Ludwig Börne.
Eine Denkschrift

Zweites Buch

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Text by Heinrich Heine (1797-1856)


Helgoland, den 1. Julius 1830

-- Ich selber bin dieses Guerillakrieges müde und 
sehne mich nach Ruhe, wenigstens nach einem Zu-
stand, wo ich mich meinen natürlichen Neigungen, 
meiner träumerischen Art und Weise, meinem phanta-
stischen Sinnen und Grübeln ganz fessellos hingeben 
kann. Welche Ironie des Geschickes, daß ich, der ich 
mich so gerne auf die Pfühle des stillen beschaulichen
Gemütlebens bette, daß eben ich dazu bestimmt war, 
meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behaglichkeit 
hervorzugeißeln und in die Bewegung hineinzuhet-
zen! Ich, der ich mich am liebsten damit beschäftige, 
Wolkenzüge zu beobachten, metrische Wortzauber zu
erklügeln, die Geheimnisse der Elementargeister zu 
erlauschen und mich in die Wunderwelt alter Märchen
zu versenken... ich mußte politische Annalen heraus-
geben, Zeitinteressen vortragen, revolutionäre Wün-
sche anzetteln, die Leidenschaften aufstacheln, den 
armen deutschen Michel beständig an der Nase zup-
fen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwa-
che... Freilich, ich konnte dadurch bei dem schnar-
chenden Giganten nur ein sanftes Niesen, keineswegs 
aber ein Erwachen bewirken... Und riß ich auch heftig
an seinem Kopfkissen, so rückte er es sich doch wie-
der zurecht mit schlaftrunkener Hand... Einst wollte 
ich aus Verzweiflung seine Nachtmütze in Brand 
stecken, aber sie war so feucht von Gedankenschweiß,
daß sie nur gelinde rauchte... und Michel lächelte im 
Schlummer...
Ich bin müde und lechze nach Ruhe. Ich werde mir 
ebenfalls eine deutsche Nachtmütze anschaffen und 
über die Ohren ziehen. Wenn ich nur wüßte, wo ich 
jetzt mein Haupt niederlegen kann. In Deutschland ist
es unmöglich. Jeden Augenblick würde ein Polizei-
diener herankommen und mich rütteln, um zu erpro-
ben, ob ich wirklich schlafe; schon diese Idee verdirbt
mir alles Behagen. Aber in der Tat, wo soll ich hin? 
Wieder nach Süden? Nach dem Lande, wo die Zitro-
nen blühen und die Goldorangen? Ach! vor jedem Zi-
tronenbaum steht dort eine östreichische Schildwache 
und donnert dir ein schreckliches »Werda!« entgegen.
Wie die Zitronen, so sind auch die Goldorangen jetzt 
sehr sauer. Oder soll ich nach Norden? Etwa nach 
Nordosten? Ach, die Eisbären sind jetzt gefährlicher 
als je, seitdem sie sich zivilisieren und Glacéhand-
schuh' tragen. Oder soll ich wieder nach dem verteu-
felten England, wo ich nicht in effigie hängen, wieviel
weniger in Person leben möchte! Man sollte einem 
noch Geld dazugeben, um dort zu wohnen, und statt 
dessen kostet einem der Aufenthalt in England dop-
pelt soviel wie an anderen Orten. Nimmermehr nach 
diesem schnöden Lande, wo die Maschinen sich wie 
Menschen und die Menschen wie Maschinen gebär-
den. Das schnurrt und schweigt so beängstigend. Als 
ich dem hiesigen Gouverneur präsentiert wurde und 
dieser Stockengländer mehrere Minuten, ohne ein 
Wort zu sprechen, unbeweglich vor mir stand, kam es
mir unwillkürlich in den Sinn, ihn einmal von hinten 
zu betrachten, um nachzusehen, ob man etwa dort 
vergessen habe, die Maschinen aufzuziehen. Daß die 
Insel Helgoland unter britischer Herrschaft steht, ist 
mir schon hinlänglich fatal. Ich bilde mir manchmal 
ein, ich röche jene Langeweile, welche Albions Söhne
überall ausdünsten. In der Tat, aus jedem Engländer 
entwickelt sich ein gewisses Gas, die tödliche Stick-
luft der Langeweile, und dieses habe ich mit eigenen 
Augen beobachtet, nicht in England, wo die Atmo-
sphäre ganz davon geschwängert ist, aber in südli-
chen Ländern, wo der reisende Brite isoliert umher-
wandert und die graue Aureole der Langeweile, die 
sein Haupt umgibt, in der sonnig blauen Luft recht 
schneidend sichtbar wird. Die Engländer freilich glau-
ben, ihre dicke Langeweile sei ein Produkt des Ortes, 
und um derselben zu entfliehen, reisen sie durch alle 
Lande, langweilen sich überall und kehren heim mit 
einem Diary of an ennuyé. Es geht ihnen wie dem Sol-
daten, dem seine Kameraden, als er schlafend auf der 
Pritsche lag, Unrat unter die Nase rieben; als er er-
wachte, bemerkte er, es röche schlecht in der 
Wachtstube, und er ging hinaus, kam aber bald zu-
rück und behauptete, auch draußen röche es übel, die 
ganze Welt stänke.
Einer meiner Freunde, welcher jüngst aus Frank-
reich kam, behauptete, die Engländer bereisten den 
Kontinent aus Verzweiflung über die plumpe Küche 
ihrer Heimat; an den französischen Table d'hôten sähe
man dicke Engländer, die nichts als Vol-au-Vents, 
Crème, Suprêmes, Ragouts, Gelees und dergleichen 
luftige Speisen verschluckten, und zwar mit jenem ko-
lossalen Appetite, der sich daheim an Roastbeefma-
ssen und Yorkshirer Plumpudding geübt hatte und 
wodurch am Ende alle französische Gastwirte zugrun-
de gehen müssen. Ist etwa wirklich die Exploitation 
der Table d'hôten der geheime Grund, weshalb die 
Engländer herumreisen? Während wir über die Flüch-
tigkeit lächeln, womit sie überall die Merkwürdigkei-
ten und Gemäldegalerien ansehen, sind sie es viel-
leicht, die uns mystifizieren, und ihre belächelte Neu-
gier ist nichts als ein pfiffiger Deckmantel für ihre ga-
stronomischen Absichten?
Aber wie vortrefflich auch die französische Küche, 
in Frankreich selbst soll es jetzt schlecht aussehen, 
und die große Retirade hat noch kein Ende. Die Jesui-
ten florieren dort und singen Triumphlieder. Die dor-
tigen Machthaber sind dieselben Toren, denen man 
bereits vor funfzig Jahren die Köpfe abgeschlagen... 
Was half's! sie sind dem Grabe wieder entstiegen, und
jetzt ist ihr Regiment törichter als früher; denn als 
man sie aus dem Totenreich ans Tageslicht heraufließ,
haben manche von ihnen, in der Hast, den ersten be-
sten Kopf aufgesetzt, der ihnen zur Hand lag, und da 
ereigneten sich gar heillose Mißgriffe: die Köpfe pas-
sen manchmal nicht zu dem Rumpf und zu dem Her-
zen, das darin spukt. Da ist mancher, welcher wie die 
Vernunft selbst auf der Tribüne sich ausspricht, so 
daß wir den klugen Kopf bewundern, und doch läßt er
sich gleich darauf von dem unverbesserlich verrückten
Herzen zu den dümmsten Handlungen verleiten... Es 
ist ein grauenhafter Widerspruch zwischen den Ge-
danken und Gefühlen, den Grundsätzen und Leiden-
schaften, den Reden und den Taten dieser Revenants!
Oder soll ich nach Amerika, nach diesem ungeheu-
ren Freiheitsgefängnis, wo die unsichtbaren Ketten 
mich noch schmerzlicher drücken würden als zu 
Hause die sichtbaren und wo der widerwärtigste aller 
Tyrannen, der Pöbel, seine rohe Herrschaft ausübt! 
Du weißt, wie ich über dieses gottverfluchte Land 
denke, das ich einst liebte, als ich es nicht kannte... 
Und doch muß ich es öffentlich loben und preisen, 
aus Metierpflicht... Ihr lieben deutschen Bauern! geht 
nach Amerika! dort gibt es weder Fürsten noch Adel, 
alle Menschen sind dort gleich, gleiche Flegel... mit 
Ausnahme freilich einiger Millionen, die eine 
schwarze oder braune Haut haben und wie die Hunde 
behandelt werden! Die eigentliche Sklaverei, die in 
den meisten nordamerikanischen Provinzen abge-
schafft, empört mich nicht so sehr wie die Brutalität, 
womit dort die freien Schwarzen und die Mulatten be-
handelt werden. Wer auch nur im entferntesten Grade 
von einem Neger stammt und wenn auch nicht mehr 
in der Farbe, sondern nur in der Gesichtsbildung eine 
solche Abstammung verrät, muß die größten Krän-
kungen erdulden, Kränkungen, die uns in Europa fa-
belhaft dünken. Dabei machen diese Amerikaner gro-
ßes Wesen von ihrem Christentum und sind die eifrig-
sten Kirchengänger. Solche Heuchelei haben sie von 
den Engländern gelernt, die ihnen übrigens ihre 
schlechtesten Eigenschaften zurückließen. Der weltli-
che Nutzen ist ihre eigentliche Religion, und das Geld
ist ihr Gott, ihr einziger, allmächtiger Gott. Freilich, 
manches edle Herz mag dort im stillen die allgemeine 
Selbstsucht und Ungerechtigkeit bejammern. Will es 
aber gar dagegen ankämpfen, so harret seiner ein 
Märtyrtum, das alle europäische Begriffe übersteigt. 
Ich glaube, es war in New York, wo ein protestanti-
scher Prediger über die Mißhandlung der farbigen 
Menschen so empört war, daß er, dem grausamen 
Vorurteil trotzend, seine eigene Tochter mit einem 
Neger verheuratete. Sobald diese wahrhaft christliche 
Tat bekannt wurde, stürmte das Volk nach dem Hause
des Predigers, der nur durch die Flucht dem Tode ent-
rann; aber das Haus ward demoliert, und die Tochter 
des Predigers, das arme Opfer, ward vom Pöbel er-
griffen und mußte seine Wut entgelten. She was flins-
hed, d.h., sie ward splitternackt ausgekleidet, mit Teer
bestrichen, in den aufgeschnittenen Federbetten 
herumgewälzt, in solcher anklebenden Federhülle 
durch die ganze Stadt geschleift und verhöhnt...
O Freiheit! du bist ein böser Traum!

Helgoland, den 8. Julius

-- Da gestern Sonntag war und eine bleierne Lange-
weile über der ganzen Insel lag und mir fast das 
Haupt eindrückte, griff ich aus Verzweiflung zur 
Bibel... und ich gestehe es Dir, trotzdem daß ich ein 
heimlicher Hellene bin, hat mich das Buch nicht bloß 
gut unterhalten, sondern auch weidlich erbaut. Welch 
ein Buch! groß und weit wie die Welt, wurzelnd in 
die Abgründe der Schöpfung und hinaufragend in die 
blauen Geheimnisse des Himmels... Sonnenaufgang 
und Sonnenuntergang, Verheißung und Erfüllung, 
Geburt und Tod, das ganze Drama der Menschheit, 
alles ist in diesem Buche... Es ist das Buch der Bü-
cher, Biblia. Die Juden sollten sich leicht trösten, daß 
sie Jerusalem und den Tempel und die Bundeslade 
und die goldenen Geräte und Kleinodien Salomonis 
eingebüßt haben... solcher Verlust ist doch nur 
geringfügig in Vergleichung mit der Bibel, dem un-
zerstörbaren Schatze, den sie gerettet. Wenn ich nicht 
irre, war es Mahomet, welcher die Juden »das Volk 
des Buches« nannte, ein Name, der ihnen bis heutigen
Tag im Oriente verblieben und tiefsinnig bezeichnend
ist. Ein Buch ist ihr Vaterland, ihr Besitz, ihr Herr-
scher, ihr Glück und ihr Unglück. Sie leben in den 
umfriedeten Marken dieses Buches, hier üben sie ihr 
unveräußerliches Bürgerrecht, hier kann man sie nicht
verjagen, nicht verachten, hier sind sie stark und be-
wundrungswürdig. Versenkt in der Lektüre dieses Bu-
ches, merkten sie wenig von den Veränderungen, die 
um sie her in der wirklichen Welt vorfielen; Völker 
erhuben sich und schwanden, Staaten blühten empor 
und erloschen, Revolutionen stürmten über den Erd-
boden... sie aber, die Juden, lagen gebeugt über ihrem
Buche und merkten nichts von der Wilden Jagd der 
Zeit, die über ihre Häupter dahinzog!
Wie der Prophet des Morgenlandes sie »das Volk 
des Buches« nannte, so hat sie der Prophet des 
Abendlands in seiner Philosophie der Geschichte als 
»das Volk des Geistes« bezeichnet. Schon in ihren 
frühesten Anfängen, wie wir im Pentateuch bemerken,
bekunden die Juden ihre Vorneigung für das Abstrak-
te, und ihre ganze Religion ist nichts als ein Akt der 
Dialektik, wodurch Materie und Geist getrennt und 
das Absolute nur in der alleinigen Form des Geistes 
anerkannt wird. Welche schauerlich isolierte Stellung 
mußten sie einnehmen unter den Völkern des Alter-
tums, die, dem freudigsten Naturdienste ergeben, den 
Geist vielmehr in den Erscheinungen der Materie, in 
Bild und Symbol, begriffen! Welche entsetzliche Op-
position bildeten sie deshalb gegen das buntgefärbte, 
hieroglyphenwimmelnde Ägypten, gegen Phönizien, 
den großen Freudetempel der Astarte, oder gar gegen 
die schöne Sünderin, das holde, süßduftige Babylon, 
und endlich gar gegen Griechenland, die blühende 
Heimat der Kunst!
Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie das Volk 
des Geistes sich allmählich ganz von der Materie be-
freit, sich ganz spiritualisiert. Moses gab dem Geiste 
gleichsam materielle Bollwerke, gegen den realen An-
drang der Nachbarvölker: rings um das Feld, wo er 
Geist gesäet, pflanzte er das schroffe Zeremonialge-
setz und eine egoistische Nationalität als schützende 
Dornhecke. Als aber die heilige Geistpflanze so tiefe 
Wurzel geschlagen und so himmelhoch emporge-
schossen, daß sie nicht mehr ausgereutet werden 
konnte, da kam Jesus Christus und riß das Zeremoni-
algesetz nieder, das fürder keine nützliche Bedeutung 
mehr hatte, und er sprach sogar das Vernichtungsur-
teil über die jüdische Nationalität... Er berief alle 
Völker der Erde zur Teilnahme an dem Reiche Gottes,
das früher nur einem einzigen auserlesenen 
Gottesvolke gehörte, er gab der ganzen Menschheit 
das jüdische Bürgerrecht... Das war eine große Eman-
zipationsfrage, die jedoch weit großmütiger gelöst 
wurde wie die heutigen Emanzipationsfragen in Sach-
sen und Hannover... Freilich, der Erlöser, der seine 
Brüder vom Zeremonialgesetz und der Nationalität 
befreite und den Kosmopolitismus stiftete, ward ein 
Opfer seiner Humanität, und der Stadtmagistrat von 
Jerusalem ließ ihn kreuzigen, und der Pöbel verspot-
tete ihn...
Aber nur der Leib ward verspottet und gekreuzigt, 
der Geist ward verherrlicht, und das Märtyrtum des 
Triumphators, der dem Geiste die Weltherrschaft er-
warb, ward Sinnbild dieses Sieges, und die ganze 
Menschheit strebte seitdem, in imitationem Christi, 
nach leiblicher Abtötung und übersinnlichem Aufge-
hen im absoluten Geiste...
Wann wird die Harmonie wieder eintreten, wann 
wird die Welt wieder gesunden von dem einseitigen 
Streben nach Vergeistigung, dem tollen Irrtume, wo-
durch sowohl Seele wie Körper erkrankten! Ein gro-
ßes Heilmittel liegt in der politischen Bewegung und 
in der Kunst. Napoleon und Goethe haben trefflich 
gewirkt. Jener, indem er die Völker zwang, sich aller-
lei gesunde Körperbewegung zu gestatten; dieser, 
indem er uns wieder für griechische Kunst empfäng-
lich machte und solide Werke schuf, woran wir uns, 
wie an marmornen Götterbildern, festklammern kön-
nen, um nicht unterzugehen im Nebelmeer des absolu-
ten Geistes...

Helgoland, den 18. Julius

Im Alten Testamente habe ich das erste Buch 
Mosis ganz durchgelesen. Wie lange Karawanenzüge 
zog die heilige Vorwelt durch meinen Geist. Die Ka-
mele ragen hervor. Auf ihrem hohen Rücken sitzen 
die verschleierten Rosen von Kanaan. Fromme Vieh-
hirten, Ochsen und Kühe vor sich hin treibend. Das 
zieht über kahle Berge, heiße Sandflächen, wo nur hie
und da eine Palmengruppe zum Vorschein kommt und
Kühlung fächelt. Die Knechte graben Brunnen. 
Süßes, stilles, hellsonniges Morgenland! Wie lieblich 
ruht es sich unter deinen Zelten! O Laban, könnte ich 
deine Herden weiden! Ich würde dir gerne sieben 
Jahre dienen um Rahel und noch andere sieben Jahre 
für die Lea, die du mir in den Kauf gibst! Ich höre, 
wie sie blöken, die Schafe Jakobs, und ich sehe, wie 
er ihnen die geschälten Stäbe vorhält, wenn sie in der 
Brunstzeit zur Tränke gehn. Die gesprenkelten gehö-
ren jetzt uns. Unterdessen kommt Ruben nach Hause 
und bringt seiner Mutter einen Strauß Dudaim, die er 
auf dem Felde gepflückt. Rahel verlangt die Dudaim, 
und Lea gibt sie ihr mit der Bedingung, daß Jakob 
dafür die nächste Nacht bei ihr schlafe. Was sind 
Dudaim? Die Kommentatoren haben sich vergebens 
darüber den Kopf zerbrochen. Luther weiß sich nicht 
besser zu helfen, als daß er diese Blumen ebenfalls 
Dudaim nennt. Es sind vielleicht schwäbische Gelb-
veiglein. Die Liebesgeschichte von der Dina und dem 
jungen Sichem hat mich sehr gerührt. Ihre Brüder Si-
meon und Levy haben jedoch die Sache nicht so senti-
mentalisch aufgefaßt. Abscheulich ist es, daß sie den 
unglücklichen Sichem und alle seine Angehörigen mit
grimmiger Hinterlist erwürgten, obgleich der arme 
Liebhaber sich anheischig machte, ihre Schwester zu 
heuraten, ihnen Länder und Güter zu geben, sich mit 
ihnen zu einer einzigen Familie zu verbünden, ob-
gleich er bereits in dieser Absicht sich und sein gan-
zes Volk beschneiden ließ. Die beiden Burschen hät-
ten froh sein sollen, daß ihre Schwester eine so glän-
zende Partie machte, die angelobte Verschwägerung 
war für ihren Stamm von höchstem Nutzen, und dabei
gewannen sie, außer der kostbarsten Morgengabe, 
auch eine gute Strecke Land, dessen sie eben sehr be-
durften... Man kann sich nicht anständiger aufführen 
wie dieser verliebte Sichemprinz, der am Ende doch 
nur aus Liebe die Rechte der Ehe antizipiert hatte... 
Aber das ist es, er hatte ihre Schwester geschwächt, 
und für dieses Vergehen gibt es bei jenen ehrstolzen 
Brüdern keine andere Buße als den Tod... und wenn 
der Vater sie ob ihrer blutigen Tat zur Rede stellt und 
die Vorteile erwähnt, die ihnen die Verschwägerung 
mit Sichem verschafft hätte, antworten sie: »Sollten 
wir etwa Handel treiben mit der Jungferschaft unserer 
Schwester?«
Störrige, grausame Herzen, diese Brüder. Aber 
unter dem harten Stein duftet das zarteste Sittlich-
keitsgefühl. Sonderbar, dieses Sittlichkeitsgefühl, wie
es sich noch bei anderen Gelegenheiten im Leben der 
Erzväter äußert, ist nicht Resultat einer positiven Re-
ligion oder einer politischen Gesetzgebung - nein, da-
mals gab es bei den Vorfahren der Juden weder posi-
tive Religion noch politisches Gesetz, beides entstand
erst in späterer Zeit. Ich glaube daher behaupten zu 
können, die Sittlichkeit ist unabhängig von Dogma 
und Legislation, sie ist ein reines Produkt des gesun-
den Menschengefühls, und die wahre Sittlichkeit, die 
Vernunft des Herzens, wird ewig fortleben, wenn 
auch Kirche und Staat zugrunde gehen.
Ich wünschte, wir besäßen ein anderes Wort zur 
Bezeichnung dessen, was wir jetzt Sittlichkeit nennen.
Wir könnten sonst verleitet werden, die Sittlichkeit 
als ein Produkt der Sitte zu betrachten. Die romani-
schen Völker sind in demselben Falle, indem ihr mo-
rale von mores abgeleitet worden. Aber wahre Sitt-
lichkeit ist, wie von Dogma und Legislation, so auch 
von den Sitten eines Volks unabhängig. Letztere sind 
Erzeugnisse des Klimas, der Geschichte, und aus 
solchen Faktoren entstandenen Legislation und Dog-
matik. Es gibt daher eine indische, eine chinesische, 
eine christliche Sitte, aber es gibt nur eine einzige, 
nämlich eine menschliche Sittlichkeit. Diese läßt sich 
vielleicht nicht im Begriff erfassen, und das Gesetz 
der Sittlichkeit, das wir Moral nennen, ist nur eine 
dialektische Spielerei. Die Sittlichkeit offenbart sich 
in Handlungen, und nur in den Motiven derselben, 
nicht in ihrer Form und Farbe, liegt die sittliche Be-
deutung. Auf dem Titelblatt von Golowins »Reise 
nach Japan« stehen als Motto die schönen Worte, 
welche der russische Reisende von einem vornehmen 
Japanesen vernommen: »Die Sitten der Völker sind 
verschieden, aber gute Handlungen werden überall als
solche anerkannt werden.«
Solange ich denke, habe ich über diesen Gegen-
stand, die Sittlichkeit, nachgedacht. Das Problem 
über die Natur des Guten und Bösen, das seit andert-
halb Jahrtausend alle große Gemüter in quälende Be-
wegung gesetzt, hat sich bei mir nur in der Frage von 
der Sittlichkeit geltend gemacht - -
Aus dem Alten Testament springe ich manchmal 
ins Neue, und auch hier überschauert mich die All-
macht des großen Buches. Welchen heiligen Boden 
betritt hier dein Fuß! Bei dieser Lektüre sollte man 
die Schuhe ausziehen, wie in der Nähe von Heiligtü-
mern.
Die merkwürdigsten Worte des Neuen Testaments 
sind für mich die Stelle im Evangelium Johannis, 
Kap. 16, V. 12. 13. »Ich habe euch noch viel zu 
sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen. Wenn 
aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der 
wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht 
von sich selbst reden, sondern was er hören wird, das 
wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch ver-
kündigen.« Das letzte Wort ist also nicht gesagt wor-
den, und hier ist vielleicht der Ring, woran sich eine 
neue Offenbarung knüpfen läßt. Sie beginnt mit der 
Erlösung vom Worte, macht dem Märtyrtum ein Ende
und stiftet das Reich der ewigen Freude: das Millenni-
um. Alle Verheißungen finden zuletzt die reichste Er-
füllung.
Eine gewisse mystische Doppelsinnigkeit ist vor-
herrschend im Neuen Testamente. Eine kluge Ab-
schweifung, nicht ein System sind die Worte: »Gib 
Cäsars, was des Cäsars, und Gott, was Gottes ist.« So
auch, wenn man Christum frägt: »Bist du König der 
Juden?«, ist die Antwort ausweichend. Ebenfalls auf 
die Frage, ob er Gottes Sohn sei. Mahomet zeigt sich 
weit offener bestimmter. Als man ihn mit einer ähnli-
chen Frage anging, nämlich, ob er Gottes Sohn sei, 
antwortete er: »Gott hat keine Kinder.«
Welch ein großes Drama ist die Passion! Und wie 
tief ist es motiviert durch die Prophezeiungen des 
Alten Testamentes! Sie konnte nicht umgangen wer-
den, sie war das rote Siegel der Beglaubnis. Gleich 
den Wundern, so hat auch die Passion als Annonce 
gedient... Wenn jetzt ein Heiland aufsteht, braucht er 
sich nicht mehr kreuzigen zu lassen, um seine Lehre 
eindrücklich zu veröffentlichen... er läßt sie ruhig 
drucken und annunziert das Büchlein in der »Allge-
meinen Zeitung« mit sechs Kreuzern die Zeile Insera-
tionsgebühr.
Welche süße Gestalt, dieser Gottmensch! Wie bor-
niert erscheint in Vergleichung mit ihm der Heros des 
Alten Testaments! Moses liebt sein Volk mit einer 
rührenden Innigkeit; wie eine Mutter sorgt er für die 
Zukunft dieses Volks. Christus liebt die Menschheit, 
jene Sonne umflammte die ganze Erde mit den wär-
menden Strahlen seiner Liebe. Welch ein lindernder 
Balsam für alle Wunden dieser Welt sind seine 
Worte! Welch ein Heilquell für alle Leidende war das
Blut, welches auf Golgatha floß!... Die weißen mar-
mornen Griechengötter wurden bespritzt von diesem 
Blute und erkrankten vor innerem Grauen und konn-
ten nimmermehr genesen! Die meisten freilich trugen 
schon längst in sich das verzehrende Siechtum, und 
nur der Schreck beschleunigte ihren Tod. Zuerst starb 
Pan. Kennst Du die Sage, wie Plutarch sie erzählt? 
Diese Schiffersage des Altertums ist höchst merkwür-
dig. - Sie lautet folgendermaßen:
Zur Zeit des Tiberius fuhr ein Schiff nahe an den 
Inseln Parä, welche an der Küste von Ätolien liegen, 
des Abends vorüber. Die Leute, die sich darauf befan-
den, waren noch nicht schlafen gegangen, und viele 
saßen nach dem Nachtessen beim Trinken, als man 
auf einmal von der Küste her eine Stimme vernahm, 
welche den Namen des Thamus (so hieß nämlich der 
Steuermann) so laut rief, daß alle in die größte Ver-
wunderung gerieten. Beim ersten und zweiten Rufe 
schwieg Thamus, beim dritten antwortete er; worauf 
dann die Stimme mit noch verstärktem Tone diese 
Worte zu ihm sagte: »Wenn du auf die Höhe von Pa-
lodes anlangst, so verkündige, daß der große Pan ge-
storben ist!« Als er nun diese Höhe erreichte, vollzog 
Thamus den Auftrag und rief vom Hinterteil des 
Schiffes nach dem Lande hin: »Der große Pan ist 
tot!« Auf diesen Ruf erfolgten von dort her die son-
derbarsten Klagetöne, ein Gemisch von Seufzen und 
Geschrei der Verwunderung, und wie von vielen zu-
gleich erhoben. Die Augenzeugen erzählten dies Er-
eignis in Rom, wo man die wunderlichsten Meinun-
gen darüber äußerte. Tiberius ließ die Sache näher un-
tersuchen und zweifelte nicht an der Wahrheit.

Helgoland, den 29. Julius

Ich habe wieder im Alten Testamente gelesen. 
Welch ein großes Buch! Merkwürdiger noch als der 
Inhalt ist für mich diese Darstellung, wo das Wort 
gleichsam ein Naturprodukt ist, wie ein Baum, wie 
eine Blume, wie das Meer, wie die Sterne, wie der 
Mensch selbst. Das sproßt, das fließt, das funkelt, das
lächelt, man weiß nicht wie, man weiß nicht warum, 
man findet alles ganz natürlich. Das ist wirklich das 
Wort Gottes, statt daß andere Bücher nur von Men-
schenwitz zeugen. Im Homer, dem anderen großen 
Buche, ist die Darstellung ein Produkt der Kunst, und
wenn auch der Stoff immer, ebenso wie in der Bibel, 
aus der Realität aufgegriffen ist, so gestaltet er sich 
doch zu einem poetischen Gebilde, gleichsam umge-
schmolzen im Tiegel des menschlichen Geistes; er 
wird geläutert durch einen geistigen Prozeß, welchen 
wir die Kunst nennen. In der Bibel erscheint auch 
keine Spur von Kunst; das ist der Stil eines Notizen-
buchs, worin der absolute Geist, gleichsam ohne alle 
individuelle menschliche Beihülfe, die Tagesvorfälle 
eingezeichnet, ungefähr mit derselben tatsächlichen 
Treue, womit wir unsere Waschzettel schreiben. Über
diesen Stil läßt sich gar kein Urteil aussprechen, man 
kann nur seine Wirkung auf unser Gemütkonstatieren,
und nicht wenig mußten die griechischen Grammati-
ker in Verlegenheit geraten, als sie manche frappante 
Schönheiten in der Bibel nach hergebrachten Kunst-
begriffen definieren sollten. Longinus spricht von Er-
habenheit. Neuere Ästhetiker sprechen von Naivität. 
Ach! wie gesagt, hier fehlen alle Maßstäbe der Beur-
teilung die Bibel ist das Wort Gottes.
Nur bei einem einzigen Schriftsteller finde ich 
etwas, was an jenen unmittelbaren Stil der Bibel erin-
nert. Das ist Shakespeare. Auch bei ihm tritt das Wort
manchmal in jener schauerlichen Nacktheit hervor, 
die uns erschreckt und erschüttert; in den Shake-
speareschen Werken sehen wir manchmal die leibhaf-
tige Wahrheit ohne Kunstgewand. Aber das geschieht
nur in einzelnen Momenten; der Genius der Kunst, 
vielleicht seine Ohnmacht fühlend, überließ hier der 
Natur sein Amt auf einige Augenblicke und behauptet
hernach um so eifersüchtiger seine Herrschaft in der 
plastischen Gestaltung und in der witzigen Verknüp-
fung des Dramas. Shakespeare ist zu gleicher Zeit 
Jude und Grieche, oder vielmehr beide Elemente, der 
Spiritualismus und die Kunst, haben sich in ihm ver-
söhnungsvoll durchdrungen und zu einem höheren 
Ganzen entfaltet.
Ist vielleicht solche harmonische Vermischung der 
beiden Elemente die Aufgabe der ganzen europäi-
schen Zivilisation? Wir sind noch sehr weit entfernt 
von einem solchen Resultate. Der Grieche Goethe und
mit ihm die ganze poetische Partei hat in jüngster Zeit
seine Antipathie gegen Jerusalem fast leidenschaftlich
ausgesprochen. Die Gegenpartei, die keinen großen 
Namen an ihrer Spitze hat, sondern nur einige 
Schreihälse, wie z.B. der Jude Pustkuchen, der Jude 
Wolfgang Menzel, der Jude Hengstenberg, diese erhe-
ben ihr pharisäisches Zeter um so krächzender gegen 
Athen und den großen Heiden.
Mein Stubennachbar, ein Justizrat aus Königsberg,
der hier badet, hält mich für einen Pietisten, da er 
immer, wenn er mir seinen Besuch abstattet, die Bibel
in meinen Händen findet. Er möchte mich deshalb 
gern ein bißchen prickeln, und ein kaustisch ostpreu-
ßisches Lächeln beflimmert sein mageres hagestolzes 
Gesicht jedesmal, wenn er über Religion mit mir spre-
chen kann. Wir disputierten gestern über die Dreiei-
nigkeit. Mit dem Vater ging es noch gut; das ist ja der
Weltschöpfer, und jedes Ding muß seine Ursache 
haben. Es haperte schon bedeutend mit dem Glauben 
an den Sohn, den sich der kluge Mann gern verbitten 
möchte, aber jedoch am Ende, mit fast ironischer Gut-
mütigkeit, annahm. Jedoch die dritte Person der Drei-
einigkeit, der Heilige Geist, fand den unbedingtesten 
Widerspruch. Was der Heilige Geist ist, konnte er 
durchaus nicht begreifen, und plötzlich auflachend, 
rief er: »Mit dem Heiligen Geist hat es wohl am Ende 
dieselbe Bewandtnis wie mit dem dritten Pferde, 
wenn man Extrapost reist; man muß immer dafür be-
zahlen und bekömmt es doch nie zu sehen, dieses drit-
te Pferd.«
Mein Nachbar, der unter mir wohnt, ist weder 
Pietist noch Rationalist, sondern ein Holländer, indo-
lent und ausgebuttert wie der Käse, womit er handelt. 
Nichts kann ihn in Bewegung setzen, er ist das Bild 
der nüchternsten Ruhe, und sogar wenn er sich mit 
meiner Wirtin über sein Lieblingsthema, das Einsal-
zen der Fische, unterhält, erhebt sich seine Stimme 
nicht aus der plattesten Monotonie. Leider, wegen des
dünnen Bretterbodens, muß ich manchmal derglei-
chen Gespräche anhören, und während ich hier oben 
mit dem Preußen über die Dreieinigkeit sprach, er-
klärte unten der Holländer, wie man Kabeljau, Laber-
dan und Stockfisch voneinander unterscheidet; es sei 
im Grunde ein und dasselbe.
Mein Hauswirt ist ein prächtiger Seemann, be-
rühmt auf der ganzen Insel wegen seiner Uner-
schrockenheit in Sturm und Not, dabei gutmütig und 
sanft wie ein Kind. Er ist eben von einer großen Fahrt
zurückgekehrt, und mit lustigem Ernste erzählte er 
mir von einem Phänomen, welches er gestern, am 28. 
Juli, auf der hohen See wahrnahm. Es klingt drollig: 
mein Hauswirt behauptet nämlich, die ganze See roch
nach frischgebackenem Kuchen, und zwar sei ihm der
warme delikate Kuchenduft so verführerisch in die 
Nase gestiegen, daß ihm ordentlich weh ums Herz 
ward. Siehst Du, das ist ein Seitenstück zu dem 
neckenden Lustbild, das dem lechzenden Wandrer in 
der arabischen Sandwüste eine klare erquickende 
Wasserfläche vorspiegelt. Eine gebackene Fata Mor-
gana.

Helgoland, den 1. August

-- Du hast keinen Begriff davon, wie das Dolcefar-
niente mir hier behagt. Ich habe kein einziges Buch, 
das sich mit den Tagesinteressen beschäftigt, hierher 
mitgenommen. Meine ganze Bibliothek besteht aus 
Paul Warnefrieds »Geschichte der Longobarden«, der 
Bibel, dem Homer und einigen Scharteken über He-
xenwesen. Über letzteres möchte ich gern ein interes-
santes Büchlein schreiben. Zu diesem Behufe be-
schäftigte ich mich jüngst mit Nachforschung über die
letzten Spuren des Heidentums in der getauften mo-
dernen Zeit. Es ist höchst merkwürdig, wie lange und 
unter welchen Vermummungen sich die schönen 
Wesen der griechischen Fabelwelt in Europa erhalten 
haben. - Und im Grunde erhielten sie sich ja bei uns 
bis auf heutigen Tag, bei uns, den Dichtern. Letztere 
haben, seit dem Sieg der christlichen Kirche, immer 
eine stille Gemeinde gebildet, wo die Freude des alten
Bilderdienstes, der jauchzende Götterglaube sich fort-
pflanzte von Geschlecht auf Geschlecht, durch die 
Tradition der heiligen Gesänge... Aber ach! die Eccle-
sia pressa, die den Homeros als ihren Propheten ver-
ehrt, wird täglich mehr und mehr bedrängt, der Eifer 
der schwarzen Familiaren wird immer bedenklicher 
angefacht. Sind wir bedroht mit einer neuen Götter-
verfolgung?
Furcht und Hoffnung wechseln ab in meinem Gei-
ste, und mir wird sehr ungewiß zumute.
-- Ich habe mich mit dem Meere wieder ausgesöhnt
(Du weißt, wir waren en délicatesse), und wir sitzen 
wieder des Abends beisammen und halten geheime 
Zwiegespräche. Ja, ich will die Politik und die Philo-
sophie an den Nagel hängen und mich wieder der Na-
turbetrachtung und der Kunst hingeben. Ist doch all 
dieses Quälen und Abmühen nutzlos, und obgleich 
ich mich marterte für das allgemeine Heil, so wird 
doch dieses wenig dadurch gefördert. Die Welt bleibt,
nicht im starren Stillstand, aber im erfolglosesten 
Kreislauf. Einst, als ich noch jung und unerfahren, 
glaubte ich, daß, wenn auch im Befreiungskampfe der
Menschheit der einzelne Kämpfer zugrunde geht, den-
noch die große Sache am Ende siege... Und ich er-
quickte mich an jenen schönen Versen Byrons:
»Die Wellen kommen eine nach der andern heran-
geschwommen, und eine nach der anderen zerbrechen 
sie und zerstieben sie auf dem Strande, aber das Meer 
selber schreitet vorwärts --«
Ach! wenn man dieser Naturerscheinung länger zu-
schaut, so bemerkt man, daß das vorwärtsgeschrittene
Meer, nach einem gewissen Zeitlauf, sich wieder in 
sein voriges Bett zurückzieht, später aufs neue daraus 
hervortritt, mit derselben Heftigkeit das verlassene 
Terrain wiederzugewinnen sucht, endlich kleinmütig 
wie vorher die Flucht ergreift und, dieses Spiel be-
ständig wiederholend, dennoch niemals weiter-
kommt... Auch die Menschheit bewegt sich nach den 
Gesetzen von Ebb' und Flut, und vielleicht auch auf 
die Geisterwelt übt der Mond seine siderischen Ein-
flüsse. --
Es ist heute junges Licht, und trotz aller wehmüti-
gen Zweifelsucht, womit sich meine Seele hin und her
quält, beschleichen mich wunderliche Ahnungen... Es 
geschieht jetzt etwas Außerordentliches in der Welt... 
Die See riecht nach Kuchen, und die Wolkenmönche 
sahen vorige Nacht so traurig aus, so betrübt...
Ich wandelte einsam am Strand in der Abenddäm-
merung. Ringsum herrschte feierliche Stille. Der 
hochgewölbte Himmel glich der Kuppel einer goti-
schen Kirche. Wie unzählige Lampen hingen darin 
die Sterne; aber sie brannten düster und zitternd. Wie 
eine Wasserorgel rauschten die Meereswellen; stürmi-
sche Choräle, schmerzlich verzweiflungsvoll, jedoch 
mitunter auch triumphierend. Über mir ein luftiger 
Zug von weißen Wolkenbildern, die wie Mönche aus-
sahen, alle gebeugten Hauptes und kummervollen 
Blickes dahinziehend, eine traurige Prozession... Es 
sah fast aus, als ob sie einer Leiche folgten.. ›Wer 
wird begraben? Wer ist gestorben?‹ sprach ich zu mir
selber. ›Ist der große Pan tot?‹

Helgoland, den 6. August

Während sein Heer mit den Longobarden kämpfte, 
saß der König der Heruler ruhig in seinem Zelte und 
spielte Schach. Er bedrohte mit dem Tode denjenigen,
der ihm eine Niederlage melden würde. Der Späher, 
der, auf einem Baume sitzend, dem Kampfe zuschau-
te, rief immer: »Wir siegen, wir siegen!« - bis er end-
lich laut aufseufzte: »Unglücklicher König! Unglück-
liches Volk der Heruler!« Da merkte der König, daß 
die Schlacht verloren, aber zu spät! Denn die Lon-
gobarden, drangen zu gleicher Zeit in sein Zelt und 
erstachen ihn...
Eben diese Geschichte las ich, im Paul Warnefried,
als das dicke Zeitungspaket mit den warmen, glühend 
heißen Neuigkeiten vom festen Lande ankam. Es 
waren Sonnenstrahlen, eingewickelt in Druckpapier, 
und sie entflammten meine Seele, bis zum wildesten 
Brand. Mir war, als könnte ich den ganzen Ozean bis 
zum Nordpol anzünden mit den Gluten der Begeiste-
rung und der tollen Freude, die in mir loderten. Jetzt 
weiß ich auch, warum die ganze See nach Kuchen 
roch. Der Seinefluß hatte die gute Nachricht unmittel-
bar ins Meer verbreitet, und in ihren Kristallpalästen 
haben die schönen Wasserfrauen, die von jeher allem 
Heldentum hold, gleich einen thé dansant gegeben, 
zur Feier der großen Begebenheiten, und deshalb roch
das ganze Meer nach Kuchen. Ich lief wie wahnsinnig
im Hause herum und küßte zuerst die dicke Wirtin 
und dann ihren freundlichen Seewolf, auch umarmte 
ich den preußischen Justizkommissarius, um dessen 
Lippen freilich das frostige Lächeln des Unglaubens 
nicht ganz verschwand. Sogar den Holländer drückte 
ich an mein Herz... Aber dieses indifferente Fettge-
sicht blieb kühl und ruhig, und ich glaube, wär ihm 
die Juliussonne in Person um den Hals gefallen, Myn-
heer würde nur in einen gelinden Schweiß, aber kei-
neswegs in Flammen geraten sein. Diese Nüchternheit
inmitten einer allgemeinen Begeisterung ist empö-
rend. Wie die Spartaner ihre Kinder vor der Trunken-
heit bewahrten, indem sie ihnen als warnendes Bei-
spiel einen berauschten Heloten zeigten, so sollten 
wir in unseren Erziehungsanstalten einen Holländer 
füttern, dessen sympathielose, gehäbige Fischnatur 
den Kindern einen Abscheu vor der Nüchternheit ein-
flößen möge. Wahrlich, diese holländische Nüchtern-
heit ist ein weit fataleres Laster als die Besoffenheit 
eines Heloten. Ich möchte Mynheer prügeln...
Aber nein, keine Exzesse! Die Pariser haben uns 
ein so brillantes Beispiel von Schonung gegeben. 
Wahrlich, ihr verdient es, frei zu sein, ihr Franzosen, 
denn ihr tragt die Freiheit im Herzen. Dadurch unter-
scheidet ihr euch von euren armen Vätern, welche sich
aus jahrtausendlicher Knechtschaft erhoben und bei 
allen ihren Heldentaten auch jene wahnsinnige Greuel
ausübten, worüber der Genius der Menschheit sein 
Antlitz verhüllte. Die Hände des Volks sind diesmal 
nur blutig geworden im Schlachtgewühle gerechter 
Gegenwehr, nicht nach dem Kampf. Das Volk ver-
band selbst die Wunden seiner Feinde, und als die Tat
abgetan war, ging es wieder ruhig an seine Tagesbe-
schäftigung, ohne für die große Arbeit auch nur ein 
Trinkgeld verlangt zu haben!

Den Sklaven, wenn er die Kette bricht, 
Den freien Mann, den fürchte nicht!

Du siehst, wie berauscht ich bin, wie außer mir, 
wie allgemein... ich zitiere Schillers »Glocke«.
Und den alten Knaben, dessen unverbesserliche 
Torheit soviel Bürgerblut gekostet, haben die Pariser 
mit rührender Schonung behandelt. Er saß wirklich 
beim Schachspiel, wie der König der Heruler, als die 
Sieger in sein Zelt stürzten. Mit zitternder Hand un-
terzeichnete er die Abdankung. Er hat die Wahrheit 
nicht hören wollen. Er behielt ein offnes Ohr nur für 
die Lüge der Höflinge. Diese riefen immer: »Wir sie-
gen! wir siegen!« Unbegreiflich war diese Zuversicht 
des königlichen Toren... Verwundert blickte er auf, 
als das »Journal des débats« wie einst der Wächter 
während der Longobardenschlacht plötzlich ausrief: 
»Malheureux roi! malheureuse France!«
Mit ihm, mit Karl X., hat endlich das Reich Karls 
des Großen ein Ende, wie das Reich des Romulus 
sich endigte mit Romulus Augustulus. Wie einst ein 
neues Rom, so beginnt jetzt ein neues Frankreich.
Es ist mir alles noch wie ein Traum; besonders der 
Name Lafayette klingt mir wie eine Sage aus der frü-
hesten Kindheit. Sitzt er wirklich jetzt wieder zu Pfer-
de, kommandierend die Nationalgarde? Ich fürchte 
fast, es sei nicht wahr, denn es ist gedruckt. Ich will 
selbst nach Paris gehen, um mich mit leiblichen 
Augen davon zu überzeugen... Es muß prächtig aus-
sehen, wenn er dort durch die Straßen reitet, der Bür-
ger beider Welten, der göttergleiche Greis, die silber-
nen Locken herabwallend über die heilige Schulter... 
Er grüßt mit den alten lieben Augen die Enkel jener 
Väter, die einst mit ihm kämpften für Freiheit und 
Gleichheit... Es sind jetzt sechzig Jahr, daß er aus 
Amerika zurückgekehrt mit der Erklärung der 
Menschheitsrechte, den zehn Geboten des neuen 
Weltglaubens, die ihm dort offenbart wurden unter 
Kanonendonner und Blitz... Dabei weht wieder auf 
den Türmen von Paris die dreifarbige Fahne, und es 
klingt die Marseillaise!
Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise... 
Ich bin wie berauscht. Kühne Hoffnungen steigen
leidenschaftlich empor, wie Bäume mit goldenen 
Früchten und wilden, wachsenden Zweigen, die ihr 
Laubwerk weit ausstrecken bis in die Wolken... Die 
Wolken aber im raschen Fluge entwurzeln diese Rie-
senbäume und jagen damit von dannen. Der Himmel 
hängt voller Violinen, und auch ich rieche es jetzt, die
See duftet nach frischgebackenen Kuchen. Das ist ein 
beständiges Geigen da droben in himmelblauer Freu-
digkeit, und das klingt aus den smaragdenen Wellen 
wie heiteres Mädchengekicher. Unter der Erde aber 
kracht es und klopft es, der Boden öffnet sich, die 
alten Götter strecken daraus ihre Köpfe hervor, und 
mit hastiger Verwunderung fragen sie: »Was bedeutet
der Jubel, der bis ins Mark der Erde drang? Was 
gibt's Neues? dürfen wir wieder hinauf?« - Nein, ihr 
bleibt unten in Nebelheim, wo bald ein neuer Todes-
genosse zu euch hinabsteigt... - »Wie heißt er?« - Ihr
kennt ihn gut, ihn, der euch einst hinabstieß in das 
Reich der ewigen Nacht...

Pan ist tot!

Helgoland, den 10. August
Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise...
Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiß jetzt 
wieder, was ich will, was ich soll, was ich muß... Ich 
bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den 
gefeiten Waffen, worüber meine Mutter ihren 
Zaubersegen ausgesprochen... Blumen! Blumen! Ich 
will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Und 
auch die Leier, reicht mir die Leier, damit ich ein 
Schlachtlied singe... Worte gleich flammenden Ster-
nen, die aus der Höhe herabschießen und die Paläste 
verbrennen und die Hütten erleuchten... Worte gleich 
blanken Wurfspeeren, die bis in den siebenten Him-
mel hinaufschwirren und die frommen Heuchler tref-
fen, die sich dort eingeschlichen ins Allerheiligste... 
Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und 
Flamme!
Vielleicht auch ganz toll... Von jenen wilden, in 
Druckpapier gewickelten Sonnenstrahlen ist mir einer
ins Hirn geflogen, und alle meine Gedanken brennen 
lichterloh. Vergebens tauche ich den Kopf in die See. 
Kein Wasser löscht dieses griechische Feuer. Aber es 
geht den anderen nicht viel besser. Auch die übrigen 
Badegäste traf der Pariser Sonnenstich, zumal die 
Berliner, die dieses Jahr in großer Anzahl hier befind-
lich und von einer Insel zur andern kreuzen, so daß 
man sagen konnte, die ganze Nordsee sei über-
schwemmt von Berlinern. Sogar die armen Helgolan-
der jubeln vor Freude, obgleich sie die Ereignisse nur 
instinktmäßig begreifen. Der Fischer, welcher mich 
gestern nach der kleinen Sandinsel, wo man badet, 
überfuhr, lachte mich an mit den Worten: »Die armen 
Leute haben gesiegt!« Ja, mit seinem Instinkt begreift 
das Volk die Ereignisse vielleicht besser als wir mit 
allen unseren Hülfskenntnissen. So erzählte mir einst 
Frau v. Varnhagen: als man den Ausgang der 
Schlacht bei Leipzig noch nicht wußte, sei plötzlich 
die Magd ins Zimmer gestürzt, mit dem Angstschrei: 
»Der Adel hat gewonnen.«
Diesmal haben die armen Leute den Sieg erfochten.
»Aber es hilft ihnen nichts, wenn sie nicht auch das 
Erbrecht besiegen!« Diese Worte sprach der ostpreu-
ßische Justizrat in einem Tone, der mir sehr auffiel. 
Ich weiß nicht, warum diese Worte, die ich nicht be-
greife, mir so beängstigend im Gedächtnis bleiben. 
Was will er damit sagen, der trockene Kauz?
Diesen Morgen ist wieder ein Paket Zeitungen an-
gekommen. Ich verschlinge sie wie Manna. Ein Kind, 
wie ich bin, beschäftigen mich die rührenden Einzel-
heiten noch weit mehr als das bedeutungsvolle Ganze.
Oh, könnte ich nur den Hund Medor sehen! Dieser in-
teressiert mich weit mehr als die anderen, die dem 
Philipp von Orleans mit schnellen Sprüngen die 
Krone apportiert haben. Der Hund Medor apportierte 
seinem Herrn Flinte und Patrontasche, und als sein 
Herr fiel und samt seinen Mithelden auf dem Hofe des
Louvre begraben wurde, da blieb der arme Hund, wie 
ein Steinbild der Treue, regungslos auf dem Grabe sit-
zen, Tag und Nacht, von den Speisen, die man ihm 
bot, nur wenig genießend, den größten Teil derselben 
in die Erde verscharrend, vielleicht als Atzung für sei-
nen begrabenen Herrn!
Ich kann gar nicht mehr schlafen, und durch den 
überreizten Geist jagen die bizarrsten Nachtgesichte. 
Wachende Träume, die übereinander hinstolpern, so 
daß die Gestalten sich abenteuerlich vermischen und 
wie im chinesischen Schattenspiel sich jetzt zwerghaft
verkürzen, dann wieder gigantisch verlängern; zum 
Verrücktwerden. In diesem Zustande ist mir manch-
mal zu Sinne, als ob meine eignen Glieder ebenfalls 
sich kolossal ausdehnten und daß ich, wie mit unge-
heuer langen Beinen, von Deutschland nach Frank-
reich und wieder zurück liefe. Ja, ich erinnere mich, 
vorige Nacht lief ich solchermaßen durch alle deut-
sche Länder und Ländchen und klopfte an den Türen 
meiner Freunde und störte die Leute aus dem Schla-
fe... Sie glotzten mich manchmal an mit verwunderten
Glasaugen, so daß ich selbst erschrak und nicht gleich
wußte, was ich eigentlich wollte und warum ich sie 
weckte! Manche dicke Philister, die allzu widerwärtig
schnarchten, stieß ich bedeutungsvoll in die Rippen, 
und gähnend frugen sie: »Wieviel Uhr ist es denn?« 
In Paris, lieben Freunde, hat der Hahn gekräht; das ist
alles, was ich weiß. - Hinter Augsburg, auf dem 
Wege nach München, begegneten mir eine Menge go-
tischer Dome, die auf der Flucht zu sein schienen und 
ängstlich wackelten. Ich selber, des vielen 
Umherlaufens satt, ich gab mich endlich ans Fliegen, 
und so flog ich von einem Stern zum andern. Sind 
aber keine bevölkerte Welten, wie andere träumen, 
sondern nur glänzende Steinkugeln, öde und frucht-
los. Sie fallen nicht herunter, weil sie nicht wissen, 
worauf sie fallen können. Schweben dort oben auf 
und ab, in der größten Verlegenheit. Kam auch in den
Himmel. Tür und Tor stand offen. Lange, hohe, 
weithallende Säle, mit altmodischen Vergoldungen, 
ganz leer, nur daß hie und da, auf einem samtnen 
Armsessel, ein alter gepuderter Bedienter saß, in ver-
blichen roter Livree und gelinde schlummernd. In 
manchen Zimmern waren die Türflügel aus ihren An-
geln gehoben, an andern Orten waren die Türen fest 
verschlossen und obendrein mit großen runden 
Amtssiegeln dreifach versiegelt, wie in Häusern, wo 
ein Bankrott oder ein Todesfall eingetreten. Kam end-
lich in ein Zimmer, wo an einem Schreibpult ein alter 
dünner Mann saß, der unter hohen Papierstößen 
kramte. War schwarz gekleidet, hatte ganz weiße 
Haare, ein faltiges Geschäftsgesicht und frug mich mit
gedämpfter Stimme, was ich wolle. In meiner Naivität
hielt ich ihn für den lieben Herrgott, und ich sprach 
zu ihm ganz zutrauungsvoll: »Ach, lieber Herrgott, 
ich möchte donnern lernen, blitzen kann ich... ach, 
lehren Sie mich auch donnern!« - »Sprechen Sie nicht
so laut«, entgegnete mir heftig der alte dünne Mann, 
drehte mir den Rücken und kramte weiter unter seinen
Papieren. »Das ist der Herr Registrator«, flüsterte mir
einer von den roten Bedienten, der von seinem Schlaf-
sessel sich erhob und sich gähnend die Augen rieb...
Pan ist tot!

Kuxhaven, den 19. August

Unangenehme Überfahrt, in einem offenen Kahn, 
gegen Wind und Wetter; so daß ich, wie immer in 
solchen Fällen, von der Seekrankheit zu leiden hatte. 
Auch das Meer, wie andre Personen, lohnt meine 
Liebe mit Ungemach und Quälnissen. Anfangs geht 
es gut, da laß ich mir das neckende Schaukeln gern 
gefallen. Aber allmählich schwindelt es mir im Kopfe,
und allerlei fabelhafte Gesichte umschwirren mich. 
Aus den dunkeln Meerstrudeln steigen die alten Dä-
monen hervor, in scheußlicher Nacktheit bis an die 
Hüften, und sie heulen schlechte, unverständliche 
Verse und spritzen mir den weißen Wellenschaum ins
Antlitz. Zu noch weit fataleren Fratzenbildern gestal-
ten sich droben die Wolken, die so tief herabhängen, 
daß sie fast mein Haupt berühren und mir mit ihren 
dummen Fistelstimmchen die unheimlichsten Narre-
teien ins Ohr pfeifen. Solche Seekrankheit, ohne ge-
fährlich zu sein, gewährt sie dennoch die entsetzlich-
sten Mißempfindungen, unleidlich bis zum Wahn-
sinn. Am Ende, im fieberhaften Katzenjammer, 
bildete ich mir ein, ich sei ein Walfisch und ich trüge 
im Bauche den Propheten Jonas.
Der Prophet Jonas aber rumorte und wütete in mei-
nem Bauche und schrie beständig:
»O Ninive! O Ninive! Du wirst untergehen! In dei-
nen Palästen werden Bettler sich lausen, und in dei-
nen Tempeln werden die babylonischen Kürassiere 
ihre Stuten füttern. Aber euch, ihr Priester Baals, euch
wird man bei den Ohren fassen und eure Ohren fest-
nageln an die Pforte der Tempel! Ja, an die Türen 
eurer Läden wird man euch mit den Ohren annageln, 
ihr Leibbäcker Gottes! Denn ihr habt falsches Ge-
wicht gegeben, ihr habt leichte betrügerische Brote 
dem Volke verkauft! Oh, ihr geschorenen Schlauköp-
fe! wenn das Volk hungerte, reichtet ihr ihm eine 
dünne homöopathische Schein speise, und wenn es 
dürstete, tranket ihr statt seiner; höchstens den Köni-
gen reichtet ihr den vollen Kelch. Ihr aber, ihr assyri-
schen Spießbürger und Grobiane, ihr werdet Schläge 
bekommen mit Stocken und Ruten, und auch Fußtritte
werdet ihr bekommen und Ohrfeigen, und ich kann es 
euch voraussagen mit Bestimmtheit, denn erstens 
werde ich alles mögliche tun, damit ihr sie bekommt, 
und zweitens bin ich Prophet, der Prophet Jonas, 
Sohn Amithai... O Ninive, o Ninive, du wirst unter-
gehn!«
So ungefähr predigte mein Bauchredner, und er 
schien dabei so stark zu gestikulieren und sich in mei-
nen Gedärmen zu verwickeln, daß sich mir alles kul-
lernd im Leibe herumdrehte... bis ich es endlich nicht 
länger ertragen konnte und den Propheten Jonas aus-
spuckte.
Solcherweise ward ich erleichtert und genas endlich
ganz und gar, als ich landete und im Gasthofe eine 
gute Tasse Tee bekam.
Hier wimmelt's von Hamburgern und ihren Gemah-
linnen, die das Seebad gebrauchen. Auch Schiffskapi-
täne aus allen Ländern, die auf guten Fahrwind war-
ten, spazieren hier hin und her, auf den hohen Däm-
men, oder sie liegen in den Kneipen und trinken sehr 
starken Grog und jubeln über die drei Julitage. In 
allen Sprachen bringt man den Franzosen ihr wohl-
verdientes Vivat, und der sonst so wortkarge Brite 
preist sie ebenso redselig wie jener geschwätzige Por-
tugiese, der es bedauerte, daß er seine Ladung Oran-
gen nicht direkt nach Paris bringen könne, um das 
Volk zu erfrischen nach der Hitze des Kampfes. 
Sogar in Hamburg, wie man mir erzählt, in jenem 
Hamburg, wo der Franzosenhaß am tiefsten wurzelte, 
herrscht jetzt nichts als Enthusiasmus für Frank-
reich... Alles ist vergessen, Davoust, die beraubte 
Bank, die füsilierten Bürger, die altdeutschen Röcke, 
die schlechten Befreiungsverse, Vater Blücher, »Heil 
dir im Siegerkranze«, alles ist vergessen... In 
Hamburg flattert die Trikolore, überall erklingt dort 
die Marseillaise, sogar die Damen erscheinen im 
Theater mit dreifarbigen Bandschleifen auf der Brust, 
und sie lächeln mit ihren blauen Augen, roten Münd-
lein und weißen Näschen... Sogar die reichen Ban-
kiers, welche infolge der revolutionären Bewegung an
ihren Staatspapieren sehr viel Geld verlieren, teilen 
großmütig die allgemeine Freude, und jedesmal, wenn
ihnen der Makler meldet, daß die Kurse noch tiefer 
gefallen, schauen sie desto vergnügter und antworten:
»Es ist schon gut, es tut nichts, es tut nichts!« -
Ja, überall, in allen Landen, werden die Menschen 
die Bedeutung dieser drei Julitage sehr leicht begrei-
fen und darin einen Triumph der eigenen Interessen 
erkennen und feiern. Die große Tat der Franzosen 
spricht so deutlich zu allen Völkern und allen Intelli-
genzen, den höchsten und den niedrigsten, und in den 
Steppen der Baschkiren werden die Gemüter ebenso 
tief erschüttert werden wie auf den Höhen Andalusi-
ens... Ich sehe schon, wie dem Neapolitaner der Mak-
karoni und dem Irländer seine Kartoffel im Munde 
steckenbleibt, wenn die Nachricht bei ihnen anlangt...
Pulischinell ist kapabel, zum Schwert zu greifen, und 
Paddy wird vielleicht einen Bull machen, worüber den
Engländern das Lachen vergeht.
Und Deutschland? Ich weiß nicht. Werden wir end-
lich von unseren Eichenwäldern den rechten Gebrauch
machen, nämlich zu Barrikaden für die Befreiung der 
Welt? Werden wir, denen die Natur soviel Tiefsinn, 
soviel Kraft, soviel Mut erteilt hat, endlich unsere 
Gottesgaben benutzen und das Wort des großen Mei-
sters, die Lehre von den Rechten der Menschheit, be-
greifen, proklamieren und in Erfüllung bringen?
Es sind jetzt sechs Jahre, daß ich, zu Fuß das Va-
terland durchwandernd, auf die Wartburg ankam und 
die Zelle besuchte, wo Doktor Luther gehaust. Ein 
braver Mann, auf den ich keinen Tadel kommen lasse;
er vollbrachte ein Riesenwerk, und wir wollen ihm 
immer dankbar die Hände küssen für das, was er tat. 
Wir wollen nicht mit ihm schmollen, daß er unsere 
Freunde allzu unhöflich anließ, als sie in der Exegese 
des göttlichen Wortes etwas weiter gehen wollten als 
er selber, als sie auch die irdische Gleichheit der Men-
schen in Vorschlag brachten... Ein solcher Vorschlag 
war freilich damals noch unzeitgemäß, und Meister 
Hemling, der dir dein Haupt abschlug, armer Thomas 
Münzer, er war in gewisser Hinsicht wohl berechtigt 
zu solchem Verfahren: denn er hatte das Schwert in 
Händen, und sein Arm war stark!
Auf der Wartburg besuchte ich auch die Rüstkam-
mer, wo die alten Harnische hängen, die alten Pickel-
hauben, Tartschen, Hellebarden, Flamberge, die eiser-
ne Garderobe des Mittelalters. Ich wandelte nachsin-
nend im Saale herum mit einem Universitätsfreunde, 
einem jungen Herrn vom Adel, dessen Vater damals 
einer der mächtigsten Viertelfürsten in unserer Heimat
war und das ganze zitternde Ländchen beherrschte. 
Auch seine Vorfahren sind mächtige Barone gewesen,
und der junge Mann schwelgte in heraldischen Erin-
nerungen bei Anblick der Rüstungen und der Waffen, 
die, wie ein angehefteter Zettel meldete, irgendeinem 
Ritter seiner Sippschaft angehört hatten. Als er das 
lange Schwert des Ahnherrn von dem Haken her-
ablangte und aus Neugier versuchte, ob er es wohl 
handhaben könnte, gestand er, daß es ihm doch etwas 
zu schwer sei, und er ließ entmutigt den Arm sinken. 
Als ich dieses sah, als ich sah, wie der Arm des En-
kels zu schwach für das Schwert seiner Väter, da 
dachte ich heimlich in meinem Sinn: Deutschland 
könnte frei sein.

Neun Jahre später

Zwischen meinem ersten und meinem zweiten Be-
gegnis mit Ludwig Börne liegt jene Juliusrevolution, 
welche unsere Zeit gleichsam in zwei Hälften ausein-
andersprengte. Die vorstehenden Briefe mögen Kunde
geben von der Stimmung, in welcher mich die große 
Begebenheit antraf, und in gegenwärtiger Denkschrift 
sollen sie als vermittelnde Brücke dienen, zwischen 
dem ersten und dem dritten Buche. Der Übergang 
wäre sonst zu schroff. Ich trug Bedenken, eine größe-
re Anzahl dieser Briefe mitzuteilen, da in den nächst-
folgenden der zeitliche Freiheitsrausch allzu unge-
stüm über alle Polizeiverordnungen hinaustaumelte, 
während späterhin allzu ernüchterte Betrachtungen 
eintreten und das enttäuschte Herz in mutlose, verza-
gende und verzweifelnde Gedanken sich verliert! 
Schon die ersten Tage meiner Ankunft in der Haupt-
stadt der Revolution merkte ich, daß die Dinge in der 
Wirklichkeit ganz andere Farben trugen, als ihnen die
Lichteffekte meiner Begeisterung in der Ferne gelie-
hen hatten. Das Silberhaar, das ich um die Schulter 
Lafayettes, des Helden beider Welten, so majestätisch
flattern sah, verwandelte sich bei näherer Betrachtung
in eine braune Perücke, die einen engen Schädel kläg-
lich bedeckte. Und gar der Hund Medor, den ich auf 
dem Hofe des Louvre besuchte und der, gelagert unter
dreifarbigen Fahnen und Trophäen, sich ruhig füttern 
ließ: er war gar nicht der rechte Hund, sondern eine 
ganz gewöhnliche Bestie, die sich fremde Verdienste 
anmaßte, wie bei den Franzosen oft geschieht, und 
ebenso wie viele andre exploitierte er den Ruhm der 
Juliusrevolution... Er ward gehätschelt, gefördert, 
vielleicht zu den höchsten Ehrenstellen erhoben, wäh-
rend der wahre Medor, einige Tage nach dem Siege, 
bescheiden davongeschlichen war, wie das wahre 
Volk, das die Revolution gemacht...
Armes Volk! Armer Hund! sie.
Es ist eine schon ältliche Geschichte. Nicht für 
sich, seit undenklicher Zeit, nicht für sich hat das 
Volk geblutet und gelitten, sondern für andre. Im Juli 
1830 erfocht es den Sieg für jene Bourgeoisie, die 
ebensowenig taugt wie jene Noblesse, an deren Stelle 
sie trat, mit demselben Egoismus... Das Volk hat 
nichts gewonnen durch seinen Sieg als Reue und grö-
ßere Not. Aber seid überzeugt, wenn wieder die 
Sturmglocke geläutet wird und das Volk zur Flinte 
greift, diesmal kämpft es für sich selber und verlangt 
den wohlverdienten Lohn. Diesmal wird der wahre, 
echte Medor geehrt und gefüttert werden... Gott weiß, 
wo er jetzt herumläuft, verachtet, verhöhnt und hun-
gernd...
Doch still, mein Herz, du verrätst dich zu sehr...


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