»Das arme Volk ist nicht schön«
Eine Nachlese zum 200. Geburtstag von Sybille Fuchs
© gleichheit, Nr. 1/98, 20. Dezember 1997
Wir danken der Autorin für die Genehmigung,
diesen Aufsatz auf unseren Seiten spiegeln zu dürfen.
Das Original befindet sich hier.
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Heine selbst hoffte immerhin (wenn auch vergebens), seine Börne-Schrift würde »als das beste Werk, das ich geschrieben, anerkannt werden«.33 Sein Thema ist das Verhältnis von Kunst und Politik, eine Verteidigung der Freiheit der Kunst und des Künstlers, die nichts zu tun hat mit einer Ablehnung der sozialen Umwälzung der Gesellschaft, sondern im Gegenteil ein Teil von ihr sein muß.
Trilse-Finkelstein, verwendet in seiner Biographie im Gegensatz zu Raddatz große Sorgfalt darauf, dem Leser die aufregenden, gesellschaftlichen und politischen Umstände zu schildern, unter denen Heine lebte und schrieb. Er erklärt, wer die Menschen waren, die ihm nahestanden oder seine Gegner waren. Er widmet einige Kapitel Heines Beziehungen zu den frühen Sozialisten und Kommunisten, seinem Verhältnis zu Hegel und den Junghegelianern und eines dem Verhältnis von Heine zu Marx. Vieles wird darin gestreift und regt zu eigenem Nachlesen und Nachdenken an. Noch ein anderes Verdienst hat Trilse-Finkelstein. Er verweist in seiner eigenen auf eine andere, ältere Heinebiographie, die er sehr schätzt, auf die von Lew Kopelew. Seiner Empfehlung können wir uns nur anschließen.35 Trilse-Finkelstein schildert die Freundschaft zwischen Heine und Karl Marx, der als einer der wenigen dieses Buch verstand und eine – leider nie zustande gekommene – Rezension darüber zu schreiben beabsichtigte. Marx und Engels haben den Typus des kleinbürgerlichen Demokraten, die »liberalen Advokaten und doktrinären Professoren« mit ihrer wortreichen Impotenz in ihren Schriften immer wieder aufs Korn genommen, und mit Sicherheit ist auch Heines Vorbild nicht unschuldig daran.36 Der große Vorteil der Biographie Trilse-Finkelsteins ist, daß er im Gegensatz zu Raddatz die Widersprüche sichtbar und begreifbar macht, von denen Heine zerrissen war, die er nicht zu lösen vermochte, denen wir aber sein großartiges Werk zu verdanken haben. Er möchte dem Phänomen Heine auf die Spur kommen, indem er die äußeren, die politisch-gesellschaftlichen und die »Widersprüche des Künstlers« zu erfassen versucht. Zu den letzteren erklärt er:
In einigen Punkten allerdings ist Trilse-Finkelstein wohl auch von der Stimmung nicht ganz verschont geblieben, die die » neuen Bocksgesänge« hervorgebracht hat. So ist seine Einschätzung meines Erachtens nicht richtig, wenn er zu Heines Hunde-Metapher38 für das Volk bemerkt, dieser habe einen »anderen Entwurf von Volk, als der Marxens, der auf ein organisiertes und diszipliniertes Proletariat, auf eine kämpfende Avantgarde setzte und damit Schiffbruch erlitt«. Oder etwas später: »Heute hätte Heine sicher eine Bananen-Metapher gewählt.«39 Die Differenzen zwischen Marx und Heine betrafen nicht den realen Charakter der unterdrückten Klasse. Marx war sich wie Heine dessen sehr wohl bewußt, daß das Proletariat abgeschnitten war von Kultur und Bildung und keineswegs von sich aus gleich in der Lage war, organisiert und diszipliniert zu handeln. Es dazu in die Lage zu versetzen, darin sah er die Aufgabe der Kommunisten. Er war sicher einer Meinung mit Heine, wenn dieser den »Schmeichlern« und »Hoflakaien des Volkes« widerspricht, die beständig dessen »Vortrefflichkeiten und Tugenden« rühmen und begeistert ausrufen:
Von Schönfärberei und heuchlerischer Idealisierung des Proletariats war Marx genauso weit entfernt wie Heine. Eine solche entstand erst als wichtiger Bestandteil der Rechtfertigungsideologie der stalinistischen Bürokratie. Ihr »Sozialistischer Realismus« sollte davon ablenken, daß diese Schmarotzerclique die Arbeiter in der Sowjetunion systematisch daran hinderte, die Macht in ihrem Staat auszuüben. Wer für Freiheit der Kunst und Emanzipation der Arbeiterklasse eintrat, dem drohte Verfolgung, Lagerhaft und Ermordung. Als Revolutionär sah Marx seine Hauptaufgabe darin, »bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein« über ihre historischen Aufgaben in der Revolution zu erzeugen. Die politischen Niederlagen der Arbeiter waren für ihn Ansporn, ihre Analyse sollte den Grundstein für künftige Siege legen. Heine, dessen sozialistische Träume aus derselben Epoche stammten wie die Utopien der Saint-Simonisten und anderen Frühsozialisten, sah in seiner Zeit der politischen Rückschläge immer weniger Möglichkeiten, sie zu verwirklichen. Die Theorien der utopischen Sozialisten entstanden in einer Zeit, in der die Arbeiterklasse noch eine gesellschaftliche Minderheit darstellte und ihre selbständigen Kämpfe noch wenig entwickelt waren. Daher gingen sie davon aus, daß die Utopien gleichsam von oben durchgesetzt werden müßten. Heine stand in seinen politischen Einsichten zwischen Marx und den utopischen Sozialisten. Dazu kam, daß gerade die revolutionären Ereignisse 1848 zusammentrafen mit einer tiefen persönlichen Krise Heines. Seine Krankheit verschlimmerte sich zusehends und zwang ihn immer mehr dazu, jede Teilnahme am öffentlichen Leben aufzugeben. Heine war kein Kommunist, aber er blieb selbst aus seiner »Matratzengruft« heraus nicht nur ein hellwacher kritischer Beobachter der gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern auch bis in seine letzten Lebenstage ein großer Dichter, der an die Möglichkeit glaubte, eine bessere Welt auf Erden zu verwirklichen. »...daß die Zukunft den Kommunisten gehört«Er begrüßte die Kommunisten als die politische Kraft der Zukunft, auch wenn er für sich selbst keine Neigung verspürte, an ihrem Kampf teilzunehmen. Das hielt ihn aber nicht ab, die falschen Freunde der Revolution zu geißeln. Die politischen Ergebnisse von 1848 haben seine Einschätzung vollauf bestätigt. Heines skeptische Einschätzung der Situation war wesentlich komplexer als die Schwarzweißmalerei der Republikaner vom Schlage Börnes. Wie nur wenige seiner Zeitgenossen hat Heine nicht nur die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit durchlebt und scharfsichtig analysiert, sondern sich trotz aller Skepsis und Ängste über die Rolle des Proletariats, immer wieder zur sozialen Revolution und diesem als der kommenden gesellschaftlichen Kraft darin bekannt. Sein Bekenntnis, »daß die Zukunft den Kommunisten gehört«, hat er nicht allzulange vor seinem Tode (am 30. März 1855) im Vorwort zur französischen Ausgabe seiner Korrespondentenberichte von 1840 bis 1843 für die Augsburgische Allgemeine Zeitung noch einmal bekräftigt:
Die zweite Stimme, die für Heine zugunsten des Kommunismus spricht, ist die der reaktionären »sogenannten Vertreter der deutschen Nationalität«.
Heines (Selbst)Ironie in diesem Abschnitt, der immer wieder zitiert wurde, um ihm echte Angst vor der Kunstfeindlichkeit der Kommunisten zu unterstellen, ist unüberhörbar. Vom Kunstverständnis seines Freundes, Karl Marx, jedoch hatte er ausgiebig Gelegenheit, sich zu überzeugen. Es ist eine Schilderung von Eleanor Marx überliefert, die Raddatz zitiert: »Es gab eine Zeit, wo Heine tagaus, tagein bei Marxens vorsprach, um ihnen seine Verse vorzulesen und das Urteil der beiden jungen Leute einzuholen. Ein Gedichtchen von acht Zeilen konnten Heine und Marx zusammen unzählige Male durchgehen, beständig das eine oder andere Wort diskutierend und so lange arbeitend und feilend, bis alles glatt und jede Spur von Arbeit und Feile aus dem Gedicht beseitigt war.«43 Heine und Marx waren im gemeinsamen Pariser Exil befreundet. Auch ihre politischen Ansichten stimmten vor allem in der ersten Hälfte der vierziger Jahre in der Grundrichtung überein. So manche treffende Formulierung übernahm Marx von Heine, wie zum Beispiel die, daß Religion Opium fürs Volks sei. Aber ihre Intentionen waren sehr unterschiedlich, auch wenn sie zeitweilig für die gleichen Zeitungen schrieben: der eine war Revolutionär, der andere Dichter. Heine drückt sein Anliegen in einem Brief 1837 so aus: »...mein Streben (ist) kein politisch revoluzionäres, sondern mehr ein philosophisches,... wo nicht die Form der Gesellschaft sondern ihre Tendenz beleuchtet wird.«44 Scharf geißelt Heine auch die Heuchelei der bürgerlichen
Wohltätigkeit wie in dem Gedicht Erinnerung an Hammonia, die nur
dazu dient, sich in der guten Gesellschaft ein Ansehen und ein gutes
Gewissen zu verschaffen, aber das Elend in der Welt zu lassen, wie es ist.
Jeder sieht sie an gerührt, Sitzen dort in langer Reih’, Leider kommt mir in den Sinn Die Montur ist nicht egal, Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 Anmerkungen33. Heine an seinen Verleger Campe, 1840, zitiert bei Raddatz, S. 203 - zurück zum Text 34. Trilse-Finkelstein, a. a. O.,S. 205 - zurück zum Text 35. Lew Kopelew: Ein Dichter kam vom Rhein. Heinrich Heines Leben und Leiden. Berlin 1981 (1997 als Taschenbuchausgabe bei Goldmann zum Preis von 22.- DM neu herausgegeben) - zurück zum Text 36. Z. B. Friedrich Engels: in Revolution und Konterrevolution in Deutschland, Berlin 1972, S. 80 - zurück zum Text 37. Trise-Finkelstein, S. 11f - zurück zum Text 38. Heine erzählt in der Börne-Schrift die Geschichte vom treuen Hund Medor, der nicht vom Grab seines im Kampfe gefallenen Herren wich. In »Wirklichkeit« jedoch war es ein ganz anderer Hund, der sich an dessen Stelle gesetzt hatte. »Er ward gehätschelt, gefördert, vielleicht zu den höchten Ehrenstellen erhoben, während der wahre Medor, einige Tage nach dem Siege, bescheiden davongeschliche war, wie das wahre Volk, das die Revolution gemacht... Armes Volk, armer Hund!« SW, Bd. XI., S. 56 - zurück zum Text 39. Trilse-Finkelstein: a. a. O., S. 250f - zurück zum Text 40. Heine: Geständnisse, SW, Bd. XIII, S. 113f - zurück zum Text 41. SW, Bd. XI, S. 337f (Übersetzung des lat. Zitats: Gerechtigkeit muß sein, und wenn die Welt darüber zugrunde geht.) - zurück zum Text 42. ebd. S. 338 - zurück zum Text 43. Zitiert bei Raddatz: a. a. O., S. 250 - zurück zum Text 44. ebd. S. 224 - zurück zum Text 45. Heine: Gedichte 1853 und 1854, SW, Bd. III, S. 215 - zurück zum Text |