Atta Troll. Ein Sommernachtstraum

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Vorwort - français

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Der »Atta Troll« entstand im Spätherbste 1841 und
ward fragmentarisch abgedruckt in der »Eleganten 
Welt«, als mein Freund Heinrich Laube wieder die 
Redaktion derselben übernommen hatte. Inhalt und 
Zuschnitt des Gedichtes mußten den zahmen Bedürf-
nissen jener Zeitschrift entsprechen; ich schrieb vor-
läufig nur die Kapitel, die gedruckt werden konnten, 
und auch diese erlitten manche Variante. Ich hegte die
Absicht, in späterer Vervollständigung das Ganze 
herauszugeben, aber es blieb immer bei dem lobens-
werten Vorsatze, und wie allen großen Werken der 
Deutschen, wie dem Kölner Dome, dem Schel-
lingschen Gotte, der preußischen Konstitution usw., 
ging es auch dem »Atta Troll« - er ward nicht fertig. 
In solcher unfertigen Gestalt, leidlich aufgestutzt und 
nur äußerlich geründet, übergebe ich ihn heute dem 
Publiko, einem Drange gehorchend, der wahrlich 
nicht von innen kommt.
Der »Atta Troll« entstand, wie gesagt, im Spät-
herbste 1841, zu einer Zeit, als die groß Emeute, wo 
die verschiedenfarbigsten Feinde sich gegen mich zu-
sammengerottet, noch nicht ganz ausgelärmt hatte. Es
war eine sehr große Emeute, und ich hätte nie ge-
glaubt, daß Deutschland so viele faule Äpfel 
hervorbringt, wie mir damals an den Kopf flogen! 
Unser Vaterland ist ein gesegnetes Land; es wachsen 
hier freilich keine Zitronen und keine Goldorangen, 
auch krüppelt sich der Lorbeer nur mühsam fort auf 
deutschem Boden, aber faule Äpfel gedeihen bei uns 
in erfreulichster Fülle, und alle unsere großen Dichter 
wußten davon ein Lied zu singen. Bei jener Emeute, 
wo ich Krone und Kopf verlieren sollte, verlor ich 
keins von beiden, und die absurden Anschuldigungen,
womit man den Pöbel gegen mich aufhetzte, sind seit-
dem, ohne daß ich mich zu einer Widerrede herabzu-
lassen brauchte, aufs kläglichste verschollen. Die Zeit
übernahm meine Rechtfertigung, und auch die respek-
tiven deutschen Regierungen, ich muß es dankbar an-
erkennen, haben sich in dieser Beziehung verdient um
mich gemacht. Die Verhaftsbefehle, die von der deut-
schen Grenze an, auf jeder Station, die Heimkehr des 
Dichters mit Sehnsucht erwarten, werden gehörig re-
noviert, jedes Jahr, um die heilige Weihnachtzeit, 
wenn an den Christbäumen die gemütlichen Lämp-
chen funkeln. Wegen solcher Unsicherheit der Wege 
wird mir das Reisen in den deutschen Gauen schier 
verleidet, ich feiere deshalb meine Weihnachten in der
Fremde und werde auch in der Fremde, im Exil, meine
Tage beschließen. Die wackern Kämpen für Licht und
Wahrheit, die mich der Wankelmütigkeit und des 
Knechtsinns beschuldigten, gehen unterdessen im 
Vaterlande sehr sicher umher, als wohlbestallte 
Staatsdiener, oder als Würdeträger einer Gilde, oder 
als Stammgäste eines Klubs, wo sie sich des Abends 
patriotisch erquicken am Rebensafte des Vater Rhein 
und an meerumschlungenen schleswig-holsteinschen 
Austern.
Ich habe oben mit besonderer Absicht angedeutet, 
in welcher Periode der »Atta Troll« entstanden ist. 
Damals blühte die sogenannte politische Dichtkunst. 
Die Opposition, wie Ruge sagt, verkaufte ihr Leder 
und ward Poesie. Die Musen bekamen die strenge 
Weisung, sich hinfüro nicht mehr müßig und leicht-
fertig umherzutreiben, sondern in vaterländischen 
Dienst zu treten, etwa als Marketenderinnen der Frei-
heit oder als Wäscherinnen der christlich-germani-
schen Nationalität. Es erhub sich im deutschen Bar-
denhain ganz besonders jener vage, unfruchtbare Pa-
thos, jener nutzlose Enthusiasmusdunst, der sich mit 
Todesverachtung in einen Ozean von Allgemeinheiten
stürzte und mich immer an den amerikanischen Ma-
trosen erinnerte, welcher für den General Jackson so 
überschwenglich begeistert war, daß er einst von der 
Spitze eines Mastbaums ins Meer hinabsprang, indem
er ausrief: »Ich sterbe für den General Jackson!« Ja, 
obgleich wir Deutschen noch keine Flotte besaßen, so
hatten wir doch schon viele begeisterte Matrosen, die 
für den General Jackson starben, in Versen und in 
Prosa. Das Talent war damals eine sehr mißliche Be-
gabung, denn es brachte in den Verdacht der Charak-
terlosigkeit. Die scheelsüchtige Impotenz hatte end-
lich, nach tausendjährigem Nachgrübeln, ihre große 
Waffe gefunden gegen die Übermüten des Genius; sie
fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter.
Es war fast persönlich schmeichelhaft für die große 
Menge, wenn sie behaupten hörte, die braven Leute 
seien freilich in der Regel sehr schlechte Musikanten, 
dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich 
nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei 
in der Welt die Hauptsache, nicht die Musik. Der 
leere Kopf pochte jetzt mit Fug auf sein volles Herz, 
und die Gesinnung war Trumpf. Ich erinnere mich 
eines damaligen Schriftstellers, der es sich als ein be-
sonderes Verdienst anrechnete, daß er nicht schreiben 
könne; für seinen hölzernen Stil bekam er einen sil-
bernen Ehrenbecher.
Bei den ewigen Göttern! damals galt es, die unver-
äußerlichen Rechte des Geistes zu vertreten, zumal in 
der Poesie. Wie eine solche Vertretung das große Ge-
schäft meines Lebens war, so habe ich sie am allerwe-
nigsten im vorliegenden Gedicht außer Augen gelas-
sen, und sowohl Tonart als Stoff desselben war ein 
Protest gegen die Plebiszita der Tagestribünen. Und 
in der Tat, schon die ersten Fragmente, die vom »Atta
Troll« gedruckt wurden, erregten die Galle meiner 
Charakterhelden, meiner Römer, die mich nicht bloß 
der literarischen, sondern auch der gesellschaftlichen 
Reaktion, ja sogar der Verhöhnung heiligster 
Menschheitsideen beschuldigten. Was den ästheti-
schen Wert meines Poems betrifft, so gab ich ihn gern
preis, wie ich es auch heute noch tue; ich schrieb das-
selbe zu meiner eignen Lust und Freude, in der gril-
lenhaften Traumweise jener romantischen Schule, wo 
ich meine angenehmsten Jugendjahre verlebt und zu-
letzt den Schulmeister geprügelt habe. In dieser Be-
ziehung ist mein Gedicht vielleicht verwerflich. Aber 
du lügst, Brutus, du lügst, Cassius, und auch du lügst,
Asinius, wenn ihr behauptet, mein Spott träfe jene 
Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Mensch-
heit sind und für die ich selber soviel gestritten und 
gelitten habe. Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen 
in herrlichster Klarheit und Größe beständig vor-
schweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die 
Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch 
von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen 
aufgefaßt werden können. Er scherzt dann gleichsam 
über ihre temporelle Bärenhaut. Es gibt Spiegel, wel-
che so verschoben geschliffen sind, daß selbst ein 
Apollo sich darin als eine Karikatur abspiegeln muß 
und uns zum Lachen reizt. Wir lachen aber alsdann 
nur über das Zerrbild, nicht über den Gott.
Noch ein Wort. Bedarf es einer besondern 
Verwahrung, daß die Parodie eines Freiligrathschen 
Gedichtes, welche aus dem »Atta Troll« manchmal 
mutwillig hervorkichert und gleichsam seine komi-
sche Unterlage bildet, keineswegs eine Mißwürdigung
des Dichters bezweckt? Ich schätze denselben hoch, 
zumal jetzt, und ich zähle ihn zu den bedeutendsten 
Dichtern, die seit der Juliusrevolution in Deutschland 
aufgetreten sind. Seine erste Gedichtesammlung kam 
mir sehr spät zu Gesicht, nämlich eben zur Zeit, als 
der »Atta Troll« entstand. Es mochte wohl an meiner 
damaligen Stimmung liegen, daß namentlich der 
»Mohrenfürst« so belustigend auf mich wirkte. Diese 
Produktion wird übrigens als die gelungenste ge-
rühmt. Für Leser, welche diese Produktion gar nicht 
kennen - und es mag deren wohl in China und Japan 
geben, sogar am Niger und am Senegal -, für diese 
bemerke ich, daß der Mohrenkönig, der zu Anfang 
des Gedichtes aus seinem weißen Zelte, wie eine 
Mondfinsternis, hervortritt, auch eine schwarze Ge-
liebte besitzt, über deren dunkles Antlitz die weißen 
Straußfedern nicken. Aber kriegsmutig verläßt er sie, 
er zieht in die Negerschlacht, wo da rasselt die Trom-
mel, mit Schädeln behangen - ach, er findet dort sein 
schwarzes Waterloo und wird von den Siegern an die 
Weißen verkauft. Diese schleppen den edlen Afrika-
ner nach Europa, und hier finden wir ihn wieder im 
Dienste einer herumziehenden Reutergesellschaft, die 
ihm, bei ihren Kunstvorstellungen, die türkische 
Trommel anvertraut hat. Da steht er nun, finster und 
ernsthaft, am Eingange der Reitbahn und trommelt, 
doch während des Trommelns denkt er an seine ehe-
malige Größe, er denkt daran, daß er einst ein absolu-
ter Monarch war, am fernen, fernen Niger, und daß er 
gejagt den Löwen, den Tiger -

»Sein Auge ward naß; mit dumpfem Klang
Schlug er das Fell, daß es rasselnd zersprang.«

Geschrieben zu Paris im Dezember 1846
Heinrich Heine

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