Florentinische Nächte

Text von Heinrich Heine (1797-1856)

Erste Nacht | Zweite Nacht


Im Vorzimmer fand Maximilian den Arzt, wie er 
eben seine schwarzen Handschuhe anzog. »Ich bin 
sehr pressiert«, rief ihm dieser hastig entgegen. »Si-
gnora Maria hat den ganzen Tag nicht geschlafen, und
nur in diesem Augenblick ist sie ein wenig einge-
schlummert. Ich brauche Ihnen nicht zu empfehlen sie
durch kein Geräusch zu wecken; und wenn sie er-
wacht, darf sie beileibe nicht reden. Sie muß ruhig lie-
gen, darf sich nicht rühren, nicht im mindesten bewe-
gen, darf nicht reden, und nur geistige Bewegung ist 
ihr heilsam. Bitte, erzählen Sie ihr wieder allerlei när-
rische Geschichten, so daß sie ruhig zuhören muß.«
»Seien Sie unbesorgt, Doktor«, erwiderte Maximi-
lian mit einem wehmütigen Lächeln. »Ich habe mich 
schon ganz zum Schwätzer ausgebildet und lasse sie 
nicht zu Worte kommen. Und ich will ihr schon 
genug phantastisches Zeug erzählen, soviel Sie nur 
begehren... Aber wie lange wird sie noch leben kön-
nen?«
»Ich bin sehr pressiert«, antwortete der Arzt und 
entwischte.
Die schwarze Debora, feinöhrig wie sie ist, hatte 
schon am Tritte den Ankommenden erkannt und öff-
nete ihm leise die Türe. Auf seinen Wink verließ sie 
ebenso leise das Gemach, und Maximilian befand 
sich allein bei seiner Freundin. Nur dämmernd war 
das Zimmer von einer einzigen Lampe erhellt. Diese 
warf dann und wann halb furchtsame, halb neugierige 
Lichter über das Antlitz der kranken Frau, welche, 
ganz angekleidet, in weißem Musselin, auf einem 
grünseidnen Sofa hingestreckt lag und ruhig schlief.
Schweigend, mit verschränkten Armen, stand Ma-
ximilian einige Zeit vor der Schlafenden und betrach-
tete die schönen Glieder, die das leichte Gewand mehr
offenbarte als verhüllte, und jedesmal, wenn die 
Lampe einen Lichtstreif über das blasse Antlitz warf, 
erbebte sein Herz. »Um Gott!« sprach er leise vor 
sich hin, »was ist das? Welche Erinnerung wird in 
mir wach? Ja, jetzt weiß ich's. Dieses weiße Bild auf 
dem grünen Grunde, ja, jetzt...«
In diesem Augenblick erwachte die Kranke, und 
wie aus der Tiefe eines Traumes hervorschauend, 
blickten auf den Freund die sanften, dunkelblauen 
Augen, fragend, bittend... »An was dachten Sie eben, 
Maximilian?« sprach sie mit jener schauerlich wei-
chen Stimme, wie sie bei Lungenkranken gefunden 
wird und worin wir zugleich das Lallen eines Kindes, 
das Zwitschern eines Vogels und das Geröchel eines 
Sterbenden zu vernehmen glauben. »An was dachten 
Sie eben, Maximilian?« wiederholte sie nochmals und
erhob sich so hastig in die Höhe, daß die langen 
Locken, wie aufgeschreckte Goldschlangen, ihr Haupt
umringelten.
»Um Gott!« rief Maximilian, indem er sie sanft 
wieder aufs Sofa niederdrückte, »bleiben Sie ruhig 
liegen, sprechen Sie nicht; ich will Ihnen alles sagen, 
alles, was ich denke, was ich empfinde, ja was ich 
nicht einmal selber weiß!
In der Tat«, fuhr er fort, »ich weiß nicht genau, was
ich eben dachte und fühlte. Bilder aus der Kindheit 
zogen mir dämmernd durch den Sinn, ich dachte an 
das Schloß meiner Mutter, an den wüsten Garten dort,
an die schöne Marmorstatue, die im grünen Grase 
lag... Ich habe, das Schloß meiner Mutter' gesagt, 
aber ich bitte Sie, beileibe, denken Sie sich darunter 
nichts Prächtiges und Herrliches! An diese Benen-
nung habe ich mich nun einmal gewöhnt; mein Vater 
legte immer einen ganz besonderen Ausdruck auf die 
Worte ›das Schloß!‹, und er lächelte dabei immer so 
eigentümlich. Die Bedeutung dieses Lächelns begriff 
ich erst später, als ich, ein etwa zwölfjähriges Büb-
chen, mit meiner Mutter nach dem Schlosse reiste. Es 
war meine erste Reise. Wir fuhren den ganzen Tag 
durch einen dicken Wald, dessen dunkle Schauer mir 
immer unvergeßlich bleiben, und erst gegen Abend 
hielten wir still vor einer langen Querstange, die uns 
von einer großen Wiese trennte. Wir mußten fast eine 
halbe Stunde warten, ehe, aus der nah gelegenen 
Lehmhütte, der Junge kam, der die Sperre wegschob 
und uns einließ. Ich sage ›der Junge‹, weil die alte 
Marthe ihren vierzigjährigen Neffen noch immer ›den 
Jungen‹ nannte; dieser hatte, um die gnädige Herr-
schaft würdig zu empfangen, das alte Livreekleid sei-
nes verstorbenen Oheims angezogen, und da er es 
vorher ein bißchen ausstäuben mußte, ließ er uns so 
lange warten. Hätte man ihm Zeit gelassen, würde er 
auch Strümpfe angezogen haben; die langen, nackten, 
roten Beine stachen aber nicht sehr ab von dem grel-
len Scharlachrock. Ob er darunter eine Hose trug, 
weiß ich nicht mehr. Unser Bedienter, der Johann, der
ebenfalls die Benennung ›Schloß‹ oft vernommen, 
machte ein sehr verwundertes Gesicht, als der Junge 
uns zu dem kleinen gebrochenen Gebäude führte, wo 
der selige Herr gewohnt. Er ward aber schier bestürzt,
als meine Mutter ihm befahl, die Betten hineinzubrin-
gen. Wie konnte er ahnden, daß auf dem ›Schlosse‹ 
keine Betten befindlich!, und die Order meiner Mut-
ter, daß er Bettung für uns mitnehmen solle, hatte er 
entweder ganz überhört oder als überflüssige Mühe 
unbeachtet gelassen.
Das kleine Haus, das, nur eine Etage hoch, in sei-
nen besten Zeiten höchstens fünf bewohnbare Zimmer
enthalten, war ein kummervolles Bild der Vergäng-
lichkeit. Zerschlagene Möbel, zerfetzte Tapeten, keine
einzige Fensterscheibe ganz verschont, hie und da der 
Fußboden aufgerissen, überall die häßlichen Spuren 
der übermütigsten Soldatenwirtschaft. ›Die Einquar-
tierung hat sich immer bei uns sehr amüsiert‹, sagte 
der Junge mit einem blödsinnigen Lächeln. Die Mut-
ter aber winkte, daß wir sie allein lassen möchten, 
und während der Junge mit Johann sich beschäftigte, 
ging ich den Garten besehen. Dieser bot ebenfalls den
trostlosesten Anblick der Zerstörnis. Die großen 
Bäume waren zum Teil verstümmelt, zum Teil nieder-
gebrochen, und höhnische Wucherpflanzen erhoben 
sich über die gefallenen Stämme. Hie und da, an den 
aufgeschossenen Taxusbüschen, konnte man die ehe-
maligen Wege erkennen. Hie und da standen auch 
Statuen, denen meistens die Köpfe, wenigstens die 
Nasen, fehlten. Ich erinnere mich einer Diana, deren 
untere Hälfte von dunklem Efeu aufs lächerlichste 
umwachsen war, so wie ich mich auch einer Göttin 
des Überflusses erinnere, aus deren Füllhorn lauter 
mißduftendes Unkraut hervorblühte. Nur eine Statue 
war, Gott weiß wie, von der Bosheit der Menschen 
und der Zeit verschont geblieben; von ihrem Posta-
mente freilich hatte man sie herabgestürzt ins hohe 
Gras, aber da lag sie unverstümmelt, die marmorne 
Göttin, mit den rein-schönen Gesichtszügen und mit 
dem straffgeteilten, edlen Busen, der, wie eine grie-
chische Offenbarung, aus dem hohen Grase her-
vorglänzte. Ich erschrak fast, als ich sie sah; dieses 
Bild flößte mir eine sonderbar schwüle Scheu ein, und
eine geheime Blödigkeit ließ mich nicht lange bei sei-
nem holden Anblick verweilen.
Als ich wieder zu meiner Mutter kam, stand sie am 
Fenster, verloren in Gedanken, das Haupt gestützt auf
ihrem rechten Arm, und die Tränen flossen ihr unauf-
hörlich über die Wangen. So hatte ich sie noch nie 
weinen sehen. Sie umarmte mich mit hastiger Zärt-
lichkeit und bat mich um Verzeihung, daß ich durch 
Johanns Nachlässigkeit kein ordentliches Bett bekom-
men werde. ›Die alte Marthe‹, sagte sie, ›ist schwer 
krank und kann dir, liebes Kind, ihr Bett nicht abtre-
ten. Johann soll dir aber die Kissen aus dem Wagen 
so zurechtlegen, daß du darauf schlafen kannst, und er
mag dir auch seinen Mantel zur Decke geben. Ich sel-
ber schlafe hier auf Stroh; es ist das Schlafzimmer 
meines seligen Vaters; es sah sonst hier viel besser 
aus. Laß mich allein!‹ Und die Tränen schossen ihr 
noch heftiger aus den Augen.
War es nun das ungewohnte Lager oder das aufge-
regte Herz, es ließ mich nicht schlafen. Der Mond-
schein drang so unmittelbar durch die gebrochenen 
Fensterscheiben, und es war mir, als wolle er mich 
hinauslocken in die helle Sommernacht. Ich mochte 
mich rechts oder links wenden auf meinem Lager, ich 
mochte die Augen schließen oder wieder ungeduldig 
öffnen, immer mußte ich an die schöne Marmorstatue 
denken, die ich im Grase liegen sehen. Ich konnte mir 
die Blödigkeit nicht erklären, die mich bei ihrem An-
blick erfaßt hatte, ich ward verdrießlich ob dieses kin-
dischen Gefühls, und ›morgen‹, sagte ich leise zu mir 
selber, ›morgen küssen wir dich, du schönes Marmor-
gesicht, wir küssen dich eben auf die schönen Mund-
winkel, wo die Lippen in ein so holdseliges Grübchen
zusammenschmelzen!‹ Eine Ungeduld, wie ich sie 
noch nie gefühlt, rieselte dabei durch alle meine Glie-
der, ich konnte dem wunderbaren Drange nicht länger 
gebieten, und endlich sprang ich auf mit keckem Mute
und sprach: ›Was gilt's, und ich küsse dich noch 
heute, du liebes Bildnis!‹ Leise, damit die Mutter 
meine Tritte nicht höre, verließ ich das Haus, was um 
so leichter, da das Portal zwar noch mit einem großen 
Wappenschild, aber mit keinen Türen mehr versehen 
war; und hastig arbeitete ich mich durch das Laub-
werk des wüsten Gartens. Auch kein Laut regte sich, 
und alles ruhte, stumm und ernst, im stillen Mond-
schein. Die Schatten der Bäume waren wie angenagelt
auf der Erde. Im grünen Grase lag die schöne Göttin 
ebenfalls regungslos, aber kein steinerner Tod, son-
dern nur ein stiller Schlaf schien ihre lieblichen Glie-
der gefesselt zu halten, und als ich ihr nahete, fürchte-
te ich schier, daß ich sie durch das geringste Geräusch
aus ihrem Schlummer erwecken könnte. Ich hielt den 
Atem zurück, als ich mich über sie hinbeugte, um die 
schönen Gesichtszüge zu betrachten; eine schauerli-
che Beängstigung stieß mich von ihr ab, eine knaben-
hafte Lüsternheit zog mich wieder zu ihr hin, mein 
Herz pochte, als wollte ich eine Mordtat begehen, und
endlich küßte ich die schöne Göttin mit einer In-
brunst, mit einer Zärtlichkeit, mit einer Verzweiflung,
wie ich nie mehr geküßt habe in diesem Leben. Auch 
nie habe ich diese grauenhaft süße Empfindung ver-
gessen können, die meine Seele durchflutete, als die 
beseligende Kälte jener Marmorlippen meinen Mund 
berührte... Und sehen Sie, Maria, als ich eben vor 
Ihnen stand und ich Sie, in Ihrem weißen Musselin-
kleide, auf dem grünen Sofa liegen sah, da mahnte 
mich Ihr Anblick an das weiße Marmorbild im grünen
Grase. Hätten Sie länger geschlafen, meine Lippen 
würden nicht widerstanden haben...«
»Max! Max!« schrie das Weib aus der Tiefe ihrer 
Seele - »Entsetzlich! Sie wissen, daß ein Kuß von 
Ihrem Munde...«
»Oh, schweigen Sie nur, ich weiß, das wäre für Sie 
etwas Entsetzliches! Sehen Sie mich nur nicht so fle-
hend an. Ich mißdeute nicht Ihre Empfindungen, ob-
gleich die letzten Gründe derselben mir verborgen 
bleiben. Ich habe nie meinen Mund auf Ihre Lippen 
drücken dürfen...«
Aber Maria ließ ihn nicht ausreden, sie hatte seine 
Hand erfaßt, bedeckte diese Hand mit den heftigsten 
Küssen und sagte dann lächelnd: »Bitte, bitte, erzäh-
len Sie mir noch mehr von Ihren Liebschaften. Wie 
lange liebten Sie die marmorne Schöne, die Sie im 
Schloßgarten Ihrer Mutter geküßt?«
»Wir reisten den andern Tag ab«, antwortete Maxi-
milian, »und ich habe das holde Bildnis nie wiederge-
sehen. Aber fast vier Jahre beschäftigte es mein Herz. 
Eine wunderbare Leidenschaft für marmorne Statuen 
hat sich seitdem in meiner Seele entwickelt, und noch,
diesen Morgen empfand ich ihre hinreißende Gewalt. 
Ich kam aus der Laurenziana, der Bibliothek der Me-
diceer, und geriet, ich weiß nicht mehr wie, in die Ka-
pelle, wo jenes prachtvollste Geschlecht Italiens sich 
eine Schlafstelle von Edelsteinen gebaut hat und ruhig
schlummert. Eine ganze Stunde blieb ich dort versun-
ken in dem Anblick eines marmornen Frauenbilds, 
dessen gewaltiger Leibesbau von der kühnen Kraft 
des Michelangelo zeugt, während doch die ganze Ge-
stalt von einer ätherischen Süßigkeit umflossen ist, 
die man bei jenem Meister eben nicht zu suchen 
pflegt. In diesen Marmor ist das ganze Traumreich 
gebannt, mit allen seinen stillen Seligkeiten, eine zärt-
liche Ruhe wohnt in diesen schönen Gliedern, ein be-
sänftigendes Mondlicht scheint durch ihre Adern zu 
rinnen... es ist die ›Nacht‹ des Michelangelo Buonar-
roti. Oh, wie gerne möchte ich schlafen des ewigen 
Schlafes in den Armen dieser Nacht...
Gemalte Frauenbilder«, fuhr Maximilian fort nach 
einer Pause, »haben mich immer minder heftig inter-
essiert als Statuen. Nur einmal war ich in ein Gemäl-
de verliebt. Es war eine wunderschöne Madonna, die 
ich in einer Kirche zu Köln am Rhein kennenlernte. 
Ich wurde damals ein sehr eifriger Kirchengänger, und
mein Gemüt versenkte sich in die Mystik des Katholi-
zismus. Ich hätte damals gern, wie ein spanischer Rit-
ter, alle Tage auf Leben und Tod gekämpft für die in-
makulierte Empfängnis Mariä, der Königin der Engel,
der schönsten Dame des Himmels und der Erde! Für 
die ganze Heilige Familie interessierte ich mich da-
mals, und ganz besonders freundlich zog ich jedesmal
den Hut ab, wenn ich einem Bilde des heiligen Jo-
sephs vorbeikam. Dieser Zustand dauerte jedoch nicht
lange, und fast ohne Umstände verließ ich die Mutter-
gottes, als ich in einer Antikengalerie mit einer grie-
chischen Nymphe bekannt wurde, die mich lange Zeit 
in ihren Marmorfesseln gefangenhielt.«
»Und Sie liebten immer nur gemeißelte oder gemal-
te Frauen?« kicherte Maria.
»Nein, ich habe auch tote Frauen geliebt«, antwor-
tete Maximilian, über dessen Gesicht sich wieder ein 
großer Ernst verbreitete. Er bemerkte nicht, daß bei 
diesen Worten Maria erschreckend zusammenfuhr, 
und ruhig sprach er weiter:
»Ja, es ist höchst sonderbar, daß ich mich einst in 
ein Mädchen verliebte, nachdem sie schon seit sieben 
Jahren verstorben war. Als ich die kleine Very ken-
nenlernte, gefiel sie mir ganz außerordentlich gut. 
Drei Tage lang beschäftigte ich mich mit dieser jun-
gen Person und fand das höchste Ergötzen an allem, 
was sie tat und sprach, an allen Äußerungen ihres rei-
zend wunderlichen Wesens, jedoch ohne daß mein 
Gemüt dabei in überzärtliche Bewegung geriet. Auch 
wurde ich einige Monate drauf nicht allzu tief ergrif-
fen, als ich die Nachricht empfing, daß sie, infolge 
eines Nervenfiebers, plötzlich gestorben sei. Ich ver-
gaß sie ganz gründlich, und ich bin überzeugt, daß 
ich jahrelang auch nicht ein einziges Mal an sie ge-
dacht habe. Ganze sieben Jahre waren seitdem verstri-
chen, und ich befand mich in Potsdam, um in unge-
störter Einsamkeit den schönen Sommer zu genießen. 
Ich kam dort mit keinem einzigen Menschen in Be-
rührung, und mein ganzer Umgang beschränkte sich 
auf die Statuen, die sich im Garten von Sanssouci be-
finden. Da geschah es eines Tages, daß mir Gesichts-
züge und eine seltsam liebenswürdige Art des Spre-
chens und Bewegens ins Gedächtnis trat, ohne daß ich
mich dessen entsinnen konnte, welcher Person der-
gleichen angehörten. Nichts ist quälender als solches 
Herumstöbern in alten Erinnerungen, und ich war des-
halb wie freudig überrascht, als ich nach einigen 
Tagen mich auf einmal der kleinen Very erinnerte und
jetzt merkte, daß es ihr liebes, vergessenes Bild war, 
was mir so beunruhigend vorgeschwebt hatte. Ja, ich 
freute mich dieser Entdeckung wie einer, der seinen 
intimsten Freund ganz unerwartet wiedergefunden; die
verblichenen Farben belebten sich allmählich, und 
endlich stand die süße kleine Person wieder leibhaftig
vor mir, lächelnd, schmollend, witzig und schöner 
noch als jemals. Von nun an wollte mich dieses holde 
Bild nimmermehr verlassen, es füllte meine ganze 
Seele; wo ich ging und stand, stand und ging es an 
meiner Seite, sprach mit mir, lachte mit mir, jedoch 
harmlos und ohne große Zärtlichkeit. Ich aber wurde 
täglich mehr und mehr bezaubert von diesem Bilde, 
das täglich mehr und mehr Realität für mich gewann. 
Es ist leicht, Geister zu beschwören, doch ist es 
schwer, sie wieder zurückzuschicken in ihr dunkles 
Nichts; sie sehen uns dann so flehend an, unser eige-
nes Herz leiht ihnen so mächtige Fürbitte... Ich konn-
te mich nicht mehr losreißen, und ich verliebte mich 
in die kleine Very, nachdem sie schon seit sieben Jah-
ren verstorben. So lebte ich sechs Monate in Potsdam,
ganz versunken in dieser Liebe. Ich hütete mich noch 
sorgfältiger als vorher vor jeder Berührung mit der 
Außenwelt, und wenn irgend jemand auf der Straße 
etwas nahe an mir vorbeistreifte, empfand ich die 
mißbehaglichste Beklemmung. Ich hegte vor allen 
Begegnissen eine tiefe Scheu, wie solche vielleicht die
nachtwandelnden Geister der Toten empfinden; denn 
diese, wie man sagt, wenn sie einem lebenden Men-
schen begegnen, erschrecken sie ebensosehr, wie der 
Lebende erschrickt, wenn er einem Gespenste begeg-
net. Zufällig kam damals ein Reisender durch Pots-
dam, dem ich nicht ausweichen konnte, nämlich mein 
Bruder. Bei seinem Anblick und bei seinen Erzählun-
gen von den letzten Vorfällen der Tagesgeschichte er-
wachte ich wie aus einem tiefen Traume, und zusam-
menschreckend fühlte ich plötzlich, in welcher grau-
enhaften Einsamkeit ich so lange für mich hingelebt. 
Ich hatte in diesem Zustande nicht einmal den Wech-
sel der Jahrzeiten gemerkt, und mit Verwunderung be-
trachtete ich jetzt die Bäume, die, längst entblättert, 
mit herbstlichem Reife bedeckt standen. Ich verließ 
alsbald Potsdam und die kleine Very, und in einer an-
deren Stadt, wo mich wichtige Geschäfte erwarteten, 
wurde ich, durch sehr eckige Verhältnisse und Bezie-
hungen, sehr bald wieder in die rohe Wirklichkeit hin-
eingequält.
Lieber Himmel!« fuhr Maximilian fort, indem ein 
schmerzliches Lächeln um seine Oberlippe zuckte, 
»lieber Himmel! die lebendigen Weiber, mit denen 
ich damals in unabweisliche Berührungen kam, wie 
haben sie mich gequält, zärtlich gequält, mit ihrem 
Schmollen, Eifersüchteln und beständigem In-Atem-
Halten! Auf wie vielen Bällen mußte ich mit ihnen 
herumtraben, in wie viele Klatschereien mußte ich 
mich mischen! Welche rastlose Eitelkeit, welche 
Freude an der Lüge, welche küssende Verräterei, wel-
che giftige Blumen! Jene Damen wußten mir alle Lust
und Liebe zu verleiden, und ich wurde auf einige Zeit 
ein Weiberfeind, der das ganze Geschlecht verdamm-
te. Es erging mir fast wie dem französischen Offizie-
re, der im russischen Feldzuge sich nur mit Mühe aus 
den Eisgruben der Beresina gerettet hatte, aber seit-
dem gegen alles Gefrorene eine solche Antipathie be-
kommen, daß er jetzt sogar die süßesten und ange-
nehmsten Eissorten von Tortoni mit Abscheu von sich
wies. Ja, die Erinnerung an die Beresina der Liebe, 
die ich damals passierte, verleidete mir einige Zeit 
sogar die köstlichsten Damen, Frauen wie Engel, 
Mädchen wie Vanillensorbett.«
»Ich bitte Sie«, rief Maria, »schmähen Sie nicht die
Weiber. Das sind abgedroschene Redensarten der 
Männer. Am Ende, um glücklich zu sein, bedürft ihr 
dennoch der Weiber.«
»Oh«, seufzte Maximilian, »das ist freilich wahr. 
Aber die Weiber haben leider nur eine einzige Art, 
wie sie uns glücklich machen können, während sie 
uns auf dreißigtausend Arten unglücklich zu machen 
wissen.«
»Teurer Freund«, erwiderte Maria, indem sie ein 
leises Lächeln verbiß, »ich spreche von dem 
Einklange zweier gleichgestimmten Seelen. Haben 
Sie dieses Glück nie empfunden? ... Aber ich sehe 
eine ungewöhnte Röte über Ihre Wangen ziehen... 
Sprechen Sie... Max?«
»Es ist wahr, Maria, ich fühle mich fast knabenhaft
befangen, da ich Ihnen die glückliche Liebe gestehen 
soll, die mich einst unendlich beseligt hat! Diese Er-
innerung ist mir noch nicht verloren, und in ihren 
kühlen Schatten flüchtet sich noch oft meine Seele, 
wenn der brennende Staub und die Tageshitze des Le-
bens unerträglich wird. Ich bin aber nicht imstande, 
Ihnen von dieser Geliebten einen richtigen Begriff zu 
geben. Sie war so ätherischer Natur, daß sie sich mir 
nur im Traume offenbaren konnte. Ich denke, Maria, 
sie hegen kein banales Vorurteil gegen Träume; diese 
nächtlichen Erscheinungen haben wahrlich ebensoviel
Realität wie jene roheren Gebilde des Tages, die wir 
mit Händen antasten können und woran wir uns nicht 
selten beschmutzen. Ja, es war im Traume, wo ich sie 
sah, jenes holde Wesen, das mich am meisten auf die-
ser Welt beglückt hat. Über ihre Äußerlichkeit weiß 
ich wenig zu sagen. Ich bin nicht imstande, die Form 
ihrer Gesichtszüge ganz genau anzugeben. Es war ein
Gesicht, das ich nie vorher gesehen und das ich nach-
her nie wieder im Leben erblickte. Soviel erinnere ich 
mich, es war nicht weiß und rosig, sondern ganz ein-
farbig, ein sanft angerötetes Blaßgelb und 
durchsichtig wie Kristall. Die Reize dieses Gesichtes 
bestanden weder im strengen Schönheitsmaß noch in 
der interessanten Beweglichkeit; sein Charakter be-
stand vielmehr in einer bezaubernden, entzückenden, 
fast erschreckenden Wahrhaftigkeit. Es war ein Ge-
sicht voll bewußter Liebe und graziöser Güte, es war 
mehr eine Seele als ein Gesicht, und deshalb habe ich 
die äußere Form mir nie ganz vergegenwärtigen kön-
nen. Die Augen waren sanft wie Blumen. Die Lippen 
etwas bleich, aber anmutig gewölbt. Sie trug ein seid-
nes Peignoir von kornblauer Farbe; aber hierin be-
stand auch ihre ganze Bekleidung; Hals und Füße 
waren nackt, und durch das weiche, dünne Gewand 
lauschte manchmal, wie verstohlen, die schlanke Zart-
heit der Glieder. Die Worte, die wir miteinander ge-
sprochen, kann ich mir ebenfalls nicht mehr verdeutli-
chen; soviel weiß ich, daß wir uns verlobten und daß 
wir heiter und glücklich, offenherzig und traulich, wie
Bräut'gam und Braut, ja fast wie Bruder und Schwe-
ster, miteinander kosten. Manchmal aber sprachen wir
gar nicht mehr und sahen uns einander an, Aug in 
Auge, und in diesem beseligenden Anschauen ver-
harrten wir ganze Ewigkeiten... Wodurch ich erwacht 
bin, kann ich ebenfalls nicht sagen, aber ich schwelg-
te noch lange Zeit in dem Nachgewühle dieses Lie-
besglücks. Ich war lange wie getränkt von unerhörten 
Wonnen, die schmachtende Tiefe meines Herzens war
wie gefüllt mit Seligkeit, eine mir unbekannte Freude 
schien über alle meine Empfindungen ausgegossen, 
und ich blieb froh und heiter, obgleich ich die Gelieb-
te in meinen Träumen niemals wiedersah. Aber hatte 
ich nicht in ihrem Anblick ganze Ewigkeiten genos-
sen? Auch kannte sie mich zu gut, um nicht zu wis-
sen, daß ich keine Wiederholungen liebe.«
»Wahrhaftig«, rief Maria, »Sie sind ein homme a 
bonne fortune... Aber sagen Sie mir, war Mademoi-
selle Laurence eine Marmorstatue oder ein Gemälde? 
eine Tote oder ein Traum?«
»Vielleicht alles dieses zusammen«, antwortete 
Maximilian sehr ernsthaft.
»Ich konnte mir's vorstellen, teurer Freund, daß 
diese Geliebte von sehr zweifelhaftem Fleische sein 
mußte. Und wann werden Sie mir diese Geschichte 
erzählen?«
»Morgen. Sie ist lang, und ich bin heute müde. Ich 
komme aus der Oper und habe zuviel Musik in den 
Ohren.«
»Sie gehen jetzt oft in die Oper, und ich glaube, 
Max, Sie gehen dorthin, mehr um zu sehen als um zu 
hören.«
»Sie irren sich nicht, Maria, ich gehe wirklich in 
die Oper, um die Gesichter der schönen Italienerinnen
zu betrachten. Freilich, sie sind schon außerhalb dem 
Theater schön genug, und ein Geschichtsforscher 
konnte an der Idealität ihrer Züge sehr leicht den Ein-
fluß der bildenden Künste auf die Leiblichkeit des ita-
lienischen Volkes nachweisen. Die Natur hat hier den 
Künstlern das Kapital zurückgenommen, das sie 
ihnen einst geliehen, und siehe! es hat sich aufs ent-
zückendste verzinst. Die Natur, welche einst den 
Künstlern ihre Modelle lieferte, sie kopiert heute ih-
rerseits die Meisterwerke, die dadurch entstanden. Der
Sinn für das Schöne hat das ganze Volk durchdrun-
gen, und wie einst das Fleisch auf den Geist, so wirkt 
jetzt der Geist auf das Fleisch. Und nicht fruchtlos ist 
die Andacht vor jenen schönen Madonnen, den liebli-
chen Altarbildern, die sich dem Gemüte des Bräuti-
gams einprägen, während die Braut einen schönen 
Heiligen im brünstigen Sinne trägt. Durch solche 
Wahlverwandtschaft ist hier ein Menschengeschlecht 
entstanden, das noch schöner ist als der holde Boden, 
worauf es blüht, und der sonnige Himmel, der es, wie 
ein goldner Rahmen, umstrahlt. Die Männer interes-
sieren mich nie viel, wenn sie nicht entweder gemalt 
oder gemeißelt sind, und Ihnen, Maria, überlasse ich 
allen möglichen Enthusiasmus in betreff jener schö-
nen, geschmeidigen Italiener, die so wildschwarze 
Backenbärte und so kühnedle Nasen und so sanftklu-
ge Augen haben. Man sagt, die Lombarden seien die 
schönsten Männer. Ich habe nie darüber Untersuchun-
gen angestellt, nur über die Lombardinnen habe ich 
ernsthaft nachgedacht, und diese, das habe ich wohl 
gemerkt, sind wirklich so schön, wie der Ruhm mel-
det. Aber auch schon im Mittelalter müssen sie ziem-
lich schön gewesen sein. Sagt man doch von Franz I., 
daß das Gerücht von der Schönheit der Mailänderin-
nen ein heimlicher Antrieb gewesen, der ihn zu sei-
nem italienischen Feldzuge bewogen habe; der ritterli-
che König war gewiß neugierig, ob seine geistlichen 
Mühmchen, die Sippschaft seines Taufpaten, so 
hübsch seien, wie er rühmen hörte... Armer Schelm! 
zu Pavia mußte er für diese Neugier sehr teuer büßen!
Aber wie schön sind sie erst, diese Italienerinnen, 
wenn die Musik ihre Gesichter beleuchtet. Ich sage 
beleuchtet, denn die Wirkung der Musik, die ich in 
der Oper auf den Gesichtern der schönen Frauen be-
merke, gleicht ganz jenen Licht- und Schatteneffekten,
die uns in Erstaunen setzen, wenn wir Statuen in der 
Nacht bei Fackelschein betrachten. Diese Marmorbil-
der offenbaren uns dann, mit erschreckender Wahr-
heit, ihren innewohnenden Geist und ihre schauerli-
chen stummen Geheimnisse. In derselben Weise gibt 
sich uns auch das ganze Leben der schönen Italiene-
rinnen kund, wenn wir sie in der Oper sehen; die 
wechselnden Melodien wecken alsdann in ihrer Seele 
eine Reihe von Gefühlen, Erinnerungen, Wünschen 
und Ärgernissen, die sich alle augenblicklich in den 
Bewegungen ihrer Züge, in ihrem Erröten, in ihrem 
Erbleichen und gar in ihren Augen aussprechen. Wer 
zu lesen versteht, kann alsdann auf ihren schönen Ge-
sichtern sehr viel süße und intressante Dinge lesen, 
Geschichten, die so merkwürdig wie die Novellen des
Boccaccio, Gefühle, die so zart wie die Sonette des 
Petrarcha, Launen, die so abenteuerlich wie die Otta-
verime des Ariosto, manchmal auch furchtbare Verrä-
terei und erhabene Bosheit, die so poetisch wie die 
Hölle des großen Dante. Da ist es der Mühe wert, 
hinaufzuschauen nach den Logen. Wenn nur die Män-
ner unterdessen ihre Begeisterung nicht mit so fürch-
terlichem Lärm aussprächen! Dieses allzu tolle Ge-
räusch in einem italienischen Theater wird mir 
manchmal lästig. Aber die Musik ist die Seele dieser 
Menschen, ihr Leben, ihre Nationalsache. In anderen 
Ländern gibt es gewiß Musiker, die den größten ita-
lienischen Renommeen gleichstehen, aber es gibt dort 
kein musikalisches Volk. Die Musik wird hier in Ita-
lien nicht durch Individuen repräsentiert, sondern sie 
offenbart sich in der ganzen Bevölkerung, die Musik 
ist Volk geworden. Bei uns im Norden ist es ganz an-
ders; da ist die Musik nur Mensch geworden und 
heißt Mozart oder Meyerbeer; und obendrein, wenn 
man das Beste, was solche nordische Musiker uns 
bieten, genau untersucht, so findet sich darin italieni-
scher Sonnenschein und Orangenduft, und viel eher 
als unserem Deutschland gehören sie dem schönen 
Italien, der Heimat der Musik. Ja, Italien wird immer 
die Heimat der Musik sein, wenn auch seine großen 
Maestri frühe ins Grab steigen oder verstummen, 
wenn auch Bellini stirbt und Rossini schweigt.«
»Wahrlich«, bemerkte Maria, »Rossini behauptet 
ein sehr strenges Stillschweigen. Wenn ich nicht irre, 
schweigt er schon seit zehn Jahren.«
»Das ist vielleicht ein Witz von ihm«, antwortete 
Maximilian. »Er hat zeigen wollen, daß der Name 
›Schwan von Pesaro‹, den man ihm erteilt, ganz un-
passend sei. Die Schwäne singen am Ende ihres Le-
bens, Rossini aber hat in der Mitte des Lebens zu sin-
gen aufgehört. Und ich glaube, er hat wohl daran 
getan und eben dadurch gezeigt, daß er ein Genie ist. 
Ein Künstler, welcher nur Talent hat, behält bis an 
sein Lebensende den Trieb, dieses Talent auszuüben, 
der Ehrgeiz stachelt ihn, er fühlt, daß er sich bestän-
dig vervollkommnet, und es drängt ihn, das Höchste 
zu erstreben. Der Genius aber hat das Höchste bereits
geleistet, er ist zufrieden, er verachtet die Welt und 
den kleinen Ehrgeiz und geht nach Hause, nach Strat-
ford am Avon, wie William Shakespeare, oder prome-
niert sich lachend und witzelnd auf dem Boulevard 
des Italiens zu Paris, wie Joachim Rossini. Hat der 
Genius keine ganz schlechte Leibeskonstitution, so 
lebt er in solcher Weise noch eine gute Weile fort, 
nachdem er seine Meisterwerke geliefert oder, wie 
man sich auszudrücken pflegt, nachdem er seine Mis-
sion erfüllt hat. Es ist ein Vorurteil, wenn man meint, 
das Genie müsse früh sterben; ich glaube, man hat 
das dreißigste bis zum vierunddreißigsten Jahr als die
gefährliche Zeit für die Genies bezeichnet. Wie oft 
habe ich den armen Bellini damit geneckt und ihm aus
Scherz prophezeit, daß er in seiner Eigenschaft als 
Genie bald sterben müsse, indem er das gefährliche 
Alter erreiche. Sonderbar! Trotz des scherzenden 
Tones ängstigte er sich doch ob dieser Prophezeiung, 
er nannte mich seinen Jettatore und machte immer das
Jettatorezeichen... Er wollte so gern leben bleiben, er 
hatte eine fast leidenschaftliche Abneigung gegen den 
Tod, er wollte nichts vom Sterben hören, er fürchtete 
sich davor wie ein Kind, das sich fürchtet, im Dun-
keln zu schlafen... Es war ein gutes, liebes Kind, 
manchmal etwas unartig, aber dann brauchte man ihm
nur mit seinem baldigen Tode zu drohen, und er ward 
dann gleich kleinlaut und bittend und machte mit den 
zwei erhobenen Fingern das Jettatorezeichen... Armer 
Bellini!«
»Sie haben ihn also persönlich gekannt? War er 
hübsch?«
»Er war nicht häßlich. Sie sehen, auch wir Männer 
können nicht bejahend antworten, wenn man uns über
jemand von unserem Geschlechte eine solche Frage 
vorlegt. Es war eine hoch aufgeschossene, schlanke 
Gestalt, die sich zierlich, ich möchte sagen kokett be-
wegte; immer a quatre epingles; ein regelmäßiges Ge-
sicht, länglich, blaßrosig; hellblondes, fast goldiges 
Haar, in dünnen Löckchen frisiert; hohe, sehr hohe, 
edle Stirne; grade Nase; bleiche, blaue Augen; schön-
gemessener Mund; rundes Kinn. Seine Züge hatten 
etwas Vages, Charakterloses, etwas wie Milch, und in
diesem Milchgesichte quirlte manchmal süßsäuerlich 
ein Ausdruck von Schmerz. Dieser Ausdruck von 
Schmerz ersetzte in Bellinis Gesichte den mangelnden
Geist; aber es war ein Schmerz ohne Tiefe; er flim-
merte poesielos in den Augen, er zuckte leidenschafts-
los um die Lippen des Mannes. Diesen flachen, mat-
ten Schmerz schien der junge Maestro in seiner gan-
zen Gestalt veranschaulichen zu wollen. So schwär-
merisch wehmütig waren seine Haare frisiert, die 
Kleider saßen ihm so schmachtend an dem zarten 
Leibe, er trug sein spanisches Röhrchen so idyllisch, 
daß er mich immer an die jungen Schäfer erinnerte, 
die wir in unseren Schäferspielen mit bebänderten 
Stäben und hellfarbigen Jäckchen und Höschen min-
audieren sehen. Und sein Gang war so jungfräulich, 
so elegisch, so ätherisch. Der ganze Mensch sah aus 
wie ein Seufzer en escarpins. Er hat bei den Frauen 
vielen Beifall gefunden, aber ich zweifle, ob er ir-
gendwo eine starke Leidenschaft geweckt hat. Für 
mich selber hatte seine Erscheinung immer etwas 
spaßhaft Ungenießbares, dessen Grund wohl zunächst
in seinem Französischsprechen zu finden war. Ob-
gleich Bellini schon mehre Jahre in Frankreich gelebt,
sprach er doch das Französische so schlecht, wie es 
vielleicht kaum in England gesprochen werden kann. 
Ich sollte dieses Sprechen nicht mit dem Beiwort 
›schlecht‹ bezeichnen; schlecht ist hier viel zu gut. 
Man muß entsetzlich sagen, blutschänderisch, weltun-
tergangsmäßig. Ja, wenn man mit ihm in Gesellschaft 
war und er die armen französischen Worte wie ein 
Henker radebrach und unerschütterlich seine kolossa-
len coq-à-l'âne auskramte, so meinte man manchmal, 
die Welt müsse mit einem Donnergekrache unterge-
hen... Eine Leichenstille herrschte dann im ganzen 
Saale; Todesschreck malte sich auf allen Gesichtern, 
mit Kreidefarbe oder mit Zinnober; die Frauen wu-
ßten nicht, ob sie in Ohnmacht fallen oder entfliehen 
sollten; die Männer sahen bestürzt nach ihren Bein-
kleidern, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich der-
gleichen trugen; und was das Furchtbarste war, dieser 
Schreck erregte zu gleicher Zeit eine konvulsive Lach-
lust, die sich kaum verbeißen ließ. Wenn man daher 
mit Bellini in Gesellschaft war, mußte seine Nähe 
immer eine gewisse Angst einflößen, die, durch einen 
grauenhaften Reiz, zugleich abstoßend und anziehend
war. Manchmal waren seine unwillkürlichen Calem-
bours bloß belustigender Art, und in ihrer 
possierlichen Abgeschmacktheit erinnerten sie an das 
Schloß seines Landsmannes, des Prinzen Pallagonien,
welches Goethe in seiner ›Italienischen Reise‹ als ein 
Museum von barocken Verzerrtheiten und ungereimt 
zusammengekoppelten Mißgestalten schildert. Da 
Bellini bei solchen Gelegenheiten immer etwas ganz 
Harmloses und ganz Ernsthaftes gesagt zu haben 
glaubte, so bildete sein Gesicht mit seinem Worte 
eben den allertollsten Kontrast. Das, was mir an sei-
nem Gesichte mißfallen konnte, trat dann um so 
schneidender hervor. Das, was mir da mißfiel, war 
aber nicht von der Art, daß es just als ein Mangel be-
zeichnet werden könnte, und am wenigsten mag es 
wohl den Damen ebenfalls unerfreusam gewesen sein.
Bellinis Gesicht, wie seine ganze Erscheinung, hatte 
jene physische Frische, jene Fleischblüte, jene Rosen-
farbe, die auf mich einen unangenehmen Eindruck 
macht, auf mich, der ich vielmehr das Totenhafte und 
das Marmorne liebe. Erst späterhin, als ich Bellini 
schon lange kannte, empfand ich für ihn einige Nei-
gung. Dieses entstand namentlich, als ich bemerkte, 
daß sein Charakter durchaus edel und gut war. Seine 
Seele ist gewiß rein und unbefleckt geblieben von 
allen häßlichen Berührungen. Auch fehlte ihm nicht 
die harmlose Gutmütigkeit, das Kindliche, das wir bei
genialen Menschen nie vermissen, wenn sie auch der-
gleichen nicht für jedermann zur Schau tragen.«
»Ja, ich erinnere mich«, fuhr Maximilian fort, 
indem er sich auf den Sessel niederließ, an dessen 
Lehne er sich bis jetzt aufrecht gestützt hatte, »ich er-
innere mich eines Augenblicks, wo mir Bellini in 
einem so liebenswürdigen Lichte erschien, daß ich ihn
mit Vergnügen betrachtete und mir vornahm, ihn 
näher kennenzulernen. Aber es war leider der letzte 
Augenblick, wo ich ihn in diesem Leben sehen sollte. 
Dieses war eines Abends, nachdem wir im Hause 
einer großen Dame, die den kleinsten Fuß in Paris 
hat, miteinander gespeist und sehr heiter geworden 
und am Fortepiano die süßesten Melodien erklan-
gen... Ich sehe ihn noch immer, den guten Bellini, wie
er, endlich erschöpft von den vielen tollen Bellinis-
men, die er geschwatzt, sich auf einen Sessel nieder-
ließ... Dieser Sessel war sehr niedrig, fast wie ein 
Bänkchen, so daß Bellini dadurch gleichsam zu den 
Füßen einer schönen Dame zu sitzen kam, die sich, 
ihm gegenüber, auf ein Sofa hingestreckt hatte und 
mit süßer Schadenfreude auf Bellini hinabsah, wäh-
rend dieser sich abarbeitete, sie mit einigen französi-
schen Redensarten zu unterhalten, und er immer in die
Notwendigkeit geriet, das, was er eben gesagt hatte, 
in seinem sizilianischen Jargon zu kommentieren, um 
zu beweisen, daß es keine Sottise, sondern im Gegen-
teil die feinste Schmeichelei gewesen sei. Ich glaube, 
daß die schöne Dame auf Bellinis Redensarten gar 
nicht viel hinhörte; sie hatte ihm sein spanisches 
Röhrchen, womit er seiner schwachen Rhetorik 
manchmal zu Hülfe kommen wollte, aus den Händen 
genommen und bediente sich dessen, um den zierli-
chen Lockenbau an den beiden Schläfen des jungen 
Maestro ganz ruhig zu zerstören. Diesem mutwilligen
Geschäfte galt wohl jenes Lächeln, das ihrem Gesich-
te einen Ausdruck gab, wie ich ihn nie auf einem le-
benden Menschenantlitz gesehen. Nie kommt mir die-
ses Gesicht aus dem Gedächtnisse! Es war eins jener 
Gesichter, die mehr dem Traumreich der Poesie als 
der rohen Wirklichkeit des Lebens zu gehören schei-
nen; Konturen, die an da Vinci erinnern, jenes edle 
Oval mit den naiven Wangengrübchen und dem senti-
mental spitz zulaufenden Kinn der lombardischen 
Schule. Die Färbung mehr römisch sanft, matter Per-
lenglanz, vornehme Blässe, Morbidezza. Kurz, es war
ein Gesicht, wie es nur auf irgendeinem altitalieni-
schen Porträte gefunden wird, das etwa eine von jenen
großen Damen vorstellt, worin die italienischen 
Künstler des sechzehnten Jahrhunderts verliebt waren,
wenn sie ihre Meisterwerke schufen, woran die Dich-
ter jener Zeit dachten, wenn sie sich unsterblich san-
gen, und wonach die deutschen und französischen 
Kriegshelden Verlangen trugen, wenn sie sich das 
Schwert umgürteten und tatensüchtig über die Alpen 
stürzten... Ja, ja, so ein Gesicht war es, worauf ein 
Lächeln der süßesten Schadenfreude und des vor-
nehmsten Mutwillens spielte, während sie, die schöne
Dame, mit der Spitze des spanischen Rohrs den blon-
den Lockenbau des guten Bellini zerstörte. In diesem 
Augenblick erschien mir Bellini wie berührt von 
einem Zauberstäbchen, wie umgewandelt zu einer 
durchaus befreundeten Erscheinung, und er wurde 
meinem Herzen auf einmal verwandt. Sein Gesicht er-
glänzte im Widerschein jenes Lächelns, es war viel-
leicht der blühendste Moment seines Lebens... Ich 
werde ihn nie vergessen... Vierzehn Tage nachher las 
ich in der Zeitung, daß Italien einen seiner rühmlich-
sten Söhne verloren!
Sonderbar! Zu gleicher Zeit wurde auch der Tod 
Paganinis angezeigt. An diesem Todesfall zweifelte 
ich keinen Augenblick, da der alte, fahle Paganini 
immer wie ein Sterbender aussah; doch der Tod des 
jungen, rosigen Bellini kam mir unglaublich vor. Und
doch war die Nachricht vom Tode des ersteren nur ein
Zeitungsirrtum, Paganini befindet sich frisch und ge-
sund zu Genua, und Bellini liegt im Grabe zu Paris!«
»Lieben Sie Paganini?« frug Maria.
»Dieser Mann«, antwortete Maximilian, »ist eine 
Zierde seines Vaterlandes und verdient gewiß die aus-
gezeichnetste Erwähnung, wenn man von den musika-
lischen Notabilitäten Italiens sprechen will.«
»Ich habe ihn nie gesehen«, bemerkte Maria, »aber 
dem Rufe nach soll sein Äußeres den Schönheitssinn 
nicht vollkommen befriedigen. Ich habe Porträte von 
ihm gesehen...«
»Die alle nicht ähnlich sind«, fiel ihr Maximilian in
die Rede; »sie verhäßlichen oder verschönern ihn, nie 
geben sie seinen wirklichen Charakter. Ich glaube, es 
ist nur einem einzigen Menschen gelungen, die wahre 
Physiognomie Paganinis aufs Papier zu bringen; es ist
ein tauber Maler, namens Lyser, der, in seiner geist-
reichen Tollheit, mit wenigen Kreidestrichen den 
Kopf Paganinis so gut getroffen hat, daß man ob der 
Wahrheit der Zeichnung zugleich lacht und erschrickt.
›Der Teufel hat mir die Hand geführt‹, sagte mir der 
taube Maler, geheimnisvoll kichernd und gutmütig 
ironisch mit dem Kopfe nickend, wie er bei seinen ge-
nialen Eulenspiegeleien zu tun pflegte. Dieser Maler 
war immer ein wunderlicher Kauz; trotz seiner Taub-
heit liebte er enthusiastisch die Musik, und er soll es 
verstanden haben, wenn er sich nahe genug am Orche-
ster befand, den Musikern die Musik auf dem Gesich-
te zu lesen und an ihren Fingerbewegungen die mehr 
oder minder gelungene Exekution zu beurteilen; auch 
schrieb er die Operkritiken in einem schätzbaren Jour-
nale zu Hamburg. Was ist eigentlich da zu verwun-
dern? In der sichtbaren Signatur des Spieles konnte 
der taube Maler die Töne sehen. Gibt es doch Men-
schen, denen die Töne selber nur unsichtbare 
Signaturen sind, worin sie Farben und Gestalten 
hören.«
»Ein solcher Mensch sind Sie!« rief Maria.
»Es ist mir leid, daß ich die kleine Zeichnung von 
Lyser nicht mehr besitze; sie würde Ihnen vielleicht 
von Paganinis Äußerem einen Begriff verleihen. Nur 
in grell schwarzen, flüchtigen Strichen konnten jene 
fabelhaften Züge erfaßt werden, die mehr dem 
schweflichten Schattenreich als der sonnigen Lebens-
welt zu gehören scheinen. ›Wahrhaftig, der Teufel hat
mir die Hand geführt‹, beteuerte mir der taube Maler, 
als wir zu Harnburg vor dem Alsterpavillon standen, 
an dem Tage, wo Paganini dort sein erstes Konzert 
gab. ›Ja, mein Freund‹, fuhr er fort, ›es ist wahr, was 
die ganze Welt behauptet, daß er sich dem Teufel ver-
schrieben hat, Leib und Seele, um der beste Violinist 
zu werden, um Millionen zu erfiedeln, und zunächst, 
um von der verdammten Galeere loszukommen, wo er
schon viele Jahre geschmachtet. Denn sehen Sie, 
Freund, als er zu Lucca Kapellenmeister war, verlieb-
te er sich in eine Theaterprinzessin, ward eifersüchtig 
auf irgendeinen kleinen Abate, ward vieleicht cocu, 
erstach auf gut italienisch seine ungetreue Amata, 
kam auf die Galeere zu Genua und, wie gesagt, ver-
schrieb sich endlich dem Teufel, um loszukommen, 
um der beste Violinspieler zu werden und um jeden 
von uns diesen Abend eine Brandschatzung von zwei 
Talern auferlegen zu können... Aber, sehen Sie! Alle 
gute Geister loben Gott! sehen Sie, dort in der Allee 
kommt er selber mit seinem zweideutigen Famulo!‹
In der Tat, es war Paganini selber, den ich alsbald 
zu Gesicht bekam. Er trug einen dunkelgrauen Ober-
rock, der ihm bis zu den Füßen reichte, wodurch seine
Gestalt sehr hoch zu sein schien. Das lange schwarze 
Haar fiel in verzerrten Locken auf seine Schulter 
herab und bildete wie einen dunklen Rahmen um das 
blasse, leichenartige Gesicht, worauf Kummer, Genie 
und Hölle ihre unverwüstlichen Zeichen eingegraben 
hatten. Neben ihm tänzelte eine niedrige, behagliche 
Figur, putzig prosaisch: rosig verrunzeltes Gesicht, 
hellgraues Röckchen mit Stahlknöpfen, unausstehlich 
freundlich nach allen Seiten hingrüßend, mitunter 
aber, voll besorglicher Scheu, nach der düsteren Ge-
stalt hinaufschielend, die ihm ernst und nachdenklich 
zur Seite wandelte. Man glaubte das Bild von Retzsch
zu sehen, wo Faust mit Wagner vor den Toren von 
Leipzig spazierengeht. Der taube Maler kommentierte
mir aber die beiden Gestalten in seiner tollen Weise 
und machte mich besonders aufmerksam auf den ge-
messenen breiten Gang des Paganini. ›Ist es nicht‹, 
sagte er, ›als trüge er noch immer die eiserne Quer-
stange zwischen den Beinen? Er hat sich nun ein mal 
diesen Gang auf immer angewöhnt. Sehen Sie auch, 
wie verächtlich ironisch er auf seinen Begleiter 
manchmal hinabschaut, wenn dieser ihm mit seinen 
prosaischen Fragen lästig wird; er kann ihn aber nicht
entbehren, ein blutiger Kontrakt bindet ihn an diesen 
Diener, der eben kein andrer ist als Satan. Das unwis-
sende Volk meint freilich, dieser Begleiter sei der Ko-
mödien- und Anekdotenschreiber Harrys aus Hanno-
ver, den Paganini auf Reisen mitgenommen habe, um 
die Geldgeschäfte bei seinen Konzerten zu verwalten. 
Das Volk weiß nicht, daß der Teufel dem Herrn 
Georg Harrys bloß seine Gestalt abgeborgt hat und 
daß die arme Seele dieses armen Menschen unterdes-
sen, neben anderem Lumpenkram, in einem Kasten zu
Hannover so lange eingesperrt sitzt, bis der Teufel ihr
wieder ihre Fleischenveloppe zurückgibt und er viel-
leicht seinen Meister Paganini in einer würdigeren 
Gestalt, nämlich als schwarzer Pudel, durch die Welt 
begleiten wird.‹
War mir aber Paganini, als ich ihn am hellen Mit-
tage, unter den grünen Bäumen des Hamburger Jung-
fernstiegs, einherwandeln sah, schon hinlänglich fa-
belhaft und abenteuerlich erschienen, wie mußte mich 
erst des Abends im Konzerte seine schauerlich bizarre
Erscheinung überraschen. Das Hamburger Komödien-
haus war der Schauplatz dieses Konzertes, und das 
kunstliebende Publikum hatte sich schon frühe und in 
solcher Anzahl eingefunden, daß ich kaum noch ein 
Plätzchen für mich am Orchester erkämpfte. Obgleich
es Posttag war, erblickte ich doch, in den ersten 
Ranglogen, die ganze gebildete Handelswelt, einen 
ganzen Olymp von Bankiers und sonstigen Millionä-
ren, die Götter des Kaffees und des Zuckers, nebst 
deren dicken Ehegöttinnen, Junonen vom Wandrahm 
und Aphroditen vom Dreckwall. Auch herrschte eine 
religiöse Stille im ganzen Saal. Jedes Auge war nach 
der Bühne gerichtet. Jedes Ohr rüstete sich zum 
Hören. Mein Nachbar, ein alter Pelzmakler, nahm 
seine schmutzige Baumwolle aus den Ohren, um bald 
die kostbaren Töne, die zwei Taler Entreegeld koste-
ten, besser einsaugen zu können. Endlich aber, auf der
Bühne kam eine dunkle Gestalt zum Vorschein, die 
der Unterwelt entstiegen zu sein schien. Das war Pa-
ganini in seiner schwarzen Gala. Der schwarze Frack 
und die schwarze Weste von einem entsetzlichen Zu-
schnitt, wie er vielleicht am Hofe Proserpinens von 
der höllischen Etikette vorgeschrieben ist. Die 
schwarzen Hosen ängstlich schlotternd um die dünnen
Beine. Die langen Arme schienen noch verlängert, 
indem er in der einen Hand die Violine und in der an-
deren den Bogen gesenkt hielt und damit fast die Erde
berührte, als er vor dem Publikum seine unerhörten 
Verbeugungen auskramte. In den eckigen Krümmun-
gen seines Leibes lag eine schauerliche Hölzernheit 
und zugleich etwas närrisch Tierisches, daß uns bei 
diesen Verbeugungen eine sonderbare Lachlust 
anwandeln mußte; aber sein Gesicht, das durch die 
grelle Orchesterbeleuchtung noch leichenartig weißer 
erschien, hatte alsdann so etwas Flehendes, so etwas 
blödsinnig Demütiges, daß ein grauenhaftes Mitleid 
unsere Lachlust niederdrückte. Hat er diese Kompli-
mente einem Automaten abgelernt oder einem Hunde?
Ist dieser bittende Blick der eines Todkranken, oder 
lauert dahinter der Spott eines schlauen Geizhalses? 
Ist das ein Lebender, der im Verscheiden begriffen ist 
und der das Publikum in der Kunstarena, wie ein ster-
bender Fechter, mit seinen Zuckungen ergötzen soll? 
Oder ist es ein Toter, der aus dem Grabe gestiegen, 
ein Vampir mit der Violine, der uns, wo nicht das 
Blut aus dem Herzen, doch auf jeden Fall das Geld 
aus den Taschen saugt?
Solche Fragen kreuzten sich in unserem Kopfe, 
während Paganini seine unaufhörlichen Komplimente 
schnitt; aber alle dergleichen Gedanken mußten 
stracks verstummen, als der wunderbare Meister seine
Violine ans Kinn setzte und zu spielen begann. Was 
mich betrifft, so kennen Sie ja mein musikalisches 
zweites Gesicht, meine Begabnis, bei jedem Tone, 
den ich erklingen höre, auch die adäquate Klangfigur 
zu sehen; und so kam es, daß mir Paganini mit jedem 
Striche seines Bogens auch sichtbare Gestalten und 
Situationen vor die Augen brachte, daß er mir in tö-
nender Bilderschrift allerlei grelle Geschichten 
erzählte, daß er vor mir gleichsam ein farbiges Schat-
tenspiel hingaukeln ließ, worin er selber immer mit 
seinem Violinspiel als die Hauptperson agierte. 
Schon bei seinem ersten Bogenstrich hatten sich die 
Kulissen um ihn her verändert; er stand mit seinem 
Musikpult plötzlich in einem heitern Zimmer, welches
lustig unordentlich dekoriert, mit verschnörkelten 
Möbeln im Pompadourgeschmack: überall kleine 
Spiegel, vergoldete Amoretten, chinesisches Porzel-
lan, ein allerliebstes Chaos von Bändern, Blumengir-
landen, weißen Handschuhen, zerrissenen Blonden, 
falschen Perlen, Diademen von Goldblech und sonsti-
gem Götterflitterkram, wie man dergleichen im Stu-
dierzimmer einer Primadonna zu finden pflegt. Paga-
ninis Äußeres hatte sich ebenfalls, und zwar aufs al-
lervorteilhafteste, verändert: er trug kurze Beinkleider 
von lilafarbigem Atlas, eine silbergestickte, weiße 
Weste, einen Rock von hellblauem Sammet mit 
goldumsponnenen Knöpfen; und die sorgsam in klei-
nen Löckchen frisierten Haare umspielten sein Ge-
sicht, das ganz jung und rosig blühete und von süßer 
Zärtlichkeit erglänzte, wenn er nach dem hübschen 
Dämchen hinäugelte, das neben ihm am Notenpult 
stand, während er Violine spielte.
In der Tat, an seiner Seite erblickte ich ein hüb-
sches, junges Geschöpf, altmodisch gekleidet, der 
weiße Atlas ausgebauscht unterhalb der Hüften, die 
Taille um so reizender schmal, die gepuderten Haare 
hochauffrisiert, das hübsch runde Gesicht um so freier
hervorglänzend mit seinen blitzenden Augen, mit sei-
nen geschminkten Wänglein, Schönpflästerchen und 
impertinent süßem Näschen. In der Hand trug sie eine
weiße Papierrolle, und sowohl nach ihren Lippenbe-
wegungen als nach dem kokettierenden Hin- und Her-
wiegen ihres Oberleibchens zu schließen, schien sie 
zu singen; aber vernehmlich ward mir kein einziger 
ihrer Triller, und nur aus dem Violinspiel, womit der 
junge Paganini das holde Kind begleitete, erriet ich, 
was sie sang und was er selber während ihres Singens
in der Seele fühlte. Oh, das waren Melodien, wie die 
Nachtigall sie flötet, in der Abenddämmerung, wenn 
der Duft der Rose ihr das ahnende Frühlingsherz mit 
Sehnsucht berauscht! Oh, das war eine schmelzende, 
wollüstig hinschmachtende Seligkeit! Das waren 
Töne, die sich küßten, dann schmollend einander flo-
hen und endlich wieder lachend sich umschlangen und
eins wurden und in trunkener Einheit dahinstarben. 
Ja, die Töne trieben ein heiteres Spiel, wie Schmetter-
linge, wenn einer dem anderen neckend ausweicht, 
sich hinter eine Blume verbirgt, endlich erhascht wird 
und dann mit dem anderen, leichtsinnig beglückt, im 
goldnen Sonnenlichte hinaufflattert. Aber eine Spin-
ne, eine Spinne kann solchen verliebten Schmetterlin-
gen mal plötzlich ein tragisches Schicksal bereiten. 
Ahnte dergleichen das junge Herz? Ein wehmütig 
seufzender Ton, wie Vorgefühl eines heranschleichen-
den Unglücks, glitt leise durch die entzücktesten Me-
lodien, die aus Paganinis Violine hervorstrahlten... 
Seine Augen werden feucht... Anbetend kniet er nie-
der vor seiner Amata... Aber ach! indem er sich beugt,
um ihre Füße zu küssen, erblickt er unter dem Bette 
einen kleinen Abate! Ich weiß nicht, was er gegen den
armen Menschen haben mochte, aber der Genueser 
wurde blaß wie der Tod, er erfaßt den Kleinen mit 
wütenden Händen, gibt ihm diverse Ohrfeigen, sowie 
auch eine beträchtliche Anzahl Fußtritte, schmeißt ihn
gar zur Tür hinaus, zieht alsdann ein langes Stilett 
aus der Tasche und stößt es in die Brust der jungen 
Schöne...
In diesem Augenblick aber erscholl von allen Sei-
ten: ›Bravo! Bravo!‹ Hamburgs begeisterte Männer 
und Frauen zollten ihren rauschendsten Beifall dem 
großen Künstler, welcher eben die erste Abteilung 
seines Konzertes beendigt hatte und sich mit noch 
mehr Ecken und Krümmungen als vorher verbeugte. 
Auf seinem Gesichte, wollte mich bedünken, winselte 
ebenfalls eine noch flehsamere Demut als vorher. In 
seinen Augen starrte eine grauenhafte Ängstlichkeit, 
wie die eines armen Sünders.
›Göttlich!‹ rief mein Nachbar, der Pelzmakler, 
indem er sich in den Ohren kratzte, ›dieses Stück war 
allein schon zwei Taler wert.‹
Als Paganini aufs neue zu spielen begann, ward es 
mir düster vor den Augen. Die Töne verwandelten 
sich nicht in helle Formen und Farben; die Gestalt des
Meisters umhüllte sich vielmehr in finstere Schatten, 
aus deren Dunkel seine Musik mit den schneidendsten
Jammertönen hervorklagte. Nur manchmal, wenn eine
kleine Lampe, die über ihm hing, ihr kümmerliches 
Licht auf ihn warf, erblickte ich sein erbleichtes Ant-
litz, worauf aber die Jugend noch immer nicht erlo-
schen war. Sonderbar war sein Anzug, gespaltet in 
zwei Farben, wovon die eine gelb und die andre rot. 
An den Füßen lasteten ihm schwere Ketten. Hinter 
ihm bewegte sich ein Gesicht, dessen Physiognomie 
auf eine lustige Bocksnatur hindeutete, und lange haa-
richte Hände, die, wie es schien, dazu gehörten, sah 
ich zuweilen hülfreich in die Saiten der Violine grei-
fen, worauf Paganini spielte. Sie führten ihm auch 
manchmal die Hand, womit er den Bogen hielt, und 
ein meckerndes Beifall-Lachen akkompagnierte dann 
die Töne, die immer schmerzlicher und blutender aus 
der Violine hervorquollen. Das waren Töne gleich 
dem Gesang der gefallenen Engel, die mit den Töch-
tern der Erde gebuhlt hatten und, aus dem Reiche der 
Seligen verwiesen, mit schamglühenden Gesichtern in
die Unterwelt hinabstiegen. Das waren Töne, in deren
bodenloser Untiefe weder Trost noch Hoffnung 
glimmte. Wenn die Heiligen im Himmel solche Töne 
hören, erstirbt das Lob Gottes auf ihren verbleichen-
den Lippen, und sie verhüllen weinend ihre frommen 
Häupter! Zuweilen, wenn in die melodischen Qualnis-
se dieses Spiels das obligate Bockslachen hinein-
meckerte, erblickte ich auch im Hintergrunde eine 
Menge kleiner Weibsbilder, die boshaft lustig mit den
häßlichen Köpfen nickten und mit den gekreuzten 
Fingern, in neckender Schadenfreude, ihre Rübchen 
schabten. Aus der Violine drangen alsdann Angstlau-
te und ein entsetzliches Seufzen und ein Schluchzen, 
wie man es noch nie gehört auf Erden und wie man es
vielleicht nie wieder auf Erden hören wird, es seie 
denn im Tale Josaphat, wenn die kolossalen Posaunen
des Gerichts erklingen und die nackten Leichen aus 
ihren Gräbern hervorkriechen und ihres Schicksals 
harren... Aber der gequälte Violinist tat plötzlich 
einen Strich, einen so wahnsinnig verzweifelten 
Strich, daß seine Ketten rasselnd entzweisprangen 
und sein unheimlicher Gehülfe, mitsamt den verhöh-
nenden Unholden, verschwanden.
In diesem Augenblick sagte mein Nachbar, der 
Pelzmakler: ›Schade, schade, eine Saite ist ihm ge-
sprungen, das kommt von dem beständigen Pizzika-
ti!‹
War wirklich die Saite auf der Violine gesprungen?
Ich weiß nicht. Ich bemerkte nur die Transfiguration 
der Töne, und da schien mir Paganini und seine Um-
gebung plötzlich wieder ganz verändert. Jenen konnte
ich kaum wiedererkennen in der braunen Mönch-
stracht, die ihn mehr versteckte als bekleidete. Das 
verwilderte Antlitz halb verhüllt von der Kapuze, 
einen Strick um die Hüfte, barfüßig, eine einsam trot-
zige Gestalt, stand Paganini auf einem felsigen Vor-
sprung am Meere und spielte Violine. Es war, wie 
mich dünkte, die Zeit der Dämmerung, das Abendrot 
überfloß die weiten Meeresfluten, die immer röter 
sich färbten und immer feierlicher rauschten im ge-
heimnisvollsten Einklang mit den Tönen der Violine. 
Je röter aber das Meer wurde, desto fahler erbleichte 
der Himmel, und als endlich die wogenden Wasser 
wie lauter scharlachgrelles Blut aussahen, da ward 
droben der Himmel ganz gespenstischhell, ganz lei-
chenweiß, und groß und drohend traten daraus hervor 
die Sterne... und diese Sterne waren schwarz, schwarz
wie glänzende Steinkohlen. Aber die Töne der Violi-
ne wurden immer stürmischer und kecker, in den 
Augen des entsetzlichen Spielmanns funkelte eine so 
spöttische Zerstörungslust, und seine dünnen Lippen 
bewegten sich so grauenhaft hastig, daß es aussah, als
murmelte er uralt verruchte Zaubersprüche, womit 
man den Sturm beschwört und jene bösen Geister ent-
fesselt, die in den Abgründen des Meeres gefangenlie-
gen. Manchmal, wenn er, den nackten Arm aus dem 
weiten Mönchsärmel lang mager hervorstreckend, mit
dem Fiedelbogen in den Lüften fegte, dann erschien er
erst recht wie ein Hexenmeister, der mit dem Zauber-
stab den Elementen gebietet, und es heulte dann wie 
wahnsinnig in der Meerestiefe, und die entsetzten 
Blutwellen sprangen dann so gewaltig in die Höhe, 
daß sie fast die bleiche Himmelsdecke und die 
schwarzen Sterne dort mit ihrem roten Schaume be-
spritzten. Das heulte, das kreischte, das krachte, als 
ob die Welt in Trümmer zusammenbrechen wollte, 
und der Mönch strich immer hartnäckiger seine Violi-
ne. Er wollte durch die Gewalt seines rasenden Wil-
lens die sieben Siegel brechen, womit Salomon die 
eisernen Töpfe versiegelt, nachdem er darin die über-
wundenen Dämonen verschlossen. Jene Töpfe hat der 
weise König ins Meer versenkt, und eben die Stim-
men der darin verschlossenen Geister glaubte ich zu 
vernehmen, während Paganinis Violine ihre zornig-
sten Baßtöne grollte. Aber endlich glaubte ich gar wie
Jubel der Befreiung zu vernehmen, und aus den roten 
Blutwellen sah ich hervortauchen die Häupter der ent-
fesselten Dämonen: Ungetüme von fabelhafter Häß-
lichkeit, Krokodile mit Fledermausflügeln, Schlangen 
mit Hirschgeweihen, Affen, bemützt mit Trichtermu-
scheln, Seehunde mit patriarchalisch langen Bärten, 
Weibergesichter mit Brüsten an die Stelle der Wan-
gen, grüne Kamelsköpfe, Zwittergeschöpfe von 
unbegreiflicher Zusammensetzung, alle mit kaltklugen
Augen hinglotzend und mit langen Floßtatzen hingrei-
fend nach dem fiedelnden Mönche... Diesem aber, in 
dem rasenden Beschwörungseifer, fiel die Kapuze zu-
rück, und die lockigen Haare, im Winde dahinflat-
ternd, umringelten sein Haupt wie schwarze Schlan-
gen.
Diese Erscheinung war so sinneverwirrend, daß 
ich, um nicht wahnsinnig zu werden, die Ohren mir 
zuhielt und die Augen schloß. Da war nun der Spuk 
verschwunden, und als ich wieder aufblickte, sah ich 
den armen Genueser in seiner gewöhnlichen Gestalt 
seine gewöhnlichen Komplimente schneiden, während
das Publikum aufs entzückteste applaudierte.
›Das ist also das berühmte Spiel auf der G-Saite‹, 
bemerkte mein Nachbar; ›ich spiele selber die Violine
und weiß, was es heißt, dieses Instrument so zu be-
meistern!‹ Zum Glück war die Pause nicht groß, sonst
hätte mich der musikalische Pelzkenner gewiß in ein 
langes Kunstgespräch eingemufft. Paganini setzte 
wieder ruhig seine Violine ans Kinn, und mit dem er-
sten Strich seines Bogens begann auch wieder die 
wunderbare Transfiguration der Töne. Nur gestaltete 
sie sich nicht mehr so grellfarbig und leiblich be-
stimmt. Diese Töne entfalteten sich ruhig, majestä-
tisch wogend und anschwellend, wie die eines Or-
gelchorals in einem Dome; und alles umher hatte sich 
immer weiter und höher ausgedehnt zu einem kolossa-
len Raume, wie nicht das körperliche Auge, sondern 
nur das Auge des Geistes ihn fassen kann. In der 
Mitte dieses Raumes schwebte eine leuchtende Kugel,
worauf riesengroß und stolzerhaben ein Mann stand, 
der die Violine spielte. Diese Kugel, war sie die 
Sonne? Ich weiß nicht. Aber in den Zügen des Man-
nes erkannte ich Paganini, nur idealisch verschönert, 
himmlisch verklärt, versöhnungsvoll lächelnd. Sein 
Leib blühte in kräftigster Männlichkeit, ein hellblaues
Gewand umschloß die veredelten Glieder, um seine 
Schulter wallte, in glänzenden Locken, das schwarze 
Haar; und wie er da fest und sicher stand, ein erhabe-
nes Götterbild, und die Violine strich: da war es, als 
ob die ganze Schöpfung seinen Tönen gehorchte. Er 
war der Mensch-Planet, um den sich das Weltall be-
wegte, mit gemessener Feierlichkeit und in seligen 
Rhythmen erklingend. Diese großen Lichter, die, so 
ruhig glänzend, um ihn her schwebten, waren es die 
Sterne des Himmels, und jene tönende Harmonie, die 
aus ihren Bewegungen entstand, war es der Sphären-
gesang, wovon Poeten und Seher soviel Verzückendes
berichtet haben? Zuweilen, wenn ich angestrengt weit 
hinausschaute in die dämmernde Ferne, da glaubte ich
lauter weiße wallende Gewänder zu sehen, worin ko-
lossale Pilgrime vermummt einherwandelten, mit wei-
ßen Stäben in den Händen und sonderbar! die goldnen
Knöpfe jener Stäbe waren eben jene großen Lichter, 
die ich für Sterne gehalten hatte. Diese Pilgrime 
zogen in weiter Kreisbahn um den großen Spielmann 
umher, von den Tönen seiner Violine erglänzten 
immer heller die goldnen Knöpfe ihrer Stäbe, und die 
Choräle, die von ihren Lippen erschollen und die ich 
für Sphärengesang halten konnte, waren eigentlich 
nur das verhallende Echo jener Violinentöne. Eine un-
nennbare heilige Inbrunst wohnte in diesen Klängen, 
die manchmal kaum hörbar erzitterten, wie geheim-
nisvolles Flüstern auf dem Wasser, dann wieder süß-
schauerlich anschwollen, wie Waldhorntöne im 
Mondschein, und dann endlich mit ungezügeltem 
Jubel dahinbrausten, als griffen tausend Barden in die
Saiten ihrer Harfen und erhüben ihre Stimmen zu 
einem Siegeslied. Das waren Klänge, die nie das Ohr 
hört, sondern nur das Herz träumen kann, wenn es des
Nachts am Herzen der Geliebten ruht. Vielleicht auch 
begreift sie das Herz am hellen lichten Tage, wenn es 
sich jauchzend versenkt in die Schönheitslinien und 
Ovalen eines griechischen Kunstwerks...«
»Oder wenn man eine Bouteille Champagner zuviel
getrunken hat!« ließ sich plötzlich eine lachende 
Stimme vernehmen, die unseren Erzähler wie aus 
einem Traume weckte. Als er sich umdrehte, erblickte
er den Doktor, der, in Begleitung der schwarzen De-
bora, ganz leise ins Zimmer getreten war, um sich zu 
erkundigen, wie seine Medizin auf die Kranke gewirkt
habe.
»Dieser Schlaf gefällt mir nicht«, sprach der Dok-
tor, indem er nach dem Sofa zeigte.
Maximilian, welcher, versunken in den Phantasmen
seiner eignen Rede, gar nicht gemerkt hatte, daß 
Maria schon lange eingeschlafen war, biß sich ver-
drießlich in die Lippen.
»Dieser Schlaf«, fuhr der Doktor fort, »verleiht 
ihrem Antlitz schon ganz den Charakter des Todes. 
Sieht es nicht schon aus wie jene weißen Masken, 
jene Gipsabgüsse, worin wir die Züge der Verstorbe-
nen zu bewahren suchen?«
»Ich möchte wohl«, flüsterte ihm Maximilian ins 
Ohr, »von dem Gesichte unserer Freundin einen sol-
chen Abguß aufbewahren. Sie wird auch als Leiche 
noch sehr schön sein.«
»Ich rate Ihnen nicht dazu«, entgegnete der Doktor.
»Solche Masken verleiden uns die Erinnerung an un-
sere Lieben. Wir glauben, in diesem Gipse sei noch 
etwas von ihrem Leben enthalten, und was wir darin 
aufbewahrt haben, ist doch ganz eigentlich der Tod 
selbst. Regelmäßig schöne Züge bekommen hier 
etwas grauenhaft Starres, Verhöhnendes, Fatales, wo-
durch sie uns mehr erschrecken als erfreuen. Wahre 
Karikaturen aber sind die Gipsabgüsse von Gesich-
tern, deren Reiz mehr von geistiger Art war, deren 
Züge weniger regelmäßig als interessant gewesen; 
denn sobald die Grazien des Lebens darin erloschen 
sind, werden die wirklichen Abweichungen von den 
idealen Schönheitslinien nicht mehr durch geistige 
Reize ausgeglichen. Gemeinsam ist aber allen diesen 
Gipsgesichtern ein gewisser rätselhafter Zug, der uns 
bei längerer Betrachtung aufs unleidlichste die Seele 
durchfröstelt; sie sehen alle aus wie Menschen, die im
Begriffe sind, einen schweren Gang zu gehen.«
»Wohin?« frug Maximilian, als der Doktor seinen 
Arm ergriff und ihn aus dem Zimmer fortführte.

Erste Nacht | Zweite Nacht