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Text by Heinrich Heine (1797-1856)
- Und dennoch beurkundete das Fest von Hambach einen großen Fortschritt, zumal wenn man es mit jenem anderen Feste vergleicht, das einst ebenfalls zur Verherrlichung gemeinsamer Volksinteressen auf der Wartburg stattfand. Nur in Außendingen, in Zufällig- keiten, sind sich beide Bergfeiern sehr ähnlich; kei- neswegs ihrem tieferen Wesen nach. Der Geist, der sich auf Hambach aussprach, ist grundverschieden von dem Geiste oder vielmehr von dem Gespenste, das auf der Wartburg seinen Spuk trieb. Dort, auf Hambach, jubelte die moderne Zeit ihre Sonnenauf- gangslieder, und mit der ganzen Menschheit ward Brüderschaft getrunken; hier aber, auf der Wartburg, krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabenge- sang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf Hambach hielt der französische Liberalis- mus seine trunkensten Bergpredigten, und sprach man auch viel Unvernünftiges, so ward doch die Vernunft selber anerkannt als jene höchste Autorität, die da bindet und löset und den Gesetzen ihre Gesetze vor- schreibt; auf der Wartburg hingegen herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe außer nichts anders war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu ver- brennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Bezie- hung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen »die Altdeutschen« kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjeni- ge, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen! Sonderbar! trotz ihrer Unwissenheit hatten die so- genannten Altdeutschen von der deutschen Gelahrt- heit einen gewissen Pedantismus geborgt, der ebenso widerwärtig wie lächerlich war. Mit welchem kleinse- ligen Silbenstechen und Auspünkteln diskutierten sie über die Kennzeichen deutscher Nationalität! Wo fängt der Germane an? Wo hört er auf? Darf ein Deut- scher Tabak rauchen? Nein, behauptete die Mehrheit. Darf ein Deutscher Handschuhe tragen? Ja, jedoch von Büffelhaut. (Der schmutzige Maßmann wollte ganz sichergehen und trug gar keine.) Aber Biertrin- ken darf ein Deutscher, und er soll es als echter Sohn Germanias; denn Tacitus spricht ganz bestimmt von deutscher Cerevisia. Im Bierkeller zu Göttingen mußte ich einst bewundern, mit welcher Gründlich- keit meine altdeutschen Freunde die Proskriptionsli- sten anfertigten, für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im siebenten Glied von einem Franzosen, Juden oder Slawen abstammte, ward zum Exil verurteilt. Wer nur im mindesten etwas gegen Jahn oder überhaupt gegen altdeutsche Lächerlichkeiten geschrieben hatte, konnte sich auf den Tod gefaßt machen, und zwar auf den Tod durchs Beil, nicht durch die Guillotine, obgleich diese ur- sprünglich eine deutsche Erfindung und schon im Mittelalter bekannt war, unter dem Namen »die wel- sche Falle«. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit, daß man ganz ernsthaft debattierte, ob man einen ge- wissen Berliner Schriftsteller, der sich im ersten Bande seines Werkes gegen die Turnkunst ausgespro- chen hatte, bereits auf die erwähnte Proskriptionsliste setzen dürfe: denn der letzte Band seines Buches sei noch nicht erschienen, und in diesem letzten Bande könne der Autor vielleicht Dinge sagen, die den inkriminierten Äußerungen des ersten Bandes eine ganz andere Bedeutung erteilen. Sind diese dunklen Narren, die sogenannten Deutschtümler, ganz vom Schauplatz verschwunden? Nein. Sie haben bloß ihre schwarzen Röcke, die Li- vree ihres Wahnsinns, abgelegt. Die meisten entledig- ten sich sogar ihres weinerlich brutalen Jargons, und vermummt in den Farben und Redensarten des Libe- ralismus, waren sie der neuen Opposition desto ge- fährlicher während der politischen Sturm-und-Drang- Periode nach den Tagen des Julius. Ja, im Heere der deutschen Revolutionsmänner wimmelte es von ehe- maligen Deutschtümlern, die mit sauren Lippen die moderne Parole nachlallten und sogar die Marseillaise sangen... sie schnitten dabei die fatalsten Gesichter... Jedoch, es galt einen gemeinschaftlichen Kampf für ein gemeinschaftliches Interesse, für die Einheit Deutschlands, der einzigen Fortschrittsidee, die jene frühere Opposition zu Markte gebracht. Unsere Nie- derlage ist vielleicht ein Glück... Man hätte als Waf- fenbrüder treulich nebeneinander gefochten, man wäre sehr einig gewesen während der Schlacht, sogar noch in der Stunde des Sieges... aber den andern Morgen wäre eine Differenz zur Sprache gekommen, die un- ausgleichbar und nur durch die ultima ratio po- pulorum zu schlichten war, nämlich durch die welsche Falle. Die Kurzsichtigen freilich unter den deutschen Revolutionären beurteilten alles nach französischen Maßstäben, und sie sonderten sich schon in Konstitu- tionelle und Republikaner und wiederum in Girondi- sten und Montagnards, und nach solchen Einteilungen haßten und verleumdeten sie sich schon um die Wette; aber die Wissenden wußten sehr gut, daß es im Heere der deutschen Revolution eigentlich nur zwei grundverschiedene Parteien gab, die keiner Transakti- on fähig und heimlich dem blutigsten Hader entgegenzürnten. Welche von beiden schien die über- wiegende? Die Wissenden unter den Liberalen ver- hehlten einander nicht, daß ihre Partei, welche den Grundsätzen der französischen Freiheitslehre huldig- te, zwar an Zahl die stärkere, aber an Glaubenseifer und Hülfsmitteln die schwächere sei. In der Tat jene regenerierten Deutschtümler bildeten zwar die Mino- rität, aber ihr Fanatismus, welcher mehr religiöser Art, überflügelte leicht einen Fanatismus, den nur die Vernunft ausgebrütet hat; ferner stehen ihnen jene mächtigen Formeln zu Gebot, womit man den rohen Pöbel beschwört, die Worte »Vaterland, Deutschland, Glauben der Väter« usw. elektrisieren die unklaren Volksmassen noch immer weit sicherer als die Worte »Menschheit, Weltbürgertum, Vernunft der Söhne, Wahrheit...!« Ich will hiermit andeuten, daß jene Re- präsentanten der Nationalität im deutschen Boden weit tiefer wurzeln als die Repräsentanten des Kos- mopolitismus und daß letztere im Kampfe mit jenen wahrscheinlich den kürzern ziehen, wenn sie ihnen nicht schleunigst zuvorkommen... durch die welsche Falle. In Revolutionszeiten bleibt uns nur die Wahl zwi- schen Töten und Sterben. Man hat keinen Begriff von solchen Zeiten, wenn man nicht etwas gekostet hat von dem Fieber, das als- dann die Menschen schüttelt und ihnen eine ganz ei- gene Denk- und Gefühlsweise einhaucht. Es ist un- möglich, die Worte und Taten solcher Zeiten während der Windstille einer Friedensperiode, wie die jetzige, zu beurteilen. Ich weiß nicht, inwieweit obige Andeutungen einem stillen Verständnis begegnen. Unsere Nachfol- ger erben vielleicht unsere geheimen Übel, und es ist Pflicht, daß wir sie darauf hinweisen, welches Heil- mittel wir für probat hielten. Zugleich habe ich hier oben insinuiert, inwiefern zwischen mir und jenen Re- volutionären, die den französischen Jakobinismus auf deutsche Verhältnisse übertrugen, eine gewisse Ver- bündung stattfinden mußte... Trotzdem daß mich meine politischen Meinungen von ihnen schieden im Reiche des Gedankens, würde ich mich doch jederzeit denselben angeschlossen haben auf den Schlachtfel- dern der Tat... Wir hatten ja gemeinschaftliche Feinde und gemeinschaftliche Gefahren! Freilich, in ihrer trüben Befangenheit haben jene Revolutionäre nie die positiven Garantien dieser na- türlichen Allianz begriffen. Auch war ich ihnen so weit vorausgeschritten, daß sie mich nicht mehr sahen, und in ihrer Kurzsichtigkeit glaubten sie, ich wäre zurückgeblieben. Es ist weder hier der Ort, noch ist es jetzt an der Zeit, ausführlicher über die Differenzen zu reden, die sich bald nach der Juliusrevolution zwischen mir und den deutschen Revolutionären in Paris kundgeben mußten. Als der bedeutendste Repräsentant dieser letzteren muß unser Ludwig Börne betrachtet werden, zumal in den letzten Jahren seines Lebens, als, infolge der republikanischen Niederlagen, die zwei tätigsten Agitatoren, Garnier und Wolfrum, vom Schauplatze abtraten. Von ersterem ist bereits Erwähnung geschehn. Er war einer der rüstigsten Umtriebler, und man muß ihm das Zeugnis geben, daß er alle demagogische Ta- lente im höchsten Grade besaß. Ein Mensch von vie- lem Geiste, auch vielen Kenntnissen und großer Be- redsamkeit. Aber ein Intrigant. In den Stürmen einer deutschen Revolution hätte Garnier gewiß eine Rolle gespielt; da aber das Stück nicht aufgeführt wurde, ging es ihm schlecht. Man sagt, er mußte von Paris flüchten, weil sein Gastwirt ihm nach dem Leben trachtete, nicht, indem er ihm die Speisen zu vergiften drohte, sondern indem er ihm gar keine Speisen mehr ohne bare Bezahlung verabreichen wollte. Der andere der beiden Agitatoren, Wolfrum, war ein junger Mensch aus Altbayern, wenn ich nicht irre aus Hof, der hier als Kommis in einem Handlungshause kondi- tionierte, aber seine Stelle aufgab, um den ausbre- chenden Freiheitsideen, die auch ihn ergriffen hatten, seine ganze Tätigkeit zu widmen. Es war ein braver, uneigennütziger, von reiner Begeisterung getriebener Mensch, und ich halte mich um so mehr verpflichtet, dieses auszusprechen, da sein Andenken noch nicht ganz gereinigt ist von einer schauderhaften Verleum- dung. Als er nämlich aus Paris verwiesen wurde und der General Lafayette den Grafen d'Argout, damaligen Minister des Innern, ob dieser Willkür in der Kammer zur Rede stellte, schneuzte d'Argout seine lange Nase und behauptete, der Verwiesene sei ein Agent der bayerschen Jesuiten gewesen und unter seinen Papie- ren habe man die Beweisstücke gefunden. Als Wol- frum, welcher sich in Belgien aufhielt, von dieser schnöden Beschuldigung durch die Tagesblätter Kunde empfing, wollte er auf der Stelle hierher zu- rückeilen, konnte aber wegen mangelnder Barschaft nur zu Fuße reisen, und erkrankt durch Übermüdung und innere Aufregung, mußte er bei seiner Ankunft zu Paris im Hôtel de Dieu einkehren; hier starb er unter fremdem Namen. Wolfrum und Garnier waren immer Börnes treue Anhänger, aber sie behaupteten ihm gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit, und nicht selten schöpften sie ihre Inspirationen aus ganz andern Quellen. Seit- dem aber diese beiden verschwanden, trat Börne unter den Revolutionären zu Paris unmittelbar persönlich hervor, er herrschte nicht mehr durch Agenten seines Willens, sondern in eigenem Namen, und es fehlte ihm nicht an einem Hofstaat von beschränkten und erhitzten Köpfen, die ihm mit blinder Verehrung hul- digten. Unter diesen lieben Getreuen saß er in aller Majestät seines buntseidenen Schlafrocks und hielt Gericht über die Großen dieser Erde, und neben dem Zaren aller Reußen war es wohl der Schreiber dieser Blätter, den sein rhadamantischer Zorn am stärksten traf... Was in seinen Schriften nur halbwegs angedeu- tet wurde, fand im mündlichen Vortrag die grellste Ergänzung, und der argwöhnische Kleingeist, der ihn bemeisterte, und eine gewisse infame Tugend, die für die heilige Sache sogar die Lüge nicht verschmäht, kurz, Beschränktheit und Selbsttäuschung, trieben den Mann bis in die Moräste der Verleumdung. Der Vorwurf in den Worten »argwöhnischer Klein- geist« soll hier weniger das Individuum als vielmehr die ganze Gattung treffen, die in Maximilian Robes- pierre, glorreichen Andenkens, ihren vollkommensten Repräsentanten gefunden. Mit diesem hatte Börne zu- letzt die größte Ähnlichkeit: im Gesichte lauerndes Mißtrauen, im Herzen eine blutdürstige Sentimentali- tät, im Kopfe nüchterne Begriffe... Nur stand ihm keine Guillotine zu Gebote, und er mußte zu Worten seine Zuflucht nehmen und bloß verleumden. Auch dieser Vorwurf trifft mehr die Gattungen; denn son- derbar! ebenso wie die Jesuiten haben die Jakobiner das Lügen als ein erlaubtes Kriegsmittel adoptiert, vielleicht weil sich beide der höchsten Zwecke be- wußt waren: jene stritten für die Sache Gottes, diese für die Sache der Menschheit... Wir wollen ihnen daher ihre Verleumdungen verzeihen! Ob aber bei Ludwig Börne nicht manchmal ein ge- heimer Neid im Spiele war? Er war ja ein Mensch, und während er glaubte, er ruiniere den guten Leu- mund eines Andersgesinnten nur im Interesse der Re- publik, während er sich vielleicht noch etwas darauf zugute tat, dieses Opfer gebracht zu haben, befriedig- te er unbewußt die versteckten Gelüste der eignen bösen Natur, wie einst Maximilian Robespierre, glor- reichen Andenkens! Und namentlich in betreff meiner hat der Selige sich solchen Privatgefühlen hingegeben, und alle seine Anfeindungen waren am Ende nichts anders als der kleine Neid, den der kleine Tambourmaître gegen den großen Tambourmajor empfindet: er beneidete mich ob des großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reichgestickten Uni- form, woran mehr Silber, als er, der kleine Tambour- maitre, mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konn- te, ob der Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanciere, ob der Liebesblicke, die mir die jun- gen Dirnen zuwerfen und die ich vielleicht mit etwas Koketterie erwidre! Der Umgebung Börnes mag ebenfalls vieles von den angedeuteten Verirrungen zur Last fallen; er ward von den lieben Getreuen zu mancher schlimmen Äu- ßerung angestachelt, und das mündlich Geäußerte ward noch bösartiger aufgestutzt und zu wunderlichen Privatzwecken verarbeitet. Bei all seinem Mißtrauen war er leicht zu betrügen, er ahnte nie, daß er ganz fremden Leidenschaften diente und nicht selten sogar den Einflüsterungen seiner Gegner gehorchte. Man versicherte mir, einige von den Spionen, die für Rech- nung gewisser Regierungen hier herumschnüffeln, wußten sich so patriotisch zu gebärden, daß Börne ihnen sein ganzes Vertrauen schenkte und Tag und Nacht mit ihnen zusammenhockte und konspirierte. Und doch wußte er, daß er von Spionen umgeben war, und einst sagte er mir: »Da geht beständig ein Kerl hinter mir her, der mich auf allen Straßen ver- folgt, vor allen Häusern stehenbleibt, wo ich hinein- gehe, und gewiß von irgendeiner Regierung teuer dafür bezahlt wird. Wüßte ich nur, welche Regierung, ich würde ihr schreiben, daß ich das Geld selbst ver- dienen möchte, daß ich selber ihr täglich einen gewis- senhaften Rapport abstatten wolle, wie ich den gan- zen Tag zugebracht, mit wem ich gesprochen, wohin ich gegangen: ja, ich bin erbötig, diesen Rapport zu weit wohlfeilerem Preise, ja für die Hälfte des Geldes zu liefern, das dieser Kerl, der beständig hinter mir einhergeht, sich zahlen läßt; denn ich muß ja alle diese Gänge ohnedies machen. Ich könnte vielleicht davon leben, daß ich mein eigner Spion werde.« Einen großen, vielleicht den größten Einfluß übte damals auf Börne die sogenannte Madame Wohl, eine bereits in diesen Blättern erwähnte zweideutige Dame, wovon man nicht genau wußte, zu welchem Titel ihr Verhältnis zu Börne sie berechtigte, ob sie seine Geliebte oder bloß seine Gattin. Die nächsten Freunde behaupteten lange Zeit steif und fest, daß Madame Wohl ihm heimlich angetraut sei und eines frühen Morgens als Frau Doktorin Börne ihre Auf- wartung machen werde. Andere meinten, es herrsche zwischen beiden nur eine platonische Liebe, wie einst zwischen Messer Francesco und Madonna Laura, und sie fanden gewiß auch eine große Ähnlichkeit zwi- schen Petrarchas Sonetten und Börnes »Pariser Brie- fen«. Letztere waren nämlich nicht an eine erdichtete Luftgestalt, sondern an Madame Wohl gerichtet, was gewiß zu ihrem Werte beitrug, indem es ihnen jene bestimmte Physiognomie und jenes Individuelle er- teilte, was keine Kunst nachahmen kann. Wenn sich in Briefen nicht bloß der Charakter des Schreibers, sondern auch des Empfängers abspiegelt, so ist Ma- dame Wohl eine höchst respektable Person, die für Freiheit und Menschenrechte glüht, ein Wesen voll Gemüt, voll Begeisterung... Und in der Tat, wir müssen dieser Ansicht Glauben schenken, wenn wir vernehmen, mit welcher Hingebung die Dame in bit- terer Zeit an Börne festhielt, wie sie ihm ihr ganzes Leben weihte und wie sie jetzt, nach seinem Tode, in trostlosem Kummer verharrt, sich in der Einsamkeit nur noch mit dem Verstorbenen beschäftigend. Un- streitbar herrschte zwischen beiden die innigste Zu- neigung, aber während das Publikum zweifelhaft war, welche sinnliche Tatsachen daraus entsprungen sein möchten, überraschte uns einst die plötzliche Nach- richt, daß Madame Wohl sich nicht mit Börne, son- dern mit einem jungen Kaufmann aus Frankfurt ver- mählt habe... Die Verwunderung hierüber ward noch dadurch gesteigert, daß die Neuvermählte nebst ihrem Gatten hierherkam, mit Börne ein und dieselbe Woh- nung bezog und alle drei einen einzigen Haushalt bil- deten. Ja, es hieß, der junge Gatte habe die Frau nur deshalb geheuratet, um mit Börne in nähere Berüh- rung zu kommen, er habe sich ausbedungen, daß zwi- schen beiden das frühere Verhältnis unverändert fort- walte. Wie man mir sagt, spielte er im Hause nur die dienende Person, verrichtete die roheren Geschäfte und ward ein sehr nützlicher Laufbursche für Börne, mit dessen Ruhm er hausieren ging und gegen dessen Gegner er unerbittlich Gift und Galle geiferte. In der Tat, jener Gatte der Madame Wohl gehört nicht zu der guten Sorte, die mit der Toleranz in der Ehe eine gewisse Harmlosigkeit verbindet und da- durch allen Spott entwaffnet. Nein, er erinnerte viel- mehr an jene böse Gattung, wovon in den indischen Geschichten des Ktesias Erwähnung geschieht. Dieser Autor berichtet nämlich: in Indien gäbe es gehörnte Esel, und während alle andere Esel gar keine Galle haben, hätten jene gehörnten Esel einen solchen Über- fluß an Galle, daß ihr Fleisch dadurch ganz bitter schmecke. Ich hoffe, es wird niemand mißdeuten, weshalb ich obige Partikularitäten aus Börnes Privatleben hervor- hebe. Sie sollen nur zeigen, daß es noch ganz beson- dere Mißstände gab, die mir geboten, mich von ihm entfernt zu halten. Das ganze Reinlichkeitsgefühl mei- ner Seele sträubte sich in mir bei dem Gedanken, mit seiner nächsten Umgebung in die mindeste Berührung zu geraten. Soll ich die Wahrheit gestehen, so sah ich in Börnes Haushalt eine Immoralität, die mich anwi- derte. Dieses Geständnis mag befremdlich klingen im Munde eines Mannes, der nie im Zelotengeschrei so- genannter Sittenprediger einstimmte und selber hin- länglich von ihnen verketzert wurde. Verdiente ich wirklich diese Verketzerungen? Nach tiefster Selbst- prüfung kann ich mir das Zeugnis geben, daß niemals meine Gedanken und Handlungen in Widerspruch ge- raten mit der Moral, mit jener Moral, die meiner Seele eingeboren, die vielleicht meine Seele selbst ist, die beseelende Seele meines Lebens. Ich gehorche fast passiv einer sittlichen Notwendigkeit und mache des- halb keine Ansprüche auf Lorbeerkränze und sonstige Tugendpreise. Ich habe jüngst ein Buch gelesen, worin behauptet wird, ich hätte mich gerühmt, es liefe keine Phryne über die Pariser Boulevards, deren Reize mir unbekannt geblieben. Gott weiß, welchem ehrwürdigen Korrespondenzler solche saubre Anek- doten nachgesprochen wurden, ich kann aber dem Verfasser jenes Buches die Versicherung geben, daß ich, selbst in meiner tollsten Jugendzeit, nie ein Weib erkannt habe, wenn ich nicht dazu begeistert ward durch ihre Schönheit, die körperliche Offenbarung Gottes, oder durch die große Passion, jene große Pas- sion, die ebenfalls göttlicher Art, weil sie uns von allen selbstsüchtigen Kleingefühlen befreit und die eiteln Güter des Lebens, ja das Leben selbst, hinop- fern läßt! Was aber unseren Ludwig Börne betrifft, so dürfen wir kühn behaupten, daß es keineswegs die Begeisterung für Schönheit war, die ihn zu seiner Ma- dame Wohl hinzog. Ebensowenig findet das Verhält- nis dieser beiden Personen seine moralische Rechtfer- tigung in der großen Passion. Beherrscht von der gro- ßen Passion würden beide keinen Anstand genommen haben, selbst ohne den Segen der Kirche und der Mai- rie, beieinander zu wohnen; das kleine Bedenken über das Kopfschütteln der Welt hätte sie nicht davon abgehalten... Und die Welt ist am Ende gerecht, und sie verzeiht die Flammen, wenn nur der Brand stark und echt ist und schön lodert und lange... Gegen eitel verpuffendes Strohfeuer ist sie hart, und sie verspottet jede ängstliche Halbglut... Die Welt achtet und ehrt jede Leidenschaft, sobald sie sich als eine wahre erprobt, und die Zeit erzeugt auch in diesem Falle eine gewisse Legitimität... Aber Ma- dame Wohl tat sich mit Börne zusammen unter dem Deckmantel der Ehe mit einem lächerlichen Dritten, dessen bitteres Fleisch ihr vielleicht manchmal mun- dete, während ihr Geist sich weidete am süßen Geiste Börnes... Selbst in diesem anständigsten Falle, selbst im Fall dem idealischen Freunde nur das reine, schöne Gemüt und dem rohen Gatten die nicht sehr schöne und nicht sehr reinliche Hülle gewidmet ward, beruhte der ganze Haushalt auf der schmutzigsten Lüge, auf entweihter Ehe und Heuchelei, auf Immoralität. Zu dem Ekel, der mich bei dem Zusammentreffen mit Börne von seiten seiner Umgebung bedrohte, ge- sellte sich auch das Mißbehagen, womit mich sein be- ständiges Kannengießern erfüllte. Immer politisches Räsonieren und wieder Räsonieren, und sogar beim Essen, wo er mich aufzusuchen wußte. Bei Tische, wo ich so gern alle Misere der Welt vergesse, verdarb er mir die besten Gerichte, durch seine patriotische Galle, die er gleichsam wie eine bittere Sauce darüber hinschwatzte. Kalbsfüße à la Maître d'hôtel, damals meine harmlose Lieblingsspeise, er verleidete sie mir durch Hiobsposten aus der Heimat, die er aus den un- zuverlässigsten Zeitungen zusammengegabelt hatte. Und dann seine verfluchten Bemerkungen, die einem den Appetit verdarben. So z.B. kroch er mir mal nach in den Restaurant der Rue Lepelletier, wo damals nur politische Flüchtlinge aus Italien, Spanien, Portugal und Polen zu Mittag speisten. Börne, welcher sie alle kannte, bemerkte mit freudigem Händereiben: wir beide seien von der ganzen Gesellschaft die einzigen, die nicht von ihrer respektiven Regierung zum Tode verurteilt worden. »Aber ich habe«, setzte er hinzu, »noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, es ebensoweit zu bringen. Wir werden am Ende alle gehenkt, und Sie ebensogut wie ich.« Ich äußerte bei dieser Gele- genheit, daß es in der Tat für die Sache der deutschen Revolution sehr fördersam wäre, wenn unsere Regie- rungen etwas rascher verführen und einige Revolutio- näre wirklich aufhingen, damit die übrigen sähen, daß die Sache gar kein Spaß und alles an alles gesetzt werden müsse... »Sie wollen gewiß«, fiel mir Börne in die Rede, »daß wir nach dem Alphabet gehenkt werden, und da wäre ich einer der ersten und käme schon im Buchstab B, man mag mich nun als Börne oder als Baruch hängen; und es hätte dann noch gute Weile, bis man an Sie käme, tief ins H.« Das waren nun Tischgespräche, die mich nicht sehr erquickten, und ich rächte mich dafür, indem ich für die Gegenstände des Börneschen Enthusiasmus eine übertriebene, fast leidenschaftliche Gleichgültigkeit affektierte. Zum Beispiel Börne hatte sich geärgert, daß ich gleich bei meiner Ankunft in Paris nichts Bes- seres zu tun wußte, als für deutsche Blätter einen lan- gen Bericht über die damalige Gemäldeausstellung zu schreiben. Ich lasse dahingestellt sein, ob das Kun- stinteresse, das mich zu solcher Arbeit trieb, so ganz unvereinbar war mit den revolutionären Interessen des Tages; aber Börne sah hierin einen Beweis meines In- differentismus für die heilige Sache der Menschheit, und ich konnte ihm ebenfalls die Freude seines patrio- tischen Sauerkrauts verleiden, wenn ich bei Tisch von nichts als von Bildern sprach, von Roberts »Schnit- tern«, von Horaz Vernets »Judith«, von Scheffers »Faust«. »Was taten Sie?« - frug er mich einst - »am ersten Tag Ihrer Ankunft in Paris? Was war Ihr erster Gang?« Er erwartete gewiß, daß ich ihm die Place Louis XVI oder das Pantheon, die Grabmäler Rousse- aus und Voltaires, als meine erste Ausflucht nennen würde, und er machte ein sonderbares Gesicht, als ich ihm ehrlich die Wahrheit gestand, daß ich nämlich gleich bei meiner Ankunft nach der Bibliothèque Royale gegangen und mir vom Aufseher der Manu- skripte den Manessischen Kodex der Minnesänger hervorholen ließ. Und das ist wahr; seit Jahren gelü- stete mich, mit eigenen Augen die teuern Blätter zu sehen, die uns unter anderen die Gedichte Walthers von der Vogelweide, des größten deutschen Lyrikers, aufbewahrt haben. Für Börne war dieses ebenfalls ein Beweis meines Indifferentismus, und er zieh mich des Widerspruchs mit meinen politischen Grundsätzen. Daß ich es nie der Mühe wert hielt, letztere mit ihm zu diskutieren, versteht sich von selbst; und als er einst auch in meinen Schriften einen Widerspruch ent- deckt haben wollte, begnügte ich mich mit der ironi- schen Antwort: »Sie irren sich, Liebster, dergleichen findet sich nie in meinen Büchern, denn jedesmal, ehe ich schreibe, pflege ich vorher meine politischen Grundsätze in meinen früheren Schriften wieder nach- zulesen, damit ich mir nicht widerspreche und man mir keinen Abfall von meinen liberalen Prinzipien vorwerfen könne.« Aber nicht bloß beim Essen, son- dern sogar in meiner Nachtsruhe inkommodierte mich Börne mit seiner patriotischen Exaltation. Er kam ein- mal um Mitternacht zu mir heraufgestiegen in meine Wohnung, weckte mich aus dem süßesten Schlaf, setzte sich vor mein Bett und jammerte eine ganze Stunde über die Leiden des deutschen Volks und über die Schändlichkeiten der deutschen Regierungen, und wie die Russen für Deutschland so gefährlich seien und wie er sich vorgenommen habe, zur Rettung Deutschlands gegen den Kaiser Nikolaus zu schreiben und gegen die Fürsten, die das Volk so mißhandelten, und gegen den Bundestag... Und ich glaube, er hätte bis zum Morgen in diesem Zuge fortgeredet, wenn ich nicht plötzlich, nach langem Schweigen, in die Worte ausbrach: »Sind Sie Gemeindeversorger?« - Nur zweimal habe ich ihn seitdem wieder gespro- chen. Das eine Mal bei der Heirat eines gemeinsamen Freundes, der uns beide als Zeugen gewählt, das an- dere Mal auf einem Spaziergang in den Tuilerien, des- sen ich bereits erwähnte. Bald darauf erschien der dritte und vierte Teil seiner »Pariser Briefe«, und ich vermied nicht bloß jede Gelegenheit des Zusammen- treffens, sondern ich ließ ihn auch merken, daß ich ihm geflissentlich auswich, und seit der Zeit habe ich ihm zwar zwei- oder dreimal begegnet, aber nie habe ich seitdem ein einziges Wort mit ihm gesprochen. Bei seiner sanguinischen Art wurmte ihn das bis zur Verzweiflung, und er setzte alle möglichen Erfindun- gen ins Spiel, um mir wieder freundschaftlich nahen zu dürfen oder wenigstens eine Unterredung mit mir zu bewirken. Ich hatte also nie im Leben mit Börne einen mündlichen Disput, nie sagten wir uns irgendei- ne schwere Beleidigung; nur aus seinen gedruckten Reden merkte ich die lauernde Böswilligkeit, und nicht verletztes Selbstgefühl, sondern höhere Sorgen und die Treue, die ich meinem Denken und Wollen schuldig bin, bewogen mich, mit einem Mann zu bre- chen, der meine Gedanken und Bestrebungen kompro- mittieren wollte. Solches hartnäckige Ablehnen ist aber nicht ganz in meiner Art, und ich wäre vielleicht nachgiebig genug gewesen, mit Börne wieder zu spre- chen und Umgang zu pflegen... zumal, da sehr liebe Personen mich mit vielen Bitten angingen und die ge- meinschaftlichen Freunde oft in Verlegenheit gerieten bei Einladungen, deren ich keine annahm, wenn ich nicht vorher die Zusicherung erhielt, daß Herr Börne nicht geladen sei... noch außerdem rieten mir meine Privatinteressen, den grimmblütigen Mann durch sol- ches strenge Zurückweisen nicht allzusehr zu reizen... aber ein Blick auf seine Umgebung, auf seine lieben Getreuen, auf den vielköpfigen und mit den Schwän- zen zusammengewachsenen Rattenkönig, dessen Seele er bildete, und der Ekel hielt mich zurück von jeder neuen Berührung mit Börne. So vergingen mehrere Jahre, drei, vier Jahre, ich verlor den Mann auch geistig aus dem Gesicht, selbst von jenen Artikeln, die er in französischen Zeitschrif- ten gegen mich schrieb und die im ehrlichen Deutsch- land so verleumderisch ausgebeutet wurden, nahm ich wenig Notiz, als ich eines späten Herbstabends die Nachricht erhielt, Börne sei gestorben. Wie man mir sagt, soll er seinen Tod selbst ver- schuldet haben, durch Eigensinn, indem er sich lange weigerte, seinen Arzt, den vortrefflichen Dr. Sichel, rufen zu lassen. Dieser nicht bloß berühmte, sondern auch sehr gewissenhafte Arzt, der ihn wahrscheinlich gerettet hätte, kam zu spät, als der Kranke bereits eine terroristische Selbstkur an sich vorgenommen und sei- nen ganzen Körper ruiniert hatte. Börne hatte früher etwas Medizin studiert und wußte von dieser Wissenschaft grade soviel, als man eben braucht, um zu töten. In der Politik, womit er sich später abgab, waren seine Kenntnisse wahrlich nicht viel bedeutender. Ich habe seinem Begräbnisse nicht beigewohnt, was unsere hiesigen Korrespondenzler nicht erman- gelten, nach Deutschland zu berichten, und was zu bösen Auslegungen Gelegenheit gab. Nichts ist aber törichter, als in jenem Umstande, der rein zufällig sein konnte, eine feindselige Härte zu erblicken. Die Toren, sie wissen nicht, daß es kein angenehmeres Geschäft gibt, als dem Leichenbegängnisse eines Feindes zu folgen! Ich war nie Börnes Freund, und ich war auch nie sein Feind. Der Unmut, den er manchmal in mir erre- gen konnte, war nie bedeutend, und er büßte dafür hinlänglich durch das kalte Schweigen, das ich allen seinen Verketzerungen und Nücken entgegensetzte. Ich habe, während er lebte, auch keine Zeile gegen ihn geschrieben, ich gedachte seiner nie, ich ignorierte ihn komplett, und das ärgerte ihn über alle Maßen. Wenn ich jetzt von ihm rede, geschieht es wahrlich weder aus Enthusiasmus noch aus Mißtrauen; ich bin mir wenigstens der kältesten Unparteilichkeit bewußt. Ich schreibe hier weder eine Apologie noch eine Kri- tik, und indem ich nur von der eignen Anschauung ausgehe bei der Schilderung des Mannes, dürfte das Standbild, das ich von ihm liefere, vielleicht als ein ikonisches zu betrachten sein. Und es gebührt ihm ein solches Standbild, ihm, dem großen Ringer, der in der Arena unserer politischen Spiele so mutig rang und, wo nicht den Lorbeer, doch gewiß den Kranz von Ei- chenlaub ersiegte. Wir geben sein Standbild mit seinen wahren Zügen, ohne Idealisierung, je ähnlicher, desto ehren- der für sein Andenken. Er war ja weder ein Genie noch ein Heros; er war kein Gott des Olymps. Er war ein Mensch, ein Bürger der Erde, er war ein guter Schriftsteller und ein großer Patriot. Indem ich Ludwig Börne einen guten Schriftsteller genannt und ihm nur das schlichte Beiwort »gut« zu- erkenne, möchte ich seinen ästhetischen Wert weder vergrößern noch verkleinern. Ich gebe überhaupt hier, wie ich bereits erwähnt, keine Kritik, ebensowenig wie eine Apologie seiner Schriften; nur mein unmaß- gebliches Dafürhalten darf in diesen Blättern seine Stelle finden. Ich suche dieses Privaturteil so kurz als möglich abzufassen; daher nur wenige Worte über Börne in rein literarischer Beziehung. Soll ich in der Literatur einen verwandten Charak- ter aufsuchen, so böte sich zuerst Gotthold Ephraim Lessing, mit welchem Börne sehr oft verglichen wor- den. Aber diese Verwandtschaft beruht nur auf der in- neren Tüchtigkeit, dem edlen Willen, der patrioti- schen Passion und dem Enthusiasmus für Humanität. Auch die Verstandesrichtung war in beiden dieselbe. Hier aber hört der Vergleich auf. Lessing war groß durch jenen offenen Sinn für Kunst und philosophi- sche Spekulation, welcher dem armen Börne gänzlich abging. Es gibt in der ausländischen Literatur zwei Männer, die mit ihm eine weit größere Ähnlichkeit haben: diese Männer sind William Hazlitt und Paul Courier. Beide sind vielleicht die nächsten literari- schen Verwandte Börnes, nur daß Hazlitt ihn eben- falls an Kunstsinn überflügelt und Courier sich keinesweges zum Börneschen Humor erheben kann. Ein gewisser Esprit ist allen dreien gemeinsam, ob- gleich er bei jedem eine verschiedene Färbung trägt: er ist trübsinnig bei Hazlitt, dem Briten, wo er wie Sonnenstrahlen aus dicken englischen Nebelwolken hervorblitzt; er ist fast mutwillig heiter bei dem Fran- zosen Courier, wo er wie der junge Wein der Tou- raine im Kelter braust und sprudelt und manchmal übermütig emporzischt; bei Börne, dem Deutschen, ist er beides, trübsinnig und heiter, wie der säuerlich ernste Rheinwein und das närrische Mondlicht der deutschen Heimat... Sein Esprit wird manchmal zum Humor. Dieses ist nicht so sehr in den früheren Schriften Börnes als vielmehr in seinen »Pariser Briefen« der Fall. Zeit, Ort und Stoff haben hier den Humor nicht bloß begünstigt, sondern ganz eigentlich hervorge- bracht. Ich will damit sagen, den Humor in den »Pari- ser Briefen« verdanken wir weit mehr den Zeitum- ständen als dem Talent ihres Verfassers. Die Juliusre- volution, dieses politische Erdbeben, hatte dergestalt in allen Sphären des Lebens die Verhältnisse ausein- andergesprengt und so buntscheckig die verschieden- artigsten Erscheinungen zusammengeschmissen, daß der Pariser Revolutionskorrespondent nur treu zu be- richten brauchte, was er sah und hörte, und er erreich- te von selbst die höchsten Effekte des Humors. Wie die Leidenschaft manchmal die Poesie ersetzt und z.B. die Liebe oder die Todesangst in begeisterte Worte ausbricht, die der wahre Dichter nicht besser und schöner zu erfinden weiß, so ersetzen die Zeitum- stände manchmal den angebornen Humor, und ein ganz prosaisch begabter, sinnreicher Autor liefert wahrhaft humoristische Werke indem sein Geist die spaßhaften und kummervollen, schmutzigen und heili- gen, grandiosen und winzigen Kombinationen einer umgestülpten Weltordnung treu abspiegelt. Ist der Geist eines solchen Autors noch obendrein selbst in bewegtem Zustand, ist dieser Spiegel verschoben oder grell gefärbt von eigner Leidenschaft, dann werden tolle Bilder zum Vorschein kommen, die selbst alle Geburten des humoristischen Genius überbieten... Hier ist das Gitter, welches den Humor vom Irren- hause trennt... Nicht selten, in den Börneschen Brie- fen, zeigen sich Spuren eines wirklichen Wahnsinus, und Gefühle und Gedanken grinsen uns entgegen, die man in die Zwangsjacke stecken müßte, denen man die Douche geben sollte... In stilistischer Hinsicht sind die »Pariser Briefe« weit schätzbarer als die früheren Schriften Börnes, worin die kurzen Sätze, der kleine Hundetrab, eine unerträgliche Monotonie hervorbringen und eine fast kindische Unbeholfenheit verraten. Diese kurzen Sätze verlieren sich immer mehr und mehr in den »Pa- riser Briefen«, wo die entzügelte Leidenschaft notge- drungen in weitere, vollere Rhythmen überströmt und kolossale, gewitterschwangere Perioden dahinrollen, deren Bau schön und vollendet ist, wie durch die höchste Kunst. Die »Pariser Briefe« können in Beziehung auf Bör- nes Stil dennoch nur als eine Übergangsstufe betrach- tet werden, wenn man sie mit seiner letzten Schrift »Menzel der Franzosenfresser« vergleicht. Hier erreicht sein Stil die höchste Ausbildung, und wie in den Worten, so auch in den Gedanken herrscht hier eine Harmonie, die von schmerzlicher, aber erhabener Beruhigung Kunde gibt. Diese Schrift ist ein klarer See, worin der Himmel mit allen Sternen sich spie- gelt, und Börnes Geist taucht hier auf und unter, wie ein schöner Schwan, die Schmähungen, womit der Pöbel sein reines Gefieder besudelte, ruhig von sich abspülend. Auch hat man diese Schrift mit Recht Bör- nes Schwanengesang genannt. Sie ist in Deutschland wenig bekannt worden, und Betrachtungen über ihren Inhalt wären hier gewiß an ihrem Platze. Aber da sie direkt gegen Wolfgang Menzel gerichtet ist und ich bei dieser Gelegenheit denselben wieder ausführlich besprechen müßte, so will ich lieber schweigen. Nur eine Bemerkung kann ich hier nicht unterdrücken, und sie ist glücklicherweise von der Art, daß sie vielmehr von persönlichen Bitternissen ableitet und dem Hader, worin sowohl Börne als die sogenannten Mit- glieder des sogenannten Jungen Deutschlands mit Menzeln gerieten, eine generelle Bedeutung zu- schreibt, wo Wert oder Unwert der Individuen nicht mehr zur Sprache kommt. Vielleicht sogar liefere ich dadurch eine Justifikation des Menzelschen Betragens und seiner scheinbaren Abtrünnigkeit. Ja, er wurde nur scheinbar abtrünnig... nur schein- bar... denn er hat der Partei der Revolution niemals mit dem Gemüte und mit dem Gedanken angehört. Wolfgang Menzel war einer jener Teutomanen, jener Teutschtümler, die, nach der Sonnenhitze der Julius- revolution, gezwungen wurden, ihre altdeutschen Röcke und Redensarten auszuziehen und sich geistig wie körperlich in das moderne Gewand zu kleiden, das nach französischem Maße zugeschnitten. Wie ich bereits zu Anfang dieses Buches gezeigt, viele von diesen Teutomanen, um an der allgemeinen Bewe- gung und den Triumphen des Zeitgeistes teilzuneh- men, drängten sich in unsere Reihen, in die Reihen der Kämpfer für die Prinzipien der Revolution, und ich zweifle nicht, daß sie mutig mitgefochten hätten in der gemeinsamen Gefahr. Ich fürchtete keine Untreue von ihnen während der Schlacht, aber nach dem Siege; ihre alte Natur, die zurückgedrängte Teutschtü- melei, wäre wieder hervorgebrochen, sie hätten bald die rohe Masse mit den dunkeln Beschwörungsliedern des Mittelalters gegen uns aufgewiegelt, und diese Beschwörungslieder, ein Gemisch von uraltem Aber- glauben und dämonischer Erdkräfte, wären stärker ge- wesen als alle Argumente der Vernunft... Menzel war der erste, der, als die Luft kühler wurde, die altdeutschen Rockgedanken wieder vom Nagel herabnahm und mit Lust wieder in die alten Ideenkreise zurückturnte. Wahrlich, bei dieser Um- wendung fiel es mir wie ein Stein vom Herzen, denn in seiner wahren Gestalt war Wolfgang Menzel weit minder gefährlich als in seiner liberalen Vermum- mung; ich hätte ihm um den Hals fallen mögen und ihn küssen, als er wieder gegen die Franzosen eiferte und auf Juden schimpfte und wieder für Gott und Va- terland, für das Christentum und deutsche Eichen, in die Schranken trat und erschrecklich bramarbasierte! Ich gestehe es, wie wenig Furcht er mir in dieser Ge- stalt einflößte, so sehr ängstigte er mich einige Jahre früher, als er plötzlich für die Juliusrevolution und die Franzosen in schwärmerische Begeisterung geriet, als er für die Rechte der Juden seine pathetischen, groß- herzigen, lafayettischen Emanzipationsreden hielt, als er Ansichten über Welt- und Menschenschicksal los- ließ, worin eine Gottlosigkeit grinste, wie dergleichen kaum bei den entschlossensten Materialisten gefunden wird, Ansichten, die kaum jener Tiere würdig, die sich nähren mit der Frucht der deutschen Eiche. Da- mals war er gefährlich, damals, ich gestehe es, zitterte ich vor Wolfgang Menzeln! Börne, in seiner Kurzsichtigkeit, hatte die wahre Natur des letztern nie erkannt, und da man gegen Re- negaten, gegen umgewandelte Gesinnungsgenossen weit mehr Unwillen empfindet als gegen alte Feinde, so loderte sein Zorn am grimmigsten gegen Men- zeln. - Was mich anbelangt, der ich fast zu gleicher Zeit eine Schrift gegen Menzeln herausgab, so waren ganz andere Motive im Spiel. Der Mann hatte mich nie beleidigt, selbst seine roheste Verlästerung hat keine verletzbare Stelle in meinem Gemüte getroffen. Wer meine Schrift gelesen, wird übrigens daraus erse- hen haben, daß hier das Wort weniger verwunden als reizen sollte und alles dahin zielte, den Ritter des Deutschtums auf ein ganz anderes als ein literärisches Schlachtfeld herauszufordern. Menzel hat meiner loyalen Absicht kein Genüge geleistet. Es ist nicht meine Schuld, wenn das Publikum daraus allerlei ver- drießliche Folgerungen zog... Ich hatte ihm aufs groß- mütigste die Gelegenheit geboten, sich durch einen einzigen Akt der Mannhaftigkeit in der öffentlichen Meinung zu rehabilitieren... Ich setzte Blut und Leben aufs Spiel... Er hat's nicht gewollt. Armer Menzel! ich habe wahrlich keinen Groll gegen dich! Du warst nicht der Schlimmste. Die ande- ren sind weit perfider, sie verharren länger in der libe- ralen Vermummung oder lassen die Maske nicht ganz fallen... Ich meine hier zunächst einige schwäbische Kammersänger der Freiheit, deren liberale Triller immer leiser und leiser verklingen und die bald wie- der mit der alten Bierstimme die Weisen von Anno 13 und 14 anstimmen werden... Gott erhalte euch fürs Vaterland! Wenn ihr, um die Fetzen eurer Popularität zu retten, den Menzel, euren vertrautesten Gesin- nungsgenossen, sakrifiziert habt, so war das eine sehr verächtliche Handlung. Und dann muß man bei Menzeln anerkennen, daß er mit bestimmter Mannesunterschrift seine Schmä- hungen vertrat; er war kein anonymer Skribler und brachte immer die eigne Haut zu Markt. Nach jedem Schimpfwort, womit er uns bespritzte, hielt er fast gutmütig still, um die verdiente Züchtigung zu emp- fangen. Auch hat's ihm an geschriebenen Schlägen nicht gefehlt, und sein literarischer Rücken ist schwarz gestreift, wie eines Zebras. Armer Menzel! Er zahlte für manchen anderen, dessen man nicht hab- haft werden konnte, für die anonymen und pseudony- men Buschklepper, die aus den dunkelsten Schlupf- winkeln der Tagespresse ihre feigen Pfeile abschie- ßen... Wie willst du sie züchtigen? Sie haben keinen Namen, den du brandmarken könntest, und gelänge es dir sogar, von einem zitternden Zeitungsredakteur die paar leere Buchstaben zu erpressen, die ihnen als Namen dienen, so bist du dadurch noch nicht sonder- lich gefördert... Du findest als dann, daß der Verfasser des insolentesten Schmähartikels kein anderer war als jener klägliche Drohbettler, der mit all seiner untertä- nigen Zudringlichkeit auch keinen Sou von dir erpres- sen konnte... Oder, was noch bitterer ist, du erfährst, daß im Gegenteil ein Lumpazius, der dich um zwei- hundert Francs geprellt, dem du einen Rock geschenkt hast, um seine Blöße zu bedecken, dem du aber keine schriftliche Zeile geben wolltest, womit er sich in Deutschland als deinen Freund und großen Mitdichter herumpräsentieren konnte, daß ein solcher Lumpazius es war, der deinen guten Leumund in der Heimat be- geiferte... Ach, dieses Gesindel ist kapabel, mit vol- lem Namen gegen dich aufzutreten, und dann bist du erst recht in Verlegenheit! Antwortest du, so verleihst du ihnen eine lebenslängliche Wichtigkeit, die sie auszubeuten wissen, und sie finden eine Ehre darin, daß du sie mit demselben Stocke schlugest, womit ja schon die berühmtesten Männer geschlagen worden... Freilich, das beste wäre, sie bekämen ihre Prügel ganz unfigürlich, mit keinem geistigen, sondern mit einem wirklich materiellen Stocke, wie einst ihr Ahnherr Thersites... Ja, es war ein lehrreiches Beispiel, das du uns ga- best, edler Sohn des Laertes, königlicher Dulder Odysseus! Du, der Meister des Wortes, der in der Kunst des Sprechens alle Sterblichen übertrafest! jedem wußtest du Rede zu stehen, und du sprachest ebenso gern wie siegreich: nur an einen klebrichten Thersites wolltest du kein Wort verlieren, einen sol- chen Wicht hieltest du keiner Gegenrede wert, und als er dich schmähte, hast du ihn schweigend geprügelt... Wenn mein Vetter in Lüneburg dies liest, erinnert er sich vielleicht unserer dortigen Spaziergänge, wo ich jedem Betteljungen, der uns ansprach, immer einen Groschen gab, mit der ernstlichen Vermahnung: »Lieber Bursche, wenn du dich etwa später auf Lite- ratur legen und Kritiken für die Brockhausischen Li- teraturblätter schreiben solltest, so reiß mich nicht herunter!« Mein Vetter lachte damals, und ich selber wußte noch nicht, daß der »Groschen, den meine Mutter einer Bettlerin verweigerte«, auch in der Lite- ratur so fatalistisch wirken konnte! Ich habe oben der Brockhausischen Literaturblätter erwähnt. Diese sind die Höhlen, wo die unglücklich- sten aller deutschen Skribler schmachten und ächzen; die hier hinabsteigen, verlieren ihren Namen und be- kommen eine Nummer, wie die verurteilten Polen in den russischen Bergwerken, in den Bleiminen von Nowgorod: hier müssen sie, wie diese, die entsetz- lichsten Arbeiten verrichten, z.B. Herrn von Raumer als großen Geschichtschreiber loben oder Ludwig Tieck als Gelehrten anpreisen und als Mann von Cha- rakter usw. ... Die meisten sterben davon und werden namenlos verscharrt als tote Nummer. Viele unter die- sen Unglücklichen, vielleicht die meisten, sind ehe- malige Teutomanen, und wenn sie auch keine altdeut- schen Röcke mehr tragen, so tragen sie doch altdeut- sche Unterhosen; - sie unterscheiden sich von den schwäbischen Gesinnungsgenossen durch einen ge- wissen märkischen Akzent und durch ein weit windi- geres Wesen. Die Volkstümelei war von jeher in Norddeutschland mehr Affektation, wo nicht gar ein- studierte Lüge, namentlich in Preußen, wo sogar die Championen der Nationalität ihren slawischen Ur- sprung vergebens zu verleugnen suchten. Da lob ich mir meine Schwaben, die meinen es wenigstens ehrli- cher und dürfen mit größerem Rechte auf germanische Rassenreinheit pochen. Ihr jetziges Hauptorgan, die Cottasche Dreimonatsrevue, ist beseelt von diesem Stolz, und ihr Redakteur, der Diplomat Kölle (ein geistreicher Mann, aber der größte Schwätzer dieser Erde, und der gewiß nie ein Staatsgeheimnis ver- schwiegen hat!), der Redakteur jener Revue ist der eingefleischteste Rassenmäkler, und sein drittes Wort ist immer germanische, romanische und semitische Rasse... Sein größter Schmerz ist, daß der Champion des Germanentums, sein Liebling, Wolfgang Menzel, alle Kennzeichen der mongolischen Abstammung im Gesichte trägt. Ich finde es für nötig, hier zu bemerken, daß ich den langweilig breiten Schmähartikel, den jüngst die erwähnte Dreimonatsschrift gegen mich auskramte, keineswegs der bloßen Teutomanie, nicht einmal einem persönlichen Grolle, beimesse. Ich war lange der Meinung, als ob der Verfasser, ein gewisser G. Pf., durch jenen Artikel seinen Freund Menzel rächen wolle. Aber ich muß der Wahrheit gemäß meinen Irr- tum bekennen. Ich ward seitdem verschiedenseitig eines Besseren unterrichtet. »Die Freundschaft zwischen dem Menzel und dem erwähnten G. Pf.«, sagte mir unlängst ein ehrlicher Schwabe, »besteht nur darin, daß letzterer dem Men- zel, der kein Französisch versteht, mit seiner Kenntnis dieser Sprache aushilft. Und was den Angriff gegen Sie betrifft, so ist das gar nicht so böse gemeint; der G. Pf. war früher der größte Enthusiast für Ihre Schriften, und wenn er jetzt so glühend gegen die Im- moralität derselben eifert, so geschieht das, um sich das Ansehen von strenger Tugend zu geben und sich gegen den Verdacht der sokratischen Liebe, der auf ihm lastete, etwas zu decken.« Ich würde den Ausdruck »sokratische Liebe« gern umschrieben haben, aber es sind die eigenen Worte des Dr. D.....r, der mir diese harmlose Konfidenz machte. Dr. D.....r, der gewiß nichts dagegen hätte, wenn ich seinen ganzen Namen mitteilte, ist ein Mann von ausgezeichnetem Geist und von einer Wahrheits- liebe, die sich in seinem ganzen Wesen ausspricht. Da er sich in diesem Augenblick zu London befindet, konnte ich ohne vorläufige Anfrage seinen Namen nicht ganz ausschreiben; er steht aber zu Dienst sowie auch der ganze Name eines der achtungswertesten Pa- riser Gelehrten, des Pr. D.....g, in dessen Gegenwart mir dieselbe Mitteilung wiederholt ward. - Für das Publikum aber ist es nützlich zu erfahren, welche Motive sich zuweilen unter dem bekannten »sittlich- religiös-patriotischen Bettlermantel« verbergen. Ich habe mich nur scheinbar von meinem Gegen- stande entfernt. Manche Angriffe gegen den seligen Börne finden durch obige Winke ihre teilweise Erklä- rung. Dasselbe ist der Fall in Beziehung auf sein Buch »Menzel der Franzosenfresser«. Diese Schrift ist eine Verteidigung des Kosmopolitismus gegen den Nationalismus; aber in dieser Verteidigung sieht man, wie der Kosmopolitismus Börnes nur in seinem Kopfe saß, statt daß der Patriotismus tief in seinem Herzen wurzelte, während bei seinem Gegner der Pa- triotismus nur im Kopfe spukte und die kühlste Indif- ferenz im Herzen gähnte... Die listigen Worte, womit Menzel sein Deutschtum wie ein Hausierjude seinen Plunder anpreist, seine alten Tiraden von Hermann dem Cherusker, dem Korsen, dem gesunden Pflanzen- schlaf, Martin Luther, Blücher, der Schlacht bei Leip- zig, womit er den Stolz des deutschen Volkes kitzeln will, alle diese abgelebten Redensarten weiß Börne so zu beleuchten, daß ihre lächerliche Nichtigkeit aufs ergötzlichste veranschaulicht wird; und dabei brechen aus seinem eigenen Herzen die rührendsten Naturlaute der Vaterlandsliebe, wie verschämte Geständnisse, die man in der letzten Stunde des Lebens nicht mehr zurückhalten kann, die wir mehr hervorschluchzen als aussprechen... Der Tod steht daneben und nickt, als unabweisbarer Zeuge der Wahrheit! Ja, er war nicht bloß ein guter Schriftsteller, son- dern auch ein großer Patriot. In Beziehung auf Börnes schriftstellerischen Wert muß ich hier auch seine Übersetzung der »Paroles d'un croyant« erwähnen, die er ebenfalls in seinem letzten Lebensjahre angefertigt und die als ein Mei- sterstück des Stils zu betrachten ist. Daß er eben die- ses Buch übersetzte, daß er sich überhaupt in die Ide- enkreise Lamennais' verlocken ließ, will ich jedoch nicht rühmen. Der Einfluß, den dieser Priester auf ihn ausübte, zeigte sich nicht bloß in der erwähnten Über- setzung der »Paroles d'un croyant«, sondern auch in verschiedenen französischen Aufsätzen, die Börne da- mals für den »Réformateur« und die »Balance« schrieb, in jenen merkwürdigen Urkunden seines Gei- stes, wo sich ein Verzogen, ein Verzweifeln an prote- stantischer Vernunftautorität gar bedenklich offenbart und das erkrankte Gemüt in katholische Anschauun- gen hinüberschmachtet... Es war vielleicht ein Glück für Börne, daß er starb... Wenn nicht der Tod ihn ret- tete, vielleicht sähen wir ihn heute römisch-katholisch blamiert. Wie ist das möglich? Börne wäre am Ende katho- lisch geworden? Er hätte in den Schoß der römischen Kirche sich geflüchtet und das leidende Haupt durch Orgelton und Glockenklang zu betäuben gesucht? Nun ja, er war auf dem Wege, dasselbe zu tun, was so manche ehrliche Leute schon getan, als der Ärger ihnen ins Hirn stieg und die Vernunft zu fliehen zwang und die arme Vernunft ihnen beim Abschied nur noch den Rat gab: Wenn ihr doch verrücke sein wollt, so werdet katholisch, und man wird euch we- nigstens nicht einsperren, wie andere Monomanen. »Aus Ärger katholisch werden« - so lautet ein deutsches Sprichwort, dessen verflucht tiefe Bedeu- tung mir jetzt erst klar wird. - Ist doch der Katholi- zismus die schauerlich reizendste Blüte jener Doktrin der Verzweiflung, deren schnelle Verbreitung über die Erde nicht mehr als ein großes Wunder erscheint, wenn man bedenkt, in welchem grauenhaft peinlichen Zustand die ganze römische Welt schmachtete... Wie der einzelne sich trostlos die Adern öffnete und im Tode ein Asyl suchte gegen die Tyrannei der Cäsaren, so stürzte sich die große Menge in die Asketik, in die Abtötungslehre, in die Martyrsucht, in den ganzen Selbstmord der nazarenischen Religion, um auf ein- mal die damalige Lebensqual von sich zu werfen und den Folterknechten des herrschenden Materialismus zu trotzen... Für Menschen, denen die Erde nichts mehr bietet, ward der Himmel erfunden... Heil dieser Erfindung! Heil einer Religion, die dem leidenden Menschenge- schlecht in den bittern Kelch einige süße, einschläfernde Tropfen goß, geistiges Opium, einige Tropfen Liebe, Hoffnung und Glauben! Ludwig Börne war, wie ich bereits in der ersten Abteilung erwähnte, seiner Natur nach ein geborner Christ, und diese spiritualistische Richtung mußte in den Katholizismus überschnappen, als die verzwei- felnden Republikaner, nach den schmerzlichsten Nie- derlagen, sich mit der katholischen Partei verbanden. - Wieweit ist es Ernst mit dieser Verbündung? Ich kann's nicht sagen. Manche Republikaner mögen wirklich aus Ärger katholisch geworden sein. Die meisten jedoch verabscheuen im Herzen ihre neuen Alliierten, und es wird Komödie gespielt von beiden Seiten. Es gilt nur den gemeinschaftlichen Feind zu bekämpfen, und in der Tat, die Verbindung der beiden Fanatismen, des religiösen und des politischen, ist be- drohlich im höchsten Grade. Zuweilen aber geschieht es, daß die Menschen sich in ihrer Rolle verlieren und aus dem listigen Spiel ein plumper Ernst wird; und so mag wohl mancher Republikaner so lange mit den ka- tholischen Symbolen geliebäugelt haben, bis er zu- letzt daran wirklich glaubte; und mancher schlaue Pfaffe mag so lange die Marseillaise gesungen haben, bis sie sein Lieblingslied ward und er nicht mehr Messe lesen kann, ohne in die Melodie dieses Schlachtgesanges zu verfallen. Wir armen Deutschen, die wir leider keinen Spaß verstehen, wir haben das Fraternisieren des Republi- kanismus und des Katholizismus für baren Ernst ge- nommen, und dieser Irrtum kann uns einst sehr teuer zu stehen kommen. Arme deutsche Republikaner, die ihr Satan bannen wollt durch Beelzebub, ihr werdet, wenn euch solcher Exorzismus gelänge, erst recht aus dem Feuerregen in die Flammentraufe geraten! Wie gar manche deutsche Patrioten, um protestantische Regierungen zu befehden, mit der katholischen Partei gemeinschaftliche Sache treiben, kann ich nicht be- greifen. Man wird mir, dem die Preußen bekanntlich soviel Herzleid bereiteten, man wird mir schwerlich eine blinde Sympathie für Borussia zuschreiben: ich darf daher freimütig gestehen, daß ich in dem Kampfe Preußens mit der katholischen Partei nur ersterem den Sieg wünsche... Denn eine Niederlage würde hier not- wendig zur Folge haben, daß einige deutsche Provin- zen, die Rheinlande, für Deutschland verlorengin- gen. - Was kümmert es aber die frommen Leute in München, ob man am Rhein deutsch oder französisch spricht; für sie ist es hinreichend, daß man dort latei- nisch die Messe singt. Pfaffen haben kein Vaterland, sie haben nur einen Vater, einen Papa, in Rom. Daß aber der Abfall der Rheinlande, ihr Heimfall an das romanische Frankreich, eine ausgemachte Sache ist zwischen den Helden der katholischen Partei und ihren französischen Verbündeten, wird männiglich bekannt sein zu diesen Verbündeten ge- hört seit einiger Zeit auch ein gewisser ehemaliger Ja- kobiner, der jetzt eine Krone trägt und mit gewissen gekrönten Jesuiten in Deutschland unterhandelt... Frommer Schacher! scheinheiliger Verrat am Vater- land! Es versteht sich von selbst, daß unser armer Börne, der sich nicht bloß von den Schriften, sondern auch von der Persönlichkeit Lamennais' ködern ließ und an den Umtrieben der römischen Freiwerber unbewußt teilnahm, es versteht sich von selbst, daß unser armer Börne nimmermehr die Gefahren ahnte, die durch die Verbündung der katholischen und republikanischen Partei unser Deutschland bedrohen. Er hatte hiervon auch nicht die mindeste Ahnung, er, dem die Integrität Deutschlands, ebensosehr wie dem Schreiber dieser Blätter, immer am Herzen lag. Ich muß ihm in dieser Beziehung das glänzendste Zeugnis erteilen. »Auch keinen deutschen Nachttopf würde ich an Frankreich abtreten«, rief er einst im Eifer des Gesprächs, als je- mand bemerkte, daß Frankreich, der natürliche Reprä- sentant der Revolution, durch den Wiederbesitz der Rheinlande gestärkt werden müsse, um dem aristokra- tisch absolutistischen Europa desto sicherer widerste- hen zu können. »Keinen Nachttopf tret ich ab«, rief Börne, im Zimmer auf und ab stampfend, ganz zornig. »Es versteht sich«, bemerkte ein Dritter, »wir treten den Franzosen keinen Fußbreit Land vom deutschen Boden ab; aber wir sollten ihnen einige deutsche Landsleute abtreten, deren wir allenfalls entbehren können. Was dächten Sie, wenn wir den Franzosen z.B. den Raumer und den Rotteck abträten?« »Nein, nein«, rief Börne, aus dem höchsten Zorn in Lachen übergehend, »auch nicht einmal den Raumer oder den Rotteck: trete ich ab, die Kollektion wäre nicht mehr komplett, ich will Deutschland ganz be- halten, wie es ist, mit seinen Blumen und seinen Di- steln, mit seinen Riesen und seinen Zwergen... nein, auch die beiden Nachttöpfe trete ich nicht ab!« Ja, dieser Börne war ein großer Patriot, vielleicht der größte, der aus Germanias stiefmütterlichen Brü- sten das glühendste Leben und den bittersten Tod ge- sogen! In der Seele dieses Mannes jauchzte und blute- te eine rührende Vaterlandsliebe, die, ihrer Natur nach verschämt, wie jede Liebe, sich gern unter knurrenden Scheltworten und nergelndem Murrsinn versteckte, aber in unbewachter Stunde desto gewaltsamer her- vorbrach. Wenn Deutschland allerlei Verkehrtheiten beging, die böse Folgen haben konnten, wenn es den Mut nicht hatte, eine heilsame Medizin einzunehmen, sich den Star stechen zu lassen oder sonst eine kleine Operation auszuhalten, dann tobte und schimpfte Ludwig Börne und stampfte und wetterte; - wenn aber das vorausgesehene Unglück wirklich eintrat, wenn man Deutschland mit Füßen trat oder so lange peitschte, bis Blut floß, dann schmollte Börne nicht länger, und er fing an zu flennen, der arme Narr, der er war, und schluchzend behauptete er alsdann, Deutschland sei das beste Land der Welt und das schönste Land, und die Deutschen seien das schönste und edelste Volk, eine wahre Perle von Volk, und nir- gends sei man klüger als in Deutschland, und sogar die Narren seien dort gescheut, und die Flegelei sei eigentlich Gemüt, und er sehnte sich ordentlich nach den geliebten Rippenstößen der Heimat, und er hatte manchmal ein Gelüste nach einer recht saftigen deut- schen Dummheit, wie eine schwangere Frau nach einer Birne. Auch wurde fr ihn die Entfernung vom Vaterlande eine wahre Marter, und manches böse Wort in seinen Schriften hat diese Qual hervorge- preßt. Wer das Exil nicht kennt, begreift nicht, wie grell es unsere Schmerzen färbt und wie es Nacht und Gift in unsere Gedanken gießt. Dante schrieb seine »Hölle« im Exil. Nur wer im Exil gelebt hat, weiß auch, was Vaterlandsliebe ist, Vaterlandsliebe mit all ihren süßen Schrecken und sehnsüchtigen Kümmer- nissen! Zum Glück für unsere Patrioten, die in Frank- reich leben müssen, bietet dieses Land so viele Ähn- lichkeit mit Deutschland; fast dasselbe Klima, diesel- be Vegetation, dieselbe Lebensweise. »Wie furchtbar muß das Exil sein, wo diese Ähnlichkeit fehlt« - be- merkte mir einst Börne, als wir im Jardin des Plantes spazierengingen -, »wie schrecklich, wenn man um sich her nur Palmen und tropische Gewächse sähe und ganz wildfremde Tierarten, wie Känguruhs und Ze- bras... Zu unserem Glücke sind die Blumen in Frank- reich ganz so wie bei uns zu Hause, die Veilchen und Rosen sehen ganz wie deutsche aus, und die Ochsen und Kühe und die Esel sind geduldig und nicht ge- streift, ganz wie bei uns, und die Vögel sind gefiedert und singen in Frankreich ganz so wie in Deutschland, und wenn ich gar hier in Paris die Hunde herumlaufen sehe, kann ich mich ganz wieder über den Rhein zu- rückdenken, und mein Herz ruft mir zu: Das sind ja unsere deutschen Hunde!« Ein gewisser Blödsinn hat lange Zeit in Börnes Schriften jene Vaterlandsliebe ganz verkannt. Über diesen Blödsinn konnte er sehr mitleidig die Achseln zucken, und über die keuchenden alten Weiber, wel- che Holz zu seinem Scheiterhaufen herbeischleppten, konnte er mit Seelenruhe ein »Sancta simplicitas!« ausrufen. Aber wenn jesuitische Böswilligkeit seinen Patriotismus zu verdächtigen suchte, geriet er in einen vernichtenden Grimm. Seine Entrüstung kennt als- dann keine Rücksicht mehr, und wie ein beleidigter Titane schleudert er die tödlichsten Quadersteine auf die züngelnden Schlangen, die zu seinen Füßen kriechen. Hier ist er in seinem vollen Rechte, hier lo- dert am edelsten sein Manneszorn. Wie merkwürdig ist folgende Stelle in den »Pariser Briefen«, die gegen Jarcke gerichtet ist, der sich unter den Gegnern Bör- nes durch zwei Eigenschaften, nämlich Geist und An- stand, einigermaßen auszeichnet: »Dieser Jarcke ist ein merkwürdiger Mensch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Besoldung von Gentz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hundertsten Teil, oder er verdiente eine hundertmal größere - es kömmt nur darauf an, was man dem Gentz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Diesen katholisch und toll gewor- denen Jarcke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern, zum nützlichen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er gibt seit einem Jahre ein ›Politisches Wochenblatt‹ heraus. Das ist eine unterhaltende Camera obscura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wünsche und Verwün- schungen, Hoffnungen und Befürchtungen, Freuden und Leiden, Ängste und Tollkühnheiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monarchisten und Aristo- kraten mit ihren Schatten hintereinander vorüber. Der gefällige Jarcke! Er verrät alles, er warnt alle. Die verborgensten Geheimnisse der großen Welt schreibt er auf die Wand meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm und erzähle jetzt Ihnen, was sie mit uns vorhaben. Sie wollen nicht allein die Früchte und Blüten und Blätter und Zweige und Stämme der Re- volution zerstören, sondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefsten, ausgebreitetsten, festesten Wurzeln, und blie- be die halbe Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarcke geht mit Messer und Schaufel und Beil umher, von einem Felde, von einem Lande in das andere, von einem Volke zum andern. Nachdem er alle Revoluti- onswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er die Gegenwart zerstört hat, geht er zur Vergangenheit zu- rück. Nachdem er der Revolution den Kopf abge- schlagen und die unglückliche Delinquentin ausgelit- ten hat, verbietet er ihrer längst verstorbenen, längst verwesten Großmutter das Heiraten; er macht die Ver- gangenheit zur Tochter der Gegenwart. Ist das nicht toll? Diesen Sommer eiferte er gegen das Fest von Hambach. Das unschuldige Fest! Der gute Hammel! Der Wolf von Bundestag, der oben am Flusse soff, warf dem Schafe von deutschem Volke, das weiter unten trank, vor: es trübe ihm das Wasser, und er müsse es auffressen. Herr Jarcke ist Zunge des Wol- fes. Dann rottet er die Revolution in Baden, Rhein- bayern, Hessen, Sachsen aus; dann die englische Reformbill; dann die polnische, die belgische, die französische Juliusrevolution. Dann verteidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel. So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen zerstörte er Lafayette, nicht den Lafayette der Juliusrevolution, sondern den Lafayette vor funfzig Jahren, der für die amerikanische und die erste französische Revolution gekämpft. Jarcke auf den Stiefeln Lafayettes herum- kriechen! Es war mir, als sähe ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide scharren, mit dem Gedan- ken, sie umzuwerfen! Immer zurück! Vor vierzehn Tagen setzte er seine Schaufel an die hundertundfunf- zigjährige englische Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe an den älteren Brutus, der die Tar- quinier verjagt, und so wird Herr Jarcke endlich zum lieben Gott selbst kommen, der die Unvorsichtigkeit begangen, Adam und Eva zu erschaffen, ehe er noch für einen König gesorgt hatte, wodurch sich die Menschheit in den Kopf gesetzt, sie könne auch ohne Fürsten bestehen. Herr Jarcke sollte aber nicht verges- sen, daß, sobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in Wien nicht mehr braucht. Und dann adieu Hofrat, adieu Besoldung. Er wird wohl den Verstand haben, diese eine Wurzel des Hambacher Festes stehenzulas- sen. Das ist der nämliche Jarcke, von dem ich in einem früheren Briefe Ihnen etwas mitzuteilen versprochen, was er über mich geäußert. Nicht über mich allein, es betraf auch wohl andere; aber an mich gedachte er gewiß am meisten dabei. Im letzten Sommer schrieb er im ›Politischen Wochenblatte‹ einen Aufsatz: ›Deutschland und die Revolution‹. Darin kommt fol- gende Stelle vor. Ob die artige Bosheit oder die groß- artige Dummheit mehr zu bewundern sei, ist schwer zu entscheiden. Die Stelle aus Jarckes Artikel lautet folgenderma- ßen: ›Übrigens ist es vollkommen richtig, daß jene Grundsätze, wie wir sie oben geschildert, niemals schaffend ins wirkliche Leben treten, daß Deutschland niemals in eine Republik nach dem Zuschnitte der heutigen Volksverführer umgewandelt, daß jene Frei- heit und Gleichheit selbst durch die Gewalt des Schreckens niemals durchgesetzt werden könne; ja, es ist zweifelhaft, ob die frechsten Führer der schlechten Richtung nicht selbst bloß ein grausenhaftes Spiel mit Deutschlands höchsten Gütern spielen, ob sie nicht selbst am besten wissen, daß dieser Weg ohne Ret- tung zum Verderben führt, und bloß deshalb mit klu- ger Berechnung das Werk der Verführung treiben, um in einem großen welthistorischen Akte Rache zu neh- men für den Druck und die Schmach, den das Volk, dem sie ihrem Ursprung nach angehören, jahrhunder- telang von dem unsrigen erduldet.‹ - Oh, Herr Jarcke, das ist zu arg! Und als Sie dieses schrieben, waren Sie noch nicht österreichischer Rat, sondern nichts weiter als das preußische Gegenteil - wie werden Sie nicht erst rasen, wenn Sie in der Wiener Staatskanzlei sitzen? Daß Sie uns die Ruchlo- sigkeit vorwerfen, wir wollten das deutsche Volk un- glücklich machen, weil es uns selbst unglücklich ge- macht - das verzeihen wir dem Kriminalisten und sei- ner schönen Imputationstheorie. Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem Scheine der Liebe unse- re Feinde zu verderben - dafür müssen wir uns bei dem Jesuiten bedanken, der uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns für so dumm halten, wir würden eine Taube in der Hand für eine Lerche auf dem Dache fliegen lassen - dafür müssen Sie uns Rede stehen, Herr Jarcke. Wie! Wenn wir das deut- sche Volk haßten, würden wir mit aller unserer Kraft dafür streiten, es von der schmachvollsten Erniedri- gung, in der es versunken, es von der bleiernen Tyran- nei, die auf ihm lastet, es von dem Übermute seiner Aristokraten, dem Hochmute seiner Fürsten, von dem Spotte aller Hofnarren, den Verleumdungen aller ge- dungenen Schriftsteller befreien zu helfen, um es den kleinen, bald vorübergehenden und so ehrenvollen Gefahren der Freiheit preiszugeben? Haßten wir die Deutschen, dann schrieben wir wie Sie, Herr Jarcke. Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch noch die sündevolle Rache hat etwas, das entheiligt werden kann.« Die Verdächtigung seines Patriotismus erregte bei Börne, in der angeführten Stelle, eine Mißlaune, die der bloße Vorwurf jüdischer Abstammung niemals in ihm hervorzurufen vermochte. Es amüsierte ihn sogar, wenn die Feinde, bei der Fleckenlosigkeit seines Wandels, ihm nichts Schlimmeres nachzusagen wu- ßten, als daß er der Sprößling eines Stammes, der einst die Welt mit seinem Ruhm erfüllte und trotz aller Herabwürdigung noch immer die uralt heilige Weihe nicht ganz eingebüßt hat. Er rühmte sich sogar oft dieses Ursprungs, freilich in seiner humoristischen Weise, und den Mirabeau parodierend, sagte er einst zu einem Franzosen: »Jésus-Christ - qui en pa- renthèse était mon cousin - a prêché l'égalité« usw. In der Tat, die Juden sind aus jenem Teige, woraus man Götter knetet; tritt man sie heute mit Füßen, fällt man morgen vor ihnen auf die Knie; während die einen sich im schäbigsten Kote des Schachers herum- wühlen, ersteigen die anderen den höchsten Gipfel der Menschheit, und Golgatha ist nicht der einzige Berg, wo ein jüdischer Gott für das Heil der Welt geblutet. Die Juden sind das Volk des Geistes, und jedesmal, wenn sie zu ihrem Prinzipe zurückkehren, sind sie groß und herrlich und beschämen und überwinden ihre plumpen Dränger. Der tiefsinnige Rosenkranz vergleicht sie mit dem Riesen Antäus, nur daß dieser jedesmal erstarkte, wenn er die Erde berührte, jene aber, die Juden, neue Kräfte gewinnen, sobald sie wieder mit dem Himmel in Berührung kommen. Merkwürdige Erscheinung der grellsten Extreme! Während unter diesen Menschen alle möglichen Frat- zenbilder der Gemeinheit gefunden werden, findet man unter ihnen auch die Ideale des reinsten Men- schentums, und wie sie einst die Welt in neue Bahnen des Fortschrittes geleitet, so hat die Welt vielleicht noch weitere Initiationen von ihnen zu erwarten... »Die Natur«, sagte mir einst Hegel, »ist sehr wun- derlich; dieselben Werkzeuge, die sie zu den erhaben- sten Zwecken gebraucht, benutzt sie auch zu den niedrigsten Verrichtungen, z.B. jenes Glied, welchem die höchste Mission, die Fortpflanzung der Mensch- heit, anvertraut ist, dient auch zum ---« Diejenigen, welche über die Dunkelheit Hegels kla- gen, werden ihn hier verstehen, und wenn er auch obige Worte nicht eben in Beziehung auf Israel aus- sprach, so lassen sie sich doch darauf anwenden. Wie dem auch sei, es ist leicht möglich, daß die Sendung dieses Stammes noch nicht ganz erfüllt, und namentlich mag dieses in Beziehung auf Deutschland der Fall sein. Auch letzteres erwartet einen Befreier, einen irdischen Messias - mit einem himmlischen haben uns die Juden schon gesegnet -, einen König der Erde, einen Retter mit Zepter und Schwert, und dieser deutsche Befreier ist vielleicht derselbe, dessen auch Israel harret... O teurer, sehnsüchtig erwarteter Messias! Wo ist er jetzt, wo weilt er? Ist er noch ungeboren, oder liegt er schon seit einem Jahrtausend irgendwo versteckt, erwartend die große rechte Stunde der Erlö- sung? Ist es der alte Barbarossa, der im Kyffhäuser schlummernd sitzt auf dem steinernen Stuhle und schon so lange schläft, daß sein weißer Bart durch den steinernen Tisch durchgewachsen?... nur manch- mal schlaftrunken schüttelt er das Haupt und blinzelt mit den halbgeschlossenen Augen, greift auch wohl träumend nach dem Schwert... und nickt wieder ein, in den schweren Jahrtausendschlaf! Nein, es ist nicht der Kaiser Rotbart, welcher Deutschland befreien wird, wie das Volk glaubt, das deutsche Volk, das schlummersüchtige, träumende Volk, welches sich auch seinen Messias nur in der Gestalt eines alten Schläfers denken kann! Da machen doch die Juden sich eine weit bessere Vorstellung von ihrem Messias, und vor vielen Jah- ren, als ich in Polen war und mit dem großen Rabbi Manasse ben Naphtali zu Krakau verkehrte, horchte ich immer mit freudig offenem Herzen, wenn er von dem Messias sprach... Ich weiß nicht mehr, in wel- chem Buche des Talmuds die Details zu lesen sind, die mir der große Rabbi ganz treu mitteilte, und über- haupt nur in den Grundzügen schwebt mir seine Be- schreibung des Messias noch im Gedächtnisse. Der Messias, sagte er mir, sei an dem Tage geboren, wo Jerusalem durch den Bösewicht, Titus Vespasian, zer- stört worden, und seitdem wohne er im schönsten Pa- laste des Himmels, umgeben von Glanz und Freude, auch eine Krone auf dem Haupte tragend, ganz wie ein König... aber seine Hände seien gefesselt mit gol- denen Ketten! »Was«, frug ich verwundert, »was bedeuten diese goldenen Ketten?« »Die sind notwendig« - erwiderte der große Rabbi, mit einem schlauen Blick und einem tiefen Seufzer -, »ohne diese Fessel würde der Messias, wenn er manchmal die Geduld verliert, plötzlich herabeilen und zu frühe, zur unrechten Stunde, das Erlösungs- werk unternehmen. Er ist eben keine ruhige Schlaf- mütze. Er ist ein schöner, sehr schlanker, aber doch ungeheuer kräftiger Mann; blühend wie die Jugend. Das Leben, das er führt, ist übrigens sehr einförmig. Den größten Teil des Morgens verbringt er mit den üblichen Gebeten oder lacht und scherzt mit seinen Dienern, welche verkleidete Engel sind und hübsch singen und die Flöte blasen. Dann läßt er sein langes Haupthaar kämmen, und man sanft ihn mit Narden und bekleidet ihn mit seinem fürstlichen Purpurge- wande. Den ganzen Nachmittag studiert er die Kabba- la. Gegen Abend läßt er seinen alten Kanzler kom- men, der ein verkleideter Engel ist, ebenso wie die vier starken Staatsräte, die ihn begleiten, verkleidete Engel sind. Aus einem großen Buche muß alsdann der Kanzler seinem Herrn vorlesen, was jeden Tag pas- sierte... Da kommen allerlei Geschichten vor, worüber der Messias vergnügt lächelt oder auch mißmütig den Kopf schüttelt... Wenn er aber hört, wie man unten sein Volk mißhandelt, dann gerät er in den furchtbar- sten Zorn und heult, daß die Himmel erzittern... Die vier starken Staatsräte müssen dann den Ergrimmten zurückhalten, daß er nicht herabeile auf die Erde, und sie würden ihn wahrlich nicht bewältigen, wären seine Hände nicht gefesselt mit den goldenen Ketten... Man beschwichtigt ihn auch mit sanften Reden, daß jetzt die Zeit noch nicht gekommen sei, die rechte Ret- tungsstunde, und er sinkt am Ende aufs Lager und verhüllt sein Antlitz und weint...« So ungefähr berichtete mir Manasse ben Naphtali zu Krakau, seine Glaubwürdigkeit mit Hinweisung auf den Talmud verbürgend. Ich habe oft an seine Er- zählungen denken müssen, besonders in den jüngsten Zeiten, nach der Juliusrevolution. Ja, in schlimmen Tagen glaubt ich manchmal mit eignen Ohren ein Ge- rassel zu hören, wie von goldenen Ketten, und dann ein verzweifelndes Schluchzen... O verzage nicht, schöner Messias, der du nicht bloß Israel erlösen willst, wie die abergläubischen Juden sich einbilden, sondern die ganze leidende Menschheit! Oh, zerreißt nicht, ihr goldenen Ketten! Oh, haltet ihn noch einige Zeit gefesselt, daß er nicht zu frühe komme, der rettende König der Welt! |
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