Heine und Marx

Winfried Lierenfeld

gefunden im weltweiten Netz, datiert 28.09.1997

Karl Marx kam im Spätherbst 1843 als politischer Flüchtling
nach Paris. Heinrich Heine, seit langem in Paris ansässig,
hatte zu dieser Zeit eine Reise nach Hamburg unternommen, um
seine Angehörigen zu besuchen.

Wieder nach Paris zurückgekehrt lernte Heine Marx kennen.
Beide schlossen Freundschaft. Marx war etwa zwanzig Jahre
jünger als Heine, aber ungeachtet dieses Altersunterschiedes
war Heine gern bereit, von Marx zu lernen.

Franz Mehring schrieb in seiner Marx-Biographie über Heine:
"Was ihn mit Marx verband war der Geist der deutschen Philo-
sophie und des französischen Sozialismus, war die gründliche
Abneigung gegen die christlich-germanische Bärenhäuterei,
das falsche Teutonentum, das mit seinen radikalen Schlagwor-
ten das Kostüm altdeutscher Narrheit ein wenig moderni-
sierte."

Unter dem Einfluß von Marx begann Heine, politische Gedichte
zu schreiben "Meine Gedichte werden eine höhere Politik at-
men", schrieb er an seinen Verleger Campe.

Heine veröffentlichte in der deutschen Emigrantenzeitung
"Vorwärts" und in den von Marx und Ruge herausgegebenen
"Deutsch-Französischen Jahrbüchern" Gedichte wie "Lobgesänge
auf König Ludwig" und "Der Kaiser von China", grimmige Sati-
ren auf die deutschen Potentaten. Auch erschien damals sein
aufrüttelndes Gedicht "Die schlesischen Weber".

Heine begann mit der Arbeit an seinem Poem "Deutschland, Ein
Wintermärchen", in dem er Eindrücke seiner Deutschlandreise
verarbeitete. Oft besuchte er Marx und dessen Frau Jenny.
Eleanor Marx-Aveling, ihre Tochter, erinnerte sich oft an
Erzählungen ihrer Eltern über Heine. Sie schrieb: "Es gab
eine Zeit, da Heine tagaus, tagein bei Marxens vorsprach, um
ihnen seine Verse vorzulesen und das Urteil der beiden jun-
gen Leute einzuholen. Ein Gedichtchen von vier Zeilen konn-
ten Heine und Marx zusammen unzählige Male durchgehen, be-
ständig über das eine oder andere Wort diskutierend und so-
lange arbeitend und feilend, bis alles glatt und jede Spur
von Arbeit und Feile aus dem Gedicht beseitigt war."

Heine reiste im Herbst 1844 wieder nach Hamburg. Von dort
schrieb er am 21. September einen Brief an Marx, in welchem
es heißt: "Lieber Marx! Ich leide wieder an meinem fatalen
Augenübel und nur mit Mühe kritzele ich Ihnen diese Zeilen.
Indessen, was ich Ihnen Wichtiges zu sagen, kann ich Ihnen
Anfang nächsten Monats mündlich sagen, denn ich bereite mich
zur Abreise, beängstigt durch einen Wink von oben, meine
Beine haben kein Talent, eiserne Ringe zu tragen. Leben Sie
wohl, teurer Freund und entschuldigen Sie mein verworrenes
Gekritzel. Ich kann nicht überlesen, was ich geschrieben,
aber wir brauchen ja nur wenig, um uns zu verstehen. Herzin-
nigst H. Heine."

Im gleichen Brief teilte Heine Marx mit, daß er das "Winter-
märchen" vollende und ihm die Druckbogen zusenden werde. Der
Zusammenarbeit von Marx und Heine wurde aber bald ein Ende
bereitet. Im Januar 1845 wurde der "Vorwärts" auf Betreiben
der preußischen Regierung von den französischen Behörden
verboten, Marx und andere Mitarbeiter aus Frankreich
ausgewiesen.

Als Marx nach Brüssel ins Exil ging, schrieb er: "Von allem,
was ich an Menschen zurücklasse, ist mir die Heinesche Hin-
terlassenschaft am unangenehmsten. Ich möchte sie gern mit
einpacken."

Winfried Lierenfeld