Heinrich Heine

Buch der Lieder - Vorrede zur zweiten Auflage


Diese neue Ausgabe des »Buchs der Lieder« kann 
ich dem überrheinischen Publikum nicht zuschicken, 
ohne sie mit freundlichen Grüßen in ehrlichster Prosa 
zu begleiten. Ich weiß nicht, welches wunderliche Ge-
fühl mich davon abhält, dergleichen Vorworte, wie es 
bei Gedichtesammlungen üblich ist, in schönen 
Rhythmen zu versifizieren. Seit einiger Zeit sträubt 
sich etwas in mir gegen alle gebundene Rede, und wie
ich höre, regt sich bei manchen Zeitgenossen eine 
ähnliche Abneigung. Es will mich bedünken, als sei 
in schönen Versen allzuviel gelogen worden und die 
Wahrheit scheue sich, in metrischen Gewanden zu er-
scheinen.
Nicht ohne Befangenheit übergehe ich der Lesewelt
den erneueten Abdruck dieses Buches. Es hat mir die 
größte Überwindung gekostet, ich habe fast ein gan-
zes Jahr gezaudert, ehe ich mich zur flüchtigen 
Durchsicht desselben entschließen konnte. Bei seinem
Anblick erwachte in mir all jenes Unbehagen, das mir
einst vor zehn Jahren, bei der ersten Publikation, die 
Seele beklemmte. Verstehen wird diese Empfindung 
nur der Dichter oder Dichterling, der seine ersten Ge-
dichte gedruckt sah. Erste Gedichte! Sie müssen auf 
nachlässigen, verblichenen Blättern geschrieben sein, 
dazwischen, hie und da, müssen welke Blumen lie-
gen, oder eine blonde Locke, oder ein verfärbtes 
Stückchen Band, und an mancher Stelle muß noch die
Spur einer Träne sichtbar sein... Erste Gedichte aber, 
die gedruckt sind, grell schwarz gedruckt auf entsetz-
lich glattem Papier, diese haben ihren süßesten, jung-
fräulichsten Reiz verloren und erregen bei dem Ver-
fasser einen schauerlichen Mißmut.
Ja, es sind nun zehn Jahre, seitdem diese Gedichte 
zuerst erschienen, und ich gebe sie wie damals in 
chronologischer Folge, und ganz voran ziehen wieder 
Lieder, die in jenen früheren Jahren gedichtet worden,
als die ersten Küsse der deutschen Muse in meiner 
Seele brannten. Ach! die Küsse dieser guten Dirne 
verloren seitdem sehr viel von ihrer Glut und Frische! 
Bei so langjährigem Verhältnis mußte die Inbrunst 
der Flitterwochen allmählich verrauchen; aber die 
Zärtlichkeit wurde manchmal um so herzlicher, be-
sonders in schlechten Tagen, und da bewährte sie mir 
ihre ganze Liebe und Treue, die deutsche Muse! Sie 
tröstete mich in heimischen Drangsalen, folgte mir ins
Exil, erheiterte mich in bösen Stunden des Verzagens,
ließ mich nie im Stich, sogar in Geldnot wußte sie mir
zu helfen, die deutsche Muse, die gute Dirne!
Ebensowenig wie an der Zeitfolge, änderte ich an 
den Gedichten selbst. Nur hie und da, in der ersten 
Abteilung, wurden einige Verse verbessert. Der 
Raumersparnis wegen habe ich die Dedikationen der 
ersten Auflage weggelassen. Doch kann ich nicht 
umhin, zu erwähnen, daß das »Lyrische Intermezzo« 
einem Buche entlehnt ist, welches unter dem Titel 
»Tragödien« im Jahr 1823 erschien und meinem 
Oheim Salomon Heine zugeeignet worden. Die hohe 
Achtung, die ich diesem großartigen Manne zollte, 
sowie auch meine Dankbarkeit für die Liebe, die er 
mir bewiesen, wollte ich durch jene Widmung beur-
kunden. »Die Heimkehr«, welche zuerst in den »Rei-
sebildern« erschien, ist der seligen Friederike Varnha-
gen von Ense gewidmet, und ich darf mich rühmen, 
der erste gewesen zu sein, der diese große Frau mit 
öffentlicher Huldigung verehrte. Es war eine große 
Tat von August Varnhagen, daß er, alles kleinliche 
Bedenken abweisend, jene Briefe veröffentlichte, 
worin sich Rahel mit ihrer ganzen Persönlichkeit of-
fenbart. Dieses Buch kam zur rechten Zeit, wo es 
eben am besten wirken, stärken und trösten konnte. 
Das Buch kam zur trostbedürftig rechten Zeit. Es ist, 
als ob die Rahel wußte, welche postume Sendung ihr 
beschieden war. Sie glaubte freilich, es würde besser 
werden, und wartete; doch als des Wartens kein Ende 
nahm, schüttelte sie ungeduldig den Kopf, sah Varn-
hagen an und starb schnell - um desto schneller auf-
erstehn zu können. Sie mahnt mich an die Sage jener
anderen Rahel, die aus dem Grabe hervorstieg und an 
der Landstraße stand und weinte, als ihre Kinder in 
die Gefangenschaft zogen.
Ich kann ihrer nicht ohne Wehmut gedenken, der 
liebreichen Freundin, die mir immer die unermüdlich-
ste Teilnahme widmete und sich oft nicht wenig für 
mich ängstigte, in jener Zeit meiner jugendlichen 
Übermüten, in jener Zeit, als die Flamme der Wahr-
heit mich mehr erhitzte als erleuchtete...
Diese Zeit ist vorbei! Ich bin jetzt mehr erleuchtet 
als erhitzt. Solche kühle Erleuchtung kommt aber 
immer zu spät bei den Menschen. Ich sehe jetzt im 
klarsten Lichte die Steine, über welche ich gestolpert. 
Ich hätte ihnen so leicht ausweichen können, ohne 
darum einen unrechten Weg zu wandeln. Jetzt weiß 
ich auch, daß man in der Welt sich mit allem befassen
kann, wenn man nur die dazu nötigen Handschuhe an-
zieht. Und dann sollten wir nur das tun, was tunlich 
ist und wozu wir am meisten Geschick haben, im 
Leben wie in der Kunst. Ach! zu den unseligsten 
Mißgriffen des Menschen gehört, daß er den Wert der
Geschenke, die ihm die Natur am bequemsten entge-
genträgt, kindisch verkenne und dagegen die Güter, 
die ihm am schwersten zugänglich sind, für die kost-
barsten ansieht. Den Edelstein, der im Schoße der 
Erde festgewachsen, die Perle, die in den Untiefen des
Meeres verborgen, hält der Mensch für die besten 
Schätze; er würde sie geringachten, wenn die Natur 
sie gleich Kieseln und Muscheln zu seinen Füßen 
legte. Gegen unsere Vorzüge sind wir gleichgültig; 
über unsere Gebrechen suchen wir uns so lange zu 
täuschen, bis wir sie endlich für Vortrefflichkeiten 
halten. Als ich einst, nach einem Konzerte von Paga-
nini, diesem Meister mit leidenschaftlichen Lobsprü-
chen über sein Violinspiel entgegentrat, unterbrach er 
mich mit den Worten: »Aber wie gefielen Ihnen heute 
meine Komplimente, meine Verbeugungen?«
Bescheidenen Sinnes und um Nachsicht bittend, 
übergebe ich dem Publikum das »Buch der Lieder«; 
für die Schwäche dieser Gedichte mögen vielleicht 
meine politischen, theologischen und philosophischen
Schriften einigen Ersatz bieten.
Bemerken muß ich jedoch, daß meine poetischen, 
ebensogut wie meine politischen, theologischen und 
philosophischen Schriften, einem und demselben Ge-
danken entsprossen sind und daß man die einen nicht 
verdammen darf, ohne den andern allen Beifall zu ent-
ziehen. Zugleich erlaube ich mir auch die Bemerkung,
daß das Gerücht, als hätte jener Gedanken eine be-
denkliche Umwandlung in meiner Seele erlitten, auf 
Angaben beruht, die ich ebenso verachten wie bedau-
ern muß. Nur gewissen bornierten Geistern konnte die
Milderung meiner Rede, oder gar mein erzwungenes 
Schweigen, als ein Abfall von mir selber erscheinen. 

Sie mißdeuteten meine Mäßigung, und das war um so
liebloser, da ich doch nie ihre Überwut mißdeutet 
habe. Höchstens dürfte man mich einer Ermüdung be-
schuldigen. Aber ich habe ein Recht, müde zu sein... 
Und dann muß jeder dem Gesetze der Zeit gehorchen, 
er mag wollen oder nicht...

»Und scheint die Sonne noch so schön,
Am Ende muß sie untergehn!«

Die Melodie dieser Verse summt mir schon den 
ganzen Morgen im Kopfe und klingt vielleicht wider 
aus allem, was ich soeben geschrieben. In einem 
Stücke von Raimund, dem wackeren Komiker, der 
sich unlängst aus Melancholie totgeschossen, erschie-
nen Jugend und Alter als allegorische Personen, und 
das Lied, welches die Jugend singt, wenn sie von dem
Helden Abschied nimmt, beginnt mit den erwähnten 
Versen. Vor vielen Jahren, in München, sah ich die-
ses Stück, ich glaube, es heißt »Der Bauer als Millio-
när«. Sobald die Jugend abgeht, sieht man, wie die 
Person des Helden, der allein auf der Szene zurück-
bleibt, eine sonderbare Veränderung erleidet. Sein 
braunes Haar wird allmählich grau und endlich 
schneeweiß; sein Rücken krümmt sich, seine Knie 
schlottern; an die Stelle des vorigen Ungestüms tritt 
eine weinerliche Weichheit... das Alter erscheint.

Naht diese winterliche Gestalt auch schon dem 
Verfasser dieser Blätter? Gewahrst du schon, teurer 
Leser, eine ähnliche Umwandlung an dem Schriftstel-
ler, der immer jugendlich, fast allzu jugendlich in der 
Literatur sich bewegte? Es ist ein betrübender An-
blick, wenn ein Schriftsteller vor unseren Augen, an-
gesichts des ganzen Publikums, allmählich alt wird. 
Wir haben's gesehen, nicht bei Wolfgang Goethe, 
dem ewigen Jüngling, aber bei August Wilhelm von 
Schlegel, dem bejahrten Gecken; wir haben's gesehen,
nicht bei Adelbert Chamisso, der mit jedem Jahre sich
blütenreicher verjüngt, aber wir sahen es bei Herrn 
Ludwig Tieck, dem ehemaligen romantischen Stroh-
mian, der jetzt ein alter räudiger Muntsche gewor-
den... Oh, ihr Götter! ich bitte euch nicht, mir die Ju-
gend zu lassen, aber laßt mir die Tugenden der Ju-
gend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige 
Träne! Laßt mich nicht ein alter Polterer werden, der 
aus Neid die jüngeren Geister ankläfft, oder ein matter
Jammermensch, der über die gute alte Zeit beständig 
flennt... Laßt mich ein Greis werden, der die Jugend 
liebt und trotz der Alterschwäche noch immer teil-
nimmt an ihren Spielen und Gefahren! Mag immerhin
meine Stimme zittern und beben, wenn nur der Sinn 
meiner Worte unerschrocken und frisch bleibt!
Sie lächelte gestern so sonderbar, halb mitleidig, 
halb boßhaft, die schöne Freundin, als sie mit ihren 
rosigen Fingern meine Locken glättete... Nicht wahr, 
du hast auf meinem Haupte einige weiße Haare be-
merkt?

»Und scheint die Sonne noch so schön,
Am Ende muß sie untergehn.«

Geschrieben zu Paris im Frühjahr 1837
Heinrich Heine