiegedichten, die
Füße oben drucken und zu den Leuten sagen: Seht,
ich bin ein ehrlicher Mann, ich will euch nicht betrü-
gen, diese krummen und geraden Striche, die ich vor
jedes Gedicht setze, sind sozusagen ein Conto finto
von jedem Gedicht, und ihr könnt nachrechnen, wie-
viel Mühe es mich gekostet, sie sind sozusagen das
Ellenmaß von jedem Gedichte, und ihr könnt nach-
messen, und fehlt daran eine einzige Silbe, so sollt ihr
mich einen Spitzbuben nennen, so wahr ich ein ehrli-
cher Mann bin. Aber eben durch diese ehrliche
Miene kann das Publikum betrogen werden. Eben
wenn die Füße vor dem Gedichte angegeben sind,
denkt man: Ich will kein mißtrauischer Mensch sein,
wozu soll ich dem Manne nachzählen, er ist gewiß ein
ehrlicher Mann, und man zählt nicht nach und wird
betrogen. Und kann man immer nachrechnen? Wir
sind jetzt in Italien, und da habe ich Zeit, die Füße
mit Kreide auf die Erde zu schreiben und jede Ode zu
kollationieren. Aber in Hamburg, wo ich mein Ge-
schäft habe, fehlt mir die Zeit dazu, und ich müßte
dem Grafen Platen ungezählt trauen, wie man traut
bei den Geldbeuteln von der Kurantkasse worauf
geschrieben steht, wieviel hundert Taler darin enthal-
ten - sie gehen versiegelt von Hand zu Hand, jeder
traut dem andern, daß soviel darin enthalten ist, wie
darauf steht, und es gibt doch Beispiele, daß ein Mü-
ßiggänger, der nicht viel zu tun hatte, so einen Beutel
geöffnet und nachgezählt und ein paar Taler zuwenig
darin gefunden hat. So kann auch in der Poesie viel
Spitzbüberei vorfallen. Besonders wenn ich an Geld-
beutel denke, werde ich mißtrauisch. Denn mein
Schwager hat mir erzählt, im Zuchthaus zu Odensee
sitzt - ein gewisser Jemand, der bei der Post ange-
stellt war und die Geldbeutel, die durch seine Hände
gingen, unehrlich geöffnet und unehrlich Geld heraus-
genommen und sie wieder künstlich zugenäht und
weitergeschickt hat. Hört man von solcher Geschick-
lichkeit, so verliert man das menschliche Zutrauen
und wird ein mißtrauischer Mensch. Es gibt jetzt viel
Spitzbüberei in der Welt, und es ist gewiß in der Poe-
sie wie in jedem anderen Geschäft.«
»Die Ehrlichkeit« - fuhr Hyazinth fort, während
der Marchese weiterdeklamierte, ohne unserer zu ach-
ten, ganz versunken in Gefühl -, »die Ehrlichkeit,
Herr Doktor, ist die Hauptsache, und wer kein ehrli-
cher Mann ist, den betrachte ich wie einen Spitzbu-
ben, und wen ich wie einen Spitzbuben betrachte, von
dem kaufe ich nichts, von dem lese ich nichts, kurz,
ich mache kein Geschäft mit ihm. Ich bin ein Mann,
Herr Doktor, der sich auf nichts etwas einbildet, wenn
ich mir aber etwas einbilden wollte auf etwas, so
würde ich mir etwas darauf einbilden, daß ich ein ehr-
licher Mann bin. Ich will Ihnen einen edlen Zug von
mir erzählen, und Sie werden staunen - ich sag Ihnen,
Sie werden staunen, so wahr ich ein ehrlicher Mann
bin. Da wohnt ein Mann in Hamburg auf dem Speer-
sort, und der ist ein Krautkrämer und heißt Klötzchen,
das heißt, ich heiße den Mann Klötzchen, weil wir
gute Freunde sind, sonst heißt der Mann Herr Klotz.
Auch seine Frau muß man Madame Klotz nennen,
und sie hat nie leiden können, daß ihr Mann bei mir
spielte, und wenn ihr Mann bei mir spielen wollte, so
durfte ich mit dem Lotterielos nicht zu ihm ins Haus
kommen, und er sagte mir immer auf der Straße: Die
und die Nummer will ich bei dir spielen, und hier hast
du das Geld, Hirsch! Und ich sagte dann: Gut,
Klötzchen! Und kam ich nach Hause, so legte ich die
Nummer kuvertiert für ihn aparte und schrieb auf das
Kuvert mit deutschen Buchstaben: Für Rechnung des
Herrn Christian Hinrich Klotz. Und nun hören Sie
und staunen Sie: Es war ein schöner Frühlingstag,
und die Bäume an der Börse waren grün, und die Ze-
phirlüfte waren angenehm, und die Sonne glänzte am
Himmel, und ich stand an der Hamburger Bank. Da
kommt Klötzchen, mein Klötzchen, und hat am Arm
seine dicke Madame Klotz und grüßt mich zuerst und
spricht von der Frühlingspracht Gottes, macht auch
einige patriotische Bemerkungen über das Bürgermi-
litär, und er fragt mich, wie die Geschäfte gehen, und
ich erzähle ihm, daß vor einigen Stunden wieder einer
am Pranger gestanden, und so im Gespräch sagt er
mir: Gestern nacht habe ich geträumt, Nummero
1538 wird als das Große Los herauskommen - und
in demselben Moment, während Madame Klotz die
Kaiserstatisten vor dem Rathaus betrachtet, drückt er
mir dreizehn vollwichtige Stück Louisdor in die
Hand - ich meine, ich fühle sie noch jetzt -, und ehe
Madame Klotz sich wieder herumdreht, sag ich: Gut
Klötzchen! und gehe weg. Und ich gehe direktement,
ohne mich umzusehen, nach der Hauptkollekte und
hole mir Nummero 1538 und kuvertiere sie, sobald
ich nach Hause komme, und schreibe auf das Kuvert:
Für Rechnung des Herrn Christian Hinrich Klotz.
Und was tut Gott? Vierzehn Tage nachher, um meine
Ehrlichkeit auf die Probe zu stellen, läßt er Nummero
1538 herauskommen mit einem Gewinn von 50.000
Mark. Was tut aber Hirsch, derselbe Hirsch, der jetzt
vor Ihnen steht? Dieser Hirsch zieht ein reines weißes
Oberhemdchen und ein reines weißes Halstuch an und
nimmt sich eine Droschke und holt sich bei der
Hauptkollekte seine 50000 Mark und fährt damit
nach dem Speersort - Und wie mich Klötzchen sieht,
fragt er: Hirsch, warum bist du heut so geputzt? Ich
aber antworte kein Wort und setze einen großen
Überraschungsbeutel mit Gold auf den Tisch und rede
ganz feierlich: Herr Christian Hinrich Klotz! die
Nummero 1538, die Sie so gütig waren bei mir zu be-
stellen, hat das Glück gehabt, 50000 Mark zu gewin-
nen, in diesem Beutel habe ich die Ehre Ihnen das
Geld zu präsentieren, und ich bin so frei, mir eine
Quittung auszubitten! Wie Klötzchen das hört, fängt
er an zu weinen, wie Madame Klotz die Geschichte
hört, fängt sie an zu weinen, die rote Magd weint, der
krumme Ladendiener weint, die Kinder weinen, und
ich? ein Rührungsmensch, wie ich bin, konnte ich
doch nicht weinen und fiel erst in Ohnmacht, und erst
nachher kamen mir die Tränen aus den Augen wie ein
Wasserbach, und ich weinte drei Stunden.«
Die Stimme des kleinen Menschen bebte, als er
dieses erzählte, und feierlich zog er ein schon erwähn-
tes Päckchen aus der Tasche, wickelte davon den
schon verblichenen Rosataffet und zeigte mir den
Schein, worin Christian Hinrich Klotz den richtigen
Empfang der 50000 Mark quittierte. »Wenn ich ster-
be« - sprach Hyazinth, eine Träne im Auge -, »soll
man mir diese Quittung mit ins Grab legen, und wenn
ich einst dort oben, am Tage des Gerichts, Rechen-
schaft geben muß von meinen Taten, dann werde ich
mit dieser Quittung in der Hand vor den Stuhl der
Allmacht treten, und wenn mein böser Engel die
bösen Handlungen, die ich auf dieser Welt begangen
habe, vorgelesen und mein guter Engel auch die Liste
von meinen guten Handlungen ablesen will, dann sag
ich ruhig: Schweig! - ich will nur wissen, ist diese
Quittung richtig? ist das die Handschrift von Christi-
an Hinrich Klotz? Dann kommt ein ganz kleiner
Engel herangeflogen und sagt, er kenne ganz genau
Klötzchens Handschrift, und er erzählt zugleich die
merkwürdige Geschichte von der Ehrlichkeit, die ich
mal begangen habe. Der Schöpfer der Ewigkeit aber,
der Allwissende, der alles weiß, erinnert sich an diese
Geschichte, und er lobt mich in Gegenwart von
Sonne, Mond und Sternen und berechnet gleich im
Kopf, daß, wenn meine bösen Handlungen von 50000
Mark Ehrlichkeit abgezogen werden, mir noch ein
Saldo zugut kommt, und er sagt dann: Hirsch! ich er-
nenne dich zum Engel erster Klasse, und du darfst
Flügel tragen mit rot und weißen Federn.«
Kapitel XI
Wer ist denn der Graf Platen, den wir im vorigen
Kapitel als Dichter und warmen Freund kennenlern-
ten? Ach, lieber Leser, diese Frage las ich schon lange
auf deinem Gesichte, und nur zaudernd gehe ich an
die Beantwortung. Das ist ja eben das Mißgeschick
deutscher Schriftsteller, daß sie jeden guten oder
bösen Narrn, den sie aufs Tapet bringen, erst durch
trockne Charakterschilderung und Personalbeschrei-
bung bekannt machen müssen, damit man erstens
wisse, daß er existiert, und zweitens den Ort kenne,
wo die Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder
hinten. Anders war es bei den Alten, anders ist es
noch jetzt bei neueren Völkern, z.B. den Engländern
und Franzosen, die ein Volksleben und daher public
characters haben. Wir Deutschen aber, wir haben
zwar ein ganzes närrisches Volk, aber wenig ausge-
zeichnete Narren, die bekannt genug wären, um sie
als allgemein verständliche Charaktere in Prosa oder
Versen gebrauchen zu können. Die wenigen Männer
dieser Art, die wir besitzen, haben wirklich recht,
wenn sie sich wichtig machen. Sie sind von
unschätzbarem Werte und zu den höchsten Ansprü-
chen berechtigt. So z.B. der Herr Geheimrat Schmalz,
Professor der Berliner Universität, ist ein Mann, der
nicht mit Geld zu bezahlen ist; ein humoristischer
Schriftsteller kann ihn nicht entbehren, und er selbst
fühlt diese persönliche Wichtigkeit und Unentbehr-
lichkeit in so hohem Grade, daß er jede Gelegenheit
ergreift, um humoristischen Schriftstellern Stoff zur
Satire zu geben, daß er Tag und Nacht grübelt, wie er
sich als Staatsmann, Servilist, Dekan, Antihegelianer
und Patriot lächerlich machen kann, und somit die
Literatur, für die er sich gleichsam aufopfert, tatkräf-
tig zu befördern. Den deutschen Universitäten muß
man überhaupt nachrühmen, daß sie den deutschen
Schriftsteller, mehr als jede andere Zunft, mit allerlei
Narren versorgen, und besonders Göttingen habe ich
immer in dieser Hinsicht zu schätzen gewußt. Dies ist
auch der geheime Grund, weshalb ich mich für die Er-
haltung der Universitäten erkläre, obgleich ich stets
Gewerbefreiheit und Vernichtung des Zunftwesens
gepredigt habe. Bei solchem fühlbaren Mangel an
ausgezeichneten Narren kann man mir nicht genug
danken, wenn ich neue aufs Tapet bringe und allge-
mein brauchbar mache. Zum Besten der Literatur will
ich daher jetzt vom Grafen August von Platen-Haller-
münde etwas ausführlicher reden. Ich will dazu bei-
tragen, daß er zweckmäßig bekannt und gewisserma-
ßen berühmt werde, ich will ihn literarisch gleichsam
herausfüttern, wie die Irokesen tun mit den Gefange-
nen, die sie bei späteren Festmahlen verspeisen wol-
len. Ich werde ganz treu ehrlich verfahren und überaus
höflich, wie es einem Bürgerlichen ziemt, ich werde
das Materielle, das sogenannt Persönliche, nur inso-
weit berühren, als sich geistige Erscheinungen da-
durch erklären lassen, und ich werde immer ganz
genau den Standpunkt, von wo aus ich ihn sah, und
sogar manchmal die Brille, wodurch ich ihn sah, an-
geben.
Der Standpunkt, von wo ich den Grafen Platen zu-
erst gewahrte, war München, der Schauplatz seiner
Bestrebungen, wo er, bei allen, die ihn kennen, sehr
berühmt ist und wo er gewiß, solange er lebt, unsterb-
lich sein wird. Die Brille, wodurch ich ihn sah, gehör-
te einigen Insassen Münchens, die über seine äußere
Erscheinung dann und wann, in heiteren Stunden, ein
heiteres Wort hinwarfen. Ich habe ihn selbst nie gese-
hen, und wenn ich mir seine Person denken will, erin-
nere ich mich immer an die drollige Wut, womit ein-
mal mein Freund, der Doktor Lautenbacher, über Poe-
tennarrheit im allgemeinen loszog und insbesondere
eines Grafen Platen erwähnte, der, mit einem Lorbeer-
kranze auf dem Kopfe, sich auf der öffentlichen Pro-
menade zu Erlangen den Spaziergängern in den Weg
stellte und, mit der bebrillten Nase gen Himmel star-
rend, in poetischer Begeisterung zu sein vorgab. An-
dere haben besser von dem armen Grafen gesprochen
und beklagten nur seine beschränkten Mittel, die ihn
bei seinem Ehrgeiz, sich wenigstens als ein Dichter
auszuzeichnen, über die Gebühr zum Fleiße nötigten,
und sie lobten besonders seine Zuvorkommenheit
gegen Jüngere, bei denen er die Bescheidenheit selbst
gewesen sei, indem er mit der liebreichsten Demut
ihre Erlaubnis erbeten, dann und wann zu ihnen aufs
Zimmer kommen zu dürfen, und sogar die Gutmütig-
keit so weit getrieben habe, immer wiederzukommen,
selbst wenn man ihn die Lästigkeit seiner Visiten aufs
deutlichste merken lassen. Dergleichen Erzählungen
haben mich gewissermaßen gerührt, obgleich ich die-
sen Mangel an Personalbeifall sehr natürlich fand.
Vergebens klagte oft der Graf:
»Deine blonde Jugend, süßer Knabe,
Verschmäht den melancholischen Genossen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Possen,
Anstatt ich jetzt mich bloß an Tränen labe,
Und um der Fröhlichkeit mir fremde Gabe
Hab ich den Himmel anzuflehn beschlossen.«
Vergebens versicherte der arme Graf, daß er einst der
berühmteste Dichter werde, daß schon der Schatten
eines Lorbeerblattes auf seiner Stirne sichtbar sei, daß
er seine süßen Knaben ebenfalls unsterblich machen
könne, durch unvergängliche Gedichte. Ach! eben
diese Zelebrität war keinem lieb, und in der Tat, sie
war keine beneidenswerte. Ich erinnere mich noch,
mit welchem unterdrückten Lächeln ein Kandidat sol-
cher Zelebrität von einigen lustigen Freunden, unter
den Arkaden zu München, betrachtet wurde. Ein
scharfsichtiger Bösewicht meinte sogar, er sähe zwi-
schen den Rockschößen desselben den Schatten eines
Lorbeerblattes. Was mich betrifft, lieber Leser, so bin
ich nicht so boshaft, wie du denkst, ich bemitleide den
armen Grafen, wenn ihn andere verhöhnen, ich zweif-
le, daß er sich an der verhaften »Sitte« tätlich gerächt
habe, obgleich er in seinen Liedern schmachtet, sich
solcher Rache hinzugeben; ich glaube vielmehr an die
verletzenden Kränkungen, beleidigenden Zurückset-
zungen und Abweisungen, wovon er selbst so rührend
singt. Ich bin überzeugt, er betrug sich gegen die Sit-
ten überhaupt weit löblicher, als ihm selber lieb war,
und er kann vielleicht, wie General Thilo, von sich
rühmen: »Ich war nie berauscht, ich habe nie ein
Weib berührt und habe nie eine Schlacht verloren.«
Deshalb gewiß sagt von ihm der Dichter:
»Du bist ein nüchterner, modester Junge.«
Der arme Junge oder vielmehr der arme alte Junge
- denn er hatte schon einige Lustren hinter sich -
hockte damals, wenn ich nicht irre, auf der Universität
in Erlangen, wo man ihm einige Beschäftigung ange-
wiesen hatte; doch da diese seinem hochstrebenden
Geiste nicht genügte, da mit den Lustren auch die Lü-
sternheit nach illüstrer Lust ihn mehr und mehr sta-
chelte und der Graf von seiner künftigen Herrlichkeit
täglich mehr und mehr begeistert wurde, gab er jedes
Geschäft auf und beschloß, von der Schriftstellerei,
von gelegentlichen Gaben von oben und einigen son-
stigen Verdiensten zu leben. Die Grafschaft des
Grafen liegt nämlich im Monde, von wo er, wegen der
schlechten Kommunikation mit Bayern, nach
Gruithuisens Berechnung, erst in 20000 Jahren, wenn
der Mond dieser Erde näher kommt, seine ungeheuern
Revenuen beziehen kann.
Schon früher hatte Don Platen de Collibrados Hal-
lermünde, bei Brockhaus in Leipzig, eine Gedichte-
sammlung mit einer Vorrede, betitelt »Lyrische Blät-
ter Nummer 1« herausgegeben, die freilich nicht be-
kannt wurde, obgleich, wie er uns versichert, die sie-
ben Weisen dem Verfasser ihr Lob gespendet. Später
gab er, nach Tieckschem Muster, einige dramatisierte
Märchen und Erzählungen heraus, die ebenfalls das
Glück hatten, daß sie der unweisen großen Menge un-
bekannt blieben und nur von den sieben Weisen gele-
sen wurden. Indessen, um außer den sieben Weisen
noch einige Leser zu gewinnen, legte sich der Graf auf
Polemik und schrieb eine Satire gegen berühmte
Schriftsteller, vornehmlich gegen Müllner, der damals
schon allgemein gehaßt und moralisch vernichtet war,
so daß der Graf eben zur rechten Zeit kam, um dem
toten Hofrat Örindur noch einen Hauptstich, nicht ins
Haupt, sondern, nach Falstaffscher Weise, in die
Wade zu versetzen. Der Widerwille gegen Müllner
hatte jedes edle Herz erfüllt; der Mensch ist überhaupt
schwach; die Polemik des Grafen mißfiel daher nicht,
und »Die verhängnisvolle Gabel« fand hie und da
eine bereitwillige Aufnahme, nicht beim großen Pu-
blikum, sondern bei Literatoren und bei den eigentli-
chen Schulleuten, bei letztern hauptsächlich, weil jene
Satire nicht mehr dem romantischen Tieck, sondern
dem klassischen Aristophanes nachgeahmt war.
Ich glaube, es war um diese Zeit, daß der Herr Graf
nach Italien reiste; er zweifelte nicht mehr, von seiner
Poesie leben zu können, Cotta hatte die gewöhnliche
prosaische Ehre, für Rechnung der Poesie das Geld
herzugeben; denn die Poesie, die Himmelstochter, die
Hochgeborene, hat selbst nie Geld und wendet sich,
bei solchem Bedürfnis, immer an Cotta. Der Graf ver-
sifizierte jetzt Tag und Nacht, er blieb nicht bei dem
Vorbilde Tiecks und des Aristophanes, sondern er
ahmte auch den Goethe nach im Liede, dann den
Horaz in der Ode, dann den Petrarcha in Sonetten,
dann den Dichter Hafis in persischen Ghaselen -
kurz, er gab uns solchermaßen eine Blumenlese der
besten Dichter und zugleich seine eigenen lyrischen
Blätter unter dem Titel: »Gedichte des Grafen Platen
etc.«
Niemand in Deutschland ist gegen poetische Er-
zeugnisse billiger als ich, und ich gönne einem armen
Menschen wie Platen sein Stückchen Ruhm, das er im
Schweiße seines Angesichts so sauer erwirbt, gewiß
herzlich gern. Keiner ist mehr geneigt als ich, seine
Bestrebungen zu rühmen, seinen Fleiß und seine
Belesenheit in der Poesie zu loben und seine silben-
mäßigen Verdienste anzuerkennen. Meine eignen Ver-
suche befähigen mich, mehr als jeden andern, die me-
trischen Verdienste des Grafen zu würdigen. Die bit-
tere Mühe, die unsägliche Beharrlichkeit, das
winternächtliche Zähneklappern, die ingrimmigen An-
strengungen, womit er seine Verse ausgearbeitet, ent-
deckt unsereiner weit eher als der gewöhnliche Leser,
der die Glätte, Zierlichkeit und Politur jener Verse des
Grafen für etwas Leichtes hält und sich an der glatten
Wortspielerei gedankenlos ergötzt, wie man sich bei
Kunstspringern, die auf dem Seile balancieren, über
Eier tanzen und sich auf den Kopf stellen, ebenfalls
einige Stunden amüsiert, ohne zu bedenken, daß jene
armen Wesen nur durch jahrelangen Zwang und grau-
sames Hungerleiden solche Gelenkigkeitskünste, sol-
che Metrik des Leibes erlernt haben. Ich, der ich mich
in der Dichtkunst nicht so sehr geplagt und sie immer
in Verbindung mit gutem Essen ausgeübt habe, ich
will den Grafen Platen, dem es saurer und nüchterner
dabei ergangen, um so mehr preisen, ich will von ihm
rühmen, daß kein Seiltänzer in Europa so gut wie er
auf schlaffen Ghaselen balanciert, daß keiner den Ei-
ertanz über
È È - È È È - - -
È È - - - È È È È usw.
so gut exekutiert wie er, daß keiner sich so gut wie
er auf den Kopf stellt. Wenn ihm auch die Musen
nicht hold sind, so hat er doch den Genius der Spra-
che in seiner Gewalt, oder vielmehr, er weiß ihm Ge-
walt anzutun; - denn die freie Liebe dieses Genius
fehlt ihm, er muß auch diesem Jungen beharrlich
nachlaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu
erfassen, die trotz ihrer schönen Ründung sich nie
edel aussprechen. Nie sind tiefe Naturlaute, wie wir
sie im Volksliede, bei Kindern und anderen Dichtern
finden, aus der Seele eines Platen hervorgebrochen
oder offenbarungsmäßig hervorgeblühe, den beängsti-
genden Zwang, den er sich antun muß, um etwas zu
sagen, nennt er eine »große Tat in Worten« - so
gänzlich unbekannt mit dem Wesen der Poesie, weiß
er nicht einmal, daß das Wort nur bei dem Rhetor
eine Tat ist, bei dem wahren Dichter aber ein Ereig-
nis. Ungleich dem wahren Dichter, ist die Sprache nie
Meister geworden in ihm, er ist dagegen Meister ge-
worden in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache,
wie ein Virtuose auf einem Instrumente. Je weiter er
es solcherart im Technischen brachte, desto größere
Meinung bekam er von seiner Virtuosität; er wußte ja
in allen Weisen zu spielen, er versifizierte ja die
schwierigsten Passagen, er dichtete, sozusagen,
manchmal nur auf der G-Saite und ärgerte sich, wenn
das Publikum nicht klatschte. Wie alle Virtuosen, die
solch einsaitiges Talent ausgebildet, strebte er nur
nach Applaudissement, sah er mit Ingrimm auf den
Ruhm anderer, beneidete er seine Kollegen um ihren
Gewinst, wie z.B. den Clauren, schrieb er gleich fün-
faktige Pasquille, wenn er nur eine einzige Xenie des
Tadels auf sich beziehen konnte, kontrollierte er alle
Rezensionen, worin andere gelobt wurden, und schrie
er beständig: »Ich werde nicht genug gelobt, nicht
genug belohnt, denn ich bin der Poet, der Poet der
Poeten« usw. So hungerig und lechzend nach Lob und
Spenden zeigte sich nie ein wahrer Dichter, niemals
Klopstock, niemals Goethe, zu deren drittem der Graf
Platen sich selbst ernennt, obgleich jeder einsieht, daß
er nur mit Ramler und etwa A. W. v. Schlegel ein Tri-
umvirat bildet. Der große Ramler, wie man ihn zu sei-
ner Zeit hieß, als er, zwar ohne Lorbeerkranz auf dem
Haupte, aber mit desto größerem Zopf und Haarbeu-
tel, das Auge gen Himmel gehoben und den steifleine-
nen Regenschirm unterm Arm, im Berliner Tiergarten
skandierend wandelte, hielt sich damals für den Re-
präsentanten der Poesie auf Erden. Seine Verse waren
die vollendetesten in deutscher Sprache, und seine
Verehrer, worunter sogar ein Lessing sich verirrte,
meinten, weiter könne man es in der Poesie nicht
bringen. Fast dasselbe war späterhin der Fall bei A.
W. v. Schlegel, dessen poetische Unzulänglichkeit
aber sichtbar wird, seitdem die Sprache weiter
ausgebildet worden, so daß sogar diejenigen, die einst
den Sänger des »Arion« für einen gleichfallsigen
Arion gehalten, jetzt nur noch den verdienstlichen
Schullehrer in ihm sehen. Ob aber der Graf Platen
schon befugt ist, über den sonst rühmenswerten
Schlegel zu lachen, wie dieser einst über Ramler lach-
te, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, in der Poe-
sie sind alle drei sich gleich, und wenn der Graf Pla-
ten noch so hübsch in den Ghaselen seine
schaukelnden Balancierkünste treibt, wenn er in sei-
nen Oden noch so vortrefflich den Eiertanz exekutiert,
ja, wenn er, in seinen Lustspielen, sich auf den Kopf
stellt - so ist er doch kein Dichter. »Er ist kein Dich-
ter«, sagt sogar die undankbare männliche Jugend, die
er so zärtlich besingt. »Er ist kein Dichter«, sagen die
Frauen, die vielleicht - ich muß es zu seinem Besten
andeuten - hier nicht ganz unparteiisch sind und viel-
leicht wegen der Hingebung, die sie bei ihm ent-
decken, etwas Eifersucht empfinden oder gar durch
die Tendenz seiner Gedichte ihre bisherige vorteilhaf-
te Stellung in der Gesellschaft gefährdet glauben.
Strenge Kritiker, die mit scharfen Brillen versehen
sind, stimmen ein in dieses Urteil oder äußern sich
noch lakonisch bedenklicher. »Was finden Sie in den
Gedichten des Grafen von Platen-Hallermünde?« frug
ich jüngst einen solchen Mann. »Sitzfleisch!« war die
Antwort. »Sie meinen in Hinsicht der mühsamen,
ausgearbeiteten Form?« entgegnete ich. »Nein«, erwi-
derte jener, »Sitzfleisch auch in betreff des Inhalts.«
Was nun den Inhalt der Platenschen Gedichte be-
trifft, so möchte ich den armen Grafen dafür zwar
nicht loben, aber ihn auch nicht unbedingt der zenso-
rischen Wut preisgeben, womit unsere Katonen davon
sprechen oder gar schweigen. Chacun à son goût, dem
einen gefällt der Ochs, dem andren Wasischtas Kuh.
Ich tadele sogar den furchtbaren rhadamantischen
Ernst, womit über jenen Inhalt der Platenschen Ge-
dichte in den Berliner »Jahrbüchern für wissenschaft-
liche Kritik« gerichtet worden. Aber so sind die Men-
schen, es wird ihnen sehr leicht, in Eifer zu geraten,
wenn sie über Sünden sprechen, die ihnen kein Ver-
gnügen machen würden. Im »Morgenblatte« las ich
kürzlich einen Aufsatz, überschrieben »Aus dem
Journal eines Lesers«, worin der Graf Platen gegen
solche strenge Tadler seiner Freundschaftsliebe mit
jener Bescheidenheit sich ausspricht, die er nie zu ver-
leugnen weiß und woran man ihn auch hier erkennt.
Wenn er sagt, daß »das Hegelsche Wochenblatt« ihn
eines geheimen Lasters mit »lächerlichem Pathos« be-
schuldige, so will er, wie leicht zu erraten ist, nur der
Rüge anderer Leute zuvorkommen, deren Gesinnung
er durch dritte Hand erforschen lassen. Indessen man
hat ihm schlecht berichtet, ich werde mir nie in dieser
Hinsicht einen Pathos zuschulden kommen lassen, der
edle Graf ist mir vielmehr eine ergötzliche Erschei-
nung, und in seiner erlauchten Liebhaberei sehe ich
nur etwas Unzeitgemäßes, nur die zaghaft verschämte
Parodie eines antiken Übermuts. Das ist es ja eben,
jene Liebhaberei war im Altertum nicht in Wider-
spruch mit den Sitten und gab sich kund mit heroi-
scher Öffentlichkeit. Als z.B. der Kaiser Nero, auf
Schiffen, die mit Gold und Elfenbein ausgelegt waren,
ein Gastmahl hielt, das einige Millionen kostete, ließ
er sich mit einem aus dem Jünglingsserail, namens
Pythagoras, feierlich einsegnen (cuncta denique spec-
tata quae etiam in femina nox operit) und steckte
nachher mit der Hochzeitsfackel die Stadt Rom in
Brand, um bei den prasselnden Flammen desto besser
den Untergang Trojas besingen zu können. Das war
noch ein Ghaselendichter, über den ich mit Pathos
sprechen könnte; doch nur lächeln kann ich über den
neuen Pythagoreer, der im heutigen Rom die Pfade
der Freundschaft dürftig und nüchtern und ängstlich
dahinschleicht, mit seinem hellen Gesichte von lieblo-
ser Jugend abgewiesen wird und nachher bei kümmer-
lichem Öllämpchen sein Ghaselchen ausseufzt. Inter-
essant in solcher Hinsicht ist die Vergleichung der
Platenschen Gedichtchen mit dem Petron. Bei diesem
ist schroffe, antike, plastisch heidnische Offenheit;
Graf Platen hingegen, trotz seinem Pochen auf Klassi-
zität, behandelt seinen Gegenstand vielmehr
romantisch, verschleiernd, sehnsüchtig, pfäffisch -
ich muß hinzusetzen: heuchlerisch. Denn der Graf
vermummt sich manchmal in fromme Gefühle, er ver-
meidet die genaueren Geschlechtsbezeichnungen; nur
die Eingeweihten sollen klarsehen; gegen den großen
Haufen glaubt er sich genugsam versteckt zu haben,
wenn er das Wort Freund manchmal ausläßt, und es
geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der sich hin-
länglich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den
Sand gesteckt, so daß nur der Steiß sichtbar bleibt.
Unser erlauchter Vogel hätte besser getan, wenn er
den Steiß in den Sand versteckt und uns den Kopf ge-
zeigt hätte. In der Tat, er ist mehr ein Mann von Steiß
als ein Mann von Kopf, der Name Mann überhaupt
paßt nicht für ihn, seine Liebe hat einen passiv pytha-
goreischen Charakter, er ist in seinen Gedichten ein
Pathikos, er ist ein Weib, und zwar ein Weib, das
sich an gleich Weibischem ergötzt, er ist gleichsam
eine männliche Tribade. Diese ängstlich schmiegsame
Natur duckt durch alle seine Liebesgedichte, er findet
immer einen neuen Schönheitsfreund, überall in die-
sen Gedichten sehen wir Polyandrie, und wenn er
auch sentimentalisiert:
»Du liebst und schweigst - O hätt ich auch geschwiegen
Und meine Blicke nur an dich verschwendet!
O hätt ich nie ein Wort dir zugewendet,
So müßt ich keinen Kränkungen erliegen!
Doch diese Liebe möcht ich nie besiegen,
Und weh dem Tag, an dem sie frostig endet!
Sie ward aus jenen Räumen uns gesendet,
Wo selig Engel sich an Engel schmiegen -«
so denken wir doch gleich an die Engel, die zu Lot,
dem Sohne Harans, kamen und nur mit Not und Mühe
den zärtlichsten Anschmiegungen entgingen, wie wir
lesen im Pentateuch, wo leider die Ghaselen und So-
nette nicht mitgeteilt sind, die damals vor Lots Türe
gedichtet wurden. Überall in den Platenschen Gedich-
ten sehen wir den Vogel Strauß, der nur den Kopf
verbirgt, den eiteln ohnmächtigen Vogel, der das
schönste Gefieder hat und doch nicht fliegen kann und
zänkisch humpelt über die polemische Sandwüste der
Literatur. Mit seinen schönen Federn ohne Schwung-
kraft, mit seinen schönen Versen ohne poetischen
Flug bildet er den Gegensatz zu jenem Adler des Ge-
sanges, der minder glänzende Flügel hat, aber sich
damit zur Sonne erhebt - ich muß wieder auf den Re-
frain zurückkommen: der Graf Platen ist kein Dichter.
Von einem Dichter verlangt man zwei Dinge: in
seinen lyrischen Gedichten müssen Naturlaute, in sei-
nen epischen oder dramatischen Gedichten müssen
Gestalten sein. Kann er sich in dieser Hinsicht nicht
legitimieren, so wird ihm der Dichtertitel abgespro-
chen, selbst wenn seine übrigen Familienpapiere und
Adelsdiplome in der größten Ordnung sind. Daß letz-
teres bei dem Grafen Platen der Fall sein mag, daran
zweifle ich nicht, und ich bin überzeugt, er würde
mitleidig heiter lächeln, wenn man seinen Grafentitel
verdächtig machen wollte; aber wagt es nur, über sei-
nen Dichtertitel mit einer einzigen Xenie den gering-
sten Zweifel zu verraten - gleich wird er sich ingrim-
mig niedersetzen und fünfaktige Satiren gegen euch
drucken. Denn die Menschen halten um so eifriger auf
einen Titel, je zweideutiger und ungewisser der Titu-
lus ist, der sie dazu berechtigt. Vielleicht aber würde
der Graf Platen ein Dichter sein, wenn er in einer an-
deren Zeit lebte und wenn er außerdem auch ein ande-
rer wäre, als er jetzt ist. Der Mangel an Naturlauten in
den Gedichten des Grafen rührt vielleicht daher, daß
er in einer Zeit lebt, wo er seine wahren Gefühle nicht
nennen darf, wo dieselbe Sitte, die seiner Liebe immer
feindlich entgegensteht, ihm sogar verbietet, seine
Klage darüber unverhüllt auszusprechen, wo er jede
Empfindung ängstlich verkappen muß, um sowenig
das Ohr des Publikums als das eines »spröden Schö-
nen« durch eine einzige Silbe zu erschrecken. Diese
Angst läßt bei ihm keine eignen Naturlaute aufkom-
men, sie verdammt ihn, die Gefühle anderer Dichter,
gleichsam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, me-
trisch zu bearbeiten und nötigenfalls zur Vermum-
mung seiner eigenen Gefühle zu gebrauchen. Unrecht
geschieht ihm vielleicht, wenn man, solche unglückli-
che Lage verkennend, behauptet hat, daß Graf Platen
auch in der Poesie sich als Graf zeigen und auf Adel
halten wolle und uns daher nur Gefühle von bekannter
Familie, Gefühle, die schon ihre vierundsechzig
Ahnen haben, vorführe. Lebte er in der Zeit des römi-
schen Pythagoras, so würde er vielleicht seine eigenen
Gefühle freier hervortreten lassen, und er würde viel-
leicht für einen Dichter gelten. Es würden dann we-
nigstens die Naturlaute in seinen lyrischen Gedichten
nicht vermißt werden - doch der Mangel an Gestalten
in seinen Dramen würde noch immer bleiben, solange
sich nicht auch seine sinnliche Natur veränderte und
er gleichsam ein anderer würde. Die Gestalten, die ich
meine, sind nämlich jene selbständigen Geschöpfe,
die aus dem schaffenden Dichtergeiste, wie Pallas
Athene aus dem Haupte Kronions, vollendet und ge-
rüstet hervortreten, lebendige Traumwesen, deren my-
stische Geburt, mehr als man glaubt, in wundersam
bedingender Beziehung steht mit der sinnlichen Natur
des Dichters, so daß solches geistige Gebären demje-
nigen versagt ist, der selbst nur, als ein unfruchtbares
Geschöpf, sich ghaselig hingibt in windiger Weich-
heit.
Indessen das sind Privatmeinungen eines Dichters,
und ihr Gewicht hängt davon ab, wie weit man an die
Kompetenz desselben glauben will. Ich kann nicht
umhin zu erwähnen, daß der Graf Platen gar oft dem
Publikum versichert, daß er erst späterhin das Bedeu-
tendste dichten werde, wovon man jetzt noch keine
Ahnung habe, ja, daß er Iliaden und Odysseen, Klas-
sizitätstragödien und sonstige Unsterblichkeitskolos-
salgedichte erst dann schreiben werde, wenn er sich
nach soundso viel Lustren gehörig vorbereitet habe.
Du hast, lieber Leser, diese Ergießungen des Selbst-
bewußtseins in mühsam gefeilten Versen vielleicht
selbst gelesen, und das Versprechen solcher schönen
Zukunft war dir vielleicht um so erfreulicher, als der
Graf zu gleicher Zeit alle Dichter Deutschlands, außer
dem ganz alten Goethe, wie einen Schwarm schlechter
Sudler geschildert, die ihm nur im Wege stehen auf
der Bahn des Ruhmes und die so unverschämt seien,
jene Lorbeeren und Belohnungen zu pflücken, die nur
ihm gebührten.
Was ich in München darüber sprechen hörte, will
ich übergehen; aber der Chronologie wegen muß ich
anführen, daß zu jener Zeit der König von Bayern die
Absicht aussprach, irgendeinem deutschen Dichter ein
Jahrgehalt zu erteilen, ohne damit ein Amt zu verbin-
den, welches ungewöhnliche Beispiel für die ganze
deutsche Literatur von schöner Folge sein konnte.
Man sagte mir -
Doch ich will mein Thema nicht verlassen, ich
sprach von den Prahlereien des Grafen Platen, der be-
ständig rief: »Ich bin der Poet, der Poet der Poeten!
ich werde Iliaden und Odysseen dichten usw.« Ich
weiß nicht, was das Publikum von solchen Prahlerei-
en hält, aber ganz genau weiß ich, was ein Dichter
davon denkt, nämlich ein wahrer Dichter, der die ver-
schämte Süßigkeit und die geheimen Schauer der Poe-
sie schon empfunden hat und von der Seligkeit dieser
Empfindungen, wie ein glücklicher Page, der die ver-
borgene Gunst einer Prinzessin genießt, gewiß nicht
auf öffentlichem Markte prahlen wird.
Man hat schon öfter den Grafen Platen, wegen sol-
cher Prahlhansereien, weidlich gehänselt, und er
wußte immer, wie Falstaff, sich zu entschuldigen. Bei
solchen Entschuldigungen kommt ihm ein Talent zu-
statten, das außerordentlich in seiner Art ist und das
eine besondere Anerkennung verdient. Der Graf Pla-
ten weiß nämlich von jedem Flecken, der in seiner
eignen Brust ist, auch bei irgendeinem großen Manne
eine Spur, und sei sie noch so klein, zu entdecken und
sich wegen solcher Wahlfleckenverwandtschaft mit
ihm zu vergleichen. Zum Beispiel von Shakespeares
Sonetten weiß er, daß sie an einen jungen Mann und
nicht an ein Weib gerichtet sind, und ob solcher ver-
ständigen Wahl preist er Shakespeare, vergleicht sich
mit ihm - und das ist das einzige, was er von ihm zu
sagen hat. Man könnte negativ eine Apologie des
Grafen Platen schreiben und behaupten, daß er sich
die und die Verirrung noch nicht zuschulden kommen
lassen, weil er sich mit dem oder dem großen Manne,
dem sie nachgeredet worden, noch nicht verglichen
habe. Am genialsten aber und bewunderungswürdig-
sten zeigte er sich in der Wahl des Mannes, in dessen
Leben er unbescheidene Reden entdeckt und durch
dessen Beispiel er seine eigene Prahlerei beschönigen
will. Wahrlich, zu einem solchen Zwecke sind die
Worte dieses Mannes noch nie zitiert worden - denn
es ist kein Geringerer als Jesus Christus selbst, der
uns bisher immer für ein Muster der Demut und Be-
scheidenheit gegolten. Christus hätte jemals geprahlt?
der bescheidenste der Menschen, um so bescheidener,
als er der göttlichste war? Ja, was bisher allen Theo-
logen entgangen ist, das entdeckte der Graf Platen,
denn er insinuiert uns: Christus, als er vor Pilatus ge-
standen, sei ebenfalls nicht bescheiden gewesen und
habe nicht bescheiden geantwortet, sondern als jener
ihn frug: »Bist du der König der Juden?«, habe er ge-
sprochen: »Du sagst es.« Und so sage auch er, der
Graf Platen: »Ich bin es, ich bin der Poet!« - Was nie
dem Hasse eines Verächters Christi gelungen ist, das
gelang der Exegese selbstverliebter Eitelkeit.
Wie wir wissen, was wir davon zu halten, wenn
einer solchermaßen beständig schreit: »Ich bin der
Poet!«, so wissen wir auch, was es für eine Bewandt-
nis hat mit den ganz außerordentlichen Gedichten, die
der Graf, wenn er die gehörige Reife erlangt, noch
dichten will und die seine bisherigen Meisterstücke an
Bedeutung so unerhört übertreffen sollen. Wir wissen
ganz genau, daß die späteren Werke des wahren Dich-
ters keineswegs bedeutender sind als die früheren,
ebensowenig wie ein Weib, je öfter sie gebärt, desto
vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein, das
erste Kind ist schon ebensogut wie das zweite - nur
das Gebären wird leichter. Die Löwin wirft nicht erst
ein Kaninchen, dann ein Häschen, dann ein Hündchen
und endlich einen Löwen. Madame Goethe warf
gleich ihren jungen Leu, und dieser gab uns, im ersten
Wurf, seinen Löwen von Berlichingen. Ebenso warf
auch Schiller gleich seine Räuber, an deren Tatze man
schon die Löwenart erkannte. Später kam erst die Po-
litur, die Glätte, die Feile, die »Natürliche Tochter«
und die »Braut von Messina«. Nicht so begab es sich
mit dem Grafen Platen, der mit der ängstlichsten Kün-
stelei anfing und von dem der Dichter singt:
»Du, der du sprangst so fertig aus dem Nichts,
Geleckten und lackierten Angesichts,
Gleichst einer Spielerei, geschnitzt aus Korke.«
Indessen, wenn ich meine geheimsten Gedanken
aussprechen soll, so gestehe ich, daß ich den Grafen
Platen für keinen so großen Narrn halte, wie man
wegen jener Prahlsucht und beständigen Selbstberäu-
cherung glauben sollte. Ein bißchen Narrheit, das ver-
steht sich, gehört immer zur Poesie; aber es wäre ent-
setzlich, wenn die Natur eine so beträchtliche Portion
Narrheit, die für hundert große Dichter hinreichen
würde, einem einzigen Menschen aufgebürdet und
von der Poesie selbst ihm nur eine so unbedeutend ge-
ringe Dosis gegeben hätte. Ich habe Gründe, zu ver-
muten, daß der Herr Graf an seine eigne Prahlerei
nicht glaubt und daß er, dürftig im Leben wie in der
Literatur, vielmehr für das Bedürfnis des Augenblicks
sein eigner anpreisender Ruffiano sein mußte, in der
Literatur wie im Leben. Daher in beiden die Erschei-
nungen, von denen man sagen konnte, daß sie mehr
ein psychologisches als ästhetisches Interesse gewähr-
ten, daher zu gleicher Zeit die weinerlichste Seelener-
schlaffung und der erlogene Übermut, daher das kläg-
liche Dünnetun mit baldigem Sterben und das drohen-
de Dicktun mit künftiger Unsterblichkeit, daher der
auflodernde Bettelstolz und die schmachtende Unter-
tänigkeit, daher das beständige Klagen, »daß ihn
Cotta verhungern lasse«, und wiederum Klagen, »daß
ihn Cotta verhungern lasse«, daher die Anfälle von
Katholizismus usw.
Ob's dem Grafen mit dem Katholizismus ernst ist,
daran zweifle ich. Ob er überhaupt katholisch gewor-
den ist, wie einige seiner hochgeborenen Freunde, das
weiß ich nicht. Daß er es werden wolle, erfuhr ich zu-
erst aus öffentlichen Blättern, die sogar hinzufügten,
der Graf Platen werde Mönch und ginge ins Kloster.
Böse Zungen meinten, daß ihm das Gelübde der
Armut und die Enthaltung von Weibern nicht schwer-
fallen würde. Wie sich von selbst versteht, in Mün-
chen klangen, bei solchen Nachrichten, die frommen
Glöcklein in den Herzen seiner Freunde. Mit Kyrie
eleison und Halleluja wurden seine Gedichte geprie-
sen in den Pfaffenblättern; und in der Tat, die heiligen
Männer des Zölibats mußten erfreut sein über jene
Gedichte, wodurch die Enthaltung vom weiblichen
Geschlechte befördert wird. Leider haben meine Ge-
dichte eine andere Tendenz, und daß Pfaffen und Kna-
bensänger nicht davon angesprochen werden, konnte
mich zwar betrüben, aber nicht befremden. Ebenso-
wenig befremdete es mich, als ich den Tag vor meiner
Abreise nach Italien von meinem Freunde, dem Dok-
tor Kolb, vernahm, daß der Graf Platen sehr feindse-
lig gegen mich gestimmt sei und mir mein Verderben
schon bereitet habe in einem Lustspiele namens
»König Ödipus«, das bereits zu Augsburg bei einigen
Fürsten und Grafen, deren Namen ich vergessen habe
oder vergessen will, angelangt sei. Auch andere
erzählten mir, daß mich der Graf Platen hasse und
sich mir als Feind entgegenstelle; - und das war mir
auf jeden Fall angenehmer, als hätte man mir nachge-
sagt, daß mich der Graf Platen als Freund hinter mei-
nem Rücken liebe. Was die heiligen Männer betrifft,
deren fromme Wut sich zu gleicher Zeit gegen mich
kundgab, und nicht bloß meiner antizölibatischen Ge-
dichte wegen, sondern auch wegen der »Politischen
Annalen«, die ich damals herausgab, so konnte ich
ebenfalls nur gewinnen, wenn man deutlich sah, daß
ich keiner der Ihrigen sei. Wenn ich hiermit andeute,
daß man nichts Gutes von ihnen sagt, so sage ich
darum noch nichts Böses von ihnen. Ich bin sogar der
Meinung, daß sie, nur aus Liebe zum Guten, durch
frommen Betrug und gottgefällige Verleumdung das
Wort der Bösen entkräftigen möchten und daß sie die-
sen, nur für einen solchen edlen Zweck, der jedes Mit-
tel heiligt, nicht bloß die geistigen Lebensquellen,
sondern auch die materiellen zu verschütten suchen.
Man hat jene guten Leute, die sich in München sogar
öffentlich als Kongregation präsentierten, törichter-
weise mit dem Namen Jesuiten beehrt. Sie sind wahr-
lich keine Jesuiten, sonst hätten sie eingesehen, daß
z.B. ich, einer von den Bösen, schlimmstenfalls die
literarisch-alchimistische Kunst verstehe, aus meinen
Feinden selbst Dukaten zu schlagen, dergestalt, daß
ich dabei die Dukaten bekomme und meine Feinde die
Schläge; - sie hätten eingesehen, daß solche Schläge
nichts von ihrem Gehalte verlieren, wenn man auch
den Namen des Schlagenden aviliert, wie der arme
Sünder den Staupbesen nicht minder stark fühlt, ob-
gleich der Scharfrichter, der ihn erteilt, für unehrlich
erklärt wird; - und was die Hauptsache ist, sie hätten
eingesehen, daß etwas Vorliebe für den antiaristokra-
tischen Voß und einige arglose Muttergotteswitze,
weshalb sie mich zuerst mit Kot und Dummheit an-
griffen, nicht aus antikatholischem Eifer hervorgegan-
gen. Wahrlich, sie sind keine Jesuiten, sondern nur
Mischlinge von Kot und Dummheit, die ich ebenso-
wenig wie eine Mistkarre und den Ochsen, der sie
zieht, zu hassen vermag und die mit allen ihren An-
strengungen nur das Gegenteil ihrer Absicht erreichen
und mich nur dahin bringen könnten, daß ich ihnen
zeige, wie sehr ich Protestant bin, daß ich mein gutes
protestantisches Recht in seiner weitesten Ermächti-
gung ausübe und die gute protestantische Streitaxt mit
Herzenslust handhabe. Sie könnten dann immerhin,
um den Plebs zu gewinnen, die alten Weiberlegenden
von meiner Ungläubigkeit durch ihren Leibpoeten in
Verse bringen lassen - an den wohlbekannten Schlä-
gen sollten sie schon den Glaubensgenossen eines Lu-
thers, Lessings und Voß erkennen. Freilich, ich würde
nicht mit dem Ernste dieser Heroen die alte Axt
schwingen - denn der Anblick der Gegner bringt
mich leicht zum Lachen, und ich bin ein bißchen eu-
lenspiegeliger Natur und liebe eine Beimischung von
Spaß -, aber ich würde jenen Mistochsen nicht min-
der stark vor den Kopf schlagen, wenn ich auch vor-
her mit lachenden Blumen meine Axt umkränzte.
Doch ich will mein Thema nicht zu weit verlassen.
Ich glaube, es war um jene Zeit, daß der König von
Bayern, in schon erwähnter Absicht, dem Grafen Pla-
ten ein Jahrgehalt von sechshundert Gulden gab, und
zwar nicht aus der Staatskasse, sondern aus der kö-
niglichen Privatkasse, wie es sich der Graf als beson-
dere Gnade gewünscht hatte. Letzteren Umstand, der
die Kaste charakterisiert, so geringfügig er auch er-
scheint, erwähne ich nur als Notiz für den Naturfor-
scher, der vielleicht Beobachtungen über den Adel
macht. In der Wissenschaft ist alles wichtig. Wer mir
vorwerfen möchte, daß ich den Grafen Platen zu
wichtig nehme, der gehe nach Paris und sehe, wie
sorgfältig der feine, zierliche Cuvier, in seinen Vorle-
sungen, das unreinste Insekt mit dem genauesten De-
tail schildert. Es ist mir deshalb auch sogar leid, daß
ich das Datum jener sechshundert Gulden nicht ge-
nauer konstatieren kann; soviel weiß ich aber, daß der
Graf Platen den »König Ödipus« früher verfertigt
hatte und daß dieser nicht so bissig geworden wäre,
wenn der Verfasser mehr zu beißen gehabt hätte.
In Norddeutschland, wohin mich plötzlich der Tod
meines Vaters zurückrief, erhielt ich endlich das un-
geheure Geschöpf, das dem großen Ei, worüber unser
schöngefiederter Vogel Strauß so lange gebrütet, end-
lich entkrochen war und das die Nachteulen der Kon-
gregation mit frommem Gekrächze und die adeligen
Pfauen mit freudigem Radschlagen schon lange im
voraus begrüßt hatten. Es sollte nichts Minderes als
ein verderblicher Basilisk sein. Kennst du, lieber
Leser, die Sage von dem Basilisk? Das Volk erzählt:
wenn ein männlicher Vogel, wie ein Weib, ein Ei ge-
legt, so entstände daraus ein giftiges Geschöpf, des-
sen Hauch die Luft verpeste und das man nur dadurch
töten könne, daß man ihm einen Spiegel vorhalte,
indem es alsdann über den Anblick seiner eigenen
Scheußlichkeit vor Schrecken sterbe.
Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen wollte,
erlaubten es mir erst zwei Monat später, als ich auf
der Insel Helgoland badete, den »König Ödipus« zu
lesen, und dort, großgestimmt von dem beständigen
Anblick des großen, kühnen Meers, mußte mir die
kleinliche Gesinnung und die Altflickerei des hochge-
borenen Verfassers recht anschaulich werden. Jenes
Meisterwerk zeigte mir ihn endlich ganz, wie er ist,
mit all seiner blühenden Welkheit, seinem Überfluß
an Geistesmangel, seiner Einbildung ohne Einbil-
dungskraft, ganz wie er ist, forciert ohne Force, pi-
kiert, ohne pikant zu sein, eine trockne Wasserseele,
ein trister Freudenjunge. Dieser Troubadour des Jam-
mers, geschwächt an Leib und Seele, versuchte es,
den gewaltigsten, phantasiereichsten und witzigsten
Dichter der jugendlichen Griechenwelt nachzuahmen!
Nichts ist wahrlich widerwärtiger als diese krampf-
hafte Ohnmacht, die sich wie Kühnheit aufblasen
möchte, diese mühsam zusammengetragenen Invekti-
ven, denen der Schimmel des verjährten Grolls an-
klebt, und dieser silbenstecherisch ängstlich nachge-
ahmte Geistestaumel. Wie sich von selbst versteht,
zeigt sich in des Grafen Werk keine Spur von einer
tiefen Weltvernichtungsidee, die jedem Aristophani-
schen Lustspiele zum Grunde liegt und die darin, wie
ein phantastisch-ironischer Zauberbaum, empor-
schießt mit blühendem Gedankenschmuck, singenden
Nachtigallnestern und kletternden Affen. Eine solche
Idee mit dem Todesjubel und dem
Zerstörungsfeuerwerk, das dazu gehört, durften wir
freilich von dem armen Grafen nicht erwarten. Der
Mittelpunkt, die erste und letzte Idee, Grund und
Zweck seines sogenannten Lustspiels, besteht, wie bei
der »Verhängnisvollen Gabel«, wieder in geringfügig
literarischen Händeln, der arme Graf konnte nur eini-
ge Äußerlichkeiten des Aristophanes nachahmen,
nämlich die feinen Verse und die groben Worte. Ich
sage: grobe Worte, weil ich keinen gröbern Ausdruck
brauchen will. Wie ein keifendes Weib gießt er ganze
Blumentöpfe von Schimpfreden auf die Häupter der
deutschen Dichter. Ich will dem Grafen herzlich gern
seinen Groll verzeihen, aber er hätte doch einige
Rücksichten beobachten müssen. Er hätte wenigstens
das Geschlecht in uns ehren sollen, da wir keine Wei-
ber sind, sondern Männer und folglich zu einem Ge-
schlechte gehören, das nach seiner Meinung das schö-
ne Geschlecht ist und das er so sehr liebt. Es bleibt
dieses immer ein Mangel an Delikatesse, mancher
Jüngling wird deshalb an seinen Huldigungen zwei-
feln, da jeder fühlt, daß der Wahrhaftliebende auch
das ganze Geschlecht verehrt. Der Sänger Frauenlob
war gewiß nie grob gegen irgendein Weib, und ein
Platen sollte daher mehr Achtung zeigen gegen Män-
ner. Aber der Undelikate! ohne Scheu erzählt er dem
Publikum, wir Dichter in Norddeutschland hätten alle
die »Krätze, wofür wir leider eine Salbe brauchten,
die als mephitisch er vor vielen schätze«. Der Reim
ist gut. Am unzartesten ist er gegen Immermann.
Schon im Anfang seines Gedichts läßt er diesen hinter
einer spanischen Wand Dinge tun, die ich nicht nen-
nen darf und die dennoch nicht zu widerlegen sind.
Ich halte es sogar für wahrscheinlich, daß Immermann
schon solche Dinge getan hat. Es ist aber charakteri-
stisch, daß die Phantasie des Grafen Platen sogar
seine Feinde a posteriori zu belauschen weiß. Er
schonte nicht einmal Houwald, diese gute Seele, sanft
wie ein Mädchen - ach, vielleicht eben dieser holden
Weiblichkeit wegen haßt ihn ein Platen. Müllner, den
er, wie er sagt, schon längst »durch wirklichen Witz
urkräftig erlegt«, dieser Tote wird wieder aus dem
Grabe gescharrt. Kind und Kindeskind bleiben nicht
unangetastet. Raupach ist ein Jude,
Das Jüdchen Raupel -
Das jetzt als Raupach trägt so hoch die Nase,
»schmiert Tragödien im Katzenjammer«. Noch
weit schlimmer ergeht es dem »getauften Heine«. Ja,
ja, du irrst dich nicht, lieber Leser, das bin ich, den er
meint, und im »König Ödipus« kannst du lesen, wie
ich ein wahrer Jude bin, wie ich, wenn ich einige
Stunden Liebeslieder geschrieben, gleich darauf mich
niedersetze und Dukaten beschneide, wie ich am Sab-
bat mit langbärtigen Mauscheln zusammenhocke und
den Talmud singe, wie ich in der Osternacht einen un-
mündigen Christen schlachte und aus Malice immer
einen unglücklichen Schriftsteller dazu wähle - Nein,
lieber Leser, ich will dich nicht belügen, solche gute,
ausgemalte Bilder stehen nicht im »König Ödipus«,
und daß sie nicht darin stehen, das nur ist der Fehler,
den ich tadele. Der Graf Platen hat zuweilen die be-
sten Motive und weiß sie nicht zu benutzen. Hätte er
nur ein bißchen mehr Phantasie, so würde er mich
wenigstens als geheimen Pfänderverleiher geschildert
haben; welche komische Szenen hätten sich dargebo-
ten! Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, wie
sich der arme Graf jede Gelegenheit zu guten Witzen
vorbeigehen lassen! Wie kostbar hätte er Raupach be-
nutzen können als Tragödien-Rothschild, bei dem die
königlichen Bühnen ihre Anleihen machen! Den Ödi-
pus selbst, die Hauptperson seines Lustspiels, hätte
er, durch einige Modifikationen in der Fabel des
Stückes, ebenfalls besser benutzen können. Statt daß
er ihn den Vater Lajus töten und die Mutter Jokaste
heiraten ließ, hätte er es im Gegenteil so einrichten
sollen, daß Ödipus seine Mutter tötet und seinen
Vater heiratet. Das dramatische pDrastische in einem
solchen Gedichte hätte einem Platen meisterhaft gelin-
gen müssen, seine eigene Gefühlsrichtung wäre ihm
dabei zustatten gekommen, er hätte manchmal, wie
eine Nachtigall, nur die Regungen der eignen Brust zu
besingen gebraucht, er hätte ein Stück geliefert, das,
wenn der ghaselige Iffland noch lebte, gewiß in Berlin
gleich einstudiert worden wäre und das man auch jetzt
auf Privatbühnen geben würde. Ich kann mir nichts
Vollendeteres denken als den Schauspieler Wurm in
der Rolle eines solchen Ödipus. Er würde sich selbst
übertreffen. Dann finde ich es auch nicht politisch
vom Grafen, daß er in seinem Lustspiele versichert, er
habe »wirklichen Witz«. Oder arbeitet er vielleicht
auf den Überraschungseffekt, auf den Theatercoup,
daß dadurch das Publikum beständig Witz erwarten
und dieser am Ende doch nicht erscheinen soll? Oder
will er vielmehr das Publikum aufmuntern, den Wirkl.
Geh. Witz im Stücke zu suchen, und das Ganze wäre
nur ein Blindekuhspiel, wo der Platensche Witz so
schlau ist, sich nie ertappen zu lassen? Deshalb viel-
leicht ist auch das Publikum, das sonst bei Lustspie-
len zu lachen pflegt, bei der Lektüre des Platenschen
Stücks so verdrießlich, es kann den versteckten Witz
nicht finden, vergebens piept der versteckte Witz und
piept immer lauter: »Hier bin ich! hier bin ich wirk-
lich!« - vergebens, das Publikum ist dumm und
macht ein ernsthaftes Gesicht. Ich aber, der ich weiß,
wo der Witz steckt, habe herzlich gelacht, als ich von
dem »gräflichen, herrschsüchtigen Dichter« las, der
sich in einen aristokratischen Nimbus hüllt, der von
sich rühmt, »daß jeder Hauch, der zwischen seine
Zähne komme, eine Zermalmung sei«, und der zu
allen deutschen Dichtern sagt:
»Ja, gleichwie Nero, wünscht' ich euch nur ein Gehirn,
Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es -«
Der Vers ist schlecht. Der versteckte Witz aber be-
steht darin, daß der Graf eigentlich wünscht, wir
wären alle lauter Neronen und er, im Gegenteil, unser
einziger lieber Freund Pythagoras.
Vielleicht würde ich zum Besten des Grafen noch
manchen anderen versteckten Witz hervorloben, doch
da er mir in seinem »König Ödipus« das Liebste an-
gegriffen - denn was könnte mir lieber sein als mein
Christentum? -, so ist es mir nicht zu verdenken,
wenn ich, menschlich gesinnt, den »Ödipus«, diese
»große Tat in Worten«, minder ernstlich als die frühe-
ren Tätigkeiten würdige.
Indessen das wahre Verdienst hat immer seinen
Lohn gefunden, und dem Verfasser des »Ödipus«
wird der seinige nicht entgehen, obgleich er sich auch
hier, wie immer, nur dem Einfluß seiner adeligen und
geistlichen Hintersassen hingab. Ja, es geht eine ural-
te Sage unter den Völkern des Orients und Okzidents,
daß jede gute oder böse Tat ihre nächsten Folgen
habe für den Täter. Und kommen wird der Tag, wo
sie kommen - mach dich darauf gefaßt, lieber Leser,
daß ich jetzt etwas in Pathos gerate und schauerlich
werde -, kommen wird der Tag, wo sie dem Tartaros
entsteigen, die furchtbaren Töchter der Nacht, »die
Eumeniden«. Beim Styx! - bei diesem Flusse schwö-
ren wir Götter niemals falsch -, kommen wird der
Tag, wo sie erscheinen, die dunkeln, urgerechten
Schwestern, sie werden erscheinen mit schlangenge-
lockten, roterzürnten Gesichtern, mit denselben
Schlangengeißeln, womit sie einst den Orestes gegei-
ßelt, den unnatürlichen Sünder, der die Mutter gemor-
det, die tyndaridische Klytämnestra. Vielleicht hört
der Graf schon jetzt die Schlangen zischen - ich bitte
dich, lieber Leser, denk dir jetzt die Wolfsschlucht
und Samielmusik - Vielleicht erfaßt den Grafen
schon jetzt das geheime Sündergrauen, der Himmel
verdüstert sich, Nachtgevögel kreischt, ferne Donner
rollen, es blitzt, es riecht nach Kolophonium - Wehe!
Wehe! die erlauchten Ahnen steigen aus den Gräbern,
sie rufen noch drei- bis viermal Wehe! Wehe! über
den kläglichen Enkel, sie beschwören ihn, ihre alten
Eisenhosen anzuziehen, um sich zu schützen vor den
entsetzlichen Ruten - denn die Eumeniden werden ihn
damit zerfetzen, die Geißelschlangen werden sich iro-
nisch an ihm vergnügen, und wie der buhlerische
König Rodrigo, als man ihn in den Schlangenturm ge-
sperrt, wird auch der arme Graf am Ende wimmern
und winseln:
»Ach! sie fressen, ach! sie fressen,
Womit meistens ich gesündigt.«
Entsetze dich nicht, lieber Leser, es ist ja alles nur
Scherz. Diese furchtbaren Eumeniden sind nichts als
ein heiteres Lustspiel, das ich, nach einigen Lustren,
unter diesem Titel schreiben werde, und die
tragischen Verse, die dich eben erschreckt, stehen in
dem allerlustigsten Buche von der Welt, im »Don
Quixote von la Mancha«, wo eine alte, anständige
Hofdame sie in Gegenwart des ganzen Hofes rezitiert.
Ich sehe, du lächelst wieder. Laß uns heiter und la-
chend voneinander Abschied nehmen. Wenn dieses
letzte Kapitel etwas langweilig war, so lag's nur an
dem Gegenstande; auch schrieb ich es mehr zum Nut-
zen als zur Lust, und wenn es mir gelungen ist, einen
neuen Narrn auch für die Literatur brauchbar gemacht
zu haben, wird mir das Vaterland Dank schuldig sein.
Ich habe das Feld urbar gemacht, worauf geistreichere
Schriftsteller säen und ernten werden. Das bescheide-
ne Bewußtsein dieses Verdienstes ist mein schönster
Lohn.
Für etwaige Könige, die mir dafür noch extra eine
Tabatiere schicken wollen, bemerke ich, daß die
Buchhandlung Hoffmann und Campe in Hamburg
Order hat, dergleichen für mich in Empfang zu neh-
men.
Geschrieben im Spätherbst des Jahres 1829.
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