Der Doktor Faust

Ein Tanzpoem nebst kuriosen Berichten über
Teufel, Hexen und Dichtkunst

Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Einleitende Bemerkung | Der Doktor Faust | Erläuterungen


Herr Lumley, Direktor des Theaters Ihrer Majestät 
der Königin zu London, forderte mich auf, für seine 
Bühne ein Ballett zu schreiben, und diesem Wunsche 
willfahrend, dichtete ich das nachfolgende Poem. Ich 
nannte es »Doktor Faust, ein Tanzpoem«. Doch die-
ses Tanzpoem ist nicht zur Aufführung gekommen, 
teils, weil in der Saison, für welche dasselbe angekün-
digt war, der beispiellose Sukzeß der sogenannten 
schwedischen Nachtigall jede andere Exhibition im 
Theater der Königin überflüssig machte, teils auch, 
weil der Ballettmeister aus esprit de corps de ballet, 
hemmend und säumend, alle möglichen Böswilligkei-
ten ausübte. Dieser Ballettmeister hielt es nämlich für
eine gefährliche Neuerung, daß einmal ein Dichter das
Libretto eines Balletts gedichtet hatte, während doch 
solche Produkte bisher immer nur von Tanzaffen sei-
ner Art, in Kollaboration mit irgendeiner dürftigen Li-
teratenseele, geliefert worden. Armer Faust! armer 
Hexenmeister! so mußtest du auf die Ehre verzichten, 
vor der großen Viktoria von England deine Schwarz-
künste zu produzieren! Wird es dir in deiner Heimat 
besser gehn? Sollte gegen mein Erwarten irgendeine 
deutsche Bühne ihren guten Geschmack dadurch be-
kunden, daß sie mein Opus zur Aufführung brächte, 
so bitte ich die hochlöbliche Direktion, bei dieser Ge-
legenheit auch nicht zu versäumen, das dem Autor ge-
bührende Honorar, durch Vermittlung der Buchhand-
lung von Hoffmann und Campe zu Hamburg, mir 
oder meinen Rechtsnachfolgern zukommen zu lassen. 
Ich halte es nicht für überflüssig, zu bemerken, daß 
ich, um das Eigentumsrecht meines Balletts in Frank-
reich zu sichern, bereits eine französische Überset-
zung drucken ließ und die gesetzlich vorgeschriebene 
Anzahl Exemplare an gehörigem Orte deponiert habe.
Als ich das Vergnügen hatte, dem Herrn Lumley 
mein Ballettmanuskript einzuhändigen, und wir, bei 
einer duftigen Tasse Tee, uns über den Geist der 
Faustsage und meine Behandlung derselben unterhiel-
ten, ersuchte mich der geistreiche Impresario, das We-
sentliche unseres Gespräches aufzuzeichnen, damit er 
späterhin das Libretto damit bereichern könnte, wel-
ches er am Abend der Aufführung seinem Publikum 
zu übergeben gedachte. Auch solchem freundlichen 
Begehr nachkommend, schrieb ich den Brief an Lum-
ley, den ich abgekürzt am Ende dieses Büchleins mit-
teile, da vielleicht auch dem deutschen Leser diese 
flüchtigen Blätter einiges Interesse gewähren dürften.
Wie über den historischen Faust habe ich in dem 
Briefe an Lumley auch über den mythischen Faust nur
dürftige Andeutungen gegeben. Ich kann nicht umhin,
in bezug auf die Entstehung und Entwickelung dieses 
Faustes der Sage, der Faustfabel, hier das Resultat 
meiner Forschungen mit wenigen Worten zu resümie-
ren.
Es ist nicht eigentlich die Legende vom Theophi-
lus, Seneschall des Bischofs von Adama in Sizilien, 
sondern eine alte anglosächsische dramatische Be-
handlung derselben, welche als die Grundlage der 
Faustfabel zu betrachten ist. In dem noch vorhande-
nen plattdeutschen Gedichte vom Theophilus sind alt-
sächsische oder anglosächsische Archäismen, gleich-
sam Wortversteinerungen, fossile Redensarten enthal-
ten, welche darauf hinweisen, daß dieses Gedicht nur 
eine Nachbildung eines älteren Originals ist, das im 
Laufe der Zeit verlorengegangen. Kurz nach der Inva-
sion Englands durch die französischen Normannen 
muß jenes anglosächsische Gedicht noch existiert 
haben, denn augenscheinlich ward dasselbe von 
einem französischen Poeten, dem Troubadour Rute-
bœuf, fast wörtlich nachgeahmt und als ein mystere in
Frankreich aufs Theater gebracht. Für diejenigen, 
denen die Sammlung von Monmerqué, worin auch 
dieses mystere abgedruckt, nicht zugänglich ist, be-
merke ich, daß der gelehrte Magnin vor etwa sieben 
Jahren im »Journal des savants« über das erwähnte 
mystere hinlänglich Auskunft gibt. Dieses Mysterium 
vom Troubadour Rutebœuf benutzte nun der engli-
sche Dichter Marlowe, als er seinen »Faust« schrieb, 
indem er die analoge Sage vom deutschen Zauberer 
Faust nach dem älteren Faustbuche, wovon es bereits 
eine englische Übersetzung gab, in die dramatische 
Form kleidete, die ihm das französische, auch in Eng-
land bekannte Mysterium bot. Das Mysterium des 
Theophilus und das ältere Volksbuch vom Faust sind 
also die beiden Faktoren, aus welchen das Marlowe-
sche Drama hervorgegangen. Der Held desselben ist 
nicht mehr ein ruchloser Rebell gegen den Himmel, 
der, verführt von einem Zauberer und um irdische 
Güter zu gewinnen, seine Seele dem Teufel ver-
schreibt, aber endlich durch die Gnade der Muttergot-
tes, die den Pakt aus der Hölle zurückholt, gerettet 
wird, gleich dem Theophilus, sondern der Held des 
Stücks ist hier selbst ein Zauberer; in ihm, wie im Ne-
kromanten des Faustbuchs, resümieren sich die Sagen
von allen früheren Schwarzkünstlern, deren Künste er
vor den höchsten Herrschaften produziert, und zwar 
geschieht solches auf protestantischem Boden, den die
rettende Muttergottes nicht betreten darf, weshalb 
auch der Teufel den Zauberer holt ohne Gnade und 
Barmherzigkeit. Die Puppenspieltheater, die zur 
Shakespeareschen Zeit in London florierten und sich 
eines jeden Stückes, das auf den großen Bühnen 
Glück machte, gleich bemächtigten, haben gewiß 
auch nach dem Marloweschen Vorbilde einen »Faust«
zu geben gewußt, indem sie das Originaldrama mehr 
oder minder ernsthaft parodierten oder ihren Lokalbe-
dürfnissen gemäß zustutzten oder auch, wie oft ge-
schah, von dem Verfasser selbst für den Standpunkt 
ihres Publikums umarbeiten ließen. Es ist nun jener 
Puppenspiel-Faust, der von England herüber nach 
dem Festland kam, durch die Niederlande reisend, 
auch die Marktbuden unserer Heimat besuchte und, in
derb deutscher Maulart übersetzt und mit deutschen 
Hanswurstiaden verballhornt, die unteren Schichten 
des deutschen Volkes ergötzte. Wie verschieden auch 
die Versionen, die sich im Laufe der Zeit, besonders 
durch das Improvisieren, gebildet, so blieb doch das 
Wesentliche unverändert, und einem solchen Puppen-
spiele, das Wolfgang Goethe in einem Winkeltheater 
zu Straßburg aufführen sah, hat unser großer Dichter 
die Form und den Stoff seines Meisterwerks entlehnt. 
In der ersten Fragmentausgabe des Goetheschen 
»Faustes« ist dieses am sichtbarsten; diese entbehrt 
noch die der »Sakontola« entnommene Einleitung und
einen dem Hiob nachgebildeten Prolog, sie weicht 
noch nicht ab von der schlichten Puppenspiel-form, 
und es ist kein wesentliches Motiv darin enthalten, 
welches auf eine Kenntnis der älteren Originalbücher 
von Spieß und Widmann schließen läßt.
Das ist die Genesis der Faustfabel, von dem Theo-
philus-Gedichte bis auf Goethe, der sie zu ihrer jetzi-
gen Popularität erhoben hat. - Abraham zeugte den 
Isaak, Isaak zeugte den Jakob, Jakob aber zeugte den 
Juda, in dessen Händen das Zepter ewig bleiben wird.
In der Literatur wie im Leben hat jeder Sohn einen 
Vater, den er aber freilich nicht immer kennt oder den 
er gar verleugnen möchte.

Geschrieben zu Paris, den 1. Oktober 1851


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