Erstes Buch | Zweites Buch | Drittes Buch | Viertes Buch | Fünftes Buch
Text by Heinrich Heine (1797-1856)
--- Es war im Herbst 1831, ein Jahr nach der Juli- usrevolution, als ich zu Paris den Doktor Ludwig Börne wiedersah. Ich besuchte ihn im Gasthof Hôtel de Castille, und nicht wenig wunderte ich mich über die Veränderung, die sich in seinem ganzen Wesen aussprach. Das bißchen Fleisch, das ich früher an sei- nem Leibe bemerkt hatte, war jetzt ganz verschwun- den, vielleicht geschmolzen von den Strahlen der Juli- ussonne, die ihm leider auch ins Hirn gedrungen. Aus seinen Augen leuchteten bedenkliche Funken. Er saß oder vielmehr er wohnte in einem großen, buntseide- nen Schlafrock, wie eine Schildkröte in ihrer Schale, und wenn er manchmal argwöhnisch sein dünnes Köpfchen hervorbeugte, ward mir unheimlich zumute. Aber das Mitleid überwog, wenn er aus dem weiten Ärmel die arme abgemagerte Hand zum Gruße oder zum freundschaftlichen Händedruck ausstreckte. In seiner Stimme zitterte eine gewisse Kränklichkeit, und auf seinen Wangen grinsten schon die schwind- süchtig roten Streiflichter. Das schneidende Mißtrau- en, das in allen seinen Zügen und Bewegungen lauer- te, war vielleicht eine Folge der Schwerhörigkeit, woran er früher schon litt, die aber seitdem immer zu- nahm und nicht wenig dazu beitrug, mir seine Kon- versation zu verleiden. »Willkommen in Paris!« rief er mir entgegen. - »Das ist brav! Ich bin überzeugt, die Guten, die es am besten meinen werden alle bald hier sein. Hier ist der Konvent der Patrioten von ganz Europa, und zu dem großen Werke müssen sich alle Völker die Hände rei- chen. Sämtliche Fürsten müssen in ihren eigenen Län- dern beschäftigt werden, damit sie nicht in Gemein- schaft die Freiheit in Deutschland unterdrücken. Ach Gott! ach Deutschland! Es wird bald sehr betrübt bei uns aussehen und sehr blutig. Revolutionen sind eine schreckliche Sache, aber sie sind notwendig, wie Am- putationen, wenn irgendein Glied in Fäulnis geraten. Da muß man schnell zuschneiden und ohne ängstli- ches Innehalten. Jede Verzögerung bringt Gefahr, und wer aus Mitleid oder aus Schrecken, beim Anblick des vielen Blutes, die Operation nur zur Hälfte ver- richtet, der handelt grausamer als der schlimmste Wü- terich. Hol' der Henker alle weichherzigen Chirurgen und ihre Halbheit! Marat hatte ganz recht, il faut faire saigner le genre humain, und hätte man ihm die 300000 Köpfe bewilligt, die er verlangte, so wären Millionen der besseren Menschen nicht zugrunde ge- gangen, und die Welt wäre auf immer von dem alten Übel geheilt! Die Republik« - ich lasse den Mann ausreden, mit Übergehung mancher schnörkelhaften Absprünge -, »die Republik muß durchgesetzt werden. Nur die Republik kann uns retten. Der Henker hole die soge- nannten konstitutionellen Verfassungen, wovon unse- re deutschen Kammerschwätzer alles Heil erwarten. Konstitutionen verhalten sich zur Freiheit wie positi- ve Religionen zur Naturreligion: sie werden durch ihr stabiles Element ebensoviel Unheil anrichten wie jene positiven Religionen, die, für einen gewissen Geistes- zustand des Volkes berechnet, im Anfang sogar die- sem Geisteszustand überlegen sind, aber späterhin sehr lästig werden, wenn der Geist des Volkes die Satzung überflügelt. Die Konstitutionen entsprechen einem politischen Zustand, wo die Bevorrechteten von ihren Rechten einige abgeben und die armen Men- schen, die früher ganz zurückgesetzt waren, plötzlich jauchzen, daß sie ebenfalls Rechte erlangt haben... Aber diese Freude hört auf, sobald die Menschen durch ihren freieren Zustand für die Idee einer voll- ständigen, ganz ungeschmälerten, ganz gleichheitli- chen Freiheit empfänglich geworden sind; was uns heute die herrlichste Akquisition dünkt, wird unseren Enkeln als ein kümmerliches Abfinden erscheinen, und das geringste Vorrecht, das die ehemalige Aristo- kratie noch behielt, vielleicht das Recht, ihre Röcke mit Petersilie zu schmücken, wird alsdann ebensoviel Bitterkeit erregen wie einst die härteste Leibeigen- schaft, ja eine noch tiefere Bitterkeit, da die Aristo- kratie mit ihrem letzten Petersilienvorrecht um so hochmütiger prunken wird!... Nur die Naturreligion, nur die Republik kann uns retten. Aber die letzten Reste des alten Regiments müssen vernichtet werden, ehe wir daran denken können, das neue bessere Regi- ment zu begründen. Da kommen die untätigen Schwächlinge und Quietisten und schniffeln, wir Re- volutionäre rissen alles nieder, ohne imstande zu sein, etwas an die Stelle zu setzen! Und sie rühmen die In- stitutionen des Mittelalters, worin die Menschheit so sicher und ruhig gesessen habe. Und jetzt, sagen sie, sei alles so kahl und nüchtern und öde, und das Leben sei voll Zweifel und Gleichgültigkeit. Ehemals wurde ich immer wütend über diese Lob- redner des Mittelalters. Ich habe mich aber an diesen Gesang gewöhnt, und jetzt ärgere ich mich nur, wenn die lieben Sänger in eine andere Tonart übergehen und beständig über unser Nieder, reißen jammern. Wir hätten gar nichts anderes im Sinne, als alles nie- derzureißen. Und wie dumm ist diese Anklage! Man kann ja nicht eher bauen, ehe das alte Gebäude nie- dergerissen ist, und der Niederreißer verdient ebenso- viel Lob als der Auf, bauende, ja noch mehr, da sein Geschäft noch viel wichtiger... Zum Beispiel in mei- ner Vaterstadt, auf dem Dreifaltigkeitsplatze, stand eine alte Kirche, die so morsch und baufällig war, daß man fürchtete, durch ihren Einsturz würden einmal plötzlich viele Menschen getötet oder verstümmelt werden. Man riß sie nieder, und die Niederreißer ver- hüteten ein großes Unglück, statt daß die ehemaligen Erbauer der Kirche nur ein großes Glück beförder- ten... Und man kann eher ein großes Glück entbehren, als ein großes Unglück ertragen! Es ist wahr, viel gläubige Herrlichkeit blühte einst in den alten Mau- ern, und sie waren späterhin eine fromme Reliquie des Mittelalters, gar poetisch anzuschauen, des Nachts, im Mondschein... Wem aber, wie meinem armen Vet- ter, als er mal vorbeiging, einige Steine dieses übrig- gebliebenen Mittelalters auf den Kopf fielen (er blute- te lange und leidet noch heute an der Wunde), der ver- wünscht die Verehrer alter Gebäude und segnet die tapferen Arbeitsleute, die solche gefährliche Ruinen niederreißen... Ja, sie haben sie niedergerissen, sie haben sie dem Boden gleichgemacht, und jetzt wach- sen dort grüne Bäumchen und spielen kleine Kinder, des Mittags, im Sonnenlicht.« In solchen Reden gab's keine Spur der früheren Harmlosigkeit, und der Humor des Mannes, worin alle gemütliche Freude erloschen, ward mitunter gal- lenbitter, blutdürstig und sehr trocken. Das Absprin- gen von einem Gegenstand zum anderen entstand nicht mehr durch tolle Laune, sondern durch launische Tollheit und war wohl zunächst der buntscheckigen Zeitungslektüre beizumessen, womit sich Börne da- mals Tag und Nacht beschäftigte. Inmitten seiner terroristischen Expektorationen griff er plötzlich zu einem jener Tagesblätter, die in großen Haufen vor ihm ausgestreut lagen, und rief lachend: »Hier können Sie's lesen, hier steht's gedruckt: ›Deutschland ist mit großen Dingen schwanger!‹ Ja, das ist wahr, Deutschland geht schwanger mit großen Dingen; aber das wird eine schwere Entbindung geben. Und hier bedarf's eines männlichen Geburts- helfers, und der muß mit eisernen Instrumenten agie- ren. Was glauben Sie?« »Ich glaube, Deutschland ist gar nicht schwanger.« »Nein, nein, Sie irren sich. Es wird vielleicht eine Mißgeburt zur Welt kommen, aber Deutschland wird gebären. Nur müssen wir uns der geschwätzigen alten Weiber entledigen, die sich herandrängen und ihren Hebammendienst anbieten. Da ist z.B. so eine Vettel von Rotteck. Dieses alte Weib ist nicht einmal ein ehrlicher Mann. Ein armseliger Schriftsteller, der ein bißchen liberalen Demagogismus treibt und den Ta- gesenthusiasmus ausbeutet, um die große Menge zu gewinnen, um seinen schlechten Büchern Absatz zu verschaffen, um sich überhaupt eine Wichtigkeit zu geben. Der ist halb Fuchs, halb Hund und hüllt sich in ein Wolfsfell, um mit den Wölfen zu heulen. Da ist mir doch tausendmal lieber der dumme Kerl von Rau- mer - soeben lese ich seine ›Briefe aus Paris‹ -, der ist ganz Hund, und wenn er liberal knurrt, täuscht er niemand und jeder weiß, er ist ein untertäniger Pudel, der niemand beißt! Das läuft beständig herum und schnopert an allen Küchen und möchte gern einmal in unsere Suppe seine Schnauze stecken, fürchtet aber die Fußtritte der hohen Gönner. Und sie geben ihm wirklich Fußtritte und halten das arme Vieh für einen Revolutionär. Lieber Himmel, es verlangt nur ein bi- ßchen Wedelfreiheit, und wenn man ihm diese ge- währt, so leckt es dankbar die goldenen Sporen der uckermärkischen Ritterschaft. Nichts ist ergötzlicher als solche unermüdliche Beweglichkeit neben der un- ermüdlichen Geduld. Dieses tritt recht hervor in jenem Briefen, wo der arme Laufhund auf jeder Seite selbst erzählt, wie er vor den Pariser Theatern ruhig Queue machte... Ich versichere Sie, er machte ruhig Queue mit dem großen Troß und ist so einfältig, es selbst zu erziehen. Was aber noch weit stärker, was die Gemeinheit seiner Seele ganz zur Anschauung bringt, ist das Geständnis, daß er, wenn er vor Ende der Vorstellung das Theater verließ, jedesmal seine Kontermarke verkaufte. Es ist wahr, als Fremder braucht er nicht zu wissen, daß solcher Verkauf einen ordentlichen Menschen herabwürdigt; aber er hätte nur die Leute zu betrachten brauchen, denen er seine Kontermarke verhandelte, um von selbst zu merken, daß sie nur der Abschaum der Gesellschaft sind, Die- besgesindel und Maquereaus, kurz, Leute, mit denen ein ordentlicher Mensch nicht gern spricht, viel weni- ger ein Handelsgeschäft treibt. Der muß von Natur sehr schmutzig sein, wer aus diesen schmutzigen Händen Geld nimmt!« Damit man nicht wähne, als stimme ich in dem Ur- teil über den Herrn Professor Friedrich von Raumer ganz mit Börne überein, so bemerkte ich zu seinem Vorteil, daß ich ihn zwar für schmutzig halte, aber nicht für dumm. Das Wort schmutzig, wie ich eben- falls ausdrücklich bemerken will, muß hier nicht im materiellen Sinn genommen werden... Die Frau Pro- fessorin würde sonst Zeter schreien und alle ihre Waschzettel drucken lassen, worin verzeichnet steht, wieviel reine Unterhemden und Chemisettchen ihr lie- bes Männlein ihn Laufe des Jahres angezogen... und ich bin überzeugt, die Zahl ist groß, da der Herr Pro- fessor Raumer im Laufe des Jahres soviel läuft und folglich schwitzt und folglich viel Wäsche nötig hat. Es kommt ihm nämlich nicht der gebratene Ruhm ins Haus geflogen, er muß vielmehr beständig auf den Beinen sein, um ihn aufzusuchen, und wenn er ein Buch schreibt, so muß er erst von Pontio nach Pilato rennen, um die Gedanken zusammenzukriegen und endlich dafür zu sorgen, daß das mühsam zusammen- gestoppelte Opus auch von der literarischen Claque hinlänglich unterstützt wird. Das bewegliche süßhöl- zerne Männchen ist ganz einzig in dieser Betriebsamkeit, und nicht mit Unrecht bemerkte einst eine geistreiche Frau: »Sein Schreiben ist eigentlich ein Laufen.« Wo was zu machen ist, da ist es, das Raumerchen aus Anhalt-Dessau. Jüngst lief es nach London; vorher sah man es während drei Monaten überall hin und her laufen, um die dazu nötigen Emp- fehlungsschreiben zu betteln, und nachdem es in der englischen Gesellschaft ein bißchen herumge- schnopert und ein Buch zusammengelaufen, erläuft es auch einen Verleger für die englische Übersetzung, und Sarah Austin, meine liebenswürdige Freundin, muß notgedrungen ihre Feder dazu hergeben, um das saure fließpapierne Deutsch in velinschönes Englisch zu übersetzen und ihre Freunde anzutreiben, das über- setzte Produkt in den verschiedenen englischen Re- vues zu rezensieren... und diese erlaufenen englischen Rezensionen läßt dann Brockhaus zu Leipzig wieder ins Deutsche übersetzen, unter dem Titel »Englische Stimmen über Fr. v. Raumer«! Ich wiederhole, daß ich mit dem Urteil Börnes über Herrn v. Raumer nicht übereinstimme, er ist ein schmutziger, aber kein dummer Kerl, wie Börne meinte, der, vielleicht weil er ebenfalls »Briefe aus Paris« drucken ließ, den armen Nebenbuhler so scharf kritisierte und bei jeder Gelegenheit eine Lauge des boshaftesten Spottes über ihn ausgoß. Ja, lacht nicht, Herr von Raumer war damals ein Nebenbuhler von Börne, dessen »Briefe aus Paris« fast gleichzeitig mit den erwähnten Briefen erschie- nen, worin es, das Raumerchen, mit der Madame Cre- linger und ihrem Gatten aus Paris korrespondierte. Diese Briefe sind längst verschollen, und wir erin- nern uns nur noch des spaßhaften Eindrucks, den sie hervorbrachten, als sie gleichzeitig mit den »Pariser Briefen« von Börne auf dem literarischen Markte er- schienen. Was letztere betrifft, so gestehe ich, die zwei ersten Bände, die mir in jener Periode zu Gesicht kamen, haben mich nicht wenig erschreckt. Ich war überrascht von diesem ultraradikalen Tone, den ich am wenigsten von Börne erwartete. Der Mann, der sich, in seiner anständigen, geschniegelten Schreibart, immer selbst inspizierte und kontrollierte und der jede Silbe, ehe er sie niederschrieb, vorher abwog und abmaß... der Mann, der in seinem Stile immer etwas beibehielt von der Gewöhnung seines reichsstädti- schen Spießbürgertums, wo nicht gar von den Ängst- lichkeiten seines früheren Amtes... der ehemalige Po- lizeiaktuar von Frankfurt am Main stürzte sich jetzt in einen Sansculottismus des Gedankens und des Aus- drucks, wie man dergleichen in Deutschland noch nie erlebt hat. Himmel! welche entsetzliche Wortfügun- gen, welche hochverräterische Zeitwörter! welche ma- jestätsverbrecherische Akkusative! welche Imperati- ve! welche polizeiwidrige Fragezeichen! welche Metaphern, deren bloßer Schatten schon zu zwanzig Jahr Festungsstrafe berechtigte! Aber trotz des Grau- ens, den mir jene Briefe einflößten, weckten sie in mir eine Erinnerung, die sehr komischer Art, die mich fast bis zum Lachen erheiterte und die ich hier durchaus nicht verschweigen kann. Ich gestehe es, die ganze Erscheinung Börnes, wie sie sich in jenen Briefen of- fenbarte, erinnerte mich an den alten Polizeivogt, der, als ich ein kleiner Knabe war, in meiner Vaterstadt regierte. Ich sage regierte, da er, mit unumschränktem Stock die öffentliche Ruhe verwaltend, uns kleinen Buben einen ganz majestätischen Respekt einflößte und uns schon durch seinen bloßen Anblick gleich auseinanderjagte, wenn wir auf der Straße gar zu lär- mige Spiele trieben. Dieser Polizeivogt wurde plötz- lich wahnsinnig und bildete sich ein, er sei ein kleiner Gassenjunge, und zu unserer unheimlichsten Verwun- derung sahen wir, wie er, der allmächtige Straßenbe- herrscher, statt Ruhe zu stiften, uns zu dem lautesten Unfug aufforderte. »Ihr seid viel zu Zahm«, rief er, »ich aber will euch zeigen, wie man Spektakel ma- chen muß!« Und dabei fing ich an, wie ein Löwe zu brüllen oder wie ein Kater zu miauen, und er klingelte an den Häusern, daß die Türglocke abriß, und er warf Steine gegen die klirrenden Fensterscheiben, immer schreiend: »Ich will euch lehren, Jungens, wie man Spektakel macht!« Wir kleinen Buben amüsieren uns sehr über den Alten und liefen jubelnd hinter ihm drein bis man ihn ins Irrenhaus abführte. Während der Lektüre der Börneschen Briefe dachte ich wahrhaftig immer an den alten Polizeivogt, und mir war oft, als hörte ich wieder seine Stimme: »Ich will euch lehren, wie man Spektakel macht!« In den mündlichen Gesprächen Börnes war die Steigerung seines politischen Wahnsinns minder auf- fallend, da sie im Zusammenhang blieb mit den Lei- denschaften, die in seiner nächsten Umgebung wüte- ten, sich beständig schlagfertig hielten und nicht sel- ten auch tatsächlich zuschlugen. Als ich Börne zum zweiten Male besuchte, in der Rue de Provence, wo er sich definitiv einquartiert hatte, fand ich in seinem Salon eine Menagerie von Menschen, wie man sie kaum im Jardin des Plantes finden möchte. Im Hinter- grunde kauerten einige deutsche Eisbären, welche Tabak rauchten, fast immer schwiegen und nur dann und wann einige, vaterländische Donnerworte im tief- sten Brummbaß hervorfluchten. Neben ihnen hockt auch ein polnischer Wolf, welcher eine rote Mütze trug und manchmal die süßlich-fadesten Bemerkun- gen mit heiserer Kehle heulte.. Dann fand ich dort einen französischen Affen, der zu einen heißesten ge- hörte, die ich jemals gesehen; er schnitt beständig Ge- sichter, damit man sich das schönste darunter aussu- chen möge.. Das unbedeutendste Subjekt in jener Börneschen Menagerie war ein Herr *, der Sohn des alten *, eines Weinhändlers in Frankfurt am Main, der ihn gewiß in sehr nüchterner Stimmung gezeugt... eine lange, hagere Gestalt, die wie der Schatten einer Eau-de-Cologne-Flasche aussah, aber keineswegs wie der Inhalt derselben roch. Trotz seines dünnen Ausse- hens trug er, wie Börne behauptete, zwölf wollene Unterjacken; denn ohne dieselben würde er gar nicht existieren. Börne machte sich beständig über ihn lu- stig: »Ich präsentiere Ihnen hier einen *, es ist freilich kein * erster Größe, aber er ist doch mit der Sonne verwandt, er empfängt von derselben sein Licht... er ist ein untertäniger Verwandter der Herrn von Roth- schild... Denken Sie sich, Herr *, ich habe diese Nacht im Traum den Frankurter Rothschild hängen sehen, und Sie waren es, welcher ihm den Strick um den Hals legte...« Herr * erschrak bei diesen Worten, und wie in To- desangst rief er: »Herr Berne, ich bitte Ihnen, sagen Sie das nicht weiter... ich hab Grind...« - »Ich hab Grind« - wiederholte mehrmals der junge Mensch, und indem er sich gegen mich wandte, bat er mich mit leiser Stimme, ihm in eine Ecke des Zimmers zu fol- gen, um mir seine delikate »Posiziaun« zu vertrauen. »Sehen Sie«, flüsterte er heimlich, »ich habe eine de- likate Posiziaun. Von der einen Seite ist Madame Wohl auf dem Wollgraben meine Tante, und auf der anderen Seite ist die Frau von Herrn von Rothschild auch sozusagen meine Tante. Ich bitte Ihnen, erzählen Sie nicht im Hause des Herrn Baron v. Rothschild, daß Sie mich hier bei Berne gesehen haben... ich hab Grind.« Börne machte sich über diesen Unglücklichen be- ständig lustig, und besonders hechelte er ihn wegen der mundfaulen und kauderwelschen Art, wie er das Französische aussprach. »Mein lieber Landsmann«, sagte er, »die Franzosen haben unrecht, über Sie zu lachen; sie offenbaren dadurch ihre Unwissenheit. Verständen sie Deutsch, so würden sie einsehen, wie richtig Ihre Redensarten konstruiert sind, nämlich vom deutschen Standpunkte aus... Und warum sollen Sie Ihre Nationalität verleugnen? Ich bewundere sogar, mit welcher Gewandtheit Sie Ihre Mutterspra- che, das Frankfurter Mauscheln, ins Französische übertragen... Die Franzosen sind ein unwissendes Volk und werden es nie dahin bringen, ordentlich Deutsch zu lernen. Sie haben keine Geduld... Wir Deutschen sind das geduldigste und gelehrigste Volk... Wieviel müssen wir schon als Knaben lernen! wieviel Latein! wieviel Griechisch, wieviel persische Könige und ihre ganze Sippschaft bis zum Großva- ter!... ich wette, so ein unwissender Franzose weiß sogar in seinen alten Tagen noch nicht, daß die Mutter des Cyrus Frau Mandane geheißen und eine geborne Astyages war. Auch haben wir die besten Handbücher für alle Wissenschaften herausgegeben. Neanders Kirchengeschichte und Meyer Hirschs Re- chenbuch sind klassisch. Wir sind ein denkendes Volk, und weil wir so viele Gedanken hatten, daß wir sie nicht alle aufschreiben konnten, haben wir die Buchdruckerei erfunden, und weil wir manchmal vor lauter Denken und Bücherschreiben oft das liebe Brot nicht hatten, erfanden wir die Kartoffel.« »Das deutsche Volk«, brummte der deutsche Patri- ot aus seiner Ecke, »hat auch das Pulver erfunden.« Börne wandte sich rasch nach dem Patrioten, der ihn mit dieser Bemerkung unterbrochen hatte, und sprach sarkastisch lächelnd: »Sie irren sich, mein Freund, man kann nicht so eigentlich behaupten, daß das deutsche Volk das Pulver erfunden habe. Das deutsche Volk besteht aus dreißig Millionen Men- schen. Nur einer davon hat das Pulver erfunden... die übrigen, 29999999 Deutsche, haben das Pulver nicht erfunden. - Übrigens ist das Pulver eine gute Erfin- dung, ebenso wie die Druckerei, wenn man nur den rechten Gebrauch davon macht. Wir Deutschen aber benutzen die Presse, um die Dummheit, und das Pul- ver, um die Sklaverei zu verbreiten -« Einlenkend, als man ihm diese irrige Behauptung verwies, fuhr Börne fort: »Je nun, ich will eingestehen, daß die deutsche Presse sehr viel Heil gestiftet, aber es wird überwogen von dem gedruckten Unheil. Jedenfalls muß man dieses einräumen, in Be- ziehung auf bürgerliche Freiheit... Ach! wenn ich die ganze deutsche Geschichte durchgehe, bemerke ich, daß die Deutschen für bürgerliche Freiheit wenig Ta- lent besitzen, hingegen die Knechtschaft, sowohl theoretisch als praktisch, immer leicht erlernten und diese Disziplin nicht bloß zu Hause, sondern auch im Auslande mit Erfolg dozierten. Die Deutschen waren immer die ludi magistri der Sklaverei, und wo der blinde Gehorsam in die Leiber oder in die Geister ein- geprügelt werden sollte, nahm man einen deutschen Exerziermeister. Auch haben wir die Sklaverei über ganz Europa verbreitet, und als Denkmäler dieser Sündflut sitzen deutsche Fürstengeschlechter auf allen Thronen Europas, wie, nach uralten Überschwem- mungen, auf den höchsten Bergen die Reste verstei- nerter Seeungeheuer gefunden werden... Und noch jetzt, kaum wird ein Volk frei, so wird ihm ein deut- scher Prügel auf den Rücken gebunden... und sogar in der heiligen Heimat des Harmodios und Aristogei- tons, im wiederbefreiten Griechenland, wird jetzt deutsche Knechtschaft eingesetzt, und auf der Akro- polis von Athen fließt bayersches Bier und herrscht der bayersche Stock... Ja, es ist erschrecklich, daß der König von Bayern, dieser kleine Tyrannos und schlechte Poet, seinen Sohn auf den Thron jenes Lan- des setzen durfte, wo einst die Freiheit und die Dicht- kunst geblüht, jenes Landes, wo es eine Ebene gibt, welche Marathon, und einen Berg, welcher Parnaß heißt! Ich kann nicht daran denken, ohne daß mir das Gehirn zittert... Wie ich in der heutigen Zeitung gele- sen, haben wieder drei Studenten in München, vor dem Bilde des König Ludwigs, niederknien und Ab- bitte tun müssen. Niederknien vor dem Bilde eines Menschen, der noch dazu ein schlechter Poet ist! Wenn ich ihn in meiner Macht hätte, dieser schlechte Dichter sollte niederknien vor dem Bilde der Musen und Abbitte tun, wegen seiner schlechten Verse, wegen beleidigter Majestät der Poesie! Sprecht mir jetzt noch von römischen Kaisern, welche soviel Tau- sende von Christen hinrichten ließen, weil diese nicht vor ihrem Bilde knien wollten... Jene Tyrannen waren wenigstens Herrn der ganzen Welt, von Aufgang bis zum Niedergang, und, wie wir an ihren Statuen noch heute sehen, wenn auch keine Götter, so waren sie doch schöne Menschen. Man beugt sich am Ende leicht vor Macht und Schönheit. Aber niederknien vor Ohnmacht und Häßlichkeit ---« -- Es bedarf wohl keines besonderen Winks für den scharfsinnigen Leser« aus welchen Gründen ich den Frevler nicht weitersprechen lasse, ich glaube, die an- geführten Phrasen sind hinreichend, um die damalige Stimmung des Mannes zu bekunden; sie war im Ein- klang mit dem hitzigen Treiben jener deutschen Tu- multuanten, die, seit der Juliusrevolution, in wilden Schwärmen nach Paris kamen und sich schon gleich um Börne sammelten. Es ist kaum zu begreifen, wie dieser sonst so gescheute Kopf sich von der rohesten Tobsucht beschwatzen und zu den gewaltsamsten Hoffnungen verleiten lassen konnte! Zunächst geriet er in den Kreis jenes Wahnsinnes, als dessen Mittel- punkt der berühmte Buchhändler F. zu betrachten war. Dieser F., man sollte es kaum glauben, war ganz der Mann nach dem Herzen Börnes. Die rote Wut, die in der Brust des einen kochte, das dreitägige Juliusfie- ber, das die Glieder des einen rüttelte, der jakobini- sche Veitstanz, worin der eine sich drehte, fand den entsprechenden Ausdruck in der »Pariser Briefen« des anderen. Mit dieser Bemerkung will ich aber nur einen Geistesirrtum, keineswegs einen Herzensirrtum andeuten, bei dem einen wie bei dem andern, denn auch F. meinte es gut mit dem deutschen Vaterlande, er war aufrichtig, heldenmütig, jeder Selbstopferung fähig, jedenfalls ein ehrlicher Mann, und zu solchem Zeugnis glaube ich um so mehr verpflichtet, da, seit er in strenger Haft schweigen muß, die servile Verleum- dung an seinem Leumund nagt. Man kann ihn man- cher unklugen, auch keiner zweideutigen Handlung beschuldigen; er zeigte namentlich im Unglück sehr viel Charakter, er war durchglüht von reinster Bürger- tugend, und um die Schellenkappe, die sein Haupt umklingelt, müssen wir einen Kranz von Eichenlaub flechten. Der edle Narr, er war mir tausendmal lieber als jener andere Buchhändler, der ebenfalls nach Paris gekommen, um eine deutsche Übersetzung der franzö- sischen Revolution zu besorgen, jener leise Schlei- cher, welcher matt und menschenfreundlich wimmerte und wie eine Hyäne aussah, die zur Abführung einge- nommen.. Übrigens rühmte man auch letztern als einen ehrlichen Mann, der sogar seine Schulden be- zahlte, wenn er das Große Los in der Lotterie ge- winnt, und wegen solcher Ehrlichkeitsverdienste ward er zum Finanzminister des erneuten Deutschen Reichs vorgeschlagen... Im Vertrauen gesagt, er müßte sich mit den Finanzen begnügen, denn die Stelle eines Mi- nisters des Innern hatte F. schon vorweg vergeben, nämlich an Garnier, wie er auch die deutsche Kaiser- krone dem Hauptmann S. bereits zugesagt... Garnier freilich behauptete, der Buchhändler F. wolle den Hauptmann S. zum deutschen Kaiser ma- chen, weil dieser Lump ihm Geld schuldig sei und er sonst nicht Zu seinem Gelde kommen könne... Das ist aber unrichtig Und zeugt nur von Garniers Me- disance; F. hat vielleicht aus republikanischer Arglist eben das kläglichste Subjekt zum Kaiser gewählt, um dadurch das Monarchentum herabzuwürdigen und lächerlich zu machen... Der Einfluß des F. war indessen bald beendigt, als derselbe, ich glaube im November, Paris verließ und an die Stelle des großen Agitators einige neue Ober- häupter emporstiegen; unter diesen waren die bedeu- tendsten der schon erwähnte Garnier und ein gewisser Wolfrum. Ich darf sie wohl mit Namen nennen, da der eine tot ist und dem andern, welcher sich im sicheren England befindet, durch die Hindeutung auf seine ehemalige Wichtigkeit ein großer Gefallen erzeigt wird; beide aber, Garnier zum Teil, Wolfrum aber ganz, schöpften ihre Inspirationen aus dem Munde Börnes, der von nun an als die Seele der Pariser Pro- paganda zu betrachten war. Der Wahnsinn blieb der- selbe, aber, um mit Polonius zu reden, es kam Metho- de hinein. Ich habe mich eben des Wortes »Propaganda« be- dient; aber ich gebrauche dasselbe in einem andern Sinne als gewisse Delatoren, die unter jenem Aus- druck eine geheime Verbrüderung verstehen, eine Verschwörung der revolutionären Geister in ganz Eu- ropa, eine Art blutdürstiger, atheistischer und regizi- der Maçonnerie. Nein, jene Pariser Propaganda be- stand vielmehr aus rohen Händen als aus feinen Köp- fen; es waren Zusammenkünfte von Handwerkern deutscher Zunge, die in einem großen Saale des Pas- sage Saumon oder in den Faubourgs sich versammelten, wohl fürnehmlich, um in der lieben Sprache der Heimat über vaterländische Gegenstände miteinander zu konversieren, hier wurden nun, durch leidenschaftliche Reden, im Sinne der rheinbayrischen »Tribüne«, viele Gemüter fanatisiert, und da der Re- publikanismus eine so grade Sache ist und leichter be- greifbar als z.B. die konstitutionelle Regierungsform, wobei schon mancherlei Kenntnisse vorausgesetzt werden, so dauerte es nicht lange, und Tausende von deutschen Handwerksgesellen wurden Republikaner und predigten die neue Überzeugung. Diese Propa- ganda war weit gefährlicher als alle jene erlogenen Popanze, womit die erwähnten Delatoren unsre deut- schen Regierungen schreckten, und vielleicht weit mächtiger als Börnes geschriebene Reden war Börnes mündliches Wort, welches er an Leute richtete, die es mit deutschem Glauben einsogen und mit apostoli- schem Eifer in der Heimat verbreiteten. Ungeheuer groß ist die Anzahl deutscher Handwerker, welche ab und zu nach Frankreich auf die Wanderschaft gehen. Wenn ich daher las, wie norddeutsche Blätter sich darüber lustig machten, daß Börne mit sechshundert Schneidergesellen auf den Montmartre gestiegen, um ihnen eine Bergpredigt zu halten, mußte ich mitleidig die Achsel zucken, aber am wenigsten über Börne, der eine Saat ausstreute, die früh oder spät die furcht- barsten Früchte hervorbringt. Er sprach sehr gut, bündig, überzeugend, volksmäßig; nackte, kunstlose Rede, ganz im Bergpredigerton. Ich habe ihn freilich nur ein einziges Mal reden hören, nämlich in dem Passage Saumon, wo Garnier der »Volksversamm- lung« präsidierte... Börne sprach über den Preßverein, welcher sich vor aristokratischer Form zu bewahren habe; Garnier donnerte gegen Nikolas, den Zar von Rußland; ein verwachsener, krummbeinichter Schu- stergeselle trat auf und behauptete, alle Menschen seien gleich... Ich ärgerte mich nicht wenig über diese Impertinenz... Es war das erste und letzte Mal, daß ich der Volksversammlung beiwohnte. Dieses eine Mal war aber auch hinreichend... Ich will dir gern, lieber Leser, bei dieser Gelegenheit ein Geständnis machen, das du eben nicht erwartest. Du meinst vielleicht, der höchste Ehrgeiz meines Lebens hätte immer darin bestanden, ein großer Dichter zu werden, etwa gar auf dem Kapitol gekrönt zu werden, wie weiland Messer Francesco Petrarcha... Nein, es waren vielmehr die großen Volksredner, die ich immer beneidete, und ich hätte für mein Leben gern auf öffentlichem Markte, vor einer bunten Versamm- lung, das große Wort erhoben, welches die Leiden- schaften aufwühlt oder besänftigt und immer eine au- genblickliche Wirkung hervorbringt. Ja, unter vier Augen will ich es dir gern eingestehen, daß ich in jener unerfahrenen Jugendzeit, wo uns die komödiantenhaften Gelüste anwandeln, mich oft in eine solche Rolle hineindachte. Ich wollte durchaus ein großer Redner werden, und wie Demosthenes de- klamierte ich zuweilen am einsamen Meeresstrand, wenn Wind und Wellen brausten und heulten; so übt man seine Lungen und gewöhnt sich dran, mitten im größten Lärm einer Volksversammlung zu sprechen. Nicht selten sprach ich auch auf freiem Felde vor einer großen Anzahl Ochsen und Kühe, und es gelang mir, das versammelte Rindviehvolk zu überbrüllen. Schwerer schon ist es, vor Schafen eine Rede zu hal- ten. Bei allem, was du ihnen sagst, diesen Schafsköp- fen, wenn du sie ermahnst, sich zu befreien, nicht wie ihre Vorfahren geduldig zur Schlachtbank zu wan- dern... sie antworten dir, nach jedem Satze, mit einem so unerschütterlich gelassenen »Mäh! Mäh!«, daß man die Kontenance verlieren kann. Kurz, ich tat alles, um, wenn bei uns einmal eine Revolution aufge- führt werden möchte, als deutscher Volksredner auf- treten zu können. Aber ach! schon gleich bei der er- sten Probe merkte ich, daß ich in einem solchen Stücke meine Lieblingsrolle nimmermehr tragieren kann. Und lebten sie noch, weder Demosthenes noch Cicero noch Mirabeau könnten in einer deutschen Re- volution als Sprecher auftreten: denn bei einer deut- schen Revolution wird geraucht. Denkt euch meinen Schreck, als ich in Paris der obenerwähnte Volksversammlung beiwohnte, fand ich sämtliche Vaterlandsretter mit Tabakspfeifen im Maule, und der ganze Saal war so erfüllt von schlechtem Knaster- qualm, daß er mir gleich auf die Brust schlug und es mir platterdings unmöglich gewesen wäre, ein Wort zu reden. Ich kann den Tabaksqualm nicht vertragen, und ich merkte, daß in einer deutschen Revolution die Rolle eines Großsprechers in der Weise Börnes und Kon- sorten nicht für mich paßte. Ich merkte überhaupt, daß die deutsche Tribunalkarriere nicht eben mit Rosen und am allerwenigsten mit reinlichen Rosen bedeckt. So z.B. mußt du allen diesen Zuhörern, »lie- ben Brüdern und Gevattern«, recht derb die Hand drücken. Es ist vielleicht metaphorisch gemeint, wenn Börne behauptet: im Fall ihm ein König die Hand ge- drückt, würde er sie nachher ins Feuer halten, um sie zu reinigen; es ist aber durchaus nicht bildlich, son- dern ganz buchstäblich gemeint, daß ich, wenn mir das Volk die Hand gedrückt, sie nachher waschen werde. Man muß in wirklicher Revolutionszeit das Volk mit eigenen Augen gesehen, mit eigner Nase gerochen haben, man muß mit eigner Ohren anhören, wie dieser souveräne Rattenkönig sich ausspricht, um zu begrei- fen, was Mirabeau andeuten will mit den Worten: »Man macht keine Revolution Lavendelöl.« Solange wir die Revolution in den Bücher lesen, sieht das alles sehr schön aus, und es ist damit wie mit jenen Landschaften, die, kunstreich gestochen auf dem wei- ßen Velinpapier, so rein, so freundlich aussehen, aber nachher, wenn man sie in natura betrachtet, vielleicht an Grandiosität gewinnen, doch einen sehr schmutzi- gen und schäbigen Anblick in den Einzelheiten ge- währen; die in Kupfer gestochenen Misthaufen rie- chen nicht, und der in Kupfer gestochene Morast ist leicht mit den Augen Zu durchwaten! Was es Tugend oder Wahnsinn, was den Ludwig Börne dahin brachte, die schlimmsten Mistdüfte mit Wonne einzuschnaufen und sich vergnüglich im ple- bejischen Kot zu wälzen? Wer löst uns den Rätsel dieses Mannes, der in weiblicher Seide erzogen worden, späterhin in stolzen Anflügen seine Vornehmheit bekundete und gegen das Ende seiner Tage plötzlich überschnappte in pö- belhafte Töne und in die banalen Manieren eines Demagogen der untersten Stufe? Stachelten ihn etwa die Nöten des Vaterlandes bis zum entsetzlichsten Grade des Zorns, oder ergriff ihn der schauerliche Schmerz eines verlorenen Lebens?...ja, das war viel- leicht; er sah, wie er dieses ganze Leben hindurch mit all seinem Geiste und all seiner Mäßigung nichts aus- gerichtet hatte, weder für sich noch für andere, und er verhüllte sein Haupt, ober, um bürgerlich zu reden, er zog die Mütze über die Ohren und wollte fürder weder sehen noch hören und stürzte sich in den heu- lenden Abgrund... das ist immer eine Ressource, die uns übrigbleibt, wenn wir angelangt bei jenen hoff- nungslosen Marken, wo alle Blumen verwelkt sind, wo der Leib müde und die Seele verdrießlich... Ich will nicht dafür stehen, daß ich nicht einst unter dem- selben Umständen dasselbe tue... Wer weiß, vielleicht am Ende meiner Tage überwinde ich meinen Wider- willen gegen den Tabaksqualm und lerne rauchen und halte die ungewaschensten Reden vor dem ungewa- schensten Publikum... Blätternd in Börnes »Pariser Briefen«, stieß ich jüngst auf eine Stelle, welche mit den Äußerungen, die mir oben entschlüpft, einen sonderbaren Zusam- menklang bildet, sie lautet folgendermaßen: »- - Vielleicht fragen sie mich verwundert, wie ich Lump dazu komme, mich mit Byron zuammenzustel- len? darauf muß ich ihnen erzählen, was Sie noch nicht wissen. Als Byrons Genius, auf seiner reise durch das Firmament, auf die Erde ankam, eine Nacht dort zu verweilen, stieg er zuerst bei mir ab. Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte schnell wieder fort und kehrte in das Hotel Byron ein. Viele Jahre hat mich das geschmerzt, lange hat er mich betrübt, daß ich sowenig geworden, gar nichts erreicht. Aber jetzt ist es vorüber, ich habe es vergessen und lebe zufrieden in meiner Armut. Mein Unglück ist, daß ich im Mittelstande geboren bin, für den ich gar nicht passe. Wäre mein Vater Besitzer von Millionen oder ein Bettler gewesen, wäre ich der Sohn eines vorneh- men Mannes oder eines Landstreichers, hätte ich es gewiß zu etwas gebracht. Der halbe Weg, den andere durch ihre Geburt voraushatten, entmutigte mich; hät- ten sie den ganzen Weg vorausgehabt, hätte ich sie gar nicht gesehen und sie eingeholt. So aber bin ich der Perpendikel einer bürgerlichen Stubenuhr gewor- den, schweifte rechts, schweifte links aus und mußte immer zur Mitte zurückkehren« Dieses schrieb Börne den 20. März 1831. Wie über andre, hat er auch über sich selber schlecht pro- phezeit. Die bürgerliche Stubenuhr wurde eine Sturm- glocke, deren Geläute Angst und Schrecken verbreite- te. Ich habe bereits gezeigt, welche ungestüme Glöck- ner an den Strängen rissen, ich habe angedeutet, wie Börne den zeitgenossenschaftlichen Passionen als Organ diente und seine Schriften nicht als das Pro- dukt eines einzelnen, sondern als Dokument unserer politischen Sturm-und-Drang-Periode betrachtet wer- den müssen. Was in jener Periode sich besonders gel- tend machte und die Gärung bis zur kochenden Sud steigerte, waren die polnischen und rheinbayrischen Vorgänge, und diese haben auf den Geist Börnes den mächtigsten Einfluß geübt. Ebenso glühend wie einseitig war sein Enthusiasmus für die Sache Polens, und als dieses mutige Land unterlag, trotz der wun- derbarsten Tapferkeit seiner Helden, da brachen bei Börne alle Dämme der Geduld und Vernunft. Das un- geheure Schicksal so vieler edlen Märtyrer der Frei- heit, die, in langen Trauerzügen Deutschland durch- wandernd, sich in Paris versammelten, war in der Tat geeignet, ein edel gefühlvolles Herz bis in seine Tie- fen zu bewegen. Aber was brauch ich dich, teurer Leser, an diese Betrübnisse zu erinnern, du hast in Deutschland den Durchzug der Polen mit eignen trä- nenden Augen angesehen, und du weißt, wie das ruhi- ge, stille deutsche Volk, das die eignen Landesnöten so geduldig erträgt, bei dem Anblick der unglückli- chen Sarmaten von Mitleid und Zorn so gewaltig er- schüttert wurde und so sehr außer Fassung kam, daß wir nahe daran waren, für jene Fremden das zu tun, was wir nimmermehr für uns selber täten, nämlich die heiligsten Untertanspflichten beiseite zu setzen und eine Revolution zu machen... zum Besten der Polen. Ja, mehr als alle obrigkeitliche Plackereien und de- magogische Schriften hat der Durchzug der Polen den deutschen Michel revolutioniert, und es war ein gro- ßer Fehler der respektiven deutschen Regierungen, daß sie jenen Durchzug in der bekannten Weise ge- statteten. Der größere Fehler freilich bestand darin, daß sie die Polen nicht längere Zeit in Deutschland verweilen ließen; denn diese Ritter der Freiheit hätten bei verlängertem Aufenthalt jene bedenkliche, höchst bedrohliche Sympathie, die sie den Deutschen ein- flößten, selber wieder zerstört. Aber sie zogen rasch durchs Land, hatten keine Zeit, durch Dichtung und Wahrheit einer den anderen zu diskreditieren, und sie hinterließen die staatsgefährlichste Aufregung. Ja, wir Deutschen waren nahe daran, eine Revoluti- on zu machen, und zwar nicht aus Zorn und Not, wie andere Völker, sondern aus Mitleid, aus Sentimentali- tät, aus Rührung für unsere armen Gastfreunde, die Polen. Tatsüchtig schlugen unsre Herzen, wenn diese uns am Kamin erzählten, wieviel sie ausgestanden von den Russen, wieviel Elend, wieviel Knuten- schläge... bei den Schlägen horchten wir noch sympa- thetischer, denn eine geheime Ahnung sagte uns, die russischen Schläge, welche jene Polen bereits empfan- gen, seien dieselben, die wir in der Zukunft noch zu bekommen haben. Die deutschen Mütter schlugen angstvoll die Hände über den Kopf, als sie hörten, daß der Kaiser Nikolas, der Menschenfresser, alle Morgen drei kleine Polenkinder verspeise, ganz roh, mit Essig und Öl. Aber am tiefsten erschüttert waren unsre Jungfrauen, wenn sie im Mondschein an der Heldenbrust der polnischen Märtyrer lagen und mit ihnen jammerten und weinten über den Fall von War- schau und den Sieg der russischen Barbaren... Das waren keine frivole Franzosen, die bei solchen Gele- genheiten nur schäkerten und lachten... nein, diese lar- moyanten Schnurrbärte gaben auch etwas fürs Herz, sie hatten Gemüts, und nichts gleicht der holden Schwärmerei, womit deutsche Mädchen und Frauen ihre Bräutigame und Gatten beschworen, so schnell als möglich eine Revolution zu machen... zum Besten der Polen.. Eine Revolution ist ein Unglück, aber ein noch größerer Unglück ist eine verunglückte Revolution; und mit einer solchen bedrohte uns die Einwanderung jener nordischen Freunde, die in unsere Angelegenhei- ten alle jene Verwirrung und Unzuverlässigkeit ge- bracht hätte, wodurch sie selber daheim zugrunde ge- gangen. Ihre Einmischung wäre uns um so verderbli- cher geworden, da die deutsche Unerfahrenheit sich von den Ratschlägen jener kleinen polnischen Ein- sicht ausgibt, gern leiten ließ und gar die deutsche Be- scheidenheit, bestochen von jener flinken Ritterlich- keit, die den Polen eigen ist, diesen letztern die wich- tigsten Führerstellen vertraut hätte. - Ich habe da- mals, in dieser Beziehung, über die Popularität der Polen nicht wenig geängstigt. Es hat sich vieles seit- dem geändert, und gar für die Zukunft, für die deut- schen Freiheitsinteressen einer spätern Zeit wird den- noch kommen, dann werden die polen kaum noch den Namen nach existieren, sie werden ganz mit den Russen verschmolzen sein, und als solche werden wir uns auf donnernden Schlachtfeldern wieder begeg- nen... und sie werden für uns minder gefährlich sein als Feinde denn als Freunde. Der einzige Vorteil, den wir ihnen verdanken, ist jener Russenhaß, den sie bei uns gesät und der, still fortwuchernd im deutschen Gemüte, uns mächtig vereinigen wird, wenn die große Stunde schlägt, wo wir uns zu verteidigen haben gegen jenen furchtbaren Riesen, der jetzt noch schläft und im Schlafe wächst, die Füße weitausstreckend in die duftigen Blumengärten des Morgenlands, mit dem Haupte anstoßend an den Nordpol, träumend ein neues Weltreich...Deutschland wird einst mit diesem Riesen den Kampf bestehen müssen, und für diesen Fall ist es gut, daß wir die Russen schon früh hassen lernten, daß dieser Haß in uns gesteigert wurde, daß auch alle andren Völker daran teilnehmen... das ist ein Dienst, den uns die Polen leisten, die jetzt als Pro- paganda des Russenhasses in der ganzen Welt umher- wandern. Ach, diese unglücklichen Polen! sie selber werden einst die nächsten Opfer unseres blinden Zor- nes sein, sie werden einst, wenn der Kampf beginnt, die russische Avantgarde bilden, und sie genießen als- dann die bittern Früchte jenes Hasses, den sie selber gesät. Ist es der Wille des Schicksals oder ist es glor- reiche Beschränktheit, was die Polen immer dazu ver- dammte, sich selber die schlimmste Falle und endlich die Todesgrube zu graben... seit den Tagen Sobieskis, der die Türken schlug, Polens natürliche Alliierte, und die Östreicher rettete... der ritterliche Dummkopf! Ich habe oben von der »kleinen polnischen Schlau- heit« gesprochen. Ich glaube, dieser Ausdruck wird keiner Mißdeutung anheimfallen; kommt er doch aus dem Munde eines Mannes, dessen Herz am frühesten für Polen schlug und der lange schon vor der polni- schen Revolution für dieses heldenmütige Volk sprach und litt. Jedenfalls will ich jenen Ausdruck noch dahin mildern, daß ich nachträglich bemerke, er bezieht sich hier auf die Jahre 1831 und 1832, wo die Polen von der großen Wissenschaft der Freiheit nicht einmal die ersten Elementarkenntnisse besaßen und die Politik ihnen nichts anders dünkte als eben ein Gewebe von Weiberkniffen und Hinterlist, kurz, als eine Manifestation jener »kleinen polnischen Schlau- heit«, für welche sie sich ein ganz besonderes Talent zutrauten. Diese Polen waren gleichsam ihrem heimatlichen Mittelalter entsprungen, und ganze Urwälder von Un- wissenheit im Kopfe tragend, stürmten sie nach Paris, und hier warfen sie sich entweder in die Sektionen der Republikaner oder in die Sakristeien der katholischen Schule: denn um Republikaner zu sein, dazu braucht man wenig zu wissen, und um Katholik zu sein, braucht man gar nichts zu wissen, sondern braucht man nur zu glauben. Die Gescheutesten unter ihnen begriffen die Revolution nur in der Form der Emeute, und sie ahneten nimmermehr, daß namentlich in Deutschland durch Tumult und Straßenauflauf wenig gefördert wird. Ebenso unheilvoll wie spaßhaft war das Manöver, womit einer ihrer größten Staatsmänner gegen die deutschen Regierungen verfuhr. Er hatte nämlich bei dem Durchzug der Polen bemerkt, wie ein einziger Pole hinreichend war, um eine stille deutsche Stadt in Bewegung zu setzen, und da er der gelehrte- ste Litauer war und aus der Geographie ganz genau wußte, daß Deutschland aus einigen dreißig Staaten besteht, schickte er von Zeit zu Zeit einen Polen nach der Hauptstadt eines dieser Staaten... er setzte gleich- sam einen Polen auf irgendeinen jener dreißig deut- schen Staaten, wie auf die Nummern eines Rouletts, wahrscheinlich ohne große Hoffnung des Gelingens, aber ruhig berechnend: an einem einzigen Polen ist nicht viel verloren, verursacht er jedoch wirklich eine Emeute, gewinnt meine Nummer, so kommt vielleicht eine ganze Revolution dabei heraus! Ich spreche von 1831 und 1832. Seitdem sind acht Jahre verflossen, und ebensogut wie die Helden deut- scher Zunge haben auch die Polen manche bittere, aber nützliche Erfahrung gemacht, und viele von ihnen konnten die schreckliche Muße des Exils zum Studium der Zivilisation benutzen. Das Unglück hat sie ernsthaft geschult, und sie haben etwas Tüchtiges lernen können. Wenn sie einst in ihr Vaterland zu- rückkehren, werden sie dort die heilsamste Saat aus- streuen, und wo nicht ihre Heimat, doch gewiß die Welt wird die Früchte ihrer Aussaat ernten. Das Licht, das sie einst mit nach Hause bringen, wird sich vielleicht weit verbreiten nach dem fernsten Nord- osten und die dunkeln Föhrenwälder in Flammen set- zen, so daß bei der auflodernden Helle unsere Feinde sich einander beschauen und voreinander entsetzen werden... sie würgen sich alsdann untereinander in wahnsinnigem Wechselschreck und erlösen uns von aller Gefahr ihres Besuches. Die Vorsehung vertraut das Licht zuweilen den ungeschicktesten Händen, damit ein heilsamer Brand entstehe in der Welt... Nein, Polen ist noch nicht verloren... Mit seiner po- litischen Existenz ist sein wirkliches Leben noch nicht abgeschlossen. Wie einst Israel nach dem Falle Jeru- salems, so vielleicht nach dem Falle Warschaus er- hebt Polen sich zu den höchsten Bestimmungen. Es sind diesem Volke vielleicht noch Taten vorbehalten, die der Genius der Menschheit höher schätzt als die gewonnenen Schlachten und das rittertümliche Schwertergeklirre nebst Pferdegetrampel seiner natio- nalen Vergangenheit! Und auch ohne solche nachblü- hende Bedeutung wird Polen nie ganz verloren sein... Es wird ewig leben auf den rühmlichsten Blättern der Geschichte!!! Nächst dem Durchzug der Polen habe ich die Vor- gänge in Rheinbayern als den nächsten Hebel be- zeichnet, welcher nach der Juliusrevolution die Aufre- gung in Deutschland bewirkte und auch auf unsere Landsleute in Paris den größten Einfluß ausübte. Die hiesige Volksversammlung war im Anfang nichts an- deres als eine Filialgesellschaft des Preßvereins von Zweibrücken. Einer der gewaltigsten Redner der Bipontiner kam hierher; ich habe ihn nie in der Volksversammlung sprechen gehört, sah ihn damals nur zufällig einmal im Kaffeehause, wo er mit hoher Stirn das neue Reich verkündete und die gemäßigten Verräter, namentlich die Redaktoren der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«, mit dem Strang bedrohte... (Ich wundre mich, daß ich damals noch den Mut hatte, als Redakteur der »Allgemeinen Zeitung« tätig zu sein... Jetzt sind die Zeiten minder gefährlich... Es sind seitdem acht Jahre verflossen, und der damalige Schreckensmann, der Tribun aus Zweibrücken, ist in diesem Augenblick einer der schreibseligsten Mitar- beiter der »Allgemeinen Zeitung« ...) Von Rheinbayern sollte die deutsche Revolution ausgehen. Zweibrücken war das Bethlehem, wo die junge Freiheit, der Heiland, in der Wiege lag und welterlösend greinte. Neben dieser Wiege brüllte manches Öchslein, das späterhin, als man auf seine Hörner zählte, sich als ein sehr gemütliches Rindvieh erwies. Man glaubte ganz sicher, daß die deutsche Revolution in Zweibrücken beginnen würde, und alles war dort reif zum Ausbruch. Aber, wie gesagt, die Gemütlichkeit einiger Personen vereitelte jenes poli- zeiwidrige Unterfangen. Da war z.B. unter den ver- schwornen Bipontinern ein gewaltiger Bramarbas, der immer am lautesten watete, der von Tyrannenhaß am tollsten übersprudelte, und dieser sollte, mit der ersten Tat vorangehend, eine Schildwache, die einen Haupt- posten bewachte, gleich niederstechen... »Was!« rief der Mann, als man ihm diese Ordre gab, »was! mir, mir konntet ihr eine so schauderhafte, so abscheuli- che, so blutdürstige Handlung zumuten? Ich, ich soll eine unschuldige Schildwache umbringen? Ich, der ich ein Familienvater bin! Und diese Schildwache ist vielleicht ebenfalls ein Familienvater. Ein Familien- vater soll einen Familienvater ermorden! ja töten! um- bringen!« Da der Dr. Pistor, einer der Zweibrücker Helden, welcher mir diese Geschichte erzählte, jetzt dem Be- reiche jeder Verantwortlichkeit entsprungen ist, darf ich ihn wohl als Gewährsmann nennen. Er versicherte mir, daß die deutsche Revolution durch die erwähnte Sentimentalität des Familienvaters vorderhand ajour- niert wurde. Und doch war der Moment ziemlich gün- stig. Nur damals und während den Tagen des Hambacher Festes hätte mit einiger Aussicht guten Erfolges die allgemeine Umwälzung in Deutschland versucht werden können. Jene Hambacher Tage waren der letzte Termin, den die Göttin der Freiheit uns ge- währte; die Sterne waren günstig; seitdem erlosch jede Möglichkeit des Gelingens. Dort waren sehr viele Männer der Tat versammelt, die selber von ern- stem Willen glühten und auf die sicherste Hülfe rech- nen konnten. Jeder sah ein, es sei der rechte Moment zu dem großen Wagnis, und die meisten setzten gerne Glück und Leben aufs Spiel... Wahrlich, es war nicht die Furcht, welche damals nur das Wort entzügelte und die Tat zurückdämmte. - Was war es aber, was die Männer von Hambach abhielt, die Revolution zu beginnen? Ich wage es kaum zu sagen, denn es klingt un- glaublich, aber ich habe die Geschichte aus authenti- scher Quelle, nämlich von einem Mann, der als wahr- heitsliebender Republikaner bekannt und selber zu Hambach in dem Komitee saß, wo man über die anzufangende Revolution debattierte; er gestand mir nämlich im Vertrauen: Als die Frage der Kompetenz zur Sprache gekommen, als man darüber stritt, ob die zu Hambach anwesenden Patrioten auch wirklich kompetent seien, im Namen von ganz Deutschland eine Revolution anzufangen, da seien diejenigen, wel- che zur raschen Tat rieten, durch die Mehrheit überstimmt worden, und die Entscheidung lautete: man sei nicht kompetent. O Schilda, mein Vaterland! Venedey möge es mir verzeihen, wenn ich diese ge- heime Kompetenzgeschichte ausplaudre und ihn sel- ber als Gewährsmann nenne; aber es ist die beste Ge- schichte, die ich auf dieser Erde erfahren habe. Wenn ich daran denke, vergesse ich alle Kümmernisse die- ses irdischen Jammertals, und vielleicht einst, nach dem Tode, in der neblichten Langeweile des Schatten- reichs wird die Erinnerung an diese Kompetenzge- schichte mich aufheitern können... Ja, ich bin über- zeugt, wenn ich sie dort Proserpinen erzähle, der mür- rischen Gemahlin des Höllengotts, so wird sie lä- cheln, vielleicht laut lachen... O Schilda, mein Vaterland! Ist diese Geschichte nicht wert, mit goldenen Buch- staben auf Samt gestickt zu werden, wie die Gedichte des Mollakat, welche in der Moschee von Mekka zu schauen sind? Ich möchte sie jedenfalls in Verse brin- gen und in Musik setzen lassen, damit sie großen Kö- nigskindern als Wiegenlied vorgesungen werde... Ihr könnt ruhig schlafen, und zur Belohnung für das furchtheilende Lied, das ich euch gesungen, ihr gro- ßen Königskinder, ich bitte euch, öffnet die Kerkertü- ren der gefangenen Patrioten... Ihr habt nichts zu ris- kieren, die deutsche Revolution ist noch weit von euch entfernt, gut Ding will Weile, und die Frage der Kompetenz ist noch nicht entschieden... O Schilda, mein Vaterland! Wie dem aber auch sei, das Fest von Hambach ge- hört zu den merkwürdigsten Ereignissen der deut- schen Geschichte, und wenn ich Börne glauben soll, der diesem Feste beiwohnte, so gewährte dasselbe ein gutes Vorzeichen für die Sache der Freiheit. Ich hatte Börne lange aus den Augen verloren, und es war bei seiner Rückkehr von Hambach, daß ich ihn wieder- sah, aber auch zum letzten Male in diesem Leben. Wir gingen miteinander in den Tuilerien spazieren, er erzählte mir viel von Hambach und war noch ganz be- geistert von dem Jubel jener großen Volksfeier. Er konnte nicht genug die Eintracht und den Anstand rühmen, die dort herrschten. Es ist wahr, ich habe es auch aus anderen Quellen erfahren, zu Hambach gab es durchaus keine äußere Exzesse, weder betrunkene Tobsucht noch pöbelhafte Roheit, und die Orgie, der Kirmestaumel, war mehr in den Gedanken als in den Handlungen. Manches tolle Wort wurde laut ausge- sprochen in jenen Reden, die zum Teil späterhin ge- druckt erschienen. Aber der eigentliche Wahnwitz ward bloß geflüstert. Börne erzählte mir: Während er mit Siebenpfeiffer redete, nahte sich demselben ein alter Bauer und raunte ihm einige Worte ins Ohr, worauf jener verneinend den Kopf schüttelte. »Aus Neugier«, setzte Börne hinzu, »frug ich den Sieben- pfeiffer, was der Bauer gewollt, und jener gestand mir, daß der alte Bauer ihm mit bestimmten Worten gesagt habe: ›Herr Siebenpfeiffer, wenn Sie König sein wollen, wir machen Sie dazu!‹ Ich habe mich sehr amüsiert« - fuhr Börne fort -, »wir waren dort alle wie Blutsfreunde, drückten uns die Hände, tranken Brüderschaft, und ich erinnere mich besonders eines alten Mannes, mit welchem ich eine ganze Stunde geweint habe, ich weiß gar nicht mehr warum. Wir Deutschen sind ein ganz prächtiges Volk und gar nicht mehr so unpraktisch wie sonst. Wir hatten in Hambach auch das lieblichste Maiwet- ter, wie Milch und Rosen, und ein schönes Mädchen war dort, die mir die Hand küssen wollte, als wär ich ein alter Kapuziner; ich habe das nicht gelitten, und Vater und Mutter befahlen ihr, mich auf den Mund zu küssen, und versicherten mir, daß sie mit dem größten Vergnügen meine sämtlichen Schriften gelesen. Ich habe mich sehr amüsiert. Auch meine Uhr ist mir ge- stohlen worden. Aber das freut mich ebenfalls, das ist gut, das gibt mir Hoffnung. Auch wir, und das ist gut, auch wir haben Spitzbuben unter uns und werden daher desto leichter reüssieren. Da ist der verwünsch- te Kerl von Montesquieu, welcher uns eingeredet hatte, die Tugend sei das Prinzip der Republikaner! Und ich ängstigte mich schon, daß unsere Partei aus lauter ehrlichen Leuten bestehen und deshalb nichts ausrichten würde. Es ist durchaus nötig, daß wir, ebensogut wie unsre Feinde, auch Spitzbuben unter uns haben. Ich hätte gerne den Patrioten entdeckt, der mir zu Hambach meine Uhr gemaust; ich würde ihm, wenn wir zur Regierung kommen, sogleich die Polizei übertragen und die Diplomatie. Ich kriege ihn aber heraus, den Dieb. Ich werde nämlich im ›Hamburger Korrespondenten‹ annoncieren, daß ich dem ehrlichen Finder meiner Uhr die Summe von hundert Louisdor auszahle. Die Uhr ist es wert, schon als Kuriosität: es ist nämlich die erste Uhr, welche die deutsche Freiheit gestohlen hat. Ja, auch wir, Germaniens Söhne, wir erwachen aus unserer schläfrigen Ehrlichkeit... Tyran- nen zittert, wir stehlen auch!« Der arme Börne konnte nicht aufhören, von Ham- bach zu reden und von dem Pläsier, das er dort genos- sen. Es war, als ob er ahnte, daß er zum letztenmal in Deutschland gewesen, zum letztenmal deutsche Luft geatmet, deutsche Dummheiten eingesogen mit dursti- gen Ohren - »Ach!« seufzte er, »wie der Wanderer im Sommer nach einem Labetrunk schmachtet, so schmachte ich manchmal nach jenen frischen erquick- lichen Dummheiten, wie sie nur auf dem Boden unse- res Vaterlands gedeihen. Diese sind so tiefsinnig, so melancholisch lustig, daß einem das Herz dabei jauchzt. Hier bei den Franzosen sind die Dummheiten so trocken, so oberflächlich, so vernünftig, daß sie für jemand, der an Besseres gewohnt, ganz ungenießbar sind. Ich werde deshalb in Frankreich täglich ver- grämter und bitterer und sterbe am Ende. Das Exil ist eine schreckliche Sache. Komme ich einst in den Himmel, ich werde mich gewiß auch dort unglücklich fühlen, unter den Engeln, die so schön singen und so gut riechen... sie sprechen ja kein Deutsch und rau- chen keinen Kanaster... Nur im Vaterland ist mir wohl! Vaterlandsliebe! Ich lache über dieses Wort im Munde von Leuten, die nie im Exil gelebt... Sie könn- ten ebensogut von Milchbreiliebe sprechen. Milch- breiliebe! In einer afrikanischen Sandwüste hat das Wort schon seine Bedeutung. Wenn ich je so glück- lich bin, wieder nach dem lieben Deutschland zurück- zukehren, so nennen Sie mich einen Schurken, wenn ich dort gegen irgendeinen Schriftsteller schreibe, der im Exile lebt. Wäre nicht die Furcht vor den Schänd- lichkeiten, die man einen im Gefängnis aussagen läßt, ich wäre nicht mehr fortgegangen, hätte mich ruhig festsetzen lassen, wie der brave Wirth und die ande- ren, denen ich ihr Schicksal voraussagte, ja denen ich alles voraussagte, wie ich es im Traum gesehen... Ja, das war ein närrischer Traum« - rief Börne plötzlich mit lautem Lachen und aus der düsteren Stimmung in die heitere überspringend, wie es seine Gewohnheit war -, »das war ein närrischer Traum! Die Erzählungen des Handwerksburschen, der in Amerika gewesen, hatten mich dazu vorbereitet. Die- ser erzählte mir nämlich, in den nordamerikanischen Städten sähe man auf der Straße sehr große Schild- kröten herumkriechen, auf deren Rücken mit Kreide geschrieben steht, in welchem Gasthaus und an wel- chem Tage sie als Tortulsuppe verspeist werden. Ich weiß nicht, warum mich diese Erzählung so sehr frap- pierte, warum ich den ganzen Tag an die armen Tiere dachte, die so ruhig durch die Straßen von Boston umherkriechen und nicht wissen, daß auf ihrem Rücken ganz bestimmt der Tag und der Ort ihres Un- tergangs geschrieben steht... Und nachts, denken Sie sich, im Traume, sehe ich meine Freunde, die deut- schen Patrioten, in lauter solche Schildkröten verwan- delt, ruhig herumkriechen, und auf dem Rücken eines jeden steht mit großen Buchstaben ebenfalls Ort und Datum, wo man ihn einstecken werde in den ver- dammten Suppentopf... Ich habe des andern Tags die Leute gewarnt, durfte ihnen aber nicht sagen, was mir geträumt: denn sie hätten's mir übelgenommen, daß sie, die Männer der Bewegung, mir als langsame Schildkröten erschienen... Aber das Exil, das Exil, das ist eine schreckliche Sache... Ach! wie beneide ich die französischen Republikaner! Sie leiden aber im Vaterlande. Bis zum Augenblick des Todes steht ihr Fuß auf dem geliebten Boden des Vaterlandes. Und gar die Franzosen, welche hier in Paris kämpfen und alle jene teuren Denkmäler vor Augen haben, die ihnen von den Großtaten ihrer Väter erzählen und sie trösten und aufmuntern! Hier sprechen die Steine und singen die Bäume, und so ein Stein hat mehr Ehrge- fühl und predigt Gottes Wort, nämlich die Märtyrge- schichte der Menschheit, weit eindringlicher als alle Professoren der Historischen Schule zu Berlin und Göttingen. Und diese Kastanienbäume, hier in den Tuilerien, ist es nicht, als sängen sie heimlich die Marseillaise mit ihren tausend grünen Zungen?... Hier ist heiliger Boden, hier sollte man die Schuhe auszie- hen, wenn man spazierengeht... Hier links ist die Ter- rasse der Feuillants; dort rechts, wo sich jetzt die Rue Rivoli hinzieht, hielt der Klub der Jakobiner seine Sitzungen... Hier vor uns, im Tuileriengebäude, don- nerte der Konvent, die Titanenversammlung, wogegen Bonaparte mit seinem Blitzvogel nur wie ein kleiner Jupiter erscheint... dort gegenüber grüßt uns die Place Louis XVI, wo das große Exempel statuiert wurde... Und zwischen beiden, zwischen Schloß und Richt- platz, zwischen Feuillants- und Jakobinerklub, in der Mitte, der heilige Wald, wo jeder Baum ein blühender Freiheitsbaum...« An diesen alten Kastanienbäumen in dem Tuileri- engarten sind aber mitunter sehr morsche Äste, und eben in dem Augenblicke, wo Börne die obige Phrase schließen wollte, brach mit lautem Gekrach ein Ast jener Bäume, und mit voller Wucht aus bedeutender Höhe herunterstürzend, hätte er uns beide schier zer- schmettert, wenn wir nicht hastig zur Seite sprangen. Börne, welcher nicht so schnell wie ich sich rettete, ward von einem Zweige des fallenden Astes an der Hand verletzt und brummte verdrießlich: »Ein böses Zeichen!« |
Erstes Buch | Zweites Buch | Drittes Buch | Viertes Buch | Fünftes Buch