Seltsam! - wenn ich der Dei von Tunis wäre, Schlüg ich, bei so zweideut'gem Vorfall, Lärm. Kleists »Prinz von Homburg« Berlin, den 26. Januar 1822 Ihr sehr lieber Brief vom 5. d. M. hat mich mit dergrößten Freude erfüllt, da sich darin Ihr Wohlwollen gegen mich am unverkennbarsten aussprach. Es er- quickt mir die Seele, wenn ich erfahre, daß so viele gute und wackere Menschen mit Interesse und Liebe meiner gedenken. Glauben Sie nur nicht, daß ich unseres Westfalens so bald vergessen hätte. Der September 1821 schwebt mir noch zu sehr im Gedächtnis. Die schönen Täler um Hagen, der freundliche Overweg in Unna, die an- genehmen Tage in Hamm, der herrliche Fritz v. B., Sie, W., die Altertümer in Soest, selbst die Paderbor- ner Heide, alles steht noch lebendig vor mir. Ich höre noch immer, wie die alten Eichenwälder mich umrau- schen, wie jedes Blatt mir zuflüstert: »Hier wohnten die alten Sachsen, die am spätesten Glauben und Ger- manentum einbüßten.« Ich höre noch immer, wie ein uralter Stein mir zuruft: »Wandrer, steh, hier hat Armin den Varus geschlagen!« - Man muß zu Fuß, und zwar, wie ich, in östreichischen Landwehrtage- märschen Westfalen durchwandern, wenn man den kräftigen Ernst, die biedere Ehrlichkeit und an- spruchslose Tüchtigkeit seiner Bewohner kennenler- nen will. - Es wird mir gewiß recht viel Vergnügen machen, wenn ich, wie Sie mir schreiben, durch Mit- teilungen aus der Residenz mir so viele liebe Men- schen verpflichte. Ich habe mir gleich bei Empfang Ihres Briefes Papier und Feder zurechtgelegt und bin schon jetzt - am Schreiben. An Notizen fehlt es nicht, und es ist nur die Aufga- be: Was soll ich nicht schreiben? d. h., was weiß das Publikum schon längst, was ist demselben ganz gleichgültig und was darf es nicht wissen? Und dann ist die Aufgabe: Vielerlei zu schreiben sowenig als möglich vom Theater und solchen Gegenständen, die in der »Abendzeitung«, im »Morgenblatte«, im »Wie- ner Konversationsblatte« usw. die gewöhnlichen Hebe der Korrespondenz sind und dort ihre ausführli- che und systematische Darstellung finden. Den einen interessiert's, wenn ich erzähle, daß Jagor die Zahl ge- nialer Erfindungen kürzlich durch sein Trüffeleis ver- mehrt hat; den andern interessiert die Nachricht, daß Spontini beim letzten Ordensfest Rock und Hosen trug von grünem Sammet mit goldenen Sternchen. Nur verlangen Sie von mir keine Systematie; das ist der Würgengel aller Korrespondenz. Ich spreche heute von den Redouten und den Kirchen, morgen von Savigny und den Possenreißern, die in seltsamen Aufzügen durch die Stadt ziehen, übermorgen von der Giustinianischen Galerie und dann wieder von Savi- gny und den Possenreißern. Assoziation der Ideen soll immer vorwalten. Alle vier oder sechs Wochen soll ein Brief folgen. Die zwei ersten werden unverhältnis- mäßig lang werden, da ich doch vorher das äußere und das innere Leben Berlins andeuten muß. Nur an- deuten, nicht ausmalen. Aber womit fange ich an bei dieser Masse von Materialien? Hier hilft eine franzö- sische Regel: Commencez par le commencement. Ich fange also mit der Stadt an und denke mir, ich sei wieder soeben an der Post auf der Königstraße ab- gestiegen und lasse mir den leichten Koffer nach dem »Schwarzen Adler« auf der Poststraße tragen. Ich sehe Sie schon fragen: »Warum ist denn die Post nicht auf der Poststraße und der ›Schwarze Adler‹ auf der Königstraße?« Ein andermal beantworte ich diese Frage; aber jetzt will ich durch die Stadt laufen, und ich bitte Sie, mir Gesellschaft zu leisten. Folgen Sie mir nur ein paar Schritte, und wir sind schon auf einem sehr interessanten Platze. Wir stehen auf der Langen Brücke. Sie wundern sich: »Die ist aber nicht sehr lang?« Es ist Ironie, mein Lieber. Laßt uns hier einen Augenblick stehenbleiben und die große Statue des Großen Kurfürsten betrachten. Er sitzt stolz zu Pferde, und gefesselte Sklaven umgeben das Fußge- stell. Es ist ein herrlicher Metallguß und unstreitig das größte Kunstwerk Berlins. Und ist ganz umsonst zu sehen, weil es mitten auf der Brücke steht. Es hat die meiste Ähnlichkeit mit der Statue des Kurfürsten Johann Wilhelm auf dem Markte zu Düsseldorf, nur daß hier in Berlin der Schwanz des Pferdes nicht so bedeutend dick ist. Aber ich sehe, Sie werden von allen Seiten gestoßen. Auf dieser Brücke ist ein ewi- ges Menschengedränge. Sehen Sie sich mal um. Wel- che große, herrliche Straße! Das ist eben die König- straße, wo ein Kaufmannsmagazin ans andre grenzt und die bunten, leuchtenden Warenausstellungen fast das Auge blenden. Laßt uns weitergehen, wir gelan- gen hier auf den Schloßplatz. Rechts das Schloß, ein hohes, großartiges Gebäude. Die Zeit hat es grau ge- färbt und gab ihm ein düsteres, aber desto majestäti- scheres Ansehen. Links wieder zwei schöne Straßen, die Breite Straße und die Brüderstraße. Aber gerade vor uns ist die Stechbahn, eine Art Boulevard. Und hier wohnt Josty! - Ihr Götter des Olymps, wie würde ich euch euer Ambrosia verleiden, wenn ich die Sü- ßigkeiten beschriebe, die dort aufgeschichtet stehen. Oh, kenntet ihr den Inhalt dieser Baisers! O Aphrodi- te, wärest du solchem Schaum entstiegen, du wärest noch viel süßer! Das Lokal ist zwar eng und dumpfig und wie eine Bierstube dekoriert, doch das Gute wird immer den Sieg über das Schöne behaupten; zusam- mengedrängt wie die Bücklinge sitzen hier die Enkel der Brennen und schlürfen Creme und schnalzen vor Wonne und lecken die Finger. Fort, fort von hier!Wir können durch das Schloß gehen und sind au- genblicklich im Lustgarten. »Wo ist aber der Gar- ten?« fragen Sie Ach Gott! merken Sie denn nicht, das ist wieder die Ironie. Es ist ein viereckiger Platz, der von einer Doppelreihe Pappeln eingeschlossen ist. Wir stoßen hier auf eine Marmorstatue, wobei eine Schildwache steht. Das ist der Alte Dessauer. Er steht ganz in altpreußischer Uniform, durchaus nicht ideali- siert, wie die Helden auf dem Wilhelmsplatze. Diese will ich Ihnen nächstens zeigen, es sind Keith, Zie- then, Seidlitz, Schwerin und Winterfeldt, beide letzte- re in römischem Kostüm mit einer Allongeperücke. Hier stehen wir just vor der Domkirche, die ganz kürzlich von außen neu verziert wurde und auf beiden Seiten des großen Turms zwei neue Türmchen erhielt. Der große, oben geründete Turm ist nicht übel. Aber die beiden jungen Türmchen machen eine höchst lächerliche Figur. Sehen aus wie Vogelkörbe. Man erzählt auch, der große Philolog W. sei vorigen Som- mer mit dem hier durchreisenden Orientalisten H. spazierengegangen, und als letzterer, nach dem Dome zeigend fragte: »Was bedeuten denn die beiden Vo- gelkörbe da oben?«, habe der gelehrte Witzbold ge- antwortet: »Hier werden Dompfaffen abgerichtet.« In zwei Nischen des Doms sollen die Statuen von Luther und Melanchthon aufgestellt werden. - Wollen wir in den Dom hineingehen, um dort das wunderschöne Bild von Begasse zu bewundern? Sie können sich dort auch erbauen an dem Prediger Theremin. Doch laßt uns drauß bleiben, es wird auf die Paulusianer gestichelt. Das macht mir keinen Spaß. Betrachten Sie lieber gleich rechts, neben dem Dom, die vielbe- wegte Menschenmasse, die sich in einem viereckigen, eisenumgitterten Platz herumtreibt. Das ist die Börse. Dort schachern die Bekenner des Alten und des Neuen Testaments. Wir wollen ihnen nicht zu nahe kommen. O Gott, welche Gesichter! Habsucht in jeder Muskel. Wenn sie die Mäuler öffnen, glaub ich mich angeschrien: »Gib mir all dein Geld!« Mögen schon viel zusammengescharrt haben. Die Reichsten sind gewiß die, auf deren fahlen Gesichtern die Unzufrie- denheit und der Mißmut am tiefsten eingeprägt liegt. Wieviel glücklicher ist doch mancher arme Teufel, der nicht weiß, ob ein Louisdor rund oder eckig ist. Mit Recht ist hier der Kaufmann wenig geachtet. Desto mehr sind es die Herren dort mit den großen Federhü- ten und den rot ausgeschlagenen Röcken. Denn der Lustgarten ist auch der Platz, wo täglich die Parole ausgegeben und die Wachtparade gemustert wird. Ich bin zwar kein sonderlicher Freund vom Militärwesen, doch muß ich gestehen, es ist mir immer ein freudiger Anblick, wenn ich im Lustgarten die preußischen Of- fiziere zusammenstehen sehe. Schöne, kräftige, rüsti- ge, lebenslustige Menschen. Zwar hier und da sieht man ein aufgeblasenes, dummstolzes Aristokratenge- sicht aus der Menge hervorglotzen. Doch findet man beim größern Teile der hiesigen Offiziere, besonders bei den jüngern, eine Bescheidenheit und Anspruchs- losigkeit, die man um so mehr bewundern muß, da, wie gesagt, der Militärstand der angesehenste in Ber- lin ist. Freilich, der ehemalige schroffe Kastengeist desselben wurde schon dadurch sehr gemildert, daß jeder Preuße wenigstens ein Jahr Soldat sein muß und, vom Sohn des Königs bis zum Sohn des Schuh- flickers, keiner davon verschont bleibt. Letzteres ist gewiß sehr lästig und drückend, doch in mancher Hin- sicht auch sehr heilsam. Unsre Jugend ist dadurch ge- schützt vor der Gefahr der Verweichlichung. In man- chen Staaten hört man weniger klagen über das Drückende des Militärdienstes, weil man dort alle Last desselben auf den armen Landmann wirft, während der Adlige, der Gelehrte, der Reiche und, wie z. B. in Holstein der Fall ist, sogar jeder Bewoh- ner einer Stadt von allem Militärdienste befreit ist. Wie würden alle Klagen über letztern bei uns ver- stummen, wenn unsere lautmauligen Spießbürger, un- sere politisierenden Ladenschwengel, unsere genialen Auskultatoren, Büroschreiber, Poeten und Pflastertre- ter vom Dienste befreit wären. Sehen Sie dort, wie der Bauer exerziert? Er schultert, präsentiert und - schweigt. Doch vorwärts! Wir müssen über die Brücke. Sie wundern sich über die vielen Baumaterialien, die hier herumliegen, und die vielen Arbeiter, die hier sich herumtreiben und schwatzen und Branntewein trinken und wenig tun. Hier nebenbei war sonst die Hunde- brücke; der König ließ sie niederreißen und läßt an ihrer Stelle eine prächtige Eisenbrücke verfertigen. Schon diesen Sommer hat die Arbeit angefangen, wird sich noch lange herumziehn, aber endlich wird ein prachtvolles Werk dastehen. Schauen Sie jetzt mal auf. In der Ferne sehen Sie schon - die Linden! Wirklich, ich kenne keinen imposantern Anblick, als, vor der Hundebrücke stehend, nach den Linden hinaufzusehen. Rechts das hohe, prächtige Zeughaus, das neue Wachthaus, die Universität und Akademie. Links das königliche Palais, das Opernhaus, die Bi- bliothek usw. Hier drängt sich Prachtgebäude an Prachtgebäude. Überall verzierende Statuen; doch von schlechtem Stein und schlecht gemeißelt. Außer die auf dem Zeughause. Hier stehn wir auf dem Schloß- platz, dem breitesten und größten Platze in Berlin. Das königliche Palais ist das schlichteste und unbe- deutendste von allen diesen Gebäuden. Unser König wohnt hier. Einfach und bürgerlich. Hut ab! da fährt der König selbst vorbei. Es ist nicht der prächtige Sechsspänner; der gehört einem Gesandten. Nein, er sitzt in dem schlechten Wagen mit zwei ordinären Pferden. Das Haupt bedeckt eine gewöhnliche Offi- ziersmütze, und die Glieder umhüllt ein grauer Re- genmantel. Aber das Auge des Eingeweiheten sieht den Purpur unter diesem Mantel und das Diadem unter dieser Mütze. Sehen Sie, wie der König jedem freundlich wiedergrüßt. Hören Sie! »Es ist ein schö- ner Mann«, flüstert dort die kleine Blondine. »Es war der beste Ehemann«, antwortet seufzend die ältere Freundin. »Ma foi!« brüllte der Husarenoffizier, »es ist der beste Reuter in unserer Armee.« Wie gefällt Ihnen aber die Universität? Fürwahr, ein herrliches Gebäude! Nur schade, die wenigsten Hörsäle sind geräumig, die meisten düster und un- freundlich, und, was das schlimmste ist, bei vielen gehen die Fenster nach der Straße, und da kann man schrägüber das Opernhaus bemerken. Wie muß der arme Bursche auf glühenden Kohlen sitzen, wenn die ledernen, und zwar nicht saffian- oder maroquinleder- nen, sondern schweinsledernen Witze eines langweili- gen Dozenten ihm in die Ohren dröhnen und seine Augen unterdessen auf der Straße schweifen und sich ergötzen an das pittoreske Schauspiel der leuchtenden Equipagen, der vorüberziehenden Soldaten, der da- hinhüpfenden Nymphen und der bunten Menschenwo- ge, die sich nach dem Opernhause wälzt. Wie müssen dem armen Burschen die sechzehn Groschen in der Tasche brennen, wenn er denkt: ›Diese glücklichen Menschen sehen gleich die Eunike als Seraphim oder die Milder als Iphegeneia.‹ »Apollini et Musis« steht auf dem Opernhause, und der Musensohn sollte drauß bleiben? - Aber sehen Sie, das Kollegium ist eben ausgegangen, und ein Schwarm Studenten schlendert nach den Linden. »Gehn denn so viele Philister ins Kollegium?« fragen Sie. Still, still, das sind keine Philister. Der hohe Hut à la Bolivar und der Überrock à l'Anglaise machen noch lange nicht den Philister. Ebensowenig wie die rote Mütze und der Flausch den Burschen macht. Ganz im Kostüm des letztern geht hier mancher sentimentale Barbiergesell, mancher ehrgeizige Laufjunge und mancher hochherzige Schneider. Es ist dem anständigen Burschen zu ver- zeihen, wenn er mit solchen Herrn nicht gern ver- wechselt sein möchte. Kurländer sind wenige hier. Desto mehr Polen, über siebzig, die sich meistens burschikose tragen. Diese haben obige Verwechse- lung nicht zu befürchten. Man sieht's diesen Gesich- tern gleich an, daß keine Schneiderseele unterm Flau- sche sitzt. Viele dieser Sarmaten könnten den Söhnen Hermanns und Thusneldas als Muster von Liebens- würdigkeit und edelm Betragen dienen. Es ist wahr. Wenn man so viele Herrlichkeiten bei Fremden sieht, gehört wirklich eine ungeheure Dosis Patriotismus dazu, sich noch immer ein zubilden, das Vortrefflich- ste und Köstlichste, was die Erde trägt, sei ein - Deutscher! Zusammenleben ist wenig unter den hiesi- gen Studierenden. Die Landsmannschaften sind auf- gehoben. Die Verbindung, die unter dem Namen »Ar- minia« aus alten Anhängern der Burschenschaft be- stand, soll ebenfalls aufgelöst sein. Wenige Duelle fallen jetzt vor. Ein Duell ist kürzlich sehr unglück- lich abgelaufen. Zwei Mediziner, Liebschütz und Febus, gerieten im Kollegium der Semiotik in einen unbedeutenden Streit, da beide gleichen Anspruch machten an den Sitz Nr. 4. Sie wußten nicht, daß es in diesem Auditorium zwei mit Nr. 4 bezeichnete Sitze gab, und beide hatten diese Nummer vom Pro- fessor erhalten. »Dummer Junge!« rief der eine, und der leichte Wortwechsel war geendigt. Sie schlugen sich den andern Tag, und Liebschütz rannte sich den Schläger seines Gegners in den Leib. Er starb eine Viertelstunde drauf. Da er ein Jude war, wurde er von seinen akademischen Freunden nach dem jüdischen Gottesacker gebracht. Febus, ebenfalls ein Jude, hat die Flucht ergriffen, und - Aber ich sehe, Sie hören schon nicht mehr, was ich erzähle, und staunen die Linden an. Ja, das sind die berühmten Linden, wovon Sie soviel gehört haben. Mich durchschauert's, wenn ich denke: Auf dieser Stelle hat vielleicht Lessing gestanden, unter diesen Bäumen war der Lieblingsspaziergang so vieler gro- ßer Männer, die in Berlin gelebt; hier ging der große Fritz, hier wandelte - Er! Aber ist die Gegenwart nicht auch herrlich? Es ist just zwölf und die Spazier- gangszeit der schönen Welt. Die geputzte Menge treibt sich die Linden auf und ab. Sehen Sie dort den Elegant mit zwölf bunten Westen? Hören Sie die tief- sinnigen Bemerkungen, die er seiner Donna zulispelt? Riechen Sie die köstlichen Pomaden und Essenzen, womit er parfümiert ist? Er fixiert Sie mit der Lor- gnette, lächelt und kräuselt sich die Haare. Aber schauen Sie die schönen Damen! Welche Gestalten! Ich werde poetisch! Ja, Freund, hier unter den LindenNein, diese dort ist ein wandelndes Paradies, ein wandelnder Himmel, eine wandelnde Seligkeit. Und diesen Schöps mit dem Schnauzbarte sieht sie so zärt- lich an! Der Kerl gehört nicht zu den Leuten, die das Pulver erfunden haben, sondern zu denen, die es ge- brauchen, d. h. er ist Militär. - Sie wundern sich, daß alle Männer hier plötzlich stehenbleiben, mit der Hand in die Hosentasche greifen und in die Höhe schauen? Mein Lieber, wir stehen just vor der Akade- mieuhr, die am richtigsten geht von allen Uhren Ber- lins, und jeder Vorübergehende verfehlt nicht, die sei- nige darnach zu richten. Es ist ein possierlicher An- blick, wenn man nicht weiß, daß dort eine Uhr steht. In diesem Gebäude ist auch die Singakademie. Ein Billett kann ich Ihnen nicht verschaffen; der Vorsteher derselben, Professor Zelter, soll bei solchen Gelegen- heiten nicht sonderlich zuvorkommend sein. Doch betrachten Sie die kleine Brünette, die Ihnen so viel- verheißend zulächelt. Und einem solchen niedlichen Ding wollten Sie eine Art Hundezeichen umhängen lassen? Wie sie allerliebst das Lockenköpfchen schüt- telt, mit den kleinen Füßchen trippelt und wieder lä- chelnd die weißen Zähnchen zeigt. Sie muß es Ihnen angemerkt haben, daß Sie ein Fremder sind. Welch eine Menge besternter Herren! Welch eine Unzahl Orden! Wo man hinsieht, nichts als Orden! Wenn man sich einen Rock anmessen läßt, frägt der Schnei- der: »Mit oder ohne Einschnitt (für den Orden)?« Aber halt! Sehen Sie das Gebäude an der Ecke der Charlottenstraße? Das ist das »Café Royal«! Bitte, laßt uns hier einkehren, ich kann nicht gut vorbeige- hen, ohne einen Augenblick hineinzusehen. Sie wol- len nicht? Doch beim Umkehren müssen Sie mit hin- ein. Hier schrägüber sehen Sie das »Hotel de Rôme« und hier wieder links das »Hotel de Pétersbourg«, die zwei angesehensten Gasthöfe. Nahebei ist die Kondi- torei von Teichmann. Die gefüllten Bonbons sind hier die besten Berlins; aber in den Kuchen ist zuviel But- ter. Wenn Sie für acht Groschen schlecht zu Mittag essen wollen, so gehen Sie in die Restauration neben Teichmann auf die erste Etage. Jetzt sehen Sie mal rechts und links. Das ist die große Friedrichstraße. Wenn man diese betrachtet, kann man sich die Idee der Unendlichkeit veranschaulichen. Laßt uns hier nicht zu lange stehenbleiben. Hier bekömmt man den Schnupfen. Es wehet ein fataler Zugwind zwischen dem Hallischen und dem Oranienburger Tore. Hier links drängt sich wieder das Gute; hier wohnt Sala Tarone, hier ist das »Café de Commerce«, und hier wohnt - Jagor! Eine Sonne steht über diese Paradie- sespforte. Treffendes Symbol! Welche Gefühle erregt diese Sonne in dem Magen eines Gourmands! Wie- hert er nicht bei ihren Anblick wie das Roß des Dari- us Hystaspis? Kniet nieder, ihr modernen Peruaner, hier wohnt - Jagor! Und dennoch, diese Sonne ist nicht ohne Flecken. Wie zahlreich auch die seltenen Delikatessen sind, die hier auf der täglich neu ge- druckten Karte angezeigt stehen, so ist die Bedienung doch oft sehr langsam, nicht selten ist der Braten alt und zähe, und die meisten Gerichte finde ich im »Café Royal« weit schmackhafter zubereitet. Aber der Wein? Oh, wer doch den Säckel des Fortunatus hätte! - Wollen Sie die Augen ergötzen, so betrachten Sie die Bilder, die hier im Glaskasten des Jagorschen Parterre ausgestellt sind. Hier hängen nebeneinander die Schauspielerin Stich, der Theolog Neander und der Violinist Boucher! Wie die Holde lächelt! O sähen Sie sie als Julie, wenn sie dem Pilger Romeo den ersten Kuß erlaubt. Musik sind ihre Worte, Grace is in all her steps, heaven in her eye,Wie sieht Neander wieder zerstreut aus! Er denkt gewiß an die Gnostiker, an Basilides, Valentinus, Bardesanes, Karpokrates und Markus. Boucher hat wirklich eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Kaiser Napoleon. Er nennt sich Kosmopolite, Sokrates der Violinisten, scharrt ein rasendes Geld zusammen und nennt Berlin aus Dankbarkeit la capitale de la musi- que. - Doch laßt uns schnell vorbeigehn; hier ist wie- der eine Konditorei, und hier wohnt Lebeufve, ein magnetischer Name. Betrachten Sie die schönen Ge- bäude, die auf beiden Seiten der Linden stehn. Hier wohnt die vornehmste Welt Berlins. Laßt uns eilen. Das große Haus links ist die Konditorei von Fuchs. Wunderschön ist dort alles dekoriert, überall Spiegel, Blumen, Marzipanfiguren, Vergoldungen, kurz, die ausgezeichnetste Eleganz. Aber alles, was man dort genießt, ist am schlechtesten und teuersten in Berlin. Unter den Konditorwaren ist wenig Auswahl, und das meiste ist alt. Ein paar alte verschimmelte Zeitschrif- ten liegen auf dem Tische. Und das lange, aufwarten- de Fräulein ist nicht mal hübsch. Laßt uns nicht zu Fuchs gehen. Ich esse keine Spiegel und seidene Gar- dinen, und wenn ich etwas für die Augen haben will, so gehe ich in Spontinis »Cortez« oder »Olympia«. - Hier rechts können Sie etwas Neues sehen. Hier wer- den Boulevards gebaut, wodurch die Wilhelmstraße mit der Letzten Straße in Verbindung gesetzt wird. Hier wollen wir stillestehn und das Brandenburger Tor und die darauf stehende Viktoria betrachten. Er- steres wurde von Langhans nach den Propyläen zu Athen gebaut und besteht aus einer Kolonnade von zwölf großen dorischen Säulen. Die Göttin da oben wird Ihnen aus der neuesten Geschichte genugsam be- kannt sein. Die gute Frau hat auch ihre Schicksale ge- habt; man sieht's ihr nicht an, der mutigen Wagenlen- kerin. Laßt uns durchs Tor gehen. Was Sie jetzt vor sich sehen, ist der berühmte Tiergarten, in der Mitte die breite Chaussee nach Charlottenburg. Auf beiden Seiten zwei kolossale Statuen, wovon die eine einen Apoll vorstellen möchte. Erzniederträchtige, verstüm- melte Klötze. Man sollte sie herunterwerfen. Denn es hat sich gewiß schon manche schwangere Berlinerin dran versehen. Daher die vielen scheußlichen Gesich- ter, denen wir Unter den Linden begegnet. Die Polizei sollte sich dreinmischen. Jetzt laßt uns umkehren, ich habe Appetit und sehne mich nach dem »Café Royal«. Wollen Sie fah- ren? Hier gleich am Tore stehen Droschken. So hei- ßen unsere hiesigen Fiaker. Man zahlt vier Groschen Kurant für eine Person und sechs Gr. K. für zwei Per- sonen, und der Kutscher fährt, wohin man will. Die Wagen sind alle gleich, und die Kutscher tragen alle graue Mäntel mit gelben Aufschlägen. Wenn man just pressiert ist oder wenn es entsetzlich regnet, so ist keine einzige von allen Droschken aufzutreiben. Doch wenn es schönes Wetter ist, wie heute, oder wenn man sie nicht sonderlich nötig hat, sieht man die Droschken haufenweis beisammenstehen. Laßt uns einsteigen. Schnell, Kutscher! Wie das Unter den Lin- den wogt! Wie mancher läuft da herum, der noch nicht weiß, wo er heut zu Mittag essen kann! Haben Sie die Idee eines Mittagessens begriffen, mein Lie- ber? Wer diese begriffen hat, der begreift auch das ganze Treiben der Menschen. Schnell, Kutscher. - Was halten Sie von der Unsterblichkeit der Seele? Wahrhaftig, es ist eine große Erfindung, eine weit größere als das Pulver. Was halten Sie von der Liebe? Schnell, Kutscher! Nicht wahr, es ist bloß das Gesetz der Attraktion. - Wie gefällt Ihnen Berlin? Finden Sie nicht, obschon die Stadt neu, schön und regelmäßig gebaut ist, so macht sie doch einen etwas nüchternen Eindruck. Die Frau von Staël bemerkt sehr scharfsin- nig: »Berlin, cette ville toute moderne, quelque belle qu'elle soit, ne fait pas une impression assez sérieuse; on n'y apperçoit point l'empreinte de l'histoire du pays, ni du caractère des habitants, et ces magnifiques demeures nouvellement construites ne semblent desti- nées qu'aux rassemblements commodes des plaisirs et de l'industrie.« Herr von Pradt sagt noch etwas weit Pikanteres. - Aber Sie hören kein Wort wegen des Wagengerassels. Gut, wir sind am Ziel. Halt! Hier ist das »Café Royal«. Das freundliche Menschengesicht, das an der Türe steht, ist Beyerman. Das nenne ich einen Wirt! Kein kriechender Katzenbuckel, aber doch zuvorkommende Aufmerksamkeit; feines, gebil- detes Betragen, aber doch unermüdlicher Diensteifer, kurz, eine Prachtausgabe von Wirt. Laßt uns hinein- gehn. Ein schönes Lokal; vorn das splendideste Kaf- feehaus Berlins, hinten die schöne Restauration. Ein Versammlungsort eleganter, gebildeter Welt. Sie kön- nen hier oft die interessantesten Menschen sehen. Be- merken Sie dort den großen breitschultrigen Mann im schwarzen Oberrock? Das ist der berühmte Kosmeli, der heut in London ist und morgen in Ispahan. So stelle ich mir den Peter Schlemihl von Chamisso vor. Er hat eben ein Paradoxon auf der Zunge. Bemerken Sie den großen Mann mit der vornehmen Miene und der hohen Stirne? Das ist der Wolf, der den Homer zerrissen hat und der deutsche Hexameter machen kann. Aber dort am Tisch das kleine bewegliche Männchen mit den ewig vibrierenden Gesichtsmus- keln, mit den possierlichen und doch unheimlichen Gesten? Das ist der Kammergerichtsrat Hoffmann, der den »Kater Murr« geschrieben, und die hohe feier- liche Gestalt, die gegen ihn über sitzt, ist der Baron von Lüttwitz, der in der »Vossischen Zeitung« die klassische Rezension des »Katers« geliefert hat. Be- merken Sie den Elegant, der sich so leichtbewegt, kur- ländisch lispelt und sich jetzt wendet gegen den hohen, ernsthaften Mann im grünen Oberrock? Das ist der Baron von Schilling, der im »Mindener Sonn- tagsblatte« »die lieben Teutsenkel« so sehr touchiert hat. Der Ernsthafte ist der Dichter Baron von Maltitz. Aber raten Sie mal, wer diese determinierte Figur ist, die am Kamine steht? Das ist Ihr Antagonist Hart- mann vom Rheine; hart und ein Mann, und zwar aus einem einzigen Eisengusse. Aber was kümmern mich alle diese Herren, ich habe Hunger. Garçon, la charte! Betrachten Sie mal diese Menge herrlicher Gerichte. Wie die Namen derselben melodisch und schmelzend klingen, as music on the waters! Es sind geheime Zauberformeln, die uns das Geisterreich aufschließen. Und Champagner dabei! Erlauben Sie, daß ich eine Träne der Rührung weine. Doch Sie, Gefühlloser, haben gar keinen Sinn für alle diese Herrlichkeit und wollen Neuigkeiten, armselige Stadtneuigkeiten. Sie sollen befriedigt werden. Mein lieber Herr Gans, was gibt es Neues? Er schüttelt das graue ehrwürdige Haupt und zuckt mit den Achseln. Wir wollen uns an das kleine rotbäckige Männlein wenden; der Kerl hat immer die Taschen voll Neuigkeiten, und wenn er mal anfingt zu erzählen, so geht's wie ein Mühlrad. Was gibt's Neues, mein lieber Herr Kammermusikus? Gar nichts. Die neue Oper von Hellwig, »Die Berg- knappen«, soll nicht sehr angesprochen haben. Spon- tini komponiert jetzt eine Oper, wozu ihm Koreff den Text geschrieben. Er soll aus der preußischen Ge- schichte sein. Auch erhalten wir bald Koreffs »Aucas- sin und Nicolette«, wozu Schneider die Musik setzt. Letztere wird erst noch etwas zusammengestrichen. Nach Karneval erwartet man auch Bernhard Kleins »Dido«, eine heroische Oper. Die Bohrer und Bou- cher haben wieder Konzerte angekündigt. Wenn der »Freischütz« gegeben wird, ist es noch immer schwer, Billette zu erhalten. Der Bassist Fischer ist hier, wird nicht auftreten, singt aber viel in Gesellschaften. Graf Brühl ist noch immer sehr krank; er hat sich das Schlüsselbein zerbrochen. Wir fürchteten schon, ihn zu verlieren, und noch so ein Theaterintendant, der Enthusiast ist für deutsche Kunst und Art, wäre nicht leicht zu finden gewesen. Der Tänzer Antonin war hier, verlangte 100 Louisdor für jeden Abend, welche ihm aber nicht bewilligt wurden. Adam Müller, der Politiker, war ebenfalls hier; auch der Tragödienver- fertiger Houwald. Madame Woltmann ist wahrschein- lich noch hier; sie schreibt Memoiren. An den Reliefs zu Blüchers und Scharnhorsts Statuen wird bei Rauch immer noch gearbeitet. Die Opern, die Karneval gege- ben werden, stehn in der Zeitung verzeichnet. Doktor Kuhns Tragödie »Die Damaszener« wird noch diesen Winter gegeben. Wach ist mit einem Altarblatt be- schäftigt, das unser König der Siegeskirche in Mos- kau schenken wird. Die Stich ist längst aus den Wo- chen und wird morgen wieder in »Romeo und Julie« auftreten. Die Karoline Fouqué hat einen Roman in Briefen herausgegeben, wozu sie die Briefe des Hel- den und der Prinz Karl von Mecklenburg die der Dame schrieb. Der Staatskanzler erholt sich von sei- ner Krankheit. Rust behandelt ihn. Doktor Bopp ist hier angestellt als Professor der orientalischen Spra- chen und hat vor einem großen Auditorium seine erste Vorlesung über das Sanskrit gehalten. Vom Brock- hausischen »Konversationsblatte« werden hier noch dann und wann Blätter konfisziert. Von Görres' neue- ster Schrift »In Sachen der Rheinlande usw.« spricht man gar nichts; man hat fast keine Notiz davon ge- nommen. Der Junge, der seine Mutter mit dem Ham- mer totgeschlagen hat, war wahnsinnig. Die mysti- schen Umtriebe in Hinterpommern machen großes Aufsehn. Hoffmann gibt jetzt bei Wilmanns in Frank- furt unter dem Titel »Der Floh« einen Roman heraus, der sehr viele politische Sticheleien enthalten soll. Professor Gubitz beschäftigt sich noch immer mit Übersetzungen aus dem Neugriechischen und schnei- det jetzt Vignetten zu dem »Feldzug Suworows gegen die Türken«, ein Werk, welches der Kaiser Alexander als Volksbuch für die Russen drucken läßt. Bei Chri- stiani hat C. L. Blum eben herausgegeben: »Klagelie- der der Griechen«, die viel Poesie enthalten. Der Künstlerverein in der Akademie ist sehr glänzend aus- gefallen und die Einnahme zu einem wohltätigen Zwecke verwendet worden. Der Hofschauspieler Wal- ter aus Karlsruhe ist eben angekommen und wird in »Staberles Reiseabenteuer« auftreten. Die Neumann soll im März wieder herkommen und die Stich als- dann auf Reisen gehen. Julius von Voß hat wieder ein Stück geschrieben: »Der neue Markt«. Sein Lustspiel »Quintus Messis« wird nächste Woche gegeben. Heinrich von Kleists »Prinz von Homburg« wird nicht gegeben werden. An Grillparzer ist das Manu- skript seiner Trilogie »Die Argonauten«, welches er unserer Intendanz geschickt hatte, wieder zurückge- sandt worden. Markeur, ein Glas Wasser! Nicht wahr, der Kammermusikus, der weiß Neuigkeiten! An den wollen wir uns halten. Er soll Westfalen mit Neuig- keiten versorgen, und was er nicht weiß, das braucht auch Westfalen nicht zu wissen. Er gehört zu keiner Partei, zu keiner Schule, ist weder ein Liberale noch ein Romantiker, und wenn er etwas Medisantes sagt, so ist er so unschuldig dabei wie das unglückselige Rohr, dem der Wind die Worte entlockte: »König Midas hat Eselsohren!« |