Kitty

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

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1

Augen, die ich längst vergessen,
Wollen wieder mich verstricken,
Wieder bin ich wie verzaubert
Von des Mädchens sanften Blicken.

Ihre Lippen küssen wieder
Mich in jene Zeit zurücke,
Wo ich schwamm des Tags in Torheit,
Und des Nachts in vollem Glücke.

2

Mir redet ein die Eitelkeit
Daß du mich heimlich liebest;
Doch klügre Einsicht flüstert mir,
Daß du nur Großmut übest;

Daß du den Mann zu würdigen strebst,
Den andre unterschätzen,
Daß du mir doppelt gütig bist,
Weil andre mich verletzen.

Du bist so hold, du bist so schön,
So tröstlich ist dein Kosen!
Die Worte klingen wie Musik,
Und duften wie die Rosen.

Du bist mir wie ein hoher Stern,
Der mich von Himmel grüßet,
Und meine Erdennacht erhellt,
Und all mein Leid versüßet.

3

Es glänzt so schön die sinkende Sonne,
Doch schöner ist deiner Augen Schein.
Das Abendrot und deine Augen,
Sie strahlen mir traurig ins Herz hinein.

Das Abendrot bedeutet Scheiden
Und Herzensnacht und Herzensweh.
Bald fließet zwischen meinem Herzen
Und deinen Augen die weite See.

4

Er ist so Herzbeweglich
Der Brief, den sie geschrieben:
Sie werde mich ewig lieben,
Ewig, unendlich, unsäglich.

Sie ennuyiere sich täglich,
Ihr sei die Brust beklommen -
« Du mußt herüber kommen
Nach England, so bald als möglich. »

5

Es läuft dahin die Barke,
Wie eine flinte Gemse.
Bald sind wir auf der Themse,
Bald sind wir im Regentsparke.

Da wohnet meine Kitty,
Mein allerliebstes Weibchen;
Es gibt kein weißeres Leibchen
Im West-End und in der City.

Schon meiner Ankunft gewärtig,
Füllt sie den Wasserkessel
Und rückt an den Herd den Sessel;
Den Tee, den find' ich fertig.

6

Das Glück, das gestern mich geküßt,
Ist heute schon zerronnen,
Und treue Liebe hab' ich nie
Auf lange Zeit gewonnen.

Die Neugier hat wohl manches Weib
In meinen Arm gezogen;
Hat sie mir mal ins Herz geschaut,
Ist sie davon geflogen.

Die eine lachte, eh' sie ging,
Die andre tät erblassen;
Nur Kitty weinte bitterlich,
Bevor sie mich verlassen.