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Text by Heinrich Heine (1797-1856)
Es war im Jahr 1815, nach Christi Geburt, daß mir der Name Börne zuerst ans Ohr klang. Ich befand mich mit meinem seligen Vater auf der Frankfurter Messe, wohin er mich mitgenommen, damit ich mich in der Welt einmal umsehe; das sei bildend. Da bot sich mir ein großes Schauspiel. In den sogenannten Hütten, oberhalb der Zeil, sah ich die Wachsfiguren, wilde Tiere, außerordentliche Kunst- und Naturwerke. Auch zeigte mir mein Vater die großen, sowohl christlichen als jüdischen Magazine, worin man die Waren zehn Prozent unter den Fabrikpreis einkauft und man doch immer betrogen wird. Auch das Rat- haus, den Römer, ließ er mich sehen, wo die deut- schen Kaiser gekauft wurden, zehn Prozent unter den Fabrikpreis. Der Artikel ist am Ende ganz ausgegan- gen. Einst führte mich mein Vater ins Lesekabinett einer der Ø oder ¥ Logen, wo er oft soupierte, Kaffee trank, Karten spielte und sonstige Freimaurerarbeiten verrichtete. Während ich im Zeitungslesen vertieft lag, flüsterte mir ein junger Mensch, der neben mir saß, leise ins Ohr: »Das ist der Doktor Börne, welcher gegen die Ko- mödianten schreibt!« Als ich aufblickte, sah ich einen Mann, der, nach einem Journale suchend, mehrmals im Zimmer sich hin und her bewegte und bald wieder zur Tür hinaus- ging. So kurz auch sein Verweilen, so blieb mir doch das ganze Wesen des Mannes im Gedächtnisse, und noch heute könnte ich ihn mit diplomatischer Treue abkonterfeien. Er trug einen schwarzen Leibrock, der noch ganz neu glänzte, und blendend weiße Wäsche; aber er trug dergleichen nicht wie ein Stutzer, sondern mit einer wohlhabenden Nachlässigkeit, wo nicht gar mit einer verdrießlichen Indifferenz, die hinlänglich bekundete, daß er sich mit dem Knoten der weißen Krawatte nicht lange vor dem Spiegel beschäftige und daß er den Rock gleich angezogen, sobald ihn der Schneider gebracht, ohne lange zu prüfen, ob er zu eng oder zu weit. Er schien weder groß noch klein von Gestalt, weder mager noch dick, sein Gesicht war weder rot noch blaß, sondern von einer angeröteten Blässe oder ver- blaßten Röte, und was sich darin zunächst aussprach, war eine gewisse ablehnende Vornehmheit, ein gewis- ses dédain, wie man es bei Menschen findet, die sich besser als ihre Stellung fühlen, aber an der Leute An- erkenntnis zweifeln. Es war nicht jene geheime Maje- stät, die man auf dem Antlitz eines Königs oder eines Genies, die sich inkognito unter der Menge verborgen halten, entdecken kann; es war vielmehr jener revolu- tionäre, mehr oder minder titanenhafte Mißmut, den man auf den Gesichtern der Prätendenten jeder Art be- merkt. Sein Auftreten, seine Bewegung, sein Gang hatten etwas Sicheres, Bestimmtes, Charaktervolles. Sind außerordentliche Menschen heimlich umflossen von dem Ausstrahlen ihres Geistes? Ahnet unser Gemüt dergleichen Glorie, die wir mit den Augen des Leibes nicht sehen können? Das moralische Gewitter in einem solchen außerordentlichen Menschen wirkt vielleicht elektrisch auf junge, noch nicht abgestumpf- te Gemüter, die ihm nahen, wie das materielle Gewit- ter auf Katzen wirkt? Ein Funken aus dem Auge des Mannes berührte mich, ich weiß nicht wie, aber ich vergaß nicht diese Berührung und vergaß nie den Doktor Börne, welcher gegen die Komödianten schrieb. Ja, er war damals Theaterkritiker und übte sich an den Helden der Bretterwelt. Wie mein Universitäts- freund Dieffenbach, als wir in Bonn studierten, über- all, wo er einen Hund oder eine Katze erwischte, ihnen gleich die Schwänze abschnitt, aus purer Schneidelust, was wir ihm damals, als die armen Be- stien gar entsetzlich heulten, so sehr verargten, später aber ihm gern verziehen, da ihn diese Schneidelust zu dem größten Operateur Deutschlands machte: so hat sich auch Börne zuerst an Komödianten versucht, und manchen jugendlichen Übermut, den er damals beging an den Heigeln, Weidnern, Ursprüngen und dergleichen unschuldigen Tieren, die seitdem ohne Schwänze herumlaufen, muß man ihm zugute halten für die besseren Dienste, die er später als großer poli- tischer Operateur mit seiner gewetzten Kritik zu lei- sten verstand. Es war Varnhagen von Ense, welcher etwa zehn Jahre nach dem erwähnten Begegnisse den Namen Börne wieder in meiner Erinnerung heraufrief und mir Aufsätze des Mannes, namentlich in der »Waage« und in den »Zeitschwingen«, zu lesen gab. Der Ton, womit er mir diese Lektüre empfahl, war bedeutsam dringend, und das Lächeln, welches um die Lippen der anwesenden Rahel schwebte, jenes wohlbekannte, rätselhaft wehmütige, vernunftvoll mystische Lächeln, gab der Empfehlung ein noch größeres Gewicht. Rahel schien nicht bloß auf literarischem Wege über Börne unterrichtet zu sein, und wie ich mich erinnere, versicherte sie bei dieser Gelegenheit: es existierten Briefe, die Börne einst an eine geliebte Person gerich- tet habe und worin sein leidenschaftlicher hoher Geist sich noch glänzender als in seinen gedruckten Aufsät- zen ausspräche. Auch über seinen Stil äußerte sich Rahel, und zwar mit Worten, die jeder, der mit ihrer Sprache nicht vertraut ist, sehr mißverstehen möchte; sie sagte: »Börne kann nicht schreiben, ebensowenig wie ich oder Jean Paul.« Unter Schreiben verstand sie nämlich die ruhige Anordnung, sozusagen die Redaktion der Gedanken, die logische Zusammenset- zung der Redeteile, kurz, jene Kunst des Perioden- baues, den sie sowohl bei Goethe wie bei ihrem Ge- mahl so enthusiastisch bewunderte und worüber wir damals fast täglich die fruchtbarsten Debatten führten. Die heutige Prosa, was ich hier beiläufig bemerken will, ist nicht ohne viel Versuch, Beratung, Wider- spruch und Mühe geschaffen worden. Rahel liebte vielleicht Börne um so mehr, da sie ebenfalls zu jenen Autoren gehörte, die, wenn sie gut schreiben sollen, sich immer in einer leidenschaftlichen Anregung, in einem gewissen Geistesrausch befinden müssen: Bac- chanten des Gedankens, die dem Gotte mit heiliger Trunkenheit nachtaumeln. Aber bei ihrer Vorliebe für wahlverwandte Naturen hegte sie dennoch die größte Bewunderung für jene besonnenen Bildner des Wor- tes, die all ihr Denken, Fühlen und Anschauen, abge- löst von der gebärenden Seele, wie einen gegebenen Stoff zu handhaben und gleichsam plastisch darzu- stellen wissen. Ungleich jener großen Frau, hegte Börne den engsten Widerwillen gegen dergleichen Darstellungsart; in seiner subjektiven Befangenheit begriff er nicht die objektive Freiheit, die goethische Weise, und die künstlerische Form hielt er für Gemüt- losigkeit: er glich dem Kinde, welches, ohne den glü- henden Sinn einer griechischen Statue zu ahnen, nur die marmornen Formen betastet und über Kälte klagt. Indem ich hier antizipierend von dem Widerwillen rede, welchen die goethische Darstellungsart in Börne aufregte, lasse ich zugleich erraten, daß die Schreibart des letztern schon damals kein unbedingtes Wohlge- fallen bei mir hervorrief. Es ist nicht meines Amtes, die Mängel dieser Schreibweise aufzudecken, auch würde jede Andeutung über das, was mir an diesem Stile am meisten mißfiel, nur von den wenigsten ver- standen werden. Nur soviel will ich bemerken, daß, um vollendete Prosa zu schreiben, unter andern auch eine große Meisterschaft in metrischen Formen erfor- derlich ist. Ohne solche Meisterschaft fehlt dem Pro- saiker ein gewisser Takt, es entschlüpfen ihm Wortfü- gungen, Ausdrücke, Zäsuren und Wendungen, die nur in gebundener Rede statthaft sind, und es entsteht ein geheimer Mißlaut, der nur wenige, aber sehr feine Ohren verletzt. Wie sehr ich aber auch geneigt war, an der Außen- schale, an dem Stile Börnes zu mäkeln und nament- lich, wo er nicht beschreibt, sondern räsoniert, die kurzen Sätze seiner Prosa als eine kindische Unbehol- fenheit zu betrachten, so ließ ich doch dem Inhalt, dem Kern seiner Schriften, die reichlichste Gerechtig- keit widerfahren, ich verehrte die Originalität, die Wahrheitsliebe, überhaupt den edlen Charakter, der sich durchgängig darin aussprach, und seitdem verlor ich den Verfasser nicht mehr aus dem Gedächtnis. Man hatte mir gesagt, daß er noch immer zu Frankfurt lebte, und als ich mehre Jahre später, Anno 1827, durch diese Stadt reisen mußte, um mich nach Mün- chen zu begeben, hatte ich mir bestimmt vorgenom- men, dem Doktor Börne in seiner Behausung meinen Besuch abzustatten. Dieses gelang mir, aber nicht ohne vieles Umherfragen und Fehlsuchen; überall, wo ich mich nach ihm erkundigte, sah man mich ganz be- fremdlich an, und man schien in seinem Wohnorte ihn entweder wenig zu kennen oder sich noch weniger um ihn zu bekümmern. Sonderbar! Hören wir in der Ferne von einer Stadt, wo dieser oder jener große Mann lebt, unwillkürlich denken wir uns ihn als den Mittelpunkt der Stadt, deren Dächer sogar von seinem Ruhme bestrahlt würden. Wie wundern wir uns nun, wenn wir in der Stadt selbst anlangen und den großen Mann wirklich darin aufsuchen wollen und ihn erst lange erfragen müssen, bis wir ihn unter der großen Menge herausfinden! So sieht der Reisende schon in weitester Ferne den hohen Dom einer Stadt; gelangt er aber in ihr Weichbild selbst, so verschwindet derselbe wieder seinen Blicken, und erst hin und her wandernd durch viele krumme und enge Sträßchen, kommt der große Turmbau wieder zum Vorschein, in der Nähe von gewöhnlichen Häusern und Butiken, die ihn schi- er verborgen halten. Als ich bei einem kleinen Brillenhändler nach Börne frug, antwortete er mir mit pfiffig wiegendem Köpfchen: »Wo der Doktor Börne wohnt, weiß ich nicht, aber Madame Wohl wohnt auf dem Wollgra- ben.« Eine alte rothaarige Magd, die ich ebenfalls an- sprach, gab mir endlich die erwünschte Auskunft, indem sie, vergnügt lachend, hinzusetzte: »Ich diene ja bei der Mutter von Madame Wohl.« Ich hatte Mühe, den Mann wiederzuerkennen, des- sen frühe, res Aussehen mir noch lebhaft im Gedächt- nisse schwebte. Keine Spur mehr von vornehmer Un- zufriedenheit und stolzer Verdüsterung. Ich sah jetzt ein zufriedenes Männchen, sehr schmächtig, aber nicht krank, ein kleines Köpfchen mit schwarzen glat- ten Härchen, auf den Wangen sogar ein Stück Röte, die lichtbraunen Augen sehr munter, Gemütlichkeit in jedem Blick, in jeder Bewegung, auch im Tone. Dabei trug er ein gestricktes Kamisölchen von grauer Wolle, welches, eng anliegend wie ein Ringenpanzer, ihm ein drollig märchenhaftes Ansehen gab. Er empfing mich mit Herzlichkeit und Liebe; es verginge keine drei Minuten, und wir gerieten ins vertraulichste Ge- spräch. Wovon wir zuerst redeten? Wenn Köchinnen zusammenkommen, sprechen sie von ihrer Herrschaft, und wenn deutsche Schriftsteller zusammenkommen, sprechen sie von ihren Verlegern. Unsere Konversati- on begann daher mit Cotta und Campe, und als ich, nach einigen gebräuchlichen Klagen, die guten Eigenschaften des letzteren eingestand, vertraute mir Börne, daß er mit einer Herausgabe seiner sämtlichen Schriften schwanger gehe und für dieses Unternehmen sich den Campe merken wolle. Ich konnte nämlich von Julius Campe versichern, daß er kein gewöhnli- cher Buchhändler sei, der mit dem Edlen, Schönen, Großen nur Geschäfte machen und eine gute Kon- junktur benutzen will, sondern daß er manchmal das Große, Schöne, Edle unter sehr ungünstigen Konjunk- turen druckt und wirklich sehr schlechte Geschäfte damit macht. Auf solche Worte horchte Börne mit beiden Ohren, und sie haben ihn späterhin veranlaßt, nach Hamburg zu reisen und sich mit dem Verleger der »Reisebilder« über eine Herausgabe seiner sämtli- chen Schriften zu verständigen. Sobald die Verleger abgetan sind, beginnen die wechselseitigen Komplimente zwischen zwei Schrift- stellern, die sich zum ersten Male sprechen. Ich über- gehe, was Börne über meine Vorzüglichkeit äußerte, und erwähne nur den leisen Tadel, den er bisweilen in den schäumenden Kelch des Lobes eintröpfeln ließ. Er hatte nämlich kurz vorher den zweiten Teil der »Reisebilder« gelesen und vermeinte, daß ich von Gott, welcher doch Himmel und Erde erschaffen und so weise die Welt regiere, mit zuwenig Reverenz, hin- gegen von dem Napoleon, welcher doch nur ein sterb- licher Despot gewesen, mit übertriebener Ehrfurcht gesprochen habe. Der Deist und Liberale trat mir also schon merkbar entgegen. Er schien den Napoleon wenig zu lieben, obgleich er doch unbewußt den größten Respekt vor ihm in der Seele trug. Es verdroß ihn, daß die Fürsten sein Standbild von der Vendôme- säule so ungroßmütig herabgerissen. »Ach!« rief er mit einem bittern Seufzer, »ihr konn- tet dort seine Statue getrost stehenlassen; ihr brauch- tet nur ein Plakat mit der Inschrift ›Achtzehnter Bru- maire‹ daran zu befestigen, und die Vendômesäule wäre seine verdiente Schandsäule geworden! Wie liebte ich diesen Mann bis zum achtzehnten Bru- maire, noch bis zum Frieden von Campo Formio bin ich ihm zugetan, als er aber die Stufen des Thrones erstieg, sank er immer tiefer im Werte; man konnte von ihm sagen: er ist die rote Treppe hinaufgefallen! Ich habe noch diesen Morgen«, setzte Börne hinzu, »ihn bewundert, als ich in diesem Buche, das hier auf meinem Tische liegt« - er zeigte auf Thiers' Revoluti- onsgeschichte -, »die vortreffliche Anekdote las, wie Napoleon zu Udine eine Entrevue mit Kobentzel hat und im Eifer des Gesprächs das Porzellan zerschlägt, das Kobentzel einst von der Kaiserin Katharina erhal- ten und gewiß sehr liebte. Dieses zerschlagene Porzel- lan hat vielleicht den Frieden von Campo Formio her- beigeführt. Der Kobentzel dachte gewiß: ›Mein Kai- ser hat soviel Porzellan, und das gibt ein Unglück, wenn der Kerl nach Wien käme und gar zu feurig in Eifer geriete: das beste ist, wir machen mit ihm Frie- de.‹ Wahrscheinlich in jener Stunde, als zu Udine das Porzellanservice von Kobentzel zu Boden purzelte und in lauter Scherben zerbrach, zitterte zu Wien alles Porzellan, und nicht bloß die Kaffeekannen und Tas- sen, sondern auch die chinesischen Pagoden, sie nick- ten mit den Köpfen vielleicht hastiger als je, und der Friede wurde ratifiziert. In Bilderläden sieht man den Napoleon gewöhnlich, wie er auf bäumendem Roß den Simplon besteigt, wie er mit hochgeschwungener Fahne über die Brücke von Lodi stürmt usw. Wenn ich aber ein Maler wäre, so würde ich ihn darstellen, wie er das Service von Kobentzel zerschlägt. Das war seine erfolgreichste Tat. Jeder König fürchtete seit- dem für sein Porzellan, und gar besondere Angst überkam die Berliner wegen ihrer großen Porzellanfa- brik. Sie haben keinen Begriff davon, liebster Heine, wie man durch den Besitz von schönem Porzellan im Zaum gehalten wird. Sehen Sie z.B. mich, der ich einst so wild war, als ich wenig Gepäck hatte und gar kein Porzellan. Mit dem Besitztum, und gar mit ge- brechlichem Besitztum, kommt die Furcht und die Knechtschaft. Ich habe mir leider vor kurzem ein schönes Teeservice angeschafft - die Kanne war so lockend prächtig vergoldet -, auf der Zuckerdose war das eheliche Glück abgemalt, zwei Liebende, die sich schnäbeln -, auf der einen Tasse der Katharinenturm, auf einer andern die Konstablerwache, lauter vaterlän- dische Gegenden auf den übrigen Tassen. - Ich habe wahrhaftig jetzt meine liebe Sorge, daß ich in meiner Dummheit nicht zu frei schreibe und plötzlich flüch- ten müßte. - Wie könnte ich in der Geschwindigkeit all diese Tassen und gar die große Kanne einpacken? In der Eile könnten sie zerbrochen werden, und zu- rücklassen möchte ich sie in keinem Falle. Ja wir Menschen sind sonderbare Käuze! Derselbe Mensch, der vielleicht Ruhe und Freude seines Lebens, ja das Leben selbst aufs Spiel setzen würde, um seine Mei- nungsfreiheit zu behaupten, der will doch nicht gern ein paar Tassen verlieren und wird ein schweigender Sklave, um seine Teekanne zu konservieren. Wahr- haftig, ich fühle, wie das verdammte Porzellan mich im Schreiben hemmt, ich werde so milde, so vor- sichtig, so ängstlich... Am Ende glaub ich gar, der Porzellanhändler war ein östreichischer Polizeiagent, und Metternich hat mir das Porzellan auf den Hals ge- laden, um mich zu zähmen. Ja, ja, deshalb war es so wohlfeil, und der Mann war so beredsam. Ach! die Zuckerdose mit dem ehelichen Glück war eine so süße Lockspeise! Ja, je mehr ich mein Porzellan be- trachte, desto wahrscheinlicher wird mir der Gedanke, daß es von Metternich herrührt. Ich verdenke es ihm nicht im mindesten, daß man mir auf solche Weise beizukommen sucht. Wenn man kluge Mittel gegen mich anwendet, werde ich nie unwirsch; nur die Plumpheit und die Dummheit ist mir unausstehlich. Da ist aber unser Frankfurter Senat --« Ich habe meine Gründe, den Mann nicht weiter- sprechen zu lassen, und bemerke nur, daß er am Ende seiner Rede mit gutmütigem Lachen ausrief: »Aber noch bin ich stark genug, meine Porzellan- fesseln zu brechen, und macht man mir den Kopf warm, wahrhaftig, die schöne vergoldete Teekanne fliegt zum Fenster hinaus mitsamt der Zuckerdose und dem ehelichen Glück und dem Katharinenturm und der Konstablerwache und den vaterländischen Gegen- den, und ich bin dann wieder ein freier Mann, nach wie vor!« Börnes Humor, wovon ich eben ein sprechendes Beispiel gegeben, unterschied sich von dem Humor Jean Pauls dadurch, daß letzterer gern die entfernte- sten Dinge ineinanderrührte, während jener, wie ein lustiges Kind, nur nach dem Nahliegenden griff, und während die Phantasie des konfusen Polyhistors von Bayreuth in der Rumpelkammer aller Zeiten herum- kramte und mit Siebenmeilenstiefeln alle Weltgegen- den durchschweifte, hatte Börne nur den gegenwärti- gen Tag im Auge, und die Gegenstände, die ihn be- schäftigten, lagen alle in seinem räumlichen Gesichts- kreis. Er besprach das Buch, das er eben gelesen, das Ereignis, das eben vorfiel, den Stein, an den er sich eben gestoßen, Rothschild, an dessen Haus er täglich vorbeiging, den Bundestag, der auf der Zeil residiert und den er ebenfalls an Ort und Stelle hassen konnte, endlich alle Gedankenwege führten ihn zu Metternich. Sein Groll gegen Goethe hatte vielleicht ebenfalls ört- liche Anfänge; ich sage Anfänge, nicht Ursachen; denn wenn auch der Umstand, daß Frankfurt ihre ge- meinschaftliche Vaterstadt war, Börnes Aufmerksam- keit zunächst auf Goethe lenkte, so war doch der Haß, der gegen diesen Mann in ihm brannte und immer lei- denschaftlicher entloderte, nur die notwendige Folge einer tiefen, in der Natur beider Männer begründeten Differenz. Hier wirkte keine kleinliche Scheelsucht, sondern ein uneigennütziger Widerwille, der angebor- nen Trieben gehorcht, ein Hader, welcher, alt wie die Welt, sich in allen Geschichten des Menschenge- schlechts kund gibt und am grellsten hervortrat in dem Zweikampfe, welchen der judäische Spiritualis- mus gegen hellenische Lebensherrlichkeit führte, ein Zweikampf, der noch immer nicht entschieden ist und vielleicht nie ausgekämpft wird: der kleine Nazarener haßte den großen Griechen, der noch dazu ein griechi- scher Gott war. Das Werk von Wolfgang Menzel war eben erschie- nen, und Börne freute sich kindisch, daß jemand ge- kommen sei, der den Mut zeige, so rücksichtslos gegen Goethe aufzutreten. »Der Respekt«, setzte er naiv hinzu, »hat mich immer davon abgehalten, dergleichen öffentlich aus- zusprechen. Der Menzel, der hat Mut, der ist ein ehr- licher Mann und ein Gelehrter; den müssen Sie ken- nenlernen, an dem werden wir noch viele Freude erle- ben; der hat viel Courage, der ist ein grundehrlicher Mann und ein großer Gelehrter! An dem Goethe ist gar nichts, er ist eine Memme, ein serviler Schmeich- ler und ein Dilettant.« Auf dieses Thema kam er oft zurück; ich mußte ihm versprechen, in Stuttgart den Menzel zu besu- chen, und er schrieb mir gleich zu diesem Behufe eine Empfehlungskarte, und ich höre ihn noch eifrig hinzu- setzen: »Der hat Mut, außerordentlich viel Courage, der ist ein braver, grundehrlicher Mann und ein gro- ßer Gelehrter!« Wie in seinen Äußerungen über Goethe, so auch in seiner Beurteilung anderer Schriftsteller verriet Börne seine nazarenische Beschränktheit. Ich sage nazare- nisch, um mich weder des Ausdrucks »jüdisch« noch »christlich« zu bedienen, obgleich beide Ausdrücke für mich synonym sind und von mir nicht gebraucht werden, um einen Glauben, sondern um ein Naturell zu bezeichnen. »Juden« und »Christen« und für mich ganz sinnverwandte Worte im Gegensatz zu »Helle- nen«, mit welchem Namen ich ebenfalls kein bestimmtes Volk, sondern eine sowohl angeborne als angebildete Geistesrichtung und Anschauungsweise bezeichne. In dieser Beziehung möchte ich sagen: alle Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Men- schen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeisti- gungssüchtigen Trieben oder Menschen von lebens- heiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen. So gab es Hellenen in deutschen Predigerfa- milien und Juden, die in Athen geboren und vielleicht von Theseus abstammen. Der Bart macht nicht den Juden, oder der Zopf macht nicht den Christen, kann man hier mit Recht sagen. Börne war ganz Nazarener, seine Antipathie gegen Goethe ging unmittelbar her- vor aus seinem nazarenischen Gemüte, seine spätere politische Exaltation war begründet in jenem schrof- fen Asketismus, jenem Durst nach Märtyrtum, der überhaupt bei den Republikanern gefunden wird, den sie republikanische Tugend nennen und der von der Passionssucht der früheren Christen sowenig ver- schieden ist. In seiner spätern Zeit wendete sich Börne sogar zum historischen Christentum, er sank fast in den Katholizismus, er fraternisierte mit dem Pfaffen Lamennais und verfiel in den widerwärtigsten Kapuzinerton, als er sich einst über einen Nachfolger Goethes, einen Pantheisten von der heitern Obser- vanz, öffentlich aussprach. - Psychologisch merkwür- dig ist die Untersuchung, wie in Börnes Seele allmählich das eingeborene Christentum emporstieg, nachdem es lange niedergehalten worden von seinem scharfen Verstand und seiner Lustigkeit. Ich sage Lu- stigkeit, gaité, nicht Freude, joie; die Nazarener haben zuweilen eine gewisse springende gute Laune, eine witzige eichkätzchenhafte Munterkeit, gar lieblich ka- priziös, gar süß, auch glänzend, worauf aber bald eine starre Gemütsvertrübung folgt: es fehlt ihnen die Ma- jestät der Genußseligkeit, die nur bei bewußten Göt- tern gefunden wird. Ist aber in unserem Sinne kein großer Unterschied zwischen Juden und Christen, so existiert dergleichen desto herber in der Weltbetrachtung Frankfurter Phili- ster; über die Mißstände, die sich daraus ergeben, sprach Börne sehr viel und sehr oft während den drei Tagen, die ich ihm zuliebe in der freien Reichs- und Handelsstadt Frankfurt am Main verweilte. Ja, mit drolliger Güte drang er mir das Versprechen ab, ihm drei Tage meines Lebens zu schenken, er ließ mich nicht mehr von sich, und ich mußte mit ihm in der Stadt herumlaufen, allerlei Freunde besuchen, auch Freundinnen, z.B. Madame Wohl auf dem Woll- graben. Diese Madame Wohl auf dem Wollgraben ist die bekannte Freiheitsgöttin, an welche späterhin die »Briefe aus Paris« adressiert wurden. Ich sah eine ma- gere Person, deren gelblichweißes, pockennarbiges Gesicht einem alten Matzekuchen glich. Trotz ihrem Äußern, und obgleich ihre Stimme kreischend war, wie eine Türe, die sich auf rostigen Angeln bewegt, so gefiel mir doch alles, was die Person sagte; sie sprach nämlich mit großem Enthusiasmus von meinen Wer- ken. Ich erinnere mich, daß sie ihren Freund in große Verlegenheit setzte, als sie ausplaudern wollte, was er ihr bei unserm Eintritt ins Ohr geflüstert; Börne ward rot wie ein Mädchen, als sie, trotz seiner Bitten, mir verriet, er habe sich geäußert: mein Besuch sei für ihn eine größere Ehre, als wenn ihn Goethe besucht hätte. Wenn ich jetzt bedenke, wie schlecht er schon damals von Goethe dachte, so darf ich mir jene Äußerung nicht als ein allzu großes Kompliment anrechnen. Über das Verhältnis Börnes zu der erwähnten Dame erfuhr ich damals ebensowenig Bestimmtes wie andere Leute. Auch war es mir gleichgültig, ob jenes Verhältnis warm oder kühl, feucht oder trocken war. Die böse Welt behauptete, Herr Börne säße bei Ma- dame Wohl auf dem Wollgraben so recht in der Wolle; die ganz böse Welt zischelte, es herrsche zwi- schen beiden nur eine abstrakte Seelenverbindung, ihre Liebe sei platonisch. Was mich betrifft, so interessiert mich bei ausge- zeichneten Leuten der Gegenstand ihrer Liebesgefühle immer weniger als das Gefühl der Liebe selbst. Letz- teres aber - das weiß ich - muß bei Börne sehr stark gewesen sein. Wie später bei der Lektüre seiner gesammelten Schriften, so schon in Frankfurt durch manche hingeworfene Äußerung merkte ich, daß Börne zu verschiedenen Jahrzeiten seines Lebens von den Tücken des kleinen Gottes weidlich geplagt wor- den. Namentlich von den Qualen der Eifersucht weiß er viel zu sagen, wie denn überhaupt die Eifersucht in seinem Charakter lag und ihn, im Leben wie in der Politik, alle Erscheinungen durch die gelbe Lupe des Mißtrauens betrachten ließ. Ich erwähnte, daß Börne zu verschiedenen Zeiten seines Lebens von Liebeslei- den heim gesucht worden. - »Ach«, seufzte er einmal wie aus der Tiefe schmerzlicher Erinnerungen, »in spätern Jahren ist diese Leidenschaft noch weit gefährlicher als in der Jugend. Man sollte es kaum glauben, da sich doch mit dem Alter auch unsere Vernunft entwickelt hat und diese uns unterstützen könnte im Kampfe mit der Lei- denschaft. Saubere Unterstützung! Merken Sie sich das: die Vernunft hilft uns nur jene kleinen Kapricen zu bekämpfen, die wir auch ohne ihre Intervention bald überwinden würden. Aber sobald sich eine große wahre Leidenschaft unseres Herzens bemächtigt hat und unterdrückt werden soll, wegen des positiven Schadens, der uns dadurch bedroht, alsdann gewährt uns die Vernunft wenig Hülfe, ja, die Kanaille, sie wird alsdann sogar eine Bundesgenossin des Feindes, und anstatt unsere materiellen oder moralischen Interessen zu vertreten, leiht sie dem Feinde, der Lei- denschaft, alle ihre Logik, alle ihre Syllogismen, alle ihre Sophismen, und dem stummen Wahnsinn liefert sie die Waffe des Wortes. Vernünftig, wie sie ist, schlägt sich die Vernunft immer zur Partei des Stär- kern, zur Partei der Leidenschaft, und verläßt sie wie- der, sobald die Force derselben durch die Gewalt der Zeit oder durch das Gesetz der Reaktion gebrochen wird. Wie verhöhnt sie alsdann die Gefühle, die sie kurz vorher so eifrig rechtfertigte! Mißtrauen Sie, lie- ber Freund, in der Leidenschaft immer der Sprache der Vernunft, und ist die Leidenschaft erloschen, so mißtrauen Sie ihr ebenfalls, und seien Sie nicht unge- recht gegen Ihr Herz!« Nachdem Börne mir Madame Wohl auf dem Woll- graben gezeigt, wollte er mich auch die übrigen Merk- würdigkeiten Frankfurts sehen lassen, und vergnügt, im gemütlichsten Hundetrapp, lief er mir zur Seite, als wir durch die Straßen wanderten. Ein wunderli- ches Ansehen gab ihm sein kurzes Mäntelchen und sein weißes Hütchen, welches zur Hälfte mit einem schwarzen Flor umwickelt war. Der schwarze Flor be- deutete den Tod seines Vaters, welcher ihn bei Leb- zeiten sehr knapp gehalten, ihm jetzt aber auf einmal viel Geld hinterließ. Börne schien damals die ange- nehmen Empfindungen solcher Glücksveränderungen noch in sich zu tragen und überhaupt im Zenit des Wohlbehagens zu stehen. Er klagte sogar über seine Gesundheit, d.h. er klagte, er werde täglich gesünder und mit der zunehmenden Gesundheit schwänden seine geistigen Fähigkeiten. »Ich bin zu gesund und kann nichts mehr schreiben«, klagte er im Scherz, vielleicht auch im Ernst, denn bei solchen Naturen ist das Talent abhängig von gewissen krankhaften Zu- ständen, von einer gewissen Reizbarkeit, die ihre Empfindungs- und Ausdrucksweise steigert und die mit der eintretenden Gesundheit wieder verschwindet. »Er hat mich bis zur Dummheit kuriert«, sagte Börne von seinem Arzte, zu welchem er mich führte und in dessen Haus ich auch mit ihm speiste. Die Gegenstände, womit Börne in zufällige Berüh- rung kam, gaben seinem Geiste nicht bloß die nächste Beschäftigung, sondern wirkten auch unmittelbar auf die Stimmung seines Geistes, und mit ihrem Wechsel stand seine gute oder böse Laune in unmittelbarer Verbindung. Wie das Meer von den vorüberziehenden Wolken, so empfing Börnes Seele die jedesmalige Färbung von den Gegenständen, denen er auf seinem Weg begegnete. Der Anblick schöner Gartenanlagen oder eine Gruppe schäkernder Mägde, die uns entge- genlachte, warfen gleichsam Rosenlichter über Bör- nes Seele, und der Widerschein derselben gab sich kund in sprühenden Witzen. Als wir aber durch das Judenquartier gingen, schienen die schwarzen Häuser ihre finstern Schatten in sein Gemüt zu gießen. »Betrachten Sie diese Gasse«, sprach er seufzend, »und rühmen Sie mir alsdann das Mittelalter! Die Menschen sind tot, die hier gelebt und geweint haben, und können nicht widersprechen, wenn unsere ver- rückten Poeten und noch verrücktern Historiker, wenn Narren und Schälke von der alten Herrlichkeit ihre Entzückungen drucken lassen; aber wo die taten Men- schen schweigen, da sprechen desto lauter die leben- digen Steine.« In der Tat, die Häuser jener Straße sahen mich an, als wollten sie mir betrübsame Geschichten erzählen, Geschichten, die man wohl weiß, aber nicht wissen will oder lieber vergäße, als daß man sie ins Gedächt- nis zurückriefe. So erinnere ich mich noch eines gie- belhohen Hauses, dessen Kohlenschwärze um so grel- ler hervorstach, da unter den Fenstern eine Reihe krei- deweißer Talglichter hingen; der Eingang, zur Hälfte mit rostigen Eisenstangen vergittert, führte in eine dunkle Höhle, wo die Feuchtigkeit von den Wänden herabzurieseln schien, und aus dem Innern tönte ein höchst sonderbarer, näselnder Gesang. Die gebroche- ne Stimme schien die eines alten Mannes, und die Melodie wiegte sich in den sanftesten Klagelauten, die allmählich bis zum entsetzlichsten Zorne an- schwollen. »Was ist das für ein Lied?« frug ich mei- nen Begleiter. »Es ist ein gutes Lied«, antwortete dieser mit einem mürrischen Lachen, »ein lyrisches Meisterstück, das im diesjährigen Musenalmanach schwerlich seinesgleichen findet... Sie kennen es viel- leicht in der deutschen Übersetzung: ›Wir saßen an den Flüssen Babels, unsere Harfen hingen an den Trauerweiden‹ usw. Ein Prachtgedicht! und der alte Rabbi Chayim singt es sehr gut mit seiner zittrigen, abgemergelten Stimme; die Sontag sänge es vielleicht mit größerem Wohllaut, aber nicht mit soviel Aus- druck, mit soviel Gefühl... Denn der alte Mann haßt noch immer die Babylonier und weint noch täglich über den Untergang Jerusalems durch Nebukadne- zar... Dieses Unglück kann er gar nicht vergessen, ob- gleich soviel Neues seitdem passiert ist und noch jüngst der zweite Tempel durch Titus, den Bösewicht, zerstört worden. Ich muß Ihnen nämlich bemerken, der alte Rabbi Chayim betrachtet den Titus keines- wegs als ein delicium generis humani, er hält ihn für einen Bösewicht, den auch die Rache Gottes erreicht hat... Es ist ihm nämlich eine kleine Mücke in die Nase geflogen, die, allmählich wachsend, mit ihren Klauen in seinem Gehirn herumwühlte und ihm so grenzenlose Schmerzen verursachte, daß er nur dann einige Erholung empfand, wenn in seiner Nähe einige hundert Schmiede auf ihre Ambosse loshämmerten. Das ist sehr merkwürdig, daß alle Feinde der Kinder Israel ein so schlechtes Ende nehmen. Wie es dem Nebukadnezar gegangen ist, wissen Sie, er ist in sei- nen alten Tagen ein Ochs geworden und hat Gras essen müssen. Sehen Sie den persischen Staatsmini- ster Haman, ward er nicht am Ende gehenkt zu Susa, in der Hauptstadt? Und Antiochus, der König von Sy- rien, ist er nicht bei lebendigem Leibe verfault, durch die Läusesucht? Die spätern Bösewichter, die Juden- feinde, sollten sich in acht nehmen... Aber was hilft's, es schreckt sie nicht ab, das furchtbare Beispiel, und dieser Tage habe ich wieder eine Broschüre gegen die Juden gelesen, von einem Professor der Philosophie, der sich magis amica nennt. Er wird einst Gras essen, ein Ochs ist er schon von Natur, vielleicht gar wird er mal gehenkt, wenn er die Sultanin Favorite des Kö- nigs von Flachsenfingen beleidigt, und Läuse hat er gewiß auch schon wie der Antiochus. Am liebsten wär mir's, er ginge zur See und machte Schiffbruch an der nordafrikanischen Küste. Ich habe nämlich jüngst gelesen, daß die Mahometaner, die dort wohnen, sich durch ihre Religion berechtigt glauben, alle Christen, die bei ihnen Schiffbruch leiden und in ihre Hände fallen, als Sklaven zu behandeln. Sie verteilen unter sich diese Unglücklichen und benutzen jeden dersel- ben nach seinen Fähigkeiten. So hat nun jüngst ein Engländer, der jene Küsten bereiste, dort einen deut- schen Gelehrten gefunden, der Schiffbruch gelitten und Sklave geworden, aber zu gar nichts anderem zu gebrauchen war, als daß man ihm Eier zum Ausbrü- ten unterlegte; er gehörte nämlich zur theologischen Fakultät. Ich wünsche nun, der Doktor magis amica käme in eine solche Lage; wenn er auf seinen Eiern drei Wochen unaufstehlich sitzen müßte (sind es En- teneier, sogar vier Wochen), so kämen ihm gewiß al- lerlei Gedanken in den Sinn, die ihm bisher nie einge- fallen, und ich wette, er verwünscht den Glaubensfa- natismus, der in Europa die Juden und in Afrika die Christen herabwürdigt und sogar einen Doktor der Theologie bis zur Bruthenne entmenscht... Die Hüh- ner, die er ausgebrütet, werden sehr tolerant schmecken, besonders wenn man sie mit einer Sauce à la Marengo verzehrt.« Aus leicht begreiflichen Gründen übergehe ich die Bemerkungen, die mein Begleiter in bitterster Fülle losließ, als wir auf unserer Wanderung im Weichtilde Frankfurts dem Hause vorübergingen, wo der Bun- destag seine Sitzungen hält. Die Schildwache hielt ihr Mittagsschläfchen in aufrechter Stellung, und die Schwalben, die an den Fliesen der Fenster ihre friedli- chen Nester gebaut, flogen seelenruhig auf und nieder. Schwalben bedeuten Glück, behauptete meine Groß- mutter; sie war sehr abergläubisch. Von der Ecke der Schnurgasse bis zur Börse muß- ten wir uns durchdrängen; hier fließt die goldene Ader der Stadt, hier versammelt sich der edle Handelsstand und schachert und mauschelt... Was wir nämlich in Norddeutschland Mauscheln nennen, ist nichts anders als die eigentliche Frankfurter Landessprache, und sie wird von der unbeschnittenen Population ebenso vor- trefflich gesprochen wie von der beschnittenen. Börne sprach diesen Jargon sehr schlecht, obgleich er, eben- so wie Goethe, den heimatlichen Dialekt nie ganz ver- leugnen konnte. Ich habe bemerkt, daß Frankfurter, die sich von allen Handelsinteressen entfernt hielten, am Ende jene Frankfurter Aussprache, die wir, wie gesagt, in Norddeutschland Mauscheln nennen, ganz verlernten. Eine Strecke weiter, am Ausgange der Saalgasse, erfreuten wir uns einer viel angenehmeren Begegnung. Wir sahen nämlich einen Rudel Knaben, welche aus der Schule kamen, hübsche Jungen mit rosigen Ge- sichtchen, einen Pack Bücher unterm Arm. »Weit mehr Respekt«, rief Börne, »weit mehr Re- spekt habe ich für diese Buben als für ihre erwachse- nen Väter. Jener Kleine mit der hohen Stirn denkt vielleicht jetzt an den zweiten Punischen Krieg, und er ist begeistert für Hannibal, und als man ihm heute erzählte, wie der große Karthager schon als Knabe den Römern Rache schwur..., ich wette, da hat sein kleines Herz mitgeschworen... Haß und Untergang dem bösen Rom! Halte deinen Eid, mein kleiner Waf- fenbruder. Ich möchte ihn küssen, den vortrefflichen Jungen! Der andere Kleine, der so pfiffig hübsch aus- sieht, denkt vielleicht an den Mithridates und möchte ihn einst nachahmen... Das ist auch gut, ganz gut, und du bist mir willkommen. Aber, Bursche, wirst du auch Gift schlucken können, wie der alte König des Pontus? Übe dich frühzeitig. Wer mit Rom Krieg füh- ren will, muß alle möglichen Gifte vertragen können, nicht bloß plumpen Arsenik, sondern auch einschlä- ferndes phantastisches Opium und gar das schleichen- de Aquatofana der Verleumdung! Wie gefällt Ihnen der Knabe, der so lange Beine hat und ein so unzu- frieden aufgestülptes Näschen? Den jückt es viel- leicht, ein Catilina zu werden, er hat auch lange Fin- ger, und er wird einmal den Ciceros unserer Republik, den gepuderten Vätern des Vaterlandes, eine Gelegen- heit geben, sich mit langen schlechten Reden zu bla- mieren. Der dort, der arme kränkliche Bub, möchte gewiß weit lieber die Rolle des Brutus spielen... Armer Junge, du wirst keinen Cäsar finden und mußt dich begnügen, einige alte Perücken mit Worten zu erstechen, und wirst dich endlich nicht in dein Schwert, sondern in die Schellingsche Philosophie stürzen und verrückt werden! Ich habe Respekt für diese Kleinen, die sich den ganzen Tag für die hoch- herzigsten Geschichten der Menschheit interessieren, während ihre Väter nur für das Steigen oder Fallen der Staatspapiere Interesse fühlen und an Kaffeebohnen und Cochenille und Manufakturwaren denken! Ich hätte nicht übel Lust, dem kleinen Brutus dort eine Tüte mit Zuckerkringeln zu kaufen... Nein, ich will ihm lieber Branntewein zu trinken geben, damit er klein bleibe... Nur solange wir klein sind, sind wir ganz uneigennützig, ganz heldenmütig, ganz heroisch... Mit dem wachsenden Leib schrumpft die Seele immer mehr ein... Ich fühle es an mir selber... Ach, ich bin ein großer Mann gewesen, als ich noch ein kleiner Junge war!« Als wir über den Römerberg kamen, wollte Börne mich in die alte Kaiserburg hinaufführen, um dort die Goldene Bulle zu betrachten. »Ich habe sie noch nie gesehen«, seufzte er, »und seit meiner Kindheit hegte ich immer eine geheime Sehnsucht nach dieser Goldnen Bulle. Als Knabe machte ich mir die wunderlichste Vorstellung davon, und ich hielt sie für eine Kuh mit goldnen Hörnern; später bildete ich mir ein, es sei ein Kalb, und erst als ich ein großer Junge ward, erfuhr ich die Wahrheit, daß sie nämlich nur eine alte Haut sei, ein nichtsnüt- zig Stück Pergament, worauf geschrieben steht, wie Kaiser und Reich sich einander wechselseitig verkauf- ten. Nein, laßt uns diesen miserablen Kontrakt, wo- durch Deutschland zugrunde ging, nicht betrachten; ich will sterben, ohne die Goldne Bulle gesehen zu haben.« Ich übergehe hier ebenfalls die bitteren Nachbe- merkungen. Es gab ein Thema, das man nur zu berüh- ren brauchte, um die wildesten und schmerzlichsten Gedanken, die in Börnes Seele lauerten, hervorzuru- fen; dieses Thema war Deutschland und der politische Zustand des deutschen Volkes. Börne war Patriot vom Wirbel bis zur Zehe, und das Vaterland war seine ganze Liebe. Als wir denselben Abend wieder durch die Juden- gasse gingen und das Gespräch über die Insassen derselben wieder anknüpften, sprudelte die Quelle des Börneschen Geistes um so heiterer, da auch jene Stra- ße, die am Tage einen düsteren Anblick gewährte, jetzt aufs fröhlichste illuminiert war und die Kinder Israel an jenem Abend, wie mir mein Cicerone erklär- te, ihr lustiges Lampenfest feierten. Dieses ist einst gestiftet worden zum ewigen Andenken an den Sieg, den die Makkabäer über den König von Syrien so hel- denmütig erfochten haben. »Sehen Sie«, sagte Börne, »das ist der achtzehnte Oktober der Juden, nur daß dieser makkabäische acht- zehnte Oktober mehr als zwei Jahrtausende alt ist und noch immer gefeiert wird, statt daß der Leipziger achtzehnte Oktober noch nicht das funfzehnte Jahr er- reicht hat und bereits in Vergessenheit geraten. Die Deutschen sollten bei der alten Madame Rothschild in die Schule gehen, um Patriotismus zu lernen. Sehen Sie hier, in diesem kleinen Hause wohnt die alte Frau, die Lätitia, die so viele Finanzbonaparten geboren hat, die große Mutter aller Anleihen, die aber trotz der Weltherrschaft ihrer königlichen Söhne noch immer ihr kleines Stammschlößchen in der Judengasse nicht verlassen will und heute wegen des großen Freudenfe- stes ihre Fenster mit weißen Vorhängen geziert hat. Wie vergnügt funkeln die Lämpchen, die sie mit eige- nen Händen anzündete, um jenen Siegestag zu feiern, wo Judas Makkabäus und seine Brüder ebenso tapfer und heldenmütig das Vaterland befreiten wie in un- sern Tagen Friedrich Wilhelm, Alexander und Franz II. Wenn die gute Frau diese Lämpchen betrachtet, treten ihr die Tränen in die alten Augen, und sie erin- nert sich mit wehmütiger Wonne jener jüngeren Zeit, wo der selige Mayer Amschel Rothschild, ihr teurer Gatte, das Lampenfest mit ihr feierte und ihre Söhne noch kleine Bübchen waren und kleine Lichtchen auf den Boden pflanzten und in kindischer Lust darüber hin und her sprangen, wie es Brauch und Sitte ist in Israel! Der alte Rothschild«, fuhr Börne fort, »der Stamm- vater der regierenden Dynastie, war ein braver Mann, die Frömmigkeit und Gutherzigkeit selbst. Es war ein mildtätiges Gesicht mit einem spitzigen Bärtchen, auf dem Kopf ein dreieckig gehörnter Hut und die Klei- dung mehr als bescheiden, fast ärmlich. So ging er in Frankfurt herum, und beständig umgab ihn, wie ein Hofstaat, ein Haufen armer Leute, denen er Almosen erteilte oder mit gutem Rat zusprach; wenn man auf der Straße eine Reihe von Bettlern antraf mit getröste- ten und vergnügten Mienen, so wußte man, daß hier eben der alte Rothschild seinen Durchzug gehalten. Als ich noch ein kleines Bübchen war und eines Frei- tags abends mit meinem Vater durch die Judengasse ging, begegneten wir dem alten Rothschild, welcher eben aus der Synagoge kam; ich erinnere mich, daß er, nachdem er mit meinem Vater gesprochen, auch mir einige liebreiche Worte sagte und daß er endlich die Hand auf meinen Kopf legte, um mich zu segnen. Ich bin fest überzeugt, diesem Rothschildschen Segen verdanke ich es, daß späterhin, obgleich ich ein deut- scher Schriftsteller wurde, doch niemals das bare Geld in meiner Tasche ganz ausging.« Ich kann nicht umhin, hier die Zwischenbemerkung einzuschalten, daß Börne immer im behaglichen Wohlstande lebte und sein späterer Ultraliberalismus keineswegs, wie bei vielen Patrioten, dem verbissenen Ingrimm der eigenen Armut beizumessen war. Ob- gleich er selber reich war, ich sage reich nach dem Maßstabe seiner Bedürfnisse, so hegte er doch einen unergründlichen Groll gegen die Reichen. Obgleich der Segen des Vaters auf seinem Haupte ruhte, so hafte er doch die Söhne, Mayer Amsel Rothschilds Söhne. Wieweit die persönlichen Eigenschaften dieser Männer zu jenem Hasse berechtigen, will ich hier nicht untersuchen; es wird an einem anderen Orte aus- führlich geschoben. Hier möchte ich nur der Bemer- kung Raum geben, daß unsere deutschen Freiheitspre- diger ebenso ungerecht wie töricht handeln, wenn sie das Haus Rothschild wegen seiner politischen Bedeu- tung, wegen seiner Einwirkung auf die Interessen der Revolution, kurz, wegen seines öffentlichen Charak- ters mit soviel Grimm und Blutgier anfeinden. Es gibt keine stärkere Beförderer der Revolution als eben die Rothschilde... und, was noch befremdlicher klingen mag, diese Rothschilde, die Bankiers der Könige, diese fürstlichen Säckelmeister, deren Existenz durch einen Umsturz des europäischen Staatensystems in die ernsthaftesten Gefahren geraten dürfte, sie tragen den- noch im Gemüte das Bewußtsein ihrer revolutionären Sendung. Namentlich ist dieses der Fall bei dem Manne, der unter dem scheinlosen Namen Baron James bekannt ist und in welchem sich jetzt, nach dem Tode seines erlauchten Bruders von England, die ganze politische Bedeutung des Hauses Rothschild resümiert. Dieser Nero der Finanz, der sich in der Rue Laffitte seinen goldenen Palast erbauet hat und von dort aus als unumschränkter Imperator die Börsen be- herrscht, er ist, wie weiland sein Vorgänger, der römische Nero, am Ende ein gewaltsamer Zerstörer des bevorrechteten Patriziertums und Begründer der neuen Demokratie. Einst, vor mehren Jahren, als er in guter Laune war und wir Arm in Arm, ganz famillio- när, wie Hirsch Hyazinth sagen würde, in den Straßen von Paris umherflanierten, setzte mir Baron James ziemlich klar auseinander, wie eben er selber, durch sein Staatspapierensystem, für den gesellschaftlichen Fortschritt in Europa überall die ersten Bedingnisse erfüllt, gleichsam Bahn gebrochen habe. »Zu jeder Begründung einer neuen Ordnung von Dingen« - sagte er mir - »gehört ein Zusammenfluß von bedeutenden Menschen, die sich mit diesen Din- gen gemeinsam zu beschäftigen haben. Dergleichen Menschen lebten ehemals vom Ertrag ihrer Güter oder ihres Amtes und waren deshalb nie ganz frei, sondern immer an einen entfernten Grundbesitz oder an ir- gendeine örtliche Amtsverwaltung gefesselt; jetzt aber gewährt das Staatspapierensystem diesen Menschen die Freiheit, jeden beliebigen Aufenthalt zu wählen, überall können sie von den Zinsen ihrer Staatspapie- re, ihres portativen Vermögens, geschäftlos leben, und sie ziehen sich zusammen und bilden die eigentli- che Macht der Hauptstädte. Von welcher Wichtigkeit aber eine solche Residenz der verschiedenartigsten Kräfte, eine solche Zentralisation der Intelligenzen und sozialen Autoritäten, das ist hinlänglich bekannt. Ohne Paris hätte Frankreich nie seine Revolution ge- macht; hier hatten so viele ausgezeichnete Geister Weg und Mittel gefunden, eine mehr oder minder sorglose Existenz zu führen, miteinander zu verkehren und so weiter. Jahrhunderte haben in Paris einen sol- chen günstigen Zustand allmählich herbeigeführt. Durch das Rentensystem wäre Paris weit schneller Paris geworden, und die Deutschen, die gern eine ähn- liche Hauptstadt hätten, sollten nicht über das Ren- tensystem klagen: es zentralisiert, es macht vielen Leuten möglich, an einem selbstgewählten Orte zu leben und von dort aus der Menschheit jeden nützli- chen Impuls zu geben...« Von diesem Standpunkte aus betrachtet Rothschild die Resultate seines Schaffens und Treibens. Ich bin mit dieser Ansicht ganz einverstanden, ja ich gehe noch weiter, und ich sehe in Rothschild einen der größten Revolutionäre, welche die moderne Demokra- tie begründeten. Richelieu, Robespierre und Roth- schild sind für mich drei terroristische Namen, und sie bedeuten die graduelle Vernichtung der alten Aristo- kratie. Richelieu, Robespierre und Rothschild sind die drei furchtbarsten Nivelleurs Europas. Richelieu zer- störte die Souveränität des Feudaladels und beugte ihn unter jene königliche Willkür, die ihn entweder durch Hofdienst herabwürdigte oder durch krautjun- kerliche Untätigkeit in der Provinz vermodern ließ. Robespierre schlug diesem unterwürfigen und faulen Adel endlich das Haupt ab. Aber der Boden blieb, und der neue Herr desselben, der neue Gutsbesitzer, ward ganz wieder ein Aristokrat, wie seine Vorgän- ger, deren Prätensionen er unter anderem Namen fort- setzte. Da kam Rothschild und zerstörte die Oberherr- schaft des Bodens, indem er das Staatspapierensystem zur höchsten Macht emporhob, dadurch die großen Besitztümer und Einkünfte mobilisierte und gleich- sam das Geld mit den ehemaligen Vorrechten des Bo- dens belehnte. Er stiftete freilich dadurch eine neue Aristokratie, aber diese, beruhend auf dem unzuver- lässigsten Elemente, auf dem Gelde, kann nimmer- mehr so nachhaltig mißwirken wie die ehemalige Ari- stokratie, die im Boden, in der Erde selber, wurzelte. Geld ist flüssiger als Wasser, windiger als Luft, und dem jetzigen Geldadel verzeiht man gern seine Imper- tinenzen, wenn man seine Vergänglichkeit bedenkt... er zerrinnt und verdunstet, ehe man sich dessen ver- sieht. Indem ich oben die Namen Richelieu, Robespierre und Rothschild zusammenstellte, drängte sich mir die Bemerkung auf, daß diese drei größten Terroristen noch mancherlei andere Ähnlichkeiten bieten. Sie haben zum Beispiel miteinander gemein eine gewisse unnatürliche Liebe zur Poesie: Richelieu schrieb schlechte Tragödien, Robespierre machte erbärmliche Madrigale, und James Rothschild, wenn er lustig wird, fängt er an zu reimen... Doch das gehört nicht hierher, diese Blätter haben sich zunächst mit einem kleineren Revolutionär, mit Ludwig Börne, zu beschäftigen. Dieser hegte, wie wir mit Bedauern bemerken, den höchsten Haß gegen die Rothschilde, und in seinem Gespräche, als wir zu Frankfurt dem Stammhause derselben vorübergingen, äußerte sich jener Haß bereits ebenso grell und giftig wie in seinen späteren Pariser Briefen. Nichtsdesto- weniger ließ er doch den persönlichen Eigenschaften dieser Leute manche Gerechtigkeit widerfahren, und er gestand mir ganz naiv, daß er sie nur hassen könne, daß es ihm aber trotz aller Mühe nicht möglich sei, sie verächtlich oder gar lächerlich zu finden. »Denn sehen Sie« - sprach er -, »die Rothschilde haben so viel Geld, eine solche Unmasse von Geld, daß sie uns einen fast grauenhaften Respekt einflö- ßen; sie identifizierten sich sozusagen mit dem Be- griff des Geldes überhaupt, und Geld kann man nicht verachten. Auch haben diese Leute das sicherste Mit- tel angewendet, um jenem Ridikül zu entgehen, dem so manche andere baronisierte Millionärenfamilien des Alten Testaments verfallen sind: sie enthalten sich des christlichen Weihwassers. Die Taufe ist jetzt bei den reichen Juden an der Tagesordnung, und das Evangelium, das den Armen Judäas vergebens gepredigt worden, ist jetzt in floribus bei den Rei- chen. Aber da die Annahme desselben nur Selbstbe- trug, wo nicht gar Lüge ist und das angeheuchelte Christentum mit dem alten Adam bisweilen recht grell kontrastiert, so geben diese Leute dem Witze und dem Spotte die bedenklichsten Blößen. Oder glauben Sie, daß durch die Taufe die innere Natur ganz verändert worden? Glauben Sie, daß man Läuse in Flöhe ver- wandeln kann, wenn man sie mit Wasser begießt?« »Ich glaube nicht.« »Ich glaub's auch nicht, und ein ebenso melancholi- scher wie lächerlicher Anblick ist es für mich, wenn die alten Läuse, die noch aus Ägypten stammen, aus der Zeit der pharaonischen Plage, sich plötzlich ein- bilden, sie wären Flöhe, und christlich zu hüpfen be- ginnen. In Berlin habe ich auf der Straße alte Töchter Israels gesehen, die am Halse lange Kreuze trugen, Kreuze, die noch länger als ihre Nasen und bis an den Nabel reichten; in den Händen hielten sie ein evange- lisches Gesangbuch, und sie sprachen von der prächti- gen Predigt, die sie eben in der Dreifaltigkeitskirche gehört. Die eine frug die andere, bei wem sie das hei- lige Abendmahl genommen, und beide rochen dabei aus dem Halse. Widerwärtiger war mir noch der An- blick von schmutzigen Bartjuden, die aus ihren polni- schen Kloaken kamen, von der Bekehrungsgesell- schaft in Berlin für den Himmel angeworben wurden und in ihrem mundfaulen Dialekte das Christentum predigten und so entsetzlich dabei stanken. Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn man dergleichen pol- nisches Läusevolk nicht mit gewöhnlichem Wasser, sondern mit Eau de Cologne taufen ließe.« »Im Hause des Gehängten«, unterbrach ich diese Rede, »muß man nicht von Stricken sprechen, lieber Doktor, sagen Sie mir vielmehr: wo sind jetzt die gro- ßen Ochsen, die, wie mein Vater mir einst erzählte, auf dem jüdischen Kirchhofe hier zu Frankfurt herum- liefen und in der Nacht so entsetzlich brüllten, daß die Ruhe der Nachbarn dadurch gestört wurde?« »Ihr Herr Vater«, rief Börne lachend, »hat Ihnen in der Tat keine Unwahrheit gesagt. Es existierte früher- hin der Gebrauch, daß die jüdischen Viehhändler die männliche Erstgeburt ihrer Kühe nach biblischer Vor- schrift dem lieben Gotte widmeten und in dieser Ab- sicht, aus allen Gegenden Deutschlands, hierher nach Frankfurt brachten, wo man jenen Ochsen Gottes den jüdischen Kirchhof zum Grasen anwies und wo sie bis an ihr seliges Ende sich herumtrieben und wirk- lich oft entsetzlich brüllten. Aber die alten Ochsen sind jetzt tot, und das heutige Rindvieh hat nicht mehr den rechten Glauben, und ihre Erstgeburten bleiben ruhig daheim, wenn sie nicht gar zum Christentume übergehen. Die alten Ochsen sind tot.« Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß mich, Börne während meines Aufent- halts in Frankfurt einlud, bei einem seiner Freunde zu Mittag zu speisen, und zwar weil derselbe, in getreuer Beharrnis an jüdischen Gebräuchen, mir die berühmte Schaletspeise vorsetzen werde; und in der Tat, ich er- freute mich dort jenes Gerichtes, das vielleicht noch ägyptischen Ursprungs und alt wie die Pyramiden ist. Ich wundre mich, daß Börne späterhin, als er schein- bar in humoristischer Laune, in der Tat aber aus ple- bejischer Absicht, durch mancherlei Erfindungen und Insinuationen, wie gegen Kronenträger überhaupt, so auch gegen ein gekröntes Dichterhaupt den Pöbel ver- hetzte... ich wundre mich, daß er in seinen Schriften nie erzählt hat, mit welchem Appetit, mit welchem Enthusiasmus, mit welcher Andacht, mit welcher Überzeugung ich einst beim Doktor Se das altjüdi- sche Schaletessen verzehrt habe! Dieses Gericht ist aber auch ganz vortrefflich, und es ist schmerzlichst zu bedauern, daß die christliche Kirche, die dem alten Judentume soviel Gutes entlehnte, nicht auch den Schalet adoptiert habe. Vielleicht hat sie sich dieses für die Zukunft noch vorbehalten, und wenn es ihr mal ganz schlecht geht, wenn ihre heiligsten Symbole, sogar das Kreuz, seine Kraft verloren, greift die christliche Kirche zum Schaletessen, und die ent- wischten Völker werden sich wieder mit neuem Appe- tit in ihren Schoß hineindrängen. Die Juden wenigstens werden sich alsdann auch mit Überzeu- gung dem Christentume anschließen... denn, wie ich klar einsehe, es ist nur der Schalet, der sie zusammen- hält in ihrem alten Bunde. Börne versicherte mir sogar, daß die Abtrünnigen, welche zum neuen Bunde übergegangen, nur den Schalet zu riechen brauchen, um ein gewisses Heimweh nach der Synagoge zu empfinden, daß der Schalet sozusagen der Kuhreigen der Juden sei. Auch nach Bornheim sind wir miteinander hinaus- gefahren, am Sabbat, um dort Kaffee zu trinken und die Töchter Israels zu betrachten... Es waren schöne Mädchen und rochen nach Schalet, allerliebst. Börne zwinkerte mit den Augen. In diesem geheimnisvollen Zwinkern, in diesem unsicher lüsternen Zwinkern, das sich vor der innern Stimme fürchtet, lag die ganze Verschiedenheit unserer Gefühlsweise. Börne nämlich war, wenn auch nicht in seinen Gedanken, doch desto mehr in seinen Gefühlen, ein Sklave der nazareni- schen Abstinenz; und wie es allen Leuten seinesglei- chen geht, die zwar die sinnliche Enthaltsamkeit als höchste Tugend anerkennen, aber nicht vollständig ausüben können, so wagte er es nur im verborgenen, zitternd und errötend, wie ein genäschiger Knabe, von Evas verbotenen Äpfeln zu kosten. Ich weiß nicht, ob bei diesen Leuten der Genuß intensiver ist als bei uns, die wir dabei den Reiz des geheimen Unterschleifs, der moralischen Konterbande, entbehren; behauptet man doch, daß Mahomet seinen Türken den Wein verboten hat, damit er ihnen desto süßer schmecke. In großer Gesellschaft war Börne wortkarg und einsilbig, und dem Fluß der Rede überließ er sich nur im Zwiegespräch, wenn er glaubte, sich neben einem gleichgesinnten Menschen zu befinden. Daß Börne mich für einen solchen ansah, war ein Irrtum, der spä- terhin für mich sehr viele Verdrießlichkeiten zur Folge hatte. Schon damals in Frankfurt harmonierten wir nur im Gebiete der Politik, keineswegs in den Ge- bieten der Philosophie oder der Kunst oder der Natur - die ihm sämtlich verschlossen waren. Vielleicht ent- fallen mir späterhin in dieser Beziehung einige cha- rakteristische Züge. Wir waren überhaupt von entge- gengesetztem Wesen, und diese Verschiedenheit wur- zelte am Ende vielleicht nicht bloß in unserer morali- schen, sondern auch physischen Natur. Es gibt im Grunde nur zwei Menschensorten, die mageren und die fetten, oder vielmehr Menschen, die immer dünner werden, und solche, die aus schmächti- gen Anfängen allmählich zur ründlichsten Korpulenz übergehen. Die ersteren sind eben die gefährliche Sorte, die Cäsar so sehr fürchtete - »ich wollte, er wäre fetter«, sagt er von Cassius. Brutus war von einer ganz anderen Sorte, und ich bin überzeugt, wenn er nicht die Schlacht bei Philippi verloren und sich bei dieser Gelegenheit erstochen hätte, wäre er ebenso dick geworden wie der Schreiber dieser Blätter. - »Und Brutus war ein braver Mann.« Da ich hier an Shakespeare erinnert werde, so er- greife ich die Gelegenheit, mich für eine alte Lesart zu erklären, die den Hamlet »fett« nennt. - Bedauerns- würdiger Prinz von Dänemark! die Natur hatte dich dazu bestimmt, in glücklichster Wohlbeleibtheit deine Tage zu verschlendern, und da fällt auf einmal die Welt aus ihren Angeln, und du sollst sie wieder ein- rahmen! Armer dicker Dänenprinz! --- Die drei Tage, welche ich in Frankfurt in Börnes Gesellschaft zubrachte, verflossen in fast idyllischer Friedsamkeit. Er bestrebte sich angelegentlichst, mir zu gefallen. Er ließ die Raketen seines Witzes so hei- ter als möglich aufleuchten, und wie bei chinesischen Feuerwerken am Ende der Feuerwerker selbst unter sprühendem Flammengeprassel in die Luft steigt, so schlossen die humoristischen Reden des Mannes immer mit einem tollen Brillantfeuer, worin er sich selbst aufs keckste preisgab. Er war harmlos wie ein Kind. Bis zum letzten Augenblick meines Aufenthalts in Frankfurt lief er gemütlich neben mir einher, mir an den Augen ablauschend, ob er mir vielleicht noch ir- gendeine Liebe erweisen könne. Er wußte, daß ich auf Veranlassung des alten Baron Cotta nach München reiste, um dort die Redaktion der »Politischen Annalen« zu übernehmen und auch einigen projektierten literarischen Instituten meine Tätigkeit zu widmen. Es galt damals, für die liberale Presse jene Organe zu schaffen, die späterhin so heilsamen Einfluß üben könnten; es galt, die Zukunft zu säen, eine Aussaat, für welche in der Gegenwart nur die Feinde Augen hatten, so daß der arme Sämann schon gleich nur Ärger und Schmähung einerntete. Männig- lich bekannt sind die giftigen Jämmerlichkeiten, wel- che die ultramontane aristokratische Propaganda in München gegen mich und meine Freunde ausübte. »Hüten Sie sich, in München mit den Pfaffen zu kollidieren«, waren die letzten Worte, welche mir Börne beim Abschied ins Ohr flüsterte. Als ich schon im Coupé des Postwagens saß, blickte er mir noch lange nach, wehmütig wie ein alter Seemann, der sich aufs feste Land zurückgezogen hat und sich von Mit- leid bewegt fühlt, wenn er einen jungen Fant sieht, der sich zum ersten Male aufs Meer begibt... Der Alte glaubte damals, dem tückischen Elemente auf ewig Valet gesagt zu haben und den Rest seiner Tage im sichern Hafen beschließen zu können! Armer Mann! Die Götter wollten ihm diese Ruhe nicht gönnen! Er mußte bald wieder hinaus auf die hohe See, und dort begegneten sich unsere Schiffe, während jener furcht- bare Sturm wütete, worin er zugrunde ging. Wie das heulte! wie das krachte! Beim Licht der gelben Blitze, die aus dem schwarzen Gewölk herabschossen, konn- te ich genau sehen, wie Mut und Sorge auf dem Ge- sichte des Mannes schmerzlich wechselten! Er stand am Steuer seines Schiffes und trotzte dem Ungestüm der Wellen, die ihn manchmal zu verschlingen droh- ten, manchmal ihn nur kleinlich bespritzten und durchnäßten, was einen so kummervollen und zu- gleich komischen Anblick gewährte, daß man darüber weinen und lachen konnte. Armer Mann! Sein Schiff war ohne Anker und sein Herz ohne Hoffnung... Ich sah, wie der Mast brach, wie die Winde das Tauwerk zerrissen... Ich sah, wie er die Hand nach mir aus- streckte... Ich durfte sie nicht erfassen, ich durfte die kostbare Ladung, die heiligen Schätze, die mir vertraut, nicht dem sicheren Verderben preisgeben... Ich trug an Bord meines Schiffes die Götter der Zukunft. |
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