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Ideen. Das Buch Le Grand
1826

Kapitel I-X | Kapitel XI-XX

und

Die Nordsee. 1826. Dritte Abteilung

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Kapitel I - X

Das Geschlecht der Örindur,
Unsres Thrones feste Säule,
Soll bestehn, ob die Natur
Auch damit zu Ende eile.
Müllner

Evelina empfange diese Blätter
als ein Zeichen der Freundschaft und
Liebe des Verfassers

 

Kapitel I

Sie war liebenswürdig, und er liebte sie; er aber
war nicht liebenswürdig, und sie liebte ihn nicht.
Altes Stück

Madame, kennen Sie das alte Stück? Es ist ein 
ganz außerordentliches Stück, nur etwas zu sehr me-
lancholisch. Ich hab mal die Hauptrolle darin ge-
spielt, und da weinten alle Damen, nur eine einzige 
weinte nicht, nicht eine einzige Träne weinte sie, und 
das war eben die Pointe des Stücks, die eigentliche 
Katastrophe -
O diese einzige Träne! sie quält mich noch immer 
in Gedanken; der Satan, wenn er meine Seele verder-
ben will, flüstert mir ins Ohr ein Lied von dieser un-
geweinten Träne, ein fatales Lied mit einer noch fata-
leren Melodie - ach, nur in der Hölle hört man diese 
Melodie! - - - - - - - - -
Wie man im Himmel lebt, Madame, können Sie 
sich wohl vorstellen, um so eher, da Sie verheuratet 
sind. Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man hat 
alle mögliche Vergnügungen, man lebt in lauter Lust 
und Pläsier, so recht wie Gott in Frankreich. Man 
speist von Morgen bis Abend, und die Küche ist so 
gut wie die Jagorsche, die gebratenen Gänse fliegen 
herum mit den Sauceschüsselchen im Schnabel und 
fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt, 
butterglänzende Torten wachsen wild wie Sonnenblu-
men, überall Bäche mit Bouillon und Champagner, 
überall Bäume, woran Servietten flattern, und man 
speist und wischt sich den Mund und speist wieder, 
ohne sich den Magen zu verderben, man singt Psal-
men, oder man tändelt und schäkert mit den lieben, 
zärtlichen Engelein, oder man geht spazieren auf der 
grünen Hallelujawiese, und die weißwallenden Klei-
der sitzen sehr bequem, und nichts stört da das Gefühl
der Seligkeit, kein Schmerz, kein Mißbehagen, ja 
sogar, wenn einer dem andern zufällig auf die 
Hühneraugen tritt und »Excusez!« ausruft, so lächelt 
dieser wie verklärt und versichert: »Dein Tritt, Bru-
der, schmerzt nicht, sondern, au contraire, mein Herz 
fühlt dadurch nur desto süßere Himmelswonne.«
Aber von der Hölle, Madame, haben Sie gar keine 
Idee. Von allen Teufeln kennen Sie vielleicht nur den 
kleinsten, das Beelzebübchen Amor, den artigen 
Croupier der Hölle, und diese selbst kennen Sie nur 
aus dem »Don Juan«, und für diesen Weiberbetrüger, 
der ein böses Beispiel gibt, dünkt sie Ihnen niemals 
heiß genug, obgleich unsere hochlöblichen Theater 
direktionen soviel Flammenspektakel, Feuerregen, 
Pulver und Kolophonium dabei aufgehen lassen, wie 
es nur irgend ein guter Christ in der Hölle verlangen 
kann.
Indessen, in der Hölle sieht es viel schlimmer aus, 
als unsere Theaterdirektoren wissen - sie würden 
auch sonst nicht so viele schlechte Stücke aufführen 
lassen -, in der Hölle ist es ganz höllisch heiß, und 
als ich mal in den Hundstagen dort war, fand ich es 
nicht zum Aushalten. Sie haben keine Idee von der 
Hölle, Madame. Wir erlangen dorther wenig offizielle
Nachrichten. Daß die armen Seelen da drunten den 
ganzen Tag all die schlechten Predigten lesen müssen,
die hier oben gedruckt werden - das ist Verleumdung.
So schlimm ist es nicht in der Hölle, so raffinierte 
Qualen wird Satan niemals ersinnen. Hingegen 
Dantes Schilderung ist etwas zu mäßig, im ganzen 
allzu poetisch. Mir erschien die Hölle wie eine große 
bürgerliche Küche, mit einem unendlich langen Ofen, 
worauf drei Reihen eiserne Töpfe standen, und in die-
sen saßen die Verdammten und wurden gebraten. In 
der einen Reihe saßen die christlichen Sünder, und, 
sollte man es wohl glauben! ihre Anzahl war nicht 
allzu klein, und die Teufel schürten unter ihnen das 
Feuer mit besonderer Geschäftigkeit. In der anderen 
Reihe saßen die Juden, die beständig schrien und von 
den Teufeln zuweilen geneckt wurden, wie es sich 
denn gar possierlich ausnahm, als ein dicker, 
pustender Pfänderverleiher über allzu große Hitze 
klagte und ein Teufelchen ihm einige Eimer kaltes 
Wasser über den Kopf goß, damit er sähe, daß die 
Taufe eine wahre erfrischende Wohltat sei. In der drit-
ten Reihe saßen die Heiden, die, ebenso wie die 
Juden, der Seligkeit nicht teilhaftig werden können 
und ewig brennen müssen. Ich hörte, wie einer dersel-
ben, dem ein vierschrötiger Teufel neue Kohlen unter-
legte, gar unwillig aus dem Topfe hervorrief: »Schone
meiner, ich war Sokrates, der weiseste der Sterbli-
chen, ich habe Wahrheit und Gerechtigkeit gelehrt 
und mein Leben geopfert für die Tugend.« Aber der 
vierschrötige, dumme Teufel ließ sich in seinem Ge-
schäfte nicht stören und brummte: »Ei was! alle Hei-
den müssen brennen, und wegen eines einzigen 
Menschen dürfen wir keine Ausnahme machen.« -- 
Ich versichere Sie, Madame, es war eine fürchterliche 
Hitze und ein Schreien, Seufzen, Stöhnen, Quäken, 
Greinen, Quirilieren - und durch all diese entsetzli-
chen Töne drang vernehmbar jene fatale Melodie des 
Liedes von der ungeweinten Träne.

Kapitel II

Sie war liebenswürdig, und er liebte sie; er aber
war nicht liebenswürdig, und sie liebte ihn nicht.
Altes Stück

Madame! das alte Stück ist eine Tragödie, obschon
der Held darin weder ermordet wird noch sich selbst 
ermordet. Die Augen der Heldin sind schön, sehr 
schön - Madame, riechen Sie nicht Veilchenduft? -, 
sehr schön und doch so scharfgeschliffen, daß sie mir 
wie gläserne Dolche durch das Herz drangen und 
gewiß aus meinem Rücken wieder herausguckten - 
aber ich starb doch nicht an diesen meuchelmörderi-
schen Augen. Die Stimme der Heldin ist auch schön -
Madame, hörten Sie nicht eben eine Nachtigall schla-
gen? -, eine schöne, seidne Stimme, ein süßes Ge-
spinst der sonnigsten Töne, und meine Seele ward 
darin verstrickt und würgte sich und quälte sich. Ich 
selbst - es ist der Graf vom Ganges, der jetzt spricht, 
und die Geschichte spielt in Venedig -, ich selbst 
hatte mal der gleichen Quälereien satt, und ich dachte 
schon im ersten Akte dem Spiel ein Ende zu machen 
und die Schellenkappe mitsamt dem Kopfe herunter-
zuschießen, und ich ging nach einem Galanterieladen 
auf der Via Burstah, wo ich ein Paar schöne Pistolen 
in einem Kasten ausgestellt fand - ich erinnere mich 
dessen noch sehr gut, es standen daneben viel freudi-
ge Spielsachen von Perlemutter und Gold, eiserne 
Herzen an güldenen Kettlein, Porzellantassen mit 
zärtlichen Devisen, Schnupftabaksdosen mit hüb-
schen Bildern, z.B. die göttliche Geschichte von der 
Susanna, der Schwanengesang der Leda, der Raub der
Sabinerinnen, die Lucretia, das dicke Tugendmensch 
mit dem entblößten Busen, in den sie sich den Dolch 
nachträglich hineinstößt, die selige Bethmann, La 
belle ferroniere, lauter lockende Gesichter - aber ich 
kaufte doch die Pistolen, ohne viel zu dingen, und 
dann kauft ich Kugeln, dann Pulver, und dann ging 
ich in den Keller des Signor Unbescheiden und ließ 
mir Austern und ein Glas Rheinwein vorstellen -
Essen konnt ich nicht und trinken noch viel weni-
ger. Die heißen Tropfen fielen ins Glas, und im Glas 
sah ich die liebe Heimat, den blauen, heiligen Gan-
ges, den ewigstrahlenden Himalaja, die riesigen Ban-
janenwälder, in deren weiten Laubgängen die klugen 
Elefanten und die weißen Pilger ruhig wandelten, selt-
sam träumerische Blumen sahen mich an, heimlich 
mahnend, goldne Wundervögel jubelten wild, flim-
mernde Sonnenstrahlen und süßnärrische Laute von 
lachenden Affen neckten mich lieblich, aus fernen Pa-
goden ertönten die frommen Priestergebete, und da-
zwischen klang die schmelzend klagende Stimme der 
Sultanin von Delhi - in ihrem Teppichgemache rann-
te sie stürmisch auf und nieder, sie zerriß ihren silber-
nen Schleier, sie stieß zu Boden die schwarze Sklavin
mit dem Pfauenwedel, sie weinte, sie tobte, sie 
schrie - Ich konnte sie aber nicht verstehen, der Kel-
ler des Signor Unbescheiden ist 3000 Meilen entfernt 
vom Harem zu Delhi, und dazu war die schöne Sulta-
nin schon tot seit 3000 Jahren - und ich trank hastig 
den Wein, den hellen, freudigen Wein, und doch 
wurde es in meiner Seele immer dunkler und trauri-
ger - Ich war zum Tode verurteilt - - - - - - - - - 
- - - - - - - - - - - - -
Als ich die Kellertreppe wieder hinaufstieg, hörte 
ich das Armesünderglöckchen läuten, die Menschen-
menge wogte vorüber; ich aber stellte mich an die 
Ecke der Strada San Giovanni und hielt folgenden 
Monolog:

»In alten Märchen gibt es goldne Schlösser,
Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrt' und Rosen ihren Duft verbreiten -
Und doch ein einziges Entzaubrungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt
Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
So hab auch ich, mit einem einz'gen Worte,
Die ganze blühende Natur entzaubert.
Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
Der man die Backenknochen rot gefärbt
Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.
Die Lippen aber schauen gelb und welk,
Weil man vergaß, sie gleichfalls rot zu schminken,
Und Mäuse springen um die Königsnase,
Und spotten frech des großen, goldnen Zepters.« -

Es ist allgemein rezipiert, Madame, daß man einen 
Monolog hält, ehe man sich totschießt. Die meisten 
Menschen benutzen bei solcher Gelegenheit das Ham-
letsche »Sein oder Nichtsein«. Es ist eine gute Stelle, 
und ich hätte sie hier auch gern zitiert - aber jeder ist 
sich selbst der Nächste, und hat man, wie ich, eben-
falls Tragödien geschrieben, worin solche Lebens-
abiturientenreden enthalten sind, z.B. den unsterbli-
chen »Almansor«, so ist es sehr natürlich, daß man 
seinen eignen Worten, sogar vor den 
Shakespeareschen, den Vorzug gibt. Auf jeden Fall 
sind solche Reden ein sehr nützlicher Brauch; man 
gewinnt dadurch wenigstens Zeit - Und so geschah 
es, daß ich an der Ecke der Strada San Giovanni 
etwas lange stehenblieb - und als ich da stand, ein 
Verurteilter, der dem Tode geweiht war, da erblickte 
ich plötzlich sie!
Sie trug ihr blauseidnes Kleid und den rosaroten 
Hut, und ihr Auge sah mich an so mild, so todbesie-
gend, so lebenschenkend - Madame, Sie wissen wohl
aus der römischen Geschichte, daß, wenn die Vesta-
linnen im alten Rom auf ihrem Wege einem Verbre-
cher begegneten, der zur Hinrichtung geführt wurde, 
so hatten sie das Recht, ihn zu begnadigen, und der 
arme Schelm blieb am Leben. - Mit einem einzigen 
Blick hat sie mich vom Tode gerettet, und ich stand 
vor ihr wie neubelebt, wie geblendet vom Son-
nenglanze ihrer Schönheit, und sie ging weiter - und 
ließ mich am Leben.

Kapitel III

Und sie ließ mich am Leben, und ich lebe, und das 
ist die Hauptsache.
Mögen andre das Glück genießen, daß die Geliebte
ihr Grabmal mit Blumenkränzen schmückt und mit 
Tränen der Treue benetzt - Oh, Weiber! haßt mich, 
verlacht mich, bekorbt mich! aber laßt mich leben! 
Das Leben ist gar zu spaßhaft süß; und die Welt ist 
so lieblich verworren; sie ist der Traum eines weinbe-
rauschten Gottes, der sich aus der zechenden Götter-
versammlung à la francaise fortgeschlichen und auf 
einem einsamen Stern sich schlafen gelegt und selbst 
nicht weiß, daß er alles das auch erschafft, was er 
träumt - und die Traumgebilde gestalten sich oft 
buntscheckig toll, oft auch harmonisch vernünftig - 
die »Ilias«, Plato, die Schlacht bei Marathon, Moses, 
die Mediceische Venus, der Straßburger Münster, die 
französische Revolution, Hegel, die Dampfschiffe 
usw. sind einzelne gute Gedanken in diesem schaffen-
den Gottestraum - aber es wird nicht lange dauern, 
und der Gott erwacht und reibt sich die verschlafenen 
Augen und lächelt - und unsre Welt ist zerronnen in 
nichts, ja, sie hat nie existiert.
Gleichviel, ich lebe. Bin ich auch nur das Schatten-
bild in einem Traum, so ist auch dieses besser als das 
kalte, schwarze, leere Nichtsein des Todes. Das 
Leben ist der Güter höchstes, und das schlimmste 
Übel ist der Tod. Mögen berlinische Gardeleutnants 
immerhin spötteln und es Feigheit nennen, daß der 
Prinz von Homburg zurückschaudert, wenn er sein 
offnes Grab erblickt - Heinrich Kleist hatte dennoch 
ebensoviel Courage wie seine hochbrüstigen, wohlge-
schnürten Kollegen, und er hat es leider bewiesen. 
Aber alle kräftige Menschen lieben das Leben. Goe-
thes Egmont scheidet nicht gern »von der freundlichen
Gewohnheit des Daseins und Wirkens«. Immermanns
Edwin hängt am Leben »wie 'n Kindlein an der Mut-
ter Brüsten«, und obgleich es ihm hart ankömmt, 
durch fremde Gnade zu leben, so fleht er dennoch um 
Gnade:

»Weil Leben, Atmen doch das Höchste ist.«

Wenn Odysseus in der Unterwelt den Achilleus als 
Führer toter Helden sieht und ihn preist wegen seines 
Ruhmes bei den Lebendigen und seines Ansehens 
sogar bei den Toten, antwortet dieser:

»Nicht mir rede vom Tod ein Trostwort, edler Odysseus!
Lieber ja wollt' ich das Feld als Tagelöhner bestellen
Einem dürftigen Mann, ohn' Erbe und eigenen Wohlstand,
Als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherrschen.«

Ja, als der Major Düvent den großen Israel Löwe 
auf Pistolen forderte und zu ihm sagte: »Wenn Sie 
sich nicht stellen, Herr Löwe, so sind Sie ein Hund«, 
da antwortete dieser: »Ich will lieber ein lebendiger 
Hund sein als ein toter Löwe!«, und er hatte recht - 
Ich habe mich oft genug geschlagen, Madame, um 
dieses sagen zu dürfen - Gottlob! ich lebe! In meinen 
Adern kocht das rote Leben, unter meinen Füßen 
zuckt die Erde, in Liebesglut umschlinge ich Bäume 
und Marmorbilder, und sie werden lebendig in meiner
Umarmung. Jedes Weib ist mir eine geschenkte Welt, 
ich schwelge in den Melodien ihres Antlitzes, und mit
einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr ge-
nießen als andre, mit ihren sämtlichen Gliedmaßen, 
zeit ihres Lebens. Jeder Augenblick ist mir ja eine 
Unendlichkeit; ich messe nicht die Zeit mit der Bra-
banter oder mit der kleinen Hamburger Elle, und ich 
brauche mir von keinem Priester ein zweites Leben 
versprechen zu lassen, da ich schon in diesem Leben 
genug erleben kann, wenn ich rückwärts lebe, im 
Leben der Vorfahren, und mir die Ewigkeit erobere 
im Reiche der Vergangenheit.
Und ich lebe! Der große Pulsschlag der Natur bebt 
auch in meiner Brust, und wenn ich jauchze, antwor-
tet mir ein tausendfältiges Echo. Ich höre tausend 
Nachtigallen. Der Frühling hat sie gesendet, die Erde 
aus ihrem Morgenschlummer zu wecken, und die Erde
schauert vor Entzücken, ihre Blumen sind die Hym-
nen, die sie in Begeisterung der Sonne entgegensingt 
- die Sonne bewegt sich viel zu langsam, ich möchte 
ihre Feuerrosse peitschen, damit sie schneller dahinja-
gen - Aber wenn sie zischend ins Meer hinabsinkt 
und die große Nacht heraufsteigt mit ihrem großen 
sehnsüchtigen Auge, oh! dann durchbebt mich erst 
recht die rechte Lust, wie schmeichelnde Mädchen 
legen sich die Abendlüfte an mein brausendes Herz, 
und die Sterne winken, und ich erhebe mich und 
schwebe über der kleinen Erde und den kleinen Ge-
danken der Menschen.

Kapitel IV

Aber einst wird kommen der Tag, und die Glut in 
meinen Adern ist erloschen, in meiner Brust wohnt 
der Winter, seine weißen Flocken umflattern spärlich 
mein Haupt, und seine Nebel verschleiern mein Auge.
In verwitterten Gräbern liegen meine Freunde, ich al-
lein bin zurückgeblieben, wie ein einsamer Halm, den
der Schnitter vergessen, ein neues Geschlecht ist 
hervorgeblüht mit neuen Wünschen und neuen Ge-
danken, voller Verwundrung höre ich neue Namen 
und neue Lieder, die alten Namen sind verschollen, 
und ich selbst bin verschollen, vielleicht noch von 
wenigen geehrt, von vielen verhöhnt und von nieman-
den geliebt! Und es springen heran zu mir die rosen-
wangigen Knaben und drücken mir die alte Harfe in 
die zitternde Hand und sprechen lachend: »Du hast 
schon lange geschwiegen, du fauler Graukopf, sing 
uns wieder Gesänge von den Träumen deiner Ju-
gend.«
Dann ergreif ich die Harfe, und die alten Freuden 
und Schmerzen erwachen, die Nebel zerrinnen, Trä-
nen blühen wieder aus meinen toten Augen, es früh-
lingt wieder in meiner Brust, süße Töne der Wehmut 
beben in den Saiten der Harfe, ich sehe wieder den 
blauen Fluß und die marmornen Paläste und die schö-
nen Frauen- und Mädchengesichter - und ich singe 
ein Lied von den Blumen der Brenta.
Es wird mein letztes Lied sein, die Sterne werden 
mich anblicken wie in den Nächten meiner Jugend, 
das verliebte Mondlicht küßt wieder meine Wangen, 
die Geisterchöre verstorbener Nachtigallen flöten aus 
der Ferne, schlaftrunken schließen sich meine Augen, 
meine Seele verhallt wie die Töne meiner Harfe - es 
duften die Blumen der Brenta.
Ein Baum wird meinen Grabstein beschatten. Ich 
hätte gern eine Palme, aber diese gedeiht nicht im 
Norden. Es wird wohl eine Linde sein, und sommer-
abends werden dort die Liebenden sitzen und kosen; 
der Zeisig, der sich lauschend in den Zweigen wiegt, 
ist verschwiegen, und meine Linde rauscht traulich 
über den Häuptern der Glücklichen, die so glücklich 
sind, daß sie nicht einmal Zeit haben, zu lesen, was 
auf dem weißen Leichensteine geschrieben steht. 
Wenn aber späterhin der Liebende sein Mädchen ver-
loren hat, dann kommt er wieder zu der wohlbekann-
ten Linde und seufzt und weint und betrachtet den 
Leichenstein, lang und oft, und liest darauf die In-
schrift; - »Er liebte die Blumen der Brenta.«

Kapitel V

Madame! ich habe Sie belogen. Ich bin nicht der 
Graf vom Ganges. Niemals im Leben sah ich den hei-
ligen Strom, niemals die Lotosblumen, die sich in sei-
nen frommen Wellen bespiegeln. Niemals lag ich 
träumend unter indischen Palmen, niemals lag ich be-
tend vor dem Diamantengott zu Jagernaut, durch den 
mir doch leicht geholfen wäre. Ich war ebensowenig 
jemals in Kalkutta wie der Kalkutenbraten, den ich 
gestern mittag gegessen. Aber ich stamme aus Hindo-
stan, und daher fühl ich mich so wohl in den breiten 
Sangeswäldern Valmikis, die Heldenleiden des göttli-
chen Ramo bewegen mein Herz wie ein bekanntes 
Weh, aus den Blumenliedern Kalidasas blühn mir 
hervor die süßesten Erinnerungen, und als vor einigen
Jahren eine gütige Dame in Berlin mir die hübschen 
Bilder zeigte, die ihr Vater, der lange Zeit Gouverneur
in Indien war, von dort mitgebracht, schienen mir die 
zartgemalten, heiligstillen Gesichter so wohlbekannt, 
und es war mir, als beschaute ich meine eigne Famili-
engalerie.
Franz Bopp - Madame, Sie haben gewiß seinen 
»Nalus« und sein »Konjugationssystem des Sanskrit«
gelesen - gab mir manche Auskunft über meine Ahn-
herren, und ich weiß jetzt genau, daß ich aus dem 
Haupte Brahmas entsprossen bin und nicht aus seinen
Hühneraugen; ich vermute sogar, daß der ganze »Ma-
habharata« mit seinen 200000 Versen bloß ein alle-
gorischer Liebesbrief ist, den mein Urahnherr an 
meine Urältermutter geschrieben - Oh! sie liebten 
sich sehr, ihre Seelen küßten sich, sie küßten sich mit 
den Augen, sie waren beide nur ein einziger Kuß -
Eine verzauberte Nachtigall sitzt auf einem roten 
Korallenbaum im Stillen Ozean und singt ein Lied 
von der Liebe meiner Ahnen, neugierig blicken die 
Perlen aus ihren Muschelzellen, die wunderbaren 
Wasserblumen schauern vor Wehmut, die klugen 
Meerschnecken, mit ihren bunten Porzellantürmchen 
auf dem Rücken, kommen herangekrochen, die Seero-
sen erröten verschämt, die gelben, spitzigen Meer-
sterne und die tausendfarbigen gläsernen Quabben 
regen und recken sich, und alles wimmelt und 
lauscht -
Doch, Madame, dieses Nachtigallenlied ist viel zu 
groß, um es hierherzusetzen, es ist so groß wie die 
Welt selbst, schon die Dedikation an Anangas, den 
Gott der Liebe, ist so lang wie sämtliche Walter 
Scottsche Romane, und darauf bezieht sich eine Stelle
im Aristophanes, welche zu deutsch heißt:

»Tiotio, tiotio, tiotinx,«
»Totototo, totototo, tototinx.«
Vossische Übers.

Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das Licht der
Welt erblickte ich an den Ufern jenes schönen Stro-
mes, wo auf grünen Bergen die Torheit wächst und im
Herbste gepflückt, gekeltert, in Fässer gegossen und 
ins Ausland geschickt wird - Wahrhaftig, gestern bei 
Tische hörte ich jemanden eine Torheit sprechen, die 
Anno 1811 in einer Weintraube gesessen, welche ich 
damals selbst auf dem Johannisberge wachsen sah. - 
Viel Torheit wird aber auch im Lande selbst konsu-
miert, und die Menschen dort sind wie überall: - sie 
werden geboren, essen, trinken, schlafen, lachen, 
weinen, verleumden, sind ängstlich besorgt um die 
Fortpflanzung ihrer Gattung, suchen zu scheinen, was
sie nicht sind, und zu tun, was sie nicht können, las-
sen sich nicht eher rasieren, als bis sie einen Bart 
haben, und haben oft einen Bart, ehe sie verständig 
sind, und wenn sie verständig sind, berauschen sie 
sich wieder mit weißer und roter Torheit.
Mon Dieu! wenn ich doch so viel Glauben in mir 
hätte, daß ich Berge versetzen könnte - der Johannis-
berg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall 
nachkommen ließe. Aber da mein Glaube nicht so 
stark ist, muß mir die Phantasie helfen, und sie ver-
setzt mich selbst nach dem schönen Rhein.
Oh, da ist ein schönes Land, voll Lieblichkeit und 
Sonnenschein. Im blauen Strome spiegeln sich die 
Bergesufer mit ihren Burgruinen und Waldungen und 
altertümlichen Städten - Dort vor der Haustür sitzen 
die Bürgersleute des Sommerabends und trinken aus 
großen Kannen und schwatzen vertraulich: wie der 
Wein, gottlob! gedeiht und wie die Gerichte durchaus 
öffentlich sein müssen und wie die Maria Antoinette 
so mir nichts, dir nichts guillotiniert worden und wie 
die Tabaksregie den Tabak verteuert und wie alle 
Menschen gleich sind und wie der Görres ein Haupt-
kerl ist.
Ich habe mich nie um dergleichen Gespräche be-
kümmert und saß lieber bei den Mädchen am 
gewölbten Fenster und lachte über ihr Lachen und 
ließ mich mit Blumen ins Gesicht schlagen und stellte
mich böse, bis sie mir ihre Geheimnisse oder irgend-
eine andre wichtige Geschichte erzählten. Die schöne 
Gertrud war bis zum Tollwerden vergnügt, wenn ich 
mich zu ihr setzte; es war ein Mädchen wie eine flam-
mende Rose, und als sie mir einst um den Hals fiel, 
glaubte ich, sie würde verbrennen und verduften in 
meinen Armen. Die schöne Katharine zerfloß in klin-
gender Sanftheit, wenn sie mit mir sprach, und ihre 
Augen waren von einem so reinen innigen Blau, wie 
ich es noch nie bei Menschen und Tieren und nur sel-
ten bei Blumen gefunden; man sah gern hinein und 
konnte sich so recht viel Süßes dabei denken. Aber 
die schöne Hedwig liebte mich; denn wenn ich zu ihr 
trat, beugte sie das Haupt zur Erde, so daß die 
schwarzen Locken über das errötende Gesicht herab-
fielen und die glänzenden Augen wie Sterne aus dun-
kelem Himmel hervorleuchteten. Ihre verschämten 
Lippen sprachen kein Wort, und auch ich konnte ihr 
nichts sagen. Ich hustete, und sie zitterte. Sie ließ 
mich manchmal durch ihre Schwester bitten, nicht so 
rasch die Felsen zu besteigen und nicht im Rheine zu 
baden, wenn ich mich heiß gelaufen oder getrunken. 
Ich behorchte mal ihr andächtiges Gebet vor dem Ma-
rienbildchen, das, mit Goldflittern geziert und von 
einem brennenden Lämpchen umflittert, in einer 
Nische der Hausflur stand; ich hörte deutlich, wie sie 
die Muttergottes bat, ihm das Klettern, Trinken und 
Baden zu verbieten. Ich hätte mich gewiß in das schö-
ne Mädchen verliebt, wenn sie gleichgültig gegen 
mich gewesen wäre; und ich war gleichgültig gegen 
sie, weil ich wußte, daß sie mich liebte - Madame, 
wenn man von mir geliebt sein will, muß man mich 
en canaille behandeln.
Die schöne Johanna war die Base der drei Schwe-
stern, und ich setzte mich gern zu ihr. Sie wußte die 
schönsten Sagen, und wenn sie mit der weißen Hand 
zum Fenster hinauszeigte, nach den Bergen, wo alles 
passiert war, was sie erzählte, so wurde mir ordentlich
verzaubert zumute, die alten Ritter stiegen sichtbar 
aus den Burgruinen und zerhackten sich die eisernen 
Kleider, die Lorelei stand wieder auf der Bergesspitze
und sang hinab ihr süß verderbliches Lied, und der 
Rhein rauschte so vernünftig, beruhigend und doch 
zugleich neckend schauerlich - und die schöne Johan-
ne sah mich an so seltsam, so heimlich, so rätselhaft 
traulich, als gehörte sie selbst zu den Märchen, 
wovon sie eben erzählte. Sie war ein schlankes, blas-
ses Mädchen, sie war todkrank und sinnend, ihre 
Augen waren klar wie die Wahrheit selbst, ihre Lip-
pen fromm gewölbt, in den Zügen ihres Antlitzes lag 
eine große Geschichte, aber es war eine heilige Ge-
schichte - Etwa eine Liebeslegende? Ich weiß nicht, 
und ich hatte auch nie den Mut, sie zu fragen. Wenn 
ich sie lange ansah, wurde ich ruhig und heiter, es 
ward mir, als sei stiller Sonntag in meinem Herzen 
und die Engel darin hielten Gottesdienst.
In solchen guten Stunden erzählte ich ihr Geschich-
ten aus meiner Kindheit, und sie hörte immer ernst-
haft zu, und seltsam! wenn ich mich nicht mehr auf 
die Namen besinnen konnte, so erinnerte sie mich 
daran. Wenn ich sie alsdann mit Verwunderung frag-
te, woher sie die Namen wisse, so gab sie lächelnd 
zur Antwort, sie habe sie von den Vögeln erfahren, 
die an den Fliesen ihres Fensters nisteten - und sie 
wollte mich gar glauben machen, dieses seien die 
nämlichen Vögel, die ich einst als Knabe mit meinem 
Taschengelde den hartherzigen Bauerjungen abge-
kauft habe und dann frei fortfliegen lassen. Ich glaube
aber, sie wußte alles, weil sie so blaß war und wirk-
lich bald starb. Sie wußte auch, wann sie sterben 
würde, und wünschte, daß ich Andernacht den Tag 
vorher verlassen möchte. Beim Abschied gab sie mir 
beide Hände - es waren weiße, süße Hände und rein 
wie eine Hostie -, und sie sprach: »Du bist sehr gut, 
und wenn du böse wirst, so denke wieder an die klei-
ne, tote Veronika.«
Haben ihr die geschwätzigen Vögel auch diesen 
Namen verraten? Ich hatte mir in erinnerungssüchti-
gen Stunden so oft den Kopf zerbrochen und konnte 
mich nicht mehr auf den lieben Namen erinnern.
Jetzt, da ich ihn wieder habe, will mir auch die frü-
heste Kindheit wieder im Gedächtnisse hervorblühen, 
und ich bin wieder ein Kind und spiele mit andern 
Kindern auf dem Schloßplatze zu Düsseldorf am 
Rhein.

Kapitel VI

Ja, Madame, dort bin ich geboren, und ich bemerke
dieses ausdrücklich für den Fall, daß etwa, nach mei-
nem Tode, sieben Städte - Schilda, Krähwinkel, 
Polkwitz, Bockum, Dülken, Göttingen und Schöp-
penstädt - sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt
zu sein. Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben 
da sechzehntausend Menschen, und viele hunderttau-
send Menschen liegen noch außerdem da begraben. 
Und darunter sind manche, von denen meine Mutter 
sagt, es wäre besser, sie lebten noch, z.B. mein Groß-
vater und mein Oheim, der alte Herr v. Geldern und 
der junge Herr v. Geldern, die beide so berühmte 
Doktoren waren und so viele Menschen vom Tode ku-
riert und doch selber sterben mußten. Und die fromme
Ursula, die mich als Kind auf den Armen getragen, 
liegt auch dort begraben, und es wächst ein Rosen-
strauch auf ihrem Grab - Rosenduft liebte sie so sehr 
im Leben, und ihr Herz war lauter Rosenduft und 
Güte. Auch der alte kluge Kanonikus liegt dort begra-
ben. Gott, wie elend sah er aus, als ich ihn zuletzt 
sah! Er bestand nur noch aus Geist und Pflastern und 
studierte dennoch Tag und Nacht, als wenn er besorg-
te, die Würmer möchten einige Ideen zuwenig in sei-
nem Kopfe finden. Auch der kleine Wilhelm liegt 
dort, und daran bin ich schuld. Wir waren Schulkame-
raden im Franziskanerkloster und spielten auf jener 
Seite desselben, wo zwischen steinernen Mauern die 
Düssel fließt, und ich sagte: »Wilhelm, hol doch das 
Kätzchen, das eben hineingefallen« - und lustig stieg 
er hinab auf das Brett, das über dem Bach lag, riß das
Kätzchen aus dem Wasser, fiel aber selbst hinein, und
als man ihn herauszog, war er naß und tot. Das Kätz-
chen hat noch lange Zeit gelebt.
Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man
in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist,
wird einem wunderlich zumute. Ich bin dort geboren, 
und es ist mir, als müßte ich gleich nach Hause gehn. 
Und wenn ich sage, nach Hause gehn, so meine ich 
die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren 
bin. Dieses Haus wird einst sehr merkwürdig sein, 
und der alten Frau, die es besitzt, habe ich sagen las-
sen, daß sie beileibe das Haus nicht verkaufen solle. 
Für das ganze Haus bekäme sie jetzt doch kaum so-
viel, wie schon allein das Trinkgeld betragen wird, 
das einst die grünverschleierten, vornehmen Englän-
derinnen dem Dienstmädchen geben, wenn es ihnen 
die Stube zeigt, worin ich das Licht der Welt erblickt,
und den Hühnerwinkel, worin mich Vater gewöhnlich
einsperrte, wenn ich Trauben genascht, und auch die 
braune Türe, worauf Mutter mich die Buchstaben mit 
Kreide schreiben lehrte - ach Gott! Madame, wenn 
ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das mei-
ner armen Mutter genug Mühe gekostet.
Aber mein Ruhm schläft jetzt noch in den Marmor-
brüchen von Carrara, der Makulaturlorbeer, womit 
man meine Stirne geschmückt, hat seinen Duft noch 
nicht durch die ganze Welt verbreitet, und wenn jetzt 
die grünverschleierten, vornehmen Engländerinnen 
nach Düsseldorf kommen, so lassen sie das berühmte 
Haus noch unbesichtigt und gehen direkt nach dem 
Marktplatz und betrachten die dort in der Mitte ste-
hende schwarze, kolossale Reuterstatue. Diese soll 
den Kurfürsten Jan Wilhelm vorstellen. Er trägt einen
schwarzen Harnisch, eine tiefherabhängende Allonge-
perücke - Als Knabe hörte ich die Sage, der Künstler,
der diese Statue gegossen, habe während des Gießens 
mit Schrecken bemerkt, daß sein Metall nicht dazu 
ausreiche, und da wären die Bürger der Stadt herbei-
gelaufen und hätten ihm ihre silbernen Löffel ge-
bracht, um den Guß zu vollenden - und nun stand ich
stundenlang vor dem Reuterbilde und zerbrach mir 
den Kopf, wieviel silberne Löffel wohl darin stecken 
mögen und wieviel Apfeltörtchen man wohl für all 
das Silber bekommen könnte. Apfeltörtchen waren 
nämlich damals meine Passion - jetzt ist es Liebe, 
Wahrheit, Freiheit und Krebssuppe -, und eben un-
weit des Kurfürstenbildes, an der Theaterecke, stand 
gewöhnlich der wunderlich gebackene säbelbeinige 
Kerl mit der weißen Schürze und dem umgehängten 
Korbe voll lieblich dampfender Apfeltörtchen, die er 
mit einer unwiderstehlichen Diskantstimme anzuprei-
sen wußte: »Die Apfeltörtchen sind ganz frisch, eben 
aus dem Ofen, riechen so delikat« - Wahrlich, wenn 
in meinen späteren Jahren der Versucher mir beikom-
men wollte, so sprach er mit solcher lockenden Dis-
kantstimme, und bei Signora Giulietta wäre ich keine 
volle zwölf Stunden geblieben, wenn sie nicht den 
süßen, duftenden Apfeltörtchenton angeschlagen 
hätte. Und wahrlich, nie würden Apfeltörtchen mich 
so sehr angereizt haben, hätte der krumme Hermann 
sie nicht so geheimnisvoll mit seiner weißen Schürze 
bedeckt - und die Schürzen sind es, welche - doch 
sie bringen mich ganz aus dem Kontext, ich sprach ja 
von der Reuterstatue, die soviel silberne Löffel im 
Leibe hat, und keine Suppe, und den Kurfürsten Jan 
Wilhelm darstellt.
Es soll ein braver Herr gewesen sein und sehr 
kunstliebend und selbst sehr geschickt. Er stiftete die 
Gemäldegalerie in Düsseldorf, und auf dem dortigen 
Observatorium zeigt man noch einen überaus künstli-
chen Einschachtelungsbecher von Holz, den er selbst 
in seinen Freistunden - er hatte deren täglich vierund-
zwanzig - geschnitzelt hat.
Damals waren die Fürsten noch keine geplagte 
Leute wie jetzt, und die Krone war ihnen am Kopfe 
festgewachsen, und des Nachts zogen sie noch eine 
Schlafmütze darüber und schliefen ruhig, und ruhig 
zu ihren Füßen schliefen die Völker, und wenn diese 
des Morgens erwachten, so sagten sie: »Guten Mor-
gen, Vater!« - und jene antworteten: »Guten Morgen,
liebe Kinder!«
Aber es wurde plötzlich anders; als wir eines Mor-
gens zu Düsseldorf erwachten und »Guten Morgen, 
Vater!« sagen wollten, da war der Vater abgereist, 
und in der ganzen Stadt war nichts als stumpfe Be-
klemmung, es war überall eine Art Begräbnisstim-
mung, und die Leute schlichen schweigend nach dem 
Markte und lasen den langen papiernen Anschlag auf 
der Türe des Rathauses. Es war ein trübes Wetter, 
und der dünne Schneider Kilian stand dennoch in sei-
ner Nankingjacke, die er sonst nur im Hause trug, und
die blauwollnen Strümpfe hingen ihm herab, daß die 
nackten Beinchen betrübt hervorguckten, und seine 
schmalen Lippen bebten, während er das angeschla-
gene Plakat vor sich hin murmelte. Ein alter 
pfälzischer Invalide las etwas lauter, und bei man-
chem Worte träufelte ihm eine klare Träne in den wei-
ßen, ehrlichen Schnauzbart. Ich stand neben ihm und 
weinte mit und frug ihn, warum wir weinten. Und da 
antwortete er: »Der Kurfürst läßt sich bedanken.« 
Und dann las er wieder, und bei den Worten: »für die 
bewährte Untertanstreue« »und entbinden euch eurer 
Pflichten«, da weinte er noch stärker - Es ist wunder-
lich anzusehen, wenn so ein alter Mann mit verbliche-
ner Uniform und vernarbtem Soldatengesicht plötz-
lich so stark weint. Während wir lasen, wurde auch 
das kurfürstliche Wappen vom Rathause herunterge-
nommen, alles gestaltete sich so beängstigend öde, es 
war, als ob man eine Sonnenfinsternis erwarte, die 
Herren Ratsherren gingen so abgedankt und langsam 
umher, sogar der allgewaltige Gassenvogt sah aus, als
wenn er nichts mehr zu befehlen hätte, und stand da 
so friedlich-gleichgültig, obgleich der tolle Alouisius 
sich wieder auf ein Bein stellte und mit närrischer 
Grimasse die Namen der französischen Generale her-
schnatterte, während der besoffene, krumme Gum-
pertz sich in der Gosse herumwälzte und »Ça ira, ça 
ira!« sang.
Ich aber ging nach Hause und weinte und klagte: 
»Der Kurfürst läßt sich bedanken.« Meine Mutter 
hatte ihre liebe Not, ich wußte, was ich wußte, ich 
ließ mir nichts ausreden, ich ging weinend zu Bette, 
und in der Nacht träumte mir, die Welt habe ein 
Ende - die schönen Blumengärten und grünen Wie-
sen wurden wie Teppiche vom Boden aufgenommen 
und zusammengerollt, der Gassenvogt stieg auf eine 
hohe Leiter und nahm die Sonne vom Himmel herab, 
der Schneider Kilian stand dabei und sprach zu sich 
selber: »Ich muß nach Hause gehn und mich hübsch 
anziehn, denn ich bin tot und soll noch heute begra-
ben werden« - und es wurde immer dunkler, spärlich 
schimmerten oben einige Sterne, und auch diese fielen
herab wie gelbe Blätter im Herbste, allmählich ver-
schwanden die Menschen, ich armes Kind irrte ängst-
lich umher, stand endlich vor der Weidenhecke eines 
wüsten Bauerhofes und sah dort einen Mann, der mit 
dem Spaten die Erde aufwühlte, und neben ihm ein 
häßlich hämisches Weib, das etwas wie einen abge-
schnittenen Menschenkopf in der Schürze hielt, und 
das war der Mond, und sie legte ihn ängstlich sorg-
sam in die offne Grube - und hinter mir stand der 
pfälzische Invalide und schluchzte und buchstabierte: 
»Der Kurfürst läßt sich bedanken.«
Als ich erwachte, schien die Sonne wieder wie ge-
wöhnlich durch das Fenster, auf der Straße ging die 
Trommel, als ich in unsre Wohnstube trat und mei-
nem Vater, der im weißen Pudermantel saß, einen 
guten Morgen bot, hörte ich, wie der leichtfüßige Fri-
seur ihm während des Frisierens haarklein erzählte, 
daß heute auf dem Rathause dem neuen Großherzog 
Joachim gehuldigt werde und daß dieser von der be-
sten Familie sei und die Schwester des Kaisers Napo-
leon zur Frau bekommen und auch wirklich viel An-
stand besitze und sein schönes schwarzes Haar in 
Locken trage und nächstens seinen Einzug halten und 
sicher allen Frauenzimmern gefallen müsse. Unterdes-
sen ging das Getrommel, draußen auf der Straße, 
immer fort, und ich trat vor die Haustür und besah die
einmarschierenden französischen Truppen, das freudi-
ge Volk des Ruhmes, das singend und klingend die 
Welt durchzog, die heiter-ernsten Grenadiergesichter, 
die Bärenmützen, die dreifarbigen Kokarden, die blin-
kenden Bajonette, die Voltigeurs voll Lustigkeit und 
Point d'honneur und den allmächtig großen, silberge-
stickten Tambourmajor, der seinen Stock mit dem 
vergoldeten Knopf bis an die erste Etage werfen 
konnte und seine Augen sogar bis zur zweiten Etage 
- wo ebenfalls schöne Mädchen am Fenster saßen. Ich
freute mich, daß wir Einquartierung bekämen - meine
Mutter freute sich nicht -, und ich eilte nach dem 
Marktplatz. Da sah es jetzt ganz anders aus, es war, 
als ob die Welt neu angestrichen worden, ein neues 
Wappen hing am Rathause, das Eisengeländer an des-
sen Balkon war mit gestickten Sammetdecken über-
hängt, französische Grenadiere standen Schildwache, 
die alten Herren Ratsherren hatten neue Gesichter 
angezogen und trugen ihre Sonntagsröcke und sahen 
sich an auf französisch und sprachen »Bon jour«, aus 
allen Fenstern guckten Damen, neugierige Bürgers-
leute und blanke Soldaten füllten den Platz, und ich 
nebst andern Knaben, wir kletterten auf das große 
Kurfürstenpferd und schauten davon herab auf das 
bunte Marktgewimmel.
Nachbars-Pitter und der lange Kurz hätten bei die-
ser Gelegenheit beinah den Hals gebrochen, und das 
wäre gut gewesen; denn der eine entlief nachher sei-
nen Eltern, ging unter die Soldaten, desertierte und 
wurde in Mainz totgeschossen, der andre aber machte 
späterhin geographische Untersuchungen in fremden 
Taschen, wurde deshalb wirkendes Mitglied einer öf-
fentlichen Spinnanstalt, zerriß die eisernen Bande, die
ihn an diese und an das Vaterland fesselten, kam 
glücklich über das Wasser und starb in London durch
eine allzu enge Krawatte, die sich von selbst zugezo-
gen, als ihm ein königlicher Beamter das Brett unter 
den Beinen wegriß.
Der lange Kurz sagte uns, daß heute keine Schule 
sei, wegen der Huldigung. Wir mußten lange warten, 
bis diese losgelassen wurde. Endlich füllte sich der 
Balkon des Rathauses mit bunten Herren, Fahnen und
Trompeten, und der Herr Bürgermeister, in seinem 
berühmten roten Rock, hielt eine Rede, die sich etwas
in die Länge zog, wie Gummielastikum oder wie eine 
gestrickte Schlafmütze, in die man einen Stein gewor-
fen - nur nicht den Stein der Weisen -, und manche 
Redensarten konnte ich ganz deutlich vernehmen, z.B.
daß man uns glücklich machen wolle - und beim letz-
ten Worte wurden die Trompeten geblasen und die 
Fahnen geschwenkt und die Trommel gerührt und 
»Vivat« gerufen - und während ich selber »Vivat« 
rief, hielt ich mich fest an den alten Kurfürsten. Und 
das tat not, denn mir wurde ordentlich schwindlig, ich
glaubte schon, die Leute ständen auf den Köpfen, weil
sich die Welt herumgedreht, das Kurfürstenhaupt mit 
der Allongeperücke nickte und flüsterte: »Halt fest an 
mir!«, und erst durch das Kanonieren, das jetzt auf 
dem Walle losging, ernüchterte ich mich und stieg 
vom Kurfürstenpferd langsam wieder herab.
Als ich nach Hause ging, sah ich wieder, wie der 
tolle Alouisius auf einem Beine tanzte, während er die
Namen der französischen Generale schnarrte, und wie
sich der krumme Gumpertz besoffen in der Gosse her-
umwälzte und »Ça ira, ça ira« brüllte, und zu meiner 
Mutter sagte ich: »Man will uns glücklich machen, 
und deshalb ist heute keine Schule.«

Kapitel VII

Den andern Tag war die Welt wieder ganz in Ord-
nung, und es war wieder Schule, nach wie vor, und es 
wurde wieder auswendig gelernt, nach wie vor - die 
römischen Könige, die Jahreszahlen, die Nomina auf 
-im, die verba irregularia, Griechisch, Hebräisch, 
Geographie, deutsche Sprache, Kopfrechnen - Gott! 
der Kopf schwindelt mir noch davon -, alles mußte 
auswendig gelernt werden. Und manches davon kam 
mir in der Folge zustatten. Denn hätte ich nicht die 
römischen Könige auswendig gewußt, so wäre es mir 
ja späterhin ganz gleichgültig gewesen, ob Niebuhr 
bewiesen oder nicht bewiesen hat, daß sie niemals 
wirklich existiert haben. Und wußte ich nicht jene 
Jahrszahlen, wie hätte ich mich späterhin zurechtfin-
den wollen in dem großen Berlin, wo ein Haus dem 
andern gleicht, wie ein Tropfen Wasser oder wie ein 
Grenadier dem andern, und wo man seine Bekannten 
nicht zu finden vermag, wenn man nicht ihre Haus-
nummer im Kopfe hat; ich dachte mir damals bei 
jedem Bekannten zugleich eine historische Begeben-
heit, deren Jahrszahl mit seiner Hausnummer überein-
stimmte, so daß ich mich dieser leicht erinnern konn-
te, wenn ich jener gedachte, und daher kam mir auch 
immer eine historische Begebenheit in den Sinn, 
sobald ich einen Bekannten erblickte. So z.B. wenn 
mir mein Schneider begegnete, dachte ich gleich an 
die Schlacht bei Marathon, begegnete mir der wohlge-
putzte Bankier Christian Gumpel, so dachte ich gleich
an die Zerstörung Jerusalems, erblickte ich einen stark
verschuldeten portugiesischen Freund, so dachte ich 
gleich an die Flucht Mahomets, sah ich den Universi-
tätsrichter, einen Mann, dessen strenge Rechtlichkeit 
bekannt ist, so dachte ich gleich an den Tod Hamans, 
sobald ich Wadzeck sah, dachte ich gleich an die 
Kleopatra - Ach, lieber Himmel, das arme Vieh ist 
jetzt tot, die Tränensäckchen sind vertrocknet, und 
man kann mit Hamlet sagen: »Nehmt alles in allem, 
es war ein altes Weib, wir werden noch oft seinesglei-
chen haben!« Wie gesagt, die Jahrszahlen sind durch-
aus nötig, ich kenne Menschen, die gar nichts als ein 
paar Jahrszahlen im Kopfe hatten und damit in Berlin
die rechten Häuser zu finden wußten und jetzt schon 
ordentliche Professoren sind. Ich aber hatte in der 
Schule meine Not mit den vielen Zahlen! Mit dem ei-
gentlichen Rechnen ging es noch schlechter. Am be-
sten begriff ich das Subtrahieren, und da gibt es eine 
sehr praktische Hauptregel: »Vier von drei geht nicht,
da muß ich eins borgen« - ich rate aber jedem, in sol-
chen Fällen immer einige Groschen mehr zu borgen; 
denn man kann nicht wissen -
Was aber das Lateinische betrifft, so haben Sie gar
keine Idee davon, Madame, wie das verwickelt ist. 
Den Römern würde gewiß nicht Zeit genug übrigge-
blieben sein, die Welt zu erobern, wenn sie das Latein
erst hätten lernen sollen. Diese glücklichen Leute wu-
ßten schon in der Wiege, welche Nomina den Akku-
sativ auf -im haben. Ich hingegen mußte sie im 
Schweiße meines Angesichts auswendig lernen; aber 
es ist doch immer gut, daß ich sie weiß. Denn hätte 
ich z.B. den 20. Juli 1825, als ich öffentlich in der 
Aula zu Göttingen lateinisch disputierte - Madame, 
es war der Mühe wert, zuzuhören -, hätte ich da 
sinapem statt sinapim gesagt, so würden es vielleicht 
die anwesenden Füchse gemerkt haben, und das wäre 
für mich eine ewige Schande gewesen. Vis, buris, 
sitis, tussis, cucumis, amussis, cannabis, sinapis - 
diese Wörter, die soviel Aufsehen in der Welt ge-
macht haben, bewirken dieses, indem sie sich zu einer
bestimmten Klasse schlugen und dennoch eine Aus-
nahme blieben; deshalb achte ich sie sehr, und daß ich
sie bei der Hand habe, wenn ich sie etwa plötzlich 
brauchen sollte, das gibt mir in manchen trüben Stun-
den des Lebens viel innere Beruhigung und Trost. 
Aber, Madame, die verba irregularia - sie unterschei-
den sich von den verbis regularibus dadurch, daß man
bei ihnen noch mehr Prügel bekömmt -, sie sind gar 
entsetzlich schwer. In den dumpfen Bogengängen des 
Franziskanerklosters, unfern der Schulstube, hing 
damals ein großer, gekreuzigter Christus von grauem 
Holze, ein wüstes Bild, das noch jetzt zuweilen des 
Nachts durch meine Träume schreitet und mich trau-
rig ansieht mit starren, blutigen Augen - vor diesem 
Bilde stand ich oft und betete: »O du armer, ebenfalls 
gequälter Gott, wenn es dir nur irgend möglich ist, so 
sieh doch zu, daß ich die verba irregularia im Kopfe 
behalte.«
Vom Griechischen will ich gar nicht sprechen; ich 
ärgere mich sonst zuviel. Die Mönche im Mittelalter 
hatten so ganz unrecht nicht, wenn sie behaupteten, 
daß das Griechische eine Erfindung des Teufels sei. 
Gott kennt die Leiden, die ich dabei ausgestanden. 
Mit dem Hebräischen ging es besser, denn ich hatte 
immer eine große Vorliebe für die Juden, obgleich 
sie, bis auf diese Stunde, meinen guten Namen kreuzi-
gen; aber ich konnte es doch im Hebräischen nicht so 
weit bringen wie meine Taschenuhr, die viel intimen 
Umgang mit Pfänderverleihern hatte und dadurch 
manche jüdische Sitte annahm - z.B. des Sonnabends
ging sie nicht - und die heilige Sprache lernte und sie
auch späterhin grammatisch trieb; wie ich denn oft in 
schlaflosen Nächten mit Erstaunen hörte, daß sie be-
ständig vor sich hin pickerte: katal, katalta, katalti - 
kittel, kittalta, kittalti -- pokat, pokadeti - pikat - 
pik - pik --
Indessen von der deutschen Sprache begriff ich viel
mehr, und die ist doch nicht so gar kinderleicht. Denn 
wir armen Deutschen, die wir schon mit Einquartie-
rungen, Militärpflichten, Kopfsteuern und tausender-
lei Abgaben genug geplagt sind, wir haben uns noch 
obendrein den Adelung aufgesackt und quälen uns 
einander mit dem Akkusativ und Dativ. Viel deutsche
Sprache lernte ich vom alten Rektor Schallmeyer, 
einem braven geistlichen Herrn, der sich meiner von 
Kind auf annahm. Aber ich lernte auch etwas der Art 
von dem Professor Schramm, einem Manne, der ein 
Buch über den ewigen Frieden geschrieben hat und in 
dessen Klasse sich meine Mitbuben am meisten rauf-
ten.
Während ich in einem Zuge fortschrieb und allerlei 
dabei dachte, habe ich mich unversehens in die alten 
Schulgeschichten hineingeschwatzt, und ich ergreife 
diese Gelegenheit, um Ihnen zu zeigen, Madame, wie 
es nicht meine Schuld war, wenn ich von der Geogra-
phie so wenig lernte, daß ich mich späterhin nicht in 
der Welt zurechtzufinden wußte. Damals hatten näm-
lich die Franzosen alle Grenzen verrückt, alle Tage 
wurden die Länder neu illuminiert, die sonst blau ge-
wesen, wurden jetzt plötzlich grün, manche wurden 
sogar blutrot, die bestimmten Lehrbuchseelen wurden 
so sehr vertauscht und vermischt, daß kein Teufel sie 
mehr erkennen konnte, die Landesprodukte änderten 
sich ebenfalls, Zichorien und Runkelrüben wuchsen 
jetzt, wo sonst nur Hasen und hinterherlaufende Land-
junker zu sehen waren, auch die Charaktere der Völ-
ker änderten sich, die Deutschen wurden gelenkig, die
Franzosen machten keine Komplimente mehr, die 
Engländer warfen das Geld nicht mehr zum Fenster 
hinaus, und die Venezianer waren nicht schlau genug,
unter den Fürsten gab es viel Avancement, die alten 
Könige bekamen neue Uniformen, neue Königtümer 
wurden gebacken und hatten Absatz wie frische Sem-
mel, manche Potentaten hingegen wurden von Haus 
und Hof gejagt und mußten auf andre Art ihr Brot zu 
verdienen suchen, und einige legten sich daher früh 
auf ein Handwerk und machten z.B. Siegellack oder -
Madame, diese Periode hat endlich ein Ende, der 
Atem wollte mir ausgehen -, kurz und gut, in solchen
Zeiten kann man es in der Geographie nicht weit brin-
gen.
Da hat man es doch besser in der Naturgeschichte, 
da können nicht so viele Veränderungen vorgehen, 
und da gibt es bestimmte Kupferstiche von Affen, 
Känguruhs, Zebras, Nashornen usw. Weil mir solche 
Bilder im Gedächtnisse blieben, geschah es in der 
Folge sehr oft, daß mir manche Menschen beim ersten
Anblick gleich wie alte Bekannte vorkamen.
Auch in der Mythologie ging es gut. Ich hatte 
meine liebe Freude an dem Göttergesindel, das so lu-
stig nackt die Welt regierte. Ich glaube nicht, daß 
jemals ein Schulknabe im alten Rom die Hauptartikel 
seines Katechismus, z.B. die Liebschaften der Venus, 
besser auswendig gelernt hat als ich. Aufrichtig ge-
standen, da wir doch einmal die alten Götter auswen-
dig lernen mußten, so hätten wir sie auch behalten 
sollen, und wir haben vielleicht nicht viel Vorteil bei 
unserer neurömischen Dreigötterei oder gar bei unse-
rem jüdischen Eingötzentum. Vielleicht war jene My-
thologie im Grunde nicht so unmoralisch, wie man sie
verschrien hat, es ist z.B. ein sehr anständiger Gedan-
ke des Homers, daß er jener vielbeliebten Venus einen
Gemahl zur Seite gab.
Am allerbesten aber erging es mir in der französi-
schen Klasse des Abbé d'Aulnoi, eines emigrierten 
Franzosen, der eine Menge Grammatiken geschrieben 
und eine rote Perücke trug und gar pfiffig umher-
sprang, wenn er seine Art poétique und seine Histoire
allemande vortrug - Er war im ganzen Gymnasium 
der einzige, welcher deutsche Geschichte lehrte. In-
dessen, auch das Französische hat seine Schwierigkei-
ten, und zur Erlernung desselben gehört viel Einquar-
tierung, viel Getrommel, viel apprendre par cœur, und
vor allem darf man keine Bete allemande sein. Da gab
es manches saure Wort, ich erinnere mich noch so 
gut, als wäre es erst gestern geschehen, daß ich durch 
la religion viel Unannehmlichkeiten erfahren. Wohl 
sechsmal erging an mich die Frage: »Henri, wie heißt 
der Glaube auf französisch?« Und sechsmal und 
immer weinerlicher antwortete ich: »Das heißt le cre-
dit.« Und beim siebenten Male, kirschbraun im Ge-
sichte, rief der wütende Examinator: »Er heißt la reli-
gion« - und es regnete Prügel, und alle Kameraden 
lachten. Madame! seit der Zeit kann ich das Wort reli-
gion nicht erwähnen hören, ohne daß mein Rücken 
blaß vor Schrecken und meine Wange rot vor Scham 
wird. Und ehrlich gestanden, le credit hat mir im 
Leben mehr genützt als la religion - In diesem Au-
genblick fällt mir ein, daß ich dem Löwenwirt in Bo-
logna noch fünf Taler schuldig bin - Und wahrhaftig, 
ich mache mich anheischig, dem Löwenwirt noch fünf
Taler extra schuldig zu sein, wenn ich nur das un-
glückselige Wort la religion in diesem Leben nimmer-
mehr zu hören brauche.
Parbleu, Madame! ich habe es im Französischen 
weit gebracht! Ich verstehe nicht nur Patois, sondern 
sogar adeliges Bonnenfranzösisch. Noch unlängst, in 
einer noblen Gesellschaft, verstand ich fast die Hälfte 
von dem Diskurs zweier deutschen Komtessen, 
wovon jede über vierundsechzig Jahr und ebenso 
viele Ahnen zählte. Ja, im »Café Royal« zu Berlin 
hörte ich einmal den Monsieur Hans Michel Martens 
französisch parlieren und verstand jedes Wort, ob-
schon kein Verstand darin war. Man muß den Geist 
der Sprache kennen, und diesen lernt man am besten 
durch Trommeln. Parbleu! wieviel verdanke ich nicht 
dem französischen Tambour, der so lange bei uns in 
Quartier lag und wie ein Teufel aussah und doch von 
Herzen so engelgut war und so ganz vorzüglich trom-
melte.
Es war eine kleine, bewegliche Figur mit einem 
fürchterlichen schwarzen Schnurrbarte, worunter sich 
die roten Lippen trotzig hervorbäumten, während die 
feurigen Augen hin und her schossen.
Ich kleiner Junge hing an ihm wie eine Klette und 
half ihm seine Knöpfe spiegelblank putzen und seine 
Weste mit Kreide weißen - denn Monsieur Le Grand 
wollte gerne gefallen -, und ich folgte ihm auch auf 
die Wache, nach dem Appell, nach der Parade - da 
war nichts als Waffenglanz und Lustigkeit -, les jours
de fête sont passés! Monsieur Le Grand wußte nur 
wenig gebrochenes Deutsch, nur die Hauptausdrücke 
- Brot, Kuß, Ehre -, doch konnte er sich auf der 
Trommel sehr gut verständlich machen, z.B. wenn ich
nicht wußte, was das Wort »liberté« bedeute, so trom-
melte er den Marseiller Marsch - und ich verstand 
ihn. Wußte ich nicht die Bedeutung des Wortes 
»égalité«, so trommelte er den Marsch »Ça ira, ça 
ira --- les aristocrates à la lanterne!« - und ich ver-
stand ihn. Wußte ich nicht, was »bêtise« sei, so trom-
melte er den Dessauer Marsch, den wir Deutschen, 
wie auch Goethe berichtet, in der Champagne 
getrommelt - und ich verstand ihn. Er wollte mir mal 
das Wort »l'Allemagne« erklären, und er trommelte 
jene allzu einfache Urmelodie, die man oft an Markt-
tagen bei tanzenden Hunden hört, nämlich Dum - 
Dum - Dum - ich ärgerte mich, aber ich verstand ihn
doch.
Auf ähnliche Weise lehrte er mich auch die neuere 
Geschichte. Ich verstand zwar nicht die Worte, die er 
sprach, aber da er während des Sprechens beständig 
trommelte, so wußte ich doch, was er sagen wollte. 
Im Grunde ist das die beste Lehrmethode. Die Ge-
schichte von der Bestürmung der Bastille, der Tuileri-
en usw. begreift man erst recht, wenn man weiß, wie 
bei solchen Gelegenheiten getrommelt wurde. In unse-
ren Schulkompendien liest man bloß: »Ihre Exz. die 
Baronen und Grafen und hochdero Gemahlinnen wur-
den geköpft - Ihre Altessen die Herzöge und Prinzen 
und höchstdero Gemahlinnen wurden geköpft - Ihre 
Majestät der König und allerhöchstdero Gemahlin 
wurden geköpft -«, aber wenn man den roten Guillo-
tinenmarsch trommeln hört, so begreift man dieses 
erst recht, und man erfährt das Warum und das Wie. 
Madame, das ist ein gar wunderlicher Marsch! Er 
durchschauerte mir Mark und Bein, als ich ihn zuerst 
hörte, und ich war froh, daß ich ihn vergaß - Man 
vergißt so etwas, wenn man älter wird, ein junger 
Mann hat jetzt soviel anderes Wissen im Kopf zu 
behalten - Whist, Boston, genealogische Tabellen, 
Bundestagsbeschlüsse, Dramaturgie, Liturgie, Vor-
schneiden - und wirklich, trotz allem Stirnreiben 
konnte ich mich lange Zeit nicht mehr auf jene gewal-
tige Melodie besinnen. Aber denken Sie sich, Ma-
dame, unlängst sitze ich an der Tafel mit einer ganzen
Menagerie von Grafen, Prinzen, Prinzessinnen, Kam-
merherren, Hofmarschallinnen, Hofschenken, Ober-
hofmeisterinnen, Hofsilberbewahrern, Hofjägermei-
sterinnen, und wie diese vornehmen Domestiken noch
außerdem heißen mögen, und ihre Unterdomestiken 
liefen hinter ihren Stühlen und schoben ihnen die ge-
füllten Teller vors Maul - ich aber, der übergangen 
und übersehen wurde, saß müßig, ohne die mindeste 
Kinnbackenbeschäftigung, und ich knetete Brotkügel-
chen und trommelte vor Langerweile mit den Fingern,
und zu meinem Entsetzen trommelte ich plötzlich den 
roten, längst vergessenen Guillotinenmarsch.
»Und was geschah?« Madame, diese Leute lassen 
sich im Essen nicht stören und wissen nicht, daß an-
dere Leute, wenn sie nichts zu essen haben, plötzlich 
anfangen zu trommeln, und zwar gar kuriose Mär-
sche, die man längst vergessen glaubte.
Ist nun das Trommeln ein angeborenes Talent oder 
hab ich es frühzeitig ausgebildet, genug, es liegt mir 
in den Gliedern, in Händen und Füßen, und äußert 
sich oft unwillkürlich. Unwillkürlich. Zu Berlin saß 
ich einst im Kollegium des Geheimerats Schmalz, 
eines Mannes, der den Staat gerettet durch sein Buch 
über die Schwarzmäntel- und Rotmäntelgefahr - Sie 
erinnern sich, Madame, aus dem Pausanias, daß einst 
durch das Geschrei eines Esels ein ebenso gefährli-
ches Komplott entdeckt wurde, auch wissen Sie aus 
dem Livius oder aus Beckers »Weltgeschichte«, daß 
die Gänse das Kapitol gerettet, und aus dem Sallust 
wissen Sie ganz genau, daß durch eine geschwätzige 
Putain, die Frau Fulvia, jene fürchterliche Verschwö-
rung des Catilina an den Tag kam - Doch um wieder 
auf besagten Hammel zu kommen, im Kollegium des 
Herrn Geheimerats Schmalz hörte ich das Völker-
recht, und es war ein langweiliger Sommernachmit-
tag, und ich saß auf der Bank und hörte immer weni-
ger - der Kopf war mir eingeschlafen -, doch plötz-
lich ward ich aufgeweckt durch das Geräusch meiner 
eigenen Füße, die wach geblieben waren und wahr-
scheinlich zugehört hatten, daß just das Gegenteil 
vom Völkerrecht vorgetragen und auf 
Konstitutionsgesinnung geschimpft wurde, und meine
Füße, die mit ihren kleinen Hühneraugen das Treiben 
der Welt besser durchschauen als der Geheimerat mit 
seinen großen Junoaugen, diese armen, stummen 
Füße, unfähig, durch Worte ihre unmaßgebliche Mei-
nung auszusprechen, wollten sich durch Trommeln 
verständlich machen und trommelten so stark, daß ich
dadurch schier ins Malheur kam.
Verdammte, unbesonnene Füße! sie spielten mir 
einen ähnlichen Streich, als ich einmal in Göttingen 
bei Professor Saalfeld hospitierte und dieser mit sei-
ner steifen Beweglichkeit auf dem Katheder hin und 
her sprang und sich echauffierte, um auf den Kaiser 
Napoleon recht ordentlich schimpfen zu können - 
nein, arme Füße, ich kann es euch nicht verdenken, 
daß ihr damals getrommelt, ja ich würde es euch nicht
mal verdacht haben, wenn ihr in eurer stummen Nai-
vetät euch noch fußtrittdeutlicher ausgesprochen hät-
tet. Wie darf ich, der Schüler Le Grands, den Kaiser 
schmähen hören? Den Kaiser! den Kaiser! den großen
Kaiser!
Denke ich an den großen Kaiser, so wird es in mei-
nem Gedächtnisse wieder recht sommergrün und gol-
dig, eine lange Lindenallee taucht blühend empor, auf
den laubigen Zweigen sitzen singende Nachtigallen, 
der Wasserfall rauscht, auf runden Beeten stehen Blu-
men und bewegen traumhaft ihre schönen Häupter - 
ich stand mit ihnen im wunderlichen Verkehr, die ge-
schminkten Tulpen grüßten mich bettelstolz herablas-
send, die nervenkranken Lilien nickten wehmütig 
zärtlich, die trunkenroten Rosen lachten mir schon 
von weitem entgegen, die Nachtviolen seufzten - mit 
den Myrten und Lorbeeren hatte ich damals noch 
keine Bekanntschaft, denn sie lockten nicht durch 
schimmernde Blüte, aber mit den Reseden, womit ich 
jetzt so schlecht stehe, war ich ganz besonders intim 
- Ich spreche vom Hofgarten zu Düsseldorf, wo ich 
oft auf dem Rasen lag und andächtig zuhörte, wenn 
mir Monsieur Le Grand von den Kriegstaten des gro-
ßen Kaisers erzählte und dabei die Märsche schlug, 
die während jener Taten getrommelt wurden, so daß 
ich alles lebendig sah und hörte. Ich sah den Zug über
den Simplon - der Kaiser voran und hinterdreinklim-
mend die braven Grenadiere, während aufgescheuch-
tes Gevögel sein Krächzen erhebt und die Gletscher in
der Ferne donnern - ich sah den Kaiser, die Fahne im 
Arm, auf der Brücke von Lodi - ich sah den Kaiser 
im grauen Mantel bei Marengo - ich sah den Kaiser 
zu Roß in der Schlacht bei den Pyramiden - nichts als
Pulverdampf und Mamelucken - ich sah den Kaiser 
in der Schlacht bei Austerlitz - hui! wie pfiffen die 
Kugeln über die glatte Eishahn! - ich sah, ich hörte 
die Schlacht bei Jena - dum, dum, dum - ich sah, ich 
hörte die Schlacht bei Eylau, Wagram - - - - - nein,
kaum konnt ich es aushalten! Monsieur Le Grand 
trommelte, daß fast mein eignes Trommelfell dadurch 
zerrissen wurde.

Kapitel VIII

Aber wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit 
hochbegnadigten, eignen Augen ihn selber, Hosianna!
den Kaiser.
Es war eben in der Allee des Hofgartens zu Düssel-
dorf. Als ich mich durch das gaffende Volk drängte, 
dachte ich an die Taten und Schlachten, die mir Mon-
sieur Le Grand vorgetrommelt hatte, mein Herz 
schlug den Generalmarsch - und dennoch dachte ich 
zu gleicher Zeit an die Polizeiverordnung, daß man 
bei fünf Taler Strafe nicht mitten durch die Allee rei-
ten dürfe. Und der Kaiser mit seinem Gefolge ritt mit-
ten durch die Allee, die schauernden Bäume beugten 
sich vorwärts, wo er vorbeikam, die Sonnenstrahlen 
zitterten furchtsam neugierig durch das grüne Laub, 
und am blauen Himmel oben schwamm sichtbar ein 
goldner Stern. Der Kaiser trug seine scheinlose grüne 
Uniform und das kleine welthistorische Hütchen. Er 
ritt ein weißes Rößlein, und das ging so ruhig stolz, 
so sicher, so ausgezeichnet - wär ich damals Kron-
prinz von Preußen gewesen, ich hätte dieses Rößlein 
beneidet. Nachlässig, fast hängend, saß der Kaiser, 
die eine Hand hielt hoch den Zaum, die andere klopfte
gutmütig den Hals des Pferdchens - Es war eine son-
nig-marmorne Hand, eine mächtige Hand, eine von 
den beiden Händen, die das vielköpfige Ungeheuer 
der Anarchie gebändigt und den Völkerzweikampf ge-
ordnet hatten - und sie klopfte gutmütig den Hals des
Pferdes. Auch das Gesicht hatte jene Farbe, die wir 
bei marmornen Griechen- und Römerköpfen finden, 
die Züge desselben waren ebenfalls edel gemessen, 
wie die der Antiken, und auf diesem Gesichte stand 
geschrieben: Du sollst keine Götter haben außer mir. 
Ein Lächeln, das jedes Herz erwärmte und beruhigte, 
schwebte um die Lippen - und doch wußte man, 
diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - et la Prusse 
n'existait plus -, diese Lippen brauchten nur zu pfei-
fen - und die ganze Klerisei hatte ausgeklingelt -, 
diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - und das 
ganze Heilige Römische Reich tanzte. Und diese Lip-
pen lächelten, und auch das Auge lächelte - Es war 
ein Auge, klar wie der Himmel, es konnte lesen im 
Herzen der Menschen, es sah rasch auf einmal alle 
Dinge dieser Welt, während wir anderen sie nur nach-
einander und nur ihre gefärbten Schatten sehen. Die 
Stirne war nicht so klar, es nisteten darauf die Geister 
zukünftiger Schlachten, und es zuckte bisweilen über 
dieser Stirn, und das waren die schaffenden Gedan-
ken, die großen Siebenmeilenstiefelgedanken, womit 
der Geist des Kaisers unsichtbar über die Welt hin-
schritt - und ich glaube, jeder dieser Gedanken hätte 
einem deutschen Schriftsteller, zeit seines Lebens, 
vollauf Stoff zum Schreiben gegeben.
Der Kaiser ritt ruhig mitten durch die Allee, kein 
Polizeidiener widersetzte sich ihm, hinter ihm, stolz 
auf schnauben den Rossen und belastet mit Gold und 
Geschmeide, ritt sein Gefolge, die Trommeln wirbel-
ten, die Trompeten erklangen, neben mir drehte sich 
der tolle Alouisius und schnarrte die Namen seiner 
Generale, unferne brüllte der besoffene Gumpertz, 
und das Volk rief tausendstimmig: »Es lebe der Kai-
ser!«

Kapitel IX

Der Kaiser ist tot. Auf einer öden Insel des Indi-
schen Meeres ist sein einsames Grab, und er, dem die 
Erde zu eng war, liegt ruhig unter dem kleinen Hügel,
wo fünf Trauerweiden gramvoll ihre grünen Haare 
herabhängen lassen und ein frommes Bächlein weh-
mütig klagend vorbeirieselt. Es steht keine Inschrift 
auf seinem Leichensteine; aber Klio, mit dem gerech-
ten Griffel, schrieb unsichtbare Worte darauf, die wie 
Geistertöne durch die Jahrtausende klingen werden.
Britannia! dir gehört das Meer. Doch das Meer hat 
nicht Wasser genug, um von dir abzuwaschen die 
Schande, die der große Tote dir sterbend vermacht 
hat. Nicht dein windiger Sir Hudson, nein, du selbst 
warst der sizilianische Häscher, den die verschwore-
nen Könige gedungen, um an dem Manne des Volkes 
heimlich abzurächen, was das Volk einst öffentlich an
einem der Ihrigen verübt hatte - Und er war dein Gast
und hatte sich gesetzt an deinen Herd -
Bis in die spätesten Zeiten werden die Knaben 
Frankreichs singen und sagen von der schrecklichen 
Gastfreundschaft des »Bellerophon«, und wenn diese 
Spott- und Tränenlieder den Kanal hinüberklingen, so
erröten die Wangen aller ehrsamen Briten. Einst aber 
wird dieses Lied hinüberklingen, und es gibt kein Bri-
tannien mehr, zu Boden geworfen ist das Volk des 
Stolzes, Westminsters Grabmäler liegen zertrümmert,
vergessen ist der königliche Staub, den sie verschlos-
sen - Und Sankt Helena ist das heilige Grab, wohin 
die Völker des Orients und Okzidents wallfahrten in 
buntbewimpelten Schiffen und ihr Herz stärken durch 
große Erinnerung an die Taten des weltlichen Hei-
lands, der gelitten unter Hudson Lowe, wie es ge-
schrieben steht in den Evangelien Las Cases, O'Meara
und Antommarchi.
Seltsam! die drei größten Widersacher des Kaisers 
hat schon ein schreckliches Schicksal getroffen: Lon-
donderry hat sich die Kehle abgeschnitten, Ludwig 
XVIII. ist auf seinem Throne verfault, und Professor 
Saalfeld ist noch immer Professor in Göttingen.

Kapitel X

Es war ein klarer, fröstelnder Herbsttag, als ein 
junger Mensch von studentischem Ansehen durch die 
Allee des Düsseldorfer Hofgartens langsam wanderte,
manchmal, wie aus kindischer Lust, das raschelnde 
Laub, das den Boden bedeckte, mit den Füßen auf-
warf, manchmal aber auch wehmütig hinaufblickte 
nach den dürren Bäumen, woran nur noch wenige 
Goldblätter hingen. Wenn er so hinaufsah, dachte er 
an die Worte des Glaukos:

»Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen;
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling;
So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und jenes verschwindet.«

In frühern Tagen hatte der junge Mensch mit ganz 
andern Gedanken an ebendieselben Bäume hinaufge-
sehen, und er war damals ein Knabe und suchte Vo-
gelnester oder Sommerkäfer, die ihn gar sehr ergötz-
ten, wenn sie lustig dahinsummten und sich der hüb-
schen Welt erfreuten und zufrieden waren mit einem 
saftig-grünen Blättchen, mit einem Tröpfchen Tau, 
mit einem warmen Sonnenstrahl und mit dem süßen 
Kräuterduft. Damals war des Knaben Herz ebenso 
vergnügt wie die flatternden Tierchen. Jetzt aber war 
sein Herz älter geworden, die kleinen Sonnenstrahlen 
waren darin erloschen, alle Blumen waren darin abge-
storben, sogar der schöne Traum der Liebe war darin 
verblichen, im armen Herzen war nichts als Mut und 
Gram, und damit ich das Schmerzlichste sage - es 
war mein Herz.
Denselben Tag war ich zur alten Vaterstadt zurück-
gekehrt, aber ich wollte nicht darin übernachten und 
sehnte mich nach Godesberg, um zu den Füßen mei-
ner Freundin mich niederzusetzen und von der kleinen
Veronika zu erzählen. Ich hatte die lieben Gräber be-
sucht. Von allen lebenden Freunden und Verwandten 
hatte ich nur einen Ohm und eine Muhme wiederge-
funden. Fand ich auch sonst noch bekannte Gestalten 
auf der Straße, so kannte mich doch niemand mehr, 
und die Stadt selbst sah mich an mit fremden Augen, 
viele Häuser waren unterdessen neu angestrichen wor-
den, aus den Fenstern guckten fremde Gesichter, um 
die alten Schornsteine flatterten abgelebte Spatzen, 
alles sah so tot und doch so frisch aus, wie Salat, der 
auf einem Kirchhofe wächst; wo man sonst franzö-
sisch sprach, ward jetzt preußisch gesprochen, sogar 
ein kleines preußisches Höfchen hatte sich 
unterdessen dort angesiedelt, und die Leute trugen 
Hoftitel, die ehemalige Friseurin meiner Mutter war 
Hoffriseurin geworden, und es gab jetzt dort Hof-
schneider, Hofschuster, Hofwanzenvertilgerinnen, 
Hofschnapsladen, die ganze Stadt schien ein Hoflaza-
rett für Hofgeisteskranke. Nur der alte Kurfürst er-
kannte mich, er stand noch auf dem alten Platz; aber 
er schien magerer geworden zu sein. Eben weil er 
immer mitten auf dem Markte stand, hatte er alle Mi-
sere der Zeit mit angesehen, und von solchem Anblick
wird man nicht fett. Ich war wie im Traume und dach-
te an das Märchen von den verzauberten Städten, und 
ich eilte zum Tor hinaus, damit ich nicht zu früh er-
wachte. Im Hofgarten vermißte ich manchen Baum, 
und mancher war verkrüppelt, und die vier großen 
Pappeln, die mir sonst wie grüne Riesen erschienen, 
waren klein geworden. Einige hübsche Mädchen gin-
gen spazieren, bunt geputzt, wie wandelnde Tulpen. 
Und diese Tulpen hatte ich gekannt, als sie noch klei-
ne Zwiebelchen waren; denn ach! es waren ja Nach-
barskinder, womit ich einst »Prinzessin im Turme« 
gespielt hatte. Aber die schönen Jungfrauen, die ich 
einst als blühende Rosen gekannt, sah ich jetzt als 
verwelkte Rosen, und in manche hohe Stirne, deren 
Stolz mir einst das Herz entzückte, hatte Saturn mit 
seiner Sense tiefe Runzeln eingeschnitten. Jetzt erst, 
aber ach! viel zu spät, entdeckte ich, was der Blick 
bedeuten sollte, den sie einst dem schon jünglinghaf-
ten Knaben zugeworfen; ich hatte unterdessen in der 
Fremde manche Parallelstellen in schönen Augen be-
merkt. Tief bewegte mich das demütige Hutabnehmen
eines Mannes, den ich einst reich und vornehm gese-
hen und der seitdem zum Bettler herabgesunken war; 
wie man denn überall sieht, daß die Menschen, wenn 
sie einmal im Sinken sind, wie nach dem Newton-
schen Gesetze, immer entsetzlich schneller und 
schneller ins Elend herabfallen. Wer mir aber gar 
nicht verändert schien, das war der kleine Baron, der 
lustig wie sonst durch den Hofgarten tänzelte, mit der 
einen Hand den linken Rockschoß in der Höhe hal-
tend, mit der andern Hand sein dünnes Rohrstöckchen
hin und her schwingend; es war noch immer dasselbe 
freundliche Gesichtchen, dessen Rosenröte sich nach 
der Nase hin konzentriert, es war noch immer das alte
Kegelhütchen, es war noch immer das alte Zöpfchen, 
nur daß aus diesem jetzt einige weiße Härchen statt 
der ehemaligen schwarzen Härchen hervorkamen. 
Aber so vergnügt er auch aussah, so wußte ich den-
noch, daß der arme Baron unterdessen viel Kummer 
ausgestanden hatte, sein Gesichtchen wollte es mir 
verbergen, aber die weißen Härchen seines Zöpfchens
haben es mir hinter seinem Rücken verraten. Und das 
Zöpfchen selber hätte es gerne wieder abgeleugnet 
und wackelte gar wehmütig lustig.
Ich war nicht müde, aber ich bekam doch Lust, 
mich noch einmal auf die hölzerne Bank zu setzen, in 
die ich einst den Namen meines Mädchens einge-
schnitten. Ich konnte ihn kaum wiederfinden, es 
waren so viele neue Namen darüber hingeschnitzelt. 
Ach! einst war ich auf dieser Bank eingeschlafen und 
träumte von Glück und Liebe. »Träume sind Schäu-
me.« Auch die alten Kinderspiele kamen mir wieder 
in den Sinn, auch die alten, hübschen Märchen; aber 
ein neues falsches Spiel und ein neues häßliches Mär-
chen klang immer hindurch, und es war die Geschich-
te von zwei armen Seelen, die einander untreu wurden
und es nachher in der Treulosigkeit so weit brachten, 
daß sie sogar dem lieben Gotte die Treue brachen. Es 
ist eine böse Geschichte, und wenn man just nichts 
Besseres zu tun weiß, kann man darüber weinen. O 
Gott! einst war die Welt so hübsch, und die Vögel 
sangen dein ewiges Lob, und die kleine Veronika sah 
mich an mit stillen Augen, und wir saßen vor der mar-
mornen Statue auf dem Schloßplatz - auf der einen 
Seite liegt das alte, verwüstete Schloß, worin es spukt
und nachts eine schwarzseidene Dame ohne Kopf mit 
langer, rauschender Schleppe herumwandelt; auf der 
andern Seite ist ein hohes weißes Gebäude, in dessen 
oberen Gemächern die bunten Gemälde mit goldnen 
Rahmen wunderbar glänzten und in dessen 
Untergeschosse so viele tausend mächtige Bücher 
standen, die ich und die kleine Veronika oft mit Neu-
gier betrachteten, wenn uns die fromme Ursula an die 
großen Fenster hinanhob - Späterhin, als ich ein gro-
ßer Knabe geworden, erkletterte ich dort täglich die 
höchsten Leitersprossen und holte die höchsten Bü-
cher herab und las darin so lange, bis ich mich vor 
nichts mehr, am wenigsten vor Damen ohne Kopf, 
fürchtete, und ich wurde so gescheut, daß ich alle alte 
Spiele und Märchen und Bilder und die kleine Vero-
nika und sogar ihren Namen vergaß.
Während ich aber, auf der alten Bank des Hofgar-
tens sitzend, in die Vergangenheit zurückträumte, 
hörte ich hinter mir verworrene Menschenstimmen, 
welche das Schicksal der armen Franzosen beklagten, 
die, im russischen Kriege als Gefangene nach Sibirien
geschleppt, dort mehre lange Jahre, obgleich schon 
Frieden war, zurückgehalten worden und jetzt erst 
heimkehrten. Als ich aufsah, erblickte ich wirklich 
diese Waisenkinder des Ruhmes; durch die Risse 
ihrer zerlumpten Uniformen lauschte das nackte 
Elend, in ihren verwitterten Gesichtern lagen tiefe, 
klagende Augen, und obgleich verstümmelt, ermattet 
und meistens hinkend, blieben sie doch noch immer in
einer Art militärischen Schrittes, und seltsam genug! 
ein Tambour mit einer Trommel schwankte voran; 
und mit innerem Grauen ergriff mich die Erinnerung 
an die Sage von den Soldaten, die des Tags in der 
Schlacht gefallen und des Nachts wieder vom 
Schlachtfelde aufstehen und mit dem Tambour an der 
Spitze nach ihrer Vaterstadt marschieren und wovon 
das alte Volkslied singt:

Er schlug die Trommel auf und nieder,
Sie sind vorm Nachtquartier schon wieder,
Ins Gäßlein hell hinaus,
Trallerie, Trallerei, Trallera,
Sie ziehn vor Schätzels Haus.

Da stehen morgens die Gebeine
In Reih und Glied, wie Leichensteine,
Die Trommel geht voran,
Trallerie, Trallerei, Trallera,
Daß sie ihn sehen kann.

Wahrlich, der arme französische Tambour schien 
halb verwest aus dem Grabe gestiegen zu sein, es war
nur ein kleiner Schatten in einer schmutzig zerfetzten 
grauen Kapotte, ein verstorben gelbes Gesicht, mit 
einem großen Schnurrbarte, der wehmütig herabhing 
über die verblichenen Lippen, die Augen waren wie 
verbrannter Zunder, worin nur noch wenige Fünkchen
glimmen, und dennoch, an einem einzigen dieser 
Fünkchen erkannte ich Monsieur Le Grand.
Er erkannte auch mich und zog mich nieder auf den
Rasen, und da saßen wir wieder wie sonst, als er mir 
auf der Trommel die französische Sprache und die 
neuere Geschichte dozierte. Es war noch immer die 
wohlbekannte, alte Trommel, und ich konnte mich 
nicht genug wundern, wie er sie vor russischer Hab-
sucht geschützt hatte. Er trommelte jetzt wieder wie 
sonst, jedoch ohne dabei zu sprechen. Waren aber die 
Lippen unheimlich zusammengekniffen, so sprachen 
desto mehr seine Augen, die sieghaft aufleuchteten, 
indem er die alten Märsche trommelte. Die Pappeln 
neben uns erzitterten, als er wieder den roten Guilloti-
nenmarsch erdröhnen ließ. Auch die alten Freiheits-
kämpfe, die alten Schlachten, die Taten des Kaisers, 
trommelte er wie sonst, und es schien, als sei die 
Trommel selber ein lebendiges Wesen, das sich freu-
te, seine innere Lust aussprechen zu können. Ich hörte
wieder den Kanonendonner, das Pfeifen der Kugeln, 
den Lärm der Schlacht, ich sah wieder den Todesmut 
der Garde, ich sah wieder die flatternden Fahnen, ich 
sah wieder den Kaiser zu Roß - aber allmählich 
schlich sich ein trüber Ton in jene freudigsten Wirbel,
aus der Trommel drangen Laute, worin das wildeste 
Jauchzen und das entsetzlichste Trauern unheimlich 
gemischt waren, es schien ein Siegesmarsch und zu-
gleich ein Totenmarsch, die Augen Le Grands öffne-
ten sich geisterhaft weit, und ich sah darin nichts als 
ein weites, weißes Eisfeld, bedeckt mit Leichen - es 
war die Schlacht bei der Moskwa.
Ich hätte nie gedacht, daß die alte, harte Trommel 
so schmerzliche Laute von sich geben könnte, wie 
jetzt Monsieur Le Grand daraus hervorzulocken 
wußte. Es waren getrommelte Tränen, und sie tönten 
immer leiser, und wie ein trübes Echo brachen tiefe 
Seufzer aus der Brust Le Grands. Und dieser wurde 
immer matter und gespenstischer, seine dürren Hände 
zitterten vor Frost, er saß wie im Traume und bewegte
mit seinen Trommelstöcken nur die Luft und horchte 
wie auf ferne Stimmen, und endlich schaute er mich 
an, mit einem tiefen, abgrundtiefen, flehenden Blick -
ich verstand ihn -, und dann sank sein Haupt herab 
auf die Trommel.
Monsieur Le Grand hat in diesem Leben nie mehr 
getrommelt. Auch seine Trommel hat nie mehr einen 
Ton von sich gegeben, sie sollte keinem Feinde der 
Freiheit zu einem servilen Zapfenstreich dienen, ich 
hatte den letzten, flehenden Blick Le Grands sehr gut 
verstanden und zog sogleich den Degen aus meinem 
Stock und zerstach die Trommel.

Kapitel I-X | Kapitel XI-XX


Die Nordsee. 1826. Dritte Abteilung

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