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Die Bäder von Lucca

Kapitel I-III | Kapitel IV-VI | Kapitel VII-IX | Kapitel X-XI

und

Reise von München nach Genua

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Kapitel I-III

Ich bin wie Weib dem Manne --
Graf August v. Platen-Hallermünde

Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen,
So mag er's sagen,
Ich spiel ihm auf.

Figaro

Karl Immermann, dem Dichter,
widmet diese Blätter,
als ein Zeichen freudigster Verehrung,
der Verfasser

Kapitel I

Als ich zu Mathilden ins Zimmer trat, hatte sie den 
letzten Knopf des grünen Reitkleides zugeknöpft und 
wollte eben einen Hut mit weißen Federn aufsetzen. 
Sie warf ihn rasch von sich, sobald sie mich erblickte,
mit ihren wallend goldnen Locken stürzte sie mir ent-
gegen - »Doktor des Himmels und der Erde!« rief sie,
und nach alter Gewohnheit ergriff sie meine beiden 
Ohrlappen und küßte mich mit der drolligsten Herz-
lichkeit.
»Wie geht's, Wahnsinnigster der Sterblichen! Wie 
glücklich bin ich, Sie wiederzusehen! Denn ich werde
nirgends auf dieser weiten Welt einen verrückteren 
Menschen finden. Narren und Dummköpfe gibt es 
genug, und man erzeigt ihnen oft die Ehre, sie für ver-
rückt zu halten; aber die wahre Verrücktheit ist so sel-
ten wie die wahre Weisheit, sie ist vielleicht gar 
nichts anderes als Weisheit, die sich geärgert hat, daß 
sie alles weiß, alle Schändlichkeiten dieser Welt, und 
die deshalb den weisen Entschluß gefaßt hat, verrückt
zu werden. Die Orientalen sind ein gescheutes Volk, 
sie verehren einen Verrückten wie einen Propheten, 
wir aber halten jeden Propheten für verrückt.«
»Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht ge-
schrieben?«
»Gewiß, Doktor, ich schrieb Ihnen einen langen 
Brief und bemerkte auf der Adresse: ›Abzugeben in 
Neu-Bedlam.‹ Da Sie aber, gegen alle Vermutung, 
nicht dort waren, so schickte man den Brief nach St. 
Luze, und da Sie auch hier nicht waren, so ging er 
weiter nach einer ähnlichen Anstalt, und so machte er 
die Ronde durch alle Tollhäuser Englands, Schott-
lands und Irlands, bis man ihn mir zurückschickte mit
der Bemerkung, daß der Gentleman, den die Adresse 
bezeichne, noch nicht eingefangen sei. Und in der Tat,
wie haben Sie es angefangen, daß Sie immer noch auf
freien Füßen sind?«
»Hab's pfiffig angefangen, Mylady. Überall, wohin 
ich kam, wußt ich mich um die Tollhäuser herumzu-
schleichen, und ich denke, es wird mir auch in Italien 
gelingen.«
»Oh, Freund, hier sind Sie ganz sicher; denn er-
stens ist gar kein Tollhaus in der Nähe, und zweitens 
haben wir hier die Oberhand.«
»Wir? Mylady! Sie zählen sich also zu den Unse-
ren? Erlauben Sie, daß ich Ihnen den Bruderkuß auf 
die Stirne drücke.«
»Ach! ich meine wir Badegäste, worunter ich wahr-
lich noch die Vernünftigste bin - Und nun machen 
Sie sich leicht einen Begriff von der Verrücktesten, 
nämlich von Julie Maxfield, die beständig behauptet, 
grüne Augen bedeuten den Frühling der Seele; dann 
haben wir noch zwei junge Schönheiten -«
»Gewiß englische Schönheiten, Mylady -«
»Doktor, was bedeutet dieser spöttische Ton? Die 
gelbfettigen Makkaronigesichter in Italien müssen 
Ihnen so gut schmecken, daß Sie keinen Sinn mehr 
haben für britische -«
»Plumpuddings mit Rosinenaugen, Roastbeefbusen
festoniert mit weißen Meerrettichstreifen, stolze Pa-
steten -«
»Es gab eine Zeit, Doktor, wo Sie jedesmal in Ver-
zückung gerieten, wenn Sie eine schöne Engländerin 
sahen -«
»Ja, das war damals! Ich bin noch immer nicht ab-
geneigt, Ihren Landsmänninnen zu huldigen; sie sind 
schön wie Sonnen, aber Sonnen von Eis, sie sind 
weiß wie Marmor, aber auch marmorkalt - auf ihren 
kalten Herzen erfrieren die armen -«
»Oho, ich kenne einen - der dort nicht erfroren ist 
und frisch und gesund übers Meer gesprungen, und es
war ein großer, deutscher, impertinenter -«
»Er hat sich wenigstens an den britisch frostigen 
Herzen so stark erkältet, daß er noch jetzt davon den 
Schnupfen hat.«
Mylady schien pikiert über diese Antwort, sie er-
griff die Reitgerte, die zwischen den Blättern eines 
Romans, als Lesezeichen, lag, schwang sie um die 
Ohren ihres weißen Jagdhundes, der leise knurrte, hob
hastig ihren Hut von der Erde, setzte ihn keck aufs 
Lockenhaupt, sah ein paarmal wohlgefällig in den 
Spiegel und sprach stolz: »Ich bin noch schön!« Aber
plötzlich, wie von einem dunkeln Schmerzgefühl 
durchschauert, blieb sie sinnend stehen, streifte lang-
sam ihren weißen Handschuh von der Hand, reichte 
sie mir, und meine Gedanken pfeilschnell ertappend, 
sprach sie: »Nicht wahr, diese Hand ist nicht mehr so 
schön wie in Ramsgate? Mathilde hat unterdessen 
viel gelitten!«
Lieber Leser, man kann es den Glocken selten an-
sehen, wo sie einen Riß haben, und nur an ihrem 
Tone merkt man ihn. Hättest du nun den Klang der 
Stimme gehört, womit obige Worte gesprochen wur-
den, so wüßtest du gleich, Myladys Herz ist eine 
Glocke vom besten Metall, aber ein verborgener Riß 
dämpft wunderbar ihre heitersten Töne und umschlei-
ert sie gleichsam mit heimlicher Trauer. Doch ich 
liebe solche Glocken, sie finden immer ein gutes Echo
in meiner eignen Brust; und ich küßte Myladys Hand 
fast inniger als ehemals, obgleich sie minder vollblü-
hend war und einige Adern etwas allzu blau hervor-
tretend, mir ebenfalls zu sagen schienen: »Mathilde 
hat unterdessen viel gelitten.«
Ihr Auge sah mich an wie ein wehmütig einsamer 
Stern am herbstlichen Himmel, und weich und innig 
sprach sie: »Sie scheinen mich wenig mehr zu lieben, 
Doktor! Denn nur mitleidig fiel eben Ihre Träne auf 
meine Hand, fast wie ein Almosen.«
»Wer heißt Sie die stumme Sprache meiner Tränen 
so dürftig ausdeuten? Ich wette, der weiße Jagdhund, 
der sich jetzt an Sie schmiegt, versteht mich besser; er
schaut mich an und dann wieder Sie und scheint sich 
zu wundern, daß die Menschen, die stolzen Herren 
der Schöpfung, innerlich so tief elend sind. Ach, My-
lady, nur der verwandte Schmerz entlockt uns die 
Träne, und jeder weint eigentlich für sich selbst.«
»Genug, genug, Doktor. Es ist wenigstens gut, daß 
wir Zeitgenossen sind und in demselben Erdwinkel 
uns gefunden mit unseren närrischen Tränen. Ach des 
Unglücks! wenn Sie vielleicht zweihundert Jahre frü-
her gelebt hätten, wie es mir mit meinem Freunde Mi-
chael de Cervantes Saavedra begegnet, oder gar, wenn
Sie hundert Jahre später auf die Welt gekommen 
wären als ich, wie ein anderer intimer Freund von mir,
dessen Namen ich nicht einmal weiß, eben weil er ihn
erst bei seiner Geburt, Anno 1900, erhalten wird! 
Aber erzählen Sie doch, wie haben Sie gelebt, seit wir
uns nicht gesehen?«
»Ich trieb mein gewöhnliches Geschäft, Mylady; 
ich rollte wieder den großen Stein. Wenn ich ihn bis 
zur Hälfte des Berges gebracht, dann rollte er plötz-
lich hinunter, und ich mußte wieder suchen, ihn hin-
aufzurollen - und dieses Bergauf- und Bergabrollen 
wird sich so lange wiederholen, bis ich selbst unter 
dem großen Steine liegenbleibe und Meister Stein-
metz mit großen Buchstaben darauf schreibt: ›Hier 
ruht in Gott‹ -«
»Beileibe, Doktor, ich lasse Ihnen noch keine 
Ruhe - Sein Sie nur nicht melancholisch! Lachen Sie,
oder ich -«
»Nein, kitzeln Sie nicht; ich will lieber von selbst 
lachen.«
»So recht. Sie gefallen mir noch ebensogut wie in 
Ramsgate, wo wir uns zuerst nahekamen -«
»Und endlich noch näher als nah. Ja, ich will lustig
sein. Es ist gut, daß wir uns wiedergefunden, und der 
große deutsche... wird sich wieder ein Vergnügen dar-
aus machen, sein Leben bei Ihnen zu wagen.«
Myladys Augen lachten wie Sonnenschein nach lei-
sem Regenschauer, und ihre gute Laune brach wieder 
leuchtend hervor, als John hereintrat und mit dem 
steifsten Lakaienpathos Seine Exzellenz den Marche-
se Christophoro di Gumpelino anmeldete.
»Er sei willkommen! Und Sie, Doktor, werden 
einen Pair unseres Narrenreichs kennenlernen. Stoßen
Sie sich nicht an sein Äußeres, besonders nicht an 
seine Nase. Der Mann besitzt vortreffliche Eigen-
schaften, z.B. viel Geld, gesunden Verstand und die 
Sucht, alle Narrheiten der Zeit in sich aufzunehmen; 
dazu ist er in meine grünäugige Freundin Julie Max-
field verliebt und nennt sie seine Julia und sich ihren 
Romeo und deklamiert und seufzt - und Lord Max-
field, der Schwager, dem die treue Julia von ihrem 
Manne anvertraut worden, ist ein Argus -«
Schon wollte ich bemerken, daß Argus eine Kuh 
bewachte, als die Türe sich weit öffnete und, zu mei-
nem höchsten Erstaunen, mein alter Freund, der Ban-
kier Christian Gumpel, mit seinem wohlhabenden Lä-
cheln und gottgefälligem Bauche, hereinwatschelte. 
Nachdem seine glänzenden breiten Lippen sich an 
Myladys Hand genugsam gescheuert und übliche Ge-
sundheitsfragen hervorgebrockt hatten, erkannte er 
auch mich - und in die Arme sanken sich die Freun-
de.

Kapitel II

Mathildens Warnung, daß ich mich an die Nase des
Mannes nicht stoßen solle, war hinlänglich gegründet,
und wenig fehlte, so hätte er mir wirklich ein Auge 
damit ausgestochen. Ich will nichts Schlimmes von 
dieser Nase sagen; im Gegenteil, sie war von der edel-
sten Form, und sie eben berechtigte meinen Freund, 
sich wenigstens einen Marchesetitel beizulegen. Man 
konnte es ihm nämlich an der Nase ansehen, daß er 
von gutem Adel war, daß er von einer uralten Weltfa-
milie abstammte, womit sich sogar einst der liebe 
Gott, ohne Furcht vor Mesalliance, verschwägert hat. 
Seitdem ist diese Familie freilich etwas herunterge-
kommen, so daß sie seit Karl dem Großen, meistens 
durch den Handel mit alten Hosen und Hamburger 
Lotteriezetteln, ihre Subsistenz erwerben mußte, ohne
jedoch im mindesten von ihrem Ahnenstolze abzulas-
sen oder jemals die Hoffnung aufzugeben, einst wie-
der ihre alten Güter oder wenigstens hinreichende 
Emigrantenentschädigung zu erhalten, wenn ihr alter 
legitimer Souverän sein Restaurationsversprechen er-
füllt, ein Versprechen, womit er sie schon zwei 
Jahrtausende an der Nase herumgeführt. Sind viel-
leicht ihre Nasen eben durch dieses lange An-der-
Nase-Herumgeführtwerden so lang geworden? Oder 
sind diese langen Nasen eine Art Uniform, woran der 
Gottkönig Jehova seine alten Leibgardisten erkennt, 
selbst wenn sie desertiert sind? Der Marchese Gum-
pelino war ein solcher Deserteur, aber er trug noch 
immer seine Uniform, und sie war sehr brillant, besäet
mit Kreuzchen und Sternchen von Rubinen, einem 
roten Adlerorden in Miniatur und anderen Dekoratio-
nen.
»Sehen Sie«, sagte Mylady, »das ist meine Lieb-
lingsnase, und ich kenne keine schönere Blume auf 
dieser Erde.«
»Diese Blume«, schmunzlächelte Gumpelino, 
»kann ich Ihnen nicht an den schönen Busen legen, 
ohne daß ich mein blühendes Antlitz hinzulege, und 
diese Beilage würde Sie vielleicht in der heutigen 
Hitze etwas genieren. Aber ich bringe Ihnen eine 
nicht minder köstliche Blume, die hier selten ist -«
Bei diesen Worten öffnete der Marchese die fließ-
papierne Tüte, die er mitgebracht, und mit langsamer 
Sorgfalt zog er daraus hervor eine wunderschöne 
Tulpe.
Kaum erblickte Mylady diese Blume, so schrie sie 
aus vollem Halse: »Morden! morden! wollen Sie mich
morden? Fort, fort mit dem schrecklichen Anblick!« 
Dabei gebärdete sie sich, als wolle man sie umbrin-
gen, hielt sich die Hände vor die Augen, rannte unsin-
nig im Zimmer umher, verwünschte Gumpelinos Nase
und Tulpe, klingelte, stampfte den Boden, schlug den 
Hund mit der Reitgerte, daß er laut aufbellte, und als 
John hereintrat, rief sie, wie Kean als König Richard:

»Ein Pferd! ein Pferd!
Ein Königtum für ein Pferd!«

und stürmte, wie ein Wirbelwind, von dannen.
»Eine kuriose Frau!« sprach Gumpelino, vor Er-
staunen bewegungslos und noch immer die Tulpe in 
der Hand haltend, so daß er einem jener Götzenbilder 
glich, die, mit Lotosblumen in den Händen, auf altin-
dischen Denkmälern zu schauen sind. Ich aber kannte 
die Dame und ihre Idiosynkrasie weit besser, mich er-
götzte dieses Schauspiel über alle Maßen, ich öffnete 
das Fenster und rief: »Mylady, was soll ich von Ihnen 
denken? Ist das Vernunft, Sitte - besonders, ist das 
Liebe?«
Da lachte herauf die wilde Antwort:

»Wenn ich zu Pferde bin, so will ich schwören:
Ich liebe dich unendlich.«

Kapitel III

»Eine kuriose Frau!« wiederholte Gumpelino, als 
wir uns auf den Weg machten, seine beiden Freundin-
nen, Signora Lätitia und Signora Franscheska, deren 
Bekanntschaft er mir verschaffen wollte, zu besuchen.
Da die Wohnung dieser Damen auf einer etwas ent-
fernten Anhöhe lag, so erkannte ich um so dankbarer 
die Güte meines wohlbeleibten Freundes, der das 
Bergsteigen etwas beschwerlich fand und auf jedem 
Hügel atemschöpfend stehenblieb und »O Jesu!« 
seufzte.
Die Wohnungen in den Bädern von Lucca nämlich 
sind entweder unten in einem Dorfe, das von hohen 
Bergen umschlossen ist, oder sie liegen auf einem die-
ser Berge selbst, unfern der Hauptquelle, wo eine pit-
toreske Häusergruppe in das reizende Tal hinab-
schaut. Einige liegen aber auch einzeln zerstreut an 
den Bergesabhängen, und man muß mühsam hinauf-
klimmen durch Weinreben, Myrtengesträuch, Geiß-
blatt, Lorbeerbüsche, Oleander, Geranikum und andre
vornehme Blumen und Pflanzen, ein wildes Paradies. 
Ich habe nie ein reizenderes Tal gesehen, besonders 
wenn man von der Terrasse des oberen Bades, wo die 
ernstgrünen Zypressen stehen, ins Dorf hinabschaut. 
Man sieht dort die Brücke, die über ein Flüßchen 
führt, welches Lima heißt und, das Dorf in zwei Teile 
durchschneidend, an beiden Enden in mäßigen Was-
serfällen über Felsenstücke dahinstürzt und ein Ge-
räusch hervorbringt, als wolle es die angenehmsten 
Dinge sagen und könne vor dem allseitig plaudernden
Echo nicht zu Worten kommen.
Der Hauptzauber dieses Tales liegt aber gewiß in 
dem Umstand, daß es nicht zu groß ist und nicht zu 
klein, daß die Seele des Beschauers nicht gewaltsam 
erweitert wird, vielmehr sich ebenmäßig mit dem 
herrlichen Anblick füllt, daß die Häupter der Berge 
selbst, wie die Apenninen überall, nicht abenteuerlich
gotisch erhaben mißgestaltet sind, gleich den Bergka-
rikaturen, die wir ebensowohl wie die Menschenkari-
katuren in germanischen Ländern finden, sondern daß 
ihre edelgeründeten, heiter grünen Formen fast eine 
Kunstzivilisation aussprechen und gar melodisch mit 
dem blaßblauen Himmel zusammenklingen.
»O Jesu!« ächzte Gumpelino, als wir, mühsamen 
Steigens und von der Morgensonne schon etwas stark 
gewärmt, oberwähnte Zypressenhöhe erreichten und, 
ins Dorf hinabschauend, unsere englische Freundin, 
hoch zu Roß, wie ein romantisches Märchenbild, über
die Brücke jagen und ebenso traumschnell wieder ver-
schwinden sahen. »O Jesu! welch eine kuriose Frau«, 
wiederholte einigemal der Marchese. »In meinem ge-
meinen Leben ist mir noch keine solche Frau vorge-
kommen. Nur in Komödien findet man dergleichen, 
und ich glaube, z.B. die Holzbecher würde die Rolle 
gut spielen. Sie hat etwas von einer Nixe. Was den-
ken Sie?«
»Ich denke, Sie haben recht, Gumpelino. Als ich 
mit ihr von London nach Rotterdam fuhr, sagte der 
Schiffskapitän, sie gliche einer mit Pfeffer bestreuten 
Rose. Zum Dank für diese pikante Vergleichung 
schüttete sie eine ganze Pfefferbüchse auf seinen Kopf
aus, als sie ihn einmal in der Kajüte eingeschlummert 
fand, und man konnte sich dem Manne nicht mehr nä-
hern, ohne zu niesen.«
»Eine kuriose Frau!« sprach wieder Gumpelino. 
»So zart wie weiße Seide und ebenso stark und sitzt 
zu Pferde ebensogut wie ich. Wenn sie nur nicht ihre 
Gesundheit zugrunde reitet. Sahen Sie nicht eben den 
langen, magern Engländer, der auf seinem magern 
Gaul hinter ihr herjagte wie die galoppierende 
Schwindsucht? Das Volk reitet zu leidenschaftlich, 
gibt alles Geld in der Welt für Pferde aus. Lady Max-
fields Schimmel kostet dreihundert goldne, lebendige 
Louisdore - ach! und die Louisdore stehen so hoch 
und steigen noch täglich.«
»Ja, die Louisdor werden noch so hoch steigen, daß
ein armer Gelehrter, wie unsereiner, sie gar nicht mehr
wird erreichen können.«
»Sie haben keinen Begriff davon, Herr Doktor, 
wieviel Geld ich ausgeben muß, und dabei behelfe ich
mich mit einem einzigen Bedienten, und nur wenn ich
in Rom bin, halte ich mir einen Kapellan für meine 
Hauskapelle. Sehen Sie, da kommt mein Hyazinth.«
Die kleine Gestalt, die in diesem Augenblick bei 
der Windung eines Hügels zum Vorschein kam, hätte 
vielmehr den Namen einer Feuerlilie verdient. Es war 
ein schlotternd weiter Scharlachrock, überladen mit 
Goldtressen, die im Sonnenglanze strahlten, und aus 
dieser roten Pracht schwitzte ein Köpfchen hervor, 
das mir sehr wohlbekannt zunickte. Und wirklich, als 
ich das bläßlich besorgliche Gesichtchen und die ge-
schäftig zwinkenden Äuglein näher betrachtete, er-
kannte ich jemanden den ich eher auf dem Berg Sinai 
als auf den Apenninen erwartet hätte, und das war 
kein anderer als Herr Hirsch, Schutzbürger in Ham-
burg, ein Mann, der nicht bloß immer ein sehr ehrli-
cher Lotteriekollekteur gewesen, sondern sich auch 
auf Hühneraugen und Juwelen versteht, dergestalt, 
daß er erstere von letzteren nicht bloß zu unterschei-
den weiß, sondern auch die Hühneraugen ganz ge-
schickt auszuschneiden und die Juwelen ganz genau 
zu taxieren weiß.
»Ich bin guter Hoffnung«, sprach er, als er mir 
näher kam, »daß Sie mich noch kennen, obgleich ich 
nicht mehr Hirsch heiße. Ich heiße jetzt Hyazinth und 
bin der Kammerdiener des Herrn Gumpel.«
»Hyazinth!« rief dieser in staunender Aufwallung 
über die Indiskretion des Dieners.
»Sein Sie nur ruhig, Herr Gumpel oder Herr Gum-
pelino oder Herr Marchese oder Eure Eccellenza, wir 
brauchen uns gar nicht vor diesem Herrn zu genieren, 
der kennt mich, hat manches Los bei mir gespielt, und
ich möcht sogar drauf schwören, er ist mir von der 
letzten Renovierung noch sieben Mark neun Schilling
schuldig - Ich freue mich wirklich, Herr Doktor, Sie 
hier wiederzusehen. Haben Sie hier ebenfalls Vergnü-
gungsgeschäfte? Was sollte man sonst hier tun in die-
ser Hitze, und wo man noch dazu bergauf und bergab 
steigen muß. Ich bin hier des Abends so müde, als 
wäre ich zwanzigmal vom Altonaer Tore nach dem 
Steintor gelaufen, ohne was dabei verdient zu haben.«
»O Jesu!« rief der Marchese, »schweig, schweig! 
Ich schaffe mir einen andern Bedienten an.«
»Warum schweigen?« versetzte Hirsch Hyazinthos,
»ist es mir doch lieb, wenn ich mal wieder gutes 
Deutsch sprechen kann mit einem Gesichte, das ich 
schon einmal in Hamburg gesehen, und denke ich an 
Hamburg -«
Hier, bei der Erinnerung an sein kleines Stiefvater-
ländchen, wurden des Mannes Äuglein flimmernd 
feucht, und seufzend sprach er: »Was ist der Mensch! 
Man geht vergnügt vor dem Altonaer Tore, auf dem 
Hamburger Berg, spazieren und besieht dort die 
Merkwürdigkeiten, die Löwen, die Gevögel, die 
Papagoyim, die Affen, die ausgezeichneten Menschen,
und man läßt sich Karussell fahren oder elektrisieren, 
und man denkt, was würde ich erst für Vergnügen 
haben an einem Orte, der noch zweihundert Meilen 
von Hamburg weiter entfernt ist, in dem Lande, wo 
die Zitronen und Orangen wachsen, in Italien! Was ist
der Mensch! Ist er vor dem Altonaer Tore, so möchte 
er gern in Italien sein, und ist er in Italien, so möchte 
er wieder vor dem Altonaer Tore sein! Ach, stände ich
dort wieder und sähe wieder den Michaelisturm und 
oben daran die Uhr mit den großen goldnen Zahlen 
auf dem Zifferblatt, die großen goldnen Zahlen, die 
ich so oft des Nachmittags betrachtete, wenn sie so 
freundlich in der Sonne glänzten - ich hätte sie oft 
küssen mögen. Ach, ich bin jetzt in Italien, wo die Zi-
tronen und Orangen wachsen; wenn ich aber die Zi-
tronen und Orangen wachsen sehe, so denk ich an den
Steinweg zu Hamburg, wo sie, ganzer Karren voll, 
gemächlich aufgestapelt liegen und wo man sie ruhig 
genießen kann, ohne daß man nötig hat, so viele Ge-
fahrberge zu besteigen und soviel Hitzwärme auszu-
stehen. So wahr mir Gott helfe, Herr Marchese, wenn 
ich es nicht der Ehre wegen getan hätte und wegen der
Bildung, so wäre ich Ihnen nicht hierher gefolgt. Aber
das muß man Ihnen nachsagen, man hat Ehre bei 
Ihnen und bildet sich.«
»Hyazinth!« sprach jetzt Gumpelino, der durch 
diese Schmeichelei etwas besänftigt worden, »Hya-
zinth, geh jetzt zu -«
»Ich weiß schon -«
»Du weißt nicht, sage ich dir, Hyazinth -«
»Ich sag Ihnen, Herr Gumpel, ich weiß. Ew. Exzel-
lenz schicken mich jetzt zu der Lady Maxfield - Mir 
braucht man gar nichts zu sagen. Ich weiß Ihre Ge-
danken, die Sie noch gar nicht gedacht und vielleicht 
Ihr Lebtag gar nicht denken werden. Einen Bedienten 
wie mich bekommen Sie nicht so leicht - und ich tu 
es der Ehre wegen und der Bildung wegen, und wirk-
lich, man hat Ehre bei Ihnen und bildet sich -« Bei 
diesem Worte putzte er sich die Nase mit einem sehr 
weißen Taschentuche.
»Hyazinth«, sprach der Marchese, »du gehst jetzt 
zu der Lady Julie Maxfield, zu meiner Julia, und 
bringst ihr diese Tulpe - nimm sie in acht, denn sie 
kostet fünf Paoli - und sagst ihr -«
»Ich weiß schon -«
»Du weißt nichts. Sag ihr: ›Die Tulpe ist unter den
Blumen‹ -«
»Ich weiß schon, Sie wollen ihr etwas durch die 
Blume sagen. Ich habe für so manches Lotterielos in 
meiner Kollekte selbst eine Devise gemacht -«
»Ich sage dir, Hyazinth, ich will keine Devise von 
dir. Bringe diese Blume an Lady Maxfield und sage 
ihr:

›Die Tulpe ist unter den Blumen,
Was unter den Käsen der Stracchino;
Doch mehr als Blumen und Käse
Verehrt dich Gumpelino!‹«

»So wahr mir Gott alles Gut's gebe, das ist gut!« 
rief Hyazinth. »Winken Sie mir nicht, Herr Marchese,
was Sie wissen, das weiß ich, und was ich weiß, das 
wissen Sie. Und Sie, Herr Doktor, leben Sie wohl! 
Um die Kleinigkeit mahne ich Sie nicht.« Bei diesen 
Worten stieg er den Hügel wieder hinab und murmel-
te beständig: »Gumpelino Stracchino - Stracchino 
Gumpelino -«
»Es ist ein treuer Mensch« - sagte der Marchese -,
»sonst hätte ich ihn längst abgeschafft wegen seines 
Mangels an Etikette. Vor Ihnen hat das nichts zu be-
deuten. Sie verstehen mich. Wie gefällt Ihnen seine 
Livree? Es sind noch für vierzig Taler mehr Tressen 
dran als an der Livree von Rothschilds Bedienten. Ich
habe innerlich mein Vergnügen, wie sich der Mensch 
bei mir perfektioniert. Dann und wann gebe ich ihm 
selbst Unterricht in der Bildung. Ich sage ihm oft: 
›Was ist Geld? Geld ist rund und rollt weg, aber Bil-
dung bleibt.‹ Ja, Herr Doktor, wenn ich, was Gott 
verhüte, mein Geld verliere, so bin ich doch noch 
immer ein großer Kunstkenner, ein Kenner von Male-
rei, Musik und Poesie. Sie sollen mir die Augen 
zubinden und mich in der Galerie zu Florenz herum-
führen, und bei jedem Gemälde, vor welches Sie mich
hinstellen, will ich Ihnen den Maler nennen, der es ge-
malt hat, oder wenigstens die Schule, wozu dieser 
Maler gehört. Musik? Verstopfen Sie mir die Ohren, 
und ich höre doch jede falsche Note. Poesie? Ich 
kenne alle Schauspielerinnen Deutschlands, und die 
Dichter weiß ich auswendig. Und gar Natur! Ich bin 
zweihundert Meilen gereist, Tag und Nacht durch, um
in Schottland einen einzigen Berg zu sehen. Italien 
aber geht über alles. Wie gefällt Ihnen hier diese Na-
turgegend? Welche Schöpfung! Sehen Sie mal die 
Bäume, die Berge, den Himmel, da unten das Was-
ser - ist nicht alles wie gemalt? Haben Sie es je im 
Theater schöner gesehen? Man wird sozusagen ein 
Dichter! Verse kommen einem in den Sinn, und man 
weiß nicht woher: -

Schweigend, in der Abenddämmrung Schleier,
Ruht die Flur, das Lied der Haine stirbt;
Nur daß hier im alternden Gemäuer
Melancholisch noch ein Heimchen zirpt.«

Diese erhabenen Worte deklamierte der Marchese 
mit überschwellender Rührung, indem er, wie ver-
klärt, in das lachende, morgenhelle Tal hinabschaute.


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